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Ronsdorfer Rede

Die Agitation des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins und das Versprechen des Königs von Preußen

Rede am Stiftungsfest des ADAV

22. Mai 1864

Freunde!

Wir feiern heut das Stiftungsfest des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins! Vor kurzem – im März – ist es ein Jahr geworden, daß infolge des Erlasses meines »Antwortschreibens« an das Leipziger Zentralkomitee diese Agitation begonnen hat; heute ist es ein Jahr, daß wir in Leipzig den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein gestiftet haben, eine Stiftung, zu deren Feier die rheinischen Gemeinden heute hier versammelt sind. Wenn je, so wird es also heut am Orte sein, einen Rückblick auf das verflossene Jahr, seine Resultate und Erfolge zu werfen. Und selten ist ein Verein in der Lage gewesen, einen Rückblick zu werfen, der so geeignet wäre, die erhebendsten und freudigsten Gefühle in aller Brust zu erwecken! Um recht zu würdigen, wie beispiellose Erfolge wir in dieser kurzen Zeit erreicht haben, müssen wir uns vor allem die ganz ausnahmsweis große Schwierigkeit der Umstände vergegenwärtigen, unter welchen dieser Verein gegründet ward. Wir hatten die gesamte liberale Presse aller deutschen Länder gegen uns! Und diese Presse und die Fortschrittspartei, welche von ihr vertreten wurde, genoß noch dazu jenes Nimbus und jener Popularität, welche immer jeder Oppositionspartei zuzufallen pflegt! – Es war ein Mann gegen alle, welcher diese Fahne erhob! Wenn je, so hätte man also hier vermuten sollen, es sei ein totgeborenes Kind, das wir in die Welt setzten!

Ich erinnere mich einer sehr poetischen Sage des Mittelalters, welche damals Jahrhunderte hindurch den Glauben des Volkes bildete, der Sage, daß der Löwe immer tot geboren werde und erst das furchtbare Gebrüll des Löwenvaters ihn zum Leben erwecke! Wohl, wir haben im Sinne dieser Sage gehandelt! Es schien am ersten Tage vielleicht ein totgeborenes Kind, aber wir haben so furchtbar gebrüllt, daß dieser Ruf ein Echo fand in allen deutschen Landen, daß dieses Kind zum freudigsten Leben erwachte und sich eben dadurch als echter Löwe betätigt hat!

Ich werde bei diesem Überblick durchaus nicht in alle Details eingehen, weil das Material dann die Grenzen eines jeden Vortrags bei weitem überschreiten würde. Nur die hauptsächlichsten Gesichtspunkte will ich hervorheben, nur in den flüchtigsten und kürzesten Umrissen die Erfolge schildern, auf welche ich den meisten Wert lege.

Ich will damit beginnen, daß wir von allen Vereinen, welche seit 1848 entstanden sind, meines Wissens der erste Verein sind, welcher auch in Österreich eine Gemeinde erlangt hat. Es ist dies, so viel ich weiß, weder dem Nationalverein, noch irgendeinem fortschrittlichen Vereine jemals geglückt. Es war dieses auch ganz natürlich; ihr wißt, fortschrittlich oder liberal ist gleichbedeutend mit kleindeutsch. Diese Partei ging seit je darauf aus, die österreichischen Territorien aus Deutschland auszustoßen und zu diesem Zwecke zuvörderst die Deutschheit der österreichischen Territorien aus dem Bewußtsein der Nation auszutilgen. Und beinahe hatte sie diesen letzteren Zweck bereits erreicht! Wir, der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein, wir sind, was stets einen der Titel unseres Ruhmes und unseres Stolzes bilden wird, der erste Verein, der diese künstliche und unnatürliche Trennung wiederum durchbrochen und in Österreich seine Fahne aufgepflanzt hat, wie in den andern deutschen Ländern. Und zwar ist dies geschehen trotz der besonderen Schwierigkeiten, mit denen man in Österreich zu kämpfen hat, weil dort kein Vereinsgesetz besteht und daher zur Gründung eines dortigen Vereins die besondere Erlaubnis der Regierung nötig wäre. Nichtsdestoweniger hat die brave Gemeinde zu Asch die Initiative ergriffen, sie hat sich gebildet, ich habe selbst deshalb an die Statthalterschaft zu Prag geschrieben, und es ist nicht zu zweifeln, daß, wenn nicht dort geradezu mit Verboten entgegengetreten wird, die gesetzlich übrigens keineswegs begründet wären, unser Verein in den Gemeinden Österreichs sich schnell und in großem Umfange verbreiten wird.

Aber auch weit außerhalb der geographischen Grenzen Deutschlands haben unsere Grundsätze und der Glanz unserer Fahne bereits die Anerkennung gefunden, auf welche sie rechnen konnten, falls man überhaupt auf die Macht der Wahrheit und der Intelligenz in der Brust des Menschen rechnen kann. Ich will ganz kurz nur zweier Tatsachen Erwähnung tun:

Unsere schleswig-holsteinischen und unsere polnischen Resolutionen sind einstimmig von dem Deutschen Arbeiterbildungsverein in London und von den Gemeinden des republikanischen Volksbundes in der Schweiz angenommen worden.

Innerhalb unseres Vaterlandes will ich den Hauptnachdruck gar nicht einmal auf die große Anzahl unserer Gemeinden in fast allen deutschen Staaten und auf die große Mitgliederzahl legen, welcher sich viele dieser Gemeinden erfreuen, sondern hauptsächlich und vor allem darauf, daß vermöge einer gewissen generatio aequivoca, das heißt vermöge einer gleichsam von selbst eintretenden Zeugung, an so vielen Orten Gemeinden unseres Vereins entstehen, ohne daß ich oder irgendein anderes Mitglied des Vereins persönlich dabei die Hand im Spiele hätte. Wenn irgend etwas, so ist gerade diese von selbst geschehende Fortpflanzung einer der größten Beweise für die Kraft, Wahrheit und Popularität unserer Grundsätze, für die Trieb- und Keimkraft derselben.

So, um nur an Vorgänge innerhalb der letzten zwei Monate zu erinnern, bildete sich in Augsburg, wo keiner von uns Bekannte hatte, ganz von selbst und trotz allen Wütens der liberalen Presse eine kleine Gemeinde. Es waren eben mehreren Arbeitern durch Zufall einige unserer Schriften in die Hände gefallen; sie taten sich zusammen und schrieben mir, ich möchte ihnen einen Bevollmächtigten einsetzen.

Ebenso in Duisburg, wo wir ebensowenig irgend persönlich den Anstoß gegeben hatten. Fünf dortige Arbeiter schreiben mir eines Tages, daß ihnen mein »Arbeiterlesebuch« in die Hände geraten sei, daß sie, nachdem sie es gelesen, entschlossen seien, eine Gemeinde zu gründen und daher um Einsetzung eines Bevollmächtigten baten. Einer der Schreiber dieses Briefes, ein Maschinenwärter, wurde von mir zum Bevollmächtigten ernannt. Er hielt sofort eine öffentliche Versammlung ab, in welcher, obgleich alle Fortschrittskapazitäten jener Stadt erschienen waren, noch an demselben Abend über 50 Mitglieder sich in unsere Listen einzeichneten.

Rührend fast ist ein Hergang in Bremen gewesen. Vor kurzem erhalte ich nämlich einen Brief aus dieser Stadt, dessen 43 Schreiber mir anzeigen, daß sie bereits seit fast zwei Monaten als eine Gemeinde auf eigne Faust bestehen, dies aber nicht eher hätten bei dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein anzeigen und sieh mit ihm verschmelzen wollen, bis sie doch wenigstens eine einigermaßen nennenswerte Anzahl erreicht hätten. Jetzt gäben sie von ihrer Existenz Kunde und bäten um die Einsetzung eines Bevollmächtigten. In ganz ähnlicher Weise bildete sich vor wenigen Tagen, wie ich erst während meines Aufenthalts in Düsseldorf erfuhr, eine Gemeinde in Altona.

Einer der größten Beweise unserer Erfolge und Fortschritte bietet aber Berlin selbst dar.

Berlin war, wie Ihr wißt, immer die feste Burg der Fortschrittler, das Heerlager des Herrn Schulze-Delitzsch. Und es kann Euch die Schwierigkeit, auf die wir dort stießen, nicht wundernehmen bei der beispiellos lügenhaften Presse, durch welche das Volk von Berlin irregeleitet wird. So, um Euch nur einige Beispiele zu geben, hatte die dortige Fortschrittspresse die Berliner Bevölkerung wirklich glauben machen wollen, daß mich in Solingen im vorigen September, wo mir, wie Ihr wißt – überdies sind ja viele Hunderte von Solingern unter Euch – an 10 000 Arbeiter einen im Rheinlande unerhörten Triumphzug bereiteten, die Gendarmen vor der Volkswut hätten schützen müssen.

Sie mußten mich in der Tat damals gerade so vor der Wut des Volkes schützen, wie sie mich heut vor Eurer Wut schützen müssen!

Ja, auf einem Berliner Volkstheater sang man – denn leider liegen in Berlin auch die Volkstheater in den Händen der Fortschrittler – ein Couplet, in welchem mit Beziehung auf die Solinger Vorgänge die Verse vorkamen:

»Triumphe feiern nennt's Lassalle, –
Rausschmeißen sie ihn überall,«

– gerade so nämlich, wie Ihr mich heute hinausschmeißt!

Ich habe Euch diese Beispiele angeführt, damit Ihr Euch über die Schwierigkeiten nicht wundern möget, auf welche bei einem so namenlos und planmäßig belogenen Volke unsere Bestrebungen im Anfang stoßen mußten.

Als ich also im Oktober vorigen Jahres von meiner rheinischen Agitationsreise nach Berlin zurückkehrte und Versammlungen des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins dort einberief, erklärte Herr Schulze-Delitzsch öffentlich in seinem Arbeiterverein – und die eigenen Blätter seiner Partei haben diese Erklärung gebracht: Von Berlin aus habe der Sozialismus sein Haupt erhoben, in Berlin müsse ihm daher entgegengetreten werden!

Was unter diesem Entgegentreten verstanden war, sollte sich bald zeigen.

Obgleich wir die Einrichtung getroffen hatten, daß nur solche zu unseren Versammlungen Zutritt hatten, welche Vereinsmitglieder waren, oder sich sofort am Eingang des Lokals zu Mitgliedern aufnehmen ließen, ja obgleich wir die Vorsicht dort so weit getrieben hatten, hierbei sogar die Unterzeichnung unserer Statuten zu fordern, eine Vorsichtsmaßregel, nach welcher kein Mann von dem geringsten Ehrgefühl in unsere Versammlung gehen konnte, wenn er nicht mit den Grundsätzen dieser von ihm unterzeichneten Statuten einverstanden war, so kam doch eine große Menge von Fortschrittlern in unsere Sitzungen, um dieselben durch Erregung von Tumult zu stören und zu verhindern. Und Ihr begreift, daß die Tumultuanten, auch wenn sie die Minderheit sind, stets leichtes Spiel haben. Denn indem die einen Tumult machen und die anderen nach Ruhe rufen, wird gerade dadurch der Tumult um so größer. In drei Sitzungen waren wir genötigt, diese Kämpfe zu bestehen, und nur durch die Anstrengung aller meiner Kräfte gelang es mir, den Tumult zu beherrschen.

Ja, in einer dieser Sitzungen trat ein Vorfall ein, der einen fast hätte irremachen können an dem Ehrgefühl des Volkes!

Nachdem sich diese Vorgänge nämlich dreimal wiederholt hatten, beschloß ich, alle Vorsichtsmaßregeln weit von mir zu werfen und den Stier gleichsam bei den Hörnern zu packen. Von den Fortschrittlern einmal zum Kampfe gezwungen, wollte ich immer lieber den Kampf im Großen als im Kleinen haben!

Ich mietete also den großen Saal des »Eldorado«, einen Saal, der weit über 2 000 Personen faßt, und kündigte Vorträge an, zu welchen ich auch alle Nichtmitglieder zuließ, gegen Eintrittskarten, die ich mit offenen Händen an jeden austeilen ließ, der ihrer begehrte. Ich wußte natürlich im voraus, daß dies die Fortschrittler gleichsam als eine Herausforderung betrachten und sich in noch größerer Masse einfinden würden.

In der ersten dieser öffentlichen Sitzungen war es, daß jener Vorfall eintrat, von welchem ich vorhin sagte, daß er einen fast hätte irremachen können an dem Ehrgefühl des Volkes! In der ersten dieser öffentlichen Sitzungen im Eldorado war es nämlich, daß 30 Polizisten eindringend mich unter der Anklage des Hochverrates verhafteten, unter jener Euch bekannten Anklage, die ich seitdem mit der Schärfe des Schwertes vernichtet habe.

Und als die Polizisten hier mich verhafteten, brachen, ihnen selbst zur Verwunderung, die anwesenden Fortschrittler in ein stürmisches Beifallklatschen und »Hochs« auf die Polizei aus.

So stand die Sache damals in Berlin, und wie steht sie jetzt?

Ihr wißt, daß es mir ziemlich schnell gelang, mich meiner Haft zu entwinden, 3 Tage darauf ward ich gegen Kaution entlassen, und obgleich der Staatsanwalt in seinem Antrag erklärte, er behalte sich vor, sofort meine Verhaftung von neuem zu beantragen, wenn ich in meinen Unternehmungen weiterginge, so unterließ ich dennoch nicht, noch an dem Tage meiner Freilassung eine weitere Versammlung im »Eldorado« auszuschreiben und durch die öffentlichen Blätter bekanntzumachen.

Und nun zeigte sich, daß der Widerstand der Fortschrittler sich an unserer Festigkeit gebrochen hatte, wie Wogenschaum am Felsen! Eine tiefe Scham fing an, sich des Volkes zu bemächtigen. Man wagte nie wieder, uns zu stören. Wir haben seitdem alle 8 Tage unsere Versammlungen in Berlin ohne allen Tumult abgehalten. Wir haben eine kernhafte Gemeinde in Berlin erlangt, eine Gemeinde, welche nicht durch ihre Zahl, wohl aber durch ihre Intelligenz und ihren Eifer einen hervorragenden Platz einnimmt unter den Gemeinden Deutschlands. Es ist ein Kern von Arbeitern der höchsten Tüchtigkeit. Seit mehr als 2 Monaten habe ich nicht einmal mehr nötig, selbst diesen Versammlungen beizuwohnen; ich kann sie ganz ruhig von unserem Bevollmächtigten abhalten lassen – kein Mensch, der noch wagte, sie zu stören.

Bei jenen Schreiern aber ist die größte Bekehrung eingetreten. Sie sind aus unsern leidenschaftlichen Gegnern unsere versteckten Anhänger geworden, und nur falsche Scham hält sie ab, uns offen beizutreten; eine falsche Scham, denn etwas gelernt und eine bessere Überzeugung erlangt zu haben, dessen braucht sich niemand zu schämen.

Ja, selbst diese falsche Scham fängt bereits an, überwunden zu werden. Schon nach meiner Abreise von Berlin hielt unser Verein eine öffentliche Sitzung ab, von welcher mir unser Vereinssekretär meldet: Zahlreiche Schulzeaner waren gegenwärtig und einer derselben trat nach dem Vortrag der schlesischen Weberdeputation (von der ich Euch später erzählen werde) vor und erklärte: Er sei bisher einer der leidenschaftlichsten Gegner der lassalleschen Bestrebungen gewesen, werde aber von nun an ein noch wärmerer Anhänger derselben sein, er werde sich in der nächsten Vereinssitzung einfinden, um sich zum Mitglied aufnehmen zu lassen, wenn ihn der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein dieser Ehre für würdig halte.

Ebenso ist im Berliner Arbeiterverein des Herrn Schulze schon seit mehr als 2 Monaten eine vollständige Spaltung eingetreten; es vergeht fast keine Sitzung mehr, in welcher sich nicht Herr Schulze in seinem eigenen Verein von Mitgliedern desselben sagen lassen muß, daß sie unter der »Knechtschaft des Kapitals« ständen. Wenn ich wollte, so könnte ich jetzt sehr leicht – was aber ferne von mir sei – Herrn Schulze die Vorgänge, die bei uns spielten, in verstärktem Maße mit Zins und Zinseszinsen wiedergeben, indem ich einen Teil unserer Mitglieder in seinen Verein schickte, um die darin herrschende Stimmung zu benutzen. Das aber wäre meiner wie Eurer unwürdig.

Noch deutlicher aber springen die Erfolge unserer Agitation in die Augen, wenn wir den Blick auf die gesamte Arbeitermasse lenken. In Berlin besteht ein Verein von Buchdruckergehilfen, welcher zwischen 600 und 800 Mitglieder zählt. Dieser Buchdruckerverein hat neulich den Beschluß gefaßt, eine Petition an das Staatsministerium zu richten und in diesem Beschluß Erwägungsgründe ausgesprochen, welche vollständig die Wahrheit unserer ökonomischen Prinzipien anerkennen, grade jener Prinzipien, die von uns aufgestellt, nachgewiesen und von dem Herrn Schulze und den Ökonomen seiner Sorte so hartnäckig geleugnet worden sind; Erwägungsgründe, welche, wie Ihr sofort sehen werdet, fast wörtlich herausgeschnitten sind aus meinem Euch bekannten Buche »Bastiat-Schulze« ; Diese Erwägungsgründe lauten:

»In Erwägung:

1. daß erfahrungsgemäß der Arbeitslohn mit den steigenden Preisen der Lebensbedürfnisse nicht Schritt hält;

2. daß das wirtschaftliche Gesetz von Angebot und Nachfrage den Arbeiter der Ware gleichstellt und ihm in seinen Konsequenzen unter Umständen nicht einmal das zur notdürftigsten Lebensfristung erforderliche Minimum von Lohn sichert.«

Ihr seht also, jenes ökonomische Gesetz, welches ich Euch zur großen Wut der Fortschrittler in meinem »Bastiat-Schulze«, wie in meinem »Arbeiterlesebuch« überall als das Hauptfundament der ökonomischen Theorie entwickelt habe, daß nämlich unter der entwürdigenden Herrschaft von Angebot und Nachfrage der Arbeiter entmenscht und ökonomisch der Ware gleichgestellt wird – dieses Gesetz wird hier von den Buchdruckern ausdrücklich bestätigt und anerkannt!

Ihr könnt Euch die Freude der Fortschrittler denken, als sie plötzlich sahen, wie schon in dem bloßen Buchdruckergewerk von 6–800 Arbeitern Berlins – denn fast einstimmig wurde dieser Beschluß in dem Buchdruckergehilfenverein gefaßt – die Wahrheit unserer von der Fortschrittspartei mit solcher Erbitterung geleugneten Lehren anerkannt wurde!

Die Petition selbst läuft darauf hinaus, den Arbeitern das Koalitionsrecht zu erringen, das heißt, das Recht, sich durch gemeinschaftliche Verabredung über eine gemeinschaftliche Niederlegung der Arbeit zu vereinigen, um hierdurch höhere Lohnsätze zu erlangen. Ich meinerseits habe Euch niemals verhehlt und dies auch im »Bastiat-Schulze« in aller Kürze aufgezeigt, daß dies Recht nur in wenigen und flüchtig vorübergehenden Ausnahmefällen gewissen Arbeiterkreisen eine Erleichterung bringen, niemals aber eine wirkliche Verbesserung der Lage des Arbeiterstandes herbeiführen kann. Aber trotzdem ist diese Forderung einmal eine juristisch ganz berechtigte und zweitens eine ganz vortreffliche im Sinne der Agitation, weshalb ich es auch für meine Pflicht hielt und halte, dieselbe mit allem mir in den Arbeiterkreisen zu Gebote stehenden Einfluß zu unterstützen.

Kaum war diese Petition veröffentlicht, als ein Berliner Blatt, der »Publizist«, welcher stets ein Anhänger der ökonomischen Lehren des Herrn Schulze war, in einem Artikel darüber herfiel, aus welchem ich Euch einen Satz zur Charakterisierung dieser Leute mitteilen muß: »Die Freiheit der Assoziation ist im Prinzipe ganz gut (im Prinzipe, das heißt bloß im Prinzipe, das heißt bloß auf dem grauen Zeitungslöschpapier), wenn sie aber lediglich dazu ausgebeutet werden soll, um die Löhne zu schrauben (das heißt wenn sie irgendeinen praktischen Nutzen für den Arbeiter haben soll), während der Arbeitgeber dem Konsumenten das Produkt nicht verteuern darf, und zwar der Konkurrenz wegen, dann muß man denn doch am Ende sagen, daß jedes Ding seine Grenze haben muß, also auch die Assoziation.«

Da der »Publizist« den Buchdruckergehilfen auch noch »Massentyrannei« vorwarf, so verließ diesmal die Berliner Arbeiter die Geduld. Der Buchdruckergehilfenverein beschloß nun einstimmig, eine Broschüre zu schreiben, in 3 000 Exemplaren drucken zu lassen und unentgeltlich unter die Arbeiter zu verteilen. Es ist mir eine größere Anzahl von diesen Broschüren zur Verteilung an die Gemeinden unseres Vereins eingehändigt worden und ich werde sie Euren Bevollmächtigten nachher übergeben, damit sie hier, wie überall, in der nächsten ordentlichen Vereinssitzung verlesen und dann in die Buchdruckervereine jeder betreffenden Stadt verbreitet werde.

Diese Broschüre, meine Freunde, ist, wie Ihr finden werdet, ganz ausgezeichnet geschrieben. Nicht, daß sie von mir herrührte, oder von irgendeinem anderen Schriftsteller; sie rührt von einem einfachen Arbeiter her, aber sie ist so geschrieben, daß sich kein Schriftsteller ihrer zu schämen hätte. Aber freilich, sie ist von einem Arbeiter geschrieben, der Mitglied des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins zu Berlin ist.

Denn das ist ein fort und fort in allen Städten wiederkehrender Titel des gerechten Stolzes für uns, daß überall die intelligentesten Arbeiter unter unserer Fahne stehen! Die Blüte des Arbeiterstandes ist überall mit uns und in unserem Lager!

Um Euch den Geist dieser Schrift zu bezeichnen, will ich Euch nur zwei Stellen daraus verlesen, den ersten und den letzten Satz derselben.

Der erste Satz lautet: »Wennschon es eine traurige Tatsache ist, daß unter den Organen der öffentlichen Meinung gerade diejenigen, auf deren Unterstützung die Arbeiter am meisten zu rechnen den Anspruch haben, sich der Interessen derselben am wenigsten annehmen und alle Klagen von unserer Seite totschweigen, so ist es geradezu empörend, daß Zeitungen sich finden, die offen Partei gegen die Sache der Arbeiter nehmen.«

Und der letzte Satz lautet:

»Arbeiter! Tut die Augen auf und wisset, daß Ihr unter allen Berliner Blättern keins habt, welches Eure Sache so, wie es dies sein sollte, vertritt – keines!«

Ihr seht also, Arbeiter, daß jetzt auch die Berliner Arbeiter, und zwar 6–800 Arbeiter bloß aus dem Buchdruckergewerke, in den Kriegsruf gegen die liberale Presse einstimmen, den ich, damals fast noch ein einzelner Mann, heute vor einem Jahre in Leipzig für Euch erhoben habe!

Dasselbe Umsichgreifen unserer Agitation, dasselbe Wachsen unserer Erfolge will ich Euch noch durch einen andern eklatanten Vorfall belegen, der neulich in Hamburg eingetreten ist: die Arbeitseinstellung in der Lauensteinschen Wagenfabrik. In dieser Fabrik wird nämlich von früh 5 Uhr an gearbeitet, und die Arbeiter behaupten sogar, daß dies die einzige Fabrik dieses Metiers in ganz Deutschland sei, in welcher die Arbeit so früh beginne. Sie stellten nun die höchst bescheidene Forderung, die Arbeit erst um 6 Uhr morgens beginnen zu lassen. Sie erwählten zu diesem Zwecke eine Kommission und die Kommission einen Sprecher und der Sprecher war natürlich wiederum ein – Hamburger Mitglied des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins.

Statt aller Antwort entließ der Fabrikinhaber diesen Sprecher. Da aber war die Geduld der Arbeiter zu Ende! Tags darauf legten sie nach kurzer Beratung alle 800 die Arbeit nieder. So weit hat also bereits die Agitation unseres großen Vereins das Klassenbewußtsein des Arbeiters entwickelt, das Ehrgefühl Eures Standes gehoben! Ein Fall von dieser Ausdehnung ist mir nicht bekannt in ganz Deutschland; er war früher unmöglich! Er konnte nur eintreten seit der Existenz des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins und in einer Stadt, in welcher, dank unserer wackeren und zahlreichen Hamburger Gemeinde, die Prinzipien des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins die tonangebende Macht bilden! Jene Fabrik feiert also, und der Herr, seinerseits, entschlossen, nicht nachzugeben, will sich nun nach Berlin, Leipzig und andern Orten wenden, um Arbeiter kommen zu lassen. Sofort wendeten sich die Hamburger Arbeiter an mich, damit ich mit allen mir zu Gebote stehenden Mitteln des Einflusses die Arbeiter anderer Städte abhalten möchte, die Werbung jener Fabrik anzunehmen. Und Ihr begreift in der Tat, wie ehrlos jeder Arbeiter handeln würde, der unter solchen Umständen dorthin ginge und sich als ein Werkzeug gegen die Interessen seiner eigenen Klasse verwenden ließe. Ich habe daher den Brief des Hamburger Arbeiters sofort in einem Berliner Blatte – Ihr begreift, in einem reaktionären Blatte, denn die Fortschrittsblätter sind natürlich ewig verschlossen für jeden Notschrei und jedes Interesse der Arbeiter –

Ich habe ihn also in dem neuen allgemeinen »Volksblatt« zu Berlin veröffentlicht.

Ich bitte den Bevollmächtigten, den Artikel zu verlesen. (Dies geschieht.) Der Artikel lautet wie folgt;

Arbeiterangelegenheit.

»In Hamburg macht die Niederlegung der Arbeit seitens der 800 Arbeiter der Lauensteinschen Wagenfabrik großes Aufsehen. Man schreibt uns darüber folgendes:

Hamburg. Am Mittwoch, den 27. April, hielten die Arbeiter der Lauensteinschen Wagenfabrik eine Versammlung im Saale des Herrn Lummert ab, ihre Krankenkasse betreffend. Nach Erledigung der Tagesordnung wurde vielseitig der Antrag gestellt und einstimmig beschlossen, die Gelegenheit, die sich durch den kürzlich stattgefundenen Übergang der Fabrik in die Hände einer Aktiengesellschaft darbot, zu benutzen, um mit Übereinstimmung des Fabrikherrn die Arbeitszeit um eine Stunde abzukürzen, indem sie anstatt wie bisher um 5, um 6 Uhr morgens anfangen sollte. Das zu diesem Zweck erwählte Komitee entwarf ein Schreiben in der höflichsten Weise an den Fabrikherrn mit dem Ersuchen, diesen Vorschlag der Arbeiter in Erwägung zu ziehen und sich auf friedlichem Wege mit ihnen darüber einigen zu wollen, da man das Einverständnis zwischen Brotherrn und Arbeiter aufrechtzuerhalten wünschte. Nachdem das Komitee die Sache noch näher mit dem Fabrikherrn besprochen, auf Menschlichkeit und Humanität hingedeutet, ihm bewiesen, daß diese Fabrik die einzige in ganz Deutschland sei, die diese Arbeitszeit innehalte, daß ferner so mancher Arbeiter durch die Verhältnisse gezwungen sei, seinen Wohnort fern von der Fabrik aufzuschlagen, wodurch zu der Arbeitszeit noch der weite Weg nach und von derselben in Berechnung komme, entließ sie der Fabrikherr mit dem Bescheid, sich die Sache überlegen zu wollen. Das Resultat seiner Überlegung war nun, daß er den Vorsitzenden des Komitees, der im Namen seiner Mitarbeiter zu ihm gesprochen, Sonnabends entließ, der infolgedessen die höchste Mühe hatte, die über diesen Schritt empörten Arbeiter von übereilten Schritten und Gewalttätigkeiten abzuhalten. – Am Montag, den 2. Mai, gingen nun sämtliche Arbeiter wie sonst um 5 Uhr an ihre Beschäftigung, hatten sich aber bis 8 Uhr darüber geeinigt, sämtlich ihre Entlassung zu fordern. Dies geschah denn auch. Die Arbeiter, die sich sonst nie über gleichgültige Dinge einigen konnten, bildeten jetzt ein feste Masse, in der nur ein Wille herrschte. Zuerst wandten die einzelnen Korporationen sich an ihre Werkführer und schickten diese mit ihrer Forderung an den Fabrikherrn, der aber ihr Begehren verweigerte und kurzweg erklärte, sich auf nichts einzulassen. Nun rückten die Arbeiter in Masse vor das Komptoir des Herrn und schickten Deputierte mit ihren Anträgen zu ihm hinein, welche er ebenfalls mit herrischem Ton abwies und ihnen befahl, sich an ihre Arbeit zu begeben. Die Arbeiter schickten nun Deputierte nach dem Stadthause ab, um die Polizei von der Sachlage in Kenntnis zu setzen. Währenddessen hatte der Fabrikherr 10 Polizisten requirieren lassen, die aber, nachdem sie die Lage der Sache eingesehen, sich nicht berufen fühlten, dem Wunsche des guten Herrn entsprechend, Arretierungen vorzunehmen. Die Arbeiter beschlossen dann, um sich durchaus nicht den Vorwurf der Rebellion zuzuziehen (den ihnen ungeachtet dessen die ›Hamburger Nachrichten‹ tags darauf machten), bis zum Freitag ruhig fortzuarbeiten, da in der Fabrik die Woche mit dem Freitag beginnt.

Wenn man bedenkt, daß bei diesen Verhältnissen und dieser Arbeitszeit der Arbeiter, der vielleicht an einem Montag die bestimmte Stunde versäumt, hierfür zu seinem Lohnverlust noch 8 Schilling Strafe zu zahlen hat, so kann man sich einen schwachen Begriff von der haarsträubenden Behandlung der Arbeiter in der Lauensteinschen Fabrik machen.

Herr Lauenstein hat bereits, um nicht in Verlegenheit wegen Arbeitskräfte zu kommen, Bevollmächtigte in anderen Gegenden beauftragt, für seine Fabrik zu werben. Mögen die Arbeiter anderer Städte ihr Interesse im Auge behalten und sich durch Werber der Lauensteinschen Aktiengesellschaft nicht in den Schlingen etwaiger falscher Vorspiegelungen fangenlassen.«

So stand die Sache, als ich meine gegenwärtige Reise unternahm. Aber schon in Köln ereilte mich die Nachricht, daß der Hamburger Fabrikbesitzer sich genötigt gesehen habe, nachzugeben, und die Arbeitszeit jetzt dort um 6 Uhr, ganz wie es die Arbeiter verlangt haben, beginnt. Seht hier den Erfolg des unter den Arbeitern durch die Agitation unsers Vereins angefachten Klassenbewußtseins!

So sehr liegen unsere Grundsätze gleichsam in der Luft, das heißt um den bestimmten Sinn dieser sonst unbestimmten Phrase anzugeben, so sehr sind unsere Grundsätze der bloße Ausdruck der tatsächlichen Verhältnisse der heutigen Gesellschaft, daß sie rein eben durch die bloße Einwirkung dieser Verhältnisse entstehen müssen und daher sogar in Arbeiterkreisen entstehen, welche nicht die geringste Kenntnis von unseren Schriften und unserem Wirken haben! Ich habe neulich einen sehr interessanten Beweis hiervon erlebt. In Wüste-Giersdorf in Schlesien besteht eine große Baumwollenspinnerei und Weberei, welche bis 1848 dem Staat gehörte, dann aber von dem liberalen Minister Herrn Hansemann, welcher es natürlich gegen die liberalen Prinzipien fand, daß der Staat Fabrikation betreibe, für einen Apfel und ein Stück Brot an Herrn Reichenheim verkauft wurde, denselben Herrn Reichenheim, welchen Ihr bereits aus meinem »Bastiat-Schulze« als Fortschrittsdeputierten und intimen Freund von Herrn Schulze-Delitzsch kennt. Die dortigen Arbeiter, welche in ihrer Petition behaupten, daß sie, solange die Fabrik Staatseigentum war, sich immer in erträglichen Verhältnissen befunden und einer humanen Behandlung teilhaftig gewesen wären, gerieten seit 1858 in eine solche Not, daß sich endlich die Verzweiflung ihrer bemächtigte und sie daher beschlossen, eine Petition an den König zu richten und damit eine Deputation nach Berlin zu senden, welche eine Audienz beim Könige erwirken sollte, um irgendeine Änderung der unerträglichen Not zu begehren.

Dieser Schritt war durchaus nicht von uns ins Leben gerufen worden. Wir hatten dort keinen Einfluß und keine Verbindung; man kannte dort unsere Schriften nicht.

Die Weberdeputation kam nach Berlin, blieb da 4 Wochen, ehe sie die Audienz erlangte, kam während dieser Zeit in die dortigen Arbeiterkreise und erhielt hier von den einen den Rat, sich an Herrn Schulze-Delitzsch, von den anderen, sich an mich zu wenden. Sie zogen vor, dem letzteren Rate nachzukommen. »Herr«, sagten diese Leute zu mir, als sie mich besuchten, »wir kennen von Ihren Schriften nichts, wir wissen von Ihnen nur, wie furchtbar in allen liberalen Blättern unserer Provinz auf Sie geschimpft worden ist, aber gerade daraus haben wir die Überzeugung gewonnen, daß Sie unser Mann sein müßten!«

»Wir sind keine Gelehrte«, fuhren diese wackeren und intelligenten Leute fort, »und kein Gelehrter hat sich unserer angenommen; aber das eine können wir Ihnen als unsere, ja als aller schlesischen Weber allgemeine und unbedingte Überzeugung aussprechen: Uns kann nicht anders geholfen werden als durch Staatshilfe; wie das anzufangen ist, wissen wir freilich nicht, das ist Sache der Gelehrten; das aber wissen wir, wenn sich der Staat nicht unserer annimmt, – in den Händen der Fabrikanten sind wir verloren!«

Sie überreichten mir darauf einen schriftlichen Auszug aus ihrer Petition an den König, den ich Euch hier zum Teil verlesen lassen will, damit Ihr die ganze Kraßheit der Tatsachen, die Ihr bereits aus meiner Schrift »Die indirekten Steuern und die Lage des Arbeiterstandes« kennt, hier aus dem Munde des Volkes selbst erfahren möget.

Der verlesene Auszug lautet:

»Seit dem Jahre 1858 aber wird von den Gebrüdern Reichenheim und den benachbarten Fabrikanten Gebrüder Kauffmann ein System der Herabdrückung der Arbeitslöhne geübt, das alle Familien der Gegend zur Verzweiflung treibt und die größte Not verbreitet. Gegenwärtig verdient ein mittlerer Arbeiter bei dem größten Fleiße während 12 Stunden täglich in der Woche durchschnittlich 1 Taler 24 bis 1 Taler 27 ½ Silbergroschen.

Nur diejenigen, welche die lohnendste Arbeit haben, bringen es auf 2 Taler 23 Silbergroschen wöchentlich, die geringeren Arbeiter aber nur auf 28 Silbergroschen bis 1 Taler.

Wenn unsere Frauen nebenbei in der Fabrik arbeiten, so gibt das nur einen geringen Mehrverdienst, der bei der oft 1-2 Stunden weiten Entfernung der Wohnung von der Fabrik durch den doppelten Haushalt wieder verloren geht.«

Hier folgt die Aufführung der Preise der Wohnungen und Lebensmittel und Klage über die fehlenden Reisemittel, um anderwärts Arbeit zu suchen (die berühmte Schulzesche Freizügigkeit). Dann wird angeführt, was der Arbeiter notwendig braucht, nämlich:

»Die gewöhnliche Wohnung für die Familie täglich: 1 Sgr. 8 Pf.
für ½ Pfund Fleisch oder Speck 2 Sgr. - Pf.
Kartoffeln oder Gemüse 2 Sgr. - Pf.
Brot für 4 Personen 3 Sgr. - Pf.
zusammen täglich 8 Sgr. 8 Pf.
oder monatlich 8 Tlr. 20 Sgr.

während der Arbeiter kaum 8 Taler verdient. Hier ist also von Ausgaben für Licht, Feuerung, Kleidung, Schulgeld usw. gar nicht die Rede.

Aber das nicht allein; mit der größten Rücksichtslosigkeit wird noch bei jeder Gelegenheit die Arbeitszeit geschmälert, um von dem geringen Lohne noch Abzüge zu machen.«

(Es wird nun bis zum Schlusse der Petition weiter ausgeführt, daß, wer sich erlaubt, die bescheidenste Vorstellung bei Herrn Reichenheim und dessen Beamten zu machen, sofort entlassen wird.)

Ihr werdet später noch von mir Mitteilungen der wichtigsten Art über die Audienz, welche jene Deputation begehrte, erhalten. Zuvor muß ich noch einen andern Punkt berühren.

Eines der wesentlichsten Elemente unserer Erfolge, auf das ich daher in aller Kürze zu sprechen kommen muß, ist das im März veröffentlichte Werk »Bastiat-Schulze«. Niemals, Freunde, ist es mir gelungen, Eurer Sache einen größeren Dienst zu erweisen, als durch dieses Buch. Während die konservativen Blätter von Anerkennung überflossen, beschlossen die Fortschrittsblätter freilich, das Buch totzuschweigen! Aber Ihr begreift, Freunde, zum Totschweigen war es zu spät! Wollte uns die Fortschrittspresse totschweigen, waren wir ihr nicht wichtig genug, um von uns zu sprechen, so hätte sie mit diesem Totschweigen im vorigen Jahre beginnen müssen, als wir zuerst unsere Fahne erhoben! Nachdem aber die Fortschrittspartei 9 Monate hindurch täglich in allen Blättern Deutschlands das entsetzlichste Wutgeheul gegen uns angestimmt, zeigt das jetzige Schweigen dieser theoretischen und systematischen Leistung gegenüber nur, wie wenig sie sich gewachsen fühlte, gegen den Stachel zu löcken und dieser theoretischen Tat irgend etwas Haltbares entgegen zu stellen!

Aber es ist selbst noch ein deutlicheres Zeichen hiervon hervorgetreten.

Ein einziges Fortschrittsblatt nämlich, und zwar ein solches, welches gerade von einem Ökonomen der Schulzeschen Richtung redigiert wird, die von dem Manchester-Mann Herrn Wolf redigierte »Ostseezeitung« in Stettin, hat wirklich wagen wollen, sich einer eingehenden Kritik jenes Buches in einer Reihe von Leitartikeln zu unterziehen. Und kaum hatte dieses Blatt sich hierauf eingelassen, als es sich genötigt sah, trotz alles Schimpfens und aller Wut auf mich von den merkwürdigsten Zugeständnissen überzufließen.

Ich will Euch die betreffenden Sätze jenes Artikels mit ihren eigenen Worten vorlesen:

»Vielleicht fragen unsere Leser, weshalb wir uns überhaupt mit Lassalle befassen? Aber sie würden ihm in der Tat Unrecht tun, wollten sie ihn lediglich nach jener Seite seiner literarischen Tätigkeit beurteilen. Schon früher haben wir ihm die Anerkennung großen Wissens und tiefen Denkens nicht versagen können, und auch sein neuestes Werk liefert dafür zahlreiche Beweise. Freilich um so schlimmer für ihn, daß er durch sein Wissen und seinen, Geist nicht emporgetragen ist über die Sphäre derjenigen Leute, welchen man alles, nur nicht – das Prädikat der ›Bildung‹ zugestehen kann.«

(»Bildung« hat nämlich, wie es scheint, nach den Fortschrittlern niemand, der nicht von Anerkennung für sie überfließt!)

»Allerdings scheint er selbst eine Ahnung von dem darin liegenden Widerspruche zu haben, denn in der Einleitung gibt er gleichsam zur Rechtfertigung seines Tones die Entgegnung des berühmten Philosophen Schelling auf eine gegen ihn gerichtete Rezension – ein Entgegnung, welche so recht darauf hinausgeht, die Schimpferei eines Gelehrten gegen unberufene Angriffe verteidigen zu sollen. Auch sonst ist die deutsche Literaturgeschichte an derartigen Beispielen der bewußten und absichtlichen Verletzung aller Begriffe von Anstand leider nicht arm – mehr als die Literaturgeschichte irgendeines anderen Volkes. Aber zu Nutz und Frommen unserer geistigen Entwicklung hat diese Sprache unserer großen Gelehrten wahrlich nicht gedient. (Hier wird also bereits zugestanden, daß dies die Kollektivsprache der großen Gelehrten gegen unberufene Schwätzer sei.) Und am allerwenigsten wird der Gebrauch, den Lassalle davon macht – und der Neid muß es ihm lassen, daß seine Leistung in dieser Hinsicht ohnegleichen steht – seinen Zwecken förderlich sein. Denn wir möchten den Gebildeten sehen, welcher sich nicht mit Widerwillen von Lassalles neuestem Werk abwendete.

Und doch (– und auf diesen Satz, Freunde, wegen dessen ich Euch überhaupt den Artikel vorlese, mache ich Euch besonders aufmerksam) wir, die wir mit vollster Entschiedenheit zu seinen Gegnern gehören, bedauern dies am meisten, nicht bloß, weil seine in ihren Resultaten äußerst schwachen Angriffe gegen die von uns vertretene Richtung sich schließlich selbst ins Gesicht schlagen, sondern aufrichtig gesagt, weil wir trotz alledem in seiner Streitschrift eine Fülle von positiv wertvollen Gedanken finden, mit denen wir zum Teil ganz einverstanden sind.«

Jetzt wollen die Fortschrittler also gar noch mit mir einverstanden sein!

Wie wäre das möglich? »Eine Fülle positiv wertvoller Gedanken«, »zum Teil ganz einverstanden«, und dennoch wollen sie gegen mich auch noch recht haben!

Jeder von Euch, der jenes Buch gelesen hat, begreift, daß es dabei nichts zu teilen gibt! Denn jedenfalls ist es ein ganz konsequentes Gewebe aus einem Gedanken. Man muß es entweder akzeptieren vom ersten Satz bis zum letzten oder verwerfen vom ersten Satz bis zum letzten.

Die »Ostseezeitung« versprach nun in weiteren Artikeln den Nachweis zu liefern, wie sie mit jener Fülle positiv wertvoller Gedanken ganz einverstanden sei – und dennoch gegen mich recht habe! Ihr begreift also aus den angeführten Gründen, daß ich auf nichts gespannter war, als auf diese fernern von der »Ostseezeitung« versprochenen Artikel. Aber obwohl jener Euch vorgelesene Leitartikel vom 5. März datiert ist, ist noch bis heute die Fortsetzung nicht erschienen! Mindestens lautet so die Auskunft meiner Freunde, deren ich mehrere beauftragt habe, jenes Blatt zu überwachen. Es scheint also beinahe, als habe man von der Fortschrittspartei aus dem Blatte die Weisung zukommen lassen, es läge hier einer jener Fälle vor, in welchen es nach dem Satze: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold, sicherer sei zu – schweigen, als sich auf eingehende Erörterungen einzulassen!

Aber Ihr begreift, Freunde, daß es überhaupt ganz unmöglich war, eine solche theoretische und systematische Leistung totschweigen zu wollen, und besonders unmöglich in Deutschland, welches glücklicherweise noch immer das Vaterland der Wissenschaft und des Gedankens ist!

Von den glänzendsten Vertretern deutscher Wissenschaft – ich sage Euch dies nicht aus persönlichem Selbstgefühle, welches mich nach meiner ganzen Stellung einer solchen Bezugnahme vielmehr überheben würde, sondern ich sage es Euch, um Euch eine Garantie mehr zu geben für den unangreifbaren wissenschaftlichen Felsengrund, in welchem Eure Bestrebungen wurzeln – von den glänzendsten Vertretern deutscher Wissenschaft also ist mir mündlich und schriftlich die höchste Anerkennung und die begeistertste Sympathie für jenes Werk ausgesprochen worden. Ihr begreift, daß es gegen die Diskretion verstoßen würde, Euch Namen zu nennen oder Euch irgend Näheres darüber zu erzählen. Aber soviel kann und muß ich Euch sagen, die ruhmvollsten Namen Deutschlands haben mir seitdem, wenn ich noch einer Bestätigung bedürfte, bestätigt, daß ich recht habe in jeder Zeile und in jeder Silbe!

Ja, selten ist seitdem eine Woche vergangen, wo ich nicht von irgendeinem Bourgeois selbst – denn es gibt auch noch ernsthafte, wohlgesinnte und denkende Bourgeois bei uns auf diesem oder jenem Wege gehört hätte, der durch dies Buch überzeugt und bekehrt worden sei.

Ich will Euch aber jetzt einen Beweis vorlegen, der alles Bisherige noch bei weitem übersteigt.

Vor kurzem hat sich niemand anders als ein Fürst der Kirche, der Bischof von Mainz, Freiherr v. Ketteler, in seinem Gewissen gedrungen gesehen, seinerseits das Wort in der Arbeiterfrage zu ergreifen. Es ist dies ein Mann, der am Rhein fast für einen Heiligen gilt, ein Mann, der sich seit langen Jahren mit gelehrten Forschungen abgegeben. Er hat ein Buch veröffentlicht, unter dem Titel: »Die Arbeiterfrage und das Christentum«, und hier hat er sich Punkt für Punkt für alle meine ökonomischen Sätze und Thesen den Fortschrittlern gegenüber ausgesprochen! Ja, er hat dies mit solcher Schärfe und Offenherzigkeit getan, daß ich Euch wenigstens einige Beispiele davon vortragen muß.

Ihr erinnert Euch des Fundaments des ganzen Streites, jenes ehernen ökonomischen Gesetzes, wie ich es in meinem »Offenen Antwortschreiben« nannte, nach welchem der Arbeitslohn unter Angebot und Nachfrage auf die Dauer durchschnittlich nie über das Minimum des notwendigsten Lebensunterhaltes hinaussteigen kann. Ihr erinnert Euch der verhältnismäßigen Milde, mit welcher ich Euch in meinem »Antwortschreiben« zugerufen habe: Wenden Sie jedem den Rücken, der Ihnen dieses eherne Gesetz leugnet, denn entweder er versteht nichts von der ökonomischen Wissenschaft oder er will Sie betrügen. Ich war also noch milde genug, wenigstens diese Wahl zu lassen.

Ihr erinnert Euch auch noch der Wut, mit welcher, Schaum vor dem Munde, die gesamte Fortschrittspartei, die Herren Schulze, Wirth, Faucher und ähnliche Nullen, sowie die gesamte fortschrittliche Presse über mich herfielen und dieses Gesetz leugneten!

Auf die Beweise fußend, welche ich in meinem »Antwortschreiben«, in meinem »Arbeiterlesebuch« und zuletzt in systematischer Form in meinem »Bastiat-Schulze« hierüber entwickelt habe, geht nun der Bischof so weit, den Fortschrittlern nicht einmal jene Wahl mehr zwischen Unkenntnis und betrügerischer Absicht zu lassen – er fühlt sich in seinem Gewissen gedrungen, geradezu zu erklären: Jeder, der nach diesen von mir erbrachten Beweisen jenes Gesetz noch leugnet, wolle das Volk betrügen!

Ihr sollt sofort die eigenen Worte des Bischofs hören. Er sagt (p. 17 seines Buches): »Die materielle Existenz des Arbeiterstandes, die Beschaffenheit aller notwendigen Lebensbedürfnisse für den Arbeiter und seine Familie ruht nämlich mit so wenigen Ausnahmen, daß sie diese Regel nicht alterieren, auf dem Arbeiterlohn, und der Arbeiterlohn bestimmt sich in unserer Zeit nach der Lebensnotdurft im engsten Sinne, das heißt nach dem, was der Mensch unumgänglich notwendig bedarf, wenn nicht seine physische Existenz vernichtet werden soll. Die Wahrheit dieses Satzes ist durch die bekannten Kontroversen zwischen Lassalle und seinen Gegnern so evident gemacht, daß nur die Absicht, das Volk zu täuschen, sie bestreiten kann. In ihr liegt, wie mit vollem Recht behauptet wird, die ganze Arbeiterfrage; auf der einen Seite die Arbeiternot, auf der andern Seite der Probierstein für den Wert aller Vorschläge, dem Arbeiterstande zu helfen.«

Meine Freunde, ich gehöre, wie Euch bekannt ist, nicht zu den Frommen. Mit Recht aber muß ich den höchsten Wert darauf legen, daß ein Bischof trotz der Milde und Rücksichtnahme, die ihm in seiner Stellung natürlich ist, sich dennoch in seinem Gewissen genötigt sieht, sich mit derselben Schärfe, wie ich in meiner rücksichtsloseren Stellung als Volkstribun getan habe, auszusprechen und die Fortschrittspartei wegen ihrer so hartnäckigen Ableugnung des von mir nachgewiesenen ökonomischen Gesetzes gradezu des absichtlichen Betruges zu beschuldigen.

Urteilt, bis zu welcher Sonnenklarheit ich jene Beweise gebracht haben muß, um einen Kirchenfürsten zu dieser Sprache zu veranlassen!

Urteilt zugleich, welcher beispiellosen Schamlosigkeit sich die Fortschrittspartei und ihre Presse schuldig gemacht hat, indem sie so hartnäckig die Wahrheit jenes Gesetzes vor Euch leugnete!

Urteilt, wie namenlos Euch diese Leute so lange Zeit hindurch belogen haben und weiter belügen wollen!

Mit nicht weniger Bestimmtheit spricht sich der Bischof noch an anderen Stellen über die unangreifbare ökonomische Richtigkeit unserer Grundsätze und Bestrebungen aus. Er sagt zum Beispiel p. 62: »Die Partei, deren Hauptvertreter Lassalle selbst ist, hat das unbestreitbare Verdienst, die in den ersten Abschnitten geschilderte Lage des Arbeiterstandes, wonach er großenteils mit seiner ganzen Existenz auf die eigentliche Lebensnotdurft beschränkt ist, mit unerbittlicher Schärfe und Wahrheit aufgedeckt zu haben. Sie stellt daher auch mit derselben Richtigkeit als Axiom den Satz auf: daß, wer überhaupt dem Arbeiter in dieser Lage gründlich und wirksam helfen will, Mittel auffinden muß, wodurch dem Arbeiterstande eine neue und reichere Erwerbsquelle neben dem notdürftigen Arbeitslohn eröffnet wird. Die Lösung dieser Aufgabe sei der Probierstein zur Beurteilung des wahren Wertes der gemachten Vorschläge. Obwohl sie daher nicht leugnet, daß die Bestrebungen der liberalen Partei dem Arbeiterstande manche Erleichterungen gewähren können, so hat sie doch zugleich auch überzeugend bewiesen, daß dieselben nicht imstande sind, den Arbeiterstand vor dem Verfalle zu bewahren, dem er durch die allgemeine Konkurrenz, namentlich mit dem Kapitale, entgegengeht, und noch weniger, seinen Wohlstand nachhaltig und allgemein zu verbessern.«

Mit derselben Entschiedenheit legt der Bischof Zeugnis dafür ab, daß ich nachgewiesen habe, wie durch die Vorschläge des Herrn Schulze-Delitzsch und der Fortschrittspartei unmöglich die Lage der arbeitenden Klassen irgendwie verbessert werden kann. Er sagt darüber p. 57: »Die Aufgabe ist, dem Arbeiterstand, der durch die Experimente der liberalen Partei in die Lage gekommen ist, daß er mit seiner ganzen Lebensexistenz auf den Tagelohn angewiesen ist, der ihm nur die äußerste Lebensnotdurft bietet, den er sich täglich auf dem Warenmarkt der Arbeit, bei schwankendem Angebot und Nachfrage, gleichsam erbetteln muß, in dieser seiner bedrängten Lage zu helfen. Daß dazu die von der liberalen Partei als Hilfsmittel in Vorschlag gebrachten Genossenschaften im ganzen und großen nicht ausreichen, ist in neuerer Zeit hinreichend und evident bewiesen. In dieser Hinsicht sind die Ausführungen von Lassalle unwiderlegt und unwiderleglich.«

Und alle diese Zeugnisse sind um so bedeutsamer, als der Bischof selbst natürlich nicht zu unseren Anhänger gehört. Er erhebt eine Einwendung gegen die Zweckmäßigkeit und eine Einwendung gegen die Rechtmäßigkeit unserer Bestrebungen. In bezug auf die Zweckmäßigkeit befürchtet er nämlich Überstürzung bei der Ausführung unserer sozialen Maßregeln. Dieses Bedenken teile ich nicht, weil ich Eure Disziplin kenne, auf welche ich nachher noch zu sprechen kommen werde.

In bezug auf die Rechtmäßigkeit unserer Bestrebungen erscheint es dem Bischof bedenklich, ob der Staat berechtigt sei, durch die von mir verlangten Mittel und Einrichtungen das Eigentum der Zukunft – denn nur von dem zukünftigen, nicht von dem gegenwärtigen erworbenen Eigentum ist bei uns die Rede – so in bestimmte, gewiesene Wege, gleichsam in gegebene Kanäle zu leiten.

Aber auch hier legt der Bischof wieder das wichtigste Zeugnis für uns ab. Er gesteht nämlich ein, daß dieses Bedenken nur bei solchen entstehen könne, welche, wie er selbst, das Privateigentum für eine göttliche Einrichtung halten; daß dagegen von dem heutzutage im Staat, in der Wissenschaft und bei der liberalen Partei geltenden Standpunkte aus, nach welchem das Privateigentum eine menschliche Einrichtung ist, die Gerechtigkeit der von mir geforderten Maßregeln gar nicht einmal bezweifelt werden könne.

Seine Worte lauten p. 77: »Vom Standpunkte der liberalen Partei und jener Wissenschaft, die im Namen der Regierung von so vielen Lehrkanzeln gelehrt wird, ist daher, was die Gerechtigkeit der von Lassalle vorgeschlagenen Maßregeln angeht, wohl sicherlich gar kein Bedenken zu erheben. Es ist vielmehr nur ein unendlich bescheidener Anfang ganz anderer Dinge, die da kommen müssen.«

Ihr begreift die unvergleichliche Wichtigkeit dieses Eingeständnisses, denn derer, welche das Privateigentum für eine göttliche Einrichtung halten, sind heute so blutwenige, daß wir, stünden uns keine anderen Gegner gegenüber, mit der leichtesten Mühe gewonnenes Spiel haben würden.

Durch diese große geistige Gesamtbewegung, die wir so in der Nation hervorgebracht haben, ist es gekommen, daß die Resultate unserer Agitation und die Überzeugung von der Wahrheit unserer Lehren und der Zeitgemäßheit unserer Forderungen bereits in die allermaßgebendsten und höchstgestellten Kreise gedrungen sind und daselbst bereits die allerwichtigsten Wirkungen zutage gefördert haben. Hierfür will ich Euch jetzt einen offiziellen Beweis von einem ganz unvergleichlichen Gewichte vorlegen, für den ich Eure ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nehme.

Ich kehre nämlich zu jener Weberdeputation zurück, von der ich Euch erzählt habe. Zwei Tage vor meiner Abreise von Berlin hatte sie Audienz beim Könige.

Ich werde Euch jetzt einen authentischen Beweis darüber liefern, was der König in jener Audienz gesagt hat, ja, was er nicht nur gesagt hat, sondern – was fast noch wichtiger ist – auch gesagt haben will.

Über das, was vom Könige in einer Audienz gesagt worden ist, dürfen, wie Ihr leicht begreifen werdet, die offiziösen Blätter nur den Bericht geben, den sie aus dem Staatsministerium selbst erhalten. In gleicher Weise wurde den Webern nach der Audienz gesagt, sie möchten sich tags darauf im Staatsministerium einfinden, um hier schriftlich das zu erhalten, was sie über den Vorgang in der Audienz veröffentlichen dürften.

Die Arbeiter fanden sich ein und erhielten den Bürstenabzug der »Zeidlerschen Korrespondenz«, welchen ich Euch hier zeige (der Redner hält den roten Bogen hoch empor), den Bericht enthaltend, welcher im Staatsministerium selbst für die »Zeidlersche Korrespondenz« angefertigt worden war. Die Arbeiter begaben sich hierauf zu mir, legten diesen Bürstenabzug in meine Hände und autorisierten mich, zumal der Bericht ja ohnehin für die Öffentlichkeit bestimmt war, jeden beliebigen Gebrauch davon zu machen. Dieser im Staatsministerium selbst angefertigte Bericht der »Zeidlerschen Korrespondenz«, den ich Euch jetzt verlese, lautet wie folgt:

»Seine Majestät der König haben die Gnade gehabt, gestern nachmittag eine Deputation der armen Weber des schlesischen Riesengebirges zu empfangen und eine Denk- und Bittschrift über ihre Lage aus ihren Händen entgegen zu nehmen. Die Weber haben ihre Klagen zu den Stufen des Thrones niederlegen wollen, um an dieser höchsten Zufluchtsstätte aller Untertanen eine Abhilfe für ihre Leiden zu erbitten, die durch den Lohndruck ihrer Arbeitgeber so groß geworden, daß sie nicht mehr existieren können, während ihre Mittellosigkeit ihnen doch nicht erlaubt, durch Auswanderung nach besser situierten Gegenden ihren Familien ein redliches Auskommen zu verschaffen. 300 Weber haben 3 aus ihrer Mitte deputiert, diesen Schritt zu wagen.

Wie wir hören, haben Seine Majestät der König die Deputierten sehr huldreich aufgenommen und ihnen gesagt, daß er seine Minister angewiesen habe, eine gesetzliche Abhilfe, so weit sie möglich ist, schleunig und mit allem Ernst vorzubereiten.

Seine Majestät hörten den schlichten Vortrag der Leute sehr gnädig an, erkundigten sich eingehend nach verschiedenen Punkten und erinnerten daran, daß leider schon früher (1844) ähnliche Verhältnisse traurige Folgen gehabt, denen vorgebeugt werden müsse. Als Seine Majestät vernahmen, daß bereits mehrere Weberfamilien ihrer Arbeit entlassen, weil sie sich der Bitte an den Thron angeschlossen, so sprachen Seine Majestät Ihre höchste Mißbilligung über ein solches Verfahren aus. Mit dem Trost (und auf diesen Satz, Freunde, lenke ich Eure konzentrierteste Aufmerksamkeit) einer möglichst baldigen gesetzlichen Regelung der Frage und dadurch Abhilfe ihrer Not entließen Seine Majestät die Deputation. Das königliche Versprechen (hier steht Versprechen – der Redner spricht diese von ihm wiederholten Worte mit dem höchsten Nachdruck der Stimme und begleitet sie mit der eindringlichsten Handbewegung) – das königliche Versprechen wird erhebend und ermutigend in allen Tälern des Riesengebirges widerhallen und vielen hundert duldenden redlichen Familien neue Hoffnung und neue Kraft zum mutigen Ausharren geben.«

So weit der aus dem Staatsministerium selbst stammende offiziöse Bericht der »Zeidlerschen Korrespondenz«.

In diesem Berichte sind drei Punkte von der höchsten Wichtigkeit enthalten.

1. Die Anerkennung durch den König, daß eine Regelung der Arbeiterfrage durch die Gesetzgebung notwendig sei, also die Anerkennung des Hauptgrundsatzes, zu dessen Gunsten wir unsere Agitation begannen; die Anerkennung der Notwendigkeit und Gerechtigkeit dessen, was ich Euch überall in meinem »Antwortschreiben« wie in meinem »Arbeiterlesebuch« als die Quintessenz unserer Forderungen entwickelt habe, die Anerkennung des Prinzipes, welches, gegenüber dem Grundsatz der liberalen Ökonomie, daß die Lage der Arbeiter dem Spiele der freien Konkurrenz, der Herrschaft von »Angebot und Nachfrage«, schutzlos überlassen werden müsse, der gesamten Agitation des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins zugrunde liegt und unsere grundsätzlichste Forderung bildet; die Anerkennung seiner unabweisbaren Gerechtigkeit und seiner unangreifbaren Wahrheit. Wie den Bischöfen, so haben wir diese Anerkennung auch bereits dem Könige abgerungen!

2. Enthält aber jener Bericht auch bereits das Versprechen des Königs – ich sage Versprechen (der Redner betont dieses Wort wieder mit derselben Energie der Stimme wie vorher), daß diese Regelung der Arbeiterfrage und Abhilfe der Arbeiternot durch die Gesetzgebung erfolgen soll, und zwar möglichst baldig erfolgen soll! Während man 1844 gegen die Not der schlesischen Weber die Bajonette kehrte – verspricht ihnen der König jetzt Änderung ihrer Lage durch die Gesetzgebung! Ihr seht, Freunde, dieses Versprechen ist unser Werk! Wir wollen doch sehen, ob das Königtum dieses Versprechen nicht halten, ob es dieses sein den arbeitenden Klassen verpfändetes Wort nicht einlösen wird! Mindestens begreift Ihr, daß es eine Majestätsbeleidigung wäre, daran zweifeln zu wollen! Aus diesem Versprechen erwächst aber Euch Arbeitern die Pflicht, dasselbe in allen Euren Kreisen ohne Unterlaß zu verbreiten, es von Tag zu Tag und von Ort zu Ort widerzuhallen und ohne Aufhören daran zu erinnern! Ein Versprechen, an das man nicht erinnert wird, ist kaum noch ein Versprechen zu nennen. Es ist etwa wie ein Wechsel, den ich unterschrieben habe und der mir nicht zur Zahlung präsentiert wird! Aber wenn Ihr mit der gehörigen Energie dieses Versprechen in den Arbeitermassen verbreitet und ohne Unterlaß mahnend daran erinnert, dann wird und muß es Euch gehalten werden! Endlich aber ist innerlich in jenem Versprechen des Königs noch ein anderes Versprechen eingeschlossen.

Der König hat, die Wahrheit unserer Lehren und die Gerechtigkeit unserer Forderungen anerkennend, eine Regelung der Arbeiterfrage und Abhilfe der Arbeiternot durch die Gesetzgebung versprochen, wie wir dies in unseren Schriften begehrt haben. Allein eine Fortschrittskammer, eine nach dem oktroyierten Dreiklassenwahlgesetz erwählte Kammer würde niemals dem Könige die zu diesem Zwecke erforderlichen Gelder bewilligen und ebensowenig, selbst wenn die Sache ohne Geld zu machen wäre, auch nur ihre Zustimmung zu einem solchen Gesetze erteilen. Nur ein durch das allgemeine und direkte Wahlrecht erwählter gesetzgebender Körper würde einem solchen Gesetze seine Zustimmung geben. Indem also der König eine gesetzliche Regelung der Arbeiterfrage und Abhilfe der Arbeiternot versprochen hat, die Zustimmung zu einem solchen Gesetze aber nur von einem aus dem allgemeinen und direkten Wahlrecht hervorgegangenen gesetzgebenden Körper erwartet werden und erfolgen kann, so hat der König somit, wie Ihr seht, innerlich hier bereits das allgemeine und direkte Wahlrecht versprochen, das heißt jenes Grundrecht, welches allein die Garantie für Euch bietet, daß die Lösung der sozialen Frage mit jenem Ernst, jener Nachhaltigkeit, jener Intelligenz und in jenem großen Maßstabe in die Hand genommen wird, welcher allein fruchtbare Resultate herbeiführen kann, während alle Versuche im kleinen, wie ich in meinem »Bastiat-Schulze« ja ausgeführt habe, nur zu sehr dem Mißlingen ausgesetzt sind und so hierdurch nur die Wirkung haben können, ungerechte und schädliche Vorurteile gegen Eure gerechte Sache zu erwecken! Also auch das allgemeine und direkte Wahlrecht, jene unumgängliche formelle Garantie für alles Weitere, jene absolute conditio sine qua non ist Euch bereits in jenem königlichen Verspechen innerlich, durch die Kraft der Logik eingeschlossen, versprochen worden!

Welcher Verein, frage ich, kann, seitdem die Welt steht, solche Erfolge als Resultate eines Jahres aufweisen?

Die Arbeiter, das Volk, die Gelehrten, die Bischöfe, den König haben wir gezwungen, Zeugnis abzulegen für die Wahrheit unserer Grundsätze!

Ein anderer höchst wesentlicher Erfolg unserer Tätigkeit ist die Bildung des Volkes. Unsere Gegner sprechen von Bildung, ohne sie zu verbreiten; wir verbreiten sie, ohne davon zu sprechen! Von welchem anderen Verein, kann ich wohl fragen, ist binnen einem Jahre eine solche Reihe von Schriften ausgegangen, die so geeignet waren, wissenschaftliche Einsicht und Bildung unter dem Volke zu verbreiten, und die so tief in die Massen eingedrungen sind?

Aber hier vergessen wir nicht, daß ich nur der erste, nicht aber der einzige gewesen bin, der die Fahne vorangetragen hat gegen die Düppeler Schanzen der preußischen Fortschrittspartei, unbekümmert, ob jemand mir nachfolgen werde. Ich sage unbekümmert, denn ich hatte das feste Vertrauen, daß mich die Träger deutschen Geistes nicht allein lassen würden in diesem ungleichen Kampfe! Und dieses Vertrauen hat mich nicht getäuscht. Eine Reihe zum Teil rühmlichst bekannter Namen hat sich erhoben, sich meinen Bestrebungen anschließend und sie durch Schriften, durch Vorträge, durch ihre Autorität und Propaganda unter Euch verbreitend und akkreditierend! So Professor Wuttke in Leipzig, so Rodbertus, Lothar Bucher, Dr. Dammer, Georg Herwegh in Zürich, Oberst Becker in Genf, den man den Alterspräsidenten aller deutschen demokratischen Flüchtlinge nennen könnte, der Schriftsteller und Advokat Dr. v. Schweitzer in Frankfurt, Moses Heß, der der Zeit nach älteste Sozialist Deutschlands, der Schriftsteller Bernhard Bekker in Frankfurt, von welchem nächstens ein gediegenes Geschichtswerk über die deutsche Revolution erscheinen wird, auf das ich Euch im voraus aufmerksam mache, der Advokat und frühere Abgeordnete Martiny in Kaukehmen, sie haben für unsere Sache gewirkt und mir möglich gemacht, zu erreichen, was mir allein zu erreichen ebenso unmöglich gewesen wäre, wie jedem anderen einzelnen. Auf diese Männer fordere ich Euch jetzt auf, ein dreimaliges Hoch auszubringen!

Noch ein anderes höchst merkwürdiges Element unseres Erfolges habe ich zu erwähnen. Es ist dieser geschlossene Geist strengster Einheit und Disziplin, welcher in unserem Vereine herrscht! Auch in dieser Hinsicht, und in dieser Hinsicht vor allem, steht unser Verein epochemachend, und als eine ganz neue Erscheinung in der Geschichte da! Dieser große Verein, sich erstreckend über fast alle deutschen Länder, regt sich und bewegt sich mit der geschlossenen Einheit eines Individuums! In den wenigsten Gemeinden bin ich persönlich bekannt oder jemals persönlich gewesen, und dennoch habe ich vom Rhein bis zur Nordsee, und von der Elbe bis zur Donau noch niemals ein »Nein« gehört und gleichwohl ist die Autorität, die Ihr mir anvertraut habt, eine durchaus auf Eurer fortgesetzten höchsten Freiwilligkeit beruhende! Oder welches Zwangsmittel hätte ich wohl gegen Euch? Ihr habt mir diese Autorität zwar auf 5 Jahre anvertraut, allein Ihr wißt, daß ich sie von selbst niederlegen würde, wenn irgendeine Unzufriedenheit oder eine Mißstimmung ausbräche, und diese, auf höchster fortgesetzter Freiwilligkeit beruhende Autorität reicht hin, um Euch alle mitsamt handeln zu lassen, wie geleitet durch einen elektrischen Funken! Wohin ich gekommen bin, überall habe ich von den Arbeitern Worte gehört, die sich in den Satz zusammenfassen: Wir müssen unser aller Willen in einen einzigen Hammer zusammenschmieden und diesen Hammer in die Hände eines Mannes legen, zu dessen Intelligenz, Charakter und guten Willen wir das nötige Zutrauen haben, damit er aufschlagen könne mit diesem Hammer! Die beiden Gegensätze, die unsere Staatsmänner bisher für unvereinbar betrachteten, deren Vereinigung sie für den Stein der Weisen hielten, Freiheit und Autorität, – die höchsten Gegensätze, sie sind auf das innigste vereinigt in unserem Vereine, welcher so nur das Vorbild im kleinen unserer nächsten Gesellschaftsform im großen darstellt! Nicht eine Spur ist in uns von jenem nörgelnden Geiste des Liberalismus, von jener Krankheit des individuellen Meißens und Besserwissenwollens, von welcher der Körper unserer Bourgeoisie durchfressen ist! Mit Beschämung und Neid blicken, wie ich mich häufig selbst überzeugt habe, in dieser Hinsicht unsere Gegner auf uns; hin und wieder versuchen sie die sauersüße Entschuldigung, es wäre dies bei den Arbeitern freilich nur infolge ihrer Unbildung möglich! Diese Beschönigung ist von einer kläglichen Unwahrheit! Denn abgesehen davon, daß der gesunde Verstand der Arbeiter immer noch mehr wert ist als das halbe Wissen der Bourgeoisie, und abgesehen davon, daß im Arbeiter jedenfalls der Geist der Freiheit viel lebendiger ist als im Bourgeois, haben wir auch in unserm Vereine Männer genug, die ihrem Stand nach der Bourgeoisie angehören, Unternehmer, Kaufleute, Advokaten.

Ja, gerade jene Reihe von Schriftstellern und Denkern, die ich Euch vorhin nannte, ist es, die zum Teil mit jenem leuchtenden Beispiele der Disziplin vorangegangen. Diese Disziplin beruht auf keinem anderen Grunde, als auf dem Geiste unseres Vereins, auf der hellen Erkenntnis, daß nur durch die Diktatur der Einsicht, nicht durch die Krankheit des individuellen Meinens und Nörgelns, die großen, gewaltigen Übergangsarbeiten der Gesellschaft zu bewerkstelligen sind! Und nun noch ein anderes und letztes Element des Erfolges!

Dieses letzte Zeichen des Erfolges – ist die Verfolgung, die mich betroffen hat. Es ist ein politisches Naturgesetz, daß die Verfolgung wächst mit dem Erfolge. Bisher ist es mir geglückt, mich meiner Haut zu wehren. Jenen Hochverratsprozeß, der mich vernichten sollte, habe ich mit der Schärfe des Schwertes vernichtet! Aber bereits bin ich in Düsseldorf in contumaciam zu 1 Jahr Gefängnis verurteilt, weil ich – es ist furchtbar zu sagen! – die liberale Presse angegriffen habe! Gleichwohl ist die Sache erklärlich genug. Während in den alten Provinzen das Volk noch zu einem großen Teile fortschrittlich und die Beamten meist reaktionär sind, ist im Rheinlande, wo alles bereits viel weiter entwickelt ist, das Volk fast ganz überwiegend demokratisch und die Beamten Fortschrittler. Wenn Anhänger der Fortschrittspartei über mich zu Gericht säßen, könnte es Euch da wundern, wenn ich verurteilt würde? Gerade gestern hat mir die Post die Nachricht gebracht, daß ich von neuem in Berlin zu 4 Monaten Gefängnis in contumaciam verurteilt worden bin. Das Gericht hatte trotz einer ärztlichen Bescheinigung, daß mir eine Badekur unumgänglich notwendig sei – und ich befinde mich, wie Ihr wißt, grade auf der Reise in dieses Bad – ja, das Gericht hat, trotzdem geladene Schutzzeugen ausgeblieben waren, jede Vertagung verweigert und vorgezogen, mich in meiner und der Zeugen Abwesenheit zu verurteilen! Nun, ich denke, dieser beiden Verurteilungen noch Herr zu werden, wie schon so vieler anderen! Wie stark aber auch einer sei, einer gewissen Erbitterung gegenüber ist er verloren! Das kümmert mich wenig! Ich habe, wie Ihr denken könnt, dieses Banner nicht ergriffen, ohne ganz genau voraus zu wissen, daß ich dabei persönlich zugrunde gehen kann.

Die Gefühle, die mich bei dem Gedanken, daß ich persönlich beseitigt werden kann, durchdringen, kann ich nicht besser zusammenfassen, als in die Worte des römischen Dichters:

»Expriare aliquis nostris ex ossibus ultor!« zu Deutsch:

»Möge, wenn ich beseitigt werde, irgendein Rächer und Nachfolger aus meinen Gebeinen auferstehen!«

Möge mit meiner Person diese gewaltige und nationale Kulturbewegung nicht zugrunde gehen, sondern die Feuersbrunst, die ich entzündet, weiter und weiter fressen, solange ein einziger von Euch noch atmet!

Das versprecht mir und zum Zeichen dessen hebt Eure Rechte empor!


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