Hermann Löns
Mein buntes Buch
Hermann Löns

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Der Haselbusch

Wo der Wildbach zwischen den zerborstenen, mit lustigen Farnen geschmückten grauen Klippen aus dem Unterwalde herauspoltert, reckt sich ein alter, krummgewachsener Haselbaum über dem krausen Verhaue von Schlehen, Weißdorn, Rosen und Brombeeren. Auf seinem untersten Zweige, der tot und trocken auf das quicklebendige Wasser hinabhängt, sitzt der Eisvogel gern und lauert auf die Ellritzen, die in der flachen Bucht spielen. Schüttelt ein Wind die Äste des Hasels, daß die Käfer und Fliegen, die auf den Blättern sitzen, herabfallen, dann gehen die Forellen, die in dem Kolke hinter der gischtumspülten Klippe stehen, danach hoch, oder die gelbbäuchige Bergbachstelze, die in der Felsritze unter den Farnwedeln ihr Nest hat, schnappt sie fort, ehe sie in das Wasser fallen, wenn nicht die weißbrüstige Bachamsel, die unter der überhängenden Wand brütet, ihr zuvorkommt.

Den ganzen Tag ist in und um den alten Haselbaum ein lustiges Leben. Bald flattert die Dorngrasmücke aus ihm heraus, zwitschert lustig und schlüpft in den Bergholderbusch neben ihm hinein, bald turnen die Meisen in ihm herum. Dann wartet der Dorndreher dort, bis er einen Käfer eräugt, die Grünfinken oder die Stieglitze lassen sich auf ihm nieder, ein Häher, der aus dem Bache trinken will, sieht sich von da um, und gern treten die Rehe dort hin und her und äsen sich an all den üppigen Kräutern unter ihm.

Abends aber, wenn die Krähen laut quarrend zu Berge fliegen und in dem alten Steinbruche das Käuzchen quiekt, wird ein anderes Leben in dem alten Busche wach. Da, wo der Schlehenbusch sich mit dem Hasel verschlingt und der von der Waldrebe umsponnene Weißdorn sich zwischen beide drängt, rispelt und krispelt es verstohlen. Ein winziger Kobold, mit großen, nachtdunklen Äuglein und langem, gespreiztem Schnurrbärtchen, wohlbepelzt und feingeschwänzt, klettert über den mit goldenen Flechten besetzten Ast des Nußbaumes, putzt sich das rosarote Schnäuzchen, zupft an dem rötlichen, in der Dämmerung schwarz aussehenden Fellchen, knabbert ein Käferchen auf, fängt ein Möttchen, speist ein Räupchen, dreht sich um, setzt sich auf die Keulchen, lockt leise und wartet, bis ein, zwei, drei, vier noch kleinere Gespensterchen hinter ihm herkrabbeln und sich zu ihm gesellen, vier kleinwinzige Haselmäuschen, seine Jungen. Es leckt sie, säubert sie, hilft ihnen über einen dicken Astknorren, weist ihnen die Knospe, in der das Würmchen steckt, bringt ihnen bei, daß das braune Ding, das da an der Rinde klebt, eine schmackhafte Schmetterlingspuppe ist, nimmt ihnen die Angst vor dem heftig schnurrenden Eulenfalter, den es gehascht hat, und die Furcht vor dem Maikäfer, der mit lautem Getöse daherschnurrt und an einem Blatte hängenbleibt, von dem ihn die alte Haselmaus herabreißt. Knipps knapps, ist der Nacken durchgebissen, ritsch ratsch, sind die Flügel herunter, zwick zwack, die Beine davon, und nun geht das Geknusper und Geknasper los. Das schmeckt lecker, das bekommt gut, das ist besser als im Frühling die Knospen und jungen Triebe und die mageren Würmchen und die alten, muffigen Schlehen und Mehlfäßchen im alten Laube oder die vorjährige dürre Motte und der halblebendige Käfer oder der ankeimende Grassamen. Nun ist die fette, die schöne Zeit da.

Wenn nur die Angst nicht wäre, die gräßliche Angst! Horch, was war das da unten? Sollte das das Wiesel sein oder der Iltis und am Ende sogar der Fuchs, der Gaudieb? Und was flog dort eben hin? Der Kauz oder nur eine Fledermaus? Wie schön wäre es, könnte man jetzt beim Sternenlichte auf den äußersten Ästen umherturnen oder am Boden zwischen den blanken Efeublättern nach Käfern jagen! Aber da oben ist man vor der Eule nicht sicher und da unten könnte einen das Wiesel haschen. Es ist schon besser, in dem dichten Gewirr der Äste des Hasel, der Schlehen und des Weißdorns zu bleiben, oder in den Ranken der Waldrebe umherzuklettern oder zwischen den zackigen Wildrosenschößlingen, die das Wiesel scheut und wo man vor der Eule sicher ist. Da wimmelt es ja überall von Nachtfaltern, Käfern und Raupen. Ein dicker Schwärmer kommt angesaust. Wupps, hat ihn die alte Haselmaus am Flunk erwischt. Er schnurrt und burrt so gefährlich, daß die vier kleinen Haselmäuse entsetzt auf einen Haufen zusammenkriechen. Doch die Mutter hat ihm schon einen Flügel nach dem anderen abgeknipst, und wenn er auch noch heftig mit den grünen Augen funkelt und wild den bunten Hinterleib bewegt, es hilft ihm alles nichts, vier Rosenmäulchen fallen über ihn her, und bald ist nichts von ihm übrig, als die dicken Fühler und die dünnen Beine, die in das Gras fallen. Dann schnurrt ein Bockkäfer daher, dem es ebenso geht, und die große grüne Heuschrecke, die auf dem Aste heranstelzt, muß ebenfalls daran glauben.

Aber dann gibt es ein Unglück. Die eine von den kleinen Haselmäusen hat eine dicke fette Raupe gewittert und klettert in demselben Augenblicke hinter ihr her, als ein jäher Windstoß den Zweig heftig anrührt. Sie verliert den Halt, schlägt durch das Laubwerk, plumpst vor die Klippe, wird von dem Strudel gefaßt und in den Kolk getrieben. Dreimal dreht sie sich hilflos um sich selber, und noch einmal, dann aber steigt die dreipfündige Forelle hoch und nimmt sie in die Tiefe mit.

Das Käuzchen vom Steinbruche ruft lauter und schwebt an dem Haselbusche vorüber. Der Nebel wird dicker, die Luft kühlt sich ab. Die Haselmäuse haben sich sattgefressen und sind müde von dem Umherklettern. Die Alte geht voran, ihre drei Kinder folgen ihr. Da, wo am Grunde der Klippe der Hasel mit den Schlehen und dem Weißdorn sich ineinander verfilzt und Gras und Kraut und altes Laub die Lücken füllen, wo sie den Winter verschlafen hat, da hat sie auch ihren Sommerschlupf, und dort verschwindet sie mit ihren Jungen, um erst wieder wach zu werden, wenn die Abendsonne den Haselbusch nicht mehr bescheint.


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