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Einleitung.

. Die folgende Erzählung ist eine verkürzte Wiedergabe einer altnordischen Sage, welche im Anfang des zwölften Jahrhunderts, also etwa hundert Jahre, nachdem die erzählten Ereignisse sich zugetragen haben, niedergeschrieben zu sein scheint, wer sie aber niedergeschrieben und ihr ihre jetzige Gestalt gegeben hat, davon wissen wir ebensowenig wie überhaupt von den Verfassern der übrigen altnordischen Sagen, die wir kennen. Die Hauptbegebenheiten der Sage sind historisch zuverlässig; die Worte aber, sowie alles andere, was zur Einkleidung der Vorgänge gehört, müssen mehr oder weniger Dichtung sein. Dagegen kann natürlich kein Zweifel darüber herrschen, daß das ganze Bild, welches sie uns von der Denk- und Lebensweise des nordischen Alterthums entwirft, der Wirklichkeit entspricht. Gerade in dieser Hinsicht ist die erzählte Sage für uns eine der wichtigsten. Für die, welche das Rechtswesen und den Tingbrauch jener Zeit kennen lernen wollen, enthält sie reichere Gelegenheit zur Belehrung, als die meisten anderen Sagen. Aber da die ausführlichen Schilderungen, welche sie uns hiervon bringt, den gewöhnlichen Leser leicht ermüden, so sind diese Theile der Sage in der vorliegenden Wiedergabe am kürzesten behandelt. Dagegen ist in der Übertragung alles wiedererzählt, was ein vollständiges und lebendiges Bild des ganzen Lebens in jener Epoche giebt, die uns durch die Sage geschildert wird.

Die Männer, die uns dies Lebensbild vor Augen führt, gehören zu dem mächtigen Herrenstande des Nordens, den Bauern, hinter welchen die ganze, große Bevölkerung von abhängigen Leuten, Hintersassen oder Pächtern und Sklaven, stand, Für diese Bauern war Freiheit und Selbständigkeit des Lebens köstlichstes Gut, Ehre, Ruhm und Ansehen dessen höchstes Ziel. Deshalb war Gut und Eigenthum eine wichtige Sache für sie; es war das gewaltige Mittel, das ihnen half, sowohl Männer genug zu unterhalten, um die Freiheit zu wahren und zu wehren, als auch sich überhaupt mit dem Glanze zu umgeben, welchen eine selbständige Stellung erforderte, wichtiger aber als Gut und Reichthum war nur Muth und Kühnheit, mannhafte Kraft und Tüchtigkeit; diese Eigenschaften waren für sie die ureigentliche Quelle des Ansehens und der Ehre. Dieselben halfen ihnen Gut und Ruhm zu gewinnen auf ihren Vikingerzügen Vikingerzüge = Seeräuberzüge. und ermöglichten es, jeden zu züchtigen, der ihrer Ehre zu nahe treten wollte, sowie schwere Rache an dem zu nehmen, der sich dazu erkühnt hatte. Diese Eigenschaften sind es, welche Gunnar zum trefflichsten Manne feiner Zeit machen; sie sind die Quelle des Ansehens, dessen er sich erfreut, sowie der Mißgunst, die ihn verfolgt. Aber Nial ist gleichfalls ein hochangesehener Mann; das wird er durch seine Klugheit; denn diese ist eben so unentbehrlich wie die Kraft für den, welcher seine Selbständigkeit bewahren will; ohne sie kann niemand sich eine angesehene Stellung sichern in einer Gemeinschaft, wo alle gleich hoch stehen und gleiche Macht besitzen. Die Klugheit ist die Quelle der Sittenlehre bei den heidnischen Bewohnern des Nordens; sie macht es ihnen zur heiligen Pflicht, Wort und Eid getreu zu halten und dem Gesetze des Landes und dem Urtheil des Gerichts zu gehorchen. Da Gunnar sich einer Gesetzesverletzung schuldig macht, muß er fallen. Er verletzte aber auch das Gesetz gegen Nial's Rath. Die Kraft nützt nichts ohne Klugheit, aber eben so wenig nützt Klugheit ohne Kraft. Das ersehen wir aus Nial's Geschick. So lange er und Gunnar durch unerschütterliche Freundschaft verbunden bleiben, sind sie eine Macht, die niemand überwinden kann. Wie aber Gunnar fällt, weil er nicht mehr Nial's klugen Rathschlägen folgt, so fällt auch Nial, weil ihm Gunnar's kräftiger Freundesarm fehlt. Ehe wir indessen auf die Begebenheiten näher eingehen, die mit Nial's Fall endigen, müssen wir eine Macht berücksichtigen, welche die eigentliche Triebfeder in der ganzen Entwickelung der Begebenheiten, durch die uns die Sage hindurchführt, bildet, und die recht eigentlich zuerst Gunnar und dann Nial zu Falle bringt.

Dort, wo die Ehre des Lebens höchstes Ziel, Freiheit und Selbständigkeit sein theuerstes Kleinod ist, dort wird die Rache zur ersten Forderung des Lebens an den Mann. Sowie fremde Gewalt oder List einen Eingriff gethan hat in seine Macht und sein Eigenthum, muß er sofort Sühne für den erlittenen Schaden suchen, und diese findet er, indem er Wiedervergeltung übt und Rache nimmt. Und wie der heidnische Nordländer selbst es für seine erste Pflicht ansieht, durch Vollziehung der Rache Freiheit und Ehre zu wahren, ebenso sieht er eine rächende Wiedervergeltung durch die Kette der Begebenheiten walten. Es ist ein unwandelbares Geschick, welches die Ereignisse mit eiserner Hand leitet, und diese Macht fordert Sühne und Vergeltung, wo Unrecht geübt ist. Unsere Erzählung zeigt zuerst ein unscheinbares Samenkorn; dieses keimt aber und wird zur sprossenden Pflanze. Nachdem der erste Anstoß gegeben ist, durch welchen jene Macht der Vergeltung in Thätigkeit tritt, folgen die Begebenheiten Schlag auf Schlag und jeder Schritt vorwärts verleiht dem Bösen mehr und mehr Macht, macht die Forderung der Sühne lauter und gewaltiger. Rut's Ehe mit Unne ist nicht glücklich. Indessen ladet er dadurch in den Augen des Nordländers keine Schuld auf sich, denn er befindet sich im Banne eines Zaubers. Freilich hat er um des Geldes willen sich in Gunhilde's Macht gegeben, aber dieses Verhältniß stand für den heidnischen Nordländer in einem anderen Lichte als für die christliche Anschauung. Dagegen ist Mörd's Verfahren, um die Scheidung zu Wege zu bringen, zwar gesetzlich, aber nicht ehrenhaft, und eben so wenig ist es ehrenhaft von Rut gehandelt, daß er die Mitgift Unne's zurückbehalten will. Aber Gunnar begegnet ihm mit List und zwingt ihn, sie aus den Händen zu geben, und Nial lehrt Gunnar die List, welche er anwendet. So laden alle Theile Schuld auf sich, die Nothwendigkeit der Sühne tritt ein und der Gang der Begebenheiten übt nun das Werk der Vergeltung. Die Rache kommt über Gunnar, aber sie gewährt Rut keine Genugthuung, denn seine verwandte Halgjerde ist es, welche die Rache vollbringt, und sie ist kein unschuldiges Werkzeug in der Hand des Schicksals. Sodann wird die Tochter Halgjerde's, Thorgjerde, mit Thraen verheiratet und Mutter des Höskuld, und diese beiden Männer fördern jeder auf seine Weise die Vergeltung an Nial. So kommt durch das Geschlecht, welches Unrecht erlitten hat, die Rache über die, welche es verübten, und das Uebermaß der Ungerechtigkeit wird gerade das wirksamste Mittel, um die Vergeltung zu vollziehen. Denn Unne's Reichthum wird Veranlassung zu ihrer Ehe mit dem falschen Valgard, und die Frucht dieser Ehe wird Mord.

Diese Macht der Vergeltung nun, auf die wir hingewiesen haben, ist es, gegen welche Nial zuletzt zu kämpfen hat. Ihr gegenüber nützt ihm seine Klugheit nichts, denn ihm geht jegliche Kraft zu mannhafter That ab; er ist ja auch bartlos. Wohl hat er starke Söhne, aber in ihnen hat er keinen Rückhalt, denn ihrer Kraft fehlt Besonnenheit, ohne welche die Kraft zur Unbändigkeit und Wildheit wird, so daß sie in ihrer Unlenksamkeit eben so gut bösen wie guten Mächten dient. Die Besonnenheit allein bewirkt, daß die Kraft sich durch Klugheit leiten läßt, aber Nial's Söhne geben zu keiner Zeit der Klugheit ihres Vaters Gehör. So geschieht es, daß sie selbst mit seinen Feinden Hand in Hand gehen und sich in ihrer Blindheit dazu gebrauchen lassen, deren Zwecke zu fördern. Nun wird Nial's ganze Klugheit machtlos, ja seine besten Rathschläge dienen sogar dazu, seinen eignen und seines Hauses Untergang zu beschleunigen. Er sieht die Gefahr, die ihm und seinem Hause droht, denn seine Klugheit ist so groß, daß er die Zukunft voraus schaut. Er weiß, daß nach Gunnar's Tode der Unfriede ihn und sein Haus zerrütten wird, und ihm bleibt keine Zeit, den Schritt seiner Söhne zu hindern, durch welchen sie den Unfrieden wieder wecken. So wird denn Thraen getödtet, worin Nial das erste Zeichen sieht, das; die Dinge den Verlauf nehmen werden, den er erwartet hat. Jetzt sucht er den verheerenden Strom einzudämmen; er übernimmt die Erziehung von Thraen's Sohn und gewinnt dessen ganze Liebe, und um die Stütze, die er sich in ihm und seinem Geschlecht zu erziehen sucht, genügend zu verstärken, setzt er sogar eine Veränderung des Landesgesetzes durch und zwar mittelst eines Verfahrens, das eher hinterlistig als klug und schlau genannt werden muß: aber Höskuld fällt doch, und die Gefahr wird nur drohender. Indessen erreicht Nial ein scheinbares Abwenden der Gefahr: Flose willigt in einen Vergleich. Da wird aus dem Ting durch Nial's eigne Schuld alles zerstört. Schließlich nahen sich die Feinde seinem Hofe, bereit, jedes Mittel anzuwenden, um ihn und seine Söhne aus der Welt zu schaffen, und nun ist es gerade ein Rath Nial's, der ihnen den Sieg in die Hände spielt.

Doch die Nialssage endigt nicht mit dem Tode des Helden. Die Blutrache will ihr Recht haben. Die Wichtigkeit und Nothwendigkeit der Rache für den heidnischen Nordländer ist oben nachgewiesen und unsere Sage giebt im großen wie im kleinen vielfach Zeugniß davon. Jeder Angriff aus die Ehre eines Mannes fordert Rache. Eine Schmähung muß gerächt werden, ein Spottlied erst recht, welches von Mund zu Mund geht und die Schmach weit im Lande verbreitet. Vor allem aber verlangt ein Todtschlag blutige Sühne. Mit der Ehre des einzelnen Mannes ist der Ruhm des Geschlechts unauflöslich verknüpft und das Ansehen und die Macht desselben wird verringert, wenn ein Todtschlag eins seiner Glieder dahinrafft, vor dem Gesetze kann Geld die Tödtung eines Mannes büßen, aber der öffentlichen Meinung genügt Geldbuße nicht; sie achtet es für schimpflich »des Vetters Leben im Geldbeutel zu tragen«; sie heischt Blutrache. Diese Blutrache ruft im ganzen Verlauf der Sage jede einzelne der Begebenheiten hervor, durch welche die Erzählung weiter und weiter fortschreitet. Bevor also Nial nicht gerächt wurde, ist seine Sage nicht zu Ende, es folgt noch eine Menge von blutigen Thaten.

Aber das Heidentum und seine Vergötterung der Ehre herrscht nicht mehr mit seiner Eisenhand über jenem Geschlechte. Eine andere Macht ist auf den Plan getreten und führt einen anderen Geist mit sich. Es ist das Christenthum. Schon spüren wir seine Macht unter den Vorbereitungen zu Nial's Tod. Schon schaudert Flose davor zurück, die Blutrache in ihrer schlimmsten Gestalt, im Mordbrande zu üben, weil er als Christ dadurch schwere Schuld auf sich ladet. Indessen ist er noch zu sehr Heide, um sich vor dem neuen Glauben zu beugen und seine Rache aufzugeben. Das Christenthum bewirkt auch Nial's Verherrlichung im Tode. In der Todesstunde befiehlt er seine Seele in Gottes Hand und sein Aussehen nach dem Tode erscheint allen als ein Wunder. Jedoch in den nachfolgenden Begebenheiten kämpfen Heidenthum und Christenthum erst recht ernstlich mit einander. Flose hat früher gezeigt, wie hochfahrend und übermüthig er sein konnte, wenn es galt seine Widersacher zu reizen; jetzt rühmt er sich niemals seiner That und zeigt sich stets willig zum Vergleich. Aber der Friede kommt nicht so leicht zu Stande, denn Fetus der früheren Mittel vermag ihn jetzt zu Wege zu bringen, vor dem Gericht muß Mörd seine ganze Schlauheit aufwenden, um wieder gut zu machen, was er böse gemacht hatte. Diese Demüthigung wird ihm zur Strafe für seine Hinterlist und zwar ist es eine Strafe anderer Art, als die Vergeltung des Heidenthums. Lange scheint es, als solle sein Vorhaben glücken, zuletzt aber geht es fehl, denn ein Sieg, durch ihn errungen, wäre kein reiner Sieg gewesen. Der Weg zu einem guten Ende kann auch nicht durch das Gericht gehen, denn dies ruht selbst auf wankendem Grunde; das Fünftegericht, dem die Sache schließlich übertragen wird, ist ja die Frucht eines listigen Rathes von Nial. Jetzt bewirken die verwickelten Bestimmungen desselben, daß die Männer, die wegen Nial's Tödtung Klage erhoben hatten, den kürzeren ziehen. Dadurch aber zeigt es sich, daß der gesetzliche Weg nicht ausreichend ist, um die Schrecken der Blutrache abzuwenden. Es kommt sogar zu blutigem Kampf auf dem Tingfelde Selbst. Erst als beide Parteien des Blutvergießens und des Streites müde sind, erst da kommt ein Vergleich zu Stande – indessen doch nur zum Theil. In der Brust Kaares, des Schwagers und treuen Genossen der Nialsöhne bei allen ihren wilden Rachethaten, lebt noch zu sehr der alte heidnische Geist; das Werk der Rache geht noch eine Weile seinen Gang; ihre Opfer fallen zahlreich im Inlande und im Auslande und was Manneshand nicht vollbringt, das vollbringt das Schicksal selber, denn zwölf der Mordbrenner fallen in der Brianschlacht. Zuletzt bleibt denn nur noch Flose übrig als der einzige von ihnen, welchem wir besonders durch das Leben folgen. Nun aber greift das Christenthum ein, denn nur dieses vermag den wilden Geist der Blutrache zu fesseln. Seinem Gebote gehorchend und dem Geiste jenes Zeitalters gemäß machen sowohl Flose wie auch der Bluträcher Kaare eine Wallfahrt nach Rom, um Vergebung ihrer Sünden zu empfangen. Als sie sich darauf wieder auf Island begegnen, da zeigen beide, daß nunmehr ein anderer Geist bei ihnen eingezogen ist. Eine Versöhnung kommt zu Stande, welche durch die Ehe Kaare's mit Hildegunne besiegelt wird. Das Weib, welches am heftigsten Blutrache forderte, heiratet nun den Mann, der früher das Ziel ihrer heißen Rachsucht war.

Ich habe nicht unterlassen wollen, zu zeigen, wie des Nordländers Anschauung vom Leben, dessen Verlauf und dessen Forderungen in den Hauptereignissen der Nialsage zu Tage treten. Jedermann wird dann auch aus den unbedeutenderen Zügen der Sage ohne Schwierigkeit dieselbe Lebensanschauung hervorleuchten sehen. Zum Schluß habe ich noch zu bemerken, daß die Zeitangaben, so wie ich sie in der Uebersicht hinzugefügt habe, hauptsächlich auf p. A. Munch's Angaben in seiner Schrift: »Geschichte des norwegischen Volkes« beruhen.

Odense, im Oktober 1863.

H. H. Lefolii.


 


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