Hermann Löns
Mein braunes Buch
Hermann Löns

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Am Heidpump

Anderthalb Büchsenschuß lang ist er, der einsame Pump in der Heide, und einen Schrotschuß breit. Sein Wasser ist breit und tief. Es hat keinen Grund, sagen die Bauern.

Rund um den Pump wächst hohe Heide in breiten, runden Horsten. Dazwischen ist der Boden naß und schwarz. An dem Rande des dunklen Wassers stehen Rischbülte mit harten, scharfen Blättern.

An der Morgenseite springt ein kleiner Sandbrink vor und bildet eine Landzunge. Darauf steht ein uralter, breiter Machangelbusch.

Er ist kaum so hoch wie ein Mann, der alte schwarze Busch, aber er ist das höchste Ding in der kahlen Heide, und wenn abends die untergehende Sonne rechts und links vor ihm den Pump rosenrot färbt, dann sieht er aus wie ein Zauberschloß. Vielleicht ist er auch eins. In dem Bleisande unter seinen Wurzeln habe ich oft seltsame Spuren gesehen, als wenn da winzige Entchen gewesen wären. Aber so kleine Enten gibt es nicht; nicht einmal die Kricke macht so geringe Spuren.

Kuhlemanns Schäfer meinte, die Zwerge wären das gewesen. Die hätten Entenfüße. Und sie mögen gern unter alten Machangeln wohnen in einsamen Heidbrinken, vorzüglich wenn Wasser dabei ist. Darin spiegeln sie sich, sagt er.

Früher hätte er das alles für Unsinn gehalten, wie es sich die Mädchen in den Spinnstuben erzählen, wintertags, wenn der alte Plaggenofen bullert und der Schnee gegen das Fenster schlägt.

Aber im vorigen Sommer sei er anderen Sinnes geworden über die Sache. Da sei er den Patt entlanggegangen durch die Heide. So um Johanni, bei einer wähnen Hitze, einer Hitze zum Benaudwerden. Und da habe er den Neegenmörder schreiend vor dem Machangelbusch fortfliegen sehen, und wie er hingesehen habe, wäre helles Feuer unter dem Busche gewesen.

Na, und da habe er seine alte Beiderwandjacke ausgezogen und sei schnell nach dem Busche gelaufen, um das Feuer zu dümpen, damit es nicht weiterfräße. Denn der Wind hätte von Südosten gestanden, und es hätte einen bösen Brand geben können. Als er aber meist bei dem Machangel war, da war das Feuer aus, und es war auch kein Rauch da und keine Kohle und Asche auch nicht.

Und nun glaube er, und er lasse sich da nicht von abbringen, was auch Kuhlemann sage und der Lehrer und der Doktor, das wären die Zwerge gewesen, die hätten ihr Gold gesonnt; und deswegen sei er da höllschen schnell von weggegangen, denn die kleinen Leute hätten ihre Nucken und könnten einem leicht etwas anhängen.

Als er mir das erzählte, der alte Schäfer, da machte ich ein ganz ernstes Gesicht. In mir aber lachte ich. Aber wenn ich den Patt entlangging an dem Pump, dann habe ich niemals geflötet, sondern bloß halblaut gesungen. Das muß man tun, sagte der Schäfer, das rechnen sie einem hoch an, die Unterirdischen, wenn man sich bemerkbar macht, damit sie ihre Schätze beizeiten fortbringen können.

Nur flöten darf man nicht, das können sie für den Tod nicht vertragen, seitdem sie von den großen Leuten im Dorfe damit angeführt sind.

Das ist schon hundert Jahre her, aber die Lüttjen haben ein langes Gedächtnis. Ein Jahr ist für sie, was uns ein Tag ist. Darum konnte mir im Dorfe auch kein Mensch mehr sagen, wie das gewesen sei mit den Zwergen, warum sie da weggezogen sind und weshalb sie kein Flöten leiden mögen.

Aber daß die Sache von Kuhlemanns Hof ausgegangen ist, das weiß ich. Der Pump und die Heide darum gehört Kuhlemann. Aber nie wird der Bauer oder wer seinen Namen trägt, bis auf dreihundert Schritt an den Pump gehen. Und seine Knechte wollen auch nicht gern dahin. Darum ist die Heide da auch so lang; denn keiner haut sie.

Weil es da nun so still ist und kaum einmal ein Mensch dahin kommt, haben die wilden Tiere es dort gut. Die Jagd gehört dem Bauern, aber um den Pump jagt er nicht. Er ist nicht abergläubisch, aber der Pump und die Kuhlemanns passen nicht zusammen. Der Großvater des Bauern ist da vom Blitz totgeschlagen und ein Kuhlemannsches Kind ist vor hundert Jahren in dem Pump ertrunken. Das kann alles mit natürlichen Dingen zugegangen sein, aber genau kann man das nicht wissen, und besser ist besser.

Mir hat der Bauer auch gesagt, ich solle dort lieber wegbleiben. Aber ich bin ja kein Kuhlemann und habe mit den kleinen Leuten nichts vorgehabt. Und ich glaube auch nicht an sie.

So bin ich denn auch manches Mal an dem Pumpe gewesen. Mit dem Weidmesser habe ich das tote Holz innen aus dem Machangelbusche geschnitten, habe mir da Plaggen hingepackt und Torfe zum Sitz, und dann habe ich da gesessen zu allen Zeiten.

Ich war im Frühjahr da, wenn rundherum in der Heide die Birkhähne kullerten, die Himmelsziegen meckerten und die Kiebitze riefen vor Tau und Tag.

Im Sommer habe ich da gesessen, wenn um den Pump die Murke blühte, als wäre alles voll Schnee. Dann sangen die Dullerchen, und der Pieper schlug, daß es eine Art hatte.

Eine ganze Mondnacht habe ich in dem Machangel verbracht. Vor mir blitzte das Wasser, in der Heide krispelten die Nachtschmetterlinge, eine Ente plätscherte mit ihrer Brut am andern Ufer, und fern im Moor klagte die Eule.

Auch wintertags bin ich dagewesen, wenn alles weiß war von der Neuen und darauf deutlich verzeichnet war, was von der Forst zur Feldmark gekommen war bei Nacht, Hase und Reh und Marder und Fuchs.

Geschossen habe ich aber meinen Tag nichts an dem Heidpump. Es kam immer etwas dazwischen, oder ich traute mich nicht. Die Hähne balzten sich von dem Schirme weg, der Bock bekam Witterung, der Fuchs schnürte unter dem Winde heran, und die Enten fielen jedesmal zu weit weg ein.

Der Bauer lachte immer, wenn ich mit leerem Rucksack zurückkam, und meinte, warum ich nicht anderswohin ginge. Aber ich kann nichts dafür. Wenn ich den Pump sehe, muß ich dahin. Vielleicht ist es das Gruseln, das mich da immer hinbringt, und weil es da so menschenleer und verloren ist.

Darum mußte ich auch heute wieder dahin. Ich ging um den ganzen Pump und sah in den Ecken viel Entenfedern schwimmen. Auch der Fuchs spürte sich in dem anmoorigen Boden. Da dachte ich, ich könne wohl zum Schuß kommen.

Der Mond ist so hell und die Gardinen sind so dünn und das Bett ist so schwer, daß ich nicht einschlafen kann. Ich höre das Vieh mit den Ketten klirren, der Schimmel schlägt immer gegen die Wand, und Wasser heult den Mond an.

Wenn ich das so recht bedenke, so kommt mir das ganz natürlich vor, was ich heute an dem Pump erlebte. Aber wenn ich die Augen zumache, dann dünkt es mich doch seltsam.

Ich sitze in dem Machangel und rauche vor mich hin. Es ist recht neblig, und weit kann ich nicht sehen. Eine halbe Stunde sitze ich so und denke an dies und das. Das Gewehr habe ich gespannt neben mir liegen. Vor mir ist das Wasser ganz schwarz.

Ich wundere mich, daß keine Enten kommen. Zeit wäre es; denn es schlägt im Dorfe schon halb sechse. Da höre ich es dicht bei mir klingen und sausen, drei, vier schwarze Dinger sind vor mir über dem Pump. Ich reiße das Gewehr an die Backe und drücke einmal, zweimal, aber es blitzt nicht und es kracht nicht, und wie ich zufühle, sind beide Hähne in Ruhe.

Das Merkwürdige dabei ist, daß ich ganz genau weiß, daß ich sie gespannt habe, als ich mich ansetzte. Ich weiß es ganz bestimmt. Ich stopfte mir erst die Pfeife, spannte dann, steckte dann die Pfeife an und sah im Zündholzlicht, daß die Hähne hoch waren.

Wie ich noch darüber nachdenke, poltern die Enten fort, und drüben, genau in der Schußrichtung, ruft der Hütejunge, ich solle auf den Hof kommen. Der Förster wäre da, er wolle mich gern wegen der morgigen Drückjagd sprechen.

Hätte ich geschossen, so hätte ich den Jungen getroffen. Eine merkwürdige Sache, daß die Hähne nicht gespannt waren. Und ich weiß doch, daß ich sie übergezogen hatte.

Ich muß das Fenster aufmachen; mir ist zu heiß. Von hier aus kann ich bis an den Pump sehen; ich sehe ihn selbst nicht, aber den Wacholder als dunklen Fleck. Und bei dem Busch ist helles Feuer, grünlich glimmendes unirdisches Feuer, wie ich es noch nie sah.

Ich glaube, ich glaube, der Schäfer hat recht. Die kleinen Leute haben mich vor Unglück bewahrt.


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