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Macht und Recht

Offnes Sendschreiben

13. Februar 1863

Vorbemerkung

Am 7. Februar dieses Jahres erschien ein Leitartikel in der »Berliner Reform«, welcher mich veranlaßte, das nachfolgende Schreiben an die »Berliner Reform« mit der Bitte um Aufnahme desselben zu richten.

Die angeblich »radikale« »Berliner Reform« verweigerte mir dieselbe.

Ich sandte nunmehr den Brief an die »Voßische Zeitung« mit dem ausdrücklichen Hinzufügen, daß, falls die Redaktion wider Erwarten und Verhoffen Anstand nehmen sollte, den Artikel als solchen aufzunehmen, ich sie ersuche, denselben als Inserat zu bringen und mir die Rechnung über die Insertionsgebühren zuzuschicken; hierauf erhielt ich von der Redaktion der »Voßischen Zeitung« die Antwort:

»Geehrter Herr!

Die Unterzeichnete bedauert, den von Ihnen übersandten anbei zurückfolgenden Artikel in keiner der von Ihnen gewünschten Formen zum Abdruck bringen zu können, da ihrer Meinung nach erhebliche preßgesetzliche (!) Bedenken gegen mehrere Stellen des Inhaltes entgegenstehen.«

Die vorgeschützten preßgesetzlichen Bedenken waren natürlich nur vorgeschützt! Ein gesetzlicher Grund zu einer Verfolgung des Artikels – die übrigens nur mich als den namentlichen Unterzeichner getroffen hätte – liegt keinesfalls vor, und jedenfalls konnte die »Voßische Zeitung« ruhig darüber hinwegsehen, wenn irgendeine ihrer unpolitischen Beilagen, in die sie den Artikel als Inserat relegieren konnte, mit Beschlag belegt wurde oder nicht.

Aber das ist die Preßfreiheit, welche die Berliner Organe der Fortschrittspartei der Demokratie gewähren, sobald es sich um irgendein nicht in den Gedankengang der Fortschrittspartei passendes Wort handelt!

Mundtot machen, totschweigen, unterdrücken alles was über den Gedankenkram der Fortschrittspartei hinausgeht – das ist die Taktik der Fortschrittspartei und ihrer Organe.

Wurde doch dieser Tage die motivierte Erklärung, mit welcher der Abgeordnete Martiny sein Mandat niedergelegt hatte, von keinem dieser Blätter – ebensowenig auch von der fortschrittlichen »Rheinischen Zeitung« – abgedruckt, weil sie unangenehm in das Ohr der Fortschrittspartei getönt hätte. –

An die Tür des Herrn Zabel – »Nationalzeitung« – noch anklopfen, wäre mehr als überflüssig gewesen. Denn mehr als irgendein andrer ist, wie ich aus früheren Erfahrungen sattsam weiß, er ein Meister, ein unerreichter Meister in dieser Kunst des Totschweigens und Unterdrückens!

Einen Moment lang schwankte ich – dahin ist die Demokratie in Preußen durch die Verschwörung der Fortschrittskoterie gekommen! –, ob ich den Brief nicht der »Kreuzzeitung« zusenden und von der Courtoisie eines Feindes die Möglichkeit, zu Worte zu kommen, in Anspruch nehmen sollte, die mir die Fortschrittsblätter verweigern.

Dann aber fiel mir ein, daß es unnötig wäre, der Verleumdungskunst der »Volkszeitung« diesen Gefallen zu tun. Es blieb mir noch der Weg der Veröffentlichung als Flugblatt, den ich hierdurch ergreife.

Berlin, den 13. Februar 1863

F. Lassalle

Macht und Recht

Geehrter Herr Redakteur!

In dem Leitartikel der »Berliner Reform« vom 7. Februar über die Adresse des Herrenhauses befindet sich folgender Satz:

»Graf Krassow stimmte Lassalle bei, daß der Konflikt eine Machtfrage sei.«

Bekanntlich ging von der »Volkszeitung« das Mißverständnis aus, als hätte ich in meinen Verfassungsbroschüren die Theorie aufgestellt, daß Macht vor Recht gehen solle. Auch im Publikum haben einige unklare Köpfe sich dieser geistreichen Auffassung hingegeben und dem Vernehmen nach bei Gelegenheit die Ansicht ausgesprochen, daß Herr v. Bismarck nur als mein Zögling handele.

Der obige Satz kann durch die Form seiner Fassung dazu Anlaß geben, bei anderen dies Mißverständnis zu bestärken. Und obgleich es schwer ist, auf dasselbe etwas anderes zu tun, als darüber zu lächeln, so will ich doch diese Gelegenheit zu folgenden flüchtigen Bemerkungen benutzen:

Wenn ich die Welt geschaffen hätte, so ist es höchst wahrscheinlich, daß ich sie ausnahmsweise in dieser Hinsicht nach den Wünschen der »Volkszeitung« und des Grafen Schwerin und also so eingerichtet hätte, daß Recht vor Macht geht.« Denn es entspricht dies ganz meinem eigenen ethischen Standpunkt und meinen Wünschen.

Leider aber bin ich nicht in der Lage gewesen, die Welt zu schaffen, und muß jede Verantwortlichkeit, so Lob wie Tadel, für ihre wirkliche Einrichtung ablehnen.

Jene Broschüren haben nun nicht zum Gegenstand, zu entwickeln, was sein sollte, sondern was wirklich ist; sie sind nicht eine ethische Abhandlung, sondern eine historische Untersuchung.

Und so zeigen sie denn, daß, während es ganz feststeht, daß Recht vor Macht gehen sollte, in der Wirklichkeit doch immer Macht vor Recht geht und allemal und solange geht, bis das Recht nun auch seinerseits eine hinreichendere Macht hinter sich gesammelt hat, um die Macht des Unrechts zu zerschmettern.

In jenen Broschüren ist nun einmal gezeigt, daß dies historisch so ist, zweitens aber – wie dies für eine Theorie erforderlich – sind daselbst auch die inneren Gründe entwickelt, welche es hervorbringen, daß in der Wirklichkeit Macht vor bloßem Recht geht; mit keinem Worte aber ist die für eine historische Untersuchung, deren Zweck nur darin besteht, aufzuzeigen, was ist, wildfremde Frage berührt, was nach meinem subjektiven Bewußtsein sein sollte! – Jene tiefergehenden theoretischen Gründe müssen hier aus dem Spiele bleiben. Aber in bezug auf den durch historische Tatsachen gegebenen Beweis erlauben Sie mir wohl, da wir uns gerade in der Woche der »vaterländischen Ereignisse« befinden, einige vaterländische Erinnerungen und Fragen:

Ging Recht vor Macht oder Macht vor Recht, als die preußische Nationalversammlung im November 1848 mit Bajonetten auseinander gesprengt wurde?

Ging Recht vor Macht oder Macht vor Recht, als die zur Revision einberufene Kammer trotz des Artikels 112 der oktroyierten Verfassung im Jahre 1849 von neuem aufgelöst wurde?

Ging Recht vor Macht oder Macht vor Recht, als im Juli 1849 das gesetzlich zu Recht bestehende allgemeine Wahlrecht aufgehoben und das Dreiklassenwahlgesetz oktroyiert wurde?

Ging Recht vor Macht oder Macht vor Recht, als nun dieses oktroyierte Dreiklassenwahlgesetz von einer aufgrund desselben einberufenen Versammlung genehmigt wurde, während dasselbe rechtlich und gesetzlich nur von einer aufgrund des bis dahin gesetzlich bestehenden allgemeinen Wahlrechts gewählten Kammer hätte genehmigt werden können?

Ging Recht vor Macht oder Macht vor Recht, als nun eine aufgrund dieses illegalen Dreiklassenwahlgesetzes gewählte Versammlung, die nichts als etwa ein Haufe von Notabeln aber keine gesetzliche Landesvertretung war, sich herausnahm, jenes Wahlgesetz und eine Verfassung zu genehmigen, wozu ihr nicht die geringste rechtliche Kompetenz innewohnte?

Und geht jetzt Recht vor Macht oder Macht vor Recht, wenn jetzt von neuem, wie die Kammer erklärt hat, die Verfassung von der Regierung gebrochen wird, die Regierung mit ruhigem Lächeln ihre Maßregeln aufrechthält und die Kammer trotzdem sich hierein ergibt und der Regierung durch ihr Forttagen den Schein einer konstitutionellen leiht?

Ich denke, jetzt sollte doch ein jeder den Glauben in die Hand bekommen haben, daß in der Wirklichkeit Macht vor bloßem Recht geht!

Aber selbst die Ehre, daß Herr v. Bismarck oder Graf Krassow als meine Eleven handeln, muß ich zurückweisen.

Der Handelnde trägt die volle Verantwortlichkeit für die sittliche und rechtliche Natur seiner Handlungen. Den theoretischen Untersucher der Geschichte aber kümmert nur, was objektiv ist und die Entdeckung der Gesetze, die dies bestimmen, nicht, was sein soll. Es tritt also bei ihm nicht eine Identifizierung seines subjektiven ethischen Standpunkts mit dem Inhalt seiner Erkenntnis ein, wie bei dem Handelnden mit dem Inhalt seiner Handlungen. Herr v. Bismarck bestätigt das, was ich historisch als die Natur der Wirklichkeit aufgezeigt habe. Aber ich habe keine ethische Vorschrift für das Handeln hierin gegeben, der Herr v. Bismarck folgen könnte.

Was bedeutet aber nach dem obigen der fromme Jubel, mit welchem die Kammer die Erklärung des Grafen v. Schwerin aufnahm, daß im preußischen Staate »Recht vor Macht« gehe? Fromme Kinderwünsche und weiter nichts! Denn eine feierlichere Bedeutung würde er nur bei Männern haben, die entschlossen wären, auch die Macht hinter das Recht zu setzen!

Was bedeutet es, wenn der Graf Schwerin davon nur zu sprechen wagt, daß »Recht vor Macht« gehe, er, der als Abgeordneter wie als Minister an den meisten der oben aufgeführten Rechtsbrüche positiven Teil nahm?

Es hat kein Mensch im preußischen Staate das Recht, vom »Recht« zu sprechen, als die Demokratie, die alte und wahre Demokratie! Denn sie allein ist es, die stets am Recht festgehalten und sich zu keinem Kompromiß mit der Macht erniedrigt hat.

Graf v. Schwerin hat nicht das Recht, vom Recht zu sprechen, denn er hat sich an den meisten jener Rechtsbrüche beteiligt.

Die »Volks eitung« hat nicht das Recht, vom Recht zu sprechen, denn sie hat lange die Notabeln-Verfassung und alle obenaufgezählten Rechtsbrüche akzeptiert und oft sogar beschönigt und verherrlicht.

Herr v. Unruh hat nicht das Recht, vom Recht zu sprechen, denn es befindet sich noch in den Schlußakten der Nationalversammlung von 1848 ein vom ihm niedergelegter Protest, worin er feierlich gegen alles das als null und nichtig und illegal protestiert, was er jetzt selbst tut.

Die Fortschrittspartei hat nicht das Recht, vom Recht zu sprechen, da sie die offenbarste Vergewaltigung desselben hinnimmt.

Die Demokratie – und das ist ihr Stolz! – hat allein das Recht, vom Recht zu sprechen, da sie allein den Bruch desselben niemals sanktioniert hat!

Wie oft haben uns nicht ebendeshalb die »Volkszeitung« und ähnliche Blätter vorgeworfen, daß wir abstrakte Rechtsjäger seien! Jetzt kehren sie den Spieß um und werfen uns vor, Machtjäger zu sein, nach »Machtpolitik zu jagen«! Umgekehrt! Die Demokratie ist stets unerbittlich beim Recht stehengeblieben. Aber die »Volkszeitung«, Graf Schwerin, Herr v. Unruh und die Fortschrittspartei sind es, die alle das Recht aufgegeben haben, um ein Stück Macht in diesem Handel zu erlangen. Und indem sie das Recht aufgaben, haben sie natürlich von der Macht, die sie für dasselbe eintauschen wollten, nichts anderes bekommen, als – wie sich gebührt, die Fußtritte!

Bei der Demokratie allein ist alles Recht – und bei ihr allein wird die Macht sein!

Zur Orientierung vieler sehr verwirrter Köpfe in dieser verwirrten Zeit ersuche ich Sie, geehrter Herr, das Gegenwärtige aufzunehmen, und alle Blätter, bei denen man sich solcher Billigkeit versehen kann, dasselbe gefälligst abzudrucken.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Berlin, 7. Februar 1863

F. Lassalle


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