Hermann Löns
Mein buntes Buch
Hermann Löns

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Der Feldteich

Mitten im Felde liegt ein mäßig großer Teich. Eine doppelte Reihe alter, hohler, krummer Kopfweiden faßt ihn auf der einen Seite ein, drei mächtige Schwarzpappeln halten gegenüber Wacht.

Ein Drittel des Teiches ist von Schilf, Kalmus, Schwertlilie, Rohr und Pumpkeule erfüllt, die ein undurchdringliches Dickicht bilden. Vor ihnen bedecken Mummeln und Nixenblumen den Wasserspiegel, desgleichen Laichkraut, Schwimmknöterich und Froschbiß. An einer Stelle erheben sich in Menge die harten, zackigen Blätterbündel der Krebsschere, dunkel gegen den lichten Teppich von Wasserlinsen abstechend.

Allerlei Vogelvolk, das dort reichliche Nahrung findet, bewohnt das Röhricht. Jahr für Jahr bringt ein Stockentenpaar seine Jungen hier aus. Auch die Wasserralle brütet hier, dann noch je ein Paar Teichhühner und Zwergtaucher. Ein Rohrammerpaar lebt dort ebenfalls, und vier Arten von den kleinen Rohrsängern, darunter der sonderbare Schwirl, der wie eine Heuschrecke schwirrt, und ein Pärchen des Drosselrohrsängers, der mit hartem, scharfem, herrischem Rufe alle anderen Stimmen übertönt, sogar das gellende Gemecker der Laubfrösche und das breite Geplärre der Wasserfrösche.

Wenn es Abend wird und die Unken anfangen zu läuten, dann erschallt aus dem Geröhr ein ganz seltsamer Ton. Er ist nicht leise und ist auch nicht laut, und wenn es eben scheint, er käme aus dem Wasser, so klingt es gleich darauf, als ob er aus der Luft ertöne. Ein ganz tiefer, dunkler, unirdischer Laut ist es, unheimlich zugleich und gemütlich dabei, drohend und zärtlich gleicherweise, ein verhaltenes, gedämpftes, halblautes »Uh«, das in streng abgemessenen Pausen hörbar ist.

Von den Pappeln meldet das Käuzchen den Abend an; im Weidicht singt das Blaukehlchen; lauter kiksen die Teichhühner, stärker plärren die Frösche, und im Röhricht schnattern und panschen die Enten. Da raschelt es im Schilfe, ein sonderbarer Vogel stiehlt sich hervor und schleicht am Rande des Röhrichts schnell und sicher über die Seerosenblätter. Ganz schmal und glatt ist er, und tief gebückt hält er sich. Ab und zu schnellt sich der Hals lang aus den Schultern heraus, und der lange, scharfe, spitze Schnabel schnappt irgendeine Beute aus der Luft oder aus dem Wasser.

Der dumpfe Ton in der Mitte des Dickichts kommt näher und wiederholt sich häufiger. Es rispelt und krispelt in den harten Halmen, und plötzlich schwebt ein Vogel, dem gleichend, der jetzt in dem Schilfe verschwindet, herbei, und taucht ebenfalls dort unter, wo der andere sich verkroch. Dann gibt es ein lautes Rauschen und Rascheln, wilder, öfter ertönt das dunkle »Uh, uh, uh«, und jetzt Zickzacken die beiden Zwergrohrdommeln über den Teich hin, vorne die Henne, dahinter der Hahn. Mit lautlosem eulenhaftem Fluge schweben sie dahin, jetzt geradeaus und langsam, nun nach rechts und links sich wendend und hastiger rudernd, und dann verschwinden sie mit Geraschel in den Pumpkeulen, um drüben wieder zum Vorschein zu kommen und bald über dem Teiche, bald über der Wiese ihr geisterhaftes Gaukelspiel fortzusetzen, bis sie dessen müde sind und der Hunger sie antreibt, sich mit allerlei Larven, Pferdeegeln, Schnecken und Kaulquappen die Kröpfe zu füllen und dann, faul und müde, angeklammert an einem Rohrhalme, zu schlafen.

Da hocken sie zwischen den gelben Blättern und sind in ihrer fahlen Farbe fast unsichtbar. Weckt sie ein verdächtiges Geräusch, so machen sie sich ganz lang und dünn und richten die Schnäbel steif in die Höhe, und erst, wenn bei der Suche auf Jungenten der Hund ihnen ganz nahe kommt, schlüpfen sie von Stengel zu Stengel und verbergen sich im dichtesten Röhricht, und es muß schon sehr schlimm kommen, lassen sie sich zum Auffliegen bewegen. Denn als reiner Nachtvogel scheut der Zwergreiher den Flug bei Tage. So spielt sich sein Leben in aller Heimlichkeit ab, und nicht oft kommt es vor, daß der Jäger ihn zu Gesicht bekommt und, verblüfft über den ihm unbekannten Vogel, ihn erlegt und dann nicht weiß, was er aus dem winzigen Reiherchen mit dem Eulengefieder machen soll. Steht er gar an dem Teiche auf streichende Enten an und vernimmt den dumpfen Ruf der Zwergdommel, so sieht er sich die Augen nach dem Tiere aus, das sich so sonderbar verkündet, ohne sich blicken zu lassen, rät auf dieses und das und bleibt so klug wie zuvor. Weil der Teich so weit entlegen ist, so kommt der Jäger selten zu ihm, und die Dommelchen fühlen sich so sicher, daß sie schon am Spätnachmittage fischen gehen, zumal wenn sie Junge haben. Da, wo das Röhricht am allerdichtesten ist, steht das wirre, unordentliche Nest auf einer breiten, hohen Riedgrasbülte, gegen den Himmel durch darüber geknickte Stengel gut vor den scharfen Blicken der Rohrweihe verborgen, die fast jeden Tag vorübergaukelt. Merkwürdige Geschöpfe sind die jungen Dommelchen, halb wie Igel, halb wie junge Krokodile aussehend mit den stacheligen Speilen und dem breiten, kurzen Schnabel. Immer haben sie Hunger, fortwährend gieren sie, und die Alten können gar nicht genug Pferdeegel, Kaulquappen, Jungfrösche, Wasserjungferlarven, Schnecken und Gewürm herbeischaffen und ihnen in die Kröpfe hineinwürgen. Das reichliche Futter setzt aber auch gut an. Die Kleinen bekommen jeden Tag dickere Bäuche und längere Schnäbel, die schimmelartigen Daunen fallen aus, die Speile platzen und lassen die Federn hervorbrechen, und bald verlassen die Jungen das Nest und klettern den Eltern entgegen, wenn die mit vollen Kröpfen herangeschlüpft kommen.

Schließlich naht der Abend heran, an dem die junge Brut sich darauf besinnt, daß sie nicht nur Zehen zum Klettern, sondern auch Schwingen zum Fliegen hat, und es beginnt erst ein unbeholfenes Geflatter und Getaumel, bis von Nacht zu Nacht der Flug der Jungen sicherer und länger wird und sie es den Alten gleichtun. Dann aber verlassen sie alle den Teich und ziehen erst zusammen unstet von einem Röhricht zum anderen, um sich schließlich zu teilen und jeder für sich erst langsam, dann eiliger, Nacht für Nacht dem Süden zuzurücken, um dort, entweder in den Schilfbrüchen Südeuropas oder gar in den Sümpfen Afrikas, den Winter zu verbringen.

Im Frühling aber treibt es sie wieder zurück, und aus dem Rohrdickichte des Feldteiches ertönt dann aufs neue ihr dumpfer Ruf, den keiner kennt und den niemand zu deuten weiß.


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