Hermann Löns
Mein buntes Buch
Hermann Löns

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Der Windbruch

Mitten in der Wohld liegt eine weite, breite Lichtung.

Der Sturm hat sie geschaffen. In einer schwarzen Nacht kam er über das Moor gebraust, und als ihm die Wohld im Wege stand, stürzte er sich mitten in sie hinein, schmiß viele Hunderte von Fichten und Föhren durcheinander und verschwand über der Geest.

Viele Wochen lang krachten die Äxte und kreischten die Sägen auf dem Windbruche. Als dann der Frühling kam, wuchs der Holzweg, den die Bauern von dem Hauptgestelle nach der Blöße geschlagen hatten, zu. Zwischen den gewaltigen Wurfböden und um die tiefen Kuhlen, in denen sie gestanden hatten, sproß allerlei Kraut und Gestrüpp, das bisher vor dem Drucke der dichten Kronen nicht hatte aufkommen können, und so manches Getier, dem es dort einst zu dumpf gewesen war, siedelte sich an.

Ein heimlicher Ort ist diese Stelle, eine Welt für sich, fest umschlossen von engverschränktem Gebüsch und dichtgedrängten Bäumen. Üppig sind die Himbeeren aufgeschossen, und frisch wuchert süßer Hornklee. Darum steht der beste Bock in der Jagd mit Vorliebe auf dieser Stelle, sicher vor dem Jägersmann, denn rundumher liegt so viel Geknick und steht so viel Gestrüpp, daß der sich nicht unangemeldet heranpürschen kann.

Die Morgensonne fällt voll auf die Blöße. Die großen Blumen der Schwertlilien in den Kolken leuchten wie goldene Flammen, und die zarten Blüten der Wasserfeder, die die dunklen Spiegel mit grünem Rasen bedeckt, schauen ehrfurchtsvoll zu ihnen auf. Ein großer Schillebold mit himmelblau geziertem Leibe schießt in edlem Fluge hin und her. Jedesmal, wenn er eine Wendung macht, knistern seine goldbraunen Flügel.

Oben in den Kronen zirpen die Goldhähnchen. Ein Zaunkönig erhebt ein großes Geschimpfe, denn es paßt ihm nicht, daß die Kreuzotter sich dem Wurfboden nähert, in dessen Wurzelwerk er gebaut hat. Das Rotkehlchen, das nicht weit davon brütet, und die Weidenmeise, die sich in einem faulen Stumpfe ihr Nestloch gezimmert hat, helfen ihm dabei. Dann raschelt es leise in der Dickung, unter dem Spillbaum, vor dem die Schlange sich windet, zuckt ein feuerroter Blitz nach ihrem Kopfe, und dann steht der Waldstorch da, die Otter im Schnabel. Sein blankes Gefieder wirft rote und grüne Lichter von sich. Er sieht sich um, schlägt seine Beute gegen die Erde und schleicht wieder zurück.

Heißer scheint die Sonne. Die Wasserwanzen schießen auf den schwarzen Kolken hin und her, und die Frösche, die auf dem hellgrünen Vergißmeinnichtrasen sitzen, melden sich dann und wann. Plötzlich verstummen sie. Ein Häher läßt sich an dem Wasserloche nieder, blickt sich scheu um, trinkt und schwebt davon. Dumpf heult der Hohltäuber, hell ruft der Schwarzspecht, und unaufhörlich erklingt das Geschmetter der Finken und das Getriller der Meisen. Ein Pfauenauge spielt mit seinem Weibchen, ein Zitronenfalter tänzelt um die Faulbaumbüsche, die Luft blitzt von dem Geflitze der Schwebfliegen und ist erfüllt von Hummelgesumme.

Auf dem dunklen Wasser wirbeln silbern blitzende Taumelkäfer lustig umher. Jetzt fahren sie auseinander und tauchen hastig unter, denn ein Schatten fiel über sie. Der Waldwasserläufer ist es, dieses seltsame Urwaldschnepflein. Eilfertig trippelt der düstere Vogel, den lichten Bürzel emporschnellend, an dem Tümpel entlang, hier im saftigen Torfmoose herumstochernd, da ein Würmchen aus dem Wasser fischend und dort eine Mücke von einem Halm schnappend, dabei fortwährend nickend und wippend und gewandt über die Wasserfederpolster rennend.

Jetzt steht er mit schrillem Schrei auf, und sofort ist sein Weibchen bei ihm, das in dem vorjährigen Drosselneste in der Fichte brütet. Laut rufend schießen die beiden sonderbaren Vögel über die Blöße hin, ab und zu nach dem Raubwiesel hinunterstoßend, das zwischen dem Gestrüpp hinschlüpft. Nun fängt auch der Zaunkönig an zu schimpfen, das Rotkehlchen warnt, die Amsel zetert, die Braunelle entrüstet sich, die Meisen lärmen, und das dauert so lange, bis der kleine Räuber sich drückt und es still auf dem Windbruche wird. Die beiden Waldwasserläufer aber bleiben noch eine ganze Weile wippend und nickend auf zwei Wurfböden stehen und halten Wacht. Schließlich stiehlt sich das Weibchen wieder zu seinem verborgenen Neste, und das Männchen trippelt von neuem an dem Pumpe entlang.

Der Kuckuck läutet. Die Tauben gurren. Vom hohen Himmel ruft der Bussard. Leise bricht es in der Dickung. Unter dem Schneeballbusche tritt der Bock heraus, äugt lange hin und her und äst sich dann an Gras und Klee. Goldfinken locken, ein Buntspecht hämmert. Fern fällt ein Büchsenschuß. Die Hummeln brummen, und die Fliegen summen, das Sonnenlicht spielt auf den blanken Blättern des protzigen Hülsenbusches, und hin und her schießt die große, herrlich gefärbte Wasserjungfer über den Windbruch mitten in der wilden Wohld.


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