Joseph von Lauff
Die Brixiade
Joseph von Lauff

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Die achte Flasche

              Und es schlug eins . . . Die Geisterstunde
War hiermit eigentlich vorbei;
Doch in der braven Tafelrunde
Begann erst recht die Spukerei.
Denn das Geschnalze nahm kein Ende,
Es wuchs sich aus auf Schritt und Tritt;
Es schnalzten Nase, Mund und Hände,
Die ganze Laube schnalzte mit.
Und nur der Doktor vor der Flasche,
Obgleich er selbst, vom Wahn umspielt,
Den Schlüssel in der Hosentasche
So halber für verzaubert hielt,
Obgleich das Blut ihm stärker wallte,
Sein Blick schon falsche Richtung nahm
Und was er sprach und was er lallte,
Bedenklich aus dem Senkel kam,
Noch einmal riß er sich zusammen
Und, eingedenk der eignen Zunft,
Goß er auf die verzückten Flammen
Das klare Wasser der Vernunft.
Wie folgt ließ er die Worte rinnen:
»Bei meinem goldbeknopften Stab,
Bei allen fünf gesunden Sinnen
Und bei dem heil'gen Äskulap –
Sind wir betört, sind wir utopisch,
Will alles um und um sich drehn,
Und läßt uns hier kaleidoskopisch
Ein Narr das eigne Leben sehn?!
Des Hermes Trismegystos Siegel
Hat unsern Geist doch nicht entrückt,
Und auch kein ausgehöhlter Spiegel
Macht unser Aussehn so verrückt!
Man glaubt doch nicht an alte Zöpfe!
An Swedenborg wahrhaftig nicht!
Uns leuchten doch, als klare Köpfe,
Der Geist, die Wahrheit und das Licht!
Ihr freilich folgt dem Schwindelsterne,
Ihr setzt die Narrheit auf den Thron;
Ich aber bin auf Meilenferne
Vor ihr gefestet in Person.
Da hilft kein Zetern und Sichsperren;
Wer anders denkt, der hat 'nen Stich . . .
Das ist mein letztes Wort, ihr Herren,
Und somit Punkt, Gedankenstrich.«

So sprach er frisch und ungebrochen;
Des Standes Würde riß ihn fort,
Wie wenn mit Herder er gesprochen
Das tiefe, inhaltschwere Wort:
»Gar mächtig ist, wer mit der Schwieger-,
Wer mit der Schwiegermutter rang,
Noch mächtiger der Löwensieger,
Am stärksten, wer sich selbst bezwang.«
Doch kaum, daß noch im Spruch der Sprüche
Gespiegelt sich der eigne Ruhm,
Ging jämmerlich schon in die Brüche
Sein stolzgefügtes Heldentum.
Wie unterm Stiche der Tarantel,
So fuhr er auf und dann zurück,
Und von dem hehren Doktormantel
Fiel fetzenweise Stück für Stück.
»Wird doch mein Sinn schon unbeständig?!«
So schrie er, rein aus Rand und Band,
»Die zweite Flasche wird lebendig!
O Gott im Himmel, mein Verstand . . .!«
Und er, der ritterliche Kämpe,
Dem es gefiel, mit bitterm Hohn
Und noch dazu mit scharfer Plempe
Die Welt der Geister zu bedrohn,
Er mußte dennoch sich bequemen,
Obgleich ihm alles Schall und Rauch,
Die holde Täuschung anzunehmen,
Und sieh: der Doktor tat es auch.
Sogar des Ohres schmale Brame,
Sie wurde bei ihm schämig rot,
Als eine seriöse Dame
Ihm minniglich das Händchen bot.
Kein Zweifel, sie schien etwas rundlich,
Auch in den Hüften etwas breit,
Doch äußerst kußlich, äußerst mundlich
War ihre ganze Weiblichkeit.
Sich dicht an seine Seite drängend,
Teils ernsthaft, teils zum Zeitvertreib,
Und dann, in seinen Arm sich hängend,
Errötend sprach das schmucke Weib:
»Du bist so ernst wie ein Tragöde.
Warum so grimmig, greis und gram?
Insonsten warst du nicht so blöde,
Wenn ich verlockend zu dir kam.«
Der Doktor sah sich auf der Folter
Und schaute sich verängstigt um;
Ihm war's, als ginge mit Gepolter
Ein Mühlrad ihm im Kopf herum.
Der Liebe köstliche Register,
Die er durchkostet und durchreist
Vom Studiosus zum Philister,
Durchflog sein aufgeregter Geist:
»So kennst du mich?«
                                    »O welche Frage.
Du aller Männer Ruhm und Zier?!
In stiller Nacht, am lauten Tage
Weilt meine Sehnsucht ja bei dir.
Wer sollte dich am Strom nicht kennen,
Den schon Ausonius besang!
Man hört ja deinen Namen nennen
Das ganze Moseltal entlang.
Dein Ruf, er dringt durch alle Ritzen,
Dem Lorbeer kannst du nicht entfliehn;
Denn glorreich saugst du an den Zitzen
Der vielgerühmten Medizin.
Du bist beliebt in der Gemeine,
Du bist geehrt in Land und Stadt,
Und so da etwa irgendeine
Das dringende Bedürfnis hat,
Den eignen Gatten zu bereichern,
Kurz, um mit Weisheit und Verstand
Den Kindervorrat aufzuspeichern
Da bist du hilfreich bei der Hand.
Als Doktor hast du deinen Titel,
Im Klub dich keiner überstimmt,
Und deine purgativen Mittel,
Die helfen stets, wenn man sie nimmt.
Und bei Mixturen und Retorten
Spielst du noch Skat und singst Tenor . . .
Ach! Doktorchen, mit andern Worten:
Du bist ein echter Friedrichsdor.«
»Und wer bist du?«
                                »Noch ohne Männchen,
Noch frei und ledig ist dies Herz,«
Und wie ein offnes Deckelkännchen
Warf sie die Blicke himmelwärts.
»Ach! dort,« so sprach sie lächelnd weiter,
»Wo die Natur es gütig meint,
Und wo die Sonne fromm und heiter
Ein stilles Gartenland bescheint,
Dort, wo Trithemius geboren,
Wo Rebe sich an Rebe schmiegt –
Zu Trittenheim hat traumverloren
Die treue Mutter mich gewiegt.«
»Aus Trittenheim . . .? – Du meine Güte!
So nimm mich, nimm mich, wie ich bin!
Komm an mein Herz, du stolze Blüte,
Du edle Trittenheimerin!«
Der Doktor rief's und rang die Arme
Und schwänzelte verliebt um sie
Und zog sie dann beherzt aufs warme
Und vorgestreckte linke Knie.
Er tät ihr Spitzentuch betippen,
Er suchte selig ihren Mund
Und trank alsdann an ihren Lippen
Das kranke Doktorherz gesund.
Er tippte unten, tippte oben,
Er küßte sie verliebt aufs Ohr,
Und dann, um ihren Reiz zu loben,
Sang er mit silbernem Tenor:

    »Es zog ein Mann durchs Moselland,
    Des Stimmung war nicht gut;
    Er trug im heißen Sonnenbrand
    'nen Florentinerhut.
    So strich er über Stock und Stein
    Und ohne Rast und Ziel;
    Ihm schmeckte nirgendwo der Wein,
    Kein Weib ihm noch gefiel.
    Drum sang er auch nicht frisch und froh:
    Benedicamus Domino!

    Das Leben, kaum vom Licht umblaut,
    Hat wenig ihn gelockt,
    Sowie von Benediktenkraut
    Ein scheußlicher Dekokt.
    Er schleppte schwer im Stiefelschaft
    Bis Trittenheim sich fort;
    Rings duftete vom edlen Saft
    Der kleine Moselort.
    Da rief er fröhlich mit Hallo:
    Benedicamus Domino!

    Ein Moselmädchen, blink und blank,
    Fixbeinig auf dem Schuh,
    Bei aller Molligkeit noch schlank,
    Die trank ihm artig zu.
    Der Trittenheimer traf sein Herz,
    Der Wein war voll und rund;
    Die Seele schwang sich himmelwärts,
    Und glücklich sprach sein Mund:
    Mir wird so wohl, des bin ich froh –
    Benedicamus Domino!

    Die Kreide setzte Strich bei Strich,
    Die dritte Flasche kam,
    Da sah er einen Mäuserich,
    Der sich galant benahm;
    Denn liebevoll am Mauseloch
    Sein Weibchen er umspann.
    O wäre mir auch dieses noch!
    So rief der Wandersmann,
    Ich wäre unermeßlich froh –
    Benedicamus Domino!

    Die Dirne sah sich um und um,
    Begriff nicht, was geschah;
    Jedoch ein liebliches Gesumm,
    Das war ihr plötzlich nah.
    Und als der erste Schrecken wich,
    Da rief sie kichernd aus:
    Ja, komm nur, lieber Mäuserich,
    Hier hast du deine Maus!
    Da schwenkte er den Hut von Stroh –
    Benedicamus Domino!«

Das war ein Lied aus frischer Kehle!
Als ein Arkanum war's gedacht.
Selbst eine kranke Siegwartseele,
Sie hätte sich gesund gelacht.
»Der Doktor – hurra, hoch! – es lebe,
Das, was er in den Armen hat!
Ihm und der moselblonden Hebe
Ein Vivat – Crescat – Floreat!«
So klang's bei vollem Gläserschwenken,
Und dann, mit fröhlichem Juchhu,
Von allen Stühlen, allen Bänken
Trank man dem braven Sänger zu.
In stetem Wandel, stetem Wechsel
Der Jubel immer höher schwoll,
Und feixend wie ein junger Dächsel
Kam Hermann Joseph ruhevoll.
Er war beglückt der frohen Leute
Und sorgte mit geschickter Hand,
Daß sich in jedem Glas erneute
Der hergebrachte Pegelstand.
Er spendete mit frommer Güte,
Vom Hauch des Gebrischen umweht,
Wie einst zu Hellas höchster Blüte
Der vielgerühmte Ganymed.
So zog er würdig seine Schritte,
Das Amt des Schenken als Motiv,
Bis von den Flaschen sich die dritte
Geheimnisvoll ins Leben rief.
Die dritte Flasche! – Fromme Weisen
Begrüßten sie beim Auferstehn;
Es war, als müßten, sie zu preisen,
Verträumte Kirchenglocken gehn,
Als müßten Turteltauben girren,
Als müßten Orgelmelodien,
Als müßte ein Gedüft von Myrrhen
Die geisterbleiche Frau umziehn.
Dahin der Weltlust lohe Brände,
Der allzulaute Becherklang!
Ich selber faltete die Hände,
Und meine Sprache ward Gesang.
Für holde Keuschheit muß ich streiten,
Die sich mir zarterrötend neigt;
Und wieder schwirrt es in den Saiten . . .
Habt acht! – Der neunte Kantus steigt.


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