Hermann Löns
Tiergeschichten
Hermann Löns

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Mein Dachs und meine Dackel

Im April wurde in meiner Wohnung von unbekannter Seite eine Kiste abgegeben, die einen kleinen Dachs enthielt. In seinem Begleitschreiben teilte der unbekannte Absender mit, der Dachs sei für meine Hunde bestimmt.

Daraus wurde nun selbstverständlich nichts. Erstens einmal des Jagdgesetzes wegen, zweitens, weil es eine Schinderei gewesen wäre, die Hunde an dem wehrlosen Tierchen zu arbeiten, und drittens war es auch viel zu niedlich dazu. Meine drei Hunde, nämlich Bob, ein kleiner, weißer, scharfer Terrierbastard, ferner Patzel, ein schwarzer, rotgezeichneter, stichelhaariger Teckel, Inhaber erster Preise, und sein elf Monate alter, roter, glatter Bruder Battermann, waren allerdings anderer Ansicht. Jaulend, winselnd, bellend und pfeifend tanzten sie um mich herum und baten: »Laß uns doch den Stinker, wir möchten ihn bloß ein ganz klein bißchen langziehen!« Da das Dächschen nicht fressen und saufen wollte, so wurde ein Gummisauger geholt, eine Bierflasche mit lauwarmer Milch gefüllt, und nachdem er einige Male durch gellendes Keckern sein Mißbehagen über den ungewohnten Gummigeruch ausgedrückt hatte, lutschte er kräftig und anhaltend, während auf der Erde den drei Hunden die Mordlust nur so aus den Augen leuchtete. Vormittags hatte ich ihn bekommen, nachmittags lief er schon hinter mir her, wenn ich die Pulle hatte. In drei Tagen war er ganz an mich gewöhnt und hörte sofort mit Keckern auf, sowie er meine Stimme vernahm. Dann setzte er sich auf meinen rechten Schuh und lutschte ruhig und besonnen an meinem linken herum, wenn er nicht plötzlich zusammenzuckte und mit Zähnen und Branten ein furchtbares Gemetzel unter seinen Inquilinen anrichtete. Er saß nämlich lebendig voll von langen, dicken Flöhen und noch dickeren Holzböcken, so voll, daß sein Bauch ganz wund war. Eine gehörige Schmierkur befreite ihn aber für immer von dieser Plage.

Als Schlafraum wurde ihm eine mit alten Decken vollgestopfte Kiste im Keller angewiesen, in der er so lange blieb, wie es ihm paßte. War das aber nicht der Fall, dann keckerte er gellend und anhaltend und kratzte wie verrückt an der Kellertür. Sein Keckern war so durchdringend, daß eines Nachts das ganze Haus davon wach wurde, so daß ich aufstehen und ihm eine Flasche machen mußte. Schwach war er übrigens auch nicht. Da er nachts immer im Keller herumtobte, wurde er abends warm eingepackt und mit einem Eisengitter zugedeckt, auf das zwei dicke Steine gelegt wurden. Er murkste aber gegen Morgen so lange in seinem Bett herum, bis er Steine und Gitter herunter hatte. Aber reinlich war er. Seine Bedürfnisanstalt hatte er in einer bestimmten Kellerecke, vor der ein Stein lag, und es war höchst lustig anzusehen, wie er sich mit viel Mühe rückwärts über den Stein schob. Seine Sprache bestand außer dem gellenden Gekecker, das er ertönen ließ, wenn er Hunger hatte oder sich langweilte, in einem lauten Schnauben, wenn man ihm plötzlich zu nahe kam, wobei er seine Haare sträubte, sich aufblähte und sich nach Möglichkeit den Rücken zu decken suchte, in einem behäbigen Schmatzen, wenn er die Flasche bekam, und in einem ärgerlichen Schnarchen, wenn ihm irgend etwas nicht paßte.

Es dauerte eine ganze Weile, ehe ich die Hunde an ihn gewöhnte. Bob, der schon sehr verständige Terrier, ignorierte ihn, nachdem ich ihm erklärt hatte, daß Dächschen tabu sei. Patzel sah ihn mit weißfunkelnden Augen an, war aber zu gut erzogen, um sich an ihm zu vergreifen. Battermann, der Jüngling, aber raste auf ihn los, sowie er ihn erblickte, und es gab jedesmal ein großes Theater. Als er aber einsah, daß der Dachs sich unseres Schutzes erfreute, da fing er an zu mucken. Er guckte uns nur noch von der Seite an und machte ein Gesicht, als wenn er sagen wollte: »Wenn ihr mit solchem Stinker verkehrt, dann brech' ich allen studentischen Verkehr mit euch ab.« Nach vierzehn Tagen hatten die Hunde sich an Dächschen gewöhnt, und ich konnte sie schon, allerdings nur, wenn ich aufpaßte, mit ihm zusammenlassen.

Der Dachs war auch gehörig gewachsen, denn er lutschte täglich einen bis anderthalb Liter Milch aus und wußte sich seiner Haut brav zu wehren. Nach drei Wochen brauchte ich keine Angst mehr zu haben. Die Hunde taten dem Dachs nichts und waren froh, wenn er sie in Ruhe ließ. Er hatte nämlich die niederträchtige Gewohnheit, sie fortwährend in die Hinterläufe zu beißen, und da sie ihm nichts tun durften, so kniffen sie, peinlich berührt, vor ihm aus, wenn er sich sehen ließ, oder retteten sich auf Stühle oder Bänke. Am traurigsten ging es dem Terrier, dessen schwarzweiße Kopffarbe mußte den Dachs wohl an seine Mama erinnern, denn sowie Bob auf der Bildfläche erschien, sauste Dächschen hinter ihm her und versuchte zu saugen, eine Zumutung, die Bob stets mit großer Entrüstung und Verlegenheit erfüllte.

Mit der Zeit gewöhnten sich die Hunde so an den kleinen Grimbart, daß sie mit ihm spielten, wobei oft Szenen entstanden, daß alle Zuschauer Tränen lachen mußten. Am lustigsten sah es aus, wenn die Dackel ihn die Treppe hinuntertrudelten und der Terrier Schleuderball mit ihm spielte, indem er ihm mit der Nase unter den Leib fuhr und ihn die Treppe hinaufbugsierte. Battermann dagegen tat nichts lieber, als den Dachs in den Nacken zu packen und viertelstundenlang herumzuschleppen. Gar zu gern hätte er ihn gewürgt, aber der Dachs ließ sich nie an die Kehle fassen, immer schob er den Nacken vor und steckte die Nase weg, und wenn es ihm der Teckel einmal zu toll machte, dann schlug er um sich, daß es nur so brummte.

Den Mai über verlebte ich im Harz, wo Battermann Gelegenheit hatte, einen Bock zu arbeiten und einen alten Fuchs zu zausen, aber auch die Staupe durchmachen mußte und seinen lieben Bruder Patzel durch einen unglücklichen Zufall verlor. Als ich zurückkam, war der Dachs beinahe stärker als der Teckel und ein ganz unverschämter Brite geworden, der sich vor nichts mehr forcht. Nun war es höchst lustig anzusehen, wie Battermann sich zu ihm stellte. Er hatte den Dachs zuerst nicht mehr in der Erinnerung und fuhr ihm sofort an die Schwarte. Als der sich aber gehörig wehrte und wir dem Hunde bedeuteten, daß er ihm nichts tun dürfe, ignorierte er ihn vollständig und ging mir sogar aus dem Wege, wenn er witterte, daß ich mich mit dem Dachs beschäftigt hatte. Er war eifersüchtig und beleidigt.

Eines Nachmittags nun lag ich auf dem Faulbett und las. Da der Dachs mich fortwährend störte, stieß ich ihn zurück und sah dabei, wie Battermanns Augen leuchteten. Ich lud ihn ein, bei mir Platz zu nehmen, eine Gunst, die ich ihm noch nie gewährt hatte. Von diesem Augenblick an änderte der Teckel sein Benehmen gegen den Dachs; er hatte eingesehen, daß er doch der Beste war, und spielte von nun an immer mit Dächschen. Ihr Hauptspiel war Schliefen. Dächschen schliefte unter das Faulbett, und Battermann versuchte, hinterher zu schliefen. Dächschen schlug tapfer um sich, Battermann lag fest vor und verbellte standhaft, bis ihm die Sache zu langweilig wurde und er ihn beim Nacken herauszog, worauf dann die wilde Jagd unter allen Stuhl- und Tischbeinen her weiterging.

Bis dahin hatte Dächschen noch keine Miene gemacht, zu fressen oder allein zu saufen, sondern interessierte sich nur für die Flasche. Eines Tages biß er sich an der Hand eines Bekannten, der ihn neckte, den letzten Milchzahn aus. Eine halbe Stunde später stürzte er sich wie rasend auf die Hundeschüssel und fraß den baß erstaunten Hunden ihren schön geschmälzten, mit Fleischstückchen interessant gemachten Reis vor der Nase fort. Von der Zeit an interessierte er sich auch lebhaft für den Garten, murkste in allen Ecken herum, stach unter heftigem Schnauben und Prusten unter den Efeueinfassungen und im Komposthaufen und verzehrte schmatzend die fetten Regenwürmer und Salatschnecken, die er zutage förderte, obgleich er tags vorher noch gehacktes Fleisch, das ich ihm in den Rachen gestopft hatte, mit einer Gebärde tiefsten Ekels im hohen Bogen ausgespien hatte. Jetzt aber schlang er alles hinab, was ihm vorkam; am liebsten nahm er Weißbrot mit Milch, aber auch kalte Kartoffeln, Fleisch, Brot, Gemüse, rohe Mohrrüben und Obst verschmähte er nicht, und die Herren Hunde mußten sich mittags beeilen, wenn sie überhaupt etwas kriegen wollten.

Je älter und stärker Dächschen wurde, um so unverschämter wurde er. War er bei mir im Zimmer, so erlaubte er es nicht, daß ich ruhig am Schreibtisch saß. Immer wollte er, daß man sich mit ihm beschäftigte, und tat ich ihm nicht den Willen, so biß er mich empfindlich in die Knöchel. War er gar im Keller eingesperrt, so keckerte er über das ganze Haus und rappelte derartig an der Kellertür, daß es nicht zum Aushalten war. Vor den Hunden hatte er schon längst keine Angst mehr. Er jagte sie im Haus und Garten herum und brachte Battermann durch sein ewiges Zwicken so in Wut, daß er sich mit einem Wutgeheul auf ihn stürzte und ihn nach allen Regeln der Kunst beutelte.

Schließlich wurde der Dachs so unverschämt, daß nach längerem Familienrat beschlossen wurde, ihn dem Zoologischen Garten zu verehren. Er war kaum einige Tage da, so erschien ein Freund unseres Hauses und teilte uns mit, der Dachs sei mit acht Eskimohunden zusammengesperrt, die ihn schmählich mißhandelten. Tiefbetrübt eilte ich zum Zoologischen Garten und stürzte nach den Eskimohunden. Da war kein Dachs, und als ich den Wärter fragte, lachte der und sagte: »Der? Den sollen die Hunde mißhandelt haben? Umgekehrt war's! Ich habe ihn herausnehmen müssen, er ließ die Hunde nicht ans Futter. Jetzt sitzt er bei den Affen!«

Ach du lieber Himmel! dachte ich, denn wie gemein das Affengesindel ist, das wußte ich. Als ich aber an den Rhesuskäfig kam, da spazierte Dächschen ruhig und besonnen darin herum, fraß alles, was das liebe Publikum durch das Gitter stopfte, und die Affen waren auf die höchsten Akazien geklettert, trauten sich nicht herunter und hatten das Zusehen gratis und franko. Wagte sich aber einmal einer von ihnen ins Parterre, dann sauste Dächschen sofort hinter ihm her und stach ihm ganz gehörig einen. Da er durch seine Erziehung an das Tageslicht und an die Menschen gewöhnt war, trieb er sich den ganzen Tag im Käfig herum und amüsierte das Publikum durch sein fideles Wesen. Er hatte sogar Radschlagen gelernt, von wem, weiß ich nicht. Die Affen gewöhnten sich schon etwas an ihn, befolgten aber immer noch den alten Wahlspruch: »Vis-à-vis is beeter as dichte bi.« Im Herbst war Dächschen halb erwachsen, hatte sein Winterhaar angelegt und sah sehr stattlich aus. Aber Dummheiten hatte er immer im Kopf; jeden Morgen, wenn die Affen aus dem Schlafkäfig in den Freikäfig gelassen wurden und sich auf das Wasserbecken stürzten, um zu trinken, gab Dächschen jedem von ihnen, den er erwischte, einen Puff, daß er in das Bassin flog, und wenn die nassen Affen herauskrabbelten, dann lachte er.

Diese Beschäftigung genügte aber auf die Dauer seinem ungestümen Tatendrange nicht, und er begann, den Asphaltestrich aufzureißen, was er so gründlich besorgte, daß er in den Nebenkäfig gesperrt wurde. Dort machte er es nicht besser, und so wurde ihm die hochherrschaftliche Wohnung im Affenhause gekündigt, und er mußte im alten Dachshause Unterkunft suchen, was ihm zuerst durchaus nicht behagte, weil er eine größere Wohnung gewöhnt war.

Da die Backsteine und das Gitter seinem Zerstörungstriebe widerstanden, suchte er sich andere Zerstreuung, und die besteht darin, daß er jedesmal, wenn einer seiner Nachbarn, der Stachelschweine, sich zu sehr seinem Käfig nähert, ihm einen oder mehrere Stacheln mit großer Behendigkeit ausrupft, die er dann, hat er gerade nichts Besseres, ruhig und besonnen zerkaut.

Heute noch, wo doch schon Jahre darüber hin sind, daß ich ihm die Flasche gab, kennt er mich, und wenn mein Trillerpfiff erklingt, stürzt er aus seiner Höhle und wartet der guten Dinge, die da kommen sollen.

Meine lieben Hunde aber sind alle tot.


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