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Schneidersjohann

Das malerischste Haus im ganzen Dorfe ist das des Schneiders Johann Timmann, das in dem Winkel liegt, den der Mühlbach mit dem Flusse bildet. Die Bauern finden nichts absonderlich Schönes an ihm und wundern sich, was Stadtleute, vorzüglich die Maler und Photographen, daran zu sehen haben.

Denn es ist nur ein kleines Fachwerkhaus nach alter Art, mit schwarzem Balkenwerk und rot gestrichenen Füllungen; sein Strohdach ist mit dicken, grünen Moospolstern bedeckt und zur Hälfte von dichtem, dunklem Efeu umflochten. Rechts und links von der Gartenpforte halten zwei hohe, spitze Wacholder Wacht, eine Kletterrose schlingt sich über die grüne Haustüre hin, mehrere Obstbäume stehen in dem kleinen Garten, und über den Schweinestall krümmt sich ein krauser Holderbusch hin. An allen Fenstern stehen Blumen, so daß man, obgleich die Straße höher ist als das Haus, nicht hineinsehen kann.

Wenn die Sonne auf dem kleinen Anwesen liegt, wenn die Tauben gurren und die Stare pfeifen, die Schwalben aus- und einfliegen, die roten und gelben Blumen hinter den altmodischen, kleinen, in Blei gefaßten Scheiben leuchten und der Efeu auf dem Dache wie lauteres Silber blitzt, dann bleiben die Städter, die hier vorbeikommen, stehen und freuen sich und denken, daß hier ganz besonders glückliche und zufriedene Menschen wohnen müssen, und sehen sie gar Schneidersjohann seine Tauben füttern oder an seinen Rosenstöcken herumputzen, dann sind sie überzeugt davon, daß er mit keinem Menschen auf der Welt tauschen möchte.

Wer die Menschen von außen beurteilt, der hält Timmann leicht für glücklich. Dieser schlanke, gutgewachsene Mann mit dem stillen, milden, bartlosen Gesicht sieht aus, als sei niemals ein Sturm über seine Seele gegangen. Seine Bewegungen sind ruhig und abgemessen, seine Stimme klingt gleichmütig und gelassen, und das Lächeln, das um seine schmalen Lippen geht, wenn er den jungen Katzen zusieht oder mit dem Stieglitz spricht, erinnert an den sanften Glanz, den die Abendsonne auf ein klares Wasser legt.

Er kann ja auch zufrieden sein. Das Haus ist schuldenfrei, Arbeit hat er mehr, als er gebrauchen kann, und seitdem er fünftausend Taler bar erbte, kann er getrost in die Zeit hineinsehen, die seinen Rücken müde, seine Augen matt und seine Finger langsam und unbeholfen machen wird. Und einen Feind hat er nicht, weder im Dorfe noch sonstwo auf der Welt. Aber dennoch sieht der Mann in Wirklichkeit nicht so recht froh aus; die Falten, die von seiner Nase zu den Mundwinkeln laufen, sind reichlich tief und um seine Augen liegt, wenn er gedankenlos über die Arbeit hinwegsieht, ein eigener Zug, als hätte er vor irgend etwas Furcht oder nach irgend etwas Sehnsucht. Wenn der Spitz oder die Katze reden könnten, dann würden sie von Stunden erzählen können, in denen der Meister mit dunkler Stirn vor sich hinstarrt und tief aufseufzt, wie ein Mann, der eine böse Erinnerung nicht los werden kann.

So ist es auch. Dieser Mann mit dem stillen, milden Gesicht und dem leichten, sanften Lächeln hat tief im Herzen eine Erinnerung, die ihn quält, wo er geht und steht, die ihm bei der Arbeit gegenübersitzt und ihn mit grauem Gesichte anstiert, die sich neben ihn stellt und ihn am Ärmel zupft, wenn er sich über seine Blumen freut, die sich hinter ihm mahnend räuspert, hört er nach dem Liede der Amsel hin, die ihm nachschleicht, wenn er abends durch die Wiesen geht, um sich an den roten Rehen zu freuen; sie starrt ihn aus der dunklen Stallecke an, beugt er sich zu seinen Schweinen hinab, winkt aus dem Bache hervor, wenn er Wasser holt, sitzt nachts vor seinem Bette und kniet gegen Morgen auf seiner Brust, und sogar in der Kirche bleibt sie bei ihm und grinst ihm die Andacht fort. Wenn er auch denkt: »Nicht ich habe die Schuld, sondern er,« und wenn er auch sagt: »Er hat mich mit boshaftigen Worten so weit gebracht,« und beteuert er auch: »Ich habe es fünfundzwanzig Jahre lang bereut und seit jenem Tage noch keine frohe Stunde gehabt,« und schreit es in ihm: »Meine Lippen sind welk von zurückgedrängten Seufzern und meine Augen müde von unvergessenen Tränen,« das böse Gedenken antwortet ihm: »Rede nicht; denn du hast die Schuld, du allein. Seine Worte waren boshaftig, aber deine Tat ist ein Verbrechen. Reue weckt keine Toten wieder auf, und mit Tränen wird kein Blut abgewaschen. Du sollst daran tragen, bis deine Augen brechen, und wenn deine Seele sich von ihrem Leibe trennt, dann werde ich bei ihr bleiben und sie nicht verlassen und sie an den dritten Juli erinnern bis in aller Ewigkeiten Ewigkeit.«

In der alten Erbbibel des Schneiders sind alle Blätter gelb, aber eines ist gelber als die andern alle, so oft hat der Mann diese Seite gelesen, so oft ist darüber sein Atem gestrichen, so oft fielen seine Tränen darauf in fünf Jahren des Jammers. Seitdem hat er diese Seite in dem Buche nicht mehr gelesen, zwanzig Jahre lang, aber im Geiste liest er sie jeden Tag; denn die Worte stehen fest in seinem Gedächtnisse, und die Buchstaben gehen vor seinen Augen her schwarz und schrecklich. Er sieht sie vor sich, wenn er gegen den Himmel blickt, wo die Schwalben spielen, schwarz auf hellblauem Grunde, und wenn abends die Krähen vorüberfliegen, dann werden es ihm Buchstaben, und er liest von dem rosenroten Himmel die Worte ab: »Kain, wo ist dein Bruder Abel?«

Aber das ist falsch; denn in Wirklichkeit müßte dort am Himmel zu lesen sein: »Abel, wo ist dein Bruder Kain?« Denn er war stets wie Abel gewesen, milden Herzens und sanft von Seele, und jegliche Sünde lag ihm fern. Wo die andern lachten, da lächelte er, und wenn sie tranken, dann hatte er genippt. Aber ein ducknackischer Spielverderber war er nie gewesen, nur feiner und vornehmer als die andern Jungkerle, und er hatte Maß zu halten gewußt in Speise und Trank und Vergnügen, ohne sich darum besser zu dünken als die anderen; denn er wußte nicht, was Stolz und Hochmut war. So still und gelassen er war, so hatte er doch Mut und Entschlossenheit genug; er fiel den durchgehenden Pferden ohne Besinnung in die Zügel und hatte ein Kind aus einem brennenden Hause geholt. Auf seiner rechten Schulter ist heute noch die Stelle rot, die ihm der brennende Balken versengte.

Sein Bruder Friedrich war anders. Mit dem Munde war der immer vorne weg, und wo es hoch herging, mußte er dabei sein. Bei keiner Arbeit hielt er recht aus, aber wenn Schnapsgläser und Bierflaschen auf dem Tische waren, dann stand er seinen Mann. In der Schule hatte er nie die Aufgaben behalten können, aber für alle Schelmenlieder hatte er einen anschlägigen Kopf, und es gab keinen schmutzigen Witz, den er nicht kannte. Schon auf der Schule war er hinter den Mädchen her, und als er in die Lehre kam, da wurde es damit noch schlimmer. Sein erster Meister warf ihn aus diesem Grunde hinaus, und von dem zweiten holte ihn der Vater fort, weil der Junge von dem alten Meister das Trinken und von der jungen Meisterin nichts Besseres lernte. Beim dritten Meister lief er fort und trat bei einem Fischer ein, von dem die Rede war, er fische bei Tage im Wasser und abends im Trüben.

Als Soldat hielt er sich gut; denn er war der beste Schütze in der Kompanie und verstand es, sich gut herauszulügen. Kapitulieren wollte er aber nicht, und so erschien er eines Tages wieder zu Hause. Der alte Timmann war inzwischen gestorben. Friedrich ließ sich seine kleine Erbschaft auszahlen und verschwand auf zwei Jahre. Dann kam er wieder, fein im Zeuge, wie ein Herr aus der Stadt, lungerte im Dorfe umher, verführte die Knechte zum Kartjen und Trinken, machte die Spinnstube zum Tingeltangel und den Krug zur Saufbude. Ab und zu verschwand er auf einige Tage oder Wochen, um nach seinem Kompagnon zu sehen, wie er sagte, und wenn er wiederkam, hatte er meist Geld und trieb es toller als je, so daß die ernsten Leute schon die Köpfe zusammensteckten und berieten, wie man den Unband loswerden könne.

Um diese Zeit war es, daß Johann Timmann, der Schneider, sich mit Heiratsgedanken trug. Er hatte als ganz junger Mann einen Tanzschatz gehabt, aber zum Freien war es nicht gekommen, weil der Vater des Mädchens einen Bauern und keinen Handwerker zum Eidam haben wollte. Jetzt diente aber auf dem Dieshofe ein Mädchen als Große Magd, deren Vater Handwerker war. Sie war ansehnlich von Wuchs, freundlich von Gesicht, fröhlich von Wesen, und die Arbeit ging ihr gut von der Hand. Johann, der dem alten Diesbur, der damals Vorsteher war, bei den Schreibarbeiten viel zur Hand ging, hatte das Gefühl, daß das Mädchen, Lina Köper hieß sie, ihn gern leiden möge, machte sich an die heran und bekam von dem Bauern heraus, daß sie ihn nehmen würde.

Da tauchte Friedrich wieder im Dorfe auf, und seitdem war Line anders in ihrem Benehmen. Auf dem Dieshofe war Friedrich nicht gern gesehen und ihm selbst gefiel es dort auch nicht; denn der Bauer hatte eine sonderbare Art, an ihm herunterzusehen, und wenn Friedrich im Kruge von seinen Agenturgeschäften prahlte und der Diesbur trat ein, dann wollte ihm das Wort nicht mehr so recht aus dem Munde. Bei den Mädchen hatte Friedrich aber Oberwasser; denn er war ein bildschöner Kerl mit krausem, gelbem Haar und lustigen Augen und trug einen Schnurrbart, wie ein Leutnant, und er hatte eine Art, nicht lange zu fragen und gleich auf das Ganze zu gehen, die mancheiner gefiel.

Das kam Johann mit der Zeit auch zu Ohren und betrübte ihn sehr; denn da merkte er erst, daß er das Mädchen von Herzen lieb hatte. Er machte einigemale den Versuch, sie allein zu sprechen, aber sie wich ihm immer aus, und so zog er sich zurück. Als dann Friedrich wieder auf Reisen ging mit seinen beiden kleinen Musterkoffern, die er immer verschlossen hielt und in die er niemand hineinsehen ließ, machte Line ihrem alten Liebhaber wieder freundlichere Augen, und obgleich Johann ein unbestimmtes Mißtrauen nicht loswerden konnte, so zog es ihn doch so sehr zu dem Mädchen, daß er seinen Verdacht beiseite jagte, wieder mit Line öfter zusammentraf und sie schließlich fragte, ob sie ihn heiraten wolle. Sie schlug eiliger ein, als er erwartet hatte; denn ein so hübsches, ansehnliches und tüchtiges Mädchen, das eine gute Aussteuer und etwas Bargeld hatte, kam nicht in Verlegenheit um einen Mann. Um so mehr freute es Johann, daß das Mädchen ihm in jeder Weise entgegenkam und auf eine baldige Heirat drang, was ihm recht war, da seine Schwester zum Herbst auch heiraten wollte und er dann allein im Hause gewesen wäre.

Er arbeitete nun noch einmal so fleißig, und wenn er nicht auf dem Schneidertische saß, dann richtete er das Haus neu her, frischte die Möbel auf, weißte die Wände, machte Garten und Hof zurecht und besserte den Zaun aus, daß es eine Freude war, das kleine Anwesen zu sehen und der Diesbur ihm eines Tages sagte: »Es ist ein Jammer, daß du ein Schneider bist; so ein Mann, wie du, das hätte einen Hauptbauern gegeben, sag ich. Aber lasse dich meine Worte nicht gereuen; was der Mensch ist, das ist gleich, wenn er seine Sache imstande hält.« Und der Bauer, der sonst eine knappe Hand hatte und bar gegen bar zu rechnen pflegte, schenkte ihm je einen Stamm Hühner und Enten und das ganze Bauholz für den neuen Stall und entschuldige sich dafür bei Johann, indem er sagte; »Die Schreiberei, die du für mich machst, kann ich doch nicht mit Geld bezahlen, und dann wächst mir das alles zu, und du müßtest es bar bezahlen, sage ich.«

Eines Tages war auch Friedrich wieder da. Er sah nicht so gut aus wie sonst, weder im Gesichte noch im Zeuge, und es schien, als ob er wenig Geld habe; denn er war selten im Kruge zu sehen, obgleich er jeden Nachmittag verschwand. Auffallend war es Johann, daß Line ihm seitdem verändert vorkam; ihr Gesicht war blaß und ihre Züge waren gröber geworden und in ihren Augen lag es wie Angst. Johann machte sich allerlei Gedanken darüber, um so mehr, als er einmal Line und seinen Bruder unter den Eichen des Diesburhofes zusammenstehen sah. Aber schließlich durfte er darin nichts finden, daß Friedrich mit seiner zukünftigen Brudersfrau sprach. Sehr störend war es ihm aber, daß sein Bruder ihn fortwährend um Geld anging, trotzdem er ihm noch dreißig Taler schuldig war; denn für die Hochzeit brauchte er bares Geld. Überhaupt wurde ihm sein Bruder von Tag zu Tag unbequemer und unheimlicher. Er war in der Stadt mehrfach mit verdächtigen Leuten gesehen, und wenn er nach seinen sonderbaren Reisen nach Hause kam, dann war er meist angetrunken und beleidigte Johann auf alle Art, so daß diesem schon seit Wochen die Wut am Herzen fraß. Am dritten Juli nachts um zwei Uhr kam Friedrich wieder betrunken heim und stolperte in seine Kammer. Als Johann am andern Morgen das Geld für einen abgelieferten Anzug in die Schieblade legen wollte, sah er, daß die vier Taler, die er noch haben mußte, verschwunden waren. Das Blut stand ihm still und die Knie wurden ihm schwach; denn den Schlüssel hatte er in seiner Tasche und einen ähnlichen gab es so bald nicht. Friedrich mußte das Schloß mit einem Nachschlüssel geöffnet haben. Johann setzte sich und dacht nach: die sonderbaren Reisen, die sein Bruder machte, das viele Geld, das er manchmal hatte, die beiden kleinen schweren Koffer, in die er niemand hineinsehen ließ, und daß er als Schlosser gelernt hatte, und der Verkehr mit dem alten Mosinski in der Stadt, der wegen Hehlerei schon Zuchthaus gehabt hatte, alles das fiel dem Schneider nun ein, und er beschloß, seinem Bruder das Haus zu weisen, so schwer es ihm auch wurde, hart gegen sein eigenes Blut zu sein.

In trauriger Stimmung holte er sich den Hammer und eine Tasche Nägel aus dem Schranke und schlug auf dem Vorplatze ein Wandbörd an. Kaum hatte er einen Schlag getan, da stürzte Friedrich aus seiner Kammer, feuerrot im Gesicht, mit wirrem Haare und wütenden Augen: »Nicht einmal ausschlafen kann man,« fuhr er seinen Bruder an. Da riß diesem die Geduld, und alles das, was er seit Jahren und besonders in den letzten Wochen auf dem Herzen getragen hatte, entlud er nun, und zum Schlusse rief er ihm zu: »Am liebsten ist es mir, du gehst gleich; denn ich habe keine Lust, mich vor der Hochzeit deinetwegen krank zu ärgern. Und mein Geld will ich jetzt auch haben. Und wo sind die vier Taler, die du mir gestern gestohlen hast?«

Friedrich stand vor ihm, pfiff ein Schelmenlied und lachte seinem Bruder frech in das Gesicht. Und als der tiefatmend und mit kreideweißem Gesicht seine Rede schloß, da lachte der andere laut auf und sagte: »Ja, es ist auch wohl besser, daß ich gehe; denn ich will keinem im Wege sein. Aber beeile dich nur mit der Hochzeit, sonst kannst du am Ende meinen Jungen eher taufen lassen, als bis der Pastor euch zusammengegeben hat.«

Das sind nun fünfundzwanzig Jahre her, aber noch heute weiß der Schneider, wie es dann kam. Mit einem Schlage war ihm alles klar, Lines seltsames Wesen, ihre Schwerfälligkeit, ihr Drängen auf baldige Hochzeit, ihre unsicheren Augen, und da vor ihm stand der Lump, sein eigener Bruder, und lachte ihm mitten in das Gesicht hinein und pfiff das freche Schelmenlied. Und dann lag Friedrich auf einmal auf der Erde, und die Schwester kam herein, wollte aufschreien, besann sich aber, und dann saß er im Großvaterstuhl am Ofen, und vor ihm stand der Diesbur und sprach:

»Red' dir doch nicht selbst was vor! Daß das mit dem kein anderes Ende nahm bei seinem Saufen, das konnte ein jeder sehen. Ruhig, Schneider, und rede nicht! Es ist ein Schlagfluß und weiter nichts. An dem Hammer war kein Tropfen Blut, und wenn schon, dann wäre es auch kein Unglück, und unser Herrgott würde es dir vergeben. Aber davon ist ja gar keine Rede. Wenn einer immer liederlich lebt und acht Tage vor lauter Schnaps nicht regelrecht ißt, dann wird er mürbe und kann beim Niesen tot hinfallen. Laß das Weinen, Johann, das ist der Mensch nicht wert. Und jetzt komm' mit.«

Er hatte ihn unter den Arm genommen und nach dem Diesburhofe gebracht, hatte ihn bis zur Beerdigung nicht aus den Fingern gelassen, sogar schlafen mußte Johann auf dem Hofe, und alle Gänge wegen der Beerdigung hatte der Großknecht machen müssen. Jeden Tag war der Bauer bei dem Schneider und redete ihm solange vor, daß, und das habe er mit eigenen Augen gesehen, Friedrich eher umgefallen sei, ehe Johann den Hammer gehoben habe, bis dieser es beinahe selber glaubte. Und als er von seiner Schwester hörte, daß Line Köper, als sie Friedrichs Tod vernommen habe, ohnmächtig geworden und am Tage darauf nach Hause gefahren sei und jetzt mit einem Kinde liege, da redete der Schneider sich ein, daß seine Tat kein Verbrechen gewesen sei, sondern ein Unglück, und in dem Gedanken wurde er bestärkt, als er Friedrichs Koffer öffnete und darin lauter blitzblankes Einbrecherwerkzeug, Formwachs und Pechlappen fand.

Im Dorfe wurde über den plötzlichen Tod Friedrichs zuerst wohl etwas gemunkelt, aber da der Diesbur erklärte, es läge Schlag vor, und da er nach wie vor gut Freund zu dem Schneider war, so verstummte das Gerede bald. Nach einem Jahr starb Johanns Schwester, ein Jahr darauf warf den Vorsteher der Schlag um. Jetzt konnte der Schneider aufatmen; denn nun gab es keinen Zeugen seiner Tat mehr. Aber davor hatte er nie Angst gehabt, er hatte nur immer sich selbst gefürchtet, hatte immer, wo er ging und stand, die Stimme seines Innern gehört.

Dieser Stimme wegen blieb er ledig. Was sollte eine Frau von einem Manne denken, der nachts aus dem Schlafe fuhr mit klopfendem Herzen und nasser Stirne, weil er wieder einmal die Stimme hatte rufen hören: »Kain, Kain, wo ist dein Bruder Abel?«


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