Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Einleitung

I.
Nicht Mystik, sondern Geheimwissen!

Unter Geheimwissen versteht man gemeiniglich jene Erkenntnis von der Welt, von der Erde und vom Menschen, die nicht nur auf »geheime« Weise zustande kommt, sondern auch bis zu einem gewissen Zeitpunkt bewußt geheimgehalten wurde. Die »Geheimwissenschaften« sind bloß einzelne Zweige des gesamten Geheimwissens und umfassen nicht nur die Theorie, sondern auch die Anwendung der für gewöhnlich verborgenen Einsichten. Geheimes wissen und geheim Gewußtes geheimhalten setzt also genau so ein auf Erlangung solcher Einsicht gerichtetes Streben voraus, wie es sich auf Erfahrung stützt; man muß seinen Bestand an okkulter (im Gegensatz zu profaner) Erkenntnis erwerben und den Weg suchen, auf dem sie erlangt wird. Die Ausdrücke: esoterisches und exoterisches, okkultes und profanes Wissen sagen genau dasselbe; sie setzen der auf materielle und durch die »fünf« Sinne vermittelten Art erworbener Einsicht andere, höhere Erkenntnisweisen entgegen, die sich auf ein erweitertes Bewußtsein stützen, und sind vom mystischen, auf ungeordnete oder gewaltsame Weise, oder durch Lähmung und Verdämmerung des Bewußtseins entstandenen Erlebnis streng zu unterscheiden. Nicht von den Ekstasen und Schauungen religiös mystischer Naturen ist also hier die Rede, wenngleich auch diese nur geheimwissenschaftlich erforscht und erklärt werden können, sondern von einem klaren Wissen um die Welt des Übersinnlichen, der gewöhnlichen Einsicht und Erfahrung Verschlossenen. Die gewöhnliche Sprech- und Denkweise hat gänzlich verschwommene Vorstellungen von diesen Tatbeständen; sie verwechselt ohne Unterlaß Begriffe, die sie nicht abgrenzen kann, mit Zuständen und Erlebnissen, die ihr fremd sind und fremd bleiben müssen. Auf keinem anderen Gebiete menschlicher Betätigung herrscht ärgere Verwirrung als auf diesem, das schon seiner Natur nach allerhand dunkle, lichtscheue und auch als Charaktere höchst problematische Elemente um sich versammelt.

II.
Einwände: die Uhr ohne den Uhrmacher

Der gewöhnlichste und zugleich billigste Einwand, der gegen die Definition des Geheimwissens als einer verborgenen Einsicht erhoben wird, beschränkt sich darauf, zu behaupten, es gebe überhaupt kein geheimes, nicht allen Menschen auf gleiche Art zugängliches Wissen, sondern handle sich im besten Falle bloß um ein Meinen, ein vermeintliches »Haben« von Erkenntnissen, um eingebildete und oft unsauberen Zwecken dienende Gedanken-, Wort- und Werkmanipulationen verstiegener Geister, die von Haus aus nicht gewohnt sind, sich an die Logik zu halten, und die ihren infantilen »Glauben« an solche Dinge für Wissen ansehen oder gar ausgeben. Auf diesem Standpunkt, so primitiv und unhaltbar er sein mag, steht natürlich zum größten Teil die zünftige Kathederphilosophie und mit ihr im innigen Bunde die exakte Wissenschaft, oft genug ein eigenartiges Gemisch von Halbwissen, Dünkel und schlechten Manieren, das allenthalben in großem Ansehen steht, als Brotberuf betrieben wird und obendrein die ihr sinnesverwandte öffentliche Meinung beherrscht. Wissenschaft und zünftige Philosophie tun aber sehr unrecht daran, diesen ablehnenden Standpunkt einzunehmen, der seit Jahrtausenden bis zum heutigen Tage durch die Tatsachen reichlieh widerlegt wird. Die Welt, die Erde und die Menschheit bleiben für Leute, die nicht vernünftig genug sind, außerhalb der »reinen Vernunft« vorhandene, weit ergiebigere Erkenntnisquellen zu Rate zu ziehen, vollkommene Rätsel. Weder die landläufigen Weltentstehungshypothesen, noch die Ergebnisse der »natürlichen Schöpfungsgeschichte«, noch die Hauptgesichtspunkte der »Entwicklungslehre« sind danach angetan, Licht in ein Dunkel zu tragen, das durch »Zufall« Entstandenes wiederum dem »Zufall« preisgibt. Mit dem moralischen Sittengesetz im Innern läßt sich das große Mysterium Welt und Leben nicht um einen Zoll von der Stelle bewegen. Sind schon Zeugung und Geburt für den bloßen Verstand und die reine Vernunft etwas gänzlich Unbegreifliches, so erleidet die menschliche Einsicht im Augenblicke, da der Tod auf die Szene tritt, offenkündigen Schiffbruch. Eine Fülle rätselhafter Schicksale und Ereignisse, wie sie täglich in unseren Zeitungen zu finden sind, bleibt, wo die »fünf« Sinne allein sprechen, ohne jede Deutung. Schlaf und Traum, Gedächtnis und Erinnerung, ganz abgesehen von un- oder übernatürlichen Fähigkeiten, die gegenwärtig immer häufiger beobachtet werden, erweisen in jedem Falle aufs neue, daß das enge Blick- und Erlebnisfeld des Durchschnittsverstandes gegenüber der Wucht und Menge überirdischer Erscheinungen hilflos versagt. So besteht denn das, was die materialistische und rationalistische Weltanschauung unter Leben und Erkennen »begreift«, in Wahrheit nur aus einer sehr dürftigen Zusammenfassung von Merkmalen, die sich im besten Falle genau beschreiben lassen, die aber ebensowenig über das Hinter-den-Dingen aussagen können, wie etwa die Uhr und ihr Mechanismus, mit toten Augen geschaut, vom Uhrmacher und seinem Wesen Kunde geben.

III.
Vom Dunkel unserer Zeit

Die Hauptfehlerquelle, daraus unsere landläufige, vom Tagesbewußtsein abgeleitete Erkenntnis ihre grundlegenden Irrtümer schöpft, liegt in der vollkommen falschen Einstellung zur Vergangenheit und deren Kräften, insbesonders zu den Mythen, Märchen, Sagen, Legenden und sonstigen Urkunden verflossener Zeiten. Die gewöhnliche Meinung geht dahin, daß unsere Zeit vorläufig den Gipfel der Kultur darstellt, daß sie, so mannigfache Gebrechen und Schattenseiten sie auch aufweisen möge, doch durch völlige Zerstörung alles mythischen und unaufgeklärten Denkens hervorrage, sich vom »Glauben« und »Aberglauben« völlig losgemacht habe und der Unwissenheit, Beschränktheit und Einfalt unserer Vorfahren nicht mehr als ein mitleidiges Lächeln zu zollen wisse. Man nimmt in der Regel an, die Menschheit sei eben lange Zeit in den Kinderschuhen gesteckt, habe die Flegeljahre noch nicht ganz hinter sich und wäre nun im gegenwärtigen Zeitpunkte, der an äußeren Erfolgen und Errungenschaften so reich ist, eben bei der Entwicklung zum reifen, ganz auf sich selbst und seine Erkenntnis gestellten Beherrscher der Erde angelangt. Dieser Zustand, fälschlich Fortschritt genannt, erfüllt seine Nutznießer und Verteidiger mit großem Stolz, denn er scheint zu verheißen, daß, wenn es so weitergeht, immer neue Einsichten in das Wesen der Atome und damit der Materie erwartet werden dürfen, die, vielleicht, eines Tages gestatten könnten, in Gottes Werkstatt einzudringen und, unabhängig von Ihm, ja sogar vielleicht gegen Ihn, Leben zu erzeugen und das ganze Welttheater in eigene Regie zu übernehmen. In Wahrheit müßte denkenden Leuten doch auffallen, daß die Menschheit zu altersgrauen Zeiten, wo sie, nach der Ansicht unserer Entwicklungslehre, dem tierischen Standpunkte noch sehr nahe gewesen sein müßte, just die tiefsten und erhabensten Urtriebe ihres großen, weihevollen und tief ernsten Denkens, Fühlens und Wollens offenbart, mit denen verglichen die gepriesenen Geisteserzeugnisse unserer Kultur ein leichtfertiges und sehr seichtes Gestammel darstellen, nicht wert, daß man es zur Kenntnis nimmt oder sich gar näher damit befaßt. Schon ein flüchtiger Blick auf die Höhenzüge der alten Kulturen, die noch in Sagen, Mythen, in Legenden »steckten«, lehrt das Gegenteil von dem, was der moderne Menschenverstand in bezug auf die Vergangenheit für wahr haben möchte. Die alten Kulturen standen dem Geheimnis der Welt, der Erde und der Menschheit weit näher als wir; sie sahen das Leben ganz anders und blickten ungleich tiefer in das Wesen und die Zusammenhänge der Dinge. Auch unsere Zeit hat ihre Mystik, ihre Dämonie, ihren Mythos (so den von der Maschine und von der »Masse Mensch«), man hat aber gar nicht schwer, zu erkennen, daß dieser Mythus nur den Widerschein unserer entsetzlich leeren, ungeistigen und unmusischen Betriebsamkeit zurückwirft. Es liegt sohin nahe, anzunehmen, die Menschheit habe den gegenwärtigen Gipfel ihrer gepriesenen Verstandeskultur nur unter Hingabe und Aufopferung anderer Eigenschaften erlangt, die sie einst besaß und die den Tieren erhalten geblieben sind: Instinkt und Witterung voran. Die Menschen der alten Zeit waren der Gottheit ebenso nahe, wie sich der Mensch von heute dem Tiere nähert: der Triebhaftigkeit und Primitivität eines auf Masse orientierten Herdeninstinktes. Das Altertum hat keine Zivilisation in unserem Sinne gehabt, aber ungeheuer viel Kultur. Der moderne Mensch begnügt sich mit seiner Zivilisation, die er für Kultur ausgibt.

IV.
Das Geheimnis im Ichkern

Das Geheimnis alles Geheimwissens steckt im Ichkern des Menschen: er ist Träger des Bewußtseins und ewiger Bestandteil der menschlichen Wesenheit. Von hier aus allein kann die menschliche Bewußtseinslage verändert und auf die übersinnliche Welt erweitert werden, was sich selbst für profane Zeugen nach einem bestimmten Plane zu vollziehen scheint. Im Ichkern sitzt der Keim zu neuen Kulturen, Bewußtseinslagen und Höherentwicklungen der Menschheit. Von der Stufe, die das Ich erreicht hat, hängen auch das Äußere des Menschen, seine Körperlichkeit, Form und Ausdruck des Antlitzes, Farbe, Lebhaftigkeit und seelischer Gehalt des Blickes ab. Im Ichkern endlich liegt der Schlüssel zur Erkenntnis des Schicksals, zur Notwendigkeit, wiederzukommen und das Maß der Wirkungen durch ungezählte Fleischwerdungen mit der ewigen Karmarechnung auszugleichen. Zwischen Geburt und Tod, zwischen Tod und neuer Geburt liegt das ewig dahinflutende Reich der Möglichkeiten, dieses ungeheure, unendliche Meer von Kräften, Empfindungen und Gedanken, das die Ichkerne in sich birgt. Vom gewöhnlichen Wissen um die irdischen Dinge unterscheidet sich die übersinnliche, übergewöhnliche Einsicht in die Gesamtheit der Erfahrungswelt und jener anderen Welten, die hinter ihr liegen, nicht nur durch Herkunft und Entstehungsart, sondern auch durch die Gesamteinstellung der Persönlichkeit. Der ganze Mensch mit seinem Ich muß erkennen, nicht nur sein Kopf und sein Gehirn. Das geheime Wissen ergreift im Ich Leib, Seele und Geist. Niemand kann darin weiterkommen, der nicht in seiner Gesamthaltung höheren Deutungen und Erfassungen zustrebt. Denken allein macht hier nicht glücklich, man muß es zugleich seelisch erleben und geistig durchdringen. Je höher das Ich diese ideale Übereinstimmung, diese große Harmonie von Denken, Fühlen und Wollen entwickelt, desto freier wird sein Wesen, desto weniger Brechungen und Trübungen erleidet der göttliche Strahl, von dem es durchdrungen wird, desto lebhafter leuchtet das innere Licht, von dem alle Weisen dieser Erde in höchster geheimnisvoller Ehrfurcht sprechen. Hinter ihm, wie es der Dichter so schön und treffend sagt, »im wesenlosen Scheine«, flutet, was »uns alle bändigt«, das »Gemeine«: die Welt der Magie, der kalten, berechnenden Mittel, der Kämpfe, der Mißverständnisse, des Hasses und des Hochmuts, diese Hölle, dieses Fegefeuer der Triebe und Verstellungen, der Lüge und der List. Auch sie, die chaotisch verfahrene Zone des Jammers und des Ekels, deren einziges Gesetz die Gesetzlosigkeit und Verwirrung zu sein scheint, führt ja ihr geheimes Wissen mit, schrecklich in seinen Absichten wie in seinen Wirkungen. Auch davon allerdings muß sprechen, wer von Geheimwissenschaften redet, denn der große Hexensabbat, der sich Leben und Treiben der Welt nennt, ist Ausfluß geheimer Kenntnis von verborgenen Kräften und nur wenigen Menschen bekannten Möglichkeiten. Die Menschen sind nicht glücklich: dazu fehlt ihnen die volle Einsicht in das eigene Wesen, die richtige Schätzung der lebendigen Kräfte, die Ahnung, daß sie selbst in der Hand haben, ihr Los und das der anderen zu bessern. Sie dürfen und sollen gar nicht ohne Egoismus sein; sie brauchen durchaus nicht »zuletzt« an sich selbst zu denken. Ohne die starke Dosis Magie, die im Wesen des Egoismus steckt, wäre die Welt nicht so bunt und schön und abwechslungsreich und voll, wie sie es ist, doch zeigt der Egoismus gerade im Lichte der Geheimwissenschaft sein eigenes Gepräge und seine eigene Sendung. Man muß ihn durchschauen, um seinen Wert für die Gesamtheit zu erkennen.

V.
Die »allgemeine und Generalreformation der ganzen Welt«

Versucht man die Bestände des Geheimwissens nach Gruppen zu ordnen, die das Bestreben zeigen, vom Allgemeinwissen zum Sonderwissen herabzuschreiten, so ergibt sich als oberste und universellste Erscheinung die Geheimwissenschaft Rudolf Steiners, das gigantische Lehr- und Erkenntnisgebäude der Anthroposophie (der Wissenschaft vom Menschen), deren schier unermeßliche Schätze sich heute immer mehr und mehr erschließen und alles in sich begreifen, was seit den Anfängen der menschlichen Wesenheit an verborgener Erkenntnis vorhanden war. Steiners Anthroposophie zeigt den für diese Zeit einzig gangbaren, vor allem für die westliche Menschheit tauglichen Weg zur Erkenntnis höherer Welten; ihre Erkenntnistheorie, auf Goethe gestützt und über ihn hinaus zu einer vom naturwissenschaftlichen Denken ausgehenden Erweiterung der Bewußtseinslage gesteigert, gibt dem Geheimschüler die einzigen verläßlichen Grundlagen zur Entwicklung, die vor phantastischen, ausschweifenden und ungeordneten Erlebnissen geschützt werden muß; sie lehrt eine gigantische Kosmogonie, vereinigt Religion, Philosophie und Wissenschaft zu einer idealen Gemeinsamkeit, durchtränkt alle okkulten Gebiete und macht ihr Wissen nach allen Richtungen fruchtbar: aus ihr sind eine neue Betrachtungsweise der Geschichte und der sozialen Probleme, eine neue Pädagogik, eine neue Rechtsanschauung, eine neue Medizin, eine neue Astronomie, Mathematik und Physik entstanden; ihr verdankt man eine umwälzende Psychologie, Physiologie und Pneumatosophie, ja eine vollkommene Um- und Ausbildung des gesamten Denkens. Tief in die Gebiete der Kunst und Ästhetik hineinreichend, hat sie nebenbei Botanik, Geologie, Zoologie, Landwirtschaft und Gärtnerei unerhört befruchtet. Die Krone des Steinerschen Wirkens auf Erden aber stellt jene ungeheure Erneuerung der Geisteserkenntnis dar, die allen Religionen der Erde eine universelle Christosophie entgegenhält, dazu bestimmt, alle bisher gangbaren religiösen Vorstellungen und Denkweisen von Grund auf zu reformieren, zugleich als Erfüllung eines auf geistverwandtem rosenkreuzerischen Boden erwachsenen Versprechens, das in einem entscheidenden Augenblick Valentin Andreae bei mystischem Zwielicht aufleuchten ließ: die Verheißung von der »allgemeinen und Generalreformation der ganzen Welt«, vorbereitet und gepflegt von der Christengemeinschaft, mit ihrem geistigen Zentrum im Goetheanum zu Dornach. Neben Steiners Anthroposophie und Christosophie erscheinen alle zusammenfassenden Bestrebungen okkulten Wissens in der neueren Zeit als halbe Versuche mit untauglichen und zumeist unzulänglichen Mitteln. Das gilt vor allem von der Theosophie, die in einem bestimmten Zeitpunkt, anknüpfend an die Geheimlehre der H. P. Blavatsky, unbestritten eine bestimmte Mission erfüllt hat, heute indes kaum über das Gesamtbild einer schwärmerischen Sekte hinauskommt, deren Wurzeln im Orient zu suchen sind, ohne daß damit etwa die Kraft zur großen Vereinigung von Ost und West verbunden würde; das gilt weiter Von ähnlichen, ordensmäßigen und bruderschaftlich organisierten Bewegungen: wie den Martinisten, der neuen »Gnosis«, der »Pansophie«, die an die alten Gold- und Rosenkreuzer anknüpft, von den Ariosophen, von der Neugeistlehre und von der Gilde des Herrn Bo-Yin-Ra, der von Zschokkes »Stunden der Andacht« in puncto salbungsvoller Erbauung turmhoch überragt wird. Hier ist ein buntes Gemisch von Gut, Schlecht und Mittelmäßig, das ringenden und suchenden Menschen in allen okkulten Gewässern, als da sind, Alchimie, Magie, Kabbala und verwandten Tätigkeiten, plätschern hilft. Eine eigenartige, wichtige und noch ungeklärte Rolle spielt innerhalb dieses Rayons okkulter Bestrebungen der Spiritismus, in dessen oft recht trüben Behältern die Angel der exakten Wissenschaft nach psychophysischen und parapsychischen Sachverhalten fischt. Alle diese Dinge bedürfen einer kritischen Wertung und Sichtung, soll das von schwelenden und zum Teil giftigen Dünsten geschwängerte Gebiet der okkulten Tätigkeiten zur notwendigen Klarheit gebracht werden.

VI.
Äußere und innere Schwierigkeiten

Zu den größten Schwierigkeiten, die sich einstellen, sobald man darangeht, das Gesamtgebiet der Geheimwissenschaften zu behandeln, zählt wohl die Frage nach der Methode der Darstellung und nach der Gruppierung des Stoffes. Man kann hier nur schwer zum Ziele kommen, es wäre denn, man suchte die Entwicklung der Welt mit einer behutsamen Auseinandersetzung über die Wege zu verbinden, die zum Schauen übersinnlicher Tatbestände führen. Die pragmatische wie die erkenntnistheoretische Seite der Darstellung müssen einander durchdringen, soll das Bild der Geheimwissenschaften auch für den Laienverstand klar und deutlich erkennbar werden. An einem Punkte scheint diese Durchdringung am vollkommensten zu sein: dort, wo an der Hand einer Schilderung der menschlichen Bewußtseinszustände Geschichte und Erkenntniskraft der einzelnen Kulturen bis hinauf zu unserer Zeit einander voraussetzen und bedingen, wo also gleichsam historische Methode und übersinnliche Erkenntnislehre gleichzeitig auftreten, eines das andere fördernd und ergänzend. Allerdings gibt es dabei eine empfindliche innere Schwierigkeit, die daraus erwächst, daß unsere Sprache, nur von jenem Bewußtsein entwickelt, das die gewöhnlichen Sinne zu Hilfe nimmt, auf übersinnliche Welten angewendet, ihre Durchsichtigkeit, Genauigkeit und plastische Kraft einbüßt, daß diese unsere Sprache in Gebieten also, die eigentlich eine ihnen entsprechende besondere Ausdrucksweise erfordern würden, versagt. So ist es zum Beispiel keineswegs leicht und einfach, einem Leser, der die naturwissenschaftlichen Begriffe und die exakte Betrachtungsweise im Leibe hat, klarzumachen, daß Imagination, Inspiration und Intuition in der Geheimwissenschaft ganz andere Bedeutung haben, als ihnen etwa in den landläufigen psychologischen, ästhetischen und philosophischen Büchern beigelegt wird. Ein anderes Beispiel ergibt die allgemein übliche Unklarheit in den Vorstellungen von Seele und Geist, in die selbst wohlunterrichtete und gebildete Leser verfallen, sobald man ihnen zumutet, das Seelische und Geistige erlebnishaft und im höheren Sinne begrifflich auseinanderzuhalten, obwohl gerade dieses Unterscheidungsvermögen zur Einsicht in die Wesenheit des Menschen unbedingt notwendig, ja unerläßlich ist. Um aber auf ein greifbares Gebiet zu kommen, sei noch ein drittes Beispiel angeführt, das die Schwierigkeiten der Darstellung vielleicht noch einleuchtender hervorhebt: zwischen dem Äther, den die wissenschaftliche Hypothese annimmt, und dem, was die Geheimwissenschaft unter Äther begreift, bestehen tiefgreifende Verschiedenheiten, die sich kaum erkennen lassen, wenn man nicht so weit vorgeschritten ist, das Gestaltlose und rein Geistige als Wesenheit zu erleben und sich jenseits von Raum- und Zeitbegriff zu übersinnlichen Anschauungsformen aufzuschwingen. Physiker endlich werden begreiflicherweise meist unruhig, wenn man von ihnen verlangt, sich zum Beispiel unter der »Wärme« der Saturnzeit etwas anderes, Wesenhaftes vorzustellen, als die Wärme, die eben der exakte Physiker kennt: den sogenannten »Wärmezustand«. Aus allen diesen Beispielen ergibt sich die betrübende, aber unvermeidliche Erkenntnis von der Notwendigkeit, festeingewurzelte und überkommene Vorstellungen, Begriffe und Auffassungen zugunsten höherer Deutungen und Wertungen gänzlich aufzuheben. Das rein Dingliche unserer Sprache scheint hier gänzlich verlorenzugehen und einer Denkweise Platz zu machen, die, der Unvollkommenheiten der Sprache bewußt, doch versucht, sich mit den landläufigen Worten, Bedeutungen und Zuordnungen zu behelfen.

VII.
Der Mensch: das Maß der Dinge

In der Regel wird eine Weltauffassung, die den Menschen als Maß der Dinge nimmt, mit dem geringschätzigen Tadel abgetan, daß sie höchst unrecht daran tue, diesen Standpunkt zu beziehen; sie sei anthropomorph, indem sie ihren Gott für ein menschenähnliches Wesen halte und die Dinge »nach Analogie des menschlichen Innenseins« betrachte (obzwar selbst Goethe dieser Auffassung zuneigt), und sie mache sich damit anthropozentrischer Einstellungen schuldig, indem sie den Menschen als den Mittelpunkt der ganzen Welt ansehe, was namentlich der älteren Philosophie anhafte (obgleich selbst Kant im höheren Sinne anthropozentrisch gedacht habe, indem er dem Menschen einen Zweck innerhalb des Schaffungsganzen setzte). Der Sophist Protagoras, der, als Urheber des Spruches vom Menschen als dem »Maß aller Dinge«, als Urheber des »Unfugs« bezeichnet wird, rein subjektiv über die Dinge zu urteilen, entging dem Vorwurf der Gotteslästerung nicht. Seine Schriften wurden verbrannt, er selbst ertrank auf einer Seefahrt. So vollzog das Schicksal eine Art Strafe an dem Manne, der eine große Wahrheit aussprach, ohne ihren tieferen Sinn zu erfassen. Den tieferen Sinn erfaßt unsere Zeit in der Anthroposophie, die eine Weisheitslehre vom Menschen ist und vom Menschen aus zur Erfassung der ganzen Welt vordringt. Der Mensch, so lehrt sie mit Recht und unterstützt von unzähligen Beispielen, Analogien und Entsprechungen, ist, ganz exakt gesprochen, das »Urphänomen der Welt«. Indem er in das Geheimnis seines eigenen Wesens eindringt, erschließt sich ihm zugleich das Wesen des Kosmos; der Mensch allein ist der Schlüssel zur »verbotenen Türe« im Märchen; indem er auf die Frage der Sphinx, die das Rätsel des Menschen zur Lösung stellt, Antwort gibt, stürzt er sie zugleich in den Abgrund. Am Bilde des Menschen, das die Weltengeheimnisse in sich enthält, liest der Mensch die Wirklichkeit jener Geheimnisse ab. Der Fehler im gewöhnlichen anthropomorphen Denken liegt bloß darin, daß er den Menschen, so wie er ist, als Wirklichkeit ansieht und sich nun das innere Wesen der Dinge ganz nach Art dieser Wirklichkeit vorstellt. Der Anthroposoph nimmt den Menschen, wie er dem Blick zunächst (als Bild) erscheint, aber als Bild einer wahren Wirklichkeit, die nicht nur ihm, sondern eben der ganzen Welt zugrunde liegt. Der Mensch ist der Schauspieler des großen Weltendramas; er teilt sich selbst seine Rolle darin zu, er ist zugleich Stück und Darsteller, Akteur und Zuschauer. (»Welch Schauspiel! Aber ach, ein Schauspiel nur!«) Den Inhalt dessen, was er spielt, kann nur er in Wirklichkeit umsetzen. Er hat diesen ganzen Zyklus Weltschöpfung von Anbeginn aus mitgemacht, erst in den unvollkommensten Formen, dann immer feiner und feiner und feiner differenziert; indem er sein Schicksal setzt, seine Bestimmung erfüllt, setzt er auch das Weltenschicksal, erfüllt die Bestimmung des Alls, dem er zugehört und mit dem er eins ist. Geburt, Jugend, Reife, Alter und Tod der Welt sind menschliche Entsprechungen; vom Leib zur Entfaltung der Seele und von da zur Entfaltung des Geistes schreitet der einzelne Mensch und schreitet die Menschheit. Es ist nichts in der Welt, wobei der Mensch nicht mitgewesen wäre. Was oben ist, ist auch unten, sagt der Alchimist geheimnisvoll und meint damit nichts anderes, als dieses: daß der Mensch das Maß aller Dinge ist und zugleich die prima materia in der Entwicklung alles Geschaffenen. Den erkennenden Menschen aus der menschlichen Erkenntnis ganz auszuschalten, ihn der Natur gegenüberzustellen, als j Subjekt dem Objekt, den Menschen aus der Natur zu erkennen, statt die Natur aus dem Menschen, das ist zum fundamentalen Irrtum unserer gesamten Naturwissenschaft geworden, die bald genug mit E. Du Bois-Raymonds Jammerruf »Ignorabimus!« zusammenbrach. Sie nahm den Menschen als etwas »Gegebenes«, sie trieb damit den primitivsten Anthropomorphismus und Anthropozentrismus und steht heute ratlos vor dem Menschen selbst, als dem undurchdringlichsten aller Rätsel, das alle Grundlagen ihres Wissens zerstört, ihr Erkennen zum bloßen Kennen von Tatsachen und Zusammenhängen erniedrigt, das wägt und weist, untersucht und beobachtet, ohne auch nur zu ahnen, wie nahe die Wahrheit liegt, indes ihr Wissen in die Ferne schweift. Darum beginnt eine wahrheitsgemäße Darstellung des okkulten Wissens um Welt und Mensch, beginnt die okkulte Geschichte des Menschen folgerichtig mit der Geschichte der geschaffenen Welt, mit der Genesis aller Dinge in diesem großen Schöpfungszyklus.


 << zurück weiter >>