Hermann Löns
Mein buntes Buch
Hermann Löns

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Der Porst

An der Quelle, die am Fuße der hohen Geest aus dem anmoorigen Boden springt, steht ein brauner, blattloser Strauch, über und über mit goldig schimmernden Blütenkätzchen bedeckt.

Ein Porstbusch ist es. Schon im Spätsommer, als er noch im vollen Laube stand, hatte er seine Blüten halb fertig; im Herbst und Winter vollendete er sie, und dann stand er da und wartete auf seinen Frühling. Lange hat er warten müssen. Die Kolkraben kreisten laut rufend über der Wohld, die Birkhähne bliesen und trommelten auf den Wiesen, Hasel und Erle blühten auf und blühten ab; doch erst als der Kranich im Moor in die Trompete stieß und die Birke sich rührte, durfte der braune Busch seinen tausend Knospen den Willen lassen, und nun steht er da, umgeben von goldenem Schein und atmet einen strengen und starken Duft aus, der sich mit dem Hauche des jungen Birkenlaubes und dem Kiengeruche der sprossenden Kiefern vermischt.

Alle die anderen Porstbüsche, die zwischen den Rinnsalen, die aus der Geest quellen, stehen, hier einzeln und hoch, von Birken, Weiden, Eichen und Erlen bedrängt und von gewaltigen Wacholdern und hohen Stechpalmen, dort niedriger und in Scharen vereinigt, durchwuchert von silbern anblühendem Wollgrase und lustig sprießendem Riede, haben ebenfalls ihre Kätzchen erschlossen. Wenn sie aber auch noch so sehr prahlen und prunken, zur Alleinherrschaft kommen sie hier doch nicht. Denn das Bergmilzkraut ist noch da, das mit hellblühendem Rasen die Wässerchen umflicht, stolze Dotterblumen protzen aus saftigem Laub hervor, die Weidenbüsche leuchten von oben bis unten vor Blütenpracht, und das junge Laub der Birken, vermengt mit zierlichen Troddelchen, schimmert und flimmert im Morgensonnenlichte.

Einst, als der Wolf hier noch das Hirschkalb hetzte, bei Tage der Adler das große Wort hatte und bei Nacht der Uhu, herrschte der Porst unumschränkt von der Geest bis an die Aller. Aber die Bauern brannten ihn nieder, rodeten ihn aus, schlugen Pfähle ein, zogen Drähte, trieben das Vieh in die Gatter, kalkten das Land, und nun sind Wiesen und Weiden da, wo ehemals nichts war, als Porst und Porst und immer wieder nur Porst und hier und da eine Eiche, ein Wacholder, ein Stechpalmenbusch. Nur an den Seiten der Wiesen und an einigen Gräben hat er sich noch halten können und zieht braune, goldig leuchtende Streifen durch die grünen, vom Schaumkraut bläulichweiß überhauchten Flächen. Hinter den Wiesen aber, in der großen Sinke, die von zwei flinken Bächen und einem faulen Flüßchen überreich mit Wasser versorgt wird, hat der Porst noch die Obergewalt. Es fehlt dort anfangs nicht an Bäumen und Sträuchern, knorrigen Eichen, schlanken Birken, stolzen Fichten und krausen Kiefern; aber jetzt, wo der Porst in Blüte steht, kommen sie nicht zur Geltung, denn die ganze weite, breite, nur hier und da von einer Krüppelkiefer, einem Erlenhorste, einem Weidenbusche unterbrochene Fläche ist ausgefüllt von ihm, ist ein einziges goldenes, glühendes, loderndes Gefilde, erfüllt von tausendfältigem Leben.

Dumpf murren in den Tümpeln die Moorfrösche, hell locken im Riede die Heerschnepfen, wehleidig klagend taumeln die Kiebitze dahin, und mit jauchzendem Schrei kreist der Bussard unter den Wolken. Auf dem grauen Wacholdergerippe sitzt der Raubwürger, schrill rufend, helle Weihen werfen sich mit gellendem Keckern aus der Luft, der Brachvogel steigt empor und läßt seine wehmütigen Triller weithin schallen, Kuckuck und Wiedehopf läuten, die Turteltauben schnurren, und viele kleine und feine Stimmen erklingen, ab und zu übertönt von den herrischen Fanfaren des Kranichs oder von dem dröhnenden Basse des Rehbockes, der von einem Menschen Wind bekommen hat und nun durch den Porst flüchtet, daß der Blütenstaub hinter ihm herwirbelt und die graue Glockenheide, die braune Sandheide, das grüne Ried und das silberne Wollgras mit dichtem gelbem Puder verhüllt.

Heute herrscht der Porst hier noch und morgen und übermorgen. Um das düstere Erlengebüsch frohlockt er und jauchzt aus dem modrigen Birkenwalde heraus. Aber die Sonne, die ihm nach langem Warten die Schönheit brachte, wird sie ihm bald nehmen, der Wind streift ihm den goldenen Staub aus den Kätzchen, der Regen gibt ihm den Rest. Mit verdorrten, fahlen Blüten wird er dann dastehen; niemand wird nach ihm hinsehen, wenn er sich mit jungem Laube schmückt, und je voller er sich beblättert, um so unsichtbarer wird er und verschwindet zwischen der Heide und dem Riede und den Weiden und dem übrigen Bruchgebüsch als ein Strauch, den keiner sieht und kennt. Im Herbste wird er dann noch einmal goldgelb und feuerrot leuchten und lodern und im Winter sich purpurrot aus dem Schnee erheben, um auf den Frühling zu warten; doch niemand freut sich an ihm.

Hinter den Erlen quillt eine Rauchsäule empor, und noch eine und immer mehr. Die Bauern brennen den Porst; er steht ihnen im Wege. Hier liegen die blühenden Büsche zu Tausenden am Boden, da starren sie tot und schwarz aus dem jungen Grase. Über das Jahr wird der feurige Busch nicht mehr so unumschränkt hier herrschen; Wiesen und Weiden werden ihn durchziehen. Und noch ein Jahr und abermals eins wird kommen, und aus ist es mit ihm. Nicht mehr wird der Birkhahn hier balzen, der Kranich trompeten, die Heerschnepfe meckern.

Verschwunden wird bis auf einige dürftige Reste der Porst sein mit seiner Pracht und all dem bunten, reichen Leben, das sich in ihm barg.


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