Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 5
Heinrich Laube

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Heine bei Stehely und im Kasino.

Es war gegen Abend. Um diese Zeit geht in Berlin derjenige junge Mann; welcher bei Jagor oder Meinhardt zu Mittag ißt, und welcher der Unterhaltung wegen an Journalliteratur Interesse nimmt, um diese Zeit geht er zu Stehely. Es müßte ihm denn auf dem Wege von den Linden bis zum Gensdarmen-Markte ein anmuthiges Abenteuer aufstoßen, dessen geheimnißvolle Couleur ihn verlockt – Leben ist immer mehr als Papier; dann kommt der junge Mann nicht bis an das niedrig graue Haus an der Jägerstraßenecke, oder streicht zerstreut vorüber. In jenem grauen Hause, dreißig 345 Schritte vom Schauspielhause, ist ein kleines Büffet, hinter welchem erfüllte Gestalten mit grauen Jäckchen, weißen Schürzen und römischen Physiognomien stehn – in dem Winkel des kleinen Zimmers sitzen Officiere, Herren mit Ordensbändern, welche sich unterhalten oder lesen. Aus diesem Büffetzimmerchen tritt man in ein langes niedriges Gemach, die Gasflammen leuchten links und rechts, der Wand entlang stehen lauter kleine Tische, auf diesen liegen lauter Journale, an ihnen sitzen lauter Leser. Es ist ganz still; nun der durchschreitende Garçon mit grauem Jäckchen und weißer Schürze ruft dazwischen: Caffee! Chokolade!

Hinten am Ende des Zimmers führen drei oder vier Stufen in die Höhe – ein symmetrisch hohes Gemach empfängt Einen – in allen Winkeln, mitten im Zimmer sogar wieder Leser; sprechen hört man wenig, doch mehr als unten.

Das Zelt ist ein Kabinet, das mit einer buntgestreiften Zelttapete drappirt ist; beim Kaffeetrinken eine Illusion mit Arabien, da Stehely schönen Kaffee reicht, und bei Gelegenheit der Politik manches Mährchen aus tausend und einer Nacht hier verbraucht wird – unsere Kannegießer sind Scheherezades Kinder. Ich trat in's Zelt – ein blasser Herr saß im Winkel; es war ein bedeutendes modernes Gesicht, das heißt ein solches, was nicht durch Umriß und Einzelnes für den ersten Augenblick Beachtung erheischt, in welchem sich aber bei längerem Einblick fein schattirte, interessante Partien, wunderbar halb gefärbte, reizende Scenen entwickeln. Der Mann hatte eine zartgebogene römische Nase, um den Mund saßen scharf markirte Gedanken, die schlanke kleine Figur hatte just so viel Feistes, um anzudeuten, daß er die irdischen Herrlichkeiten der Welt, den weißen Fasan und die rothe Rebe vom Schlosse la Rosa zu würdigen verstehe, daß einzelne schwermüthige Gedanken nicht von reizloser Zunge und tonlosem Magen herrührten. Er erinnerte auf keine Weise an die Trivialitäten 347 des politischen Lebens: nicht an Stubenwirthe, an Abonnement beim Garkoch, an Silbergroschen oder Viertelfranks.

Ich trat zu ihm und sprach: Madame, ich liebe Sie –

Sie haben's getroffen, sagte er, deshalb bin ich hier, ich mußte Sie einmal wiedersehen, der ich einst jene Liebeserklärung machte, welche die Deutschen coquett gefunden haben – keine Vorwürfe, keine Besorgniß, ich heiße Henri Heise, Mrs. tailor from London, ich will eine Tragödie meiner Jugend zurechtschneiden, dazu mußte ich Berlin im Mondscheine wiedersehen, mußte diesen blanken dreisten Accent wiederhören, der einst auf meine heiße Liebeserklärung die besonnenen Worte äußerte: »Sie müssen ein Glas Wasser trinken« – all diese süßen Kontraste meines jungen Herzens, schöner Baukunst, grober Grisetten und Gassenjungen, schwärmender Damen, welche die Wohnung des Viertelskommissarius kennen, Raupachs Stücke loben, die Musik-Recensionen der Vossischen Zeitung 348 lesen, und doch für Tieck's Phantasus Enthusiasmus hegen, all diese reitzenden Gegensätze muß ich wiedersehen, muß jener Madame ein Ständchen bringen, und vom Nachtwächter, dem dicken, großen auf der Charlottenstraße, fortgejagt werden, wenn ich meine Tragödie gebären soll.

Lassen Sie uns zu dem Ende promeniren, sagte ich; hier bei Stehely finden Sie nicht das reine Berlin, auch spricht man hier zu wenig; unter die Linden wollen wir gehen, die im Spätsommer jrien werden. –

Ach, wat jehen mich die jrienen Beehme an, die Charlottenstraße hat mich hergerufen, kommen Sie.

Wir gingen. Der Mond lag weiß und schön auf dem Gensdarmen-Markte, ein Mädchen trällerte an uns vorüber und sang die Worte:

Es war ein schöner Page,
Blond war sein Haupt, leicht war sein Sinn;
Er trug die seid'ne Schleppe
Der jungen Königin. –

349 Wackres Mädchen, wackres Mädchen! sagte Henry, drängte mich am Arme still zu stehen, und wir horchten. Das Mädchen verlor sich in dem Schatten des Schauspielhauses; aus weiter Ferne hörten wir noch:

An Deinen blauen Augen
Gedenk ich allerwärts,
Ein Meer von blauen Gedanken
Ergießt sich über mein Herz. –

Wackres Mädchen! Wissen sie nun, warum ich nach Deutschland gekommen bin? ich brauche die Stimme meiner Heimath, wenn ich ein Dichter bleiben, ich muß das Echo meiner Lieder hören, wenn die Stimme des Gottes in mir wieder klingen soll; ach Freund, ja wohl rudern wir in einem reizenden Unglück umher – wir verbergen es nur, und Sie, mein Freund, haben Recht, wenn Sie mal irgendwo sagen: wir haben kein Geschick, unglücklich zu sein. Aber die Ingredienzien sind alle da: Wer dichtet ihnen die Lieder, mit denen sie das müde Herz aufwecken, wer reicht ihnen den 350 mannigfach geschliffenen Spiegel, von welchen ihnen Zeit und Kultur gefällig, zum Verständniß lockend wiedergespiegelt wird – und weil Einzelnes an uns mißfällt – ach –

Soll ich ihnen die Mondesabende beschreiben, an welchen ich zu Boulogne am Meere saß? Wie schwarze Seidenberge, mit goldner Stickerei des Himmels lag und drängte das Ewige zu meinen Füßen, dumpf grollend fragte es zu mir herauf: Hast du keine Heimath, keinen Muth eine Heimath zu haben, Heimath ist ein süßer Kulturbegriff, Hintergrund aller Poesie, Dein Herz wird verdorren in der Fremde, Deine Tragödie wird kalt bleiben, wenn du ihre Helden nicht wiedersiehst – die Franzosen sind Deine Helden nicht, sie können nicht lachen, wenn ihnen die Thräne im Auge steht, sie können nicht weinen in stiller Kammer über das Unglück eines verborgenen, unbedeutenden Menschen, sie sind über das Moderne hinaus; die Wehmuth desselben, die schwarze Folie desselben, die Vergangenheit erweckt ihnen keine Pietätsgefühle; 351 mache Dich auf nach der Heimath! Und ich mich auf die Maille, kam Abends über die erleuchteten lärmenden Boulevards des rauschenden Paris, und ließ mich nicht halten; am hellen Mittage fuhr ich durch das grüne Frankfurt, an einem andern Mittage saß ich im freundlichen, lichten, deutschen Leipzig auf der Petersstraße bei Julius Kistner im Hôtel de Bavière, Deutschlands erstem Gastwirthe. Sie haben Recht ihn zu preisen, diese liebe Artigkeit und Freundlichkeit brachte mir alle Ahnungen und Reize der Heimath wieder, und auf's Beste vorbereitet kam ich so nach Berlin – hier, Freund, ist das Haus, hier wohnte sie, zu der ich sagen mußte, Madame, ich liebe Sie!

Wir stiegen die Treppe hinauf und klingelten – drinnen war laute Musik, man hörte die Glocke nicht, die Thür des Entrées war nicht verschlossen, wir traten ein, weiblicher Gesang ward verständlich, Gesang, wie ihn nur deutsche Weiber haben: einfach, rührend, innig, mitten aus dem Herzen: 352

»Weißt Du, was die hübschen Blumen
Dir Verblümter sagen möchten?
Treu sein sollst Du mir am Tage,
Und mich lieben in den Nächten.«

Ja wohl, ja wohl, flüsterte Henry, that ich auch nicht das Eine, so that ich doch das Andere – treten wir ein.

Es war eine hohe, schöne Dame in weißem Gewande, welche am Flügel saß, ganz die Berlinische schöne Figur, das vornehme Gesicht von stolzen Formen, das große, ruhige Auge. –

Ach, es ist eine Andere, flüsterte Henry, Madame, pardonnez, ich habe das Lied gedichtet, was Sie eben sangen, und suche Madame ***, die sonst hier wohnte. –

Die Dame sah nicht eben freundlich drein, griff nach der Klingelschnur und sagte: Jene Dame, die einst hier gewohnt haben kann, kenne ich nicht, Sie, mein Herr, eben so wenig, auch finde ich es sehr sonderbar –

Sie klingelte.

353 Bon soir, Madame!

Die Zofe kam mit Licht. Sie sagen in Deutschland, meinte Henry, als wir die Treppe hinabstiegen, bei solcher Gelegenheit: man leuchtet ihm heim, hier leuchtet man uns aber in die Fremde. Wie heißt Du, schönes Kind, mit den schönen dunkelblauen Augen?

Dörtchen, mein Herr!

Adieu, Dörtchen, Du sollst eine Rolle spielen.

Nun, mein Lieber – wir waren auf der Straße, ich habe genug für meine Tragödie, dort kommt auch der dicke Nachtwächter, ich will noch ein friedliches Gespräch mit ihm anknüpfen, und dann wieder abreisen. Ueberlassen Sie mich meinem Schicksale, auf jenem Sterne über der französischen Kirche finden wir uns wieder.

Wir schieden.


Dies ward geschrieben, da das junge Deutschland so eben als politischer Körper anerkannt und ihm der Krieg erklärt worden war. Wir durften 354 in diesem ersten Blokadezustande nur als Gespenster, als schwarze Striche existiren, als abgeschiedene Geister, die keine Eigennamen, sondern nur den leichenweißen, schreckenden Titel: »Geister« führen, die beim Hahnenschrei des Polizeikommissarius von den Bücherbretten, aus dem Salon verschwinden mußten. Und doch hatten wir privatim unsre menschlichen Bedürfnisse, wir wollten Kaffee trinken, Bücher schreiben, uns miteinander unterhalten. Deßhalb erfanden wir uns eine Chiffrensprache, und ich citirte Henry Heine mit dem dreisten Rufe H.H! Heine hat so viel mit Berlin zu schaffen, er hat lange hier gelebt, sein Wesen ist oft geschwängert von Berliner Schärfe. Es wäre ihm eine Erfrischung nach der langen Fremde, alljährlich ein Paar Monate in Berlin zu leben, bei Stehely die Flohstiche der deutschen Journale zu genießen. Merkwürdig genug stammt diese ganze stürmische Literatur aus diesem Bereiche des Nordens und der Völkermischung, besonders aus der Mischung des Deutschen und Slavischen; Gutzkow ist mitten aus Berlin, aus einem 355 kleinen Häuschen auf der Mauerstraße; sein Name ist ganz wendisch-märkisch, still und fleißig ist er bis zum Schlusse seiner Universitätszeit hier in die Schule gegangen; Mundt ist ebenfalls ein Berliner. Wienbarg, aus Altona, hat mit den nahen Dithmarsen Verwandtschaft und Berührung; Laube, um objektiv zu sprechen, ist aus dem schlesischen Theile, wo schon die polnische Sprache herüberreicht, und Heine ist das Ergebniß einer noch großartigeren Mischung: die Ahnen seines Vaters stammen von den Propheten des Jordans, die seiner Mutter sind deutsche Edelleute, er selbst ist von Jugend auf Christ gewesen, das heißt, wie wir alle, einige Tage des ersten Schreiens nach der Geburt ist er getauft worden. Dies Gefas'le also, das kreirte junge Deutschland sei eine jüdische Kolonie, gehört in den Jargon jener Mittelmäßigkeit, welche sich vor der Regsamkeit des jüdischen Geistes fürchtet, und mit dem Wort »Jude« bei der Hand ist wie der Professor Krug mit dem Worte »Jesuit.« Ehe die Juden Mode wurden, hieß bekanntlich jeder ungewöhnliche 356 Geist Jesuit, und wie die alten Weiber bei jedem Erschrecken »Feuer« schrein, auch wenn sie in's Wasser fallen, so lebte Madame Krug viele Jahre lang von dem Schreckensrufe »Jesuiten«, und die kleinen Krüge unserer Zeit, welche so lange zum Wasser gehn, nennen es jetzt Juden.

Jede Zeit erzieht sich ein Schreckwort: die wirklichen Juden hatten die Philister, die Griechen hatten die Tyrannis, die Römer den Hannibal und die Cimbern, das deutsche Reich hatte den Türken, jetzt haben wir die Juden.

Heine hat sehr viel bei Stehely gesessen und ist dort auch einmal von der rohen Lebensart Grabbes mißhandelt worden. Grabbe's dissolutes Wesen kennend, hat er weiter keine Notiz davon genommen, und dies hat Grabbe so gewurmt, daß er noch kurz vor seinem Tode sich darüber beschwert hat.

Aber was sollte Heine mit Ihnen thun? fragte der Besucher, welchem er den Vorfall erzählt, sollte er Sie fordern?

Nein, derartig war die Sache nicht.

357 Sollte er Sie prügeln, oder, da er körperlich schwächer war denn Sie, prügeln lassen?

Nein, das war Alles unzureichend, er mußte mich morden.

Sonst wird Heine's Wesen in Berlin wie ein noch einsylbigeres geschildert als jetzt, da er im rollenden, durcheinander werfenden Paris etwas geläufiger, ausgebender geworden ist. Er hat sich äußerst schweigsam verhalten, und dadurch leicht das Ansehn gehabt, als sei die Erfindung des Schießpulvers nicht von ihm ausgegangen, während er doch wirklich eine Art Schießpulver – Literatur erfunden hat. In Gesellschaft von Konsorten hat der koncentrirte poetische Geist oft dieses Ansehn, besonders ein solcher, welcher von Hause aus auf einen schlagenden nachdrücklichen Ausdruck gestellt ist – das Massengespräch hat durchweg etwas Verwaschendes, die ungewählte Woge verschlingt das Absonderliche; die Nüance, die Spitze, in welcher ein breiter Redekreis enthalten und zur Waffe gefügt sein kann, geht verloren im Schwall, welcher Raum und 358 Ausdehnung braucht, Zeit füllen, objektiv Unnützes berühren will. Eine prächtige Muschel in der Brandung! was ist sie dort? Aber im Zimmer, auf unsrer Hand ist sie ein Wunder. Auch die Gesellschaft ist grausam, wie alle Masse; wer sich ihr ganz anheim gibt, wird ausgehöhlt, verliert die Sammlung und Jungfräulichkeit, welche alle Schrift erheischt.

Anders ist es mit dem intimen Gespräche, das erschließt und lohnt, da ist auch die Verschwendung Gewinn, weil die Gedanken und Einfälle in ein scharfes Verhältniß nahe zu einander treten, und für die wenigen Theilnehmer eine wirkliche Existenz gewinnen. Davon hat man auch aus jener Zeit schlagende Proben des Heineschen Genius; besonders der Rahel gegenüber, die Heine sehr verehrt hat, sind ächt Heinesche Aeußerungen noch bekannt.

Aus seiner Berliner Zeit findet sich in einem alten »Gesellschafter« ein großer Artikel »über Polen«, den er 1822 geschrieben, und später nie wieder zum Abdruck oder auch zur bloßen Erwähnung benutzt 359 hat. Von Berlin aus hat er den preußischen Theil von Polen speciell und sorgfältig bereis't, hat auf den Schlössern mit den Magnaten geschmaus't und gezecht, in den Wäldern, auf den Angern mit dem Bauer sein Stück Brod getheilt, in den kleinen Schmutzstädten dem polnischen Juden zugesehn. Dieser Artikel ist bescheiden und schüchtern mit ....e unterzeichnet, trägt aber alle Keime der Reisebilder, sogar die artigsten Knospen derselben, und wo es an der späteren springenden Genialität fehlt, da entschuldigt eine noch jugendlich-sorgfältige Ordnung im Stoffe, ein komisch-würdevolles Trachten nach ernsthafter Gründlichkeit.

Sein sorgloses Wesen hat auch in der letzten Periode des polnischen Interesses diese Berliner Arbeit nicht beachtet. Schnabelewopski allein setzte einmal an zu einem Rückblicke auf jene Reise, für den Literarhistoriker und für Heine's Freunde ist es aber vielleicht nicht ohne Interesse, an kleinen Proben zu sehn, wie dieser schimmernde, viel besungene und viel beschriene Stamm ausgesehen hat als junges 360 Stämmchen. Ein Artikel, der fünfzehn Jahre in einem Journale liegt, ist ja auch in ein tiefes, feuchtes Archiv vergraben; man hat einmal aufgestellt, daß nirgends etwas besser versteckt werden könne, als was man in dem Winkel eines Journals abdrucken lasse. Wenn nicht das Interesse stark und plötzlich beim ersten Erscheinen durchschlägt, so ist der Druck das beste Mittel, ein Geheimniß zu bewahren; alte Briefe lies't man, alte Geschichten hört man mit Neugierde, aber altes Druckpapier, Makulaturhoffnung, wird zu allen Dingen mehr gebraucht, als zum Lesen, drum wird das Interessanteste oft beim dringendsten Geschäfte entdeckt.

»Hier gibt es«, sagt der Artikel »dicke, mürrische Fichtenwälder.« –

Bekanntlich hat Heine den todten Gegenständen die Persönlichkeit erfunden, er hat ihnen die Zunge gegeben und gelös't, und auch den Baum und den Stein mit Stimmungen beschenkt, welche sie sonst nur hervorriefen. »Mürrische Fichtenwälder« gab's vor Heine nicht; wenn sich die Fichtenwälder 361 wegen Injurien über ihn beschweren, so ist das ganz gerecht.

– Sonntags geht der polnische Bauer nach der Stadt, »um dort ein dreifaches Geschäft zu verrichten: erstens, sich rasiren zu lassen, zweitens, die Messe zu hören, und drittens, sich voll zu saufen. Den durch das dritte Geschäft gewiß Seliggewordenen sieht man des Sonntags, alle Viere ausgestreckt, in einer Straßengosse liegen, sinneberaubt und umgeben von einem Haufen Freunde, die, in wehmüthiger Gruppirung, die Betrachtung zu machen scheinen: daß der Mensch hienieden so wenig vertragen kann!«

Auch Censurstriche finden sich schon vor, obwohl sich der junge Heine sehr sorgsam und bedächtig anstellt; Genies kommen immer mit Oppositionszähnen auf die Welt, wie es Mirabeau in der Wirklichkeit begegnet ist. Dem Witze die Opposition nehmen, heißt den Reiter tadeln daß er zu Pferde sitzt. Witz ist eben der Krieg des Lachens, zu Krieg gehören Feinde, oder doch Gegner, oder wißt Ihr das besser? 362 Solch eine bessere Erfindung würde knieend gedankt, es ist eben das Unglück der jetzigen Schriftstellerei, daß man den Witz so ernsthaft nimmt, und niemals glaubt, er mache sich zuweilen nur einen Strohmann zum Gegenstande, weil er einen Gegenstand für den schriftstellerischen Prozeß braucht. Versteht Ihr das? Hierin ist ein Mittel gegeben, diejenigen zu retten, welche aus Versehen witzig sind an Gegenständen, die keinen Witz haben und vertragen, die unschuldigen Uebelthäter würden gesondert von den schuldigen. Versteht Ihr's nicht? Nein? Das ist freilich schlimm, wenn die Justiz nicht in das Geheimniß des Witzes einzuweisen ist, dann bleibt der Witz ein Feind, ein Bösewicht.

Die Politik anlangend, gibt Heine Anno 22 auf der Behrenstraße das Juliprogramm im Voraus, was Ludwig Phillipp 1830 durch den Redakteur Lafayette veröffentlichte, er sagt bei Gelegenheit der polnischen Bauern, daß er einen monarchischen Thron mit Washingtonschen Institutionen wolle, einen König, vor dem sich Alles beuge, übrigens 363 Bequemlichkeit – im Ganzen also ist der gescholtene Poet Heine, der wie ein Deputirter sein konsequentes politisches Glaubensbekenntniß für unsere Journale haben soll, er ist bei aller poetischen Licenz konsequent geblieben.

Die Juden nennt er den dritten Stand Polens, und erzählt, daß einst jeder zum Christenthum übertretende Jude dadurch eo ipso polnischer Edelmann geworden sei. »Ich weiß nicht, ob und warum dieses Gesetz untergegangen, und was etwa mit Bestimmtheit im Werthe gesunken ist.«

Als einen Grund des nothwendigen polnischen Unglücks führt er die fehlerhafte geographische Kenntniß der Polen an, sie glaubten immer, ihr Land liege zwischen Rußland und – Frankreich.

Bei den polnischen Frauen hält er sich sehr lange auf, Luther nennt er einen Mann Gottes und Katharinas, und am Ende verliert er sich unter die wandernden Schauspielerinnen der Stadt Posen, und unter die Abschriften Schottky's, der seit einigen Jahren in der größten Verlegenheit lebt, weil 364 Gutzkow 1834 in der eleganten Zeitung einen Nekrolog über ihn geschrieben, den Widersprechenden todt gesagt, und ihn bei lebendigem Leibe unter die verlor'nen Heiligen kanonisirt hat.

Die Recensions-Dilettanten können hier vom Posener Theater manche Wendung erlauschen, denn Heine war damals Berliner, und hatte Andacht für die Künstler. Von einer Demoiselle Franz sagt er, sie spiele blos aus Bescheidenheit schlecht, sonst habe sie etwas Sprechendes im Gesichte, nämlich einen Mund. Madame Carlsen sei die Frau von Herrn Carlsen.

Des Abends ging Heine in Berlin oft in's alte Casino, das heißt in's alte alte, nicht in's neue alte, und auch nicht in's Casino, sondern nur in das Haus, wo das Casino war, und wo es noch andere Zimmer gab. Einen Theil der anderen Zimmer bewohnte der große Philologe Friedrich August Wolf; ein anderer Theil der anderen Zimmer war der Sammelpunkt junger Genies, die heute noch jung sind. Das Haus war sehr vielseitig gebildet, 365 und lag auf der Behrenstraße; dort liegt es noch. Die Behrenstraße in Berlin gilt für fashionable, sie ist dicht bei den Linden, und geht von der Ministerstraße, welche Wilhelmsstraße geschrieben wird, bis hinauf zur kleinen, runden katholischen Kirche. Dies ist die einzige Kirche in Berlin, welche sich durch ihre Bauart auszeichnet, das heißt: außer ihr ist die Werdersche Kirche noch die zweite einzige als sehr hübsche Taschenausgabe der gothischen Bauart. Die kleine runde, katholische Kirche ist wie billig aus Rom, wo ihr Vater, das Pantheon, steht; sie hat etwas mürrisch Zusammengekrochenes, wenn man vorbeigeht, und kann Abends von Landleuten für einen großen Backofen angesehn werden. Dagegen ist sie im Innern vielleicht sehr schön. Berlin hat sehr viel redenswerthe Frömmigkeit, aber wenig redenswerthe Kirchen.

Es ist selten ordinaires Geräusch auf der Behrenstraße, sondern meist nur vornehmes Wagenrasseln zu hören, oder Hufschlag eines Pferdes, was der Roßkamm vorbeireitet. Die Wohnungen sind theuer: besonders Damen und Fräuleins, die auf Liebe resignirt haben, werfen sich hier leidenschaftlich auf die Miethe, nehmen Stockwerke in Pacht, meubliren sie appetitlich, hängen Zettel über die Hausthüren »Chambres garnies à louer«, welches Französisch sie aus Carlsbad, Wiesbaden oder Baden-Baden erfahren, und verlangen den monatlichen Preis mit wegwerfender lispelnder Stimme in Louisdor. Sie haben nach Gerlach in Halle die geistreiche Logik: wer nach einem französisch angekündigten Zimmer fragt, muß immer mehr Geld haben, als wer blos deutsch lesen kann. Mancher schüchterne Student, der sich nach einer Wohnung hierher verirrt, kriegt einen Schreck für seine Lebenszeit, und erzählt's noch als Pfarrer, fünfzig Jahr später; das Quartier der haute volée in Berlin ist ein gar nicht großes Quadrat in der Friedrichsstadt, sechs Straßen breit, von den Linden bis an die Friedrichsstraße, und nur viere breit von der Markgrafen- bis an die Wilhelmsstraße; ein Paar angrenzende Punkte ausgenommen ist alles Uebrige nicht wählbar; das alte Berlin, 367 Kölln und die Königsstadt gehört dem Kaufmann, dem Handel und Wandel, und dort ist auch eigentlich nur der Eckensteher zu Hause, dort findet der Schnaps seine Anerkennung und hat einige sogar glänzende Hotels. Uebrigens ist er gar nicht so zudringlich, arg und verbreitet, wie die Rede geht.

Zwei schwarze Riesen stehn vor dem ehemaligen Kasino auf der Behrenstraße; erzählt Ihr Riefen!

Zwei Treppen hoch fanden sich zur Abendzeit die jungen Poeten ein, darunter Heine und Grabbe und die weniger bekannten Uechtritz, Köchy und Andere. Ernste und lustige Thorheiten wurden da gelärmt. Da, wenn es recht toll her ging, saß Heine zusammengeklappt im Winkel, schwieg, lächelte, schlürfte aus dem Punschglase, vergoldete und schärfte die Pfeilspitzen seiner Lieder; der ungebärdige Grabbe sprang auf den Tisch, hielt eine Rede an Mamsell Franz Horn, an seinen Freund, den Pfandjuden Hirsch in der Jägerstraße, an Herklots und Gubitz, an den blinden Weinhändler Sisum; da wurde gelesen »Godwin, der Philister, Trosteinsamkeit, die 368 Versuche und Hindernisse Karls,« kleine literarische Bosheiten wurden ausgeheckt, mit Adam Müller ward korrespondirt und für die Juden geschrieben. Köchy hatte ein portatives Theater da, führte Holberg und Shakespeare und Parodieen auf. Zuweilen steckte der feine Wolf den Kopf in die Thür, um eine Visitenkarte abzugeben, oder Ludwig Devrient kam, und trug in trunknem Muthe eine Rolle vor, einst, Riesen gedenkt Ihr dessen noch? Goethe's Mephisto. Eine hübsche Brünette aber bereitete und kredenzte Punsch, und wurde dafür belohnt mit Küssen und Gedichten.

Wo ist sie hingekommen, was ist aus ihr geworden?

Ich weiß es nicht, jung ist sie nicht geblieben – Jugend vergeht. Die Poeten wechseln, die Poesie geht Morgens und Abends auf und unter, stets eine neue, stets die alte, volle Welt! Die Casinoabende Shakespeare's schauen dreist mit einzelnen Blicken aus Heinrich VI., unsere Dichter schreiben die Dreistigkeit selten auf.

369 Ueber den Riesen auf der Behrenstraße ist's jetzt still. Wie viel solche entstehende Dichterzeiten hat Berlin aufzuweisen; in der Straßen Weite und Einförmigkeit liegen sie versteckt, wer weiß, wie nahe die Zeit ist, wo poetischer Glanz sich in Blüthe und Reife hier zusammen finden; in dem Mittelpunkte eines großen Landes häuft sich Saame für weite Länder und Zeitstrecken, und Berlin ist ja doch der Mittelpunkt deutscher Modernität.

Wie ist der Strom gewachsen, der von dem alten Casino ausgegangen ist! in jedem Winkel Deutschlands zwitschert jetzt ein Schriftsteller, hinter jeder Hecke ein Dichter. Auch das Theater betreffend: die Döbbelin'sche Schauspielertruppe, das erste deutsche Schauspiel in Berlin, hat auch hier dicht in der Nähe des alten Casino auf der Behrenstraße gespielt, als unsere Komödie noch tief in der Kindheit war, und auch der Würgengel noch schlief. Raupach war damals noch in Rußland, und docirte den Bären.

370 Schlagt auf eure Schilde, Ihr schwarzen Riesen. Aus jenen ersten zwanziger Jahren müssen an vielen Ecken unsers Vaterlandes noch Talente verkrochen sein; es ist gar zu auffallend, wie wenig just aus jener Zeit herausgetreten sind mit Leier und Lorbeer.

Es ist bemerkenswerth, daß unsere letzten Literaturperioden so weit abgeklüftet von einander liegen, daß so wenig Zusammenhang in der äußeren Geschichte da ist – mühsam müssen wir die Genossen vergangener Literatur-Campagnen aufsuchen, um die Schlachtpläne und die ganze innere Diplomatie aufzufinden. Wo ist die Verbindung der wilden Gesellen auf der Behrenstraße mit den glücklichen Heroen am Graben zu Jena, an der Esplanade zu Weimar?

Ist kein großer, kein kleiner Staat da, oder nur eine Stadt, ein Städtchen, die ein ungestörtes Archiv für Literatur errichten will, ein Archiv, wo das Tollste und Bescheidenste innerlicher Geschichte niedergelegt werden kann! Wie manche Stadt hat 371 nichts zu thun; ich denke an Coethen, an Dessau, an Lüneburg.

Mit der politischen Geschichte da ist's viel leichter: das allgemeinere Interesse, die zudringliche Zeitung spürt alle Spezialität auf, die Aemter und Pensionen lassen auch ihre Geschichte nicht leicht untergehn; die Literargeschichte aber, die keinen polizeilichen Nachdruck hat, sondern nur schwäbischen, ist immer vogelfrei.

So ist das neue alte Casino auf der Behrenstraße weiter oben an der Charlottenecke gesicherter vor Vergessenheit, weil es politisch interessant ist: Auf dem Grunde, das heißt par terre haus't Eduard Gans, der juristische Radikale, welcher gegen die historische Schule ficht; zwei Treppen über ihm arbeitet Tag und Nacht ein direkter Gegensatz, ein wichtiger Staatsmann des Conservatismus, und zwischen beiden in der Mitte, im ersten Stocke, wohnt ein berühmtes juste milieu, der bekannte Dichter Stägemann, ein grauer, sanfter Held aus des Kanzlers Zeiten, der seit mehreren siebzig Jahren 372 den kleinen, festen Körper auf lahmen Füßen trägt, immer ernsthaft und mild reagieren hilft, immer dichterischen Herzens bleibt und die weiche schöne Stimme heute noch besitzt, mit welcher er die ersten Sonette seiner Geliebten vorsprach.

Still ruht das große Haus auf festen Pfeilern, die verschiedensten Gedanken wirken darin, die stille Räumlichkeit der Welt, welche uns gebären läßt auf mannigfachste Weise, wie mag sie über uns lächeln, die wir stets Eins Dies oder Jenes für unerläßlich halten!

Vielleicht sieht auch Heine einmal bei Tage Stehely und das Kasino wieder! 373

 


 


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