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Zweiter Teil

I

Die »Therese Hardant« hatte am 5. Juli 1921 Havre verlassen. Man hatte bereits St. Helena passiert.

Es war die erste Überfahrt dieses Schiffes, mit dessen Bau in der Werft achtzehn Monate nach Beendigung der »Paris« begonnen worden war; die beiden Schiffe wetteiferten im Luxus. Herr Hardant, von seiner Tochter, der Patin des Schiffes begleitet, hatte Wert darauf gelegt, die Reise mitzumachen; bezeugte er doch so den berechtigten Stolz, daß ein Schiff seiner Gesellschaft, so schön und mächtig wie die schönsten und mächtigsten Schiffe aller Handelsmarinen der Welt, eine Linie wieder aufnahm, auf der vor zehn Jahren durch den Untergang der »Shanghai« jede Aussicht verloren schien.

Die Transozeanische Gesellschaft, damals so stark erschüttert, daß man glaubte, sie würde sich nie mehr erholen, war wieder im Aufblühen, und ihre blaue Flagge mit goldenen Sternen wehte auf allen Meeren.

Einem erstickend schwülen Tag war eine kühle Nacht gefolgt. Auf dem Meer, das bis dahin spiegelglatt war, wälzten sich hohe Wellen, und das Schiff schlingerte ein wenig. Das unterbrach die Einförmigkeit einer Reise, die so ruhig gewesen war, daß die Passagiere, wäre nicht die Unendlichkeit des Horizonts um sie, sich im luxuriösesten Salon des luxuriösesten Hotels geglaubt hätten.

Der Funkoffizier des Schiffes erschien nach Beendigung seines Dienstes auf dem Promenadendeck.

»Nun,« sagte Herr Hardant, indem er sein Buch zuklappte, »was gibt es Neues, Herr Valmont?«

Der Leutnant begrüßte Therese Hardant und antwortete:

»Nichts von Bedeutung, Herr Direktor, abgesehen von einer stürmischen Kammersitzung und einer Intervention Briands; das Ministerium ist aber noch nicht für den Sturz reif. Übrigens, hier sind die Telegramme: wenn Sie sie lesen wollen, ehe sie veröffentlicht werden ...«

Herr Hardant machte eine ablehnende Bewegung:

»Nein! Nein! Ich bin zufrieden, daß ich nicht weiß, was auf dem Kontinent vorgeht, und genieße diese Ruhe, die ich mir nicht rauben lassen will! Sehen Sie, ich werde Sie als Funkoffizier sicher wütend machen: manchmal bedaure ich, daß die Zeiten vorbei sind, da man während der langen Überfahrten von Hafen zu Hafen in einer Beschaulichkeit lebte, die auf völligem Nichtwissen beruhte.«

»Vielleicht werden Sie sich noch mehr wundern, Herr Direktor, wenn ich Ihnen sage, daß ich ein ähnliches Gefühl habe.«

Therese betrachtete ihren Vater und den Leutnant.

»Träume ich etwa? Bist du es, der so spricht? Sind Sie es, Herr Valmont, der so antwortet? Du, der wollte, daß mein Schiff« – sie betonte auf reizende Art das besitzanzeigende Fürwort –, »das modernste aller Schiffe würde, du, der stolz war zu hören, daß es kein Schiff gibt, auf dem die drahtlose Telegraphie-Einrichtung so vollendet ist; Sie, Herr Valmont, der, wie man versichert, in solchem Maße zur Vervollkommnung dieser wunderbaren Erfindung beigetragen hat? ...«

»Der Direktor betrachtet es von einem Standpunkt aus, der Reisende von einem anderen«, sagte Herr Hardant; »glaubst du, daß es mir Spaß macht, jeden Tag eine Nachricht von Le Goutelier zu erhalten und jeden Morgen darauf zu antworten? Als ich früher mal reiste, wurde er allein fertig, ohne daß deswegen die Geschäfte schlechter gingen.«

Therese wandte sich an den Offizier:

»Was für schlechte Gründe haben Sie Ihrerseits anzuführen?«

Valmont lächelte:

»Meine sind sentimentaler Natur, literarisch, wenn Sie wollen ... Ich füge übrigens hinzu, daß ich am Land die gleichen Empfindungen hätte. Sie kennen nicht das seltsame Gefühl, das man hat, wenn man Nachrichten aufnimmt, die sich kreuzen – ich denke dabei nicht an die Depeschen, die jedem verständlich sind und die Schiffszeitung der Überfahrt füllen –, sondern an die privaten Mitteilungen, an diese durch das All geschleuderten Sätze von Menschen, die sich ihre Ängste, ihre Hoffnungen zurufen ... ›Alles gut.‹ – ›Warum keine Nachricht?‹ – ›Flehe dich an, komm‹, an diese tausend Dinge, welche die Zeichen von Furcht und Freude sind und uns, die wir sie hören, zwingen, während einer Sekunde an dem Dasein von Menschen Anteil zu nehmen, die wir nicht kennen ...«

»Der einfache Telegraphenbeamte könnte das gleiche behaupten«, wandte das junge Mädchen ein.

»Bis zu einem gewissen Grad schon. Während er aber weiß, von wem die Sätze, die er aufnimmt oder weitergibt, herrühren, wissen wir es oft nicht, und das Geheimnis, das um die Worte schwebt, bewegt uns mehr als die Worte selbst. Ohne zu wollen, konstruiert man Romane. So zum Beispiel wurde ich während mehrerer Tage durch eine ungewöhnliche Neugier geplagt; – wenn ich sage ›ich‹, müßte ich sagen, alle diejenigen, welche an drahtlosen Stationen sitzen. Stellen Sie sich vor ... zunächst aber, mögen Sie geheimnisvolle Geschichten?«

»Ich mag sie schrecklich gern. Als Kind haben mich die Romane von Jules Verne begeistert; als ich größer wurde, diejenigen von Conan Doyle. Wenn das Ende, das ich trotz gespanntester Aufmerksamkeit nicht erraten konnte, näherrückte ...«

»Meine Geschichte hat leider kein Ende, und ich befürchte, daß sie niemals eines haben wird. Immerhin, so wie sie ist, könnte sie eine lebhafte Phantasie fesseln. Finden Sie das komisch?«

»Nein, ich höre zu.«

»Na, wenn die Marineoffiziere anfangen, Feen-Märchen zu erzählen! ...« rief belustigt Herr Hardant.

»Die Feen waren vielleicht nur vermummte Weise,« erwiderte Valmont, »und wenn's eine Fee ist, die uns foppen will, dann werden Sie sehen, daß sie es so geschickt macht, daß die erfinderischsten Köpfe und die feinsten Erzähler sie darum beneiden könnten. Was mich anbetrifft, so kann ich nicht daran denken, ohne daß mich ein Schauder überläuft.«


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