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Rosenwillem

Da, wo am Ende des Dorfes der Fußweg nach Howe abgeht, steht ein kleines, ordentlich gehaltenes Haus mit einem hübschen Blumengarten davor und einer großmächtigen Pappel daneben.

Es gehört dem Arbeiter Wilhelm Nottbohm, genannt Rose, zu, oder vielmehr, es gehörte ihm; denn vor einiger Zeit haben sie ihn den Notweg nach Krusenhagen hingefahren, weil er Schluß mit seinem Leben gemacht hatte.

Es war eine schöne Beerdigung gewesen, obwohl Rosenwillem nicht zu den großen Leuten im Dorfe gehörte, und der hätte gewiß allen den Groll und die Bitterkeit, die ihn auf den Schragen brachten, beihalbe gelegt und beifällig gegrient, hätte er den Leichenzug sehen können. Es war, als ob einem großen Bauern die letzte Ehre angetan würde; alles, was ichtens Zeit hatte, war gefolgt.

Denn wenn er auch nur ein kleiner Mann war, so hatte er doch seine Bedeutung in Ohlenhof. Nicht allein deswegen, weil er eine Amtsperson war; denn darauf gibt man hier wenig, sondern weil er für dreie arbeiten konnte. Arbeit war sein Leben, ganz gleich, welcher Art sie auch war. Er half den Bauern aus, war Hausschlachter und Fleischbeschauer, tat Botengänge und übernahm Lohnfuhren, war Obertreiber bei den Jagden, backte Torf, imkerte, machte Wiesen, hackte Plaggen, spielte Maurer und Zimmerer, hielt sein eigenes Land und das zugepachtete in Ordnung, und war dann noch Gemeindediener und Nachtwächter.

Er hatte einen Fehler: er trank ab und zu mehr, als nötig war. Denn er hatte einen Kummer in sich. Schon als kleiner Junge hatte er am liebsten Soldat gespielt, und als er angemustert wurde, war er der einzige, der nüchtern in das Dorf zurückkam; denn er hatte sich so gefreut, daß er nicht mit den anderen Stellungspflichtigen von Wirtschaft zu Wirtschaft zog und trank und kriejöhlte, sondern er war so schnell wie möglich nach Ohlenhof gegangen.

Er war ein Soldat, wie er im Buche steht. Nicht ein einziges Mal kam er nur eine Sekunde zu spät zum Dienst, und nicht einmal bekam er einen Rüffel, selbst von seinem Wachtmeister nicht, einem von der Art, der da glaubte, ohne schnauzen ginge es nun einmal nicht. Es gefiel ihm beim Militär so gut, daß er zu kapitulieren beschloß, als seine Mutter, eine Witwe, plötzlich starb, und er nun für niemand zu sorgen hatte. Da schlug ihm ein Gaul das rechte Fußgelenk entzwei, und obgleich er nach vier Wochen wieder beinig war, so behielt er doch eine gewisse Schwäche zurück und wurde mit einer kleinen Pension entlassen.

Er grämte sich so, daß er sich an dem Tage zum ersten Male in seinem Leben um Kopf und Beine trank. Aber dann suchte er sich in Ohlenhof Arbeit, und da er fleißig war und gut voran kam, so heiratete er nach zwei Jahren ein rechtschaffenes und ordentliches Mädchen, das etwas Geld auf der Sparkasse hatte. Wenn die Kinder anfangs auch schnell aufeinander kamen, Rosenwillem und seine Frau kamen gut voran, wenn Rose auch dann und wann einmal trank. Allzu oft begab sich das auch nicht, und niemals bei Hochzeiten oder anderen Festlichkeiten, selbst dann nicht, wenn der Kriegerverein, dessen tätigstes Mitglied Rose war, seine Begründung feierte.

Gewöhnlich begegnete Rose das, wenn er sich mit der Arbeit übernommen hatte. Er sprach dann ein paar Tage nichts, hatte einen engen Mund und sah an den Leuten vorbei, und auf einmal saß er im Kruge, trank sich voll, ohne viele Worte zu machen oder einen Unfug anzustellen, ging dann ruhig nach Hause, schlief sich gehörig aus, und arbeitete dann wieder, daß es rauchte. Seine Minna war eine vernünftige Frau, und sagte ihm deswegen kein böses Wort, sondern kochte, was er am liebsten mochte, und ließ ihm zwei Flaschen Bier holen. Als die Pastorin in Krusenhagen, bei der sie viele Jahre in Dienst gewesen war, ihr einmal zuredete, sie solle ihrem Manne das Trinken abgewöhnen, meinte sie: »Och, Frau Pastern, die vier-, fünfmal im Jahre, daß ihm das zustößt, darüber mag ich ihm kein Wort sagen. Dafür arbeitet er ja auch mehr als andere, und wie soll er sonst seinen alten Kummer, daß er nicht beim Militär bleiben konnte, loswerden. Und er ist ja auch ganz sinnig und ordentlich, wenn er auch noch so duhne ist.«

Je älter er aber wurde, um so öfter kam er an das Trinken, besonders, seitdem er einmal schwer an Lungen- und Rippenfellentzündung gelegen hatte. Es dauerte dann nicht zehn und zwölf Stunden, bis er wieder arbeiten konnte, sondern einen vollen Tag, wenn nicht zwei, und das vertrug sich auf die Dauer mit seinem Amte als Gemeindediener und Nachtwächter nicht. Der Diesbauer, der ihn sonst gut leiden mochte, hatte ihm das einmal in seiner ruhigen Weise gesagt, und Rose nahm sich daraufhin eine ganze Zeit zusammen. Schließlich kippte er aber doch einmal wieder um und vergaß Tuten und Blasen, und das gerade in einer Nacht vor Weihnachten, in der an drei Stellen im Dorfe eingebrochen wurde.

Nun ließ man es ihn aber doch merken, daß man einen solchen Nachtwächter nicht gebrauchen könne. Er wurde vor das Bauernmal geladen, und es wurde ihm gesagt, wenn er seinen Dienst nicht rechtschaffen täte, so könne er seine Ämter nicht länger behalten. Ein volles halbes Jahr hielt er sich aufrecht. Dann bekam er es wieder mit dem Trinken, und unglücklicherweise just in der Nacht, als in dem Häuslingshause auf Hengstmannshofe Feuer auskam. Zwei Drittel der Gemeindeversammlung war dafür, daß ihm gekündigt werden sollte; aber da der Vorsteher für ihn sprach, so verblieb es bei einer zweiten Verwarnung. »Das ist aber das letztemal, Willem,« sagte der Diesbur, »beim dritten Male ist Schluß!«

Fast ein Jahr ging seitdem dahin. Da übernahm Rose sich bei der Dreschmaschine, bekam einen Ohnmachtsanfall, hatte drei Tage lang eine krause Stirn, trank sich, als er in Howe zu tun hatte, bis oben hin voll und verschlief zwei Nächte. In der zweiten Nacht brannte das Beckmannsche Haus ab, ohne daß der Nachtwächter Feuer geblasen hatte. Am nächsten Abend trat das Bauernmal zusammen und beschloß einmütig, ihm aufzusagen.

Als ihm das mitgeteilt wurde, wurde er so weiß wie eine Wand, sagte aber kein Wort, sondern legte sich zu Bett, verweigerte Speise und Trank, und war am dritten Tage eine Leiche. Er hatte sich totgeärgert.


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