Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 5
Heinrich Laube

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Hegel in Berlin.

Er hat eine Aristokratie des Geistes gebildet, welche wie ein modernes Ritterthum sich absondert, ein Ritterthum des Urtheils, der Wissenschaft, was alle übrigen literarischen Stände für niedriger, für unreineren Blutes erachtet. Der Sitz dieser neuen Pairie ist Berlin; die Macht derselben wächst von Tage zu Tage, ihr Reichsgrundgesetz ist großartig in weiten stählernen Kreisen geschlossen, hält sich wie jede gewaltige Institution für fertig und beendet, den Gedanken der Welt erschöpfend, und wird auch sicherlich durch nichts Einzelnes besiegt werden. Nur die Erfindung des Systems, was in so großen 374 Verhältnissen eine geschlossene Wissenschaft des Weltmittelpunktes erfindet, und was dem Hegel'schen Riesen auf Schulter und Herz tritt, entweder um ihn durch eine größere Erfindung ganz zu tödten, oder auf seinen Schultern höher zu steigen; nur eine solche kann die Hegel'sche Philosophie verdrängen.

Nicht der Tadel, sondern eine Schöpfung kann Hegel tödten; der gute Tadel wird von ihm zum eignen Besten des Getadelten eingeschlurft, wie der große Strom den frischen kleineren verschlingt. Das wirklich Große hat jene Dosis Ewigkeit, alles Kleinere, auch das gute zu überschwemmen, in sich zu bergen; der triviale Ausdruck sagt: Wo viel Geld ist, da findet sich immer mehr ein. Nur das Kleine kann durch Angriff und Tadel vernichtet werden.

Die Hegelianer lächeln zwar mitleidig, wenn von einer Möglichkeit die Rede ist, dies System zu überbieten, und dies Lächeln ist allerdings eine ganze Straße von Berlin, und trägt viel dazu bei, Berlin denen zu verleiden, welchen der Schlüssel fehlt zu dieser Stadt und zu diesem Lächeln.

375 Aber ist dies anders möglich? Das System ist eben darum so gewaltig, daß es zu einem ringsum verwahrten, gefesteten Pallaste ausgebaut ist, alle Möglichkeit des bisher manifestirten Weltgeistes in sich gedrängt, kurz, daß es sich fertig gemacht hat. Darum lächelt es zu einer Ueberbietung, und der Hegelianer ist somit systematisch verpflichtet, zu lächeln, selbst der übrigens selbstständige, geistreiche.

Die Bornirung ist das Loos aller menschlichen Erfindung, sie ist die Nothwendigkeit derselben; wir sind alle bornirt, es handelt sich nur um das Mehr oder Minder. Die Systematischen gehören von vornherein immer zur Abtheilung »Mehr,« denn sie haben sich selbst der Freiheit begeben, deßhalb erschrecken so viel kluge Leute vor dem bloßen Worte Professor, weil sie dahinter sehr viel systematische Gelehrsamkeit, will sagen, einen Mann vermuthen, der Alles verkehrt angreift. Die Staatsregierung gehört doch zu unserm wichtigsten Interesse, es ist ihr Alles untergeordnet, die Pfarrstelle und die Besoldung des Philosophen, und die Staatsregierung 376 kann einen Professor der systematischen Philosophie nur in sich aufnehmen, wenn er erst das System aufgiebt, dann die Philosophie, dann die Professur.

Vielleicht wird's anders: Guizot ist der erste Professor-Minister, aber er eklektisirt, wie alle Franzosen thun, in der Philosophie, sie verehren das Linné'sche System, aber sie begnügen sich mit einer Blumenlese. Wir haben noch wenig Aussicht, daß unsere Ministerien philosophisch werden, Gott schützt uns auch vor der Aussicht; wenn die Gensdarmen auch noch Alles beweisen könnten, dann wagte sich kein naturalistischer Mensch mehr auf die Straße.

Man sagt dem preußischen Kult-Ministerium nach, es sei nicht nur ein preußisches, sondern auch ein Hegel'sches, es regiere nicht blos, sondern es studire auch; man sagt's ihm nach! Als ob das etwas Unschickliches wäre, systematisch gebildet zu sein! Ja, heißt es, diese Philosophie ist zu ausschließend, und das giebt dann eine einseitige Wirkung; um die Lehre von den Partikeln 377 vortragen zu dürfen, möchte man Hegelscher Philosoph sein.

Es sind nie einem Ministerium ungerechtere Vorwürfe gemacht worden; unter den Händen desselben ist eine Schöpfung hervorgegangen, wie sie kein Staat Europa's aufzuweisen hat, eine dreifache Brustwehr von Bildung; Preußen ist so reich an feld- und schlachtfähigen Gelehrten, daß wenn heute das ganze jetzt wirksame erste Glied abtreten sollte, morgen ein vollzählig, vollkräftig zweites und drittes eintreten kann; alle Stellen sind in Wahrheit doppelt und dreifach zu besetzen, und alle diese Leute besitzen eine ringsum erfüllte, nach mancher grünen Außenseite gestärkte Schulbildung.

Und wie thöricht ist jener Vorwurf der Hegelschen Einseitigkeit! Einmal ist er darin unwahr, daß irgend ein Ausschließliches bei diesem Ministerium stattfände, und ferner: wer muß nicht seine Gesichtspunkte beschränken, um ein Urtheil zu gewinnen? nur in dieser Begränzung existirt ein 378 Menschliches – ist's etwa vortheilhafter, wenn nach dieser oder jener Sympathie gewählt, oder nach einer Antipathie verworfen wird?

Rennt gegen die eherne Wand des menschlich Unzulänglichen, sie ist der gemeinschaftliche Feind; wenn Eure Köpfe halten, soll es uns lieb sein, wir erkennen dann noch einmal, daß Ihr harte Köpfe habt, die den Zugang streng vertheidigen. Harte Eier und harte Köpfe sind schwer verdaulich.

Allerdings hat Rom auch rauhe Steine und schlechte Bilder, und es giebt der Hegelianer schaarenweis, die eine so große Gedankenwelt in sich gestopft und bei ungenügender Verdauung nicht gut untergebracht, oder wenigstens nur so untergebracht haben, daß es für alle übrige Menschheit sehr unbequem ist. Ist das Hegels Schuld?

Ein System ist an sich eine Beschränkung, kommt nun noch eine specielle Beschränktheit des respektiven Individuums hinzu, dann entsteht freilich die Hegelsche Karrikatur, welche aus Klugheit 379 immerfort lächelt, und darum den Eindruck macht, welchen man sonst bei der intimsten Gegnerin aller Klugheit vorfindet.

Es ist nicht zu leugnen, daß diese Philosophie in einem Erfolge die kritische Philosophie noch weit übertrifft, welcher oft als Vorwurf genannt worden ist, nämlich darin: die Frische und das Grün des Lebens zu tödten, die Poesie, weil sie ein Willkührliches, aufzulösen, die freie Schönheit des Lebens, weil sie nicht systematisch erkannt wird, zu verleiden.

Nichts blasirt schneller als die Altklugheit, und die systematische Philosophie ist eine Cousine derselben, eine Philosophie aber, die streng und kontumazartig aus dem Gedanken entwickelt wird, ist gar eine leibliche Schwester der Jungfer Altklugheit, und es hat deshalb allerdings keine so viel blasirte Zöglinge aufzuweisen als die Hegelsche; Berlin hat natürlich davon einen starken Beigeschmack erhalten. Denn Hegel ist das Gas aller höheren Kultur dieses Ortes, was von hier unscheinbar ausströmt in 380 alle Wissenschaft und Provinz, und das Kriterium durchdringt, welches vielleicht für ein ganzes, nächstes Jahrhundert Kriterium sein wird. Wie eine diplomatische Karriere nicht ohne Kenntniß der französischen Sprache zu machen ist, so wird in Kurzem kein literarischer Erfolg möglich sein, wenn nicht eine derartige philosophische Herrschaft auf dem Grunde liegt und mit Klammern und Wällen jeden Einzelangriff abweis't.

Dies zukunftschwangere Herrschelement, verbunden mit einem ähnlichen politischen, was seit langer Zeit keinen siegreichen und kühnen Ausdruck gefunden hat, sie bilden das verhüllte Etwas, wogegen sich das Nichtberlinsche wehrt, wogegen der Vorwurf »Arroganz« geschleudert wird, um deßwillen Berlin so viel Antipathie weckt. Ein Herrschatom, was im gemeinen Berliner liegt, was elektrisch aus dem höhern Berliner schlägt, und was noch nicht die Gelegenheit ergriffen oder erblickt hat, sich geltend zu machen, dies Atom ist das unklar gehaßte. Der Ausdruck »höherer Berliner« heißt 381 so viel wie höherer Preuße, denn es ist dies wie einst von Rom Atmosphäre geworden. Dies Herrschatom ist nun durch einen Wissenschaftsmittelpunkt, wie die Berliner Universität, der sich keine in Deutschland vergleichen kann, es ist durch Hegels Philosophie nach der geistigen Welt hin bereits tyrannisch aufgetreten; der Eckensteher, der Berliner Reisende, welcher überall zu finden ist, überall tadelt, haben dem Eindrucke äußeres Material genugsam zugebracht – was Wunder, daß bei dem Worte Berlin so viel Animosität geweckt wird!

Ist daran Hegel Schuld? Kann er zum Beispiele dafür, daß so viele seiner Schüler blasirt werden?

Er war es gar nicht, er war just in Berlin ein vergnüglicher Lebemann geworden. Leute, die ihn früher gekannt, erstaunten höchlich, wenn sie ihn zu Berlin wiedersahen: er las »die Schnellpost« von Saphir, ja er gab Artikel hinein, und quälte seine Schüler, auch welche zu schreiben, er ging fleißig in's Theater, er machte 382 Schauspielerinnen und Sängerinnen die Cour, es hatte allen Anschein, als ob namentlich Madame Milder seinem Herzen gefährlich sei; es war ein großer Reiz für ihn, bei Hofe zu erscheinen, wie es ihm als kourfähigem Rector magnificus zu Theil wurde.

Daß ihn Saphir ergötzte, war doch wirklich ein Zeichen, wie er lustigen Theil an der Tageswelt nahm, an der Tageswelt quand même; umsonst opponirten seine Schüler, umsonst riefen sie: Meister, wir blamiren uns mit diesem Eskamoteur, der an den Worten geschickt herum zu klettern weiß wie Jocko an den Kulissen, hinter dem kein Werth, kein Interesse steckt, als die Beweglichkeit des Ausdrucks, der Skandal des Wortes. Es dauerte lange Zeit, bis Hegel dem damals jungen und frischeren Journalspringer seine Huld und Fürsprache entzog. Folgender Vorfall schloß die Karnevalszeit für immer, wo der Löwe mit dem Böcklein spielte:

Karl Schall, dem meine Leser in meinen Charakteristiken begegnet sind, schwärmte für das Frauenzimmer im Allgemeinen, und damals für 383 Henriette Sontag speciell; Saphir, der Oppositionsstoff brauchte, denn der Witz ist ein geschworner Feind der Freundschaft, wie der Mensch ein natürlicher Feind des Todes ist, schrieb Tag und Nacht gegen die Sontag. Daß er auch des Nachts gegen sie schrieb, war natürlich, er schlief unruhig, und wenn er nichts Besseres thun kann, so schreibt der Autor. Schall aber betete Henrietten an bei Tag und Nacht, und sein Kultus blieb immer unentweiht, deshalb immer leidenschaftlich.

Er hatte Visite bei ihr gemacht, sie hatte über Saphir's Angriffe geklagt – ein Schatten auf diesem Auge! Ferdinand hätte gelegentlich ermordet für einen Schatten, der auf Louisen fiel, Schall nicht minder, Schall, obwohl kein schlanker Offizier, konnte ganz Ferdinand sein. Im Café royal, wohin er zornschnaubend kommt, um heftig zu diniren, begegnet ihm der unglückliche Frevler, dieser will entweichen, Schall aber stellt ihn wie ein Wild mit unausweichbarer Parole, er überschüttet ihn dreifach mit alle dem, was sonst einfach hinreicht, 384 einen Menschen toll zu machen und auf die Mensur zu stellen. Saphir liebte diesen äußersten Ausweg nicht, wozu das ernsthafte Leben riskiren für ein spaßhaftes Leben! Wenn ich Saphir wäre, so dächte ich um kein Haar anders, aber, Gott sei Dank, um Schall's willen vergeb' ich es Saphir nicht, daß er damals zu Hegel-Protektor stürzte, blaß, mit gelös'ten Locken wie Jaromir, den die Ahnfrau verfolgt, um Schutz, um Hilfe flehend, ich kann es in Ewigkeit nicht vergeben! Um ein solches Tableau hat er die Literaturgeschichte betrogen: der lange Saphir und der dicke Schall auf der Mensur mit Pistolen! Schall so dick und breit wie eine runde Stadtmauer, die man trifft, man mag hinschießen wohin man will, und Saphir, die schmale Wendung, die nirgends feststeht, nirgends zu treffen ist. Herr, Sie riskirten gar nichts, wenn Sie damals Ihr Leben riskirt hätten, und die Scene wäre erlebt, und man hätte Schall in dieser Situation gesehen, in der unlösbaren Bestrebung, die schmalste Seite seines Leibes 385 herauszukehren! Zwei Leute, die nur zum Spasse auf der Welt waren – die Sprache tödtet hier den noch Existirenden, nicht ich – auf Tod und Leben gegenübersehn! Dies Drama, es ist im Embryo erstickt worden.

Hegel ließ sich damals wirklich verleiten, nach Hilfe umzuschaun für den Flehenden, aber die Schüler ließen den Meister im Stiche, und der Meister ließ nun am Ende auch den Journalisten seinem Schicksale. Das Schicksal aber hält immer Wort.

Es ist keine Frage, daß die große Stadt auf Hegel den stärksten Einfluß äußerte, vielleicht nicht durchweg den günstigsten: viele Resultate seines Systems hätten sich anders gewendet an den Punkten, wo die Theorie in die praktischen Formen mündet, wenn er ein unbefangener fränkischer Lehrer oder gar ein schwäbischer Magister geblieben wäre, ein unbefangener Mann, der nach keinem Gefallen fragt. Die große Welt, die Welt der Welt, hat ihm sicherlich große Aufschlüsse gegeben über diese und jene sittliche Schattirung, aber sie hat ihn auch mit jener 386 unsichtbaren, artig duftenden Fessel gebannt, welcher ein Plebejer nicht entrinnen mag, weil er die Gefahr verlacht, und welcher ein vornehm Geborener nicht entrinnen wird, weil er die Gefahr nicht kennt.

Die Atmosphäre bringt bis in die versperrtesten Gemächer, und wirkt auf einen sensiblen Leib; die Konvenienz, dies gewaltige, ererbte Wort, dringt in die scheinbar rücksichtslosesten Geister, und stumpft und wendet, und erweicht die Feder. Die Visitenkarte, worauf eine hübsche Edelmannskrone in goldnem Abdrucke flimmert, und welche die bestürzte Köchin à propos auf den Schreibtisch des Philosophen legt, hat auf das Staatsrecht einen entscheidenden Einfluß.

Hegel, der stolze Gedankenmensch, der gelesen, studirt und gedacht hatte, was im Himmel und auf Erden geschrieben und gesagt worden war, der kühl und kräftig Alles in sich ordnete zur großen, unwiderstehlichen Schlacht des Systemes, der sich stolz und herrschtüchtig darin fühlte, eine feste schwäbische Natur, der seinen Werth in Ehren kannte ganz 387 und gar – Hegel ließ sich von der Formenwelt imponiren wie irgend Einer. Die Kategorien, diese Himmelssäulen seines Systems, wuchsen selbstständig aus seinem Geiste, aber das Lächeln und Zürnen der Welt fiel auf sie, Sonne und Regen der Welt ruhten zeugend auf dem Gipfel dieser Säulen, von wo die Stauden, Blätter und Blüthen nach aller Richtung wuchsen und rankten, die Religion, der Staat, die Sitte.

Es sei nicht gesagt, Hegel hätte andere Resultate gegeben, als sein Systemsgang andeutete von Hause aus, er hätte andere gegeben, weil die Rücksicht ihn befing, nein, aber er hat andere gefunden. So grob verführt die Welt nicht leicht einen gefesteten Mann.

Hier in Berlin sind hagelnde Gefechte in stillen Zimmern vorgefallen, wo sich der alte Löwe auf Leben und Tod wehren mußte gegen die andrängenden Freunde und Schüler, welche ihm mit eigenen Waffen vorfochten: Wie kommst Du zu Deiner spielerischen Dreieinigkeit, Deinem kraus gewundenen 388 Staate, was hat Deine Kategorie mit allerlei Arabesken zu schaffen, warum krümmst und windest Du Dich bei der Namensnennung des Resultates, warum glitschest Du auf dem Parquet der vornehmen Welt und verlierst den ursprünglichen, stolzen Gang?

Aber er war ein gedankenharter Kopf, der sich nach allen Seiten verschanzt, und Ballen von Waffen stets zur Hand hatte, und links und rechts schleuderte, wenn man ihm zu Leibe ging.

Es ist viel davon die Rede gewesen, wie tyrannisch er gehaus't, wie despotisch neben seinem Gedanken das Betragen aufgetreten sei – der Erfinder einer neuen Welt muß despotisch sein, oder er beherrscht seine Erfindung nicht, oder er hat sie gestohlen oder irgendwo am Wege gefunden. Das erworbene Große macht das Gefäß, den Menschen, auch gewaltig, und für die kleine Welt und die kleinen Maaßstäbe ungebührlich.

Dazu hatte Hegel wirklich keine sogenannte Erziehung, die wie ein zweites Naturel immer mildert 389 und beschwichtigt, er war ein Schwabe, er war in Tübingen im Seminar gewesen – wißt Ihr, wie ein Tübinger Seminarist erzogen wird? Er geht schwarz, damit er nach Theologie aussähe, trägt schwarz wollene Strümpfe und ein dreieckig Hütlein, speis't schwäbische Knödel in Gesellschaft der übrigen Schwarzen, und trabt in den Freistunden die Bergstraßen des düsteren Tübingen auf und ab nach dem Bierhause, was weiß er von Erziehung! Da giebt's ein Paar Professoren, bei denen das Theetrinken für eine Ziererei gilt, die Töchter müssen vor den Schwarzen gehütet werden, guten Tag! und guten Weg! ein ehrlicher Handschlag, ein ehrlich und gescheidtes Wort, das ist der Umgang, etwas ganz Respektables, wornach man oft unter der sogenannten Erziehung verlangt, aber keine Erziehung.

Bis vor ganz kurzer Zeit war in Schwaben die sogenannte vornehme Gesellschaft nur am Hofe zu finden – die vielen kleinen Höfe hatten nichts mit Schwaben zu thun, die waren aus Frankreich, und wo der dahin gehörige Adel in seine eigne Existenz 390 zurücktrat, da war er wieder Schwabe, nichts von jenen Formen mit sich nehmend. Wie in Oesterreich geht darum auch die Provinzialmundart bis zu den höchsten Ständen hinauf, und man fand überall alltäglichen, bürgerlichen Gebrauch. Beim Worte Erziehung hielt man sich an das schöne Sprichwort: »Wohl erzogen hat nie gelogen«, das ist sehr wacker, aber unter dem Worte Erziehung versteht die übrige Welt noch eine besondere Kulturbranche, nicht blos ein moralisch Ding, sondern auch eine gesellige Uebung und Form, die ihre selbstständigen, mannigfachen Beziehungen hat, und dem Tübinger Schwarzen das Leben erschwert, statt zu erleichtern, wenn er aus der rauhen Alp und dem Schwarzwalde heraus in die Welt tritt.

Diese Erziehung gebrach Hegel, und das war ein Hauptgrund, warum ihm Vieles imponirte, wie es ein hoher Rang, ein vornehmer Orden, eine exklusive Gesellschaft that. Diese Erziehung ist wie die Kenntniß einer fremden Landessprache, in deren Bereich man geräth, Schutz und Waffe, und wenn 391 man geschützt und gewaffnet ist, so ist man ein anderer Mensch. Hegel war nun allerdings ein so stolz und bewußt in sich ruhender Mann, daß die Magister-Verlegenheit ihm nicht zwischen die Beine lief, aber die Unbeholfenheit des Tübinger Magisters hokte an ihm herum, und wenn sie auch vom starken Geiste siegreich links und rechts bei Seite geschleudert wurde, so erkannte man doch, daß eine solche Arbeit statt fand. Dahin gehörte auch eine schreiende Rede, die sich keiner besonderen Fügung unterwarf.

Er war ein Mann von mittler Größe mit einem altmodisch starkzügigen schwäbischen Gesichte, was in späterer Zeit tief durchwirkt und zum ehernen Antlitze eines bedeutenden Menschen gefugt und gefaltet war.

Seine Gewohnheiten waren einfach, und trugen nichts Besonderes an sich; er arbeitete viel, schrieb eine große Handschrift, und korrigirte in seinem Manuskripte durch Einschaltungen dergestalt, daß die nach allerlei Richtung auf und ab weisenden Striche und Haken das unerfreulichste Ansehn gaben. Sein 392 Geist war so voll von Wissen und Beziehung, und deßhalb war der Fluß seiner Schrift durch tausendfache, einschränkende Bezugnahme so gehemmt, daß ein glattes Fortschweifen derselben unmöglich war. Obwohl er sich beim Vortrage im Kollegium des ausführlichen Heftes bediente, so fügte er doch so viel Augenblickliches hinzu, daß ein nachgeschriebenes Heft durchaus nöthig ist, um diesen Vortrag im vollständigen Drucke wiederzugeben. Daraus ist ersichtlich, welch eine Arbeit seine Schüler mit Herausgabe seiner Werke übernommen haben. Jegliches Buch, was aus solch herumfliegenden Fahnen zusammengebracht werden muß, erfordert die Arbeit eines halben, eines ganzen Jahres; diese Papierfahnen, in deren vergilbter Unscheinbarkeit eine neue Welt ruht, sind's allein, was er mit seinem Ruhme Weib und Kindern hinterlassen hat. Der Ruhm ist schön, ein Held lebt davon, aber eine Familie nicht, und die That der Schüler, eine so seltne That in unsrer egoistischen und geldbedrängten Zeit, eine That, des Alterthums würdig und an die Schüler des 393 Sokrates erinnernd, sollte hoch gewürdigt werden. Diese Michelet, Gans, Hotho, Marheineke opfern Zeit und Muhe unentgeldlich, damit der volle Hegelsche Bau aller Mit- und Nachwelt vor Augen komme, und das Vermächtniß des Alten mit fünfzehntausend Thalern bezahlt werde.

Fünfzehntausend Thaler für eine neue Philosophie! Kein großes Ganze neuer Wissenschaft ist mit Millionen aufzuwiegen, die meisten Leute von guter Erziehung geben nicht ein Theaterbillet dafür, – und item, die Weisheit verdient doch schon Geld, und wird schon viel besser bezahlt als sonst.

Er hat eine Wittwe und zwei Söhne hinterlassen; diese studiren Jurisprudenz und historische Wissenschaft und sollen scharfsinnige junge Leute sein. Die Frau, aus Nürnberg, wo Hegel eine Zeitlang Rektor am Gymnasium war, hat sich in seinen damals noch jungen Ruhm verliebt, und als junges Mädchen, die Tochter eines dortigen Patrizierhauses, den schon dreiundvierzigjährigen Herrn geheurathet. Sie hat, ohne Philosophin zu sein, im Ganzen 394 glücklich mit ihm gelebt, wenn auch unter dem Pantoffel, den der Herr Professor, ein gebieterisches Gemüth, zu schwingen beliebte. Nur in Sachen der Eifersucht, welche der Frau in Berlin zweimal nahe getreten ist, hat er klein zugegeben, einmal als plötzlich ein leiblicher junger Hegel im Hause erschien, der aus der Privatdocentschaft in Jena stammte, und zum Zweiten, als Hegel für's Theater so empfänglich wurde, und den Künstlerinnen seine Aufmerksamkeit schenkte.

Der arme Junge, die Pflanze jener üppigen Jenazeit, wo so viel schöpferische Menschen in Jena lebten, hat wohl keinen Vortheil von diesem Verhältnisse und von der Schwäche seines Vaters gehabt, der ihn nicht genügend anerkannte, und ist am Ende in die Welt gelaufen, erst nach Holland, in die kleine Welt, dann ist er nach Batavien in eine neue Welt verschwunden. Gott weiß, ob der Name Hegel dort auch Glück macht.

Hegel war im gewöhnlichen Leben kein schwerer Philosoph, sondern ein ganz vernünftiger Mann, 395 wie die Leute sagen, ja er hatte sogar eine stehende Whistpartie mit rechtschaffenen handfesten Herrn, und er spielte sehr ordentlich – kann man von der Philosophie mehr verlangen? vor einer Gefahr war man indessen nicht sicher, wenn man ihn des Abends besuchte, es war die, daß er leicht einschlief, und insofern die Unterhaltung wenig beförderte.

Daß eine hübsche Geschichte über die andere von seinem Wesen erfunden worden ist, das verwundert billigerweise Niemand: große Berge sind reich an Sagen, und die großen Menschen sind zum Theil dafür da, daß die kleinen ihre Geschichtchen an ihnen aufhängen. Wer nicht selbst groß werden kann, der rächt sich am Großen, diese Malice ist ein altes Erbtheil – ein halbes Jahrhundert mußte Friedrich der Große alle Anekdoten und Witze machen, die Norddeutschland brauchte.

Eine der komischsten wurde dem alten Hegel auf's schmerzensreiche Sterbebett geworfen, und da ein großer Meister, der ein Werk mit tausend Nothwendigkeiten erfunden hat, und das Wichtige jeder 396 kleinsten Nothwendigkeit empfindet, niemals einen Schüler erzieht, der ihn befriedigt, denn ein Schüler, welcher völliges Echo des Meisters wäre, müßte ein Papagei sein, so könnte diese Anekdote wirklich statt gefunden haben.

Man erzählt nämlich, Hegel habe sich beschwert: Von all meinen Schülern hat mich nur ein einziger verstanden! und sich auf die andere Seite kehrend habe er hinzugesetzt: ach, und der hat mich mißverstanden.

Er starb bekanntlich an der Cholera; weil nun diesen Opfern der Pest kein öffentliches Begräbniß gestattet werden konnte, so verhehlte man die Todesart, und veranstaltete die berühmte Leichenfeier, leuchtete dem großen Todten mit Fackeln zu Grabe und hielt Reden. An demselben Abende ereignete sich Folgendes, was ich darum nicht verschweige, damit dasjenige, was ich oben über Erziehung gesagt, seine Folie erhalte, und das ebenfalls erwähnte »höhere Berlin« nicht mißverstanden werde. Die gute Erziehung nämlich vergißt zuweilen eine Kleinigkeit, 397 und der geistige Fortschritt und besonders die spekulative Philosophie entgeht ihr leichtlich – es war an jenem Abende, wo bei düstrem Himmel der Herr einer neuen Gedankenwelt unter die Erde gescharrt wurde, im Hause des Grafen von der Golz eine zierliche Gesellschaft versammelt. Die Wachslichter brannten, man wußte sehr viel Interessantes vom letzten Balle, man erwartete einen Herrn, der sich mit Literatur beschäftigte, und der versprochen hatte, diesen Abend etwas vorzulesen. Er kam nicht und kam nicht, man erschöpfte sich in Vermuthungen, plötzlich rief eine Dame: Ach Gott, er wird bei Hegel's Begräbniß sein, Hegel wird heut Abend begraben. –

Hegel, Hegel? Wer ist Hegel? fragt die Hausfrau; wer ist Hegel? fragt der Hausherr; wer ist Hegel? fragt die Gesellschaft im Chore.

Die Dame war verrathen, man sah, daß sie Bekanntschaften habe, die nicht in den recherchirten Kreis gehörten; nicht ohne einige Verlegenheit 398 antwortete sie: Hegel war ein berühmter Philosoph an der hiesigen Universität.

Ein Philosoph? So?

Man bedauerte, daß deshalb nicht gelesen wurde, und suchte eine andere Unterhaltung.

Diesem Abende waren übrigens die großen Streitfragen in Berlin vorausgegangen, ob diese Philosophie zu dulden, ob sie nicht dem Christenthume oder dem Staate gefährlich sei? Schmalz, der Einzige, Schmalz, der scharfsinnige, welcher mit Leichtigkeit ein Brett durch sah, sobald dem gemeinen Wesen eine Gefahr drohte, Schmalz hatte das Wort schon von sich gegeben, was ihm Nachruhm sicherte, er hatte die Hegel'sche Philosophie für verrückt erklärt.

Es war also einigermaaßen erschwert worden, den Namen Hegels gar nicht zu kennen.

Schließlich sei noch gesagt, daß Hegel und Schelling gleichzeitig in Tübingen Schwarze gewesen sind, ja auf einem Zimmer gewohnt haben. Für die Recherchirten die Erläuterung, daß dieser noch in München existirt, auch ein Philosoph ist, und seit 399 einiger Zeit von dem Vorwurfe lebt, Hegel habe ihm seine Gedanken gestohlen.

Hotho hat in seinen »Vorstudien für Kunst und Leben« das Erschöpfendste über Hegels Persönlichkeit gebracht, es sei mir erlaubt, einen Theil davon wörtlich anzuführen, einen anderen mit eigner Zuthat auszubeuten.

Es war eines Morgens. »Er saß vor einem breiten Schreibtische, und wühlte so eben ungeduldig in unordentlich übereinander geschichteten, durcheinander geworfenen Büchern und Papieren. Die früh gealterte Figur war gebeugt, doch von ursprünglicher Ausdauer und Kraft; nachlässig bequem fiel ein gelbgrauer Schlafrock von den Schultern über den eingezogenen Leib bis zur Erde herab; weder von imponirender Hoheit noch von fesselnder Anmuth zeigte sich eine äußerliche Spur, ein Zug altbürgerlicher ehrbarer Gradheit war das Nächste, was sich im ganzen Behaben bemerkbar machte. Den ersten Eindruck des Gesichts werde ich niemals vergessen. Fahl und schlaff hingen alle Züge wie erstorben nieder, 400 keine zerstörende Leidenschaft, aber die ganze Vergangenheit eines Tag und Nacht verschwiegen fortarbeitenden Denkens spiegelte sich in ihnen wieder; die Qual des Zweifels, die Gährung beschwichtigungsloser Gedankenstürme schien dieses vierzigjährige Sinnen, Suchen und Finden nicht gepeinigt und umhergeworfen zu haben; nur der rastlose Drang, den frühen Keim glücklich entdeckter Wahrheit immer reicher und tiefer, immer strenger unabweisbarer zu entfalten, hatte die Stirn, die Wangen, den Mund gefurcht. Schlummerte diese Einsicht, so schienen die Züge alt und welk, trat sie erwacht heraus, so mußte sie jenen vollen Ernst, um eine in sich große und nur durch die schwere Arbeit vollendeter Entwickelung sich genügende Sache aussprechen, der sich lange in stiller Beschäftigung in sie versenkt. – Wie würdig war das ganze Haupt, wie edel die Nase, die hohe, wenn auch in etwas zurückgebogene Stirn, das ruhige Kinn gebildet; der Adel der Treue und gründlichen Rechtlichkeit, im Größten wie im Kleinsten, des klaren Bewußtseins mit besten Kräften 401 nur in der Wahrheit eine letzte Befriedigung gesucht zu haben, war allen Formen aufs individuellste sprechend eingeprägt. Ich hatte ein wissenschaftlich herumtastendes oder anfeuerndes Gespräch erwartet, und verwunderte mich höchlich, grade das Entgegengesetzte zu vernehmen. Von einer Reise nach den Niederlanden so eben zurückgekehrt wußte der seltne Mann nur von der Reinlichkeit der Städte, der Anmuth und künstlichen Fruchtbarkeit des Landes, von den grünen weitgestreckten Wiesen, den Heerden, Canälen, thurmartigen Mühlen und bequemen Chausseen, von den Kunstschätzen und der steifbehaglichen Lebensweise einen breiten Bericht zu erstatten, so daß ich mich nach Verlauf einer halben Stunde schon in Holland wie bei ihm selbst ganz heimisch fühlte.«

»Als ich ihn aber nach wenigen Tagen auf dem Lehrstuhle wiedersah, konnt' ich mich zunächst weder in die Art des äußeren Vortrags noch der inneren Gedankenfolge hineinfinden. Abgespannt, grämlich saß er mit niedergebücktem Kopf in sich 402 zusammengefallen da, und blätterte und suchte immer fortsprechend in den langen Folioheften vorwärts und rückwärts, unten und oben; das stete Räuspern und Husten störte allen Fluß der Rede, jeder Satz stand vereinzelt da, und kam mit Anstrengung zerstückt und durcheinandergeworfen heraus; jedes Wort, jede Sylbe lös'te sich nur widerwillig los, um von der metallenen Stimme dann in schwäbisch breitem Dialekt, als sei jedes das Wichtigste, einen wundersam gründlichen Nachdruck zu erhalten. Dennoch zwang die ganze Erscheinung zu einem so tiefen Respekt, zu solch einer Empfindung der Würdigkeit, und zog durch eine Naivetät des überwältigendsten Ernstes an, daß ich mich bei aller Mißbehaglichkeit, obschon ich wenig genug von dem Gesagten mochte verstanden haben, unabtrennbar gefesselt fand. Kaum war ich jedoch durch Eifer und Consequenz in kurzer Zeit an diese Außenseite des Vortrags gewöhnt, als mir die innern Vorzüge desselben immer heller in die Augen sprangen und sich mit jenen Mängeln zu 403 einem Ganzen verwebten, welches in sich selber allein den Maßstab seiner Vollendung trug.«

»Eine glatthinströmende Beredsamkeit setzt das in- und auswendig Fertigsein mit ihrem Gegenstande voraus, und die formelle Geschicklichkeit vermag im Halben und Platten am anmuthigsten geschwätzig fortzugleiten. Jener aber hatte die mächtigsten Gedanken aus dem untersten Grund der Dinge herauszufördern, und sollten sie lebendig einwirken, so mußten sie sich, wenn auch jahrelang zuvor und immer von neuem durchsonnen und verarbeitet, in stets lebendiger Gegenwart in ihm selber wieder erzeugen. Eine anschaulichere Plastik dieser Schwierigkeit und harter Mühe läßt sich in anderer Weise, als dieser Vortrag sie gab, nicht ersinnen. Wie die ältesten Propheten, je drangvoller sie mit der Sprache ringen, nur um so kerniger was in ihnen selber ringt bewältigend halb und halb überwunden hervorarbeiten, kämpfte und siegte auch er in schwerfälliger Gedrungenheit. Nur in die Sache versenkt, schien er dieselbe nur aus ihr, ihrer selbst willen, und 404 kaum aus eignem Geist der Hörer wegen zu entwickeln, und doch entsprang sie aus ihm allein, und eine fast väterliche Sorge um Klarheit milderte den starren Ernst, der vor der Aufnahme so mühseliger Gedanken hätte zurückschrecken können. Stockend schon begann er, strebte weiter, fing noch einmal an, hielt wieder ein, sprach und sann, das betreffende Wort schien für immer zu fehlen, und nun erst schlug es am sichersten ein, es schien gewöhnlich, und war doch unnachahmlich passend, ungebräuchlich und dennoch das einzig rechte; das Eigentlichste schien immer erst folgen zu sollen, und doch war es schon unvermerkt so vollständig als möglich ausgesprochen. Nun hatte man die klare Bedeutung eines Satzes gefaßt, und hoffte sehnlichst weiter zu schreiten. Vergebens. Der Gedanke, statt vorwärts zu rücken, drehte sich mit den ähnlichen Worten stets wieder um denselben Punkt. Schweifte jedoch die erlahmte Aufmerksamkeit zerstreuend ab, und kehrte nach Minuten erst plötzlich aufgeschreckt zu dem Vortrage zurück, so fand sie zur Strafe sich aus allem 405 Zusammenhange herausgerissen. Denn leise und bedachtsam, durch scheinbar bedeutungslose Mittelglieder fortleitend, hatte sich irgend ein voller Gedanke zur Einseitigkeit beschränkt, zu Unterschieden auseinander getrieben, und in Widersprüche verwickelt, deren siegreiche Lösung erst das Widerstrebendste endlich zur Wiedervereinigung zu bezwingen kräftig war. Und so das Frühere sorglich immer wieder aufnehmend, um vertiefter umgestaltet daraus das Spätere entzweiender und doch stets versöhnungsreicher zu entwickeln, schlang sich und drängte und rang der wunderbarste Gedankenstrom bald vereinzelnd, bald weit zusammenfassend, stellenweise zögernd, ruckweise fortreißend, unaufhaltsam vorwärts. Doch wer auch mit vollem Geist und Verständniß ohne rechts noch links zu blicken nachfolgen konnte, sah sich in die seltsamste Spannung und Angst versetzt. Zu welchen Abgründen ward das Denken hinabgeführt, zu welch unendlichen Gegensätzen auseinander gerissen, immer wieder dünkte alles bereits Gewonnene verloren, und jede Anstrengung umsonst, denn auch 406 die höchste Macht der Erkenntniß schien an den Gränzen ihrer Befugniß verstummend stille zu stehn genöthigt. Aber in diesen Tiefen des anscheinend Unentzifferbaren grade wühlte und webte jener gewaltige Geist in großartig selbstgewisser Behaglichkeit und Ruhe. Dann erst erhob sich die Stimme, das Auge blitzte scharf über die Versammlung hin und leuchtete in still aufloderndem Feuer seines überzeugungstiefen Glanzes, während er mit nie mangelnden Worten durch alle Höhen und Tiefen der Seele griff. Was er in diesen Augenblicken aussprach, war so klar und erschöpfend, von solch einfacher Wahrhaftigkeit, daß Jedem, der es zu fassen vermochte, zu Muthe war, als hätte er es selber gefunden und gedacht, und so gänzlich verschwanden dagegen alle frühern Vorstellungsweisen, daß keine Erinnerung der träumerischen Tage übrig blieb, in welchen die gleichen Gedanken noch zu der gleichen Erkenntniß nicht erweckt hatten.«

»Nur im Faßlichsten wurde er schwerfällig und ermüdend. Er wandte und drehte sich, in allen 407 Zügen stand die Mißlaunigkeit geschrieben, mit der er sich mit diesen Dingen herumplagte, und dennoch, wenn er das tädiose Geschäft zu Ende gebracht hatte, lag wieder alles so klar und vollständig vor Augen, daß auch in dieser Beziehung nur die lebendigste Eigenthümlichkeit zu bewundern war. Dagegen bewegte er sich mit gleicher Meisterschaft in den sinnlichkeitslosesten Abstraktionen wie in der regsten Fülle der Erscheinungen. In einem bisher unerreichten Grade vermochte er sich auf jeden, auch den individuellsten Standpunkt zu versetzen, und den ganzen Umkreis desselben herauszustellen. Als sei es seine eigne Welt, schien er damit verwachsen, und erst nachdem das volle Bild entworfen war, kehrte er die Mängel, die Widersprüche heraus, durch welche es in sich zusammenbrach oder zu andern Stufen und Gestalten hinüberleitete. In dieser Weise Epochen, Völker, Begebnisse, Individuen zu schildern, gelang ihm vollkommen; denn sein tief eindringender Blick ließ ihn überall das Durchgreifende erkennen, und die Energie seiner ursprünglichen Anschauung 408 verlor selbst im Alter nicht ihre jugendliche Kraft und Frische. Bei solchen Schilderungen wurde seine Wortfülle sprudelnd, mit treffend malenden Eigenschaftswörtern konnt' er nicht enden, und doch war jedes nothwendig, neu, unerwartet und so kernhaft in sich selber beschlossen, daß sich das Ganze, zu welchem die einzelnen bunt durcheinander gewürfelten Züge vollständig sich rundeten, um nie wieder entschwinden zu können, dem Gedächtniß einzwang. Solch ein Bild selbstständig umzuändern blieb unmöglich; in so feste Formen war es ein für allemal ausgegossen. Und dieser Darstellungsgabe vermochten sich selbst die eigensten Sonderbarkeiten und Tiefen des Gemüthes, welche in Worte zu fassen vergeblich scheint, nicht zu entziehen. Unersättlich war er in preisender Anerkennung des lobenswerth Tüchtigen und Großen, doch auch in Schärfe und Bitterkeit der stachlichsten Polemik bewies er die gleiche Gewalt. Wie freundlich dagegen verklang das Liebliche und Zarte zu anmuthigsten Tönen! das Starke braus'te gewaltig hin; ordnungslos verwob sich das 409 Verworrene, das Barocke und Lächerliche widerte an und ergötzte; das Hassenswerthe schreckte in dem gleichen Maaße zurück, als das Sittliche und Gute hob und erquickte; das Schöne leuchtete in mildem Glanz; das Tiefe vertiefte sich in seiner Rede, und wie das Erhabene über alle Schranken hinaus ragte, gebot das Heilige die ewige Scheu der Ehrfurcht. Und doch bei aller Vollendung ließ es sich schwer entscheiden, ob er sich mehr der Dinge, oder die Dinge sich seiner mehr bemeistert hatten. Denn auch hier blieb das Ringen nicht aus, und das Gefügige und Fertige selber verläugnete das saure Mühen trotz aller Erleuchtung des Genius nicht.« –

Seine Gedanken, die Hegel'schen Gedanken, waren übrigens eingefleischt in Hegel, er war durch und durch eine geschlossene Einheit. Diese Größe hat den witzigen Leuten viel zu schaffen gemacht, welche eben gewohnt sind, ihre Nahrung in Einzelnheiten zu suchen. Wenn also Hegel über ein Alltägliches, über einen Berliner Witz sprach, oder über sonst 410 etwas, was man für ein Aphoristisches hält, und wenn er auch dies in die Bedeutsamkeit seines ganzen Gedankenwesens einfügte und ihm ein wichtiges Ansehn gab, so galt dies den Leuten des augenblicklichen Beliebens für ein verirrtes Wild, für eine gute Beute, sie griffen es als Witz auf, und hatten Recht und guten Erfolg für ihre Beliebigkeit, und doch Unrecht gegen Hegel. Wie viel richtige Witze hat man dem Napoleon angehängt, und doch dem eigentlichen Napoleon nichts damit gegeben oder genommen.

Hegel selbst war darüber harmlos, den Widerspruch und die Neckerei der Schwachen belachte er gutmüthig mit, nur der freche Tadel des Unverstandes erzürnte ihn, und Schellings Art und Weise, welche that, als ob Hegel nicht existire, kränkte ihn wirklich, da er sich eines schweren Sieges bewußt war, und den früheren Genossen und großen Geist in Schelling immer hoch verehrte.

411 Obwohl er in der Religion die Orthodoxie seinem Systeme einfügte, so bestand er doch fest auf größter Freiheit der Forschung; obwohl er die blos leidenschaftlichen Demagogen über alles haßte, und allem wirklich und fest Bestehenden von vornherein stets das Recht der Existenz einräumte, so war er doch, der stets Forschende und Bildende, nichts weniger als stabil. Bei der Mannigfaltigkeit des jetzt Bestehenden ist ja ohnedies noch gar keine Bezeichnung und nähere Charakteristik gegeben, wenn man sagt: er hielt zu dem Bestehenden. Am meisten neigte er sich mit specieller Vorliebe zur englischen Verfassung, und die Reformbill erschien ihm als ein höchst gefahrvolles Unternehmen; ein auf bestimmten Körperschaften ruhender Staat war ihm der sicherste; die Rechte der Erstgeburt vertheidigte er streng, für den Höhergestellten verlangte und gab er unbedingten Respekt.

Aus alle dem ergiebt sich, welche Macht das eigentlich Systematische in ihm behauptete. Es wäre 412 ein Mißverständniß, ihn ohne Weiteres mit den dreist Spekulirenden anderer Art zusammenzustellen, welche nicht für ein ausgebildet System erfinden und fordern.

Eben so hielt er sich bei den moralischen Fragen persönlich streng an das Positive, an die Institute, und vertheidigte sie quand même: er verlangte, die Ehe der Ehe wegen einzugehen, um einem festen Institute anzugehören, nicht weil sich da eine Seelenharmonie oder so was Aehnliches zusammenfinde.

Dabei geschah nun freilich das Meiste des Systems wegen, und die Hegelsche Einheit ward auf Kosten Hegels behauptet und durchgesetzt, denn in den moralischen Fragen zum Beispiel interessirte und lockte ihn Göthe mit seiner Freiheit am Meisten; er hielt nebenher solche Richtungen für nothwendig und groß, damit das Bestehende nicht versumpfe, sie waren seinem alle wahrhaftige Innerlichkeit prüfenden Geschmacke viel zusagender, als die meist unzulängliche Polemik dagegen, aber er 413 mußte sich dem Despotismus des eignen Systems fügen.

In den letzten Jahren ward er darin starrer, als seine eigne Lehre heischt, und es hat, wie schon oben bemerkt, über die Konsequenzen des Systems mit Schülern und Freunden heftige Kämpfe gegeben. Das wiederholt sich in der Geschichte bei allen Gattungen neuer geistiger Welt: die Lutheraner wollten mehr und weniger als Luther. Ist die Erfindung des Geistes frei und hinaus gegeben, so gewinnt sie ein selbstständig Leben und Wesen, hat sich nach eignem neuen Gesetze zu wehren und zu bilden; der Baum, den ich gepflanzt, hat es nun selbst und eigen mit Sonne, Wind und Wetter zu thun; der Sohn, den ich gezeugt und erzogen, wird mit meinem Blute, meinem Geiste, doch ein eignes, selbstständiges Geschöpf.

Besonders leidenschaftlich war Hegel zuletzt gegen die Entstehung Belgiens, und Kampfesworte dagegen und gegen die Reformbill sind wohl das Wichtigste gewesen, was er zuletzt geschrieben hat.

414 Bei diesen Sachen der Politik ist nicht zu übersehen, daß Hegel zwei Jahre lang Redacteur einer weniger bekannten politischen Zeitung gewesen ist, der Bamberger Zeitung.

Mit was Allem dieser Mann sich beschäftigt, und gründlich beschäftigt hat, ist nicht zu sagen; bei einem Einblick, besonders in die Geschichte der Philosophie, schwindelt dem Zuschauer vor den weit oben und tief unten kriechenden Büchern, welche der Mann gelesen und studirt hat. Wie ein Titan sitzt dieser steinerne Geist unter den Felsblöcken und dem Gerümpel aller Zeiten. Auch in Kunst und Poesie kannte er Alles; sein Urtheil über Baukunst, Skulptur, Malerei war scharf geübt und begründet; er saß aufmerksam und andächtig in den Opern.

Sein Geschmack neigte durchaus zu den Griechen, vom Mittelalter mochte er nichts leiden als die großen Gebäude. Scherz und Laune liebte er sehr, wenn die Gelegenheit paßte; den eigentlichen Humor verstand er gar nicht, dafür, und noch mehr 415 für die Ironie neueren Datums, besaß er gar kein Organ der Auffassung, die Ironie war ihm geradezu unangenehm.

Er hatte sich auch mühsam durch's Leben gearbeitet, mit Freunden Unglück gehabt, langsam erobert. In Frankfurt, wo er eine Zeitlang Hauslehrer war, lebte er intim mit Hölderlin und mit Sinklair, dem Verfasser des Cevennenkrieges. Hölderlin ward verrückt, Sinklair starb früh. Schelling, mit dem er so lange zusammengewirkt, verhüllte sich ihm später vornehm.

Zwei Jahre in Heidelberg nennt Gans mit Recht Hegels Flitterjahre 1816–18: da blühte sein Ruhm auf, da hatte er Daub und Creutzer, und Voß war noch umgänglich. Seine Schüler von Jena aus, Troxler in Basel, Gabler in Baireuth waren noch jung und warm und schrieben ihm viel Briefe, Deutschland war überhaupt verjüngt, die schönen Neckarberge um Heidelberg lockten und entzückten. Und auch zum Antritte in Berlin, Herbst 416 1818, fand er noch an Solger einen Beförderer. Dann aber war er lange, lange allein, und mußte langsam die Schüler heranziehn, die ihn unterstützten.

Er ging in Berlin täglich spaziren, schlaff zog er sich vorwärts, hielt aber tüchtig aus; ging man indessen mit ihm, so stockte die Promenade sehr; er ließ sich mit dem größten Antheil das Alltägliche, die Neuigkeiten erzählen, blieb stehen, lachte, verwunderte sich, widersprach. Dabei und bei allen Lustpartien, die er später eifrig suchte, war ihm das leichte Gespräch das erwünschtere, das stete Debattiren und Suchen in Ernst und Eifer war nicht seine Sache. Auch im Theater war er sehr munter und sehr leicht befriedigt; in Geschäften langsam und peinlich, für alles Leichte war er am schwerfälligsten, weil er sich durchweg für das Schwere mit Leichtigkeit eingerichtet hatte.

Deshalb täuschte er sich vielleicht auch oft über leichte Menschenwaare, denn die unbedeutendsten 417 waren ihm oft sehr willkommen; oder er brauchte wie schwer reiche Leute solcher kräuselnden Bewegung, und sah gern die leichte Waare um sich hüpfen, um zu ruhen, und das Leben in seinem luftigen Zuge zu athmen. 418

 


 


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