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Der Oberförster

Ohngefähr 1500 deutsche Meilen westlich von China liegt ein nicht gar großes Land, wo es noch jetzo Mode ist zur Schärfung des Verstandes lieber Schneeberger zu schnupfen als Mathematik zu studieren; wo natürliche Zauberbücher die Zuflucht der Ärzte, Punktierbücher und französische Romane der Hofleute, und Papillon- Sammlungen die Hauptsorge der Kameralisten sind; wo Gespräche im Reich der Toden und Kartoffeln-Zehnden dem Dorf-Prediger die postillfreien Minuten ausfüllen, der Jurist hingegen den Nachmittag in Gesellschaften, einen großen Teil der Nacht beim Wein und den Morgen bei Kopfschmerzen und Klienten zubringt. Der Verstand der Einwohner, auch derjenigen, die man unter ihnen Gelehrte nennt, bekommt durch den frühzeitigen Gebrauch des Weins und durch die Art der Erziehung eine Art von Biegsamkeit daß er den geringsten Bewegungen der Einbildungskraft nachgibt. Daher glaubt man daselbst noch Hexen und Gespenster, und leugnet doch Samentiergen und Planeten-Bewohner, weil man sie nicht mit bloßen Augen sieht. Man heißt Naturalisten solche Leute, die glauben Gott könne nichts tun was vor uns unmöglich ist, Separatisten, die zuweilen lieber eine gesunde Predigt zu Hause lesen, als eine ebenfalls schon gedruckte in der Kirche hören, Indifferentisten oder gar Atheisten (denn verba valent sicut nummi) die glauben, daß es auch dumme Geistliche gibt. Der Adel wird daselbst durchgängig für vom Himmel eingesetzt gehalten, der Bürger und der Bauer sieht einen Adlichen wie einen Erz-Engel an, dahingegen der Adliche den Bauern bei weitem nicht wie ein Erz-Engel einen Menschen ansieht, nein unendlich viel geringer, so wie ohngefähr ein Vernünftiger der die Welt und Verdienste kennt einen Junker ansieht der sonst kein Verdienst hat, als daß er Junker ist.

In diesem Lande lebte vor Zeiten ein Mann der sehr wenigen Gutes, aber auch nicht viel Übels tat, und der doch wenn man so das Mittel zwischen seinen Handlungen nimmt immer einen Ausschlag auf die gute Seite hatte. Er war einer von denen, die immer einen grünen Rock und rote Gesichter haben, bei denen, wenn sie grad stünden, die Richtung des Mittelpunkts der Schwere 6 Zoll vor die große Zehe fallen müßte, deswegen sie den Bauch sehr vorstrecken und den Kopf zurückbiegen müssen, mit einem Wort er war Oberförster, und versah bei tausend Gulden Besoldung das, was jeder Bauer für 100 besser versehen würde, der gestraft wird, wenn er sich zuweilen herausnimmt es umsonst zu tun. Er stund sehr früh auf und nahm ein Glas Brandewein und etwas Brod dazu, vier Tage in der Woche schwung er sich auf seinen Ungar und ritt den Wald nicht so wie andere Leute durch sondern öfter zwischen den Sträuchen, fluchte etliche Donnerwetter wenn er einen jungen Baum zerknickt fand, merkte sich den Platz damit er ihn vor sich konnte abhauen lassen, und ritt nach Haus. Dabei kam ihm ein alter meerschaumener Pfeifen-Kopf mit der ziemlich verbissenen Röhre nicht eher aus dem Mund, als wie bei Tische und im Bette, denn in der Tat waren diese drei Verrichtungen, die den Herrn Oberförster den größten Teil seines Lebens durch so besetzt hielten, daß man nur selten gar keine bei ihm antraf. Bei Tisch hatte er allzeit eine Bouteille die so unter den gewöhnlichen Bouteillen stund wie der Herr Oberförster unter den gewöhnlichen Menschen, groß und rund, die einen andern Mann als ihn ärger als die Leidensche Flasche würde gerührt haben, da sie kaum bei ihm im Stand war einige Jugend-Streiche herauszujagen, die er zuweilen am Ende der Mahlzeit seiner Frau und Kindern erzählte. Er war bereits über 50 und fing schon an die Erzählungen von sich ohngefähr auf zehen von den allerältesten zu konzentrieren, die er fast immer mit den nämlichen Worten vorbrachte. (Die Kinder wußten diese Historien so gnau, daß sie sie den Nachbars-Kindern erzählten. Unter andern hatte er einen Jungen von 11 Jahren, der eine sonderbare Aufmerksamkeit bei allem bezeigte was der Wein aus dem Vater sprach. Eine von seinen Lieblings- Geschichten war eine gewisse Nachtmusik, die er als Student einem Mädgen brachte, die sich damit endigte daß man einem Kaufmanne in einer andern Gasse die Fenster einwarf, eben als wenn diese Fenster offen sein müßten um zu dem Mädgen zu steigen. Wenn ihn seine Frau bei dem Wort Mädgen zupfte um ihn abzuhalten in Gegenwart der Kinder so zu sprechen, so brach er plötzlich in einen leisen unverständlichen Ton, worin er noch der Frau sagte, daß ihn aber die Scharwächter erwischt hätten, unterdessen daß das merkliche Zupfen der Mama seinen 11jährigen aufmerksam auf die vorhergehende Geschichte machte, ihn in der Unwissenheit des traurigen Ausgangs ließe.)

Den Provinzial-Charakter des Landes fand man ganz an ihm, nur kostete es etwas Mühe ihn da zu erkennen, wo er durch die Mitwürkung des Försterischen das in der ganzen Welt so ziemlich einerlei ist einige Veränderungen litt. So war zum Exempel die blinde Ehrfurcht gegen den Adel bei ihm schon mehr Politik, was hingegen Sympathien, die Würkungen des ersten Gugucks, die sonderbaren Kräfte sterbender Maulwürfe, das Rufen großer Teiche betraf, darin war er dezisiver als seine Landes-Leute. An das Kirche- Gehen hatte er sich so gewöhnt wie an seinen Brandewein, und er sagte er meinte das Essen schmecke ihm des Sonntags nicht wenn er nicht in der Kirche gewesen wäre. Gelehrsamkeit (nicht im Provinzial- Verstande) hatte er gar nicht. Er hatte in seiner Jugend Lateinisch und auch Griechisch lesen gelernt, von dem letzteren wußte er nichts mehr als einen circumflex zu zeichnen, und von dem ersteren hat er schon wieder so viel vergessen daß er in den Endungen ungewiß war, daher er die lateinischen Wörter nur in einem gewissen Casu gebrauchte, das aber nicht allemal der Nominativus war, oder sie mit einem halbverschlungenen Mittellaut endigte. Von den 7 Mathe


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