Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 5
Heinrich Laube

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II.
Berlin.

Berlins Geschichte.

Wenn die deutschen Schriftsteller über Berlin schreiben, so sprechen sie von den Eckenstehern und von Wien, und schimpfen auf den Witz. Mit Wien und Berlin geht's wie mit Schiller und Goethe: statt daß wir uns nach Goethe's Ausdrucke freuen sollten, »zwei solche Kerle« zu haben, vergleichen wir sie, streiten uns, was vorzüglicher, was geringer sei.

Ueber die Eckensteher, welche Glaßbrenner für die Literatur erfunden hat, lachen sie, wenn ihnen der Accent verständlich ist, entschuldigen sich aber wegen des Lachens, und jeder Hansnarr, der Alles 226 für Gemüth hält, was langweilig ist, spricht ein Wort von der Gemüthlichkeit, und bedauert, daß der Berliner Witz kein Gemüth habe.

Franz Horn, der Klassiker aller Gemüthlichkeit, ist in seinem Leben noch nicht witzig gewesen, und es läßt sich kein Mensch eine spanische Fliege setzen, um einer gemüthlichen Empfindung theilhaftig zu werden. Das Wort Witz hat schon im Tone seinen spitzen Stachel, wer sich davor fürchtet, der hat eben nichts mit dem Witze zu thun.

Daß man so viel Animosität gegen das Berlinische findet, davon liegt der Grund in ganz andern Dingen: der Witz, welchen man tadelt, ist nur ein Symptom, an welches man sich zunächst hält; die Dornen des Busches schlägt man, aber der ganze Busch mit Keim und Wurzel ist gemeint. Berlin ist ein Herrschgedanke, welcher seit Friedrich dem Großen den Nachbarländern zum unklaren Bewußtsein geworden ist; dieser Gedanke einer jungen Macht, welche mit historischer Energie befruchtet ist, wird gefürchtet und befehdet wie alle neu geahnte 227 Herrschaft; dies klare, norddeutsche, preußische, entschlossene, scharfe Element wird gemeint, und das Bischen Witz muß seinen Buckel bieten für den Widerwillen. Nun, der Buckel ist eckig und kantig, er verträgt's.

So hängt der Eckensteher mit der europäischen Staatenentwickelung zusammen.

Man soll übrigens nicht läugnen, daß dies energische Wesen des Nordens, was aus Marken und Grenzländern, aus Gebieten und Anlagen entstanden ist, die noch in unabgebrauchter Frische strotzen, man soll nicht läugnen, daß dies Wesen koncentrirt und beleidigend im Berliner sich auspräge, man soll eine Opposition dagegen ganz natürlich finden. Roma, die schon übermüthig war, als sie erst ein klein Gebiet beherrschte, hat den Samnitern und Volskern und wie sie weiter heißen, die Meinung nie streitig gemacht, daß Roma übermüthig sei, damit hat es sich nicht abgegeben. Jeder Staat von neuerem Datum, und besonders der Mittelpunkt desselben, beleidigt, die bloße Existenz desselben wird für eine Beleidigung gehalten – wer sich in der Geschichte 228 darum kümmern wollte, der würde ein höflicher Mann, ein Hofrath, ein guter Gesellschafter, aber sonst nichts.

Karl der Große war für die Römer ein barbarischer Parvenü, den sie zu Hause verspotteten, dem sie auf der Straße das Knie beugten; Napoleon war für seine Zeitgenossen ein Parvenu, und für die Geschichte ist er ein Halbgott – wenn Berlin seit hundert Jahren seine Statthalter zu Copenhagen, zu Amsterdam, zu Genf und zu Triest hätte, so wären seine Witze vortrefflich.

Man sagt in der Geschichte, daß die Völker in Kultur und Herrschaft sich erschöpften, und daß die alten stets abgelös't würden von neuen, frischen, denen alle vorhergehende Bildung fremd sei. So wäre Babylonien von Persis, Persien von Griechenland, Griechenland von Rom, Rom von Gothen und Germanen besiegt worden. Nach dieser Rechnung wären jetzt die halb slavisch, halb deutsch entstandenen Völker an der Reihe, welche niemals zur Innerlichkeit des deutschen Reiches gehört haben: 229 Schlesien hätte einen Versuch gemacht mit Dichterschulen, mit Opitz und Hoffmannswaldau, die Mark hätte den siebenjährigen Krieg geliefert, Ost- und Westpreußen hätten die Kantische Philosophie geschaffen, welche von manchen Leuten der deutsche Nationalkonvent genannt wird, und Pommern, Pommern sei noch nicht ganz darüber einig, wodurch es sich eklatant auszeichnen werde, es habe sich etwas verspätet und wolle jetzt nicht stören, und all diese Länder hätten im Befreiungskriege ein entscheidendes Ganze gebildet. Ihnen gehörte nach jenem historischen Kalender die nächste Zukunft; später kämen die reinslavischen Völker an die Reihe. Da auf der Geschichtsuhr das Wort »Spätere« mehrere und einige Jahrhunderte zu bedeuten pflegt, so wollen wir das abwarten.

Es ist aber im Ernst nicht zu läugnen, daß bei der Anlage Berlins zu einer neuen welthistorischen Hauptstadt auf diese Theorie stark Rücksicht genommen und ein Fleck Landes ausgesucht worden ist, welcher durch keine verführerische Kultur 230 verdorben war, und an welchem viele Jahrhunderte gearbeitet und gebildet werden kann, ehe er in dieser Weise verdorben und durch allzu großen Reiz zur Schwächlichkeit verlockend wird.

Es ist erstens gar keine Gegend bei Berlin, zweitens kein Rasen, drittens kein Vergnügen und viertens kein Schatten. Der Thiergarten, in welchem wir heute schwärmen, hilft uns für die Geschichte nichts, wir dürfen ihn nicht auf die Rechnung setzen, er ist jung, noch im frühsten Frühlingsalter, kein Schöpfer, sondern eine Schöpfung Berlins, bereits ein Denkmal der Bildung, und deßhalb so konservirt, daß noch heute in seinen Hallen kein gemeiner und kein feiner Tabak geraucht wird, er ist ausgehauen von den Kurfürsten und Königen, er ist gepflegt und erzogen. Man veranstaltete Bärenjagden in seinem Bereiche; bei Berlin hat man sich überhaupt viel mit den Bären zu schaffen gemacht, der Name soll durchaus von solcher Bestie abstammen, besonders da ein Bär im Wappen der Stadt, und Albrecht der Bär ein Markgraf von 231 Brandenburg gewesen ist, Bärlin so wahrscheinlich klingt, und der jetzige Bewohner die erste Sylbe just so betonet; das Wort Berlin ist aber wahrscheinlich viel zahmer. Nämlich: wendische Stämme saßen in der Mark und legten ein Fischerdorf an »to dem Berlin«; Berlin bedeutet ein Stück wüstes Land. Der Name ist also dergestalt richtig, daß heute noch Jedermann davon leicht zu überzeugen ist, der von Groß Beeren oder Tempelhof oder von sonst einer Seite to dem Berlin gewandert kommt, das wüste Land ist nicht zu verwüsten, der Streusand für unsere Büreaus ist ewig.

Merkwürdigerweise ist über Gründung und Ursprung Berlins gar nichts Sicheres zu sagen, man weiß über Athen und Palmyra mehr; wir können also mit Bequemlichkeit eine Mythe erfinden, daß der erste Berliner von einer Bärin gesäugt, von Adlern gespeis't, von wilden Männern erzogen worden sei; damit sind die Wappen erklärt, und der junge Konditor angelt alsdann in der Spree und fängt da die meisten Fische, wo heutiges Tages die 232 Stadtvogtei steht. Dort baut er sich eine Hütte, es kommen Wenden zum Besuche, und so entsteht ein Fischerdorf, daraus wird Berlin, daneben wächst aus dem morastigen Spreedistrikte Kölln, es wächst der Werder, am Ende gar die Friedrichsstadt, und so ist es dahin gekommen, daß uns jetzt die Droschke gedankenlos vom Brandenburger Thore in die Königsstadt fährt, eine Viertelstunde weit aus einem viel späteren Jahrhunderte in ein viel früheres.

Man glaubt es gar nicht, wie viel man thun und leben kann ohne Wissenschaft: im Berlinischen Kölln wohnen reiche Kaufleute, die sich ihr Lebenlang nicht darum gekümmert haben, auf welchem historischen Boden ihr Haus steht, und wie Kölln entstanden ist; und gerade deßhalb haben sie keinen Groschen weniger und manchen Groschen mehr verdient. Um die Vergangenheit kümmern sich meist nur die Leute, welche nichts haben.

Und was ist das für eine Unsicherheit mit der Stadt Kölln! Am Rheine gibt's ein Kölln, in Thüringen gibt es das berühmte Kuh-Kölln, welches 233 die Geographen Kölleda nennen, mitten in Berlin gibt's ein »Kölln am Wasser«! Koll heißt im Wendischen ein in's Wasser geschlagener Pfahl, Kollne aber sind Gebäude auf solchen Pfählen. Dies kann aber eben so gut falsch wie richtig sein, und die Köllnischen Kaufleute – Kuh – Kölln treibt städtische Viehzucht – an der Spree und dem Rheine haben den sicherern und besseren Theil erwählt, sich um historische Hypothesen nicht zu bemühen.

Daß man gerade an diesem bescheidenen Spreeufer eine Stadt angelegt hat, dagegen läßt sich nichts sagen, denn erstens sind die Leute todt, und zweitens hilft es nichts, und drittens hat ein Ort an sich ja nicht so viel Verantwortlichkeit; daß man die Stadt aber so gepflegt und begünstigt hat, bis sie eine imposante Hauptstadt, die stattlichste Metropolis des eigentlich deutschen Landes geworden ist, darüber mag man sich billig und bescheiden verwundern. Die Erklärung ist nun einmal des Menschen geistiges Brod, also gestatte man den Historikern den geschwätzigen Kommentar: Wo die Situation 234 einer wichtigen Stadt vortheilhaft ist, da rechnen sie Gedeihen und Macht eben auf die vortheilhafte Situation, wo sie dies nicht ist, da rechnen sie großen Erfolg auf die unvortheilhafte Situation. Sagte doch einst die Geistlichkeit: Nur was von der Kirche ausgeht ist gut, was nicht von der Kirche ausgeht, der Kirche aber zu gute kommt, das ist auch gut. Also ist anzunehmen, daß eine schlechte Lage Volk und Land zu größerer Thätigkeit nöthigt und spornt, Verführung und Erschlaffung nicht aufkommen läßt, und um so gewaltigere Hülfsquellen in sich aufbringt, je weniger außen gewährt sind.

Mitten in einem höchst magern Binnenland, kapriciös fast eben so weit entfernt von einem Hauptstrome, der Elbe, wie von einem anderen, der Oder, hat sich die Hauptstadt angebaut, sogar die mächtigere, besser umgebende Havel verschmähend, welche nur ein Paar Meilen entfernt ist. Diesem tiefschwarzen, still-ernsthaften Flusse, der Spree, hat sie sich ganz hingegeben, einem Flusse, welcher 235 durch den »Beobachter an der Spree« bekannt ist, und welcher zum Theil dieser Bekanntschaft halber, und weil er bei Berlin fließt, eine so geplagte Stellung in der deutschen Literatur trägt. Die Spree leidet unschuldig; sie war früher da, denn Berlin, sie hat sich Berlin nicht angemaßt, und sie ist ein viel würdigerer Fluß als man denkt; ich habe sie früher auch en bagatelle behandelt, und sie hat mich in stiller Größe gezwungen, ihr das abzubitten. Sie ist ein bescheidnes Veilchen unter den Flüssen, nicht des Geruches halber am Unterbaume, sondern stiller Vorzüge halber; sie ist von gleichmäßiger, sehr achtungswerther Tiefe, und in diesem Punkte ein viel zuverlässigerer Charakter als mancher große Prahler, zum Beispiel die Elbe, welche an manchen Stellen sich ganz vergißt und die Schiffahrt von Jahr zu Jahr schwieriger macht, gleich als ob sie in die versagenden und versiegenden Jahre hohen Alters geriethe; sie, die Spree, ist geachtet von den Obst- und Holzkähnen, und zwar sehr; sie trägt Dampfschiffe und ist 236 fruchtbar und schöpferisch wie ein Kaninchen. Es stehe der Fluß auf, welcher so reich an Fischen aller und der besten Art wäre, wie die Spree! Das stolze Geschlecht des Aals, verschwenderisch gedeiht es in der Spree, und der Berliner Bürger spricht von diesem Adel der Fische mit sicherem Gleichmuthe, wie jedes andere ordinaire Gericht kann er ihn täglich auf dem Tische haben. Und welch eine verdienstliche, wohlthuende Jugend hat die Spree! Der Jüngling tobt und zerstört, sie aber segnet bereits in diesem Alter – verkannte, hausmütterliche Nymphe vergieb den spottenden Frevlern! Kennt Ihr den Spreewald, den Sitz der Lausitzer Romantik? Kennt Ihr ihn, Ihr Leichtsinnigen? Aus den böhmischen Bergen neben Bautzen herabkommend kämpft dieser Fluß seine kümmerliche, enthaltsame Jugend durch die Niederlausitz, durch dieses Land, was ein Mensch in Heidelberg für unmöglich hält, wo eine schöne Gegend für Erfindung der Dichter gilt. Dort bildet die Spree etwa zwischen Cottbus und Luckau einen Waldsee von sechs Meilen 237 Länge, was man einen Bruch nennt, mit dem Pluralis Brücher, worin Laubholz, Wiesen, Huthungen und fetter Acker und Viehzucht und Fischerei das Land Gosen der Niederlausitz bilden. Von dieser Spreeschöpfung lebt man dort weit und breit, und in Cottbus, wo lauter Tuchmacher wohnen, singt man das Lied: »Kennst du das Land, wo die Citronen blühn?« zur Verherrlichung des Spreewaldes, die Citronen und Goldorangen für eine poetische Licenz haltend.

Verkannte Spree! Die frühen Herrscher der Mark, aus dem anhaltischen, bayrischen und luxemburgischen Stamme, nahmen anfänglich wenig Notiz von Berlin, besonders die Anhaltischen, ihr Hauptsitz war Salzwedel; die Luxemburger kamen zumeist nach Frankfurt, und der Ort wuchs in mannigfacher Opposition auf, ein Charakter, welcher ihr stets verblieben ist. Der Berliner ist noch heute jederzeit oppositionslustig, dreist und herausfordernd. Beim Tode des letzten Askaniers, Waldemar's, im Jahre 1319, wo Berlin vielleicht schon zweihundert 238 Jahre alt war, überbot sie indessen bereits die meisten Städte der Mittelmark an Bedeutung; der wendische Schlag, durch Christenthum und Colonisten verändert, hatte sich tüchtig gerührt, und am Ausgange des vierzehnten Jahrhunderts sehen wir es mit mehrern Städten in ein Schutz- und Trutzbündniß gegen den Adel treten, der den Handel störte. All die Bundesstädte sind aber bis auf Potsdam und Frankfurt sehr zusammengeschrumpft, man sieht den Bernau, Nauen, Rathenau, Strausberg und Brandenburg die damalige Pairschaft mit Berlin nicht mehr an. Brandenburg besonders führte in früherer Zeit, als Sitz des Bischofs, das große Wort, und war wichtiger und mächtiger als Berlin.

Unter jenem Waldemar hatte übrigens das Markgrafenthum Brandenburg eine große Ausdehnung erreicht, südlich bis in die Spitze von Schlesien, nördlich bis Pommern, Mecklenburg und Braunschweig hinein, westlich bis in die Pfalz Sachsen.

239 Aber jetzt begannen die Stürme, als die bayerischen Fürsten es in Beschlag nehmen wollten, der sogenannte falsche Waldemar stand auf, und hierdurch erhielt Treuenbrietzen seinen Namen; diese sehr zufällige Stadt, die ohne Grund auf einer Haidebene liegt, hatte den historischen Blick, treu zu bleiben, und Waldemar nicht zu huldigen. Jene und die nächstfolgende Zeit, wo der Adel räuberisch haus'te, und eine große Räuberbande, die Stellmeiser, nächtlicher Weile die Mark regierten, und keineswegs die Bildung der Schiller'schen Räuber oder die romantische Großmuth Rinaldo's und Aranzo's besaßen, störte natürlich das Gedeihen der Städte sehr, und von dem, was man so eigentlich Kultur nennt, war in Berlin so viele erste Jahrhunderte lang gar nicht die Rede.

Für die Berliner selbst sei bemerkt, daß sie die Hauptsitze ihrer Ahnen auf der heutigen Poststraße und in diesem Terrain zu suchen haben, daß der Mühlendamm, als Uebergang nach Kölln, 240 frühzeitig entstand, daß der Molkenmarkt von einer wirthschaftlichen Fürstin Katharina den Namen hat, welche die Milch von ihrer Meierei auf diesem ersten Markte verkaufen ließ, wo überhaupt der erste Fischmarkt und Mittelpunkt war. 241

 


 

Die bayerischen Fürsten, welche die herrenlose Mark in Besitz nahmen, aber nicht darin gedeihen konnten, sind wie Schatten über das Land geeilt: der Kaiser Karl IV, der kluge Luxemburger, hatte einen gescheidten Erbvertrag geschlossen, und zur rechten Zeit und am rechten Orte auf Pfand geliehen, im Jahre 1373 kam das Land an die Luxemburger.

Sie versäumten und verschleuderten es, Berlin ward von einem fürchterlichen Brande, den vielleicht die romantischen Stellmeiser angelegt hatten, verwüstet, Alles ging einer völligen Auflösung entgegen.

242 Da erhielten die Hohenzollern das Land, und die vorsündfluthliche Zeit Berlins ward mit Anfang des funfzehnten Jahrhunderts, mit dem Herrschantritt dieser Familie geschlossen. Sie ist allerdings darin sehr vom Glück begünstigt worden, daß sich die Eigenschaften dieser Herrscher in wunderbar regelmäßiger Weise ergänzten: der unternehmende fand einen haushaltenden, beschränkenden zum Vorfahr oder Nachfolger. Dadurch ward ein solches Gleichgewicht in den Staat gebracht, daß ihn die heftigsten Stürme nicht umwerfen konnten, und daß dies Haus der Hohenzollern ein wesentlicher Wendepunkt der neuen europäischen Geschichte wurde, der Schöpfer und Anhalt einer großen Macht, welche aus dem verlebten deutschen Reiche wuchs, und die halb deutschen, halb slavischen Völkerschaften mit ihrem bis dahin unberührten Geschichtsblute in die europäische Bedeutung einführte.

Die starken schöpferischen Persönlichkeiten dieses Hauses haben dafür Außerordentliches geleistet; Friedrich der Eiserne, Johann Cicero, Joachim Nestor, 243 Joachim der Zweite, der große Kurfürst, der große Friedrich treten geharnischt heraus wie aus Felsen gewachsen, und es sind durchweg wenig Häuser in der Geschichte aufzufinden, wo eine in verschiedener Weise dargethane Tüchtigkeit und Solidität so regelmäßig wiedergekehrt wäre. Es war ein so starker Guß in diesem Geschlechte, daß sich sogar diese Regenten vom ersten Burggrafen herunter bis in die neueste Zeit in den normal ausgeprägten, regelmäßigen Gesichtszügen fast alle gleichen, und für Söhne einer einzigen schönen und starken Mutter gelten könnten. Wenn man weiß, wie überwiegend sonst die Natur der Mutter im Kinde ausgedrückt ist, wie nur in seltnen Fällen das Charakteristische des Vaters vorherrschend im Kinde heraustritt, so erkennt man bei einer Jahrhunderte hindurch so gleichmäßigen Reihe, daß ein überaus gewaltiger Kern in den Stammvätern geruht haben muß, ein Kern, der von den verschiedenartigen Müttern stets nur eine Schattirung, und nicht mehr für die nächsten Kinder zurückgelassen hat.

244 Bekanntlich ruht die Entstehung der Hohenzollern auch in dem Urstamme Schwaben; von wo aus so verschiedenartige große Potenzen über unser Vaterland gekommen sind. Das Stammschloß derselben liegt unweit von dem der Hohenstauffen. Eine Linie der Hohenzollern ward frühzeitig in Franken vom Kaiser belehnt, und von dort aus, von der Burggrafschaft Nürnberg, kam sie zum Besitze der Mark, die ihr für einige tausend böhmische Schock verpfändet war.

Dieser erste Friedrich, der nur noch die Alt-, Mittel- und Uckermark sammt der Priegnitz von der früheren Ausdehnung vorfand, nahm auch wenig Notiz von Berlin: die störrigen Bewohner mochten dem Süddeutschen wenig Freude machen. Sein Sohn Friedrich der Eiserne brach mit starker Hand diesen Trotz, drang durch das Spandauer Thor mit seinen Reitern in die Stadt, welche man ihm nicht öffnen wollte, vernichtete die städtischen Privilegien, und begann den Bau der Burg auf der köllnischen Seite. Die Berliner und Köllner schossen die Arbeiter todt 245 und fünf Jahre hindurch dauert' der Kampf, ehe sie gebändigt worden. Dann ward es friedlicher, den städtischen Behörden ward erlaubt mit rothem Wachs zu siegeln, und Johann Cicero, der 1486 Kurfürst ward, machte es zu seiner wirklichen Residenz.

Aber wild genug ging es noch immer her, und die Wissenschaften fanden wenig Platz, die erste Buchdruckerei war nicht in Berlin, sondern in Stendal angelegt, und Jochim Nestor, der Nachfolger gründete 1506 die Universität des Landes in Frankfurt.

Er errichtete, um das wilde Wesen mit Gerechtigkeit zu zwingen, zu Anfang der Reformation um 1517 das Kammergericht, was jetzt noch besteht, wie legalen und illegalen Leuten bekannt ist.

Unter Joachim dem zweiten bricht die Reformation in diesen Gegenden wie ein neues Tageslicht plötzlich überall durch, und da Berlin hierbei mit seinem Beispiel vorangeht, da diese historische Erscheinung auch ein Hauptmoment der Hohenzollern wird, so beginnt eigentlich mit ihr die historische Bedeutung der Stadt. Sie ist also trotz ihres Alters 246 um und um eine moderne Stadt, ihr Lebensathem datirt aus jener neuen Zeit, und so hat Luther unter Anderem auch Berlin geschaffen.

Jetzt, um's Jahr 1540, ward auch die Burg des eisernen Friedrich niedergerissen, und der Schloßbau vom Baumeister Kaspar Theiß bewerkstelligt. Der Regent dieser Zeit, Joachim II., siedelte nun auch allerlei Kunst und Schönheit an, ja er war ein solcher Kenner und Ueber der Musika, daß er oftmals in eigener Person den Gesang in der Domkirche leitete, was allerdings mit der heutigen Sitte nicht ganz harmoniren möchte.

Es gab damals einen Dichter Sabinus in Berlin, den die Literaturgeschichte leichtsinnig vergessen hat, einen Historiker Engel, Haftitz, Garcäus und Leutinger, und den berühmten Staatsmann Lamprecht Distelmeier, die alle gestorben sind.

Um diese Zeit ward auch die Stechbahn, ein Turnierplatz, eingerichtet, aus welchem später die Kaufhalle entstanden ist, wo jetzt Josty Kaffee kocht, Mittler Bücher und manch edle Berlinerin Aepfel 247 und Aepfelsinen verkauft, und welche vom ächten Berliner höher gehalten wird als der Arkadengang am venetianischen Marcus. Damals ging der Thiergarten bis in die Nähe des Zeughauses, ein Bretterzaun trennte ihn von der Stadt, und große Jagden wurden darin gehalten. Was man in der Welt jetzt Berlin nennt, die eigentlich politische Kapitale, wo die großen Herrn wohnen, das war damals eitel Wald und die Wohnung der Bestien. Dies mußte Alles niedergeschlagen werden, um die Friedrichsstadt zu bauen. Monbijou, einer der frühesten Gärten, lag ein ganz Stück außerhalb der Stadt, und die Linden sind erst hundert Jahre später unter Regierung des großen Kurfürsten, 1640 angelegt.

Man erzählt von Paris, daß es unter Ludwig XI. noch nicht gepflastert gewesen sei, Berlin war schon reformirt, und hatte noch kein Pflaster. Der Unrath war in dem jetzt so reinlichen Orte so groß und zudringlich, daß er sich zuvorkommend mit allen ansteckenden Krankheiten verband, und die Pest und 248 der Aussatz zu wiederholten Malen ihre gefährliche Visite machten.

Karl Fischer, der Verfasser einer gründlichen preußischen Geschichte, dessen Chronikenstudium ich die meisten Details entlehne, erzählt von den heiteren Mädchen Berlins aus jener Epoche, daß sie trotz der noch so geringen Einwohnerzahl, eine ganze Gasse eingenommen hätten. Diese Gasse, in welcher noch heute der arabische Weihrauchsgeruch vermißt wird, und welche sonst ohne weitere Umstände nach ihren Bewohnern genannt wurde, heißt jetzt zart und schmeichelnd die Rosenstraße. Auch die Polizei kann ironisch sein, und dies wird den Historikern sehr zu statten kommen, welche durchaus der Meinung sind, die Ironie sei in Berlin erfunden worden. Diese unternehmenden Damen hatten die Verpflichtung, den Gassenkoth, so weit es möglich war, wegzuschaffen, und zu diesem Ende schloß man sie an zweirädrige Karren. Die Behörde derselben war der Henker, der in ihrer Nähe wohnte. Daraus ist 249 ersichtlich, wie viel auch diese Klasse von der Civilisation gewonnen hat.

Ein Kulturfortschritt, der ebenfalls gegen das Ende des sechszehnten Jahrhunderts fiel und der nicht eben erfreulich ist, aber in Berlin und unserem Norden überhaupt tiefe Wurzel gefaßt hat, ist der Gebrauch des Branntweins. Man sagt, die Araber hätten ihn erfunden; die Entdeckung Amerika's, Reis, Rum, Zucker, welche in den Verbrauch kamen, hatte wohl einen Hauptschwung für dies Feuerwasser gegeben, der Norden bedarf eines Anregungsmittels, man ließ den begonnenen kargeren Weinbau liegen und schwor zur Schnapsfahne, die heute noch über das nördliche Europa flattert.

Aus all der Erweiterung mache man sich indessen keine zu stattliche Vorstellung von diesem Berlin am Schlusse des sechszehnten Jahrhunderts, es hatte sich niemals über12000 Einwohner erhoben, und es brach eine so schwere Prüfungszeit mit George Wilhelm herein, daß es bei dessen Tode 1640 nur noch die Hälfte davon besaß. Die Gründe waren folgende: 250 George Wilhelm ging zur reformirten Religion über, dagegen gab es flammenden lutherischen Eifer und mannigfaches Aergerniß, der dreißigjährige Krieg brach aus, Schweden und Kaiserliche kamen als Feinde, da der Kurfürst nicht entschlossen Partei nahm, ansteckende Krankheiten wütheten, von 1200 Häusern Berlins standen beinahe 400 leer.

Unter solchen Umständen bestieg Friedrich Wilhelm der große Kurfürst 1640 den Thron, und begann die eigentlich preußische Periode, den reißenden Fortschritt. Als er starb, hatte Berlin 20000 Einwohner.

Er schuf und eroberte nach außen hin, und dennoch ward im Innern, besonders in Berlin das Meiste von ihm gethan. Er ließ zum Theil pflastern, ließ anbauen, brachte Garnison, sein Baumeister Memmhardt schlug Häuser und Palläste aus der Erde, der eigentliche Schloßbau ward nun im Großen vorgenommen, der große Marstall errichtet, ja Festungswerke wurden angelegt, von denen jetzt noch die damaligen Wallgräben der neueren Stadt als 251 Kanäle zu Dienst kommen, durch welche die Spree so mannigfaltig in der Stadt umher geleitet wird. Eine Hauptrichtung der Festungswerke hat man heute hinter dem Namen »Wallstraßen« aufzusuchen.

Der große Kurfürst begann auch das bereits erwähnte jetzige Berlin der vornehmen schönen Welt, was man mit einem Worte die Friedrichsstadt nennt. Sie trägt zwar ihren Namen von seinem Sohne, dem ersten preußischen Könige Friedrich I., und dieser legte sie allerdings im Großen und Glänzenden erst nach dem jetzt fertig prangenden Plane an, aber der große Kurfürst brach den Uebergang durch Gründung der Dorotheenstadt und Ausbreitung des Friedrichswerder, durch die erste, wenn auch beschränktere Anlegung der »Linden.«

Unter ihm kamen auch die ersten französischen Emigranten nach Berlin, welche des Religionsdrucks halber aus Frankreich gewandert waren, und eine bereitwillige Freistadt fanden. Man nennt alles dahin Gehörige mit einem Worte »die Kolonie,« und von dieser Kolonie datiren so viel französische Namen, 252 denen man heut noch begegnet, die vielen Institute, welche das Beiwort »französisch« tragen, französische Kirche, französisch Gymnasium, französische Straße. Diese zahlreichen Emigranten sind Veranlassung, daß in Berlin mehr als in irgend einer deutschen Stadt französisch gesprochen und mancherlei Französisches gepflegt wurde. Sie haben sich natürlich ganz amalgamirt und sind sehr gut preußisch gesinnt, man erkennt sie weniger am Deutschen, was sie gut Berlinisch sprechen, aber wohl am Französischen, was sie schlecht sprechen.

Für Wissenschaft und Kunst that der große Kurfürst das Außerordentliche und von ihm eigentlich stammt aller Kern und Grund feinerer Civilisation Berlin's, durch ihn rückt die Stadt zuerst Sturmschritts in die Reihe vorgeschrittener Städte, welche in langsamer, begünstigter Entwickelung an die Spitze ihrer Zeit gekommen waren. So wies er dem Joachimsthalschen Gymnasium, ehe ein Haus dafür bereitet war, die Lehrzimmer im eignen Schlosse an, und nahm die ungezogene, lärmende Jugend geduldig 253 in seine Nähe. Er gab das Privilegium zur ersten Zeitung; Peter Silverdingen durfte ein Theater errichten, und wöchentlich ein Spiel aufführen in der Pulcinellomaske; in feineren Gesellschaften trank man vorzugsweise Thee, was man sammt dem Tabakrauchen von den Holländern gelernt hatte; mit den Emigranten kamen die Schnupftabakdosen und die französischen Anzüge.

Es darf übrigens nicht geläugnet werden, daß der eigentliche Berliner immer noch ein toller, arger Geselle blieb, der seine derbe Faust und grobe Zunge zu den wilden Gelagen brachte, der dramatische Eckensteher ist eine stehende Figur gewesen vom ersten Wenden an bis auf Nante Nummero 22.

Friedrich III., der sich als Friedrich I. die preußische Königskrone aufsetzte, ist von den Historikern oft scheel angesehen worden, weil seine Schöpfung durchaus nur auf äußere Pracht, auf Titel und schimmernden Glanz gegangen sei, ohne Nachdruck für inneren Gehalt und wirkliches Wachsthum – man thut seiner historischen Stellung damit oft großes 254 Unrecht. Sein Naturel und Wesen war durchaus auf eine glänzende Repräsentation und eine äußere Darstellung dieser Art gerichtet, er hätte seiner derartigen selbstständigen Anlage nur Gewalt angethan und dadurch nach außen Schaden angerichtet oder wenigstens seine Bedeutung verloren, wenn er diesem eigensten Triebe nicht gefolgt wäre. Eine naive Handlungsweise ist stets wichtiger und folgenglücklicher als eine gemachte. Dazu war sein Hang zu Glanz und Pracht sorgfältig gebildet und geläutert durch eine reiche Erziehung in Kunst und Wissenschaft, angeregt und begünstigt durch den Umgang einer schönen, geistreichen Gemahlin, der Sophie Charlotte von Hannover, welche Charlottenburg den Namen gegeben hat, und dieser erste König ist um und um ein richtiger Ausdruck Berlins gewesen. Es besteht eine intime Wahlverwandtschaft zwischen ihm und dieser Hauptstadt eines jungen Reiches, die von größter Bedeutung ist: der Berliner nimmt voraus, was er erst langsam zu erwerben hat, der Gedanke des Besitzes ist seiner Zuversicht bereits der Besitz 255 selber. Das stört wohl den Soliden, verletzt den sorgfältig Strebenden, wird lächerlich, wenn es mißlingt, aber es ist ein Eigenthümliches aller Eroberung. Die Eroberung greift stets über die Kräfte hinaus, welche ihr der Anschein zutraut, Alexander mußte verlacht werden, als er mit einer handvoll Reitern das persische Reich stürzen wollte, die ersten Päbste wurden verhöhnt, als sie sich die ersten Statthalter Gottes nannten, Friedrich der Große ward verspottet, als er mit der sogenannten Potsdamer Wachtparade gegen Europa in die Schranken treten wollte – die Idee der Größe wird nie erworben, man findet sie, man raubt sie scheinbar aus dem Nichts. Nennt's Arroganz! Mit diesem Worte muß sich das Existirende schützen vor der Macht, die sich rücksichtslos nähert, und mit der Arroganz muß auf der andern Seite das Erobernde auftreten, es muß sich anmaaßen, denn Niemand schenkt das Wesentliche. Siegt sie nicht, so bezahlt sie's mit Leib und Seele, mit dem Spotte, der sie trifft, und gegründeter Spott ist das Schmerzlichste.

256 Der stolze Gedanke eines neuen Reichs war offenbar in Friedrich dem Ersten, er trat nur elegant, geputzt statt geharnischt, heraus, und weil man das Letztere gewohnt ist, so fiel er auf. Aber die Form, welche mit dem Königstitel geschaffen wurde, war ein unberechenbarer Gewinn, ein großer Bauplatz war abgesteckt und war Pallast genannt, schon der Enkel begann die Ausführung, den Bau selbst, ganz in dem vorgezeichneten großen Stile, ein späterer Enkel setzte ihn fort. –

Dies hat auf Berlin den größten Einfluß gehabt; der vorgreifende Gedanke des Berliners stimmte ohnehin dazu, und diese Unterstützung steigerte die Zuversicht, es gibt jetzt kaum einen zuversichtlicheren Menschen als den Berliner.

Durch ihn erhielt nun Berlin den ersten Stempel einer glänzenden Residenz, der Genosse Memmhardts, Nering, welcher den Plan der Friedrichsstadt entworfen hatte, begann die Ausführung, begann das Zeughaus, Schlüter, der berühmte, bildete später die Verzierungen darauf, als es Johann 257 de Bodt gegen Nerings Plan abgeschlossen hatte; Schlüter schuf die prächtige Reiterstatue des großen Kurfürsten, und seine Schüler machten die vier Gefesselten am Fuß derselben, Schlüter baute das Schloß weiter, und vereinte die vielen Bauten desselben zu einem Ganzen. Leider ist es nicht nach seinem Plane vollendet worden, sondern ein Herr Cosander von Goethe, der weniger Geschmack hatte als der spätere Namensvetter Wolfgang, veränderte unpassend den Schlüterschen Plan. Im Jahre 1709 wurden alle die einzelnen Städte zu dem gemeinschaftlichen Namen Residenzstädte Berlin vereinigt.

Dies war auch die Regierungszeit, in welcher Leibnitz, welcher mit der Kurfürstin Sophie Charlotte von Hannover gekommen war, in Berlin lebte und die Societät der Wissenschaften gründete. Bekanntlich ist dieser große Philosoph neuerdings von Dr. Guhrauer entdeckt worden, und zwar als körniger deutscher Schriftsteller und Charakter entdeckt worden. Es ist dies kein Spott, oder er trifft nur die unaufmerksame Zeit, welche ohne Charakteristik 258 ihre Zeitgenossen betrachtete, und uns Leibnitz als ein lateinisch-französisches Abstraktum überliefert hat, so daß Dr. Guhrauer mit größter Mühe aus dem Bibliothekenstaube einen nationalen Klassiker herausschütteln mußte, der deutsche Interessen und deutsche Sprache in dem sorgsamsten Herzen getragen, für letztere sogar Außerordentliches gethan, in ihr Mannigfaltiges geschrieben und auf's entschlossenste gearbeitet hat.

Außer ihm lebten in jener Uebergangsperiode unsrer Literatur im Anfange des achtzehnten Jahrhunderts, wo man sich mit ein wenig Geschmack, aber sehr geringer Schöpfungskraft, aus den versauerten Resten der zweiten schlesischen Schule herausarbeiten wollte, zu Berlin: der Freiherr von Canitz, der Herr Besser und Benjamin Neukirch, der Liederdichter; Spener predigte, Puffendorf und Beckmann schrieben Geschichte.

Der Herr Propst Spener, welcher zu den damaligen Pietisten gezählt wurde, hat übrigens eben so wenig mit den jetzigen Pietisten zu schaffen wie mit 259 den »Spenerschen Nachrichten«, aus welchen die jetzige Spenersche Zeitung erwachsen ist, und jener Beckmann war nicht so komisch wie der jetzige, er hat wenig Leute amüsirt, und eine märkische Geschichte abgefaßt.

Als Friedrich I. 1713 starb, hatte Berlin 50000 Einwohner, es war aber so eingeleitet, daß nach hundert und einigen Jahren mehr als fünf mal so viel gezählt werden; der Schatz war leer, aber das Glück der Hohenzollern brachte wie durchgehends in dem Leben derselben die ergänzenden Nachfolger: der Sohn, Friedrich Wilhelm der Erste, sparte beinahe neun Millionen Thaler und 80000 Kerntruppen, womit der Enkel, Friedrich II, beinahe anderthalb tausend Quadratmeilen eroberte, und die Thaten des Königstitels, die Anmaaßung einer vorgreifenden Residenz reichlich bezahlte.

Was oben über Friedrich den Ersten und seinen Bezug zu Berlin angedeutet war, und was ich über Friedrich den Großen in Bezug auf Berlin sagen möchte, läßt sich eigentlich sehr kurz ausdrücken: 260 außerdem, daß sie Könige waren, waren sie Berliner. Wesentliches vom Berliner Charakter ist in ihnen ausgeprägt, in jenem die vorausnehmende Repräsentation, in diesem noch weit mehr: er unternimmt einen gefahrvollen Krieg, und übernimmt die Führung, ohne etwas Anderes für sich zu haben, als ein fragloses Selbstvertrauen. Dies Vertrauen ist ein so in's Allgemeine hin gerichtetes, man darf sagen, solch ein Unternehmungsvertrauen in Bausch und Bogen, wie es eben den rücksichtslos Wagenden eigenthümlich ist, wie es durchweg am Berliner gefunden wird. Man soll dem Berliner heute sagen: »Wenn Du Dies oder Jenes thust, so erklärt Dir ganz Europa den Krieg«, er thut's doch und erwidert: Mit dem Entdecken Europa wollen wir schon fertig werden. Er hat eine so gute Zuversicht, daß er nie eine Gefahr detaillirt, und deßhalb leicht die größten Erfolge gewinnt, denn bekanntlich hilft die Berechnung wohl, aber sie erschafft wenig. Ganz in diesem Unternehmungssinne en gros ritt Friedrich der Große nach Schlesien in den Krieg hinein, und 261 war über sich selbst erstaunt, in der Schlacht bei Mollwitz die Sache schwieriger und verwickelter und sich mit dem langen Schimmel auf der Flucht zu finden. Schwerin gewann bekanntlich die Schlacht noch; der König lachte sich nun auch selber aus, und die neue Erfahrung, welche einen Andern bestürzt hätte, ward Stoff zu neuem Muthe, sie belehrte ihn, daß man sich auch für so etwas gefaßt halten müsse, und da er's nun wußte, so ist es ihm nie wieder begegnet. Um so viel größer ist der Muth und die Unternehmungsdreistigkeit im Allgemeinen, der Charakterzug, die Atmosphäre des Muthes, als der einzelne, muthige Anlauf, wenn sich der Gefahr nicht mehr ausweichen läßt. Und diese Atmosphäre ist ganz die des Berliners – Goethe, der wenig mit Berlin verkehrt hat, erkannte diesen Mittelpunkt vortrefflich, und bezeichnete die Berliner als eine verwegene Nation.

Es ist wohl möglich, daß die Marken überhaupt, mehr blos gestellt, und weniger in die Sicherheit eines umfriedeten Reiches aufgenommen, von Jugend 262 auf an eine dreistere und waglustigere Existenz gewöhnt wurden. Der Märker ist halb aus Berlin, und Berlin ist ganz der Mittelpunkt einer stets schlagfertigen, nach allen Seiten hin unternehmenden Mark.

Bekanntlich lebte Lessing unter Friedrich des Großen Regierung eine Zeitlang in Berlin, verkehrte mit Mylius, Nicolai, Mendelssohn und mit Schauspielern, ja, hatte die beste Lust, mit einer wandernden Bande in die Welt zu ziehen. Hätte Friedrich der Große damals mehr Zeit gehabt, wäre seine erste Richtung literarischer Kultur nicht in eine Periode deutscher Magerkeit gefallen, wäre Lessing ihm deutlich vor Augen gekommen, Berlin wäre damals vielleicht die wunderbarste Pflanzschule einer neuen Epoche geworden, denn Lessings gebieterisches Talent paßte so ganz und gar zu diesem vorgreifenden Wesen einer Stadt wie Berlin, eines aufspringenden Staates wie Preußen. Er kam zu dreien Malen immer wieder nach Berlin, und es gelang ihm nicht, sich zu begründen; in die Stille von Potsdam zog er 263 sich eine zeitlang zurück, um seine Miß Sara Sampson zu schreiben; also wenig Schritte vom Könige saß er, dachte und schrieb, und trug einen solchen Umschwung der Literatur im Herzen, wie jener einen des Kriegs und des Staates, und sie sprachen und kannten sich nicht. Er sah den König oft vorüberreiten, der König sah ihn nicht!

Von Lessing's Spuren in Berlin ist wenig aufzufinden; Herr v. Sternberg hat eine Novelle über ihn geschrieben, wo er mit den Schauspielerinnen in Berlin herumgeht, aber es ist nicht wohl auszufinden, wie viel der Novellist, wie viel Lessing gethan habe. Voltaire war bekannter, sein Haus auf der Taubenstraße wird noch heute gewiesen.

Soll ich noch der Anekdoten und Witze Friedrichs gedenken, welche ein stehender Artikel des deutschen Lebens geworden sind, und eine Popularität genossen wie Schillers Verse? Der Kriegsrath Müchler lebt seit Jahren von den Anekdoten Friedrichs, und er ist ein wohl genährter Mann. Tritt Euch nicht interessant genug auch darin die Vergleichung mit dem 264 jetzigen Berlin entgegen? Ist's nicht ganz Berlinisch, mit einem kurzen Geschichtchen, mit einer Scene, mit einem Witze, die man dreist aufgreift von der nächsten Straße, von der nächsten Begegnung, eine Charakteristik zu liefern? Ist nicht auch darin ein dreistes, entschlossenes Leben, was dem wirklichen ohne weiteres den frechen Spiegel vorhält? Es klänge frivol, wenn man sagen wollte, die Berliner Witze datirten von Friedrich dem Großen, aber ein nahes Verhältniß zwischen seinem stets kampffertigen Geiste und der jetzigen Nationaleigenschaft, für Alles sogleich eine scharfe Fassung zu gewinnen, dies nahe Verhältniß übersieht nur der Flüchtigste.

Soll ich nicht auch eine Anekdote erzählen? Dieser Theil der Berliner Geschichte wäre unvollständig ohne sie. Sie spielt zwar in Potsdam, aber Potsdam ist bekanntlich eine Vorstadt von Berlin.

Eine Höckerfrau saß unweit des Schlosses mit ihrem kleinen Krame, und der König stapft eines Tages mit der Krücke an ihr vorüber, und sagt: 265 Nun, Mutterchen, wie ist's gegangen während des Krieges?

Wat? Krieg hat's gegeben?

Nu freilich, wir haben ja den siebenjährigen Krieg geführt.

Ach, was weeß ich! Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.

Diese rücksichtslose Antwort ist dem ächten Berliner wie aus dem Gesicht geschnitten, er würde dem Herrgott, wenn er ihm noch so sehr ergeben wäre, einen solchen Bescheid geben, sobald ihn dieser nach etwas fragte, was just nicht in seinen Kram paßte.

Unter Friedrichs des Großen Nachfolger, unter Friedrich Wilhelm II. wurde das Landrecht eingeführt, was Friedrich schon beabsichtigt hatte, und das prächtige Brandenburger Thor ward erbaut. Der Baumeister war Langhans, und das Vorbild gaben bekanntlich die Propyläen der Akropolis zu Athen. Der Bau hat anderthalb Millionen gekostet, die Quadriga darauf mit der Siegesgöttin, welche jetzt 266 in ihrem Kranze das Landwehrkreuz trägt, seit man sie in Paris wieder eingelös't hat, ist von Schadow modellirt, »von den Gebrüdern Wohler zu Potsdam in Holz groß nachgearbeitet, und endlich von Jury, einem Kupferschmiede aus derselben Stadt, in Kupfer ausgetrieben.« Der Berliner höherer Klasse nennt das Gebilde kurz weg die Viktorie, der gemeinere die Siegesgöttin, wie er den schwieriger zu bewerkstelligenden Namen des Hippogryphen auf dem Schauspielhause, den Friedrich Tieck gebildet hat, mit der deutscheren Benennung »Heuschrecke« abspeis't.

Schauspiel und Oper war um diese Zeit immer mehr eine nothwendige Liebhaberei geworden; das deutsche Theater behalf sich lange mit Privatgesellschaften und Privattheatern, die Drebbelinsche Truppe, welche in einem Hause der Behrenstraße agirte, ist noch manchem alten Herrn erinnerlich. Jetzt verwandelte der König das französische Schauspielhaus auf dem Gensdarmenmarkte in ein Nationaltheater.

267 Es ist oft gefragt worden, warum der Platz Gensdarmenmarkt heißt, da doch keine Gensdarmen dort verkauft würden, so viel man ihrer auch sähe; dieser Wißbegierde soll geholfen werden: Unter Friedrich Wilhelm I. waren merkwürdig genug die Ställe der Gensdarmerie an den beiden Kirchen dieses Platzes angebracht, und daher jene Thränen.

Für die Oper hatte Friedrich der Große bereits das Opernhaus errichtet, dies ward jetzt im Inneren dergestalt ausgeschmückt, wie wir es heute noch sehen.

Die berühmtesten Musiker aus dem Schlusse des vorigen Jahrhunderts zu Berlin waren Reichardt, Righini, Himmel, Benda; Vorliebe für Musik, eigne Ausübung oder doch Förderung derselben ist fast im Durchgehen der Zug der Hohenzollern. Wir haben in der früheren Zeit schon einen Leiter des Kirchengesanges unter ihnen gesehen, wir finden den großen Kurfürsten unter aller übrigen Sorge höchst thätig dafür, er sendet Künstler auf Reisen, damit sie Musik übten und lernten, er hielt und 268 pflegte eine große Kapelle, die ganz im Widerspruche mit dem jetzt so unmusikalischen England größtentheils aus Engländern bestand. Friedrich der Erste errichtete die Oper, ließ Lautenspieler aus Paris, Hautboisten aus Polen kommen, Händel trat damals in Berlin auf, die Kurfürstin Charlotte komponirte selbst. Daß Friedrich der Zweite die Flöte blies, ist bekannt, und es wird immer ein höchst wunderlicher Zusatz für den berühmten König bleiben, wenn man ihm, dem nüchternen und spottenden, dies Instrument des sentimentalen und melancholischen Tones in die Hand giebt, wenn man ihn die alten bescheidenen Melodieen blasen läßt. Vielleicht durch sein Beispiel war die Flöte noch zu Anfange dieses Jahrhunderts sehr in Aufnahme, man las noch Geßner und hielt sich Wäldchen, und blies – in der modernen Frivolität ist dieser sanfte Hauch verschwunden. Schon der Nachfolger Friedrichs hatte eine viel komplicirtere Neigung, Friedrich Wilhelm II. spielte das Violoncell.

269 Man muß gestehen, daß Flöte ganz wie Klassik, Violoncell ganz wie gewürzte Modernität klingt, 's ist schon ein romanisches c in diesem Worte, und das Wort Flöte flötet selber, man denkt an Pan, an die Rohrpfeife, die Syrinx, der Mond geht auf, die Lüfte säuseln; beim Violoncell denkt man an's Concert.

Ganz Berlin lebt und richtet sich nach einer einzigen Uhr, die gar nicht einmal schlägt, sondern nur zeigt: der Kaufmann, der Student, der Barbier und der Dandy bleibt vor der Akademie stehen und richtet seine Uhr nach dem Zifferblatte der academischen, sie stammt aus der Regierung Friedrich Wilhelms II., unter welchem auch die Kunstausstellung in demselben Gebäude ihren Anfang nahm. Als er 1797 starb, hatte Berlin über 180000 Einwohner; die letzten vierzig Jahre haben hingereicht, es um 100000 reicher, und aus all den Einzelheiten eine kompakte Residenz im größten Stile zu machen.

Sie hat ihre großen Ansprüche in der französisch deutschen Zeit ununterbrochen bewährt, es hat 270 keine Hauptstadt in Deutschland gegeben, welche sich entschlossen feindlicher gegen fremde Tyrannei gezeigt hätte als Berlin. Man täuscht sich sehr, wenn man hinter den Witzen und Uebermüthigkeiten, hinter dem aufgeblasenen Plunder und Wortgefechte nichts als leeren Dünkel und Hochmuth sehen will. Es wird an diesem auch nicht fehlen, aber es fehlt auch nicht an dem klaren oder unklaren Bewußtsein, daß man das Herz eines muthigen Staates sei. Vielleicht ist in Europa keine Hauptstadt, die im Charakter der Bevölkerung so viel Anlage zu den Vorzügen und Unarten der Pariser hat.

Der Uebermuth, die Herausforderung vor 1806, über welche so viel erzählt und gespottet worden ist, war wichtiger, als daß man blos darüber spotten durfte. Allerdings hat man die Säbel auf den Straßen gewetzt, und den Krieg herausgefordert mit allem Uebermuthe – wer wagte dies denn damals in Deutschland, wer hatte Muth zum Uebermuthe? Und für das Unglück bei Jena und Auerstädt konnte 271 Berlin und Auerstädt keinesweges; aus dem unschätzbaren Gentzschen Memoriale ergiebt sich unwiderlegbar, daß eine muthvolle tüchtige Armee knirschend durch eine verwirrte Oberleitung gefesselt, unmächtig, verloren gemacht wurde.

Wie hat sich Berlin wenige Jahre darauf gegen Schill benommen! Mit Enthusiasmus empfing es ihn, und Berlin eigentlich war es, was ihn zu dem romantischen Zuge ausschickte, zum Stegreifkriege gegen Napoleon; Berlin war der eigentliche Heerd des Befreiungskrieges, welcher nur der Situation wegen nach Breslau verlegt wurde; schaarenweise strömten die Freiwilligen aus Berlin zu der extemporirten Armee; bei Lützen hat Napoleon mit Erschrecken gesehen, daß er selbst im Feuer nöthig sei, um diese todesverachtende Jugend zu besiegen, dort schlafen auf der großen Fläche lange Reihen Berliner Söhne. Die tiefen Wunden jenes Kriegs findet ihr nirgends so zahlreich als in den Berliner Familien, die schwere Narbe des einzigen Sohnes, 272 die Narben aller Söhne, die größten Lücken des Befreiungskrieges, Berlin trägt sie.

Blücher, zwar aus Mecklenburg gebürtig, war ganz ein Berliner, insoweit die Atmosphäre dieser Stadt sich charakteristisch äußert; seine Bildsäule, der Hauptwacht gegenüber am Opernplatze, wird wie das Bild eines speziellen Landsmanns angesehn, der von der Friedrich- oder Kommandantenstraße stammt. All die harschen Aeußerungen, welche von ihm bekannt sind, gehören mitten in die Berliner Redeweise. Als Talleyrand ihn beschwören ließ, den pont de Jéna nicht in die Luft zu sprengen, da hätten von zehn Berlinern zehne so geantwortet wie Blücher. Wenn sich der Herr Talleyrand noch selber mit drauf setzen wolle, so wird es mir sehr angenehm sein.

Allerdings gehört auch alles Rüde des alten Soldaten in diesen Vergleich; aber nicht aus Porzellanerde, sondern aus schwarzem Boden wachsen die starken Bäume; der feine Sinn mag für das 273 rohe Element einer energischen Stadt Bildung und Milderung wünschen, aber der schildernde Autor darf durch die rauhe Schaale nicht über den gesunden Kern getäuscht werden.

Starke Menschen sind ihrem innersten Sinne nach überall Pairs, sie denken nicht darüber nach, sie wissen es oft nicht, sie gehorchen, wo es eine Form verlangt, die ihnen geläufig ist, aber ihr eigentlich unbefangner Mensch stellt sich neben Alles, neben die höchst gestellten Personen, neben die höchsten Institute, er dünkt sich für nichts zu gering.

Dieser ächt berlinische Zug war bis zur Gedankenlosigkeit in Blücher ausgeprägt, und man hat die wunderlichsten Geschichten darüber. Der jetzige König von Preußen, welcher dem alten, spiel- und verschwendungssüchtigen, Feldmarschall Alles gab, und mit Langmuth und unwandelbarer Erkenntlichkeit immer wieder gab, wenn das durchlöcherte Faß wieder ausgelaufen war, lud den alten Degen nach dem Feldzuge oft zu Tische. Es wird 274 beim Könige regelmäßig Jahr aus, Jahr ein um zwei Uhr gespeis't, und er sieht es natürlich sehr ungern, wenn ein Gast später kommt; Blücher kam gewöhnlich zu spät. Eines Tages auch; der König rügt es, Blücher noch stehend, sieht sich erstaunt um, zieht seine Uhr aus der Tasche, und sagt: Weeß es Jott, 's is en Viertel uf Drei! 275

 


 


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