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An die Arbeiter Berlins

Eine Ansprache im Namen der Arbeiter des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins

Arbeiter Berlins!

Von meiner rheinischen Agitationsreise hierher zurückgekehrt, ist es meine dringendste Pflicht, Euch die Augen zu öffnen über die Lügen, welche die beiden sich ausführlicher mit Arbeiterangelegenheiten befassenden liberalen Blätter dieser Stadt, die »Volkszeitung« und die »Berliner Reform«, unter Euch verbreitet haben!

Beide Blätter haben diesmal bei Gelegenheit der großen Solinger Arbeiterversammlung, um Euer Urteil um so sichrer irrezuführen, alles überboten, was sie bisher schon an Schamlosigkeit geleistet haben!

Während in Solingen 10 000 Arbeiter den Prinzipien des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins zujubelten und mir, als dem Präsidenten desselben, einen in der Rheinprovinz bisher beispiellosen Triumphzug bereiteten, während ich die größte Mühe hatte, das Volk davon abzuhalten, die hinter mir herschreitenden Gendarmen zu mißhandeln, weil es ihnen die Absicht zuschrieb, mich zu arretieren druckten die genannten beiden Zeitungen nur die Lügenberichte einiger rheinischen Blätter ab, nach welchen mit einer unerhört schamlosen Umkehrung der Wahrheit in ihr äußerstes Gegenteil die Gendarmen mich zu meiner Sicherheit hätten geleiten und gegen die Volkswut schützen müssen!

Und zwar druckten jene beiden hiesigen Zeitungen nur diese Lügenberichte ab, dem von dem Sekretariat des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins ausgegangenen völlig wahrheitsgetreuen Bericht verweigert die »Berliner Reform« wie die »Volkszeitung« – bis auf ein einziges Wort – die Aufnahme. Sie, die nicht am Schauplatz waren, sie, die somit nicht wissen konnten, auf welcher Seite die Wahrheit stehe, sie beide allein unter allen Zeitungen Deutschlands unterdrückten den diesseitigen Bericht, damit die wahre Darstellung der Sache Euch nicht einmal vor Augen komme und Ihr Euch so kein Urteil darüber solltet bilden können, auf welcher Seite die innere Glaubwürdigkeit stehe!

Indem die »Volkszeitung«, ein Blatt noch dazu, das vorzugsweise vor andern ein Arbeiterblatt sein will – so handelte, hat sie an Schamlosigkeit alles überboten, was bisher die Geschichte kennt!

Es ist leider wahr, daß nur zu häufig in den Parteikämpfen die Wahrheit hintenan gesetzt und zu dem stets unsittlichen und kläglichen Mittel der Entstellungen gegriffen wird. –

Aber wo wäre es bisher in den englischen oder französischen Klassenkämpfen vorgekommen, daß, wenn die englischen Chartisten oder die französischen revolutionären Arbeiter eine großartige Manifestation ihrer Gesinnungen vorgenommen, die liberalen Zeitungen Englands oder Frankreichs versucht hätten, eine solche Kundgebung in ihr Gegenteil umzulügen.

Sie bedauerten und beklagten dann eine angebliche Verblendung dieser Volksmasse, aber dem Volk, das aus so vielen Tausenden von Kehlen eine Viertelstunde lang und ohne die Pause einer Minute gerufen hatte »Hoch«, in den Mund zu lügen, daß es gerufen habe »Nieder« – die Ehre dieser Erfindung verbleibt der deutschen liberalen Presse und ist charakteristisch für ihr Verhalten zum Volke!

Ja, Arbeiter, die Ehre dieser Erfindung gebührt der deutschen liberalen Presse! So ist noch nicht gelogen worden, seitdem die Welt steht!

Und ihrerseits haben wieder die »Volkszeitung« und die »Berliner Reform« noch die gesamte deutsche liberale Presse weit übertroffen.

Selbst das größte liberale Blatt der Rheinprovinz, die »Kölnische Zeitung« – ein mir durchaus feindliches Blatt –, hat bei Gelegenheit der Solinger Versammlung nur den vom Sekretariat des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins erlassenen Bericht in voller Ausführlichkeit mitgeteilt. Von dem Lügenberichte der »Elberfelder Zeitung« brachte sie nur einzelne Teile, die größten Lügen derselben – diese vor allem, daß mich das Volk mit seinen Verwünschungen begleitet hätte und die Gendarmen mich hätten schützen müssen – sorgfältig fortlassend. Warum tat sie dies? Weil der seitens des Arbeitervereins erlassene Bericht den innern Beweis der Wahrheit ebensosehr in sich selbst trug, wie der Bericht der »Elberfelder« und »Barmer Zeitung« durch ihre innern Widersprüche den Beweis der Lüge und weil die »Kölnische Zeitung« als ein großes Blatt es nicht geraten fand, sich durch Behauptungen zu kompromittieren, deren empörende Lügenhaftigkeit 10 000 anwesenden Zeugen bekannt war!

Die andern Blätter, selbst so hämische und feindselige Blätter wie die »Rheinische Zeitung«, setzten wenigstens den Lügenberichten der »Elberfelder« und »Barmer Zeitung« in gleichfalls vollständiger Mitteilung den vom Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein ausgegangenen Bericht entgegen, ihren Lesern so überlassend, welche Meinung sie sich über den Hergang bilden wollten.

Selbst ein mir so feindseliges Blatt wie die »Berliner Nationalzeitung« veröffentlichte wenigstens den größern Teil des vom Arbeiterverein erlassenen Berichts, weil sie sich sagte, daß ihr Leserpublikum – die wohlhabende Klasse – auch andre als Berliner Zeitungen lese und sie vor demselben daher nicht unterdrücken wollte, was es anderweitig her erfahren mußte.

Die »Volkszeitung« und die »Berliner Reform« allein grade die Arbeiterblätter Berlins – haben die Schamlosigkeit soweit getrieben, nur den Lügenbericht mitzuteilen und den Bericht des Arbeitervereins Euch zu unterschlagen – die »Reform« gänzlich, die »Volkszeitung« ein einziges Wort aus demselben spottend anführend!

Warum handelten grade diese Blätter so?

Aus keinem andern Grunde, als weil sie wissen, daß sie vorzugsweise von Euch, den Arbeitern gelesen werden!

Aus keinem andern Grunde, als weil sie selbst die Wahrhaftigkeit des Arbeiterberichts erkannten! Aus keinem andern Grunde, als weil sie einsahen, daß ihr die Wahrheit dieses Berichts ebensogut herauserkennen würdet, wenn er Euch erst zu Gesicht käme! Aus keinem andern Grunde, als weil sie fürchteten, daß, wenn Ihr erst von der Begeisterung der rheinischen Arbeiter erführet, diese auch Euch ergreifen und anstecken würde. Denn die Begeisterung, diese höchste Gesundheitswärme des Geistes – sie ist glücklicherweise noch viel ansteckender im Volk, als irgendeine Krankheit des Körpers!

Zwar habe ich auch so diese elenden Lügner zu beschämen und die Wahrheit siegreich darzutun gewußt. Ich habe sofort in der mit meiner Namensunterschrift in den Zeitungen veröffentlichten »Öffentlichen Aufforderung« den Solinger Bevollmächtigten des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins beauftragt, 500 Unterschriften von Solinger Bürgern aller Stände aufzubringen, welche die Wahrheit meiner Darstellung bestätigen.

Diese von mir unter meinem Namen erlassene »Öffentliche Aufforderung« mußte die Volkszeitung freilich aufnehmen, weil sie wußte, daß ich als persönlich Angegriffener das gesetzliche Recht hatte, die Aufnahme meiner persönlichen Erklärung zu erzwingen, und weil ich diese Aufnahme außerdem unter allen Umständen als bezahltes Inserat sofort veranlassen konnte.

Durch diese meine »Öffentliche Aufforderung« allein ist aber bereits die Wahrheit meiner Darstellung schlagend bewiesen. Denn wie konnte ich meinen eignen Anhängern, wie konnte ich vielen tausend gegenwärtig gewesenen Arbeitern ins Gesicht hinein diese Erklärung abgeben, wenn sie eine Lüge war?

Ich hätte mich dann bei meinen eignen Anhängern, bei allen jenen Tausenden von Arbeitern, die meine Partei bilden und bilden sollen, für immer vernichtet und als den verächtlichsten Lügner hingestellt!

So handelt kein Parteiführer, selbst wenn er verworfen genug dazu wäre! So handelt er schon aus Klugheit nicht, wo er unter seinem eigenen Namen auftritt.

Und ferner: Woher nahm ich die Sicherheit, die Aufnahme von nicht weniger als 500 Unterschriften anordnen und diese Anordnung sofort im voraus veröffentlichen zu können, wenn die Erklärung, deren Bestätigung ich forderte, nicht eben wahr war? Hätte ich dann nicht fürchten müssen, daß diese Unterschriften natürlich niemals würden zusammengebracht werden können und ich also vor ganz Deutschland als beschämter und enthüllter Lügner würde dastehen müssen?

Überdies endlich, diese 500 Unterschriften, sie sind, indem ich dies schreibe, bereits erfolgt, lithographiert und den Zeitungen zugesendet worden, welche die Zusendung auch bereits bescheinigen mußten! In weniger als 6 Tagen hat sie – lernt hier die Organisation, die energische Disziplin unsere Vereins, die rastlose hingebende Tätigkeit wahrer Arbeiter kennen – unser Solinger Bevollmächtigter, der Schwertarbeiter Willms, zusammengebracht.

Emanzipiert Euch endlich, Arbeiter Berlins, von dem freiheitsfeindlichen Einflusse, welchen dieses elende Blatt auf so viele unter Euch noch ausübt!

Mit Staunen und Unwillen muß es jeden Demokraten erfüllen, daß so viele von Euch noch immer unter der geistigen Herrschaft dieses Blattes stehen!

Wie, Arbeiter Berlins, ist Euer Gedächtnis zu kurz? Erinnert Ihr Euch nicht, daß die »Volkszeitung« das Blatt war, welches zuerst im Jahre 1858 den Namen Demokratie abschwor und erklärte, die Demokratie müsse in die konstitutionelle Partei aufgehen?

Erinnert Ihr Euch nicht, daß die »Volkszeitung« das erste Blatt war, welches 1859 die Losung ausgab: man müsse sich von der Forderung des allgemeinen Wahlrechts – Eurer notwendigen Fahne – lossagen und mindestens auf eine unbestimmte Zukunft hinaus an dem Euer gleiches Recht kränkenden und Euren Stand herabsetzenden Dreiklassenwahlgesetz festhalten?

Erinnert Ihr Euch nicht, daß die »Volkszeitung« es war, welche 1858 das lügenhafte Geschrei von der »Neuen Ära« erfand und durch diese feige Täuschung der alten Demokratie den Todesstoß gab?

Erinnert Ihr Euch nicht, daß 1859, als selbst die »Berliner Nationalzeitung« sich der Forderung des Provisoriums für die Armee unter dem richtigen Nachweis, daß aus der provisorischen Armeeorganisation eine definitive sich ergeben müsse, hartnäckig widersetzte, die »Volkszeitung« es war, welche ebenso hartnäckig in langen Leitartikeln unter der breitgedruckten Überschrift »Ehrenmänner« nachwies, daß man solchen Ehrenmännern wie Schwerin und Patow jene Millionen unmöglich abschlagen dürfe? Daß die »Volkszeitung« es war, welche die Kammer durch ihren Einfluß dazu bestimmte, jene Millionen der Regierung zu bewilligen und daß es die »Volkszeitung« somit ist, welche die ganze jetzige Lage der Dinge verschuldet hat? Und wie unendlich könnte ich nicht diesen Anklageakt noch verlängern, wenn die hier angeführten Todsünden gegen die politische Freiheit des Landes und die demokratischen Prinzipien nicht mehr genügten und wenn es mich nicht drängte, auf den unmittelbaren Anlaß dieser meiner Ansprache an Euch zurückzukommen!

Noch in anderer Hinsicht, Arbeiter Berlins, hat man versucht, Euer Urteil über die rheinischen Vorgänge irrezuleiten und zu täuschen. In einem hiesigen Arbeiterverein hat man versucht, gleichsam mir selbst die Solinger Messerstiche zur Last zu legen und ich weiß nicht welche Entrüstung in Euch über die rheinischen Arbeiter entzünden zu wollen! Mir jene Messerstiche zur Last legen zu wollen, die am äußersten Ende einer langen, 5 000 Personen fassenden Halle fielen, an deren oberstem Ende ich sprach, Messerstiche, von denen ich nicht eher erfuhr, bis der Gendarm aufgrund derselben die Versammlung für aufgelöst erklärte und die ich sogar dann noch für eine Polizeierfindung hielt – mir diese Messerstiche zur Last legen zu wollen – das ist der Gipfel lächerlicher Parteiwut!

Ebensowenig aber dürft ihr Euch, Arbeiter Berlins, durch das Geschrei über diese Messerstiche zu irgendwelchem einseitigen Urteil über die rheinischen Arbeiter hinreißen lassen!

Diese Messerstiche – ich bedaure und beklage sie so gut wie andere. Ich beklage sie als eine das notwendige Maß gerechter Abwehr überschreitende Handlung.

Aber wie steht der Fall und wer trägt an diesen Messerstichen die erste und wahrhafte Schuld?

In Barmen wie in Solingen waren nicht allgemeine Volksversammlungen, sondern lediglich Versammlungen des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins ausgeschrieben worden. In Barmen erschienen unter 3 000 Arbeitern etwa 250 fortschrittliche Fabrikanten – einige mit verborgen gehaltenen kleinen Pfeifen ausgerüstet – und versuchten wiederholt durch Pfeifen und Lärmen, endlich dadurch, daß sie sich anschickten, ein »Hoch« auf Herrn Schulze-Delitzsch auszubringen, die Versammlung dieser mit Leidenschaft den Prinzipien des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins ergebenen Arbeiter zu stören. Da warfen sich diese auf die Störer und brachten dieselben zwar nicht ohne Gewalttätigkeiten, aber doch ohne jede Verletzung in einer Minute zum Saal hinaus, worauf mein Vortrag ruhig zu Ende geführt wurde.

In Solingen waren in der von ungefähr 5 000 Arbeitern gefüllten großen Schützenhalle, vor welcher noch ebenso viele Tausende dicht gedrängt standen, ungefähr 100 fortschrittliche Fabrikanten erschienen.

Gleicher Versuch, sofort am Beginn meiner Rede durch Scharren und Lärmen dieselbe abzuschneiden. Sofort werden die Fabrikanten von den Arbeitern mit Blitzesschnelle und noch ohne weitere Gewalttätigkeit hinausgebracht. Die Saaltür konnte aber nicht geschlossen werden, weil auch die draußenstehenden Volksmassen soviel wie möglich von der Rede vernehmen wollten. Diesen Umstand benutzend, versuchen die Fabrikanten dreiviertel Stunden später, indem sie den Ruf »Schulze-Delitzsch hoch!« durch die offene Saaltür schallen lassen, die Rede zu unterbrechen.

Jetzt waren die zunächststehenden Volksmassen bei so absichtlicher und hartnäckiger Herausforderung ihres Zornes nicht mehr Meister. Sie werfen sich auf die Fabrikanten, bedecken sie mit Mißhandlungen und hierbei erhalten einzelne von ihnen auch die Messerstiche, auf deren Grund die Polizei rechtswidrig die Versammlung auflöste.

Wie also, Arbeiter Berlins, steht der Fall?

Zunächst: Was haben die Fortschrittler in den Versammlungen des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins zu schaffen? Offenbar ebenso wenig, wie ich in den ihrigen zu schaffen haben würde. Die Zeit der Diskussionen ist zwischen uns vorüber! Ehe der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein konstituiert war, ging ich – aber auch nur auf die ausdrückliche Aufforderung der Fortschrittler selbst – unter sie nach Frankfurt am Main und schlug sie mit der Armee selbst, die sie mir entgegenstellen wollten. Seitdem ist der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein konstituiert worden und von dieser Stunde an hatten wir mit den Fortschrittlern nichts mehr zu schaffen. Wir sind selbständige und feindliche Parteien gegeneinander, die ihre selbständigen und besonderen Wege zu gehen haben. Der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein hat sich nicht gebildet, um seine Zeit damit zu verlieren, mit den Fortschrittlern zu diskutieren und noch weniger, um sich mit ihnen in den gegenseitigen Versammlungen durch Tumulte zu stören. Was würden die Fortschrittler sagen, wenn ich ihnen hier in ihre Versammlungen eine Handvoll Arbeiter schickte, um sie durch »Hochs« auf mich zu unterbrechen?

Und wie konnte eine so winzige Handvoll Menschen die Schamlosigkeit haben, Tausende, die sie in Einmütigkeit und Begeisterung versammelt sahen, tumultarisch und lärmend in der Erreichung des Zwecks ihrer Versammlung hindern zu wollen? Endlich aber: Woher nahm diese Handvoll Menschen den Mut zu diesem beleidigenden und provozierenden Auftreten gegen so viele Tausende von Arbeitern, in deren Mitte sie sich befanden?

Hierauf gibt es nur eine Antwort: diese Handvoll Menschen rechnete deshalb darauf, ungestraft allen Unfug gegen jene Tausende verüben zu können, weil diese ja die Arbeiter seien, die sich in ihrer, der Arbeitsherren Abhängigkeit befänden. Auf das Abhängigkeitsverhältnis der Arbeiter zu ihnen pochten sie, auf das Hungertuch, an welchem sie diese Arbeiter hielten!

Ja, Arbeiter, wenn sich 1848 die Besitzenden darüber beschwerten, von den Arbeitern terrorisiert worden zu sein, so ist es jetzt umgekehrt dahin gekommen, daß der gute Rock den Arbeiterkittel terrorisieren will! Eine Handvoll Fabrikanten wollen Tausende von Arbeitern in der freien Kundgebung ihrer politischen Gesinnungen durch tumultarischen Unfug gewaltsam hindern. Und sie glaubten dies dreist und ungestraft tun zu können, weil es ja ihre Arbeiter seien, die sich unterstehen wollten, eine ihnen unbequeme politische Ansicht an den Tag zu legen!

Aber die rheinischen Arbeiter sind nicht die Männer, sich in ihren politischen Gesinnungen durch ihre Arbeitsherren bevormunden und terrorisieren zu las«en. Dieses Gefühl grade, das Gefühl der Beleidigung und Unterdrückung, welche in jenem auf ihre Privatabhängigkeit trotzenden Versuch jener Handvoll Fortschrittler lag, war es, welches die rheinischen Arbeiter zum höchsten Zorn entflammte!

Wenn ihre Leidenschaft sie hierbei, wie leicht vorauszusehen war, zu Exzessen hinriß – wen anders trifft die erste und hauptsächlichste Schuld dieser Exzesse, als diejenigen, die sie so mutwillig, so hartnäckig und so beleidigend provozierten? Und ferner, Arbeiter Berlins, seht Ihr nicht in dieser Leidenschaft selbst, wie so oft im Leben, das Gute dicht neben dem Übeln?

Ohne Leidenschaft wird in der Geschichte kein Stein vom andern gerückt! Ohne Leidenschaft ist keine einzige jener gewaltigen Befreiungen ausgeführt worden, deren Aufeinanderfolge die Weltgeschichte bildet.

Das Aufhören aller politischen Leidenschaften im Volksherzen seit 1849, die Versumpfung und Mattigkeit, welche seitdem eingerissen, sie sind ein Hauptgrund unseres tiefen Verfalls seit 14 Jahren!

Die Fortschrittler haben seit 1858 ihren Nationalverein und ihre sogenannten Arbeiterbildungsvereine gebildet. In 5 Jahren haben diese Vereine das politische Leben im Volke nicht heißer durch seine Adern pulsieren zu machen, nicht einen Tropfen des politischen Herzblutes im Volke in raschere Bewegung zu setzen vermocht! Der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein besteht kaum 4 Monate – und bereits stellt sich die Leidenschaft ein im Herzen des Volkes!

In dieser Leidenschaft, Arbeiter Berlins, wenn sie sich auch diesmal in ihrem Umfang und in ihrer Äußerung vergriff in dieser Leidenschaft begrüßt mit mir das freudige Zeichen, daß die politische Aufregung und mit ihr das politische Leben im Volke von neuem zu erwachen und seinen großen Bestimmungen entgegen zu gehen beginnt!

Arbeiter Berlins! Wollt Ihr alles, was ich Euch mit meinen Worten gesagt habe, aus dem Munde meiner Gegner, der Fortschrittler, selbst vernehmen? Wollt Ihr sehen, wie sie da, wo sie unter sich selbst sprechen oder schreiben, sich alles das selbst eingestehen, was ich Euch bis jetzt gesagt habe und wovon sie wohlweislich stets dann das Gegenteil behaupten, wenn sie unter Arbeitern sprechen oder für Arbeiter schreiben? Nun wohl, ich will Euch auch noch diesen Beweis führen!

Die in Frankfurt am Main erscheinende »Süddeutsche Zeitung« ist eins der eifrigsten Organe der Fortschrittspartei, eine der wärmsten Freundinnen des Herrn Schulze-Delitzsch. Sie ist daher von Anfang an bis auf den heutigen Tag eine meiner leidenschaftlichsten Gegnerinnen gewesen. Und gleichwohl brachte dieses Blatt – welches so gut wie gar nicht von Arbeitern gelesen wird und in welchem daher meine Gegner schon eher sich gelegentlich auch die Wahrheit eingestehen zu können glaubten – neulich unmittelbar nach der von mir abgehaltenen Arbeiterversammlung zu Barmen folgenden Leitartikel über dieselbe (in ihrer Nr. 486 vom 25. September), den ich hier wörtlich einrücke:

»Die Arbeiterbewegung in Rheinpreußen«

»Vom Niederrhein, 23. September. Unter allen Momenten der immer breiter und großartiger sich entwickelnden Krisis unseres Staatslebens ist die Arbeiterbewegung bisher das mindest beachtete und zugleich in einem Grade, welchen wenige ahnen, das wichtigste und das gefährlichste. Die beiden mächtigen Parteien, die kleine, welche mit den Insignien der Monarchie ohne Rücksicht auf deren Gebrechlichkeit dreinschlägt, und die große, welche sich im Gefühl behaglicher Sicherheit auf den breiten Rücken der Bourgeoisie lehnt und wartet, bis der Strom der Reaktion abgelaufen ist, sie haben beide den größten Fehler durch ihr Verhalten gegenüber der Arbeiterbewegung begangen.

Es darf wohl als feststehend betrachtet werden, daß eine einfältigere Gesellschaft noch nie hinter den Kulissen der politischen Bühne gestanden hat als die gegenwärtige Generation unserer feudalen Ultras. Ihr jetziges Gebaren könnte man nur dann einigermaßen respektieren, wenn man annehmen wollte, daß sie ihre Sache absolut verloren geben und in ritterlicher Hochherzigkeit die Festung samt dem Feinde in die Luft sprengen wollen. Daran ist aber gar nicht zu denken. Die Herren hoffen noch recht lange sich in dem bekannten Hause an der Leipziger Straße vergnügt und gemütlich zu unterhalten, daheim behaglich Rüben zu bauen und ihr Gesinde zu regieren. An Abtreten denken sie noch gar nicht. Sie bilden sich ein, ganz sicher und ungestraft die unterste Schicht der Bevölkerung ein wenig gegen die reichen Bürger und den übermütigen Mittelstand aufhetzen zu können, um nur den verhaßten ›Fortschritt‹ loszuwerden. Wenn aber schon die Allianz mit Panse eine Dummheit genannt werden durfte, so ist die heimliche und offene Begünstigung Lassalles und seiner Umsturzbestrebungen dem Verfahren des Schildbürgers zu vergleichen, der den Ast absägt, auf dem er sitzt. Oder ist es vielleicht eine petitio principii, wenn wir von den Umsturzbestrebungen Lassalles sprechen? Sollen wir die fade Behauptung erst widerlegen, daß dieser Mann ein Werkzeug der Reaktion sei, wohl gar ein ›blindes‹? Wer die Augen nicht auftun will, dem können wir nicht zum Sehen verhelfen. Dagegen möchte ein Wörtchen aus der Erfahrung für diejenigen an der Stelle sein, die über Lassalle sich damit beruhigen, daß seine ›längst durch die Erfahrung widerlegten‹ Phantasien bei der ungeheuren Mehrzahl der Arbeiter keinen Boden finden. Man hat das lange gesagt und sagt es immerfort, während die Zahl der Anhänger Lassalles in beständigem Wachsen ist. Bemerkenswerter noch ist der Fanatismus dieser Anhänger. Wer die Art und Weise dieser Jüngerschaft beobachtet, findet in ihr ein ganz anderes Wesen als in der stillen und harmlosen Anhänglichkeit der Genossenschaftsmitglieder an Schulze-Delitzsch. Die Bierseidel, welche am vergangenen Sonntag in Barmen auf die abziehenden Fortschrittsmänner geworfen wurden, sind nicht die Waffen gewöhnlicher Roheit gewesen und wenn Lassalle sein Auftreten als eine ›Heerschau‹ bezeichnete, so darf man dies Wort nicht als eitle Übertreibung betrachten. Von Solingen, einem Orte, dessen Arbeiterbevölkerung von jeher einen aufbrausenden Charakter gehabt hat, erfahren wir, daß man sich für kommenden Sonntag auf ganz ähnliche, wo nicht schlimmere Szenen gefaßt macht. Wir könnten Äußerungen von Arbeitern mitteilen, die ungleich ernsthafter klingen, als wenn der behäbige Philister beim Zweckessen ›Gut und Blut‹ für die gemeinsame Sache zu lassen verspricht.

Die Konsumvereine, welche sich von Tag zu Tag vermehren, bilden keinen genügenden Damm gegen diese Stimmung. Sehr häufig findet man sogar unter den Begründern derselben, soweit sie dem Arbeiterstande angehören, die Ansicht, daß sich nun eben für den Augenblick nichts anderes tun lasse. Aus Achtung vor den gebildeten Männern, welche meist an der Spitze dieser Vereine stehen, läßt sich der Arbeiter von weiteren Schritten abhalten; aber wenn man glaubt, in ihnen einen festen und ausdauernden Kern für eine Gegenpartei unter den Arbeitern selbst zu besitzen, so täuscht man sich. Schulze-Delitzsch hat einen großen und begeisterten Anhang unter dem Handwerkerstande. Seit er in so schroffem Gegensatz zu Lassalle steht, verehren ihn auch die Kaufleute und Fabrikanten, die noch vor wenigen Jahren nicht viel von ihm wissen wollten. Die Fabrikarbeiter und Tagelöhner hören aber deswegen seinen Namen fast immer mit einigem Mißtrauen, weil er ihnen so geflissentlich gepredigt wird und weil sie sehen, daß die Handwerker und Kaufleute ihn hochhalten.

Diese Stimmung wird nun von den ›Konservativen‹ geschürt. Man kann das Mitleid kaum unterdrücken, wenn man verschrobene Geistliche, ehrgeizige Beamte und heimtückische Schleicher auf Geheiß der Zentralbehörden des feudalen Staats im Staate den Arbeitern schmeicheln sieht, um ein paar armselige Wahlmannsstimmen zu gewinnen. Weise Zeitungsartikel suchen Lassalle wohl zu belehren, daß ja doch durch die wenigen Stimmen der Arbeiter niemals ein Abgeordnetenhaus werde erzielt werden, welches die Arbeiterfrage zur Hauptfrage mache. Man trage doch nicht Eulen nach Athen! Was den Arbeiterstand politisch so bedeutend macht, sind die derben Fäuste, der hungrige Magen, die Beweglichkeit, die Entschlossenheit. Wir wissen nicht, ob wir jemals ein Heer von Turnern und Schützen werden für die Verfassung ins Feld rücken sehen; aber das wissen wir, daß ein Lassallesches Arbeiterheer, wenn man die Dinge soweit kommen läßt, von der gegenwärtigen Verfassung Deutschlands kein Stück beim alten lassen würde, am wenigsten Zepter, Krone, Stern und andere Spielsachen. Lassalles ›Theorie der erworbenen Rechte‹ – beiläufig gesagt nach meiner Ansicht eines der bedeutendsten Bücher der rechtsphilosophischen Literatur – enthält alle Momente, aus welchen eine Praxis der entzogenen Rechte hervorgehen kann, für den Verständigen ganz klar dargelegt. Noch hat Lassalle in Berlin den Boden nicht, den er in einem großen Teil der Rheinlande gewonnen hat. Die Reaktion arbeitet daran, das Feld zu bestellen, wo die Revolution ernten wird. Sie arbeitet Lassalle in die Hände; nicht umgekehrt. Wir stehen, dank der Torheit unsrer Regierung und der beschränkten Schwäche, welche sich vielfach in der Leitung der liberalen Sache kundgibt, am Vorabend einer großen sozialen Umwälzung. Es ist uns längst so vorgekommen, als ob die gepachteten Intelligenzen der offiziösen und feudalen Presse dies grade so gut wüßten wie wir und mit vergnügter Bosheit an ihren Brotherren die Rolle des Mephisto probierten.

Der Augenblick, in welchem die Gefahr, die wir signalisieren, näher tritt, wird ein ganz bestimmtes Kennzeichen tragen. Der Fortschrittspartei ist schon jetzt, trotz der sechs neuen Punkte, durch das ratlose Auseinandergehen nach dem Schlusse des Landtags, durch die Untätigkeit der Führer während des ›Interregnums‹, durch die beispiellose Mattigkeit der Produkte des Preßvereins ein bedenklicher Stempel aufgeprägt. Man schrickt vor dem Kampf mit der Krone zurück, der doch der Angelpunkt des ganzen Konflikts ist. Dies Haltung muß über kurz oder lang dazu führen, daß auch auf dem rein politischen Gebiet neue Bestrebungen und Parteien hervortreten. Man denke sich eine jahrelange Fortsetzung des passiven Widerstandes der letzten Monate und berechne die Folgen davon! Preußen ist nicht Kurhessen, und das Wählen allein hat noch nie ein Volk frei gemacht. Nun entsteht die einfache Frage: wird dann vorwärtsdrängende Entschlossenheit in gewissen Elementen der Fortschrittspartei, in der Kammer, unter den bekannten Führern einen Anhaltspunkt finden oder nicht? Bleibt die Fortschrittspartei in ihrer vielgerühmten Geschlossenheit, wo die besten Elemente sich gegenseitig neutralisieren; geht man nach sechswöchentlichem Reden nochmals nach Hause, um die Hände in den Schoß zu legen und wenn es hochkommt, wieder ein Fest zu feiern; zieht dann der Preßverein nochmals einen neuen Taler ein, um wieder alten Kohl aufzutischen – dann halten wir es für sehr wahrscheinlich, daß der eigentliche ›Fortschritt‹ sich von der Sache dieser Partei trennt und sich einer Allgemeinen Deutschen Arbeiterbewegung in die Arme wirft. Die Elemente dazu sind vorhanden.« Und der Verfasser dieses Artikels erklärt nun, daß die einzige Rettung dagegen in einer energischen Fortentwicklung der Fortschrittspartei bestehen würde. Seht Ihr, Arbeiter? Die Zahl der Anhänger des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, ihre Begeisterung, ihr stetiges Wachstum, der Widerwille, mit welchem die Herren Fabrikanten und Kaufleute früher Herrn Schulze-Delitzsch betrachtet haben, den sie erst jetzt, wo er bei Euch als Gegengift gegen mich dienen soll, als Mittel, Euch von der energischen Verfolgung Eurer Interessen, von mir und dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein fernzuhalten, bekränzen – alles ist hier mit dürren Worten eingestanden!

Die Lächerlichkeit der Erfindung, daß ich der Reaktion diene (!!), die Furcht, daß umgekehrt der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein den Ast abzusägen drohte, auf welchem Fortschrittler und Reaktion gemeinsam sitzen – das alles und noch vieles andere wird ebenso wie der wirkliche Charakter der rheinischen Versammlungen hier von unsern Gegnern selbst, wie Ihr seht, in einem Blatte, das ja die Arbeiter nicht lesen, hier, wo sie nur untereinander und nicht vor Euch zu sprechen glauben, offen eingeräumt! Ja, der Verfasser des Artikels, der offenbar zu den entschiedensten Elementen der Fortschrittspartei gehört, gesteht zuletzt schon, daß diesen entschiedneren Elementen nichts übrigbleiben werde, als sich der Arbeiterbewegung anzuschließen!

Und die Redaktion der »Süddeutschen Zeitung« macht folgende Anmerkung zu diesem Leitartikel ihres Korrespondenten:

»Die nachstehende Darstellung scheint uns zwar nicht ganz gesichert gegen den Vorwurf, örtliche Erscheinungen allzu rasch zu verallgemeinern; allein die örtlichen Erscheinungen selbst haben an unserm Herrn Korrespondenten von jeher einen sorgsamen und unbefangenen Beobachter gehabt, so daß wir dessen ungeachtet keinen Anstand nehmen, ihn auch diesmal unverkürzt zu Worte kommen zu lassen.«

Der Verfasser jenes Artikels ist also ein langjähriger und vielerprobter Korrespondent der »Süddeutschen Zeitung«. Und während so bereits Bestürzung und Verwirrung in den Reihen unserer Gegner herrscht, steht Ihr, Arbeiter Berlins, noch unschlüssig und zaudernd, nicht wissend, welche Partei Ihr ergreifen sollt?

Habt Ihr denn nicht in der letzten Zeit wieder eifriger denn je von der »Volkszeitung« und der »Berliner Reform« die Behauptung verbreiten hören, daß ich der Reaktion diene – und könnt Ihr nicht schon aus dieser elenden und plumpen Verleumdung allein am besten entnehmen, wie entsetzlich der Betrug ist, der gegen Euch verübt werden soll?

Wie, Arbeiter Berlins? Glaubt Ihr wirklich, der rheinische Arbeiterstand, der in geistiger wie materieller Hinsicht am weitesten vorgeschrittene Arbeiterstand Deutschlands – materiell am weitesten entwickelt durch die dort herrschende große Industrie, politisch und geistig am weitesten entwickelt sowohl durch die unausbleiblichen Folgen derselben als durch die ständige Berührung mit französischen und englischen Elementen – glaubt Ihr wirklich, der rheinische Arbeiterstand, dieser politisch radikalste Arbeiterstand Deutschlands, diese Avantgarde des deutschen Arbeiterstandes, würde einem Reaktionär zujauchzen?

Nichts hat mehr dazu gedient, die Flamme der Erbitterung in dem rheinischen Arbeiterstande anzufachen und den Anhang des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins zu vermehren, als die beständig wiederholte Verleumdung der Fortschrittler, daß ich der Reaktion diene!

Denn der rheinische Arbeiterstand kennt mich auf das genaueste! Zehn Jahre habe ich mit ihm und unter ihm verlebt. Die Zeiten der Revolution und der Reaktion habe ich mit ihm verbracht!

Kaum war von den Fortschrittlern die Parole ausgegeben worden, daß ich der Reaktion diene, als der rheinische Arbeiterstand hieraus allein schon erkannte, wie namenlos plump das Volk betrogen werden sollte und sich da selbst solche Elemente unserer Bewegung anschlossen, welche bis dahin noch unschlüssig gewesen waren:

Ich will Euch den Grund dieses Betruges enthüllen, Arbeiter Berlins!

Ich will Euch hier wiederholen, was ich schon in meiner Frankfurter Rede – dem »Arbeiterlesebuch« – nachgewiesen habe.

Die Fortschrittsbourgeois hassen mich und feinden mich an, nicht weil sie Reaktion, sondern umgekehrt, weil sie Revolution von mir befürchten! Nicht, weil ich ihnen reaktionär, sondern weil ich ihnen revolutionär erscheine! Und die tatsächlichste Wahrheit dieses Vorwurfes – ich habe sie in der Wahrheit meines Wesens hundertmal zugegeben, wo immer auch er mir gemacht wurde, ich habe sie zugegeben vor der Öffentlichkeit, in meinen Werken, meinen Reden, ja zu den wiederholten Malen selbst vor den Gerichten!

Ich habe sie zugegeben wie 1849, vor 14 Jahren in meiner Assisen-Rede in meinem Hochverratsprozeß vor den rheinischen Geschwornen, in welchem es sich um meine ganze Existenz handelte, so noch im Januar dieses Jahres vor dem Berliner Kriminalgericht in meiner Rede »Die Wissenschaft und die Arbeiter«, so noch vor zwei Tagen vor dem Königlichen Kammergericht hierselbst in einem Prozeß, in welchem es sich um meine persönliche Freiheit handelte! Auch haben bis zu meinem »Antwortschreiben« die Fortschrittler mich immer nur als einen extremen Revolutionär behandelt und das Grauen, das sie gerade aus diesem Grunde vor mir empfanden, nie verborgen. Seit meinem »Antwortschreiben« erst haben sie unter Euch die Losung ausgegeben, daß ich der Reaktion diene!

Und welchen Anlaß hatten sie hierzu in meinem »Antwortschreiben«? Erteilte ich daselbst den Arbeitern den Rat, sich um Politik nicht zu kümmern und von ihr zurückzuhalten?

Ich erkläre im Gegenteil daselbst (p. 4): »Es ist gradezu vollständig beschränkt, zu glauben, daß den Arbeitern die politische Bewegung und Entwicklung nicht zu kümmern habe. Ganz im Gegenteil kann der Arbeiter die Erfüllung seiner legitimen Interessen nur von der politischen Freiheit erwarten usw. usw.« Oder greife ich die Fortschrittspartei vielleicht deshalb an, weil sie zu weit gehe gegen die Regierung? Ich greife sie vielmehr (siehe p. 4–7 meines »Antwortschreibens«) nur deshalb und auf das äußerste an, weil sie nicht weit genug gehe, weil sie von einer Schwäche und Energielosigkeit ohnegleichen sei, weil sie bewiesen habe, daß es ihrer kläglichen Mattheit nie gelingen würde, einer entschlossenen Regierung gegenüber die Interessen der Freiheit zum Siege zu führen! Erklärte ich, daß man die Regierung der Fortschrittspartei gegenüber stützen müsse? Ich erkläre vielmehr daselbst (p. 7), daß man die Fortschrittspartei der Regierung gegenüber in solchen Punkten, wo das Interesse ein gemeinschaftliches sei, unterstützen und sie zu zwingen suchen müsse, »sich vorwärts zu entwickeln und das Fortschrittsniveau zu übersteigen«, wie ich noch in meiner letzten Rheinischen Rede (p. 27) die Parole ausgab, bei den bevorstehenden Wahlen aus den daselbst entwickelten Gründen für die Fortschrittler gegen die Regierung zu wählen!

Noch einmal also, warum erklären die Fortschrittler nicht einfach wahrheitsgemäß, daß sie mich, ihrem Verfassungsboden zuliebe, als Revolutionär hassen und bekämpfen? Warum geben sie statt dessen umgekehrt die verleumderische Parole vor Euch aus, daß ich der Reaktion diene?

Der Grund ist einfach; ebenso einfach als nichtswürdig und entrüstend! –

Vor Euch können mir die Fortschrittler diesen Vorwurf nicht machen: ein Revolutionär zu sein. Vor Euch würde, wie sie wissen, dieser Vorwurf, der den wirklichen Grund ihrer Wut gegen mich bildet, nur die Wirkung haben, Eure Massen um so sicherer zu meinen Anhängern zu machen – und darum kehren diese Heuchler den Spieß um und beschuldigen mich vor Euch, der Reaktion zu dienen, weil sie mich als Revolutionär hassen!

Arbeiter Berlins! Wollt Ihr wissen, ob ich ein Reaktionär bin? Lest meine Rheinische Rede, lest meine Rede »Die Wissenschaft und die Arbeiter«, lest alle meine Reden und Vorträge, und Ihr werdet sehen, daß die Fortschrittler insgesamt nicht einmal den Mut haben würden, sie zu halten!

Erinnert Euch, Arbeiter Berlins, wie oben die »Süddeutsche Zeitung« die »fade Behauptung« belacht, daß ich der Reaktion diene!

Aber Euch, Arbeiter Berlins, halten die Fortschrittler immer noch für dumm genug, um Euch sogar diese »fade Behauptung«, die sie selbst belachen, aufzubinden!

Folgt also dem Beispiel der rheinischen Arbeiter! Erkennt an dem Beispiel dieses einen elenden Betrugs, wie plump Ihr in jeder Hinsicht von der Fortschrittspresse, von der »Volkszeitung« und den Fortschrittlern überhaupt belogen werdet!

Was sollte Euch abhalten können, Arbeiter Berlins, in die Reihen des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins einzutreten? Unsere Fahne ist zunächst das allgemeine und direkte Wahlrecht und diese Fahne, sie ist die notwendige und zugeborene Fahne eines jeden Mitgliedes Eures Standes! Sogar diejenigen von Euch, die so betört sein sollten, eine Verbesserung Eurer sozialen Lage nicht zu wollen, sie sind wie jeder, welcher, gleichviel welchem Stande er angehört, das allgemeine und direkte Wahlrecht aufrichtig will, genötigt, in unsere Reihen zu treten.

Denn ist das allgemeine und direkte Wahlrecht erlangt, so würden deshalb ja die sozialen Prinzipien des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins noch nicht zur Geltung kommen können, sofern sie nicht die Majorität des aus den allgemeinen und direkten Wahlen hervorgegangenen gesetzgebenden Körpers für sich haben.

Und umgekehrt: Haben sie diese Majorität für sich – nun, so muß sich jeder, welcher das allgemeine und direkte Wahlrecht aufrichtig will, geduldig auch den sozialen Veränderungen unterwerfen, welche dasselbe durch die Beschlüsse der Volksvertreter im Lande hervorrufen kann!

Jeder also, der nur ein aufrichtiger Anhänger des allgemeinen und direkten Wahlrechts ist, ist, wenn er nicht Euch oder sich selbst täuschen will, genötigt, in die Reihen unseres großen Vereins zu treten, welcher diese Agitation zu seinem nächsten politischen Ziele gemacht hat und durch diesen Beitritt unsere Agitation zu verstärken.

Was dagegen könnt Ihr mit den Fortschrittlern zu schaffen haben, was kann Euch mit ihnen verbinden?

Während wir für das allgemeine und direkte Wahlrecht agitieren, agitieren die Fortschrittler – für die Aufrechterhaltung der Preußischen Verfassung!

Die Preußische Verfassung aber hat, wie ich Euch in meiner Rheinischen Rede ausführlich bewiesen habe, noch niemals auch nur einen Tag lang zu Recht bestanden!

Die Preußische Verfassung ist, wie ich Euch daselbst bewiesen habe, nur das Produkt und Resultat des am Volke verübten Rechtsbruches, des in illegaler Weise aufgehobenen allgemeinen Wahlrechts, das durch das Gesetz vom 8. April 1848 bestand.

Die Preußische Verfassung ist, wie ich Euch daselbst nachgewiesen habe, nur der Kompromiß der Bourgeoisie mit der Regierung, für welchen die Bourgeoisie im Interesse ihrer alleinigen Beute das gesetzlich bestehende Recht des Volkes preisgab.

Die Preußische Verfassung schließt das Dreiklassenwahlgesetz in sich ein, welches einen wesentlichen Teil von ihr bildet und auch alle ihre anderen Bestimmungen mit seinem Geiste durchdringt.

Die Preußische Verfassung schließt das allgemeine und direkte Wahlrecht aus, welches nicht eintreten kann, insofern diese Verfassung nicht beseitigt ist!

Jeder somit, der für die Aufrechterhaltung der Verfassung agitiert, ist als ein Feind der Volkspartei zu betrachten, die für die Einführung des direkten und allgemeinen Wahlrechts agitieren muß.

Wie also, Arbeiter Berlins, könntet Ihr, statt Euch um das notwendige Banner Eurer Klasse, um das Banner, der gesamten Demokratie, das allgemeine und direkte Wahlrecht zu scharen, hinter den Fortschrittlern herlaufen?

Wollt Ihr einen Beweis mehr für die gänzliche Unfähigkeit und Nichtigkeit dieser Männer?

Ich will Euch einen ganz frischen Beweis erbringen, einen Beweis, hergenommen aus ihrem Verhalten zu der wichtigsten Frage die Deutschland bewegt, zu der großen nationalen Frage und der Reformakte der deutschen Fürsten : einen Beweis, bei dem man sich des Lachens kaum enthalten kann! Auf dem Frankfurter Abgeordnetentag am 21. August dieses Jahres ließen die Herren Schulze-Delitzsch und v. Unruh den Ausschußantrag beschließen, daß man sich zu der Reformakte der deutschen Fürsten »nicht lediglich verneinend verhalten« dürfe; sie ließen ferner folgenden Satz beschließen: »Ob der Abgeordnetentag in dieser Tatsache (der Reformakte) zugleich die Bürgschaft sehen darf, daß das gute Recht des deutschen Volkes auf eine seiner würdige Verfassung nach wiederholten unfruchtbaren Verheißungen endlich zur Erfüllung komme, das wird zunächst von dem weiteren Entgegenkommen der deutschen Fürsten und Regierungen abhängen.«

Es war in Frankfurt von Herrn Welker ein Antrag gestellt worden, der Reformakte der Fürsten gegenüber zu erklären, daß an der deutschen Reichsverfassung von 1849 als dem bestehenden Rechte der Nation festgehalten werden müsse.

Die Herren Schulze-Delitzsch und v. Unruh brachten es durch ihren Einfluß auf den Abgeordnetentag dahin, daß dieser Antrag zurückgezogen werden mußte. Sie sprachen beide auf das entschiedenste für den oben gedachten, einstimmig angenommenen Ausschußantrag! Herr Schulze-Delitzsch ging von der Ansicht aus, daß es sehr unschlau sein würde, die Reformakte ganz von sich zu weisen; daß sich die deutschen Fürsten in einer Falle gefangen hätten und man sie darin festhalten müsse.

Gut! das war also im August! – Ich ließ mir diese Gelegenheit nicht entgehen und wies in meiner Rheinischen Rede den Fortschrittlern nach, daß sie durch diesen Beschluß sogar ihren eigenen Standpunkt verraten hätten, daß sie von ihrem Standpunkt aus nichts anderes hätten tun dürfen, als einfach an der Reichsverfassung von 1849 festzuhalten – eine Verfassung, welche zwar, wie ich daselbst weiter nachwies, eine vollständige Unmöglichkeit für Deutschland, aber nichtsdestoweniger – oder eigentlich gerade deshalb der notwendige Standpunkt der Fortschrittler sei.

War es mir wirklich gegeben, sogar die Fortschrittler durch diese Rede zu überzeugen oder haben sie auf irgendeinem andern Wege die Entdeckung gemacht, daß sie in Frankfurt eine einfache Verwechslung begangen und für künstliche Schlauheit gehalten haben, was bloß natürliche Dummheit gewesen – genug, jetzt vor zwei Tagen, am 12. Oktober, halten dieselben Herren v. Unruh und Schulze-Delitzsch eine Versammlung des Nationalvereins im Arnimschen Saale hierselbst ab, in welcher sie beide im Gegensatz zu ihrem Frankfurter Beschluß die Reformakte weit von sich weisen, sie auf das vollständigste vernichten, sie als ein Ding behandeln, an das in keiner Weise angeknüpft werden kann und beschließen lassen, daß »der Fürsten-Reformakte gegenüber an der Reichsverfassung von 1849 festgehalten werden muß«.

Ja, Herr Schulze-Delitzsch erklärt hierbei in seiner Rede wörtlich folgendes (siehe Nationalzeitung, Abendausgabe vom 14. Oktober): »Wie steht nun die deutsche Nation zu der Reformakte? Sie gewinnt nichts an Macht nach außen, nichts an Recht nach innen, sie gäbe dazu das Recht auf, jemals mehr fordern zu dürfen und sie verdiente nicht mehr zu erlangen.«(!!!)

Das alles – und sogar, daß die Nation nicht mehr zu erlangen verdiente, wenn sie sich auf diese Reformakte einließe, finden jetzt die Herren v. Unruh und Schulze-Delitzsch von derselben Reformakte, von der sie im August in Frankfurt beschließen ließen, daß sich die Nation darauf einlassen müsse!

Arbeiter! Ihr, die Ihr Männer seid, deren Ja, Ja und deren Nein, Nein ist, was wollt Ihr mit so prinzipienlosen Wetterfahnen anfangen? Was wollt Ihr mit Männern anfangen, die in Frankfurt, wo man großdeutsch ist, für und in Berlin, wo man preußisch ist, gegen die Reformakte sind? Mit Seiltänzern, die im August schwarzgelb und im Oktober schwarzweiß einhergehen? Mit Männern schlimmer als Wetterfahnen, da sie ihre Richtung ändern, selbst ohne Windstoß! Denn noch hat sich seit dem August in der Lage der deutschen Frage seitens der deutschen Fürsten nichts geändert! Es ist seitens derselben nicht einmal der geringste neue Vorgang eingetreten, der auch nur zum dürftigsten Vorwand für diese Änderung der Richtung genommen werden könnte!

Was wollt Ihr mit Männern, die nicht einmal in der wichtigsten nationalen Frage wissen, was sie selber wollen und Euch also noch viel weniger sagen können, was Ihr wollen sollt?! Was wollt Ihr mit Männern, die nicht einmal in der unsere ganze Existenz als Nation betreffenden Frage auf dem Boden eines Prinzips einherschreiten? Was wollt Ihr mit politischen Kindern, die wie Kinder gern Große nachäffen! Volkspolitik und Fürstendiplomatie verwechselnd, nach diplomatischer Schlauheit haschen und dabei, wie natürlich, das Unglück haben, im Oktober selbst finden zu müssen, daß herzlich dumm war, was sie im August für gründlich schlau hielten, auf die Gefahr hin, im Januar wieder zu finden, daß nach einer andern Seite hin die Schlauheit vom Oktober der Dummheit vom August in nichts nachsteht?!

Wie könntet Ihr hoffen, Arbeiter, mit so kleingeistigen, prinzipienlosen Männern jemals die großen Interessen der Freiheit erkämpfen und die Hindernisse besiegen zu können, die nur der ersten Konsequenz der Prinzipien weichen?

Was also sollte Euch abhalten können, in unsere Reihen einzutreten?

Und seid Ihr, Arbeiter Berlins, nicht überdies hierzu genötigt durch unser soziales Programm: die Verbesserung Eurer sozialen Lage?

Wer von Euch, Arbeiter, sollte so beschränkt und so blind gegen sein eigenes Interesse sein, nicht die tiefe Ungerechtigkeit Eurer Klassenlage und die Notwendigkeit ihrer Verbesserung zu empfinden?

Oder ist es vielleicht das täuschende Wort »Selbsthilfe«, der falsche und heuchlerische Gegensatz, den man zwischen dieser und der von mir vorgeschlagenen Hilfe durch die Gesetzgebung macht, durch welchen man Euch zurückhält?

Arme, betrogene Masse, die man durch den Köder eines Wortes verführt!

Wo gibt es eine großartigere »soziale Selbsthilfe« als diejenige, welche darin besteht: den Staat umzuformen und hierdurch die sozialen Verhältnisse zu ändern?

Im Privatleben helfen sich die einzelnen jeder, mit seinen isolierten Kräften so gut es geht.

Die Völker und Klassen helfen sich stets nur und haben sich seit je nur geholfen durch die Gesetzgebung!

Die Selbsthilfe der Völker und Klassen – das ist die Änderung der Gesetzgebung, die Einführung jener großen allgemeinen Institutionen, welche das gesamte soziale Leben bedingen! Und habe ich Euch denn eine solche Staatshilfe vorgeschlagen, wie sie neulich in Brüssel verlangt wurde, daß nämlich die Arbeiter vom Staate pensioniert werden sollten?

Ich weise einen solchen Gedanken, der wiederum auf ein Almosen hinauslaufen und Eure Selbstständigkeit und Unabhängigkeit gefährden würde, weit von mir.

Ich habe nichts mehr und nichts weniger verlangt, als das der zukünftige Staat, der durch die Einführung des direkten und allgemeinen Stimmrechts wiedergeborne demokratische Staat durch eine ihm sehr leichtfallende Kreditoperation Euch die Kapitalvorschüsse beschaffe, welche den Arbeitern für die Bildung von Produktiv-Assoziationen erforderlich sind!

Diese Staatshilfe, sie ist kein Gegensatz zur Selbsthilfe. Sie gewährt Euch im Gegenteil nur die Möglichkeit der Selbsthilfe! Sie gewährt Euch erst die Möglichkeit, Eure Lage durch Selbsthilfe zu verbessern, durch Eure eigenen Unternehmungen Euch selbst zu helfen, die Früchte Eurer Arbeitskraft für Euch selbst zu ernten! Heißt es, die Selbsthilfe aufheben, wenn man Euch die wirkliche Möglichkeit derselben gewährt?

Wird der Gewinn, den Ihr aus Euren Unternehmungen beziehen werdet, nicht das Resultat Eurer eigenen Tat- und Arbeitskraft sein – mit dem einzigen Unterschied, daß die Früchte derselben Euch dann zufließen, während sie jetzt ausschließlich in die Tasche des Unternehmers wandern, der Euch mit der magern Lebensnotdurft in der Form des Arbeitslohnes abspeist?

Der Arbeitslohn selbst, den ihr zum Beispiel in den Werkstätten der Unternehmer an und mit den Maschinen und Arbeitsinstrumenten derselben aller Art – diesen verkörperten Kapitalien – verdient, ist er darum weniger das Resultat Eurer Selbsthilfe, weil er von Euch an Maschinen und Arbeitsinstrumenten und also an Kapitalien erarbeitet wird, die Euch nicht gehören?

Arbeitet der Setzer im Atelier des Unternehmers nicht mit den Lettern desselben? Der Weber, sei es in der Unternehmerwerkstatt, sei es bei sich zu Haus, nicht an dem ihm eingehändigten Rohstoff desselben usw.? Ist der Arbeitslohn, den sie hieran verdienen, nicht Resultat ihrer Selbsthilfe, weil ihnen Arbeitsinstrument oder Rohstoff nicht gehören?

Oder ist dieser Arbeitsertrag nur solange Resultat der Selbsthilfe, als er auf den Arbeitslohn – das heißt auf den durch die Konkurrenz, die sich die Arbeiter heutzutage machen müssen, bestimmten notdürftigen Lebensunterhalt – beschränkt bleibt und den Überfluß als Gewinn in die Tasche der Unternehmer fallen läßt? Und hört dieser Arbeitslohn dann auf, Resultat der »Selbsthilfe« zu sein, wenn er steigt und den gesamten Arbeitsertrag, also auch den Geschäftsgewinn umfaßt?

Arbeiter Berlins, merkt Ihr noch nicht die grobe und plumpe Täuschung, die man Euch vorspiegelt?

Es wäre, um über Euch zu lachen und sich kalt und gleichgültig von Eurer Sache zurückzuziehen, wenn es nicht grade um so mehr Mitgefühl und Unwillen in einem warmen Herzen erwecken müßte, Eure Ehrlichkeit durch einen so schnöden Betrug gemißbraucht zu sehen!

Und hat Herr Schulze-Delitzsch nicht selbst diese Täuschung eingestehen müssen, indem er Euch in der Sitzung des Arbeitervereins vom 21. Juni dieses Jahres verkündete (siehe die Volkszeitung vom 23. Juni), daß er selbst bei den Besitzenden 100 000 Taler aufgebracht habe, um den Produktiv-Assoziationen, die er jetzt bilden wolle, den erforderlichen Vorschuß zu gewähren?

Er selbst ist also jetzt nach meiner Agitation und unter dem Drucke derselben nicht nur dazu übergegangen, Produktiv-Assoziationen bilden zu wollen, auf die ich Euch in meinem »Antwortschreiben« hinwies, sondern er hat auch selbst eingestanden, daß Euch die Kapitalvorschüsse zur Produktion, wenn von Produktiv-Assoziationen unter Euch die Rede sein soll, von andern gewährt werden müssen; daß sie erforderlich sind, weil sie sich in Euren Taschen nicht finden und ohne sie nicht produziert werden kann!

Er hat also selbst eingestanden, daß die Selbsthilfe dadurch nicht aufgehoben wird, daß Euch die Kapitalvorschüsse respektive Kredite zur Produktion von außen her gewährt werden?

Und ist es dann nicht zunächst dasselbe, ob sie Euch von einzelnen Reichen oder vom gesamten Volke in seiner einheitlichen Zusammenfassung als Staat durch den gesetzgebenden Körper gewährt werden?

Oder vielmehr: von einzelnen Reichen gewährt, bleiben sie ein Almosen, das Euch erniedrigt! Ein Almosen, das Euch in die fortdauernde Abhängigkeit von dem guten Willen jener einzelnen Personen bringt! Dagegen von der gesamten Nation in ihrer einheitlichen Zusammenfassung als Staat gewährt, bilden sie Euer fortdauerndes gesetzliches Recht, für das Ihr in keines Menschen Abhängigkeit seid und keinem Menschen zu danken habt.

Derselbe Unterschied wie beim Charakter dieser Hilfe zeigte sich bei ihrem Umfang. Von den einzelnen Reichen gewährt, können sich diese Vorschüsse nur etwa auf hunderttausend oder höchstens Hunderttausende von Talern erstrecken, also auf Summen, so klein, daß sie im besten Falle nur einer Handvoll einzelner von Euch helfen und sie über Eure Klasse emporsteigen machen können. Dies aber, einige einzelne unter Euch über Eure Klasse emporsteigen zu machen – dies ist nicht das Interesse Eurer Klasse, sondern das Gegenteil davon! Um aber Eure Klasse, um nicht bloß einzelne wenige Arbeiter, sondern die Arbeit selbst zu befreien – die Millionen und Millionen von Talern, deren es dazu bedarf, kann nur Staat und Gesetzgebung gewähren.

Noch einmal also, Arbeiter! Jene Kreditvorschüsse durch den Staat gewähren Euch, statt Eure Selbsthilfe aufzuheben, grade erst die wirkliche Möglichkeit dieser Selbsthilfe! Wisset Ihr nicht, daß sogar Hunderte von Bourgeois schon hundertmal ihr Geschäft hätten schließen müssen, wenn sie nicht durch Staatsbanken in der Form von Wechseldiskontierungen ähnliche Kreditvorschüsse erhielten? Und habt Ihr deshalb jemals gehört, daß diese Bourgeois deshalb abhängig sind und von Staatshilfe leben?

Arbeiter Berlins! In welcher tiefen Nacht müßtet Ihr Euch befinden, wenn Ihr nicht den interessierten Grund dieses heuchlerischen und trügerischen Gegensatzes, den man zwischen der Selbsthilfe und jenen von mir verlangten Kreditvorschüssen macht, einsehen solltet! Grade ohne diese Kreditvorschüsse werdet Ihr niemals zur Produktiv-Assoziation, niemals zur Selbsthilfe gelangen. Sie würde ein ewig täuschendes leeres Wort für Euch bleiben, durch das man Euch narrt! Und grade nur in der Institution dieser Kreditvorschüsse für Arbeiter-Assoziationen habt Ihr die reale Möglichkeit zur Selbsthilfe!

Allen einzelnen aber durch die großen Gesamteinrichtungen des Staats in einer den jedesmaligen Zeitbedürfnissen entsprechenden Weise die reale Möglichkeit zur Selbsthilfe und Selbstentwicklung zu gewähren – das ist grade der innerste Sinn der Freiheit, das ist der wahre Inhalt aller gesellschaftlichen Ordnung; da – und nicht der bloße Polizeizweck, Verbrechen abzuwehren – ist der letzte Grund und Zweck des Staats, der nicht den Ministern oder dem Könige gehört, sondern durch alle und für alle da ist! Das ist grade der wahrhafte Grund, weshalb Staaten überhaupt bestehen und die Menschen nicht ohne geselligen Verband herumlaufen auf ihre Kräfte als einzelne beschränkt, gleich den Tieren!

Endlich aber, Arbeiter Berlins, habe ich Euch denn auf den gegenwärtigen Staat, auf den Polizeistaat hingewiesen? Ich habe Euch für diese Hilfe hingewiesen auf den zukünftigen, unter der Herrschaft des allgemeinen und direkten Wahlrechts gestellten Staat. Auf den Staat also, der die höchste Entfaltung der Freiheit sein und unter der Herrschaft des gesamten Volkes stehen wird!

Um Euch, Arbeiter Berlins, aufzuklären über diese ganze Reihe von Täuschungen hat der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein beschlossen, daß ich diese Ansprache an Euch richte und in 10 000 Exemplaren unentgeldlich unter Euch verbreite!

Arbeiter Berlins! Der zu Euch spricht, führt vor Euch nicht seine Sache, sondern Eure eigne! Der zu Euch spricht, spricht nicht zu Euch als ein einzelner Mann, sondern als der Repräsentant vieler Tausende von Arbeitern und mit dem ganzen Ansehen, das es ihm bei Euch geben muß, so viele Tausende Eurer Klasse vor Euch zu verkörpern!

Durch meinen Mund sprechen zu Euch Eure Brüder vom Rhein und vom Main, von der Elbe und der Nordsee. Sie strecken Euch die schwieligen Fäuste hin und verlangen, daß Ihr einschlaget in ihre Bruderhand!

Sie rufen Euch zu: Erwachet aus Eurer Teilnahmslosigkeit und tretet ein in unsern Bruderbund!

Sie rufen Euch zu: Wie könntet Ihr hinter den Fortschrittlern herlaufen oder in trägem Indifferentismus verharren, hier, wo es sich um die politische Freiheit, um die Wiedererhebung der Demokratie und um die materiellen Interessen Eurer Klasse, um die Befreiung der Arbeit von dem Tribut an das Kapital überhaupt handelt?

Sie rufen Euch zu: Denket Eurer großen Toten vom März 1848! Wollet Ihr, die Söhne und Brüder jener, welche mit die ersten waren in der Bewegung von damals, die letzten sein in der Bewegung von heute?

Und damals handelte es sich bloß um die politische Freiheit! Heute handelt es sich um die politische Freiheit und um die Arbeitsinteressen zugleich.

Und damals handelte es sich darum, Barrikaden zu bauen – heute handelt es sich zunächst nur darum, durch den gesetzlich vollkommen erlaubten Eintritt in unsern Verein, durch eine imposante Entfaltung unserer Zahl und Einmütigkeit eine Stellung einzunehmen, welche einen immensen Druck auf Regierung wie Fortschrittler zugleich ausüben und eine neue Wendung in der Entwicklung unseres Volkes herbeiführen muß!

Auf also, Arbeiter Berlins! Zeichnet Euch ein in die Listen des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins! Am Ende dieser Schrift sind Euch die Namen und Wohnungen der Männer angegeben, bei welchen Ihr diese Einzeichnung bewerkstelligen und die Mitgliederkarten und Statuten in Empfang nehmen könnt. Bedenket, was ich Euch in meiner Rheinischen Rede zurufe: Kein Arbeiter ist als ein voller Arbeiter zu betrachten, wenn er nicht in den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein eintritt. Denn es fehlt ihm entweder an Einsicht in das Lebensinteresse seiner Klasse oder an der Männlichkeit, selbst für dieses Interesse wirken zu wollen!

Bedenket die Verantwortlichkeit, Arbeiter Berlins, die Ihr durch fortgesetztes Zaudern vor Euren Brüdern, vor Euch selbst, vor der gesamten Geschichte auf Euch laden würdet! Die wichtigsten Zentren Deutschlands sind gewonnen. Leipzig und die Fabrikgegenden Sachsens sind für uns. Hamburg und Frankfurt am Main marschieren unter unsrer Fahne. Das preußische Rheinland geht bereits im vollen Sturmschritt voran!

Mit Berlin wird die Bewegung unwiderstehlich!

Wollt Ihr, Arbeiter Berlins, die Verantwortung auf Euch laden, durch Eure Haltung diese große deutsche Bewegung, den Triumph Eurer gemeinsamen Sache zurückgeworfen zu haben? Wollt Ihr, die Arbeiter der Hauptstadt, welche die Verpflichtung hätten, allen voran zu marschieren, den Vorwurf auf Euch laden, die Letzten gewesen zu sein, die sich der Bewegung anschlossen?

Bedenket die auseinanderreißenden Folgen, die es für Euren eignen Stand haben muß, wenn Ihr Euch feindlich oder teilnahmslos verhaltet gegen eine Bewegung, welche den Arbeiterstand in so vielen deutschen Städten und Provinzen mit Begeisterung und Enthusiasmus ergriffen hat!

Die Uneinigkeit der deutschen Fürsten und Stämme, dieser traurige Charakterzug unserer bisherigen Geschichte – soll sie sich sogar noch im deutschen Arbeiterstande wiederfinden und unsre nationale Entwicklung vereiteln?

Fern sei das von Euch! Fern von mir, es zu glauben!

Also, Arbeiter Berlins – erwachet und – die Besten von Euch voran – zeichnet Euch ein in die Listen unseres Vereins!

Im Namen des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins Berlin, den 14. Oktober 1863

Der Präsident Ferdinand Lassalle


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