Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ja, meine Herren, die preußische Kontrerevolution erfand die Vereinigung zweier Systeme, die jedes einzelne für sich die Völker sonst schon massakriert haben, deren Vereinigung aber bisheran unerhört war in der Geschichte. Sie vereinte die Theorie des Schreckens mit dem Jesuitismus des Rechtsscheins.

Das Volk, das deutsche wie das von Frankreich, war großmütig gewesen wie immer. Nach der Februarrevolution in Paris, nach der Märzrevolution in Berlin und Wien nahm es keine Rache an seinen Peinigern. Es achtete auf das formelle Recht derer, die es bekämpft hatten, es schuf keine Schreckenstribunale mehr wie 1793 in Frankreich.

Anders die Kontrerevolution. Die preußische Kontrerevolution, blutdürstig und verfolgungswütig, wie es die Kontrerevolution stets ist, wollte sich nicht begnügen, gesiegt zu haben, sie wollte vernichten – zu feig, um die Herrschaft des Schreckens, das Standrecht mit nobler Offenheit zu proklamieren, wie man es in Wien getan, ergriff sie von allen Auswegen den niederträchtigsten, abscheulichsten: Sie hüllte das Bajonett in die Toga des Richters!

Wie aber, werden Sie fragen, wie fanden sich Richter, die sich hergaben zu dieser schamlosen Entweihung des Rechts, zu dieser infamen Henkerrolle? Die Kontrerevolution brauchte Verurteilungen – sie fand Richter, welche verurteilten.

Es gibt solche Männer überall in der Geschichte, Männer, die um jeden Preis dem herrschenden Systeme dienen, zu jedem Schanddienst für es fähig sind. Hören Sie, was die Geschichte darüber sagt: Ich zitiere einen anerkannten Geschichtsschreiber, Herrn von Lamartine: »Männer«, sagt Herr von Lamartine in seiner Geschichte der Revolution über die Schreckensherrschaft – »Männer, unfähig im allgemeinen der Sache, zu der sie mitwirken wollten, edler, zu dienen, Männer, die keine Intelligenz hatten, um sie der Revolution zu leihen, sie liehen ihr ihr Gewissen. Sie unterzogen sich der letzten aller Rollen, um nur eine zu haben, eine rohe und stupide Rolle. Sie gaben sich freiwillig zu einem organisierten Mordinstrumente her. Sie fanden ihre Ehre in dieser Entwürdigung. Der Tod war nötig nach ihnen im Drama der Revolution. – Sie willigten ein, die Rolle des Todes zu spielen. Es gibt solche Menschen überall in der Geschichte. Wie man findet Holz, Feuer, Eisen, um ein Schafott zu erbauen, so findet man Richter, um Besiegte zu verurteilen, Staatsprokuratoren, um die Opfer zu verfolgen, Henker, um sie zu morden!!«

Bei uns war es der Richterstand, der diese Rolle übernahm und vergessen Sie nicht, meine Herren, ich wiederhole es nochmals, den unermeßlich weiten Unterschied, der jene Schreckensmänner von den Richtern unserer Tage trennt. Jene begingen keinen Meineid, denn sie urteilten nicht nach bestehendem Gesetz; sie urteilten nach ihrer freien Überzeugung von dem öffentlichen Wohl und aufgrund eines extra zu diesem Zwecke erfundenen Gesetzes, dessen Maschen so weit waren, daß es die Welt in sich faßte. Heute fügt man die Hypokrisie zu der Gewalt; man behauptet zu urteilen aufgrund der bestehenden Gesetze. Eine Verurteilung von damals bedeutete eingestandenermaßen nichts anderes, sollte nichts anderes bedeuten als: Du bist ein Feind des herrschenden Systems.

Die Verurteilung von heute soll bedeuten: Du bist ein Verbrecher!

Nie wird die Geschichte, nie wird das Volk vergessen, mit welcher Bereitwilligkeit, mit welchem unglaublichen und grenzenlosen Servilismus nach den Novemberereignissen die Gerichte herbeistürzten, um die Rolle der Opferschlächter im Dienst der Gewalt zu übernehmen! Die Novemberereignisse haben bei dem namenlosen materiellen Unglück, das sie über das Land gebracht haben, das Verdienst, uns um viele und große Illusionen ärmer; um viele Erfahrungen reicher gemacht zu haben. Sie haben uns gezeigt, wie weit die Fäulnis bereits um sich gegriffen hat in unserem Staatsorganismus. Man glaubte bis dahin noch an einen unabhängigen Richterstand.

Kaum hatten die Novemberereignisse für die Krone entschieden, so zeigte sich, daß das Richtschwert der Gerechtigkeit nichts als ein Fechterdegen in den Händen von Regierungsgladiatoren war. Wir haben gesehen, wie der höchste rheinische Gerichtshof, der rheinische Kassations- und Revisionshof, wie das höchste Forum der alten Provinzen, das Geheime Obertribunal, wie die Oberlandesgerichte von Münster, Ratibor, Bromberg gegen ihre Mitglieder und Präsidenten Esser, Waldeck, Temme, Kirchmann, Gierke, Bornemann, Adressen, teils an diese selbst, teils an den Justizminister erließen, um mit offener Verhöhnung des Gesetzes, welches erklärt, daß die Richter nur durch vom Gesetz vorgesehene Vergehen im Rechtswege absetzbar und suspendierbar sind, den Justizminister zu veranlassen, jene Männer wegen ihrer Abstimmungen als Abgeordnete aus ihrem Amte zu entfernen oder sie selbst durch moralischen Zwang zum Austritte zu zwingen; wir haben gesehen, wie selbst ein Justizministerium Rintelen diesem Terrorismus der Gerichte gegenüber eine verhältnismäßige Gesetzlichkeit zu beobachten wußte, indem es sich trotz jener Provokationen nicht verleiten ließ, jene Männer ihres Amtes zu entheben.

Wir haben gesehen, wie das Oberlandesgericht zu Münster seinen eigenen Präsidenten, Temme, in den Kerker warf und zwar wegen seiner Abstimmungen als Abgeordneter, wegen welcher er gesetzlich nicht verfolgt werden kann. Wir haben gesehen, wie es wieder aus einem letzten Rest von Anstands- und Schamgefühl grade der Verwaltungsbehörde, gegen deren Willkür die Gerichte angeblich als Schutz dienen sollen, das Justizministerium Rintelen sein mußte, welches die Freilassung Temmes anordnete. Wir haben gesehen, wie, um den Servilismus aus einer freien Kunst zu einer ökonomischen Notwendigkeit zu machen, man soweit ging, im Geheimen Obertribunal vorzuschlagen, die Abschaffung des Gesetzes von der Unabsetzbarkeit der Richter vom Justizministerium zu verlangen. Wir haben gesehen, wie die Mitglieder des Oberlandesgerichts zu Arnsberg von ihrem Direktor verlangten, gegen den Geheimen Justizrat Kindermann eine Untersuchung einzuleiten, weil er als Wahlmann für einen Kandidaten der Linken gestimmt hat. Wir haben gesehen, wie das Kriminalgericht zu Halberstadt, in aller Form rechtens und in gesetzlich hinreichender Zahl versammelt, einen Schlosser freisprach, der des großen Verbrechens beschuldigt war, einem nach Berlin abziehenden Landwehrmann zugerufen zu haben, er möge dort nicht auf seine Brüder schießen, und wie die übrigen Mitglieder des Gerichts hinterher den Senat zwangen, das in gesetzlicher Form gefällte Urteil wieder umzustoßen und an seine Stelle ein verurteilendes zu setzen. Wir haben gesehen, wie das Oberlandesgericht zu Münster ein Dutzend oder mehr von den Mitgliedern des westfälischen Kongresses ohne Grund in den Kerker warf, ohne Grund, warum gerade diese und nicht noch andere und sie ebenso ohne Grund nach viermonatiger Kerkerhaft wieder entließ. Wir haben gesehen, wie in Magdeburg, Breslau, Halberstadt, Erfurt massenhafte Verurteilungen zu 6, 10, 14 Jahren Zuchthaus die Reihen der Patrioten, der Dezembergefangenen lichtete. Was Wunder, daß der Anklagesenat von Köln keinen Mißton in diese Harmonie bringen wollte und mich auf diese Bank verwies!

Das Volk hat das alles gesehen, es begreift die fürchterliche Blutlehre, die ihm vom richterlichen Forum aus gegeben wird, und das Andenken daran hat sich unvertilgbar wie fressend Feuer in sein Inneres eingebrannt!

Einst wird man mit Tränen voll Angst, mit Tränen voll Blut diese Urteile wegwaschen wollen aus den Blättern der Geschichte; es wird vergeblich sein. Das alte Sittengesetz: Aug' um Auge, Zahn um Zahn regiert ewig das Leben der Völker. Mit dem Maße, mit dem du mißt, mit dem soll dir gemessen werden, heißt das Prinzip, welches wie ein Sühne fordernder Geist durch die Geschichte schreitet. Oh, um in der ministeriellen Sprache zu reden: »Wir verkennen nicht die hohe Bedeutung der Novemberereignisse für die Geschichte Preußens!« Oh – über die ewigen Toren! Der Blindeste kann es sehen. Es drängt die Welt mit Allgewalt in eine neue Phase. Es kam nur darauf an, den Übergang so menschlich, so unblutig als möglich zu machen. Das Volk hatte es eingesehen, es war großmütig genug, es zu wollen. Es verlangte die Abschaffung der Todesstrafe. In Paris, Wien, Berlin nach den siegreichen Revolutionen fiel kein Opfer außer im Kampfe; kein Kerker wurde geöffnet. Und kaum hat die Konterrevolution in Paris, Wien, Berlin auf einen Augenblick den Sieg davongetragen, entfaltet sie hier wie dort wie überall das Panier der Schreckensherrschaft.

Nun wohl, die Machthaber von heut werden ihren Willen haben. Aber die Machthaber von heut werden die Verbrecher von morgen sein!

Einst werden die Novemberverhaftungen aus ihren Gräbern steigen und dieselbe Rolle in der Geschichte Preußens spielen, welches das Gemetzel vom Champ de mars in der Frankreichs gespielt hat. Wie im Konvent die Schreckensmänner jeden Gedanken von Milde und Versöhnung immer und immer mit dem Angedenken an das blutige Gemetzel des Champ de mars zurückschlugen, so werden die Novemberbrigaden das fürchterliche Losungswort einer sehr nahen Zukunft sein. Es geht ein finsterer Geist durch dieses Haus, und er wird keine Ruhe finden, ehe er gesühnt wird. Keine Schuld wuchert so schnell, kein Samen geht so bald auf wie die Blutschuld.

Oder glauben Sie, meine Herren, daß, weil in Preußen noch keine Guillotine aufgeschlagen worden, weil man hier noch nicht wie in Wien zu Pulver und Blei verurteilt, weil man sich begnügt, unsere Existenz durch die Verbannung zu zerbrechen und uns Mark und Bein in den Kerkern zu dürren, daß deshalb weniger bei uns der Schrecken herrscht als in Österreich.

Der Mut der preußischen Konterrevolution hat sich allerdings noch nicht bis zur Höhe des Schafotts erhoben, aber das System, das bei uns herrscht, ist tausendmal schrecklicher und verabscheuungswürdiger als in Österreich. Sie glauben, ich übertreibe?

Oh, ich übertreibe durchaus nicht.

Es ist wahr, Blut ist geflossen in Österreich, entsetzlich viel Blut, daß das Meer erschreckt sich fragt, warum die Donau so rot zu seinen Fluten strömt. Aber wenn für den einzelnen der Tod das Schlimmste ist, so ist er nicht das Verderblichste für das Schicksal eines Volkes.

Tausende sterben auf einem Schlachtfelde ohne schreckliche Wunde für das Gemeinwohl. In Wien verurteilt das Kriegsgericht zu Pulver und Blei, aber es tritt damit nur das sinnliche Glück des einzelnen zu Boden, es korrumpiert nicht die Rechtsidee des ganzen Volkes. Man handelt offen. Man hat durch offenes Blutvergießen das Salzkorn des Hasses in das Herz des Volkes gestreut; aber man hat es gerade dadurch frisch erhalten und vor Fäulnis bewahrt. Ich will an einem Beispiele mich klarmachen.

Sie alle wissen, welches Entsetzen in Deutschland der Tod Blums erregt hat. Sein Tod war's nicht, der diesen Eindruck machte. Sicherlich, wäre Blum auf einer Barrikade gefallen, die er verteidigte, man hätte darin ein trauriges Ereignis, kein öffentliches Unglück in so hohem Maße gefunden. Es ist natürlich, daß man auf einer Barrikade fallen kann. Was Deutschland so empörte, war, daß er in der Form des Rechts, wenn auch des Standrechts, getötet wurde. Indes, genaugenommen, ist wenig Unterschied zwischen der Kugel eines Kroaten und dem Urteil von Kroatengeneralen. Jedermann weiß, daß eine standrechtliche Verurteilung durch Militärpersonen auf keine Rechtsweise Anspruch machen kann, daß sie sich in nichts von einem Kämpfertode unterscheidet.

Nun denken Sie sich aber einmal den Fall, daß man in Wien Blum und Messenhauser und so viele andere vor den gewöhnlichen bürgerlichen Richter oder gar vor eine Jury gestellt hätte und daß diese zu dem Verbrechen sich hergegeben, jene Männer zu verurteilen! Und sagen Sie sich, wie tausendfach größer noch in diesem Falle das Entsetzen und die sittliche Empörung Europas gewesen wäre!

Das aber wagte man in Wien dennoch nicht. Man traute den Bürgern dort nicht die Niederträchtigkeit zu, sich mit dem Blute derer zu beflecken, die sie verteidigt hatten. Man knechtete die Bürger Wiens, aber die Schande eines solchen Ansinnens hat man ihnen nicht angetan. Zehnmal machiavellistischer ist die Politik, die man bei uns verfolgt. Bei uns begnügt man sich nicht, zu vernichten, das Leben und sinnliche Glück des einzelnen zu zertreten, nein, man will auch noch moralisch imponieren! Man will sich Ihre Autorität, die Autorität der Geschwornen leihen, um das Rechtsbewußtsein des ganzen Volkes zu verwirren, zu depravieren, zu korrumpieren. Man will eine Verurteilung aus dem Munde des Volkes selbst, aus dem Munde von Geschwornen, um durch diese Verurteilung es aller Welt als eine chose jugée, als eine abgeurteilte Sache, beweisen zu können, daß die absolute Willkür der Krone vom Volke selbst heiliggesprochen, indem der Widerstand gegen diese absolute Willkür vom Volke selbst als ein Verbrechen verdammt wurde.

Man wagt, man wagt, man wagt zu hoffen, Sie, meine Herren, unabhängige Bürger, gleichviel welcher Meinung und Partei Sie angehören, würden, auf den Knien liegend vor dem Götzen der Gewalt, sich bereit finden lassen, die Männer zu verurteilen, welche gerade Ihre Rechte, die Gesetze, die Ringmauer Ihrer bürgerlichen Sicherheit gegen Ihre Unterdrücker verteidigt haben!

In allen Zeiten, wo die Gewalt herrschte und eine feindliche Partei ohne Rechtsgrund vernichten wollte, mußte sie Ausnahmegerichte, besondere Mordinstrumente dazu erfinden, die gewöhnlichen Gerichte hätten sich nicht dazu hergegeben. So erfand man 1793 die Schreckenstribunale, unter der Restauration die Prevotalhöfe, in Wien das permanente Kriegsgericht; jetzt in Bourges den Nationalgerichtshof.

Preußen ist der erste Staat der Welt, wo man der Nation den Schimpf antut, die Bürgerklasse selbst für fähig zu halten, sich zum Komplizen einer volksfeindlichen Regierung herzugeben. Man hebt bei uns die gewöhnliche Gerichtsbarkeit nicht auf. Man lächelt süffisant und sagt, bei uns bedarf es dessen nicht! Ihr braucht nicht an die Kette gelegt zu werden. Geht, geht, geht frei herum, ihr seid ja doch Bediente, ihr werdet feig genug sein, euch zu unsern Mordinstrumenten herzugeben. Wie der Sultan dem Manne den Strick zur Selbsterdrosselung schickt, wie man in Berlin mit nie dagewesenem Hohne von der Bürgerwehr verlangte, sie solle das Bajonett gegen die Nationalversammlung wenden, das heißt einen Selbstmord an sich selbst vollziehen, so verlangt man jetzt ganz mit demselben, nur in Preußen möglichen Hohn von Ihnen, von dem Volke, es solle sich selbst verurteilen.

Oh, meine Herren, wenn ich die Verachtung, die Beleidigung bedenke, die man Ihnen erweist, indem man eine Verurteilung Ihnen abzuverlangen, von Ihnen zu erwarten wagt, ich erröte vor Indignation in Ihrer Seele, in Ihrem Namen!

Mein Platz ist schön und ehrenvoll. Mich verfolgt man nur, mir erweist man die Ehre, mich gefährlich zu finden, mich will man nur vernichten. Man beleidigt, man verhöhnt mich nicht. Aber Ihr Platz, meine Herren – die Rolle, deren man Sie für fähig hält – – oh, die Insulte, die man Ihnen ins Antlitz schleudert, ist tödlich!

Die rheinischen Geschwornen, meine Herren, haben diesen Schimpf nicht verdient. Die Haltungsweise der Geschwornen der Rheinprovinz hat das öffentliche Ministerium durch nichts zu seinen kühnen Erwartungen berechtigt. Im Gegenteil, mitten unter allen den Gewalttätigkeiten, welche dem kurzen Freiheitsrausche im März gefolgt sind, die Geschichte muß es mit Befriedigung anerkennen, haben die Geschwornen der Rheinprovinz gezeigt, daß sie ihre Stellung begriffen haben, ein Bollwerk der Freiheit gegen die Willkür und Verfolgungssucht der Bürokratie zu bilden; dies war sogar schon vor den Novemberereignissen der Fall. Seit dem März 1848 hat die Rheinprovinz eine zahllose Menge politischer Prozesse erlebt, aber noch keine einzige, ich sage, noch keine einzige Verurteilung hat in der Rheinprovinz durch Geschworne stattgefunden. In Düsseldorf sind Wulff und Freiligrath, in Köln Gottschalk, Annecke, Esser, Marx, Engels, Korff, Valdenaer in Trier trotz aller Anstrengungen des öffentlichen Ministeriums freigesprochen worden. Immer und immer wieder stürmte das öffentliche Ministerium gegen diese Schranken an – es hat noch keine, nicht eine Beute davongetragen.

Was gab dem öffentlichen Ministerium den Mut, gerade in bezug auf die Novemberereignisse, wo eine Verurteilung eine vollständige Unmöglichkeit ist, eine solche zu hoffen? Glaubte es auf die Niedergeschlagenheit und moralische Ermattung rechnen zu können, welche der Sieg der Reaktion den Bürgern einflößen würde? Es hat sich jedenfalls in dieser Rechnung sehr verrechnet. Es hat bereits ein Novemberprozeß vor rheinischen Geschwornen stattgefunden, und der Ausgang war, wie er nicht anders sein konnte. Ja, meine Herren, dieser ganze heutige Prozeß ist bereits abgeurteilt. Ich bin bereits freigesprochen worden, als ich in der Person von Marx, Schneider und Schapper vor zirka zwei Monaten vor der Kölner Jury stand. Karl Marx, Schapper und der jetzige Deputierte Schneider standen vor den Assisen, weil sie in der »Neuen Rheinischen Zeitung« vom 19. November folgenden Aufruf unter ihrer Namensunterschrift erlassen hatten:

»1. Nachdem die preußische Nationalversammlung selbst die Steuerverweigerung beschlossen hat, ist ihre gewaltsame Eintreibung überall durch jede Art des Widerstandes zurückzuweisen.

2. Der Landsturm zur Abwehr des Feindes ist überall zu organisieren. Für die Unbemittelten sind Waffen und Munition auf Gemeindekosten oder durch freiwillige Beiträge zu beschaffen.«

Aufgrund dieses Aufrufes wurden sie vor die Assisen gestellt. Erlauben Sie zunächst, daß ich Sie hierbei auf die unvergleichliche Willkür aufmerksam mache, mit welcher die Prokuratur bei ihren Verfolgungen verfährt, und auf die Leidenschaftlichkeit, mit welcher man gerade mich verfolgt, worauf ich später noch ausführlicher zurückkommen werde.

Sie sehen nämlich, daß in diesem Aufruf dazu aufgefordert wird, die Waffen zu ergreifen und den Landsturm zu organisieren. Gleichwohl wurden Marx und Genossen nicht, wie ich, angeklagt, gegen § 87 verstoßen, das heißt zur Bewaffnung gegen die königliche Gewalt aufgefordert zu haben, sie wurden nur angeklagt, gegen den Artikel 209 verstoßen, zum bewaffneten Widerstande gegen das Militär und die Beamten aufgefordert zu haben. Dieser Unterschied in der Anklage ist in seinen Folgen enorm. Das Vergehen, auf das man in Köln die Anklage richtete, zog als ein bloßes Vergehen keine Vorhaft und nur einige Monate Gefängnisstrafe nach sich, während man die Anklage gegen mich auf ein Kapitalverbrechen gerichtet hat, welches die Vernichtung der ganzen bürgerlichen Existenz nach sich zieht.

In der Tat, wenn unter den vorliegenden Umständen irgendeine Anklage überhaupt möglich wäre, so wäre nur jene Anklage zur Aufforderung zum Widerstande gegen die bewaffnete Macht und die Beamten möglich, wie man sie gegen Marx gerichtet hat. Denn da die Bewaffnung, zu der von mir wie in jenem Aufruf der »Neuen Rheinischen Zeitung« provoziert wurde, keinen Umsturz der königlichen Gewalt, der Verfassung und Staatsform zum Zwecke hatte, so kann die Anklage am allerwenigsten auf den Artikel 87 basiert werden, dessen Begriff den Umsturz der königlichen Oberhoheit, des Thrones, in sich faßt. Da meine Reden, wie auch der Aufruf der »Neuen Rheinischen Zeitung« nichts davon enthalten, den Thron zu stürzen, sondern nur die Nationalversammlung und das Volk gegen die Regierung in ihren gesetzlichen Rechten zu schützen, so liegt, wenn hier überhaupt von einer Anklage die Rede sein könnte, nur die Anklage eines Widerstandes gegen die Beamten und die öffentliche Macht vor. Bei Marx in Köln erkannte man dies an und richtete die Anklage bloß hierauf. Warum aber erhob man gegen mich die Anklage eines Kapitalverbrechens? Doch in Düsseldorf wurde damals der Belagerungszustand deklariert, eine Belagerung braucht Verhaftungen, Verhaftungen schwere Verbrechen, und so wurde denn die Beschuldigung gegen mich auf den Artikel 87 fundiert.

Vielleicht aber wurde die Kölnische Prokuratur auch von einem anderen Motive geleitet, vielleicht glaubte sie, eine so geringe Verurteilung von der Jury leichter erlangen zu können als eine so schwere – wie dem auch sei, obgleich Marx und Genossen offen eingestanden, daß sie mit dem Worte »Feind« in jenem Aufruf die Krone gemeint hatten, was auch nicht füglich hätte geleugnet werden können, obgleich jener Aufruf in der »Neuen Rheinischen Zeitung« auf das unmittelbarste und direkteste, ganz so wie es das Strafgesetz erheischt, zur Ergreifung der Waffen, zu Organisierung des Landsturmes aufforderte – trotz alledem wurden Marx, Schapper und Schneider einstimmig von der Jury freigesprochen!

Wie kann, wie darf in seinem eigenen Interesse, im Interesse des öffentlichen Rechtsbewußtseins, das öffentliche Ministerium nach diesem Präzedenzfall die Anklage gegen mich auch nur einen Augenblick aufrechthalten! Wie darf es auf meine Verurteilung antragen?

Was gewinnt das öffentliche Ministerium dabei, wenn seinem Antrage stattgegeben würde? Von der einen Seite meine Verurteilung. Gut! Aber von der andern Seite, was soll aus dem öffentlichen Rechtsgefühl, was soll aus der Achtung des Volkes vor der Rechtsprechung, was soll aus seiner Achtung vor dem Geschwornenurteil werden, wenn ein und dieselbe Handlung in Köln erlaubt, in Düsseldorf ein Verbrechen ist? Wenn nicht aus wirklicher Achtung vor dem Geschwornenurteil, so hätte schon um der gewöhnlichsten Klugheit willen das öffentliche Ministerium nach jenem Präzedenzfall die Anklage fortfallen lassen müssen. Denn wenn hier verdammt wird, was fünf Meilen weiter freigesprochen, muß nicht durch diesen schneidenden Gegensatz die ohnehin durch die Handlungen der Behörden so erschütterte Achtung des Volkes vor dem Gesetz in ihren Grundtiefen zerstört werden?

Muß es sich dann nicht sagen, daß selbst das Geschwornenurteil, statt ein Ausspruch der Gerechtigkeit, ein Produkt der Willkür und des Zufalls sei? Würde es sich den schlagenden Kontrast der Verurteilung von hier mit der Freisprechung von dort anders erklären können, als daß hier reaktionärere Persönlichkeiten gesessen haben, die ihre Parteileidenschaft in ihr Urteil gelegt haben? Wird nicht gerade durch das öffentliche Ministerium so der Haß der Bürger gegeneinander angefacht und der letzte Rest von Zutrauen eingerissen?

Aber was kümmert die systematische Untergrabung des öffentlichen Rechtsgefühls, was kümmert die Vernichtung der Achtung vor dem Gesetze, wovon man sonst soviel zu schwatzen weiß, die radikale Unterminierung aller sittlichen Grundlagen im Volksbewußtsein, was kümmert das alles die Staatsprokuratur, wenn sie ein Opfer will?

»Es tost der See und will sein Opfer haben.«

Nichts bildet einen lehrreicheren Kontrast zu diesen Verfolgungen um jeden Preis als die Straflosigkeit, mit welcher von den Beamten alle möglichen Verbrechen vollbracht werden, und die Unbeweglichkeit, mit welcher die Prokuratur ihnen zuschaut. Wenn ich Ihnen aufzählen wollte wozu ich Tage brauchen würde –, wie viele schreiende Rechtsverletzungen, wie viele von den Gesetzen mit den schwersten Strafen belegte Verbrechen seit dem November in jeder Stadt Preußens von den Beamten, von Militär- und Polizeibehörden täglich vollbracht worden sind, ohne daß je ein Staatsprokurator deshalb die Feder in die Tinte getaucht hat – Sie würden erschrecken über den total rechtlosen Zustand, in dem wir leben.

Doch ich will mich beschränken, vor der eigenen Tür zu kehren, nur einiges von dem zu berühren, was hier in Düsseldorf unter Ihren eigenen Augen vorgefallen ist. Sie erinnern sich jener Proklamation, durch welche es dem General v. Drygalski und Herrn v. Spiegel gefiel, den Belagerungszustand über Düsseldorf zu verhängen.

Abgesehen von der Proklamation des Belagerungszustandes überhaupt, welche an sich, wie gezeigt, da kein Gesetz sie gestattet, ein Verbrechen ist, sind bei Gelegenheit jener Belagerung nicht mehr und nicht weniger als fünf schwere Verbrechen begangen worden.

Der Artikel 114 des Code pénal bestimmt, daß jeder Akt irgendeiner Behörde, welcher willkürlich die persönliche Freiheit verletzt oder die bürgerlichen Rechte eines oder mehrerer Bürger beeinträchtigt, ein Kriminalverbrechen sei, welches mit lebenslänglicher dégradation civique bestraft werde.

Sehen wir jetzt, wie oft Herr v. Drygalski und Herr v. Spiegel, wenn das Gesetz eine Wahrheit und nicht bloß ein Mordinstrument im Dienste der Beamtenverschwörung wäre, hätten degradiert werden müssen.

  1. Herr v. Drygalski erklärt in seiner Proklamation die Bürgerwehr für aufgelöst. Es stand ihm aber nicht die Befugnis zu, die Bürgerwehr aufzulösen, denn nach § 3 des Bürgerwehrgesetzes vom 17. Oktober hat ausdrücklich nur der König durch Kabinettsordre das Recht hierzu. Dies war also ein willkürlicher Eingriff in die bürgerlichen Rechte und in die Konstitution des Landes. Dies ist vom Ministerium sogar anerkannt worden; denn bald darauf erschien zu großer Verwunderung der Stadt eine königliche Kabinettsordre, welche die schon aufgelöste Bürgerwehr nochmals für aufgelöst erklärte. Man würde sich diese Blöße nicht gegeben haben, wenn man sich nicht selbst hätte gestehen müssen, daß die Drygalskische Auflösung ungültig, weil ungesetzlich sei;
  2. erlaubte sich Herr v. Drygalski, die Waffen der Bürgerwehr zu konfiszieren, während es im § 3 des Zusatzgesetzes zum Bürgerwehrgesetz ausdrücklich heißt: Die Waffen sollen jedenfalls bis zum Zustandekommen der neuen Gemeindeordnung in dem Besitze der Gemeinden verbleiben;
  3. hat Herr v. Drygalski ohne jede Berechtigung das freie Vereinigungsrecht aufgehoben und sich damit eines Verbrechens gegen das Gesetz vom 6. April schuldig gemacht;
  4. hat Herr v. Drygalski Haussuchungen nach Waffen etc., obwohl die Habeas-Korpus-Akte nicht suspendiert worden war, ohne richterlichen Befehl vornehmen lassen und sich dadurch einen willkürlichen Eingriff in die persönliche Freiheit und ein Verbrechen gegen § 6 der Habeas-Korpus-Akte zuschulden kommen lassen;
  5. hat Herr v. Drygalski in seiner Proklamation Kriegsgerichte gegen Zivilpersonen eingesetzt und sich dadurch eines schweren Verbrechens gegen § 5 der Habeas-Korpus-Akte schuldig gemacht, welcher, wie das Gesetz ausdrücklich zeigt, selbst in Fällen von Krieg und Aufruhr nicht suspendiert werden darf und der besagt: »Ausnahmegerichte sind unstatthaft. Keine Strafe darf angedroht werden als in Gemäßheit des Gesetzes.«

Jede einzelne dieser fünf Maßregeln hätte, dem Gesetz zufolge, dégradation civique nach sich ziehen müssen. Da aber, wie die Proklamation zeigte, jene Maßregeln nicht von Herrn v. Drygalski allein, sondern von ihm in Übereinstimmung mit dem Regierungspräsidenten getroffen worden waren, so lag sogar der Fall des Artikel 124 vor, welcher besagt, daß, wenn eine Übereinstimmung zwischen Zivil- und Militärbefehlshabern stattgefunden hat, um Maßregeln zu verordnen, welche gegen die Gesetze gerichtet sind, die Strafe sogar die der Deportation, das heißt die schwerste nach der Todesstrafe sei.

Nun, sämtliche Offiziere der Bürgerwehr reichten bei der hiesigen Prokuratur eine Denunziation ein und trugen auf Einleitung einer Kriminaluntersuchung gegen Spiegel und Drygalski aufgrund aller dieser Verbrechen an. Das öffentliche Ministerium konnte auch nicht die Ausflucht gebrauchen, daß eine Erlaubnis der höheren Behörde nötig sei, denn abgesehen von allem übrigen bestimmt der § 9 der Habeas-Korpus-Akte ausdrücklich: Es ist keine solche Erlaubnis nötig, um öffentliche Zivil- oder Militärbeamte wegen Verletzung der Habeas-Korpus-Akte zu verfolgen.

Was tat das öffentliche Ministerium? Es drückte fest beide Augen zu, es küßte das Schwert der Gewalt, es warf die Denunziation ruhig unter den Tisch und hat bis heute noch den Denunzianten nichts geantwortet.

Wer von Ihnen, meine Herren, zweifelt auch nur einen Augenblick, daß, wenn später zufällig die Sache der Nationalversammlung gesiegt hätte, dasselbe öffentliche Ministerium mit demselben Feuereifer, mit dem es heute mich verfolgt, seine Requisitorien gegen v. Spiegel und Drygalski geschleudert und Ihnen mit enormem Pathos von der verletzten Volksfreiheit, von der durch rohe Gewalt beleidigten Würde des Gesetzes etc. etc. vordeklamiert haben würde?

Was soll ich Ihnen nach diesem einen massiven Beispiel, das für Tausende gilt, von der unerträglichen Willkürherrschaft, von den unerhörten Polizeiübergriffen erzählen, die bis zur wahnsinnigsten Quälerei ausarteten und die ruhigsten Bürger zur Wut gebracht haben?

Was soll ich Ihnen, die Sie alles miterlebt haben, wiederholen, wie Herr v. Faldern nicht nur die Volksversammlungen, nein, auch die Wahlversammlungen trotz des Artikel 128 der Oktoberverfassung stürmte, wie das öffentliche Ministerium, an das man sich wandte, die Verfolgung ablehnte aufgrund eines Gesetzes, das dahin paßte wie die Faust aufs Auge, wie Herr v. Faldern Ihnen das Illuminieren, Ihren Töchtern das Singen verbot, wie am 18. März 14 Kolben von den Gendarmen auf den Rücken des ruhig spazierenden Volkes zerbrochen wurden, wie die Soldaten bald eine Frau totschlugen, bald die ruhigsten, friedlichsten Bürger anfielen, mißhandelten, verwundeten, und wie immer und ewig jede Beschwerde fruchtlos blieb?

Und nach alledem wagt dasselbe öffentliche Ministerium, statt das Licht des Tages zu scheuen und sich in den fernsten Winkel seiner Aktenschränke, selbst da noch schamrot, vor dem Angesicht der Bürger zu verbergen, hier vor Sie hinzutreten und eine Anklage zu erheben und das Wort »Gesetz« zu entweihen, indem es dasselbe in seinen Mund nimmt?

Ja, meine Herren, wir leben unter einer Säbelherrschaft, die keine Grenzen kennt, die nicht Recht, nicht Freiheit, nicht Besitz, nicht Leben schont.

Soll ich Sie daran erinnern, welche Wunden der ungesetzliche und willkürliche Belagerungszustand dieser Stadt geschlagen, wie man jetzt schon seit länger denn einem halben Jahre den Belagerungszustand in Berlin aufrechthält und den Wohlstand der Kapitale halb vernichtet hat, wie Hunderte von Familien täglich noch Berlin verlassen, wie Handel und Gewerbe eingehen, wie man bald, als handelte es sich um eine Kleinigkeit und nicht um den Ruin von Familienvätern, einem Buchhändler den Laden schließt, weil er eine verbotene Zeitschrift verkauft, den Wirten die Wirtschaft nimmt, weil sie demokratische Gesinnungen haben, wie man ansässige Bürger polizeilich aus Berlin ausweist, wie Wrangel noch ganz kürzlich den Befehl erläßt, es werde jeder Offizier, der, wenn Soldaten beleidigt werden, nicht sofort zum Einhauen kommandiere, es werde also jeder Offizier, der nicht wegen einer Gebärde, eines Witzwortes, einer schiefen Miene Bürgerblut vergießen lassen wolle, vor ein Kriegsgericht gestellt werden; soll ich Sie daran erinnern, wie das Ministeriurn durch den jetzigen Preßgesetzentwurf Ihnen selbst die Wohltaten des französischen Rechts entreißen will, wie man die Artikel des Landrechts von der Majestätsbeleidigung, von der Erregung von Mißvergnügen gegen die Regierung – jene sauberen Artikel, gegen welche das Rheinland 30 Jahre lang gekämpft – hier einschwärzen, wie man, indem man dem rheinischen Gesetz zuwider, selbst nicht öffentliche, selbst am Familientische getane Äußerungen für strafbar erklärt, die Spionage bis in Ihr eigenes Haus organisieren, Sie selbst in dem Asyl des Familienlebens belagern will, wie man Ihnen so die letzten Reste von Freiheit entreißt, die Sie nicht einmal der Revolution, nein, der Zeit napoleonischer Tyrannei verdanken?

Das, meine Herren, sind die Segnungen, die die Kontrerevolution schon bis jetzt über Sie gebracht hat und vor denen ich Sie hatte bewahren wollen. Daß ich Sie davor bewahren wollte, das soll mein Verbrechen sein.

Erlauben Sie jetzt, nachdem wir hinlänglich die rechtliche Monstrosität der heutigen Anklage gegen uns betrachtet, daß ich die Anklage gegen mich im speziellen beleuchte, daß ich Sie auf die grenzenlose Wut aufmerksam mache, mit welcher man gerade mich persönlich verfolgt.

Es ist allgemein bekannt, mit welcher beispiellosen Erbitterung, aus Gründen, die gleichfalls ein öffentliches Geheimnis sind, das öffentliche Ministerium der Rheinprovinz nun seit drei Jahren schon mich poursuiviert. Die heutige Prozedur ist, von den vielen Korrektionsprozessen ganz abgesehen, nicht mehr und nicht weniger als bereits der dritte Kriminalprozeß, den man mir an den Hals geworfen hat! Nach der Hauptniederlage, die ich in achttägiger Schlacht dem öffentlichen Ministerium in Köln im August vorigen Jahres beizubringen die Ehre hatte, hätte ich billig erwarten dürfen, die Hitze der Verfolgungsschlacht gegen mich um etwas abgekühlt zu sehen. Ich irrte mich. Kaum drei Monate vergingen und ich befand mich wieder in den Kerkern der Justiz! Da jene Niederlage nicht genügte, das öffentliche Ministerium zu friedlicheren Gesinnungen zu bekehren, so ist es mir Pflicht, mich zu bemühen, die heutige noch entscheidender zu machen. Sie werden nicht von mir verlangen, daß ich der Würde meiner Sache, der Würde des Landes soviel vergeben soll, Ihnen auseinanderzusetzen, was ich mit leichter Mühe könnte, wie auch meine Neußer Rede – abgesehen selbst von dem Bisherigen – keinen direkten Aufruf zu den Waffen im Sinne des Artikel 102 enthält. Ich will, ich mag auf keinen andern Grund hin von Ihnen freigesprochen sein, meine Herren, als auf jenen souveränen, daß der Aufruf zu den Waffen damals das Recht und die Pflicht des Landes war. Ich würde diesen Tag als einen verlorenen erachten, wenn ich aus anderen Gründen freigesprochen würde. Aber darauf muß ich Sie aufmerksam machen, wie unbegreifliche Blößen man sich durch diese Anklage gegen mich gibt, in wie seltsame Widersprüche man sich verwickelt, wie man gerade bei mir verfolgt, was bei allen andern zu keiner Verfolgung Anlaß gibt. Denn was legt mir der Anklageakt überhaupt zur Last, was nicht von aller Welt, von der ganzen Nation im November laut ausgesprochen worden wäre? Man müsse die Nationalversammlung mit starker Hand unterstützen, man müsse sich rüsten etc. etc.; wer aus dieser Versammlung, wer von Ihnen, meine Herren, wer hat das damals nicht gesagt?

Und warum warf man gerade mich deshalb in den Kerker? Der Anklageakt legt mir zur Last, daß ich in Neuß aufgefordert, man möge eine Kommission zur Beschaffung von Waffen bilden. Aber wenn dies ein Belastungspunkt ist, dann habe ich in Düsseldorf jedenfalls unendlich mehr getan. Hier habe ich wirklich mit andern eine Kommission zu diesem Zwecke gebildet, gedruckte Subskriptionslisten ins Publikum erlassen, wo ich zu Beiträgen von Geld und Waffen zur Bekämpfung der Regierung aufgefordert – also das getan, wozu ich in Neuß nur angeraten. Dies Aktenstück lag dem Anklagesenat vor. Gleichwohl fand er hierin keinen Anklagepunkt. Warum, meine Herren? Weil den Düsseldorfer gedruckten Aufruf außer mir noch eine Reihe der angesehensten Bürger hiesiger Stadt, der Stadtrat Reinarz, Spohr, Schoof, Matthis etc. etc. unterschrieben hatten, weil auf der Subskriptionsliste in der Verwirrung jener Zeit selbst so ruhige Bürger wie der Bankier Cleff unterzeichnet hatten; weil man diese alle als Komplizen mit mir auf diese Bank hätte stellen müssen, wenn man diesen Aufruf als ein Verbrechen qualifizieren wollte. Das aber wollte natürlich die Regierung und ihre Schleppenträgerin, die Themis, nicht; man wollte mich isolieren, um wenigstens die Chance zum Gewinn zu haben. Aus diesem noblen Grunde erklärt man die Aufforderung in Neuß für verbrecherisch, während man dieselbe Aufforderung, ja die Ausführung derselben in Düsseldorf für erlaubt erklärt.

Diese noble Taktik der Gerichte läßt sich noch weiter verfolgen. Sie wissen, man hatte mit mir Cantador eingezogen. Die Ratskammer hatte ihn gleichfalls wie mich verwiesen. Der Anklagesenat gibt ihn zu seiner eigenen großen Verwunderung frei, während er mich verweist. »Warum« erfährt man aus dem Urteil des Anklagesenats nicht. Der Anklagesenat erklärt »in Erwägung, daß Lassalle hinreichend belastet, daß Cantador nicht hinreichend belastet ist« etc. etc. Die Gründe aber für das eine wie das andere bleiben ein Geheimnis. Die Reden Cantadors waren gedruckt in den Zeitungen erschienen; Cantador hatte sie anerkannt. Die Reden waren mindestens ebenso direkte Aufreizungen als die meinigen. Wie wäre es auch anders möglich gewesen! Empfand er doch ebenso lebhaft als ich die Schmach, die man dem Lande ins Antlitz warf. Er ist Chef der Bürgerwehr; er läßt die Bürgerwehr sich permanent erklären; Tag und Nacht läßt er Kugeln gießen; er entbietet die Bürgerwehren der Umgegend zu einer bewaffneten Schau, er nimmt ihnen den Schwur ab, die Sache der Nationalversammlung verteidigen zu wollen bis auf den letzten Mann. Er sagt ihnen wörtlich, wie folgt:

»Nicht auf uns wird die Verantwortung des Blutes kommen, das vergossen wird. Nichts ist heiliger als der Anblick eines Volkes, das für sein Recht kämpft. Freudig werden wir in diesem Kampfe als freie Männer den letzten Tropfen unseres Blutes vergießen. Wehrmänner! Alle Tage kann der Aufruf der Nationalversammlung ergehen, alle Tage der Angriff auf uns erfolgen. Dann werde ich Sie aufrufen, meine Herren, und Schande dem, der da fehlt in unseren Reihen. Er ist ein Verräter an der Sache der Freiheit und des Gesetzes. Schwören Sie mir, meine Herren, wie ich es Ihnen hier schwöre, daß Sie lieber fallen wollen bis auf den letzten Mann, als weichen in der Verteidigung unseres guten Rechts.«

Ist das nicht ganz dasselbe und zehnmal mehr, als ich in Neuß gesagt?

Warum riß man also einen Mann von meiner Seite, der in jeder Beziehung der Ehre würdig war, diesen Platz mit mir zu teilen? Aber es war natürlich! Man konnte sich keinen Augenblick dem Gedanken eines glücklichen Ausganges hingeben, wenn man den Stolz Düsseldorfs mit mir auf diese Bank geschickt! Man entließ Cantador, damit Sie desto sicherer mich verurteilen mögen!

Und glauben Sie, daß hiermit die Verfolgungssucht gegen mich ihr Ende erreicht hätte? O Gott behüte! Die Justiz ist vorsichtig. Sie sagt sich, daß trotz alledem und alledem dieser Prozeß ein übles Ende nehmen müsse, sie beschließt, sich den Rücken zu decken. Sie macht zu diesem Zwecke eine nagelneue Erfindung, die ich Ihnen kurz erwähnen muß, damit Sie sehen, welchen Höhepunkt von Schamlosigkeit die Wut der preußischen Gerechtigkeit erreichen kann. Sie wissen, meine Herren, daß niemand wegen derselben Handlung zweimal angeklagt werden kann. Nun, mich verweist man aufgrund der Neußer Rede vor die Assisen, indem man mich beschuldigt, in derselben zur Bewaffnung gegen die königliche Gewalt aufgereizt zu haben. Und für den Fall, daß ich freigesprochen werde, verweist mich Ratskammer und Anklagesenat aufgrund meiner gleichartigen Düsseldorfer Reden und aufgrund derselben Neußer Rede, wegen der ich heute vor Ihnen stehe, vor das Korrektionsgericht, indem man mich beschuldigt, darin zum gewaltsamen Widerstand gegen die Beamten und die bewaffnete Macht aufgereizt zu haben. (Vergehen nach Artikel 209, 217.) Aufgrund derselben Rede, derselben Handlung werde ich zweimal angeklagt. Und wenn es selbst nicht dieselbe Rede gewesen wäre, die eine Handlung ist ein notwendiger Teil der andern. Wer da auffordert, sich gegen die königliche Gewalt zu erheben, der muß auch notwendigerweise eo ipso auffordern, der bewaffneten Macht und den Beamten Widerstand zu leisten. Denn die bewaffnete Macht und die Beamten sind ja die Delegierten, die Träger der königlichen Gewalt, sie sind die Gefäße, in denen die königliche Gewalt allein existiert; es ist gar nicht menschenmöglich, das höhere Verbrechen zu begehen, gegen die königliche Gewalt sich zu erheben, ohne zu diesem Zwecke auch das geringere zu begehen, den Beamten und der öffentlichen Macht Widerstand zu leisten. Indem man mich also des höheren Verbrechens des Artikel 87 anklagte, ist hierin die Anklage auf Aufforderung zum Widerstand gegen die Beamten schon enthalten. Der Widerstand gegen die Beamten ist nur ein Teil jener höheren Anklage, um die es sich heute handelt, er ist nur die Weise, das Verbrechen des Artikel 87 zu exekutieren. Nichtsdestoweniger, trotz aller rechtlichen Unmöglichkeit, beschließt Ratskammer und Anklagesenat, mich erst auf das ganz höhere Verbrechen anzuklagen und dann, im Fall der Freisprechung, auf einen Teil desselben, das im ganzen schon notwendig enthalten ist.

Was würden Sie sagen, meine Herren, wenn man einen Dieb vor die Assisen stellte, weil er zum Beispiel in einen Garten eingebrochen und, freigesprochen, ihn zuchtpolizeigerichtlich wegen Zerstörung von Umzäunungen verfolgte?

Aber er mußte die Umzäunungen zerstören, wenn er stehlen wollte, er war bereits des Diebstahls angeklagt und kann somit nicht wegen der einzelnen Teile jener Handlung, da er sich über das Ganze bereits verantwortet hat, verfolgt werden. Ein ganz analoger Fall wurde schon einmal vom Kassationshof entschieden. Eine Frau war des Kindesmords angeklagt und, von der Jury freigesprochen, wird sie korrektioneil wegen Verheimlichung der Schwangerschaft verfolgt und verurteilt. Der Kassationshof kassierte mit Indignation das Urteil, denn die Verheimlichung der Schwangerschaft war ein integrierender Teil des Kindesmords, und da sie schon wegen des ganzen Verbrechens freigesprochen, konnte sie nicht mehr wegen der einzelnen Teile, die zur Exekution desselben gehörten, verfolgt werden.

Nach dieser nagelneuen Erfindung, welche die Gerichtshöfe in meinem Prozeß gemacht haben, könnte man jeden, der einen Aufstand gegen die königliche Gewalt wirklich gemacht hat, zum Beispiel etwa Struve, hinterher, wenn er deshalb etwa freigesprochen wäre, des gewaltsamen Widerstandes gegen die Beamten und die öffentliche Macht anklagen; denn es wird keinem Menschen möglich werden, einen Aufstand gegen die landesherrliche Gewalt wirklich zu machen, ohne zugleich den Beamten Widerstand zu leisten, das Militär zu bekämpfen etc. etc.

Was kümmerte die ganz unwidersprechliche Klarheit dieser einfachsten Rechtsprinzipien den Kölner Anklagesenat, wenn es sich darum handelte, mich zu verfolgen? Die Gerichte wollten den Rücken gedeckt haben.

Und zwar nicht vor Geschworne, die über alle politischen Vergehen richten sollen, verweist man mich wegen des zweiten Vergehens; nein, man behauptet, daß im November Aufforderungen, die Steuern zu verweigern und den Beamten Widerstand zu leisten, kein politisches, sondern ein gemeines Vergehen gewesen sei, und verweist mich deshalb vor das Korrektionsgericht, vor königlich bezahlte Richter, meine Herren.

Man läßt mir nur die Alternative, mich von den Geschwornen verbannen oder von den königlichen Richtern in den Kerker werfen zu lassen, ihre Freisprechung heute, meine Herren, ist keine Freisprechung für mich. Sie ist nur ein neues Verweisungsurteil. Sie wirft mich nur der Charybdis königlich preußischer Gerechtigkeit in die Arme, der ich nicht entgehen werde.

Und beachten Sie, meine Herren, welche Willkür durch den Widerstreit der Gerichtsurteile selbst sich kundtut. Die Ratskammer fand zirka ein Dutzend Handlungen von mir aus, wegen derer sie mich aufgrund des Artikel 87 vor die Geschwornen wies. Ich hatte eine Adresse für eine Volksversammlung an die Nationalversammlung entworfen; die Ratskammer fand, daß dieselbe ein Verbrechen gegen den Artikel 87 bilde, und verwies mich deshalb; aber dann hätte sie auch notwendig die ganze Volksversammlung, welche die Adresse genehmigt und unterzeichnet, als Komplizen mit mir vor die Assisen schicken müssen! Im Auftrage der Bürgerwehr und der Landwehrmänner hatte ich zwei andere Adressen abgefaßt. Die Ratskammer fand gleichfalls, daß der Erlaß dieser Adressen ein Verbrechen gegen den Artikel 87 sei. Aber dann hätte sie vor allem die ganze Bürgerwehr, die mich zu dieser Adresse beauftragt, die die von mir nur entworfene Adresse unterzeichnet, abgesandt und ebenso alle Landwehrmänner verhaften müssen. Der Anklagesenat sah ein, daß, wenn man auf diesen Anklagepunkten beharren wolle, man notwendigerweise ganz Düsseldorf auf diese Bank als Komplizen stellen müsse, und er ließ diese Anklagepunkte fallen. Die Ratskammer hatte mich ferner aufgrund meiner sämtlichen in Düsseldorf gehaltenen Reden vor die Assisen geschickt und nebenbei auch aufgrund der Neußer Rede, diese aber so schwach gefunden, daß sie mich eventuell darauf vor das Korrektionen verwies. Der Anklagesenat drehte die Sache gerade herum. Worin die Ratskammer ein Verbrechen gegen den Artikel 87 gefunden, darin fand der Anklagesenat bloß ein Vergehen gegen den Artikel 219; worin die Ratskammer ein Vergehen gegen den Artikel 219 gefunden hatte, findet der Anklagesenat ein Verbrechen gegen den Artikel 87. Wegen sämtlicher in Düsseldorf gehaltener Reden, wegen deren mich die Ratskammer vor die Assisen schicken wollte, entbindet mich der Anklagesenat dieser Anklage und schickt mich bloß vor das Korrektionell, und wegen der Neußer Rede, wegen deren mich die Ratskammer vor das Korrektionell schickte, wegen dieses einzigen Punktes schickt mich der Anklagesenat vor die Assisen!

Es ist ein schönes Ding, meine Herren, um solche Zwitterverbrechen, wegen derer sich die Gerichtshöfe in den Haaren liegen müssen, was für ein Verbrechen sie eigentlich sein, gegen welchen Gesetzartikel sie verstoßen haben sollen.

Daß sie irgendein Verbrechen sein sollen, sein müssen das natürlich war im Rat der Götter vorausbeschlossen. Es war nur schwer zu finden, welches?

Und, meine Herren, haben Sie sich nicht schon von selbst die Frage aufgeworfen, wie war es möglich, daß diese Untersuchung wegen einer Neußer Rede, eine Untersuchung, deren Resultate Ihnen hier durch Zeugenaussagen in einer Stunde geliefert worden sind, sechs Monate währen, wie dieser Mann sechs Monate, vom 22. November bis in den Mai gefangensitzen konnte?

Ich will Ihnen das Geheimnis mitteilen, meine Herren, wie man bei dem rheinischen Strafverfahren, berühmt wegen seiner Schnelligkeit und Kürze, eine Untersuchung zieht. Ich rede gar nicht davon, daß man zunächst, um Zeitverlust zu gewinnen, eine Masse der unwichtigsten Punkte in die Untersuchung zog, von denen zuletzt, wie Sie am Anklageakt sehen, bloß einer übrigblieb; ich rede nicht davon, daß man stets 30 Zeugen – viel über 100 Zeugen sind wohl vernommen worden – über einen Punkt verhörte, der durch drei ebenso hinlänglich konstatiert worden wäre; ich rede nicht davon, daß man zwei bis drei Haussuchungen bei mir anstellte, um Ledru-Rollin'sche Briefe und Gott weiß was für weitverzweigte Verschwörungspläne zu entdecken, von denen man natürlich nichts entdeckt hat und die nur in der Einbildung des Instruktionsrichters spukten; ich rede nicht davon, daß man eine Menge der nichtswürdigsten Denunziationen durch Vermittlung der Herren v. Drygalski und v. Faldern erhielt und infolge derer eine Menge von Bürgern in ihren Häusern mit Haussuchungen überfiel, um Waffen, Pulver, Blei, Höllenmaschinen und Gott weiß was alles noch zu finden, wovon man nichts gefunden hat. Ich rede nicht davon, meine Herren, nein, die Sache, die ich Ihnen jetzt mitzuteilen habe, ist ernster, bei weitem ernster!

Ich mache den Vertreter des öffentlichen Ministeriums ausdrücklich aufmerksam, daß ich eine sehr ernsthafte Beschuldigung jetzt avancieren muß gegen den stellvertretenden Oberprobkurator, welcher meine Untersuchung bis hierher geführt und an der Schwelle dieses Saales sich zurückzuziehen für gut befunden hat. Möge sein unschuldiger Vertreter, den ich bedaure ob der Last, die man ihm aufbürdet, sorgsam zusehen, ob er den Fakten, die ich Ihnen jetzt aktenmäßig vortragen werde, widersprechen und seine Vorgesetzten schützen kann.

Trotz aller Verschleppung, meine Herren, war nämlich die Untersuchung nach einer zehnwöchigen Dauer am 5. Februar glücklich geschlossen.

Am 5. Februar fand mein Schlußverhör statt, noch an demselben Tage übersandte der Instruktionsrichter die Akten an den Staatsprokurator von Ammon mit der Erklärung, daß die Untersuchung geschlossen sei und daß der Staatsprokurator seinen Antrag vor der Ratskammer nehmen möchte.

Nach den gesetzlichen Fristen hätte nach drei Tagen der Beschluß der Ratskammer, nach zehn andern der des Anklagesenats erfolgen müssen und mein Prozeß hätte daher den gesetzlichen Bestimmungen zufolge noch vor die vorige Assisi gebracht werden müssen und mit der größten Bequemlichkeit gebracht werden können.

Da werde ich am 6. Februar noch einmal vor den Instruktionsrichter beschieden. Er zeigt mir an, daß eine neue Indizien sich ergeben, daß ihm nämlich soeben von dem Staatsprokurator v. Ammon mein in dem Anklageakt zitierter Brief an den Landmann Stangier in Schönstein zugegangen sei, worin ich diesen aufgefordert, für den Fall, daß es in Düsseldorf zum Kampfe komme, den Zuzug von einigen hundert Landleuten zu bewirken – daß dieser Brief, – der beiläufig so ganz und gar nichts zur Sache tat, daß weder Ratskammer noch Anklagesenat ihn unter die Belastungsgründe aufgenommen oder ihm die geringste Aufmerksamkeit geschenkt haben – nun eine neue nachträgliche Vernehmung im Schönsteirischen, nämlich die des Adressaten, ernötigte und daß deshalb die schon geschlossene Untersuchung von neuem aufgenommen werden müsse. Diese nachträgliche Vernehmung war erst am 19. Februar vor sich gegangen, und nun war die Zeit glücklich versäumt, die Sache vor die vorige Assisi zu bringen. Ich wiederhole, am 5. Februar war meine Untersuchung geschlossen worden; am selben Tage sendet der Instruktionsrichter dem Staatsprokurator von Ammon die Akten, um seinen Antrag vor der Ratskammer zu nehmen; am 6. Februar, wie die Akten ausweisen, schickt der Staatsprokurator dem Instruktionsrichter den in Rede stehenden Brief mit einer Denunziation des Altenkirchener Landrats Hilgers, welcher denselben eingesandt hatte, und trägt darauf an, die Untersuchung dieses Briefes wegen von neuem aufzunehmen.

Wenn der Staatsprokurator diesen Brief erst am 5. oder 6. Februar bekommen, dann, meine Herren, könnte ich ihm keinen Vorwurf machen, ich könnte nur mein Mißgeschick anklagen, daß es ihm den Brief erst in die Hände führte, als die Untersuchung bereits geschlossen war.

Aber, wie die Akten ausweisen, der Brief befand sich mit der Denunziation des Altenkirchner Landrats bereits am 10. Januar in den Händen des Staatsprokurators von Ammon; er ließ ihn 26 Tage, sage 26 Tage, vom 10. Januar bis 6. Februar, in seinem Pulte liegen; er wartet ruhig den Augenblick ab, wo der Instruktionsrichter ihm anzeigen würde, die Untersuchung sei geschlossen, um dann mit diesem Briefe vor ihn hinzutreten und ihm zu sagen: Nun nimm die Untersuchung von neuem auf!

Wie konnte, wie durfte der Staatsprokurator 26 Tage diesen Brief samt der Denunziation des Altenkirchner Landrats dem Instruktionsrichter verheimlichen und vorenthalten?

Herr v. Ammon, von Bekannten von mir hierüber zur Rede gestellt, antwortete, er habe zuvor Informationen in bezug auf den Brief anstellen wollen. Er hat nämlich an den Landrat zu Altenkirchen um weitere Auskunft geschrieben und die vorläufige Vernehmung des Stangier requiriert.

Aber dies war zunächst schon an und für sich eine schwere Pflichtverletzung des Staatsprokurators, ein durchaus unbefugter Eingriff von ihm in die Pflichten und Aufgaben des Instruktionsrichters.

Der Artikel 47 der Strafprozeßordnung bestimmt ausdrücklich und wörtlich wie folgt:

»Außer den Fällen des flagrant délit ist der Staatsprokurator, wenn er, sei es durch eine Denunziation, sei es auf irgendeinem anderen Wege, unterrichtet wird, daß in seinem Arrondissement ein Verbrechen oder Vergehen begangen worden oder daß eine dessen beschuldigte Person sich in seinem Arrondissement aufhält, gehalten, den Instruktionsrichter zu requirieren, zu befehlen, daß Information eingezogen werde.«

Also das Gesetz sagt ausdrücklich, der Staatsprokurator darf, außer bei flagrant délit, nicht ohne Vermittlung des Instruktionsrichters informieren, er darf selbständig keinen Instruktionsakt vornehmen, sondern, wie ihm eine Denunziation zukommt, ist er gehalten, den Instruktionsrichter zu requirieren, daß die Information angeordnet werde.

Warum machte sich Herr v. Ammon einer so auffallenden Pflichtverletzung, eines vom Gesetz so ausdrücklich untersagten Übergriffs in die Funktion des Instruktionsrichters schuldig? Bei allen anderen Denunziationen, die in dieser Prozedur erfolgten – und es gingen deren in Masse ein – wußte Herr v. Ammon sehr wohl den gesetzlichen Weg zu beobachten, er schickte sie stets unmittelbar und ohne Zeitverlust dem Instruktionsrichter. Warum gerade hier dieser Eingriff in die Aufgabe des Instruktionsrichters?

Das Gesetz hält, wie gezeigt, die Funktionen des Staatsprokurators und Instruktionsrichters scharf auseinander. Es spricht dem Staatsprokurator die Eigenschaft ab, selbst Informationsakte vorzunehmen.

Was sollte auch daraus entstehen, wenn zwei Leute selbständig jeder für sich die Instruktion führen könnten! Das Gesetz hält diesen Unterschied so sehr fest, daß es auch dem Staatsprokurator nicht einmal die Qualitäten verleiht, welche erforderlich sind, um Instruktionsakte vorzunehmen.

Sie wissen, daß die Zeugenaussagen in der Voruntersuchung bereits sämtlich eidlich abgenommen werden müssen. Staatsprokuratoren können nun gesetzlich weder eidlich Zeugenverhöre abnehmen noch eidliche Verhöre requirieren. Dies kann nur durch die Vermittlung des Instruktionsrichters geschehen. Demgemäß requirierte Herr v. Ammon auch nur eine vorläufige staatsprokuratorische Vernehmung des Stangier. Was war die einfache Folge hiervon? Diese Vernehmung lief ein, aber sie konnte nicht hinreichen, weil sie nicht eidlich war. Am 7. Februar mußte der Instruktionsrichter noch einmal die eidliche Vernehmung des Stangier requirieren, die nun am 19. Februar einlief, wo es bereits nicht mehr möglich war, den Prozeß noch vor die eben eröffnete Assisensession zu bringen. Hätte der Staatsprokurator die Denunziation samt dem Brief als Überführungsstück gleich dem Instruktionsrichter mitgeteilt, so wäre die erste Requisition gleich durch den Instruktionsrichter erfolgt und Stangier somit gleich eidlich vernommen worden, so wären über 3 Wochen, 26 Tage und mir eine zweimonatliche Haft erspart und der Prozeß noch in der letzten Session entschieden worden. Aber das gerade war es, was vermieden werden sollte. Wenn der Staatsprokurator diese geniale Erfindung, die Zeugen erst vorläufig staatsprokuratorisch und dann eidlich instruktionsrichterlich vernehmen zu lassen, statt sie in Dilettantenweise bloß auf Stangier anzuwenden, auf sämtliche in der Untersuchung vernommene Zeugen (zirka 120 bis 130) angewendet hätte, so hätte diese Untersuchung notwendig das Doppelte der Zeit, statt 6 Monate ein ganzes Jahr dauern müssen. Glaubte sich aber der Staatsprokurator dennoch zur vorläufigen Information berechtigt, obwohl dies, wie Sie gesehen, nach dem Artikel 47 nicht möglich ist – gut, mochte er immerhin seine Ermittlungen einziehen, warum aber teilte er den Brief, statt ihn in seinem Pulte müßig liegen zu lassen, nicht wenigstens dem Instruktionsrichter zur Einsicht mit, damit dieser gleichzeitig auch seine Ermittlungen einziehen könne?

Und selbst hiervon noch abgesehen – am 19. Januar lief die Antwort des Altenkirchner Landrats auf die von dem Staatsprokurator vorläufig beantragten Ermittlungen ein. Jetzt mußte unter jeder Bedingung der Staatsprokurator, nun seine Ermittlungen erfolgt waren, den Brief an den Instruktionsrichter senden. Warum ließ er ihn nochmals 17 Tage in seinem Pulte liegen und schickte ihn erst dann dem Instruktionsrichter ein, als er von diesem hörte, die Untersuchung sei geschlossen? Warum wartete er erst den Schluß der Untersuchung ab, um dann erst durch Einsendung des Briefes den Neubeginn derselben zu ernötigen und so meine Sache über die Assise hinaus zu schleifen?

Ich frage Sie, meine Herren, würde nicht mehr als ein blinder, würde nicht ein stupider Glaube dazu gehören müssen, unter allen diesen Umständen an eine bloße unabsichtliche Nachlässigkeit, was immerhin eine schwere Pflichtverletzung wäre, zu glauben? Liegt hier nicht die absichtlichste, planmäßigste, perfideste Verschleppung auf der Hand?

So, meine Herren, handelt die Robe! Nichts bedaure ich mehr, als daß nicht jener Staatsprokurator, wie es ihm Ehrenpflicht gewesen wäre, mir hier persönlich gegenübersitzt, um, erdrückt von der Schande dieser Enthüllung, zu Boden geschmettert von der Verachtung Ihrer Blicke, die langen Qualen, die er mir zugefügt, durch eine Stunde Pranger abzubüßen!

Als ich hörte, daß der Staatsprokurator Herr v. Ammon, obgleich er meinen Prozeß bis hierhergeführt, in meiner Sache nicht zu sitzen beabsichtige, schrieb ich ihm folgenden Brief:

»Herrn Staatsprokurator v. Ammon

Hochwohlgeboren etc. etc. Ich habe in Erfahrung gebracht, daß Euer Hochwohlgeboren beabsichtigen, die Anklage gegen mich einem andern Staatsanwalt zu übergeben.

Ich muß es Euer Hochwohlgeboren auf das formellste zur Ehrenpflicht machen, die Anklage gegen mich persönlich führen zu wollen. – Ich werde eine ernste Anklage gegen Sie vor den Geschwornen zu erheben haben.

Die Affäre mit dem Stangierschen Brief, den Sie drei Wochen in Ihrem Pulte behielten und dem Instruktionsrichter erst abgaben, als die Untersuchung bereits geschlossen war – ein Umstand, welcher allein schuld war, daß mein Prozeß nicht in der letzten Assisensession erledigt wurde, macht es Ihnen nach allen Begriffen von Ehre zur unabweisbaren Pflicht, mir vor den Geschwornen persönlich hierüber Rede zu stehen und Ihre Rechtfertigungsgründe Mann gegen Mann darzulegen.

Wenn Euer Hochwohlgeboren, nachdem Sie meinen Prozeß bis an die Schwelle des Assisensaales geführt, nun plötzlich, was ich noch nicht glauben mag, sich zurückzögen und Ihre Verantwortung einem andern überließen, so würde ich und alle Welt nach der formellen Aufforderung, die ich hiermit an Sie richte, hierin nichts anderes als die eingestandene Unmöglichkeit, sich zu verteidigen, erblicken können.

Euer Hochwohlgeboren etc. etc. Düsseldorf, 24. Mai 1849.« Sie sehen, meine Herren, ich bot alles auf, ich versuchte ihn bei den Haaren vor dies Tribunal zu schleifen; ich versuchte sein Ehrgefühl mit Peitschenhieben aufzustacheln, daß er mir heute Rede stehen möge. Es war vergeblich. Er wird auch so dem öffentlichen Urteil nicht entgehen.

Aber auch damit hat die Verfolgungswut gegen mich ihre Grenzen noch nicht erreicht.

Ich hatte dem Generalprokurator jene pflichtwidrige Handlungsweise des Herrn Ammon denunziert. Statt mir auf meine Beschwerde nur zu antworten, sendet der Generalprokurator dieselbe an das hiesige Parquet mit der Ordre, aufgrund derselben als eine Beleidigung des Herrn v. Ammon eine Untersuchung nach Artikel 222 einzuleiten. Aber, meine Herren, man braucht kein Jurist zu sein, um zu wissen, daß ein Brief, um Anlaß zu einer Verfolgung wegen Beleidigung zu geben, entweder an die beleidigte Person selbst gerichtet oder öffentlich verbreitet sein muß. Wie ist es möglich, jemand zu beleidigen in einem Privatbriefe an eine dritte Person?

Endlich, mein Brief an den Generalprokurator war, als an die vorgesetzte Behörde gerichtet, eine Denunziation. Denunziationen sind Pflicht nach dem Gesetz. War der Sachverhalt wahr, so war die Denunziation in der Ordnung. War er nicht wahr, so mußte man eine Verfolgung aufgrund des Artikel 347 erheben; aufgrund einer verleumderischen Denunziation, aber nun und nimmermehr aufgrund einer Beleidigung. Hätte man mich indessen aufgrund des Artikel 347 einer verleumderischen Denunziation angeklagt, dann stand es mir zu, den Beweis der Wahrheit zu führen, den ich durch die Akten leicht erbringen konnte und den ich bei der Anklage der Beleidigung nicht erbringen darf. Diese neue Untersuchung war so widersinnig, daß selbst die Ratskammer von Düsseldorf sie verwarf. Aber das öffentliche Ministerium opponierte und der Anklagesenat zu Köln war genial genug, selbst diese wahnsinnige Untersuchung zu genehmigen, so daß ich nun glücklich mit einem dritten Korrektionellprozeß behaftet bin.

Ja, meine Herren, wie der Panzer eines Kriegers mit Pfeilen, so bin ich gespickt mit Kriminalverfolgungen! Die vielen Hunde sollen endlich des Wildes Tod sein. Nun, meine Herren, ich fühle hier etwas, das mir sagt, die vielen Hunde werden nicht des Wildes Tod sein.

Ist es der Kraft meines guten Rechtes gelungen, drei Kriminalprozeduren wie Glas zu zerbrechen und meinen Gegnern in das beschämte Antlitz zu werfen, so wird mir das auch noch mit einem Dutzend anderer möglich sein!

Wie viele provisorische Vorhaften ich aber noch auszuhalten haben werde, das mag Gott wissen, und bei diesem Gedanken wird mir in schwachen Stunden manchmal unheimlich zumute.

Und das ist auch in der Tat die noble Absicht unserer würdigen Gerichte, wie ich handgreiflich nachweisen kann, mir durch permanente Vorhaften Geist und Körper zu zerrütten. Ich werde Ihnen das bis zur Evidenz beweisen. Für den Fall meiner Freisprechung heute bin ich, wie ich Ihnen bereits erzählte, vor das Korrektionellgericht verwiesen. Man könnte mich daher heute abend nach meiner Freisprechung wieder in den Kerker zurückschleppen wollen. Um dies unmöglich zu machen, wandte ich mich an das betreffende Korrektionellgericht, vor das ich verwiesen war, mit dem Antrag, aufgrund des Artikel 114 der Strafprozeßordnung eine Kaution zu bestimmen, gegen deren Erlegung ich nach meiner Freisprechung durch Sie in Freiheit zu setzen sei. Der Artikel 114 besagt, das Tribunal kann bei jeder Korrektionellbeschuldigung gegen Kaution in Freiheit setzen.

Da das Tribunal gesetzlich kann, da die Freiheit ein natürliches Recht jedes Menschen ist, so ist es klar, daß es vom Standpunkt der Vernunft und Humanität aus jedesmal den Beschuldigten gegen Kaution in Freiheit setzen muß, sobald nicht ernste und gewichtige Gründe im Interesse des Prozesses selbst dagegen sprechen.

Im vorliegenden Falle würde es aber selbst dem Scharfsinn preußischer Gerichtshöfe nicht gelingen, auch nur einen Scheingrund ausfindig zu machen, weshalb ich im Prozeßinteresse nicht in Freiheit gesetzt werden solle, um so weniger ich, als der Praxis gemäß, wegen dieser Korrektionellbeschuldigung gar nicht eingezogen worden wäre, wenn ich mich auf freien Füßen befunden hätte, und die etwaige Strafe eine sehr geringe ist. Mein Gesuch abzuschlagen, scheint also unmöglich. Diese Unmöglichkeit wird um so unüberwindlicher, als meine gänzlich zerrüttete Gesundheit dem Gericht meine Freilassung, da sie gesetzlich möglich ist, zur wahren Gewissenspflicht macht.

Ich habe dem Gerichte fortlaufend Atteste von Jugend an bis in die neueste Zeit vorgelegt, welche alle bestätigen, daß ich an den bedenklichsten chronischen Krankheiten leide. Ich bestätigte dies ferner durch die Atteste der ärztlichen Militärkommission, die mich dieses inneren Krankheitszustandes wegen vom Militärdienst gänzlich befreite, und endlich tat ich durch Zeugnisse des hiesigen Gefängnisarztes dar, daß dieser mein zerrütteter Gesundheitszustand gerade jetzt – eine natürliche Folge meiner fortwährenden Haften – sich auf das bedenklichste verschlimmert und unheilbar zu werden drohe. Der Gefängnisarzt verlangte sogar beiläufig bereits vor einiger Zeit, daß mir selbst während der bisherigen Haft Ausfahrten ins Freie zu machen gestattet würden, wozu mir auch in der Tat die Prokuratur die Erlaubnis erteilte, welche mir indes durch die königliche Regierung, trotzdem dieselbe dazu gänzlich unbefugt ist, sofort wieder entzogen wurde.

Unter diesen Umständen hätten die Richter der hiesigen Korrektionellkammer allerdings eine massive Schamlosigkeit und einen erstaunlichen Mut besitzen müssen, wenn sie trotz alledem mein Gesuch offen hätten abschlagen wollen.

Sie hätten dadurch geradezu erklärt, daß Demokraten gegenüber der Schutz der Gesetze nicht bestehe, daß es ihre Absicht sei, da man mir nicht anders an den Hals könne, meine Gesundheit unheilbar zu vernichten, meinen Körper zu zerbrechen. Das konnte man nicht wagen; die Korrektionellkammer ergriff eine Hintertür. Sie erklärte sich zur Zeit inkompetent! Weil ich nämlich nur im Falle der Freisprechung heute und nicht im Falle der Verurteilung mit dem Korrektionellprozeß behaftet bin, sagte die Korrektionellkammer, ich müßte erst meine Freisprechung abwarten, ehe sie die Kaution bestimmen könnte. Welche Logik! Ich muß erst meine Freisprechung abwarten, ehe ich gegen die Erlegung der Kaution in Freiheit gesetzt werden kann. Aber was konnte die Korrektionellkammer abhalten, schon im voraus für den Fall der Freisprechung die Kaution eventuell zu bestimmen! Die Korrektionellkammer stellte, wie gesagt, folgende Logik auf: Da mich die Ratskammer nur eventuell, nämlich für den Fall der heutigen Freisprechung, vor das Korrektionellgericht verwiesen, so sei sie, die Korrektionellkammer, vor der Freisprechung noch gar nicht mit meinem Fall befaßt; bis zu derselben wäre also die Ratskammer noch mit demselben saisiert. Ich appellierte gegen diese Inkompetenzerklärung an die Korrektionell-Appellkammer. Aber auch die Korrektionell-Appellkammer trat dieser Logik bei, nach welcher sie zur Zeit noch inkompetent und folglich die Ratskammer gegenwärtig das mit der Sache noch befaßte Forum sei. Gut! Ich wandte mich demgemäß mit demselben Gesuche an die Ratskammer.

Da, meine Herren – lachen Sie, wenn Ihre Indignation Sie noch lachen läßt – da erklärt sich auch die Ratskammer inkompetent! Es gibt also gar kein kompetentes Gericht für mich! Was aber das Beispiellose dieses Verfahrens noch beispielloser macht, ist, daß dieselben Richter, welche die Korrektionell-Appellkammer bilden, auch zugleich die Ratskammer bilden. Man kann sich also diesen flagranten Widerspruch nicht etwa durch eine juristische Meinungsverschiedenheit erklären wollen! Nein, dieselben Richter, dieselben Personen, welche als Korrektionell-Appellkammer den Ausspruch taten, sie seien inkompetent und Gründe aufstellten, nach denen die Ratskammer kompetent sei, dieselben Richter tun als Ratskammer den Ausspruch, die Ratskammer sei inkompetent, und stellen Gründe auf, nach denen die Korrektionellkammer kompetent wäre. Ich frage Sie, meine Herren, ob irgend jemand von Ihnen bisheran auch nur eine Ahnung gehabt hat, welch beispiellos schmachvollen Verfahrens Richter, Richter, sag ich, fähig sind?! Aber ich wünsche mir Glück, meine Herren, zu allen diesen Leiden, die man auf mich häuft; sie sind mir kein zu teurer Preis für das Gut, das Sie alle dadurch erkaufen. Denn jeder, der heute diesen Saal verläßt, wird für immer wissen, was für eine Bewandtnis es mit preußischen Richtern hat!

In diesen Händen, meine Herren, ruht Ihre Rechtspflege, Ihr Besitz, Ihre Freiheit und Ihr Leben!

Man hat mich, meine Herren, in eine Lage gebracht, daß, läge mir nicht mehr an dem moralischen Sieg der Sache als an dem materiellen Wohle meiner eigenen Person, ich Sie heute mit ausgestreckten Armen um die Gnade einer Verurteilung anflehen würde.

Meine Herren! Ich eile zu schließen. In drei kurzen Fragen resümiere ich meine Anklage. Möge der Staatsprokurator sie beantworten, wenn er kann – mag er erröten, wenn er es nicht kann!

Die erste Frage lautet: »Sind keine Umstände, ist gar kein Fall denkbar, in welchem es das Recht des Bürgers wäre, sich gegen die königliche Gewalt zu bewaffnen?

Kann der König Ihre Gesetze zertreten, Ihr Vermögen konfiszieren, Ihre Söhne morden, Ihre Weiber schänden, kann er die Verfassung zertrümmern und den absoluten Staat wiederherstellen, ohne daß Sie das Recht haben, sich gegen seine Gewalt zu verteidigen? Wer, meine Herren, würde heute noch so antediluvianisch schamlos sein, mit einem Ja auf diese Frage zu antworten?

Wagt der Staatsprokurator dennoch diese Frage zu bejahen, sagt er, daß kein Fall denkbar wäre, in welchem es zum Recht der Bürger wird, sich gegen die königliche Gewalt zu waffnen, und sagt der Staatsanwalt, daß dieser Gedanke seiner Anklage zugrunde liegt, dann meine Herren, ist hier sein Platz (auf die Verbrecherbank zeigend), dann sagt er, daß Preußen ein absoluter Staat sei, wie er's vor dem März gewesen!

Kann aber nicht geleugnet werden, daß irgendein Fall denkbar ist, in welchem die Erhebung gegen die königliche Gewalt zur Pflicht und zum Recht des Bürgers wird, so frage ich zweitens: Was ist das für ein Fall? Und darauf gibt es nur die eine Antwort: Wenn die Gesetze des Landes durch die königliche Gewalt gebrochen werden, zumal jene ersten und heiligsten Gesetze, jene Palladien der allgemeinen Freiheit, die man nicht antasten kann, ohne den Staat in seinen Grundtiefen einzustürzen, ohne dem Rechte aller Bürger von der Oder bis zum Rhein, gleichsam wie durch einen elektrischen Schlag, eine tödliche Wunde zu versetzen, jene Gesetze über die Bürgerwehr, Preßfreiheit, Assoziation, über die persönliche Freiheit, über die Befugnisse und Unverletzlichkeit der Volksvertretung.

Und dann frage ich drittens: Liegt dieser Fall hier vor? Sind hier die Gesetze auf das gewaltsamste gebrochen worden? Und dafür beziehe ich mich auf das, was ich Ihnen oben über den Belagerungszustand, über die Auflösung und Entwaffnung der Bürgerwehr, über die Vernichtung der Habeas-Korpus-Akte, über die Aufhebung der Preßfreiheit und des Assoziationsrechts, über die Sprengung der Nationalversammlung durch die Bajonette, über ihre Auflösung, über die Oktroyierung der Verfassung, über den Umsturz des Wahlgesetzes gesagt habe.

Meine Herren, nicht um diese elende Anklage zu widerlegen, die mit drei Worten, wie Sie sehen, vernichtet ist, hab ich gesprochen. Ich werde stets stolz darauf sein, zu den Novembergefangenen gehört zu haben. Aber es war mir Pflicht, die Decke zu reißen von den Wunden des Vaterlandes, die Verbrechen anzuklagen, die man täglich ungescheut begeht; es war mir Pflicht, Ihnen in Umrissen die schmachvolle und unerträgliche Gewaltherrschaft zu zeichnen, die über Preußen hereingebrochen ist und gegen welche die Zeiten vor dem März Zeiten der Freiheit und des idyllischen Glücks zu nennen waren; es war mir Pflicht, Ihnen zu zeigen, wie unter der erlogenen Form des Rechtes, unter dem Heiligenschein der Gesetze – eine Heuchelei, die gar nicht genug gebrandmarkt werden kann – die Schreckensherrschaft bei uns rast und die Richter zu Huren der Gewalt geworden sind! Es war mir Pflicht, die ernste Richterstimme einer sehr nahen Zukunft ertönen zu lassen und Ihnen zuzurufen:

Bürger, seid eingedenk!!!

Und doch ist alles Bisherige nur wie ein Vorspiel zu dem, was kommen soll! Eben jetzt hat man wiederum die zweite Kammer aufgelöst, zum zweiten Mal muß die Volksvertretung verschwinden vor dem Machtwort der Krone. Ein neuer Rechtsbruch ist begangen. Ja, meine Herren, es war nicht einmal das formelle Recht der Krone, wie man dreist behauptet, die zweite Kammer aufzulösen. Der Artikel 112 der oktroyierten Verfassung sagt: »Die gegenwärtige Verfassung soll sofort nach dem ersten Zusammentritt der Kammern einer Revision auf dem Wege der Gesetzgebung unterworfen werden.« Also die Revision sollte von den ersten nach dem Erlaß der oktroyierten Verfassung zusammentretenden Kammern vorgenommen werden, und diese Kammern waren somit, bis die Revision vollbracht war, unauflöslich. So, meine Herren, brach man sogar selbst die oktroyierte Verfassung, so häuft man Rechtsbruch auf Rechtsbruch, Meineid auf Meineid! Und warum löste man diese so konservative Versammlung, die sich selbst soweit vergessen hatte, die Verfassung anzuerkennen, auf? Weil sie sich nicht gänzlich zur Drahtpuppe ministerieller Willkür hergeben, weil sie das Land vom Alp des Belagerungszustandes befreien wollte und für die Gültigkeit der Reichsverfassung stimmte. Selbst Frankfurt, selbst der Einheit Deutschlands hat man den Fehdehandschuh offen hingeworfen; die ministerielle Note charakterisiert selbst die Frankfurter Versammlung, die hundertmal die Freiheit um die Fürstengunst verraten, als einen Wühlerhaufen. Oh, das deutsche Volk wird jetzt die bittere Erfahrung machen, was es auf sich hat, eine Nationalversammlung einmal sprengen, das Palladium der Nationalehre einmal ungestraft in den Kot treten zu lassen! Hat man im November mit zitternder Hand, selber staunend über die eigene Kühnheit, eine Revolution gemacht, so hat man jetzt ganz anderen Mut geschöpft, nun man gesehen, wie groß das deutsche Volk im Tragen und Dulden ist, und dreimal tiefer wird man uns den Sporn drücken in die träge Flanke. Hat man euch bis jetzt mit Ruten gegeißelt, so wird man euch von nun ab mit Skorpionen geißeln!

Das Vorspiel ist zu Ende; das Trauerstück fängt an. Man braucht kein Prophet zu sein, um die nächste Zukunft vorherzusehen! Truppen werden konzentriert, die Frankfurter Versammlung zu sprengen, wie dereinst die Berliner. Man wird uns ein Preßgesetz, ein Wahlgesetz mit Zensus oktroyieren, nach Ständen und Steuerklassen werden wir wählen, und der vereinigte Landtag wird auferstehen. Das Angedenken an den März soll ausgelöscht werden aus der Geschichte. Nach Ungarn und Böhmen will man unsere Armeen senden, um vereint mit den Russen die Magyaren zu bekämpfen und so die letzten Freiheitskämpfer zu vernichten; nach Wien ziehen jetzt die Kosakenheere, wie sie bald in dem Rhein ihre Rosse tränken sollen! Aber noch blitzt in den Händen des Magyars das siegreiche Schwert, finster ballt der Proletarier Frankreichs die Riesenfaust, auf dem höchsten Gipfel der Schmach wird auch Deutschland die alte Kraft wiederfinden. Der Tag der Vergeltung naht! Mitten durch die kontrerevolutionären Orgien in den königlichen Schlössern Potsdams grollt bereits wie in der alten Ballade der finster unheimliche Ruf: »Der Henker steht vor der Türe!« So vollständig wie unsere Schmach, so vollständig wird unsere Rache sein!

Indem ich schließe, kann ich die Gedanken, die meine ganze Seele durchdringen, nicht besser ausdrücken, kann ich nicht angemessener von Ihnen Abschied nehmen, als mit den Worten, die einer unser edelsten Dichter einem ähnlich unterdrückten Volke in den Mund legt:

Wir wollen trauen auf den höchsten Gott
und uns nicht fürchten vor der Macht der Menschen.
Jetzt gehe jeder seines Weges still
zu seiner Freundschaft und Genoßsame,
wer Hirt ist, wintre ruhig seine Herde
und werb im stillen Freunde für den Bund,
was noch bis dahin muß erduldet werden,
erduldets! Laßt die Rechnung der Tyrannen
anwachsen, bis ein Tag die allgemeine
und die besondere Schuld auf einmal zahlt.
Bezähme jeder die gerechte Wut
und spare für das Ganze seine Rache:
Denn Raub begeht am allgemeinen Gut,
wer selbst sich hilft in seiner eignen Sache.


 << zurück weiter >>