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Die händeringende Mutter Gottes

(Aus »Neue Gedichte«, 1892)

 

      Unbewölkter Sommerhimmel
Über einer deutschen Landschaft.
Auf dem Hügel steht das Kirchlein,
Überschattet von zwei Riesen,
Zwei sechshundertjährigen Eichen.
Purpurrote Baldachine
Spannen sich wie Hängematten.
Zwischen beiden, windgeschaukelt,
Goldne Banner, blauberändert,
Mit dem Bild der heiligen Jungfrau,
Hangen schwer aus Laub und Zweigen.
Fern im violetten Dunste
Saugen meine Sehnsuchtsblicke
Das Getürm, Gezack der Berge.
Wälder, Weiler, abgelegen,
Daß sie nicht den Frieden stören,
Der die einsame Kapelle
Schützt vor wüstem Weltgetriebe,
Dunkeln, hellen aus der Gegend;
Und auf eine Meile vor mir
Kreuzt den See der fällige Dampfer,
Ganz genau erkenn ich es.
Wie die Schlange, bunt geordnet,
Mit Gesängen, Hallelujahs,
Immer schwächer klingt das Singen,
Klingt das Summen der Gebete,
Zieht hinab die Prozession.

Auf des Hügels andrer Seite
Keucht herauf, mit Bier beladen,
Knarrend, fässervoll, ein Wagen.
Wie das Viergespann sich anstrengt!
Wie's die Brust den Riemen bietet,
Wie die Mähnen, rotdurchflochten,
Wie das Messingzeug der Kumpten,
Wie die spanischen Fliegenschützer,
Die der Gäule Ohren decken,
Wie der Knecht die Peitsche hochhebt,
Wie das alles blitzt und leuchtet,
Wie das alles blitzt und funkelt
Durch den Mittagssonnenschein.

Oben, um das alte Kirchlein,
Blüht im Umsehn jetzt ein Leben:
Würfelbuden, Spundlochkeilklang,
Tisch und Bänke, roh gezimmert,
Wachsen eilig aus der Erde.
In den Ästen sitzt der Spielmann,
Der zum Tanz die Fiedel peinigt.
Weg die Jacken in der Hitze,
Juchhei! all die frohen Menschen,
All die Mädel, all die Knaben
Schlingen sich zum deutschen Reigen,
Und ich schleife tüchtig mit.
Eine fand ich, die gefiel mir,
War ein süßes Schwabenmädle,
Mit den süddeutsch braunen Augen.
Und die beiden jungen Herzen,
Mein Herz, ihr Herz schlugen heftig,
Voller Lust in eins zusammen.
Abends führte ich das Holdchen
Von dem Hügel durch die Wälder,
Langsam in ihr Heimatdorf.

Eh' doch wir den Weg vollendet,
Hatten wir ein Abenteuer:
Dichter Tann umschlug uns beide,
Die wir zögernd fürder schritten,
Und so zögernd fürder schritten,
Als, wenn unser Gang am Ziele,
Als ob uns ein Riegel trennen,
Uns für ewig trennen würde.
Ihre Rechte, meine Linke
Lagen friedlich ineinander,
Und ihr rechter Arm, mein linker
Waren um den Leib gefesselt.
So nach hinten bog das Haupt sie,
Daß ich ihre roten Lippen
Mit den meinen schließen muß.

Da, auf einmal, an ein Brückchen
Kommen wir; und letzter Abend,
Letzte heilige Abendhelle
Grüßte durch die Nacht herüber.
Dumpf erklangen unsre Tritte
Auf den Bohlen, auf den Brettern.
Aber immer noch umschlungen,
Überschritten den Beschlag wir.
Da, schon war der Bach im Rücken,
Sahen wir am andern Ufer
Die Madonna, holzgeschnitzelt.
Die Madonna Dolorosa
Rang die Hände. Und ihr Auge
War gerichtet in die Wolken.
Ich nun mußte leise lächeln,
Daß so schwer die Unbefleckte
Über unsern Heimgang dachte.
Aber mein lieb gutes Mädle,
Mit den süddeutsch braunen Augen,
Sah die schmerzensreiche Mutter,
Sah die schmerzgerungnen Hände,
Sah den Tann nicht und die Brücke
Vor der Küsse Seligkeit.


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