Heinrich Lhotzky
Das Buch der Ehe
Heinrich Lhotzky

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Die Ehe heute

Was die Ehe heute ist, war sie nicht immer und wird sie nicht immer sein. Sie ändert Form und Wesen mit der Gesittung, und wir stehen in Übergangszeiten, wie alle Zeiten, die etwas werden wollen. Aber wir mehr als andere.

Die Ehe ist heute nicht immer das, was sie sein will. Es hat Zeiten gegeben, in denen waren die Menschen, wenn sie auch in ihrer Ehe gelegentlich nicht glücklich waren, doch mit ihren Anschauungen über die Ehe zufrieden. Unsere Empfindung von Glück hat sich vertieft, unsere Vorstellung von Ehe erst recht.

Dem jungen Geschlecht, das Ehen schließt und schließen will, soll diese Schrift gewidmet sein. Es ist berufen, an der weiteren Vertiefung ebenso wie an der Höhergestaltung der Ehe mitzuarbeiten. Und es wird daran arbeiten. Im Weltkrieg hat es seine herrliche Kraft und sein festes Wollen bewiesen. Es wird das Große im Innern fortsetzen, auf heiligem Boden.

Die Ehe ist ein heiliges Land. Alles Heilige erkennt man an seiner großen Einfachheit und daran, daß man es nicht durch Gedanken, sondern nur durch Erleben erfaßt.

Aus dem Erleben ist auch dieses Buch geschrieben, ausschließlich für Erlebende, denen es Fingerzeige für weiteres Erleben geben möchte. Nicht für Vorstellungsreihen. Indem wir unsere schlichten Erlebnisse machen, fördern wir die Sache, wenn auch ganz unbewußt. Blicken wir später auf unseren Weg zurück, werden wir des Fortschritts gewahr.

Unsere germanischen Urväter haben für das Eheverhältnis ein tiefes Wort gemünzt. Ehe heißt eigentlich êwe und ist mit ewig verwandt. Aber inzwischen ist das Wort Ewigkeit so vertieft worden, daß es nicht mehr für Ehe paßt. Denn Ehe ist eine Beziehung, die in der Zeit für die Zeit eingegangen wird. Unendlich darüber steht die Ewigkeit.

Ewige Geister freien nicht und lassen sich nicht freien. Sie haben kein Geschlecht, sie kennen nicht das Mein und das Dein, und ihre gesellschaftlichen Beziehungen ruhen ausschließlich auf ihrem innern Wahrheitsgehalt. Aber gerade die drei Dinge, die dort fehlen, sind bestimmend für die Ehe: Sie ist geschlechtliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Gemeinschaft. Sie ist aber berufen, weit mehr zu sein: eine innere Gemeinschaft freier gleichgestellter Geister, ein täglich erneutes Geschenk bewußter freier Liebe, die um ihrer selbst willen gibt und empfängt und keinen anderen Zwang anerkennt, als den sie sich selbst auferlegt.

Diese zarten Keime, die in der Ehe verborgen liegen, mit entwickeln zu helfen, ist die Aufgabe des heutigen Menschens. Wir wollen keinen Augenblick den Boden unserer heutigen Wirklichkeit unter den Füßen verlieren und die Sachen sehen, wie sie sind. Das soll uns aber nicht hindern, alle Ausblicke mit zu genießen, die unser heutiges Sein, unsere Ehe bietet.

Wer Berge besteigt, sorgt nicht nur für seine Lungen und die Bewegung seines Blutes. Er schätzt eigentlich mehr den weiten Ausblick für sein schönheitstrunkenes Auge. Auch die Ehe ist eine Höhenwanderung, eine steile und beschwerliche. Darum soll sie wenigstens der frohen Ausblicke nicht entbehren.

Vorwärts! lautet die Losung unserer heutigen Tage. Ohne Zweifel wird die Menschheit auch Schritte vorwärts tun. Noch hat sie einen weiten Weg vor sich. Das bezeugt nicht am wenigsten die Ehe heute.


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