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Dritte Epistel an Tobias Göbhard

Conrad Photorin an Tobias Göbhard; des letztern Einleitung zu einer mendelssohnischen und Noten zu einer lavaterischen Abhandlung in den stürmischen Monaten des Deutschen Museums betreffend

Vorrede des Herausgebers

Lieber Leser,

Dir alle Umstände zu erzählen, durch die mir nachstehender Brief in die Hände gefallen, würde mehr Zeit kosten, als ich jetzt habe, und mehr Worte, als Du gemeiniglich gerne bezahlst. Genug, daß ich ihn besitze, wie Du schon allein daraus siehst, daß ich ihn herausgeben kann. Er erläutert einiges in der galanten Literärgeschichte unserer Zeit, und Du wirst allezeit etwas finden, das dich interessiert, Du seist nun lecteur penseur oder lecteur seigneur, oder Physiognome, oder Physiognostiker, oder keins von beiden. Lebe wohl!

F. E.

 

Ew. Hochedelgeb. Geehrtes, sub dato Bamberg den 6ten April, ist mir richtig zu Händen gekommen. Ich ersehe daraus mit Vergnügen, daß Ihnen mein Timorus gefallen, und daß solches geringe Produkt Dieselben veranlaßt hat, so obligeant in meinen sonst schwachen Armen die Hülfe zu suchen, die ich jenen Israeliten habe angedeihen lassen. Die Lage, in die Sie sich durch Ihre Einleitung zu Mendelssohns und Ihre Noten zu Lavaters Abhandlung gesetzt, ist freilich traurig, und vielleicht trauriger als Sie selbst wissen. Allein, da Ew. ein Mann von Gloire sind, auch die zeitlichen Mittel haben, einen Beweis zu führen, so nehme ich Dero Auftrag mit Vergnügen an, und habe bereits considerable Ordres wegen des Papieres gestellt, auch eine von meinen untern Proschubladen ausgeräumt. Daß ich Ihnen noch einmal schreibe, geschieht aus Pflicht, teils gegen Sie, teils gegen mich selbst. Einmal wollte ich Sie bitten, mir, wo möglich, mehr tela zu übermachen, als die bereits überschickten, welche mehrenteils nichts taugen, und denn beiläufig zu wissen zu tun, wie viel Sie wohl auf die Sache verwenden können, damit beides Pränumeration und Streckung in Zeiten kalkuliert und die Einschließung vorgenommen werden kann. Hauptsächlich aber schreibe ich, Sie mehr über den Stand der Sache ex actis zu belehren, welches Ihnen der zu sammelnden telorum wegen nötig ist, wobei Sie denn zugleich meinen Mut nicht wenig bewundern werden, die Verteidigung einer Sache übernommen zu haben, die eine der tollsten ist, die ich in meinem Leben gehabt habe; und ohne Wunder fast gänzlich ungewinnbar aussieht. Da dieses aber ohne die vertraulichste und ernstlichste Entwickelung der Schwäche unserer Sache nicht geschehen kann: so bitte ich, verbrennen Sie diesen Brief, wo möglich, Blatt für Blatt, wie Sie ihn lesen, denn käme er in die Hände unserer Gegner, dergleichen Sie genug haben, heimliche und öffentliche, so wäre alle Hoffnung fort, als wäre sie nie gewesen.

Sie haben Recht, lieber Göbhard, ehe man darauf denkt, wie man einen Prozeß, der noch nicht läuft, gewinnen will, so muß man erst denken, ob man ihn vermeiden kann. Die Advokaten nennen dieses den trockenen Weg abzukommen. Diesen können wir hier aber schlechterdings nicht einschlagen. Denn erstlich, was Sie mir sagen, ob es nicht möglich wäre, das Publikum zu bereden: Sie hätten jene Dinge nicht geschrieben, mein Herr, das geht nicht. Denn wer in aller Welt könnte sie sonst in Deutschland geschrieben haben, als Sie? Halten Sie einmal Ihren letzten Brief an Eckard dagegen, und sagen Sie selbst: gleichen sie sich nicht wie Zwillinge? In beiden dieselbe Ihnen eigene bostonische Urbanität, derselbe Konventionsrhythmus unserer Zeit, dieselben sogenannten expressiones heroicae, und dann wieder Ihre fatale Gewohnheit, immer unter Pauken und Trompeten zu predigen, daß man kein Wort verstehen kann. Sehen Sie, wie wollte ich das machen? Zweitens meinen Sie, »ob ich es nicht dahin einleiten könne, zu beweisen, einer Ihrer ärgsten Feinde hätte es geschrieben, dadurch würde die Sache wahrscheinlich, und Sie zugleich gerochen, und also zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen.« Der Einfall ist sinnreich, und würde mir es in jedem andern Falle wahrscheinlich gemacht haben, Sie wären der wirkliche Verfasser nicht. Aber sehen Sie, wen soll ich nehmen, hier wo ich lebe, haben Sie keine Feinde, und die wenigen, die Sie haben, schreiben alle ungleich besser. Und daß Sie mir 500 Taler wollten auszahlen lassen, wenn ich sagte, Ich hätte es geschrieben, mein Herr, das hat mich fast verdrossen. Ich muß mich kümmerlich nähren, allein das nehmen Sie mir nicht übel, und wenn Sie mir 5000 versprochen hätten, so wollte ich so was nicht tun, denn, unter uns, (was könnte es helfen, wenn wir beide Komplimente machen wollten) jedermann hier sagt, es wäre abscheuliches Zeug, und man nennt Sie öffentlich hier den Museumschänder.

Aber wo nicht der unklügste, doch gewiß boshafteste Vorschlag ist sicherlich Ihr letzter? Ich soll dem Publikum fein beweisen, ein gewisser berühmter Mann in Hannover hätte es aus allzu großer Wärme für Herrn Lavater geschrieben. Nun fürwahr, das würde ein feiner Beweis werden, da haben Sie freilich recht. Aber Scherz bei Seite: Bekennen Sie mir frei, haben Sie den Vorschlag nicht schon bei sonst jemand angebracht? Wenn das ist, so wollte ich Ihnen nur sagen, daß Ihr Commissionair sein Geld ehrlich verdient hat, denn das Gerücht hat sich schon unter den gemeinen Leuten in und außer Deutschland ausgebreitet. Aber lassen Sie sichs um aller Welt willen nicht öffentlich merken, daß Sie die Sache angegeben haben, denn sonst wirft Ihnen der berühmte Mann einen Injurienprozeß an den Hals, und ich dächte, wir hätten an diesem einen bereits genug auf einige Zeit. Der Einfall, wenn ichs recht bedenke, ist im Grunde auch höchst simpel, wenn Sie mirs nicht wollen übel nehmen. Mein Himmel! Wissen Sie denn nicht, daß der Autor der kleinen Antiphysiognomik und der berühmte Mann die besten Freunde sind? Wenigstens waren sie es, wie sie noch ein halbes Jahr jünger waren. Das kann ich Ihnen durch Briefe beweisen, wenn Sie es haben wollen. Nun bedenken Sie einmal Ihren Einfall. Das war eins. Aber auch vorausgesetzt, die beiden wären Feinde, glauben Sie denn, Sie würden der Welt weismachen können, jener große Mann habe Dinge geschrieben, deren sich jeder Polizeijäger schämen würde, und daß ein so erhabenes Genie, das gewiß auf den Professor in stolzer Ruhe würde herabgelächelt haben, sich wie ein Schulknabe hinsetzen könne, sich deutliche Begriffe von Berlin zu verschreiben, um ein paar Kalenderblättchen zu widerlegen? Was? Das wäre ja lächerlich? Nicht wahr? Solche Leute haben die deutlichen Begriffe liegen, wie Ihresgleichen die Schimpfwörter. Die dürfen nur greifen, so ists geschehen. »Und aus Freundschaft gegen Herr Lavater.« Das wäre mir eine schöne Freundschaft. Wenn Herr Lavater noch drei solcher Freunde kriegte, so wäre er verloren, wissen Sie das? Herr Lavater lehrt und predigt Menschenliebe, und sein Freund exerziert sie mit dem Prügel. Das sind schön gleich geschaffene Seelen, fürwahr. Ich glaube, die Ausdünstungen ihrer Leiber müßten unter Marvilles Mikroskop in einander haken, wie zwei Billardkugeln, die sich einander begegnen. Mit einem Wort: Herr Lavater müßte sich des Mannes schämen, und entweder dessen Silhouette umstechen, oder den Text dazu Umdrucken lassen, oder es wäre das eine Widerlegung seiner Grundsätze, die ihresgleichen an Stärke noch nicht gehabt hat.

Nein, mein Heber Mann, den Gedanken, Ihr Zeug einem andern aufzubürden, müssen wir hier aufgeben. Sie haben es nun einmal geschrieben, und werden es geschrieben haben, so lange die Welt steht. Das müssen wir lassen. Die Frage ist, können wir helfen, ohne so etwas zu tun? Wir könnten es, meinen Sie, auch für Satyre ausgeben. Wie? das verstehe ich nicht. Vom Holzmarkt vielleicht? aber schwerlich für die vom Horaz, Kästner, Lessing, Rabener, Swift, Churchill, Boileau usw. Ich wagte es wenigstens nicht. Wissen Sie denn auch wohl, was Satyre ist? Sehen Sie, ich will es Ihnen erklären. Ich bin selbst keiner von den Leuten, die glauben, Satyre müsse nur Torheiten in allgemeinen Ausdrücken bestrafen. Solche Sätze bessern entweder gar nicht, oder nur die, die schon auf dem Wege der Besserung sind. Nein, anstatt zu sagen, schände das Museum nicht, Bewohner Germaniens, würde ich allemal lieber sagen: du Göbhard, wenn du Noten zu anderer Leute Abhandlungen, die sie nicht bedürfen, schreiben willst, so bleibe damit aus dem Museum heraus. (Sehen Sie, ich nehme dieses unter uns nur so zum Scherz jetzt an.) Wenn ein anderer predigte, es gibt gewisse nützliche Wahrheiten, von denen es freilich zu wünschen wäre, daß sie am rechten Ort bekannt würden; ja die am rechten Ort nie bekannt genug werden können, aber wenn du sie lehren willst, so bedenke wie und wo du sie sagst; das Korn der Besserung, das du auszustreuen suchst, fällt vielleicht hundert gegen eins auf ein böses, böses Land; so wie man nicht alles Gute und Nützliche auf dem Marktplatz tun darf, so darf man auch nicht alles Gute und Nützliche in Monatsschriften predigen: so würde ich allemal lieber sagen: wenn du wider die kleinen Mamsellen schreibst, so soulaschiere sie nicht mit deinen Kupferstichen in Toilettenbüchelchen, oder du sollst bei aller deiner guten Absicht in Schweinsleder hinter den Portier des Chartreux gebunden werden. So etwas fruchtet doch noch zuweilen – wenn es nicht auf ein böses, böses Land fällt.

Aber, mein lieber Göbhard, Sie sind eben so weit über die eigentliche Satyre hinausgegangen, als die matte allgemeine hinter ihr ist. Selbst Schimpfwörter und Flüche im Stilo sind so übel nicht, zumal im Lateinischen, und Ihnen hätte man sie ohnehin verziehen; sie tun oft eine vortreffliche Wirkung, wie Sie wissen, wenn man einen Satz gerne beziehen will, und doch nicht Zeit hat, den Beweis auszubauen. Auch gebe ich Ihnen gerne zu, der Grundgrundsatz alles Guten und Schönen ist: Laßt's laufen. Allein – Sie sind ungezogen, wo Sie bitter sein sollten, zornig, wo Sie lächeln sollten, lächeln, wo Sie widerlegen sollten, widerlegen, wo Sie schweigen sollten, und schweigen, wo Sie sprechen sollten, und besteigen Ihren schmutzigen Triumphwagen mit einem Anstand vor dem Sieg, daß einem die Augen vor Lachen und Weinen übergehen. O merken Sie sichs, Göbhard, einem Vergehen aufrücken und Gebrechen, das ist zweierlei. In Boston mag das letztere Artigkeit sein, hier zu Lande, wo wir unter dem strengsten Despotismus der guten Sitten schmachten, ist es – – doch nur gelinde, hier zu Lande ists Ungezogenheit.

Wir müßten sagen, es könnte sich bei der unerschöpflichen Unergründlichkeit des menschlichen Herzens einmal ein Fall ereignen, daß einer aus allzu großer Höflichkeit grob würde. Das ginge an. Es gibt wirklich Fälle, aber das Argument hat auch seine gar bösen Seiten, die unsere Gegner gleich ausfinden würden. Und gesetzt auch, wir hätten auf diese Weise die Seite des Herzens etwas ins Reine, so sehe ich platterdings nicht, wie wir Ihren Verstand retten sollen. Denn wissen Sie wohl, daß Herrn Mendelssohns Abhandlung nicht für Sie, sondern gerade für Ihren Gegner ist? Hören Sie, es tat mir einen Stich durchs Herz, wie ich das bemerkt habe. Nein, ich schreibe gerne für Leute, aber sich auch so zu verhängen und zu verwickeln, daß weder Aufknüpfen noch Aufschneiden etwas hilft, das ist zu arg. Denn ich muß Ihnen etwas im Vertrauen sagen, wissen Sie wohl, daß Ihr göttingischer Gegner vor einiger Zeit einen Brief von einem berühmten berlinischen Gelehrten erhalten hat, darin folgende Zeilen befindlich sind? »Die Abhandlung, heißt es, von Herrn Moses, in einem der letzten Stücke des deutschen Museums, ist nichts weniger, als wider Sie gerichtet, obgleich der Mann (dieses Wort schiebe ich ein, denn es steht ein anderes da, das sich nicht mit einem M anfängt, ich aber nicht lesen kann), der einen Vorbericht dazu gemacht hat, einen solchen Wink gibt. Diese Abhandlung entstand schon vor anderthalb Jahren, ehe der Dietrichsche Kalender herauskam, bei Gelegenheit meiner Unterredungen mit Herrn Moses über diese Materie. Er berichtigte nach seiner gewöhnlichen präzisen Art meine Zweifel über Lavaters Behauptung von der Schönheit. Ich glaube übrigens, es sei diese Abhandlung gar nicht wider Sie, sondern widerlege vielmehr Lavaters Gedanken über die Schönheit physiognomisch betrachtet auf das kompletteste; denn wenn man Herrn Moses Sätze in ihrer Präzision annimmt, so sieht man, daß Lavater hierin wirklich geträumet hat.« Sehen Sie, lieber Göbhard, das schreibt der Mann selbst, für den die Abhandlung eigentlich geschrieben war, ohne des Professors Verlangen, bloß zur Steuer der Wahrheit und zur Züchtigung Ihres Unverstandes. »Was nun?« Ja freilich was nun, das ist es eben, was ich selbst wissen möchte. Sehen Sie nur hin, was Sie gemacht haben: Sie wollen eines Fremden philosophische Abhandlung über die Harmonie zwischen Schönheit, Tugend und Verstand herausgeben, und schreiben dazu eine Einleitung, worin weder Philosophie noch Schönheit, noch Tugend, noch Verstand ist. Inwendig bei dem Philosophen nichts als Menschenliebe, deutsche Philosophie, deutsche Redlichkeit und simple Sprache der gesunden Vernunft; auswendig bei Ihnen nichts als blinder Groll gegen einen Mann, der Sie nie beleidigt hat, nichts als Witzzwang, ausländischer Prunk sich bewußter Impotenz und die so kenntliche Sprache der ängstlich werdenden Mäklerei. Was ist das? Und dann sagen Sie, der Aufsatz rühre von einem Philosophen her, der in Europa niemand über sich hätte, und Sie selbst schreiben fürwahr, als wenn Sie in allen fünf Weltteilen keinen unter sich hätten. Sehen Sie, das ist traurig, und muß einen ehrlichen Advokaten abschrecken. Sie können nicht glauben, was das die Spötter gekitzelt hat.

Vor einigen Tagen ging ich, eben um tela aufzulesen, in ein Kaffeehaus. Da hörte ich Dinge, die Haare stehen mir noch zu Berge. Da saß ein gesetzter Mann, der zwang sein Lächeln, und sagte langsam: »Nein, ich kanns nicht sagen, ich finde die Einleitung zu Mendelssohns Abhandlung zweckmäßig und billig. Denn nach so vielen kostbaren Beweisen, die die Physiognomen von ihrer Menschenkenntnis bisher ihren Subskribenten gegeben haben, war es nicht mehr wie billig, daß sie ihnen für ihr Geld auch endlich einmal eine von der Menschenliebe gäben, die der Titel verspricht, und die durch ihre Lieblingswissenschaft in erhabenen Seelen untrüglich bewirkt werden soll. Ich könnte nicht sagen, daß diese erste Lieferung oder Fragment, wie sie es nennen, für das Spottgeld so schlecht wäre.«

»O eine noble Allegorie, sagte ein Zweiter, so schön als irgend eine unter den alten: Eine Philanthropia mit einem Prügel. Die verdiente eine Medaille.«

»Wir haben sie schon, lächelte ein Dritter, auf den Wildemannsgulden.«

»Ja, ja, fing ein Vierter an, und blies den Rauch, nisi fingerent, non sic dicerent, die verhenkerte kleine Antiphysiognomik, sie sagen, es sei ein elendes Schartekchen, und werden so bös darüber, daß unser einer glauben sollte, sie hielten es für ein gutes.«

»Und mich hat der Ausdruck kleines Gift des göttingischen Gegners am meisten gefreut. Mein Himmel, wenn das Gift so gar klein ist, wozu dann die ellenlangen Rezepte dagegen?« sagte ein Fünfter, und lachte in sich selbst hinein, als wenn er der Apotheker dabei wäre.

»Ja, die kleinen Gifte, hustete ein Sechster, indem er klingelte, schwitzt wohl die Natur noch aus, aber die großen Kuren hat der Henker gesehen. Wer nicht recht gesund ist, und einen guten Magen hat, hält sie nicht aus.«

Hierauf las ein schwärzlicher Franzos Ihre Noten, »Oh le joli Scholiaste!« sagte er. »Que des Hottentots parmi vous!« und warf das Museum auf den Tisch. Das ist zu hart für deinen Klienten, dachte ich, et parmi Vous, sagte ich, und so ging der Franzos weg.

Sehen Sie, so gehts nicht allein hier, sondern überall den ganzen lieben langen Tag.

O das Wörtchen klein, lieber Mann, hätten Sie auch vor dem Wörtchen Gift und Antiphysiognomik weglassen müssen. Sie sprechen es nicht mit dem rechten Akzent; wenn ich es so lese, so denke ich immer an die Leute, die sagen, da lach' ich dazu, wenn sie dazu weinen möchten.

Sehen Sie, Sie müssen die Menschen erst besser kennen lernen, ehe Sie Satyren schreiben. Ich versichere Ew. Hochedelgeb., es gibt feine Leute darunter, die einen schon durchsehen, ehe man glaubt, sie hätten einen angeguckt.

Ich weiß nicht, was der Verfasser der kleinen Antiphysiognomik Ihnen auf Ihre wirklich kleine Satyre hierin antworten wird. Er schreibt, wie ich höre, an einem zweiten Teil seiner Fragmente, wo wir vermutlich noch etwas abkriegen werden, allein wenn ich an seiner Stelle wäre, wissen Sie, was ich Ihnen antwortete» »Hm, würde ich sagen, kleine Antiphysiognomik, das ist nichts Böses. Ihr Tadel ist weiter nichts, als eine unerlaubte Erweiterung eines lavaterischen Grundsatzes und dessen Anwendung auf Bücher. Denn so wie nach jener Erweiterung kein Mensch leicht etwas taugen möchte, der nicht 6 Fuß lang ist, so taugt auch keine Physiognomik etwas, die nicht aus papiernen Quaderstücken bestehet. Habe ich, würde ich fortfahren, in meinem Büchelchen die Wahrheit gelehrt, so danke ich dem Himmel, der mir so viel Sieg auf so wenigen Blättern verliehen hat; und habe ich Nonsense geschrieben, so bin ich ihm doppelten Dank schuldig, daß mich seine Barmherzigkeit über die Köpfe und die Beutel meiner Landsleute schon auf dem zehnten Duodezblättchen hat aufhören lassen.« Was wollten Sie hierauf antworten? Ich will Ihnen nun auch sagen, was Ich antworten würde, wenn ich an Ihrer Stelle wäre. Ich würde sagen: Es ist wahr.

Im Vertrauen, mein Herr, wenn man es recht überlegt, so haben die Leute so ganz Unrecht nicht, ob sie sich gleich zum Teil etwas warm ausgedrückt haben. Denn bedenken Sie nur, oder, wenn Ihnen dieses zu weitläuftig sein sollte, so hören Sie nur: Sie machen ein solch entsetzliches Lärmen vor dem Namen Mendelssohns her. Es ist wahr, sein Name hat bei den Nichtdenkern eben so viel Gewicht, als des vortrefflichen Mannes Schlüsse bei Denkern haben, und bei Denkern und Nichtdenkern verlieren, das heißt freilich bei der ganzen gelehrten Welt verlieren. Aber sagen Sie, warum hätte Ihr göttingischer Gegner Mendelssohn fürchten sollen? Er kannte des Mannes philosophische Unparteilichkeit, und seine von aller gelehrten Stockjobberei entfernte Wahrheitsliebe, und den Profit für seine Physiognomik hatte er damals außerdem schon bar in der Tasche. Das Lob des größten Philosophen hätte ihm keinen Pfennig hinein, und sein Tadel keinen heraus bringen können. Das ist klar. Das Schlimmste also, was ihm hätte begegnen können, war: Überführung eines Irrtums. Sie halten dieses für einen unersetzlichen Schaden, das weiß ich. Aber mein Herr, Sie haben nun schon so tausendmal gefunden, daß Leute das für scheußlich halten, was Sie schön finden; hätten Sie nicht denken sollen, es könne ja auch wohl einmal jemand geben, der Unterricht für Vorteile hielte. Doch auch selbst dieses Geschrei, als wenn es Ihnen im Ernst nicht um Belehrung Ihres Gegners, sondern nur um dessen Unterdrückung zu tun wäre, möchte auch noch hingehen. Es verrät höchstens ein bißchen Gallensucht und ein bißchen innere Überzeugung, und das sind Kleinigkeiten, und das Seltsame darin hat gar nichts auf sich, denn es verliert sich größtenteils ganz, wenn man bedenkt, daß das Geschrei von Ihnen kommt. Allein unglückseliger Weise für uns und zum bleibenden Exempel der betrübten Folgen, der blinden Hitze des sich gekränkt glaubenden Stolzes, ist die Abhandlung gar nicht wider Ihren Gegner. Sehen Sie, das wird ein gefährliches telum in der Hand desselben werden; es trifft Kopf und Herz zugleich.

Im Vertrauen auf Ihre Selbstverleugnung und in der Hoffnung, daß Sie mich dieses Unterrichts wegen nicht für Ihren Feind erklären, denn ich gebe ihn ja nicht öffentlich, will ich Ihnen kurz sagen, wie ich mir die Sache vorstelle. Beruhigen Sie sich indessen, wir wollen am Ende doch wohl Rat schaffen.

Nach meiner geringen Einsicht, haben sowohl die Feinde als Freunde unserm göttingischen Antagonisten Unrecht getan. Das ist ein Umstand, wenn er den gewahr wird, so weiß ich kaum, was wir antworten wollen. Ich versichere Sie, könnte ich die Originalurkunden dazu alle auf einen Bündel kriegen, so wollte ich unseren Prozeß mit einem Freudenfeuer aus denselben eröffnen, und sie, wie es unser einem zukommt, alle mit eins durch den Schornstein jagen. Was ich meine, ist dieses: Ehe der Kalender heraus kam, waren die Animositäten zwischen Physiognomen und Antiphysiognomen, hauptsächlich aber zwischen Physiognostikern und Antiphysiognomen, – aufs höchste gestiegen. Als nun der Kalender erschien, sehen Sie, so schrieen die Antis: da habt ihrs endlich, und die Pros glaubten wirklich, sie hättens endlich, und verteidigten sich so laut und so vortrefflich und so schnell, daß man anfangen mußte zu glauben, sie hätten Unrecht. Aber, lieber Göbhard, sehen Sie nur ins Büchelchen, man darf sich nur ein einziges Mal den Bart streicheln, um einzusehen, daß der Mann nicht beweisen will, man könne gar nichts aus den Gesichtern schließen Herr Lavater ist in seinem Aufsatz im IVten Teil seiner Physiognomik häufig in denselben Fehler verfallen, vermutlich weil man ihm zum erstenmal die kleine Abhandlung mit Recommendation, ohne sie selbst gelesen oder verstanden zu haben, zugeschickt hat. Daher wird es ihm so leicht, Widersprüche zu finden und Sätze auszuziehen, die für ihn sind. Einer Beantwortung dieses lavaterischen Aufsatzes, nebst einigen andern Bemerkungen über sein Werk überhaupt, und einzelne Kapitel wird der Verfasser dem zweiten Teil seiner Anmerkungen über Physiognomik allein widmen. Er wird da mit Herrn Lavater allein reden, und ihn sorgfältig von seinen unwürdigen Verteidigern und Schülern trennen. Anm. des Herausgebers. Wozu hätte er denn sein Kupfer stechen lassen? Er sagt ja ausdrücklich, er wolle nur Behutsamkeit erwecken, das ist, Herrn Lavatern bedächtigere Leser verschaffen, und ihn selbst vorsichtiger machen und bewegen, bestimmter zu sprechen und dann hauptsächlich das Heuschreckenheer von Physiognostikern zu zerstreuen, das unsere Gesellschaften schändet, und welches gleichwohl jenes Mannes Wärme unvorsätzlich ausgebrütet hat. O! es gibt unter diesem Volk gar unüberlegte Leute, die, so lange man ihnen schmeichelt, einige gewisse Züge als Kollisionen, und sobald man ihren Hochmut kränkt, für physiognomische Zeichen deuten. Nein, wenn ich Ihren göttingischen Gegner recht verstanden habe, so leugnet er nichts weniger als alle Physiognomik. Er scheint vielmehr selbst eine Physiognomik für den Maler lehren zu wollen, die allen verständlich ist, mit welcher man aber bei Anwendungen in der Welt nicht weit kommt. Jene Malersprache besteht nach ihm aus fixierten pathognomischen guten und schlechten Zügen nach ihren Gradationen, mit organischer und tierischer Schönheit und Häßlichkeit zweckmäßig versetzt. Da aber jene pathognomischen Züge gemeiniglich nur bei Seelen von wenig Stärke und Festigkeit, oder wie man es bei guten Gemütern nennt, von Weichlichkeit, sehr deutlich sind; so sind sie zwar vortrefflich, ein Alphabet für den Maler herauszusuchen, aber wenn er, bei der unzählbaren Menge von Kollisionen in der Welt, damit lesen will, so wird es ihm gehen, wie dem Propheten, von dessen Kunst, mutatis mutandis, alles das, was für und wider Physiognomik gesagt wird, auch gilt.

Dieses veranlaßte bei dem Verfasser das Gleichnis von Steinarten und Salzen. Wer sie bloß nach ihrer Figura determinata kennen lernen will, ohne die chemischen und andern Hülfsmittel, wird sich meistens sehr irren. Und was den Menschen vom Stein unterscheidet, macht gerade die Sache noch schwerer. Daher schließt er mit den ausdrücklichen Worten: Physiognomik ist äußerst unsicher. So verstehe ich es, ich weiß nicht, ob ich recht bin.

Herr Lavater sagt: nur beobachtet, und sein göttingischer Gegner sagt zwar dieses nicht ausdrücklich, aber das sieht man ja leicht, daß er es meint: nur eure Regeln angewandt, in der Welt, will er sagen, diesseits und jenseits des Meeres, und ihr werdets finden: immer 100 Nieten gegen einen Treffer. Woher das kommen möge, erklärt er umständlich, zumal in der 2ten Auflage.

Ich wollte wohl Herrn Lavater und ihn zusammen bringen, zum Beweise daß ich beide verstanden habe. Ich würde Herrn Lavater etwa so anreden: Komme, du hast nunmehr eine Menge von Zeichen zusammengetragen, um einmal einen Versuch in der Physiognomica inversa, oder in der Kunst aus dem gegebenen Charakter das Gesicht zu zeichnen, mit Glück zu wagen. Ich will dir einen ganz simpeln Charakter aufgeben, der häufig vorkommt. Zeichne mir das Gesicht dessen, der sich bemüht, den Namen eines Mannes von Einsicht, Geschmack und Lebensart zu behaupten, der sich dabei der Physiognomik und folglich der Menschenliebe befleißigt, hauptsächlich aber den Weltweisen macht; den Mann, der seine Bekannten mit hoch gewürztem Lob im Kantatenstil traktiert, allein kaum sich von ihnen, ja nur von ihres Freundes Freunden beleidigt glaubt, (und er glaubt geschwind), auf sie zuschlägt, nicht wie ein gerechter Vater, sondern mit der unbesonnenen Hitze eines Scharwächters, der zu viel hat, ohne sich zu bekümmern, ob sein ehemaliger Freund auch gebessert wird, wenn er nur liegt; und ohne sich selbst zu bekümmern, ob durch einen solchen Streich der Natur nicht wieder das mühsame Gebäude einer zweijährigen Affektation hin ist, wie ein Traumgesicht. – Und wäre dieses Bild gezeichnet, so würde ich ein wohlgetroffenes Portrait des Mannes darneben stellen, und den Zürcher und Göttinger allein lassen. Ich wette, der letztere würde sagen, du hast Recht, ich verstehe deine Züge auch, und der erstere, du hast auch Recht, durch Sandstein ist nichts zu erkennen. – Sehen Sie nun, wie es einer malerischen Sentenz geht, so wird es mit allen gehen, bis wir die Kollisionen alle aufzuzeichnen, und die Aufzeichnungen richtig anzuwenden wissen, das ist, bis in alle Ewigkeit. Ein anderes ist, hier und da etwas aus Physiognomik heraus nehmen, und etwas sehr Plausibles und Schönes darüber sagen, und ein anderes, Physiognomik wirklich ausüben; vorausgesetzt, so lange nur von ruhenden Zeichen die Rede ist. So verstehe ich diese Schrift, als Ihr Advokat, zu meiner größten Bekümmernis. Doch ich wollte Ihnen Herrn Mendelssohns Abhandlung ein wenig aus einander setzen:

Ich stellte mir die Sache so vor: Herr M. schrieb die Abhandlung einmal für allemal nicht für Sie, sondern für einen Denker. Daher ist sie äußerst kurz, und es darf nur ein wenig im Kopf poltern, so übersieht man leicht etwas Wesentliches. Der Mann, für den sie geschrieben ist, bedurfte nur einen Wink, bei Ihnen ist wohl etwas mehreres nötig.


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