Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Kompositionen der zwanziger Jahre

Aus der ersten Schaffensperiode stammen eine beträchtliche Anzahl Stücke, die Chopin selbst nie veröffentlicht hat. Einige davon, Walzer, Polonaisen u.a. sind des Zusammenhanges wegen an anderer Stelle erwähnt. Eine Zusammenstellung der gesamten erhaltenen Jugendkompositionen ist im Verzeichnis der Werke am Ende des Bandes gegeben. Einige seien hier erwähnt und zwar solche, die bekannt geworden sind. Op. 67-74 sind zum grössten Teil Jugendwerke, die nach Chopins Tode von seinem Freunde Fontana herausgegeben worden sind.

Op. 67, 68. 8 Mazurkas. Von diesen gehören einige in die Zeit bis 1830, nämlich op. 68, No. 2. komponiert 1827 und op. 68, No. 1 und 3 aus den Jahren 1829 und 1830. Die drei Stücke haben nicht die harmonischen Feinheiten, die sich in fast allen späteren Mazurken finden, sind aber durchaus wertvoll, in der Erfindung eigenartig und reich an schönen Melodien und pikanten, rythmischen Effekten. Op. 68, No. 2, heisst in Polen »Slowiczek« (die kleine Nachtigall), wohl wegen des Trillers im Motiv. Siehe Hoesick S. 836. Im Mittelteil besonders wehen ländliche Lüfte. Noch mehr ist der ländliche Charakter in den beiden anderen Stücken ausgeprägt. Op. 68 No. 3, F-dur, ist »wie ein Chor der Schnitter, die um die Wette ein Erntelied singen; das Trio in der Mitte ist eine täuschende Nachahmung des Dudelsackklanges« (Hoesick). In der C-dur Mazurka, op. 68 No. 1, herrscht tolle Lustigkeit. Burschen und Mädchen drehen sich, man hört das Stampfen der Füsse, dann wieder kommen Stellen von zierlicher Anmut.

Ueber op. 69 und 70, 5 Walzer und op. 71, 3 Polonaisen, wird später im Zusammenhang berichtet. Op. 72 enthält eine Nocturne in E-moll, ein verhältnismässig schwaches Stück, das von sämtlichen Nocturnen am untersten Ende steht, ausserdem einen Trauermarsch in C-moll (entstanden 1826 oder 1829), ein glattes Stück ohne einen hervorragenden Zug, und 3 Ecossaises in D-, G- und Des-dur, kleine, muntere Tanzstückchen ohne Bedeutung.

Viel hervorragender ist op. 73, das Rondo für 2 Klaviere, obschon auch ihm schliesslich unter den Chopin'schen Werken kein hoher Rang zukommt. Das ziemlich ausgedehnte, brillante, flüssige Stück zeigt vielfach Verwandtschaft mit den Konzerten, besonders in den Passagen, ist aber an Kunstwert mit ihnen nicht entfernt zu vergleichen. Es ist um 1828 entstanden.

Eine Anzahl kleinerer Stücke ohne opus-Zahl ist in der Gesamtausgabe und den Supplementbänden (bei Breitkopf & Härtel) mitgeteilt. Den meisten dieser Stücke sieht man es mehr oder weniger an, dass sie Arbeiten eines Anfängers sind. Es möge deswegen ihre Aufzählung in der Liste der Werke genügen.

Eine Fuge in A-moll, die als Werk Chopins ausgegeben wird, ist wahrscheinlich unecht. Sie hat keinen künstlerischen Wert. Ueber die zweistimmige Fuge schreibt Jane Stirling (Rev. mus. 1904, p. 42): »La fugue a peu de valeur. Franchomme est certain quelle n'est pas l'oeuvre de Chopin, mais qu'elle a été copiée par lui des oeuvres de Cherubini.« Die Fuge ist von der Pianistin Natalie Janotha als Chopin'sches Werk herausgegeben worden.

Schon von Anfang an zeigte Chopin die ihn immer auszeichnende Selbstkritik. Unter diesen Jugendwerken finden sich einige schon ziemlich wertvolle Stücke. Die meisten wären von einem jungen Durchschnittsmusiker ohne Anstand veröffentlicht worden und hätten ihm wahrlich keine Schande gemacht. Chopin liess davon nicht ein Stück drucken. Es waren 4 Polonaisen, ein Rondo für 2 Klaviere, mehrere Variationenwerke, ungefähr 10 Walzer, 12 Lieder, eine Anzahl Mazurkas und Ecossaisen u.a.

Die Sonate op. 4 hatte Chopin veröffentlichen wollen, allein der Wiener Verleger Haslinger druckte sie nicht, und so wurde sie erst nach Chopins Tode veröffentlicht. Sie hätte Chopin auch schwerlich viel Lob eingetragen, denn sie gehört zu den unverdaulichsten seiner Werke. Chopin selbst sah später diesen Jugendversuch nicht als seiner würdig an. Massig, schwerfällig, ungewandt und wenig bedeutend in der Erfindung erscheinen die beiden breit angelegten äusseren Sätze. Doch fehlen auch hier nicht einige Stellen von grossem Schwung. Das Minuetto, – in der Haydnschen Art mit polnischen Brocken versetzt, ist unpersönlich, dagegen interessiert der langsame Satz durch den Rythmus: er steht durchweg im 5/4 Takt und weist wenigstens entfernt auf den späteren Chopin hin.

Erstaunlich ist dagegen das noch früher geschriebene Rondo op. 1. Der 15jährige Komponist schreibt wie ein alter Praktikus für das Instrument, schafft ein Werk, das den besten Stücken von Hummel und Field ebenbürtig ist. Gibt er aus Eigenem noch nicht viel bedeutendes, so ist er doch immerhin fern davon, nur nachzuahmen. Als frischer und natürlicher Ausdruck des noch unentwickelten jugendlichen Empfindens ist diese Musik die Arbeit eines echten Künstlers. Das Rondo ist dem Rektor des Lyceums, Dr. Samuel Bogumil Linde, gewidmet, der häufiger Gast im Chopin'schen Hause war. Robert Schumann schreibt darüber an seinen künftigen Schwiegervater Wieck:

(11. Jan. 1832). »Chopins erstes Werk (ich glaube sicherlich, dass es das zehnte ist) ist in meinen Händen; eine Dame möchte sagen, dass es recht hübsch, recht pikant sei, fast moschelesisch. Doch glaub' ich, Sie werdens Clara'n einstudieren lassen, denn Geist ist die Fülle darinnen und wenig Schwierigkeiten. Dass aber zwischen diesem und opus 2 wenigstens zwei Jahre und zwanzig Werke liegen, behaupt' ich bescheiden.«

Das op. 2, Variationen über die Melodie: »Là ci darem la mano«, aus Mozarts Don Giovanni mit Orchesterbegleitung, Wojciechowski gewidmet, hatte im Jahre 1831 Schumanns Enthusiasmus im höchsten Grade geweckt. Mit dem Aufsatz »Ein Werk II«, eröffnete Schumann die Reihe der Davidsbündleraufsätze in der »Allgemeinen Mus. Zeitung.« Er ist ein so merkwürdiges Dokument, gleich bezeichnend für Schumanns herrliche Art der positiven Kritik, wie für den erstaunlichen Eindruck, den Chopins erste Werke machten, dass er hier wenigstens auszugsweise wiedergegeben sei:

.

Krakauer Vorstadt in Warschau (1828).

»Hut ab, ihr Herren, ein Genie,« so lautet Schumann's Willkommensgruss. ... »Hier war mir's, als blickten mich lauter fremde Augen, Blumenaugen, Basiliskenaugen, Pfauenaugen, Mädchenaugen wundersam an: an manchen Stellen ward es lichter – ich glaubte Mozarts ›Là ci darem la mano‹ durch hundert Accorde geschlungen zu sehen, Leporello schien mich ordentlich wie anzublinzeln und Don Juan flog im weissen Mantel vor mir vorüber. ›Nun spiel's‹, meinte Florestan. Eusebius gewährte; in eine Fensternische gedrückt hörten wir zu. Eusebius spielte wie begeistert und führte unzählige Gestalten des lebendigsten Lebens vorüber: es ist, als wenn die Begeisterung des Augenblicks die Finger über das gewöhnliche Mass ihres Könnens hinaushebt. Freilich bestand Florestans ganzer Beifall, ein seliges Lächeln abgerechnet, in nichts als den Worten, dass die Variationen etwa von Beethoven oder Franz Schubert sein könnten, wären sie nämlich Klavier-Virtuosen gewesen – wie er aber nach dem Titelblatte fuhr, weiter nichts las, als:

›Là ci darem la mano, varié pour le Pianoforte avec acc. d'Orchestre par Frédéric Chopin, Oeuvre 2‹

und wir beide verwundert ausriefen: ›Ein W. 2‹, und wie die Gesichter ziemlich glühten vom ungemeinen Erstaunen, und ausser etlichen Ausrufen wenig zu unterscheiden war, als: ›Ja, das ist einmal wieder was Vernünftiges – Chopin – ich habe den Namen nie gehört – wer mag es sein – jedenfalls – ein Genie – lacht dort nicht Zerline oder gar Leporello‹ – – so entstand freilich eine Scene, die ich nicht beschreiben mag. Erhitzt von Wein, Chopin und Hin- und Herreden gingen wir fort zum Meister Raro, der viel lachte und wenig Neugier zeigte nach dem W. 2, ›denn ich kenn' euch schon und euren neumodischen Enthusiasmus – nun bringt mir nur den Chopin einmal her‹. Wir versprachen's zum andern Tag. Eusebius nahm bald ruhig gute Nacht: ich blieb eine Weile bei Meister Raro; Florestan, der seit einiger Zeit keine Wohnung hat, flog durch die mondhelle Gasse meinem Hause zu. Um Mitternacht fand ich ihn in meiner Stube auf dem Sofa liegend und die Augen geschlossen. ›Chopin's Variationen,‹ begann er wie im Traume, ›gehen mir noch im Kopfe um: gewiss,‹ fuhr er fort, ›ist das Ganze dramatisch und hinreichend Chopinisch; die Einleitung, so abgeschlossen sie in sich ist – kannst du dich auf Leporellos Terzensprünge besinnen? – scheint mir am wenigsten zum Ganzen zu passen; aber das Thema – warum hat er es aber aus B geschrieben? – die Variationen, der Schlusssatz und das Adagio, das ist freilich etwas – da guckt der Genius aus jedem Takte. Natürlich, lieber Julius, sind Don Juan, Zerline, Leporello, und Masetto die redenden Charaktere, – Zerlinens Antwort im Thema ist verliebt genug bezeichnet, die erste Varation wäre vielleicht etwas vornehm und kokett zu nennen – der spanische Grande schäkert darin sehr liebenswürdig mit der Bauernjungfer. Das gibt sich jedoch von selbst in der zweiten, die schon viel vertrauter, komischer, zänkischer ist, ordentlich als wenn zwei Liebende sich haschen und mehr als gewöhnlich lachen. Wie ändert sich aber alles in der dritten! Lauter Mondschein und Feenzauber ist darin; Masetto steht zwar von ferne und flucht ziemlich vernehmlich, wodurch sich aber Don Juan wenig stören lässt. – Nun aber die vierte, was hältst du davon? – Eusebius spielte sie ganz rein – springt sie nicht keck und frech und geht an den Mann, obgleich das Adagio (es scheint mir natürlich, dass Chopin den ersten Teil wiederholen lässt) aus B-moll spielt, was nicht besser passen kann, da es den Don Juan wie moralisch an sein Beginnen mahnt – schlimm ist's freilich und schön, dass Leporello hinter den Gebüschen lauscht, lacht und spottet, und dass Oboen und Klarinetten zauberisch locken und herausquellen, und dass das aufgeblühte B-dur den ersten Kuss der Liebe recht bezeichnet. Das ist nun aber alles nichts gegen den letzten Satz – hast du noch Wein, Julius? – das ist das ganze Finale im Mozart – lauter springende Champagnerstöpsel, klirrende Flaschen. Leporellos Stimme dazwischen, dann die fassenden, haschenden Geister, der entrinnende Don Juan – und dann der Schluss, der schön beruhigt und wirklich abschliesst.‹ Er habe, so beschloss Florestan, nur in der Schweiz eine ähnliche Empfindung gehabt, wie bei diesem Schluss. Wenn nämlich an schönen Tagen die Abendsonne bis an die höchsten Bergspitzen höher und höher hinaufklimme und endlich der letzte Strahl verschwinde, so trete ein Moment ein, als sähe man die weissen Alpenriesen die Augen zudrücken. Man fühlt nur, dass man eine himmlische Erscheinung gehabt. ›Nun erwache aber auch du zu neuen Träumen, Julius, und schlafe!‹ – ›Herzens-Florestan,‹ erwiderte ich, ›diese Privatgefühle sind vielleicht zu loben, obgleich sie etwas subjektiv sind; aber so wenig Absicht Chopin seinem Genius abzulauschen braucht, so beug' ich doch auch mein Haupt solchem Genius, solchem Streben, solcher Meisterschaft.‹ Hierauf entschliefen wir. –«

In dem nämlichen Heft zugleich mit Schumanns Artikel erschien noch eine ziemlich absprechende Kritik eines »alten Musikers«. Gegen Schumanns Hymnus halte man die vernichtende Kritik des Berliners Rellstab in der Iris; Wiecks lobende, aber etwas nüchterne Besprechung erschien im Jahre 1832 in der Caecilia. Es existiert ein Schauspiel »Gold« von Arthur Stahl mit »Musik von Chopin« (Leipzig, Otto Wigand, 1866 gedruckt). Es handelt sich dabei nicht, wie der Titel wohl glauben machen soll, um eine Schauspielmusik von Chopin; einige Teile des op. 1, für Orchester gesetzt, werden als Märsche und Aufzugsmusik benutzt. Sieht man das Stück weder mit Schumanns, noch mit Rellstabs Augen an, so erscheint es als eine überaus originelle und fantasievolle Improvisation über das Mozartsche Thema. Die Fülle der geistreichsten Verzierungen und Arabesken, überraschend neuer und glänzender Passagen allein zeigt einen Kenner sans comparaison der Klaviatur an. Man darf nicht an Beethovensche Variationenkunst bei diesem Stück denken, eher an Mozarts mehr ornamentale Art des Variierens. Was man immer auch einwenden dürfte: das Werk bleibt eine erstaunliche Talentprobe des 18jährigen Komponisten.

Die »Grande Fantaisie sur des airs polonais« op. 13 und der »Krakowiak«, Grand Rondo de Concert op. 14, beide mit Orchesterbegleitung, sind sehr nahe verwandt. Das national-polnische Element kommt in ihnen kunstloser zum Ausdruck als in den späteren Mazurkas und Polonaisen. So sehr man auch in ihnen reizende Züge in Fülle findet, als Ganzes fehlt ihnen die künstlerische Form, sind sie zu locker gefügt, zu viel mit Passagenwerk angefüllt. op. 13 scheint Chopin später als eine Art Schöpfquelle benutzt zu haben. Es finden sich darin eine Anzahl Keime, die in späteren Meisterkompositionen mit unendlich grösserer Kunst ausgestaltet sind. So klingen Teile der Berceuse unverkennbar an Stellen der Introduktion an, auch an die erste Variation der andantino Melodie: »Júz miesiac zaszedl«. Das Presto nach dem Allegretto »thème de Charles Kurpinski« enthält ein Motiv, das in den Préludes No. 16 und 18 verwendet wird, im Molto più mosso vor dem Kujawiak ist das Motiv der C-moll-Etüde (op. 25 No. 12) deutlich erkennbar. Die Komposition besteht aus einer langsamen Einleitung, daran anschliessend Fantasie über ein polnisches Lied »Júz miesiac zaszedl«, darauf über Kurpinskis Motiv und schliesst mit einem feurigen Kujawiak. Die einzelnen Abschnitte sind in ziemlich äusserlicher Weise aneinander gereiht. Am wertvollsten ist die Einleitung und der Kujawiak. op. 14: langsame Einleitung, darauf ein Kujawiak in Rondoform sehr weitläufig ausgeführt, interessiert musikalisch noch weniger als op. 13.

Noten

Polnisches Lied von Chopin. Facsimile.

Auf die »Introduction et Polonaise brillante pour piano et violoncelle« (op. 3) passt Chopins eigenes Urteil in einem Brief, sie sei nicht mehr als ein brillantes Salonstück. Die Polonaise wurde 1829 in Antonin geschrieben, kurz darauf die langsame Einleitung hinzugefügt.

Sehr viel höher steht das Rondo à la Mazur (op. 5), gewidmet der Comtesse Alexandrine de Moriolles. Für Mariolka, die seinem Herzen nahe stand, mag Chopin schon etwas gutes ausgesucht haben.

.

Jugendbildnis Chopin's. (Nach einem Oelgemälde von Miroszewski.)

Wie verschieden ist der leichte, durchsichtige, klangvolle Satz von der schülerhaften Schwerfälligkeit des op. 4! Die Vortragsbezeichnungen Chopins geben einen Begriff vom Charakter des Stückes. Vivace, pp, leggiermente beginnt es, scherzando setzt das Nebenthema ein, tranquillamente e cantabile das zweite Mazur-Motiv in B-dur, doch fehlt in der Entwicklung nicht ein Takt dolentemento und ein appassionatamento. Im letzten Teil geht es f sehr lebendig zu, doch unversehens tritt wieder p ein und sempre più piano bis zum ppp. Eine glänzende Passage f bis fff, bringt das Stück zu Ende.

Niecks urteilt treffend darüber: »Wer würde Chopin nicht wiedererkennen an dem unbeschreiblich süssen, einschmeichelnden Fluss der Töne, den schlangenartigen Windungen der melodischen Linie, den breit auseinandergelegten Akkorden, den chromatischen Fortschreitungen, an der Art, wie er die Harmonien in ihre Bestandteile zerlegt und diese miteinander verkettet.«

Das Trio op. 8 ist das einzige Kammermusikwerk Chopins geblieben, abgesehen von der Cello-Sonate op. 65. Es ist zwar als Trio mit den Stücken seiner Art von Beethoven und Schubert nicht zu vergleichen, ist aber nichtsdestoweniger als Arbeit eines achtzehnjährigen Jünglings sehr bemerkenswert und dürfte sich auch jetzt noch gelegentlich hören lassen. Der schwächste Satz ist das ziemlich konventionelle Adagio. Im ersten Satz finden sich immerhin einige Stellen, die sofort in die Augen springen, so z.B. die zweite Hälfte der Durchführung. Das Scherzo ist durchwegs sehr graziös, in der Linienführung elegant. Das Finale ist ein brillantes Rondo. Der Violinpart ist zwar leicht, aber ziemlich undankbar geschrieben. Chopin scheint das Instrument nicht gut gekannt zu haben, und hielt sich ängstlich beim einfachsten. Die Chopinsche Phantasie ist hier erheblich eingedämmt. Schumanns übertrieben enthusiastische Besprechung des Trios ist nur dann verständlich, wenn man an den damaligen Tiefstand der Kammermusik denkt. Das Werk wurde 1828 und 29 geschrieben. Es ist dem Fürsten Radziwill gewidmet.

Die »17 chants polonais« (op. 74) sind die einzige Vokalmusik, die von Chopin bekannt geworden ist. Chopin hatte im Laufe der Jahre eine beträchtliche Anzahl von polnischen Liedern geschrieben. Viele davon sind verloren gegangen. In der Korrespondenz finden sich mehrfach Hindeutungen auf unbekannte Lieder. Aus den Briefen der Miss Stirling (von Karlowicz veröffentlicht) ist ersichtlich, dass nach Chopins Tode eine Anzahl Chopinscher Melodien im Besitze von Chopins Freunden Franchomme und wahrscheinlich auch Grzymala waren. Jedoch fehlte den meisten die Klavierbegleitung. Ins Album der Gräfin Potocka soll Chopin auch Lieder geschrieben haben. Die Lieder des op. 74, von Fontana aus dem Nachlass herausgegeben, sind auf Texte von Witwicki, Zaleski und Mickiewicz komponiert. Der Dichter des Liedes No. 9 ist nicht genannt. Eine deutsche Bearbeitung von Ferd. Gumbert ist bei Schlesinger in Berlin erschienen.

Ein beträchtlicher Teil der Lieder geht noch in die Warschauer Zeit zurück. Der Verkehr mit den Litteraten legte es nahe, dass Chopin zu ihren Gedichten Musik machte. Aus der Zeit 1829-1831 stammen sicher: No. 1, 4, 5, 6, 10. Einige sollen in Wien entstanden sein, nämlich No. 3, 7, 15, 16. Ueber die polnischen Lieder siehe Hoesick S. 856 ff. In einigen Ausgaben finden sich nur 16, in anderen 17 Lieder. Das 17. ist das sogenannte Polenlied, in seiner dumpfen Monotonie eins der eindruckvollsten Lieder der Sammlung. Woher es stammt, wann und von wem es der Sammlung einverleibt wurde, ist mir unbekannt, daher erwähne ich es erst jetzt im Anhang. Die deutsche Uebersetzung der Texte von Gumbert ist nicht sehr wortgetreu. Von dem lithauischen Lied wenigstens findet man eine genauere Uebersetzung (von Kalbeck) in den neuen Ausgaben der Lieder, Edition Peters.

Fast alle Lieder sind Strophenlieder mit ganz einfacher Begleitung, volkstümlich im Ton. Einige darunter bieten kaum etwas besonders bemerkenswertes; um No. 6, 7, 8, 12 z.B. zu erfinden, war nicht gerade ein Chopin von Nöten. Der Tanz-Rythmus spielt hier eine wichtige Rolle. Eine Anzahl der Lieder sind gesungene Mazurkas. Als die besten erscheinen:

No. 2. Ein zartes Frühlingslied; merkwürdigerweise vorwiegend in Moll, eine Schalmeienmelodie über einem sich immer wiederholenden Bass. Von schöner Lokalfarbe die übermässige Quarte E anstatt Es bei der Wendung nach B-dur.

No. 3. »Trübe Wellen« mit dreitaktigen (anstatt wie gewöhnlich viertaktigen) Perioden.

No. 4. Die »Hulanka« des Witwicki, ein ausgelassenes Trinklied.

No. 9. »Eine Melodie«. Weniger volkstümlich; durch harmonische Feinheiten auffallend; in der Art eines arioso-Recitativs. Anfang in G-dur, Schluss in C-moll, in der Mitte starke Ausweichungen E, As, Des-dur, Des-moll.

No. 10. »Reitersmann vor der Schlacht«, mit kunstvoll durchgeführter, tonmalarischer Begleitung. Trompetensignale hört man, das Stampfen des Rosses; von besonderer Wirkung der Schluss: Unerwarteter Uebergang von F-moll nach F-dur bei den Worten »Nun in Gottes Namen, auf zu Kampf und Glück«, und darauf sehr wirksame Ueberleitung nach As-dur. Im Nachspiel sieht man den Reiter mit verhängten Zügeln davonsprengen.

No. 14. »Das Ringlein«. Im langsamen Mazur-Rythmus. Mit geringeren Mitteln als hier verwendet sind, kann man wohl kaum künstlerische Wirkung erzielen. Der Umfang der Melodie geht nicht über eine Septime hinaus, dazu wird noch die nämliche Phrase mehreremal hintereinander wiederholt.

No. 15. »Die Heimkehr« (eigentlich »Der Bräutigam«). Das Brausen des Sturmes wird in Vor- und Zwischenspielen einfach aber wirksam geschildert. Offenbar mit Gedanken an Constantia geschrieben.

No. 16. »Lithauisches Lied«. Vielleicht das wertvollste Lied der ganzen Sammlung. Schön in der Melodie, wirksam im Aufbau, teilweise dialogartig.

Einen entschieden höheren Aufschwung, als in allen genannten Stücken nimmt Chopin in den beiden Konzerten. Sie gehören jedoch, wie alle grösseren Werke, in denen Chopin das Orchester hinzugezogen hat, zu den weniger gut gelungenen. Einmal war es ihm nicht gegeben, sich in grossen symphonischen Formen natürlich zu bewegen, und dann hatte er für die Funktionen des Orchesters wenig Verständnis. Sein Orchestersatz ist sogar dermassen ungeschickt, dass die Begleitungen zu den Konzerten von Klindworth, Tausig u. a. ganz neu instrumentiert worden sind und jetzt fast nie in ihrer ursprünglichen Fassung gespielt werden. Nichtsdestoweniger enthalten die Konzerte im Einzelnen Gedanken von hinreissender Schönheit, finden sich auch in ihnen nach Liszts Ausdruck »des morceaux d'une surprenante grandeur«, konnte Schumann ausrufen: »Was ist ein ganzer Jahrgang einer musikalischen Zeitung gegen ein Konzert von Chopin? Was zehn Redaktionskronen gegen ein adagio im zweiten Konzert?«

In den Konzerten ist das Klavier bei Chopin wie bei Hummel und Field durchaus die Hauptsache. Das Orchester spielt daneben eine untergeordnete Rolle. Nur zu Anfang und in der Mitte des Satzes sind ihm längere Tutti-Stellen zuerteilt. Von einer symphonischen Gegenüberstellung des Orchesters und Klaviers im Beethovenschen Sinne kann hier kaum die Rede sein. Besonders die sogenannten Durchführungsteile sind inhaltlich ziemlich dürftig; sie bestehen aus langen Passagenreihen des Klaviers gegen eine ziemlich uninteressante Verarbeitung der Hauptmotive im Orchester. Sie sind äusserlich hineingeflickt, nicht wie bei Beethoven eine Krönung des architektonischen Aufbaues. Der wesentliche Inhalt der ersten Sätze in Chopins Konzerten beschränkt sich auf das zweite Viertel des Satzes. Vom Eintritt des Klaviers nach dem ersten Orchestertutti bis zum zweiten Tutti vor der Durchführung möge man aufhorchen: da singt und klingt es, da lockt und schmeichelt es in holden Tönen.

Die Anlage der ersten Sätze ist in beiden Konzerten eine auffallend gleichartige: Nach dem Abschluss des langen Orchestertutti tritt das Klavier mit einer energischen Intrada ein, die nach 16 (resp. 12 Takten im 2. Konzert) sich besänftigend zum Hauptthema neigt: in beiden Fällen einer gedehnten, weichen Kantilene. Das Seitenthema, durch prächtig klingende Passagen eingeleitet, ist wiederum eine Kantilene. Beethoven legt seine Sonatensätze in der Regel anders an: er setzt Hauptthema und Seitensatz in viel schärferen Kontrast, lässt etwa das erste Thema mehr rythmisch, das zweite mehr melodisch interessant erscheinen. Chopin bringt eigentlich nur zwei zweite Themata und verliert an Plastik des Aufbaus erheblich. Freilich sind die vier Kantilenen Chopins dafür von einer berückenden Schönheit, so dass man sich willig ihrem Zauber hingibt und an dem Mangel der Konstruktion weniger Anstoss nimmt. Der zweite Satz des E-moll-Konzerts, die Romanze, ist von echt Chopinscher Süsse. In einem Brief an Wojciechowski (17. April 1830) schreibt Chopin darüber: »Das Adagio ist in E-dur, in romantischer, ruhiger, teilweise melancholischer Stimmung gehalten. Es soll den Eindruck machen, als ob der Blick auf einer liebgewordenen Landschaft ruht, die schöne Erinnerungen in unserer Seele wachruft, z. B. in einer schönen, vom Mond durchleuchteten Frühlingsnacht.« Bei den Wiederholungen des Themas beachte man die immer reichere Verzierung; von besonders schöner Klangwirkung ist der letzte Teil, vom Wiedereintritt des E-dur nach dem As-dur-Teil in der Mitte: ein feines Gespinnst glitzernder Fäden wird über die Melodie geworfen, die jetzt im Orchester erscheint. Man vergleiche die Ornamentik dieses Teils mit gewissen Partien aus Liszts Transkription des Wagnerschen Spinnerliedes, die auffallend ähnlich sind. Der Schlusssatz ist ein weit ausgeführtes Rondo. Hier kommt zum erstenmal im ganzen Konzert die Rhythmik zu vollem Recht. Die Hauptthemata sind im Charakter scharf von einander geschieden. Ueberaus graziös und elastisch setzt das erste scherzando-Motiv ein. Ungemein pikant ist das zweite Hauptthema mit seinen merkwürdig verschobenen Accenten, seiner Verkürzung (6 Takte anstatt 8): Das reizvollste Spiel wird im Verlauf des Satzes mit ihm getrieben. Bald erscheint es piano, dann anders phrasiert forte, oder dolcissimo. Der ganze Satz ist von lachendem Frohsinn erfüllt.

.

Das zweite Konzert in F-moll (der Enstehung nach das frühere) ist dem ersten inhaltlich noch überlegen. Sein erster Satz ist thematisch dem des ersten zum mindesten gleich, aber weniger weitschweifig, in der Konstruktion ihm vorzuziehen. Der zweite Satz, Larghetto, ist eins der Stücke von »surprenante grandeur«, von denen Liszt spricht. Constantia Gladkowska inspirierte das Stück: »In Gedanken bei diesem holden Wesen komponierte ich das Adagio in meinem neuen Konzerte und heute früh den Walzer, den ich Dir mitschicke.« Karasowski bezieht diese Stelle fälschlich auf den langsamen Satz des E-moll-Konzerts. Der Brief ist datiert: 3. Oktober 1829, die Komposition des E-moll-Konzerts fällt jedoch erst in das Jahr 1830. Chopin schätzte seine Konzerte bis in die letzten Lebensjahre hinein sehr hoch. Lenz gibt darüber interessante Mitteilungen in einem Artikel der »Berliner Musikzeitung« (Band XXVI). Der kleine Filtsch, einer der begabtesten Schüler Chopin's, spielte zu Anfang der vierziger Jahre das E-moll-Konzert zur grossen Zufriedenheit seines Meisters. Während des Studiums durfte der Schüler immer nur ein Solo vorspielen, da Chopin meinte, der ganze Inhalt des Werkes stecke in jedem einzelnen Solo, und da er ausserdem von seinem eigenen Werk zu stark ergriffen wurde, um viel davon zu hören. Als Filtsch den ersten Satz stückweise gründlich studiert hatte, durfte er ihn endlich im ganzen spielen, und für Chopin war dies ein Ereignis. Lenz berichtet von einer feierlichen Szene: George Sand und die bevorzugtesten Schülerinnen Chopins waren geladen. Chopin war tief ergriffen und spielte auf dem zweiten Klavier hinreissend schön. Als der Vortrag beendet war, verabschiedete sich Chopin schnell von den Damen und ging mit Filtsch, dessen älteren Bruder und Lenz in Schlesinger's Musikalienhandlung. Dort schenkte er dem kleinen Filtsch die Partitur von Beethovens Fidelio und schrieb als Widmung das folgende hinein: »Ich bin in Deiner Schuld, Du hast mir heute eine grosse Freude bereitet. In glücklicheren Tagen schrieb ich das Konzert. Empfange, mein lieber junger Freund, dies grosse Meisterwerk. Lies darin so lange Du lebst und denke auch manchmal an mich.« Manches mag Chopin in diese Stücke hineingeheimnist haben, wie die folgende Stelle dieses Briefes an Wojciechowski beweist: »Schenke der mit † bezeichneten Stelle Deine Aufmerksamkeit, davon weiss niemand ausser Dir«, und: »Wie glücklich würde ich sein, wenn ich Dir meine neuesten Kompositionen vorspielen könnte, mein Teurer«. Liszt berichtet, das Chopin für dies Stück immer eine besondere Liebe gehabt habe; Schumanns Ausspruch darüber ist schon zitiert worden. In der Tat ist dieser Satz von einer Poesie, die nicht nur weit über das hinausgeht, was Chopin vorher gelungen war, sondern auch über alles, was er bis in die dreissiger Jahre hinein schuf, einige Etüden ausgenommen. Man erinnere sich bei diesem Stück der Briefstellen, wo Chopin von seiner heimlichen Liebe spricht: Die aus der Höhe herabschwebende Hauptmelodie mit ihren zarten Konturen, ihrer wunderbaren Innigkeit, den ekstatischen Trillerketten, den köstlichen Auszierungen bei der Wiederholung, und dann wieder die dumpf grollenden, sich schmerzvoll aufbäumenden Oktavengänge im Mittelsatz, der mächtige Aufschwung in der Mitte, die prachtvolle Rückleitung des ersten Themas, wie Balsam auf Wunden geträufelt – hier ist ein Stück intensiven Lebens künstlerisch vollendet gestaltet.

Das Rondo ist an Grazie, an Rundung der Konturen und köstlichen Wohllaut dem Rondo des E-moll-Konzertes noch voran. Liebliche Bilder gaukelt es vor. »Semplice ma grazioso« beginnt ein karessierendes Thema. Als zweites Hauptthema ist eine entzückende As-dur-Mazurka mitten hineingeschoben. Gegen den Schluss hin hebt es sich schwungvoll und feurig. Nicht wild, aber in jauchzender Freude schliesst das Stück.

.

Chopin-Gedenkstein in Reinerz.


 << zurück weiter >>