Hermann Löns
Mein braunes Buch
Hermann Löns

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Die Furt

Die Hitze ist heute überall; die Luft flackert sichtbarlich über den Heidbergen.

Ich bin der Pürsche müde. Hier ist Schatten und weiches Moos, aber zuviel Geschmeiß singt und summt um mich her. Bei der Furt wird es kühler sein; ich wollte, ich wäre dort.

Wo bin ich gewesen? In einer weiten, hohen Kirche; rote Pfeiler trugen ein grün dämmerndes Gewölbe; Kerzenlicht flimmerte, Weihrauchduft wogte, dumpf klang eine Litanei. Aus dem Altarschreine lächelte die Madonna. Sie trug ein weißes Kopftuch, ein rotes Leibchen und einen blauen Rock. Ihr Gesicht war jung und lieblich, ihre Augen waren groß und gut. Sie lächelte und stieg aus dem Schreine heraus und wandelte leichtfüßig durch die Kirche.

Ich sehe den gelben Sandweg entlang, zu dessen Seiten sich die roten Fuhrenstämme erheben und in ein grün dämmerndes Gewölbe verlaufen. Helle Lichter spielen zwischen den Stämmen, schwerer Kienduft wogt, wie Priestergemurmel tönt es in der Runde. Dort, wo der Weg zwischen den schwarzen Machangeln bei dem Anberge verschwindet, kommt ein Mädchen her; sie trägt den weißen Flutthut, das rote Leibchen und den blauen Rock, wie alle Mädchen hierzulande. Leicht geht sie dahin; ihre nackten Füße wirbeln goldenen Staub auf. Ihr Gesicht ist jung und lieblich, und ihre Augen sind groß und gut. Ihre Wangen blühen wie Rosen, und ihre Arme sind reizend anzusehen. Ein Hauch von Frische weht hinter ihr her, wie er an der Furt geht, gesättigt von dem grünen Dufte des Erlenlaubes und dem bunten Geruche der Wiesenblumen, und reißt mich aus dem Moose und den Sandweg entlang durch das Vorholz über die Heide zu dem Bache hin, in dem der Weg untertaucht und am anderen Ufer in der Wiese wieder heraufsteigt.

Wie eine Laube wölben sich die Erlen zusammen und verweben ihr Laub mit dem Himmelsblau; zwischen ihren schimmernden Stämmen ist die lachende Wiese sichtbar. In den Uferbuchten schweben die leuchtenden Blumen der Wasserlilien, die nur einen Tag leben. Vor der weißen Sandbank ist eine Insel von dunklem Wasserkraut, auf der viele helle Blüten zittern.

Das Wasser ist klar und sein Grund ist rein; langbeinige Wasserwanzen werfen gespenstige Schatten darauf. Die Brombeerblüten beschauen sich lächelnd in der grünen Flut, und der Königsfarn bewundert sein stolzes Laub. Der Uferbord trägt einen Schuppenpanzer von Lebermoos, und darunter wallen und winken die rosenroten Wasserwurzeln der Erlen.

Ich lehne faul an dem moosigen Erlenstumpfe, kühle die Füße im Wasser, blicke dem Tabaksdampfe nach, der stetig über den Bach hinzieht und die blitzenden Fliegen verjagt, und sehe den zarten Wasserjungfern zu, die um das lachende Laub des Königsfarns flattern.

Wo bin ich wieder gewesen? Dort, wo die Blumen ewig blühen, wo keine Sense das grüne Gras zerschneidet, wo kein Nordost das Laub entfärbt und edelsteinfarbene Vögel aus den Büschen leuchten, wo es keine bitteren Gedanken gibt, die über süßen Wünschen schweben, wie düstere Fliegen über lichten Blumen, in dem Land ohne Tod und Sünde, auf dem Eiland Avalun. Funkelt dort nicht der Vogel in den Edelsteinfarben? Wenn er das Köpfchen dreht, sprühen bunte Blitze um ihn her. Und ein Falter weht über den Bach, Morgenrotsonne auf den Schwingen, und ein Ruf ertönt wie eine silberne Glocke, und ein Vogellied perlt aus dem Laube, so süß wie die Liebe, süße junge Liebe im Maienlande Avalun, in dem die Menschen lachen und küssen, bis sie wie müde Blumen vergehen.

Hier ist Avalun. Über mir ist ein Baldachin aus grüner und blauer Seide über einem Teppich, flammend von Farben. Ich bin der König von Avalun. Wenn ich lache, wiegen sich die goldenen und silbernen Blumen fröhlich über dem Wasser. Hier ist es goldig und da silbern, dort rot und drüben blau. Es ist ein wunderbares Wasser, das Wasser von Avalun; es heilt die Wunden des Herzens und kühlt die Wünsche der Seele; es ist aus reinem Tau gebildet und ohne Fehl und Falsch.

Ein heller Pfiff ruft mich zurück; ein blauer Pfeil mit smaragdener Spitze fliegt über den Bach. Der Eisvogel, der Gleißvogel ist es, und kein Vogel aus dem Lande, in dem meine Seele war, der Blumeninsel, um die der Sehnsucht perlgraue Wellen schluchzen. Meine Seele ist wieder in meinen Händen. Neben mir liegt die dreiläufige Waffe und das scharfe Glas. Alle Blumen tragen wieder kalte Namen, und für jegliches Wesen weiß ich das trockene Wort.

Vogel mit der abendrotfarbigen Brust, sing mir dein tautropfenklares Silberlied. Und singe es noch einmal, und singe es abermals, bis ich still wie das Wasser bin und ruhig wie die Lilienblüte; so still soll es in mir sein, daß ich meines Blutes Klingen lauschen kann und dem Atemholen des Windes, der in dem Walde schläft. Sing, Vogel, singe dein süßes Abendlied, daß mir die Augen wieder zufallen und meiner Gedanken Umrisse zu weichen Traumgestalten verdämmern, singe mir das silberne Lied vom goldenen Avalun.

Ich grüße dich, Königin von Avalun; so schön bist du, daß deine Schönheit hüllenlos sich zeigen darf. Die Sonne verweilt, um deine schlanken Glieder zu liebkosen, die Welle zögert, weil sie deine Füße küssen muß, und der Wind hält den Atem an, so erschrak er vor deiner Schönheit. Dich grüßt der silberne Liebesstern über dem fernen Walde, dir leuchtet der goldene Wurm im tauigen Moose, dir zur Ehre duften die Blumen so süß. Du bist so schön, daß kein Dichter es sagen kann; deine Schönheit ist wie ein goldenes Gitter, das unreine Blicke blendet, und deine Augen sind Schilde, an denen freche Wünsche abprallen.

Ein gellendes Lachen klirrt durch das sanfte Schweigen. Wer wagt solches Lachen in Avalun? Du, nachtschwarzer Vogel mit der giftroten Flamme auf dem Scheitel, du lachst mich fort aus dem Märchenland? Lache noch einmal, und ich hebe die Hand und krümme den Finger, und im Sande mußt du verbluten. Und auch du hüte dich, kreisender Weih, und fürchte meinen Zorn; allzu höhnisch klingt deine Stimme. Was habe ich euch getan, daß ihr meine Träume erschreckt, so daß sie mit bleichen Gesichtern in schwarze Wälder fliehen?

Eine heiße Flamme schlägt mir in das Gesicht, Dunkelheit umspielt meine Augen, und meine Brust wird zu eng für das Herz. Dort unten, vor der grünen und goldigen Wand, steht in dem blausilbernen Wasser sichtbarlich und leibhaft, rot von der Sonne beschienen, ein nacktes Weib, läßt aus den hohlen Händen Wasser über ihre schmalen Schultern rieseln und streut schimmernde Strahlen über ihren schlanken Leib. Die Welle zögert zu ihren Füßen, und der leise Wind, der von der Wiese kommt, hält erschrocken den Atem an. Die silbernen und goldenen Blumen grüßen sie, und das Rotkehlchen singt ein Lied zu ihrem Preise.

Mein Glas liegt neben mir; als ich es sah, sprang mir das Blut wieder in das Gesicht. Das Bild, das ich sehe, ist schön wie ein Traum: die schlanke, helle im Sonnenlicht rosig leuchtende Gestalt in dem blitzenden Wasser vor der grünen Wand; aber ich wollte, ich wäre weit fort von hier. Doch hinter mir verschränken die Erlen ihr Astwerk.

Die Ellritzen spielen um meine Knöchel; weiße Falter wehen über die bunte Wiese hin wie stille Gedanken durch laute Stunden. Vom Walde klingt des Taubers Ruf; das tiefe Schluchzen des Sturmes ist darin; das bange Weinen des Windes. Voll tiefer Zärtlichkeit und heißer Sehnsucht ist der Ruf, ein Lied ohne Worte, das alles sagt.

Ein goldenes Lilienblütenblatt treibt den Bach hinab und nimmt meine Augen mit. Verschwunden ist die rosenrote Gestalt unter dem grünen Baldachin, für immer verschwunden.

Aber ich war in Avalun.


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