Hermann Löns
Mein braunes Buch
Hermann Löns

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Um die Ulenflucht

Hinter den schwarzen Kanten der hohen Fuhren verschwand die rote Sonne; ein Weilchen noch war alles Glut und Glanz, Feuer und Flamme, jetzt ist es abgeblaßt in des Ringeltaubers Farben.

Ich habe diese Stunde lieb und fast noch lieber das weiche, warme, tieftönige Wort, das unsere Bauern dafür erdichteten. Ulenflucht nennen sie die Zeit, wenn der Tag müde hinter schwarze Wälder sinkt und die Nacht heraufschwebt, in den graublauen, hellrot gesäumten Mantel gehüllt, den ein einziger großer Funkelstein zusammenhält, der Abendstern.

Es muß ein großer Dichter gewesen sein, der dieses Wort erfand. Vielleicht nur ein geringer Knecht, ein Mann der harten, einförmigen Arbeit, der nie in seinem Leben ein Lied schrieb, eine Strophe erdachte. Aber in diesem einen Worte ist mehr Kunst als in vielen Büchern, in denen Lieder gedruckt sind.

Es ist ein großes Kunstwerk, dieses Wort; denn es gibt soviel. Es bringt heilige Schauer wie die ernsten Bildsäulen der unbekannten ägyptischen Meister; es schenkt dem Herzen selige Träume wie eins der großen Werke Böcklins, es trägt mich hinauf zum Himmel und führt mich hinab zur Hölle wie Beethovens hohe Melodien.

Wenn die Ulenflucht naht, dann werde ich anders in der Stimmung; Heiterkeit wandelt sich in Ernst, Verdruß in Feindseligkeit, beengtes Denken in unbegrenztes Ahnen.

Nie bin ich im Geiste da, wo ich bin um diese Zeit. Aus schwarzen Dachumrissen werden dunkle Baumwipfel; den Kauz höre ich rufen aus dem Geheul der Fabriksirenen, und heimliches Blättergeflüster erklingt aus dem Geräusch der Großstadt.

Bin ich aber draußen im stillen Holz, im einsamen Moor, dann wandelt sich die ferne Waldeswand zur Stadt um; des Kauzes Ruf klingt mir wie das gellende Jauchzen der Fabrikpfeifen, die eines schweren Arbeitstages Ende verkünden, und im Blättergeruschel höre ich Seufzer von Menschen, die der schwarzen Nacht entgegenbangen.

Seltsamen Zauber übt diese Stunde auf mich aus. Gestern um diese Zeit, zwischen frohen Gesichtern im festlichen Saal, da waren meine Augen auf einmal weit weg. Ich hörte die Maus im Fallaub pfeifen, sah die weißen Motten tanzen und die schwarzen Fledermäuse taumeln, hörte es um mich herum rispeln und rascheln, knistern und knirren.

Da, wo ich heute bin, waren meine Gedanken, in diesen stillen Wald zogen sie, wo die Schummerstunde nahte mit leisem Tritt und Tag und Nacht die Hände gab, die eine heranziehend, den andern mit sich fortnehmend, beide verbindend und trennend.

Nicht der Sonnentod ist es, der mir dann das Herz weit macht; die Viertelstunde nachher, die blaßgraue, liebe ich mehr, mit ihren leisen, langsamen Übergängen; wenn alle Umrisse sich verwischen, alle Einzelheiten vergehen, wenn die Kleinigkeiten die Augen nicht mehr stören und das Herz dem großen Eindruck sich öffnen kann.

Nur deshalb liebe ich die Jagd so. Nichts bringt uns der Natur so nahe wie diese Viertelstunde zwischen Tag und Nacht, und nur die Jagd ist es, die uns dazu erzieht, diese kurze Spanne Zeit zu verstehen in ihrer großen Feierlichkeit, in ihrer geheimnisvollen Andacht.

So wundervoll hell und sonnig war es vor einer Stunde hier; im alten Laube leuchteten gelbe und weiße Sterne, rundherum sang und klang, pfiff und trillerte es aus Hunderten von kleinen Kehlen, in der breitästigen alten Eiche jauchzte der Schwarzspecht sein wildes Liebeslied, der Tauber schwebte klatschend über den Kronen und rief tief und zärtlich seiner Taube.

Jetzt ist all das laute Leben verstummt; der letzten Drossel Weise verklang. Rotkehlchens Silberlied erstarb; ein Mausepfiff im Dürrlaub, ein Kiebitzschrei vom Moor, ein Rebhahnruf vom Felde kommt dann und wann zu mir heran. Aber die verlorenen Laute machen die Stille nur noch stummer, sie sind wie einzelne Sterne am tiefen dunklen Nachthimmel.

Vor mir im Westen, wo über dem feinen Gezweig der Birken der Himmel rötlich schimmert, taucht ein feines Silberpünktchen auf, verschlafen blinzelnd; hinter mir, tief im Holze, klingt ein hohles, dumpfes Rufen; die Eule grüßt den Abendstern.

Heller schimmert der Stern, glüht aus Silber zu Gold um, lauter ruft der Kauz, verstärkt sein dumpfes Rufen zu gellendem Jauchzen.

Die stille Stunde ist gekommen, die Stunde, da es umgeht im Walde. Überall rispelt und raschelt es verstohlen, rundherum knickt und knackt es schüchtern; was die Sonne bannte und der Tag band, wagt sich hinaus; heimliches Leben, scheues Weben wird kühn und sicher.

Die tagfrohen Wesen zittern um diese Zeit. Ängstlich drückt sich die Ammer im Winterlaub der Jungeiche an den Stamm, klein macht sich der Sperber auf seinem Ast, Todesangst klingt aus dem Schrei der verspäteten Krähe, der ziehenden Kraniche Ruf ist voller Furcht und der streichenden Drossel Pfiff von Bangigkeit erfüllt.

Meine hellen Sonnengedanken schauern zusammen und verkriechen sich irgendwohin, wo ich sie nicht mehr auffinden kann; große, schwarze Träume steigen aus den Tiefen der Seele, lautlos dahintaumelnd in unstetem, haltlosem Flug, wie Fledermäuse, stark und frei sich dahinschwingend, wie die Vögel der Nacht; und wenn sie durchdringend schrillen, gellend rufen, dann kriechen die hellen Gedanken noch scheuer zusammen.

Auf der Brandrute vor mir brauen die Nebel; bleiche Schatten schleppen sich müde den Weg entlang; im Unterholz klingt ein röchelndes, hohles Husten; ein zögernder stolpernder Schritt tappt schwer durch den Stangenort, ein Krachen ertönt, ein Sturz; etwas Totes fiel in das faule Laub; gellend ruft der Kauz sein dunkles Lied.

Ich fasse den Kolben fester und spähe über alle Wipfel, ob die Schnepfe nicht kommt, denn ihretwegen bin ich hinausgegangen; die Jagdlust hat mich in den Wald geführt. Das sage ich mir laut vor in Gedanken; denn langsam tappt das Grauen auf mich zu durch die Stille des Waldes.

Näher bei mir im Holze heult jetzt der Kauz; wie lauter blutrote Wellen sehe ich sein Lied hinter ihm herfließen; seine tiefschwarzen Augen glühen.

Ich höre, wie er hinter mir die weichen Flügel laut klatschend zusammenschlägt; damit jagt er den Vogel aus dem Schlaf; er hört ihn flattern auf dem Zweige, reißt ihn aus dem Versteck und meuchelt den Schlaftrunkenen mit seinen Dolchklauen. Gellend lacht er über mir. Ich fahre zusammen, als wäre eine Rieseneule über mir mit weitschattenden Flügeln, ihre dolchbewehrten Griffe über meinem Genick öffnend. Mitten im Knospen und Treiben, Blühen und Schwellen des Frühlingsabends höre ich das blutrote Lachen des Todes hinter mir. Und dann, wie es kam, ich weiß es nicht mehr. Ein dünnes, schrillendes Pfeifen war vor mir, ein dumpfes, tiefes Murken über mir, zwei Schatten zickzackten unter dem Abendstern über die Birken hinweg, ein Feuerstrahl riß ein Loch in den Abendhimmel, ein Donner verjagte das Schweigen im Walde, und aufatmend nehme ich die Schnepfe vom Boden auf, die ich tötete aus Angst vor der Todesangst.

Gelassen gehe ich durch die bleichen Nebel des schwarzen Weges. Die Schauer der Ulenflucht ließ ich hinter mir. Die Waffe, die ich hatte, und das Ziel, sie retteten mich vor ihren Gespenstern.

Eine Waffe und ein Ziel. Hat man das, dann verliert die Ulenflucht alle ihre Schrecken, die Ulenflucht trüber Stunden, des kommenden Alters Dämmerung.

Eine Waffe, die Arbeit, ein Ziel, seinen Platz auszufüllen in diesem Leben, so gut wie man kann, die einzigen Mittel sind es gegen unsere große Angst in der Ulenflucht.


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