Hermann Löns
Tiergeschichten
Hermann Löns

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Des Rätsels Lösung

Waldmann ist unter die Philosophen gegangen. Etwas Rätselhaftes ist in sein Leben getreten, etwas Mystisches, Unbegreifliches, Transzendentales.

Was mag das wohl sein, wovon morgens immer der Hof des Forsthauses eine so sonderbare Witterung hat? Die Katze ist es nicht, eine Ratte auch nicht? Also: »Was ist es?«

Es gibt mehr Dinge zwischen dem Hundehause und der Belaufsgrenze, als eine Hundenase verstehen kann. Das ist das Ergebnis der philosophischen Betrachtungen Waldmanns, ein Ergebnis, das ihm seine ganze Gemütsruhe genommen hat. Es ist ein Tier, aber ein unbekanntes Tier, das eine ganz andere Witterung hat als Fuchs und Dachs und Has' und Reh und Hirsch und Sau, und auch eine andere als Igel und Wühlratte und Wiesel und Eichkatze.

Es kommt nachts aus dem Schweinestalle und geht in den Torfschuppen. Manchmal bleibt es drei Tage aus, aber am vierten ist es wieder dagewesen. Einmal war es eine volle Woche fort, und Waldmann dachte kaum mehr daran. Dann auf einmal roch wieder der Wechsel zwischen Schweinestall und Torfhaus so stark danach, daß Waldmann wie toll hin und her lief und winselte und kratzte und kläffte, bis der Hegemeister fragte, ob er nicht ganz klug sei.

Wenn Waldmännchen mit seinem Herrn im Revier war, vergaß er die unerklärliche Witterung, draußen gab es immer so schrecklich viel zu schnüffeln und ab und zu auch etwas zu zausen; heute einen Fuchs, der die Kugel zu kurz bekommen hatte, und dann ein geltes Tier, das Waldmann arbeiten mußte, weil Hirschmann, der sich den Vorderlauf vertreten hatte, zu Hause geblieben war. Das war ein großes Vergnügen, am Riemen auf der Rotfährte nachzuhängen, und ein noch größeres, das Stück zu Stande zu hetzen, und das größte, es an der Drossel zu schütteln, als es im Fangschuß zusammenbrach. Bei solcher hohen Arbeit vergaß Waldmann das unheimliche Wesen, das Nacht für Nacht auf dem Hofe umging.

Sobald er aber in die Nähe des Hauses kam, schoß ihm der Gedanke daran in den Sinn. Und wenn er noch so hungrig war und die Frau Hegemeisterin ihn auch noch so gut fütterte, so fuhr er doch zuerst auf den Schweinestall los, steckte seine Nase zwischen die Planken, kratzte und winselte, schnüffelte sich dann bis zum Torfschuppen hin, benahm sich da ebenso wie beim Schweinestalle und schlich schließlich mit nachdenklich gerunzelter Stirn und hängender Rute in das Haus, und der Hegemeister lachte und meinte: »Unser Waldmann hat den Rattenkoller. Wir wollen Fallen aufstellen!« Und am anderen Morgen schlug sich Waldmann in der Waschküche zwei dicke Ratten um die Behänge, und dann schoß er wieder auf den Schweinestall los und fing an zu schnüffeln.

Eines Abends, als er auf der Sauschwarte vor dem Sessel saß, fuhr er wie wahnsinnig zur Türe, riß beinahe das Mädchen um, das mit dem Nachtmahl hereinkam, rannte in den Hof und kläffte und winselte an dem Torfschuppen herum, bis der Knecht mit der Laterne kam und ihn in den Schuppen einließ. Da schoß Waldmann nun hin und her, sprang an den Wänden hoch, kletterte über die Törfe, schnaufte in alle Ecken hinein, bis er von dem Torfmull einen Husten bekam, und zog schließlich, von dem Hegemeister weidlich ausgelacht, vergrämt wieder ab. Mürrisch lag er während des Abendessens auf seiner Sauschwarte, und selbst der Todesschrei der Wurst, wie der Hegemeister es nannte, wenn er der Mettwurst die Haut abriß, lockte ihn nicht an den Tisch.

»Lacht mich nur aus«, dachte er, »wer zuletzt lacht, lacht am besten! Ich habe es deutlich vernommen, daß da etwas auf dem Hofe war, und es war nicht Müschen, die Katze, und eine Ratte war es auch nicht, und es war etwas, das ich nicht kenne, das ich noch nicht gewürgt habe. Wer weiß, ob es nicht ein ganz gefährliches Tier ist, ein Tier, das die Schweine fressen will oder den Torf. Ich muß aufpassen, daß es kein Unglück gibt. Herrchen ist ja der klügste Mensch, den ich kenne, aber gegen uns ist er doch ziemlich dumm, und seine Nase ist auch nicht besser als die anderer Menschen, sonst würde er es nicht aushalten, das Zeug zu rauchen, das ich für den Tod nicht ausstehen kann, und Apfelsinen zu essen und Bier zu trinken, Dinge, die jeder feinen Nase entsetzlich sind!«

Als der Hegemeister in das Bett wollte, sah er, daß Waldmann noch einmal nach dem Wetter sehen wollte, und er ließ ihn hinaus. Wieder ging das Hin- und Hergerenne und das Gewinsel los; und als sich der Hegemeister zu dem Hunde hinunterbückte, um zu sehen, was er an dem Torfschuppen zu kratzen habe, da sprang Waldmann an ihm empor, pfiff in den höchsten Tönen und stellte sich an, als hinge das Wohl und Wehe des ganzen Hauses davon ab, daß die Sache ihre Aufklärung erführe. Und der Hegemeister ließ ihn in den Schuppen und half ihm oben auf die Törfe; da lief Waldmann hin und her und machte einen Lärm wie eine ganze Meute, bis schließlich ein halbes Hundert Törfe ins Rutschen kam und mit dem Hunde dem Hegemeister um die Beine polterte. Und da hieß es denn wieder: »Nun komm, Waldmann, und rege dich nicht um die albernen Ratten auf!« Als aber mitten in der Nacht Waldmann mit fürchterlichem Gekläffe aus seinem Korbe schoß, vom Boden auf den Korbsessel und von da gegen das Fenster sprang, da wurde es seinem Herrn denn doch etwas zu bunt. Waldmann bekam einen Pantoffel an den Hals und wurde in einer Weise angeschnarcht, die ihm durchaus nicht paßte.

Deshalb muckte er denn auch den ganzen folgenden Tag; er ließ seine Milch stehen, ging seinem Herrn aus dem Wege und verkniff sich das Pfeifen und Wedeln, als er mit in den Wald durfte. Um ihn wieder zu versöhnen, schoß ihm sein Herr eine Eichkatze; aber anstatt sie mit großem Getöse abzuschütteln und mit Stumpf und Stiel zu verspeisen, wie er es sonst tat, beroch er sie kaum und ließ sie liegen, und der Hegemeister schüttelte den Kopf, lachte und sagte nachher zu Hause: »Der Hund trägt es mir jetzt noch nach, daß ich ihm heute nacht den Pantoffel an den Kopf warf.« Aber das hatte Waldmann nicht so übelgenommen wie das Anschnauzen, und vor allem hatte ihn der Ausdruck »Kartoffelkopp« tief gekränkt. So wedelte er beim Abendbrot noch nicht einmal, als ihm eine Fetthaut von der Leberwurst hingeworfen wurde, und es dauerte fast fünf Minuten, ehe er geruhte, sie zu verspeisen.

Er war auch mehr traurig als wütend. Ist es denn möglich, daß die Menschen essen und trinken und lachen können, während es draußen umgeht? Wer weiß, ob nicht schon heute nacht das schreckliche Wesen sich in das Haus schleicht und irgendein Unheil anrichtet! Und deshalb schlüpfte Waldmann, als das Mädchen abdeckte, zur Türe hinaus und war und blieb verschwunden, ob auch der Hegemeister pfiff und pfiff. Die ganze Nacht blieb er draußen, bald auf der Schwelle lauernd, bald am Schweinestalle oder am Torfschuppen schnüffelnd, aber er fand nichts, und als die Magd in aller Frühe in den Stall ging, schlich Waldmann sich beschämt in das Haus, kroch unter den Herd und ließ sich erst wieder blicken, als es etwas zu fressen gab. Der Hegemeister war dann noch so taktlos, ihn zu fragen, ob er im Dorfe ein Stelldichein gehabt habe, eine Äußerung, die nicht geeignet war, Waldmann in bessere Stimmung zu versetzen.

Eines Tages aber wurde er glänzend gerechtfertigt. Der Knecht kam herein und sagte: »Wir haben nämlich die erste Neue, Herr Hegemeister, und ich glaube, der Waldmann, der war nämlich klüger als wir alle zusammen. Vom Schweinestall bis zum Torfschuppen spürt sich nämlich ein Iltis hin und her. Und nun weiß ich nämlich auch, warum das morgens auf dem Hofe immer so mulsterig roch, und ich glaube nämlich, wir tun dem Hunde den Gefallen und machen ordentlich Blechmusik, indem das nämlich der Iltis für den Tod nicht vertragen kann. Bei dem vorigen Hegemeister wurde das nämlich auch immer so gemacht. Der stellte sich nämlich mit der Flinte an, und wir ließen die Hunde in die Ställe und machten mit Kasserollen und Sensen Lärm, und dann sprang er, nämlich der Iltis, und entweder wurde er geschossen oder die Hunde kriegten ihn zu fassen.«

Der Hegemeister lachte und sagte: »Dann wollen wir das nämlich so machen.« Und so ging die Geschichte los. Der Knecht und die Line und sogar die Frau Hegemeisterin nahmen Topfdeckel und zogen in den Schweinestall, der Hegemeister machte scharf und stellte sich auf dem Hofe an, und Waldmann wurde in den Stall geschickt. Aber als der Lärm losging, machte er, daß er fortkam und schlüpfte in den Torfschuppen und winselte solange herum, bis der Knecht ihn hineinließ. Da stellte sich Waldmann ganz wild an, so wild, wie er wurde, wenn er eine kranke Sau verbellte, und er scharrte und kratzte an dem Torfe herum, daß der Hegemeister sagte: »Johann, schmeiß einmal die Törfe auseinander«

Das tat Johann auch, und Line mußte derweilen weiter mit den Topfdeckeln klappern. Auf einmal schrie sie auf, ließ die Deckel fallen, hielt sich die Röcke zusammen, rannte dem Hegemeister vor den Leib, daß dem die Pfeife aus dem Munde fiel, und ehe der Knecht und er eigentlich wußten, was los sei, fuhr etwas Schwarzes zur Tür hinaus, und hinterher sauste Waldmann. Und da hörten sie auch, wie die Frau Hegemeisterin schrie: »Bravo, Waldmann, bravo! Er hat ihn, er hat ihn! Hu, faß den Stinker, so recht, so schön, Waldmann!« Als der Hegemeister und der Knecht und Line auf den Hof kamen, war der Fall schon erledigt. Waldmann stieß den Iltis, der nur noch ein ganz wenig zuckte, hin und her, schlug ihn sich noch einmal um die Behänge, trug ihn dann ins Haus und legte ihn auf seine Sauschwarte, wo er ihn von neuem beroch, bis der Hegemeister den Iltis aufnahm und dann den Hund abliebelte.

»Bravo, Waldmann!« Na, das ging Waldmann ja ganz glatt hinunter, aber er dachte doch bei sich: »Ihr hättet mir viel Arger und Kummer ersparen können, wenn ihr eher auf den Gedanken gekommen wäret, daß ich immer recht habe, wenn ich mich aufrege. Aber euch fehlt eben die Nase, und so kann man euch schließlich nichts übelnehmen.«


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