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Das Gemeindehaus

In Ohlenhof gibt es keine Ortsarmen, mithin auch kein Armenhaus, sondern nur ein Gemeindehaus. Bewohnt wird es von dem Holzhändler Friedrich Kollmann und von der Witwe Hermine Beckmann, gebürtige Willers. Kollmann hatte als Hütejunge angefangen, war dann Koppelknecht geworden und weit in der Welt herumgekommen, bis nach Rußland und Frankreich hin. Später legte er sich auf den Holzhandel, und weil er fleißig und sparsam war, wurde er ein vermögender Mann, bis er bei dem Gründerkrach fast sein ganzes Geld verlor und knapp so viel behielt, daß er notdürftig leben konnte.

Wenn er aber auch sein Geld verlor, seinen Humor behielt er. Die Woche über arbeitete er in seinem Garten oder half hier und da einem Bauern bei der Buchführung oder beim Viehhandel; am Sonntag aber zog er seinen guten Rock an und ging nach Krusenhagen zur Kirche. Wenn er dann nach Hause kam, versuchte er jedesmal, Frau Beckmann Bericht über das zu geben, was der Pastor gepredigt hatte; aber sie ließ ihn niemals zu Worte kommen, so daß er ärgerlich die Pfeife wegstellte, sich zwei Zigarren einsteckte und in den Krug ging. Hinterher aber war er wieder gut Freund mit Frau Beckmann, und wenn er ihr auch vorher ihre Gottlosigkeit vorgeworfen hatte.

Denn Hermine Beckmann war gottlos oder vielmehr, sie wollte es sein. Sie ging nie in die Kirche; sie nahm das Abendmahl nicht; sie las nicht in der Bibel und in dem Gesangbuch, und der Pastor hatte es längst aufgegeben, sie wieder auf den rechten Weg zu bringen. Sie war früher gottesfürchtig und fromm gewesen, wie alle Leute im Dorfe, war alle zwei Wochen zur Kirche und viermal im Jahre zum Abendmahl gegangen. Aber dann kam eine Reihe von Jahren, daß sie Bibel und Gesangbuch weglegte, nicht mehr zur Kirche finden konnte und ihre Ohren verschloß, wenn der Pastor, bald mit Milde, bald mit Strenge, auf sie einredete. Er konnte sagen, was er wollte, sie sah ihn mit ihren hellen Augen steif an, verzog keine Miene in ihrem mageren, braunen Gesicht, und das einzige, was sie antwortete, war immer wieder dasselbe. »Ich bin mein Lebtag ordentlich gewesen, Herr Pastor,« sagte sie dann mit ihrer ruhigen Stimme, »und ich habe das nicht verdient.«

Ordentlich war Hermine Willers jeher gewesen. Lustig war sie gewesen, wie alle jungen Mädchen, war die dauerhafteste Tänzerin gewesen, aber sie hielt auch bei der Arbeit am meisten an. Die Jungens waren mächtig hinter ihr her; denn sie war eins von den glattesten Mädchen weit und breit, aber sie wußte, was sie von ihr wollten, und sie wußte auch, was sie wollte. Als sie vierundzwanzig Jahr war, ein Paar Arme wie Bäume und Backen, so rot wie Pfingstrosen, hatte, heiratete sie den Halbmeier Bernd Beckmann. Der Hof war etwas verschuldet; denn der Altvater Beckmann war ein Bummelant gewesen, der dem Schnapse schlecht aus dem Weg gehen konnte, auch hatte Bernd zwei Geschwister abfinden müssen; aber da Hermine etwas Bargeld hatte und ihr Mann ebenso fix in der Arbeit war, wie sie, so fürchteten sie sich nicht vor der Zukunft. Es wurde ihnen nicht leicht, über Wasser zu bleiben; denn ein Kind nach dem andern kam an, und einige ganz dürre und einige zu nasse Jahre brachten ihnen Not und Sorgen genug; doch sie halfen sich durch und lebten trotz ihrer Sorgen in Glück und Frieden.

Sie waren so weit, daß sie sich sagten: »Noch drei, vier Jahre, und dann kriegen wir Luft,« da kam Unglück über Unglück über sie. Zwei Kühe und das Pferd fielen ihnen kurz hintereinander; kein Stück war versichert, denn das war damals noch wenig Brauch. Im nächsten Jahre schlug ihnen der Hagel die ganze Frucht zuschanden; das Heu verregnete, das Grummet ersoff und die Kartoffeln verfaulten. Im folgenden Jahre fielen ihnen die ganzen Schweine am wilden Feuer, und zu all dem Unglück brannte das Haus ab. Einige schlechte Leute sagten Beckmann nach, er habe es angesteckt, denn er hatte versichert; das nahm er sich so zu Herzen, daß er hintersinnig wurde, acht Tage nicht aß und schlief und am neunten tot im Busche gefunden wurde. Er hatte sich aufgehängt.

Seine Frau hielt den Nacken steif. Bauen konnte sie nicht wieder, denn sie brauchte das Geld in anderer Weise; so zog sie in das Gemeindehaus, das damals ganz leer stand. Sie arbeitete wie ein Pferd, und ihre Kinder halfen ihr, aber es war, als sollte sie kein Glück auf der Welt haben. Die Kuh verkalbte, die Schweine fielen, das Federvieh ging ein, das Hochwasser verdarb ihr das Heu, ihre Lieblingstochter starb an Scharlach, die Zwillinge holte die Diphtheritis, die älteste Tochter kam in der Stadt in Schande und ging in das Wasser, und ihr ältester Sohn, ein prächtiger Mensch, wurde vom Blitz totgeschlagen. Aber das war noch nicht das Schlimmste; denn eines Tages bekam sie die Meldung, daß ihr zweiter Sohn, der Fritz, der in der Stadt etwas werden sollte, erst gespielt und dann Geld unterschlagen hatte, viel Geld sogar. Sie verkaufte so viel Land, wie nötig war, und deckte das gestohlene Geld, und als Fritz aus dem Gefängnis heraus war, verkaufte sie den Rest, damit er nach Amerika gehen konnte. Und dann wurde sie Arbeitsfrau bei den Bauern.

Sie hatte ihren Mann verloren, ihren Hof und ihre Kinder, denn von Fritz kam keine Nachricht; ihren Stolz aber behielt sie. Sie bezahlte ihre Wohnung im Gemeindehause zum vollen Werte; sie wies das Angebot ihrer Geschwister, die in guten Verhältnissen lebten und sie zu sich nehmen wollten, zurück; sie ließ sich von den Bauern, bei denen sie arbeitete, niemals etwas schenken, so oft ihr das auch angeboten wurde. Sie bezahlte auch ihren Platz in der Kirche weiter, aber sie ließ ihn leer stehen. Sie ging, seitdem ihr Fritz in Schande gekommen war, nicht mehr in die Kirche, auch nicht an den hohen Feiertagen. Sie brachte auf alle ihre Gräber an den Todestagen Kränze, aber sie kniete nicht nieder und betete nicht. Der Pastor kam anfangs oft und redete ihr zu, erst in Güte, dann anders; es half nichts. Seine Frau versuchte, sie umzustimmen, hatte aber ebenfalls kein Glück damit. Die Bibel, das Gesangbuch, die beiden frommen Bilder und der Konfirmationsspruch, der in Glas und Rahmen an der Wand hing, kamen zu unterst in die Beilade und blieben dort Jahr für Jahr liegen.

Ein Dutzend Jahre und mehr lebte Frau Beckmann so dahin, fleißig bei der Arbeit und gefällig, wo sie helfen konnte. Die Leute im Dorfe gewöhnten sich daran, daß sie auch Sonntags arbeitete. Das hörte erst auf, als Kollmann und seine Frau in das Gemeindehaus einzogen. Wäre Frau Beckmann nicht dagewesen, so hätte es schlecht um die beiden Leute gestanden; denn Frau Kollmann tat nichts als jammern und weinen und lag vier von den sieben Wochentagen im Bett. So besorgte Frau Beckmann die ganze Hausarbeit, und als Frau Kollmann starb, sorgte sie für den Mann weiter, als wenn es ihr eigner wär. Dabei vertrug sie sich eigentlich gar nicht gut mit ihm; denn er war durch sein Unglück fromm geworden und hielt sie immer zum Kirchgehen und Bibellesen an. Eine Weile ließ sie ihn reden; wurde es ihr aber zu viel damit, dann nahm sie den Spaten und ging in den Garten oder tat eine andre schwere Arbeit. Kollmann knurrte dann allerlei von Gottlosigkeit und Sabbatschändung und ging vor Ärger in den Krug. Abends aber saßen sie wieder friedlich zusammen; sie strickte und er rauchte und erzählte ihr von Rußland und Frankreich und wo er sonst gewesen war.

Eines Sonntags machten die Kirchgänger in Krusenhagen aber große Augen; denn Hermine Beckmann kam daher, das Gesangbuch in den Händen und darauf das Taschentuch und den Rükebusch. Sie sah so aus wie sonst, bloß daß ihre Augen blanker waren und daß sie beinahe lächelte, wenn sie einem Bekannten zunickte. Der Pastor blieb fast in der Predigt stecken, als er sie auf ihrem Platze sah, doch als er sie nach der Kirche sprechen wollte, war sie schon fort. Die Neugierde ließ ihm aber keine Ruhe, und da er am folgenden Tage auf dem Gute eingeladen war, machte er den Umweg über Ohlenhof und sprach im Gemeindehause vor, traf die Frau aber nicht an; denn sie arbeitete auf dem Dieshofe. Er fragte Kollmann, was es für eine Bewandtnis damit hätte, daß sie sich wieder habe in der Kirche sehen lassen, doch der wußte nicht, daß sich etwas Besonderes begeben hatte, und meinte bloß, er hätte ihr so lange ihre Gottlosigkeit vorgestellt, bis sie sich seine Reden zu Herzen genommen habe. Doch das schien dem Geistlichen nicht wahrscheinlich zu sein.

Nach längerer Zeit traf er sie einmal zu Hause. »Na, Frau Beckmann,« fing er schließlich an, nachdem er erst allerhand von dem Wetter und anderen Dingen gesprochen hatte, »es freut mich sehr, daß Sie sich wieder mit unserm Herrgott ausgesöhnt haben. Lange genug hat es aber auch gedauert!« Die Frau sah erst vor sich hin, und dann sagte sie langsam: »Ausgesöhnt? Das ist nun nicht an dem, Herr Pastor; denn mir ist doch reichlich genug Unglück aufgehuckt! Und verdient hatte ich das gewiß nicht. Ich bin mein Lebtag ordentlich gewesen und habe mir keinmal was zuschulden kommen lassen; das kann ich dreist sagen. Und gottesfürchtig war ich auch, und so hatte ich die Prüfungen nicht nötig. Das sage ich heute noch, und ich bleibe dabei: eine Unbilligkeit war es, und dafür mich noch mit Gebet zu bedanken, das kann ich nicht.«

Sie sah den Pastor klar an und fuhr fort: »Bloß daß ich unterdes der Meinung geworden bin, daß das alles mehr ein Unglück denn eine Unbilligkeit oder gar eine Ungerechtigkeit war, indem daß ich meine: unser Herrgott hat die Welt gemacht und läßt sie im allgemeinen ihren Gang gehen, ohne daß er auf jeden einzelnen von uns achten tut. Na, und denn hat der eine, der es wahrhaftig nicht verdienen tut, Glück, und ein anderer hat Unglück über Unglück, ohne daß er weiß, wie er dazu kommen tut. Und wenn es damit ganz schlimm wird, dann sieht unser Herrgott das schließlich ein und macht das gut, soweit es geht. Na, das ist ja denn dankenswert, und daderum bin ich wieder in die Kirche gegangen, weil ich das für meine Anständigkeit halten tat.«

Der Pastor wollte etwas dagegen sagen, sie aber stand auf, schloß die Lade auf, nahm einen großen Briefumschlag mit vielen Marken heraus, zog einen Brief und mehrere Lichtbilder heraus, legte alles vor den Prediger hin und sagte: »Mein Fritz hat mir geschrieben, daß es ihm drüben in Amerika gut geht. Er hat eine Farm, auch allerlei Geld, eine tüchtige Frau, eine Deutsche aus der Hamburger Gegend, und sechs gesunde Kinder. Er hat mir die Bilder da geschickt, und ich soll zu ihm kommen. Aber das will ich nicht; ich bin da zu alt zu und glaube nicht, daß ich mich da noch schicken kann. Und was soll Kollmann auch wohl anfangen, wenn ich nicht da bin? Der wird sowieso schon immer stümpriger. Und ich bin schon froh, daß es meinem Fritz gut geht. So habe ich doch eine Freude nach dem vielen Unglück.«

Als der Geistliche dann von der Güte Gottes reden wollte, lächelte die Frau und schüttelte den Kopf: »Nee, Herr Pastor,« sagte sie, »von Güte finde ich da nichts bei. Mein Mann wird davon nicht wieder lebendig und die Kinder auch nicht, und den Hof kriege ich davon auch nicht wieder. Aber man sieht doch den guten Willen, und daderum will ich meinen Groll fahren lassen. Nichts für ungut, Herr Pastor, aber das ist meine Meinung von der Sache, und dabei bleibe ich.«

Als der Prediger nach Hause kam, sah er so ernst aus, daß seine Frau dachte, er habe einen großen Ärger gehabt. Aber er schüttelte den Kopf und sagte: »Ärger nicht, liebe Elfriede, aber einen herben Kummer und eine große Enttäuschung.« Er erzählte ihr, was Frau Beckmann gesagt hatte, und dann murmelte er: »Es ist so, wie ich es immer sage: man bläst gegen den Wind an. Von außen sind es Christenmenschen, aber innerlich bleiben sie Heiden.« Er seufzte und murmelte zuletzt: »Die Hauptsache ist, daß es im Grunde brave Menschen sind. Und daran wird Gott am meisten gelegen sein.«


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