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Parvenus

Leopold stand am frühen Morgen verschlafen und unfrisiert in einer hellblauseidenen Pyjama vor dem Spiegel seines Kleiderschrankes.

»Zu was man das nur des Nachts trägt,« sagte er. »Ich ließ es mer noch gefallen, wenn man 'n Visavis hätt'.«

Er betrachtete sich ein paar Male von rechts und links, schüttelte den Kopf, sagte halblaut »Püh«, trat dann vom Spiegel weg und ging an Emilies Bett.

»Aber so für dich! totes Kapital! – Für das, was wir uns des Nachts zu sagen haben, genügte ein Nachthemd am Ende auch.«

»De trägst den Pühjama nich meinet-, sondern der Leute wegen,« erwiderte Emilie. »Im übrigen eil' dich, damit Johann nich erst ärgerlich wird.«

»Ja,« stöhnte Leopold, »er stellt hohe Ansprüche und ist schwer zufriedenzustellen.«

»Er bekommt 120 Mark im Monat und will dafür auch etwas leisten. Im übrigen …«

In diesem Augenblick klopfte es an die Tür.

Leopold fuhr zusammen.

»Gnädiger Herr, ich stehe seit fünf Minuten und warte!« rief Johann in einem Tone, der nicht eben freundlich klang.

»Ich komm' schon,« antwortete Leopold.

Emilie richtete sich im Bette auf. »Was hast du nu da schon wieder?« sagte sie – »so geh doch endlich.«

Leopold stand vor der Truhe, die für schmutzige Wäsche bestimmt war, und betrachtete melancholisch ein Oberhemd, das schneeweiß aus der Truhe hervorlugte. Er zog es heraus und hielt es Emilie unter die Nase.

»Nu tu' mir die Liebe und sieh' dir das an,« bat er.

Emilie tat ihm den Gefallen.

»Nun bitt ich dich, das steckt er nun in die Wäsche! Nich ein Tippelchen! Mein Vater hält' das erst noch eine Woche lang liegen lassen, ehe er es überhaupt nur angezogen hätte.«

»Sag' nur nichts,« bat Emilie ängstlich.

»Ich werd' mich schwer hüten,« erwiderte Leopold, »dann hält er mir wieder stundenlang einen Vortrag, daß ein Gent die Wäsche wechselt, bevor sie Schmutz ansetzt, und ich versäume meine Generalversammlung.« Dann warf er sich einen Schlafrock aus Kamelhaar mit schwarzseidenen Aufschlägen über und ging hinaus. Auf dem Flur wartete Johann. Leopold wünschte ihm guten Morgen. Aber Johann schüttelte nur den Kopf, öffnete die Tür zur Badestube und sagte »Bitte!«

Draußen waren 6 Grad Kälte.

Leopold ging hinein, schob den Riegel vor die Tür, stellte sich vor die Wanne und lachte verschmitzt. Statt den Schlafrock auszuziehen, zog er die Schnallen fester, streifte einen Ärmel hoch, faßte in die Wanne, griff nach dem Thermometer, der auf dem Wasser schwamm, stellte 20 Grad fest, wandte den Kopf nach der Tür, lachte über das ganze Gesicht und brabbelte vor sich hin: »Ich möcht' ihn mal bei 6 Grad Kälte aus 'm Bett holen und hier rein setzen.«

Dann schob er den Stuhl neben die Wanne, holte die Zeitung aus der Tasche, setzte sich, las und plantschte hin und wieder mit der linken Hand im Badewasser herum.

Nach einer Weile stand er auf, fuhr mit dem Thermometer lebhaft im Wasser umher, so daß es sich laut bewegte, breitete das Badelaken aus, stippte es ganz leicht in die Wanne, knitterte es zusammen und warf es zur Erde.

Dann klappte er den Kragen in die Höhe und öffnete, grade als Johann der Kammerdiener kam, um ihm aus der Wanne zu helfen und das Laken umzulegen, die Tür und eilte, wie um sich vor Erkältung zu schützen, so schnell wie möglich in sein Schlafzimmer zurück.

Wie jeden Morgen, so hatte Luise, die Kammerzofe, im selben Augenblick, in dem sie Leopold in der Wanne vermutete, das Schlafzimmer betreten, und Emilie, die in Erinnerung an frühere Zeiten so gern des Morgens, ohne sich zu beschäftigen, wach im Bette lag, beim Aufstehen geholfen. Dann war sie ihr ins Ankleidezimmer gefolgt. Hier warteten bereits Selma, die Friseurin, und Louis, der Koch, der die alte Köchin, die sich durchaus nicht in das neue Zeremoniell des Hauses hatte finden können, abgelöst hatte.

Beide grüßten Emilie ehrerbietig, die, wie immer, mit einem nachlässigen Nicken des Kopfes dankte und dann mit bewundernswerter Nonchalance auf den Sessel, den Luise bereitstellte, niederglitt.

Ihre erste Frage war, wie jeden Morgen: »Was für'n Tag haben wir heute?«

Und Zofe, Friseurin und Koch antworteten einstimmig: »Sonnabend, gnädige Frau.«

Emilie gähnte.

»Bitte die Hand,« mahnte Luise, so dezent wie möglich.

»Natürlich,« sagte Emilie, während sie weiter gähnte und führte die Hand vor den Mund.

»Wenn die gnädige Frau während des Gähnens bitte nicht sprechen wollen,« bat Luise.

»Natürlich,« erwiderte Emilie, gähnte zu Ende, atmete tief auf und sagte dann: »Also Sonnabend.« Und sofort erinnerte sie sich, daß sie früher – ja früher! – alle Sonnabende Kartoffelpuffer gehabt hatten. Diese Gewohnheit stammte noch von den Eltern aus Gleiwitz her, und sie hatten sie übernommen, wie so manches andere, worauf sie nun als werdende Stützen der großen Gesellschaft verzichten mußten.

Kutscheressen! hatte Fräulein v. Hake, die zweimal wöchentlich gegen hohes Honorar Leopold und Emilie Unterricht in der Kunst des gesellschaftlichen Verkehrs erteilte, gesagt, als sie am vergangenen Samstag zufällig des Mittags mit herangekommen war; und dann hatte es unten in der Küche einen großen Skandal gegeben, dem Louis, der Koch, beinahe zum Opfer gefallen wäre. Der hatte sich auf die Autorität der gnädigen Frau berufen. Aber Fräulein v. Hake war ihm über den Mund gefahren.

»Hier haben Sie vorläufig die Autorität. Es ist Ihre Aufgabe, den Geschmack und den Gaumen dieser Leute zu bilden. Dafür beziehen Sie Ihr Riesengehalt. Wenn Sie nicht so viel Takt haben, um das fertig zu bringen, ohne daß es den Leuten zum Bewußtsein kommt, wer in Wahrheit Herr der Küche ist, dann sind Sie ein Kantinenwirt, aber kein Pariser Koch, der ein Ministergehalt bezieht!«

Emilie war trotz ihrer 42 Jahre gewiß die willigste Schülerin, die man sich denken konnte. Aber es gab doch Dinge, die gingen über ihre Kraft. Dazu gehörte der Verzicht auf die Kartoffelpuffer.

Als Louis, der Koch, das Menu für das Lunch um 1 Uhr und für das Diner um 6 Uhr in Vorschlag brachte, da war der Geschmack der Kartoffelpuffer bereits so lebhaft in ihr Bewußtsein getreten, daß sie fortwährend mit der Zunge schnalzte. Aber zu reden wagte sie nicht.

»Aber, gnädige Frau,« sagte Luise, die Kammerzofe, ganz entsetzt. »Was sind das für Geräusche? Das sollte Fräulein v. Hake hören.«

Doch in Emilie siegte der Trieb über die Kultur.

»Ich meine, daß wir vielleicht statt des Wellrebbitsch Kartoffelpuffer nehmen.«

»Nix zu machen,« wehrte Louis bestimmt; »sein zwar ganz hervorragend, das pommes de pouffe, bin Madame sehr obligé für die Rezept; aber nix für die Herrschaft! – – Wir in die cuisine machen uns das alle samedi. Wieviele personnes das sind heute?« fragte er.

Emilie nahm, um auf einen anderen Geschmack zu kommen, aus einer goldenen Dose, die auf dem Frisiertisch stand, ein Bonbon nach dem andern. Sie hatte schon etwa ein halbes Dutzend geräuschvoll kleingekaut und heruntergeschluckt, da sagte Luise, die Zofe:

»Ich fürchte, gnädige Frau werden sich den Appetit für das erste Frühstück verderben, – – und dann, wenn ich die gnädige Frau bitten darf, die Bonbons zu lutschen nicht kauen.«

Louis, der Koch, wandte sich schmunzelnd ab und klopfte an die Tür des Schlafzimmers, in dem man Leopold laut stöhnen hörte.

»Herein, wenn Sie's sind, Johann,« rief Leopold – »ich stehe in Unterhosen.«

Die Friseurin versengte vor Schreck eine Locke, die sie Emilie eben anstecken wollte, Luise schloß unwillkürlich die Augen, Louis der Koch kehrte der Tür ostentativ den Rücken, nur Emilie schmunzelte und dachte: mein Leopold macht sich. –

Eine Viertelstunde später kamen Leopold, Emilie und deren siebzehnjährige Tochter Jette nach vorn auf die geschlossene Veranda, um ihr erstes Frühstück zu nehmen. Johann stand kerzengerade ein paar Schritte entfernt. – Erst als die drei saßen, trat er an den Tisch, goß Tee ein, reichte Fisch, Toast und ham and eggs. Leopold und Emilie taten sich Zwang an und nahmen von allem, um Johann nicht zu kränken. Und als er auf einen Augenblick hinausging, atmeten alle auf, und Jette sprach das erlösende Wort:

»Entweder man gewöhnt sich an den Mumpitz und verblödet oder man lacht sich krank.«

»Jette!« rief Emilie entsetzt.

Aber Jette ließ sich nicht den Mund verbieten.

» Ihr seid so glücklich veranlagt, zu verblöden …«

»Jette!« brüllten jetzt beide ganz laut.

In diesem Augenblick öffneten sich alle drei Türen, die vom Korridor aus in das Verandazimmer führten. Johann erschien in der einen, Luise, die Zofe, in der andern, Miß Dawis, die neue Gouvernante, die erst seit gestern im Hause war, in der Mitteltür.

Sofort nahmen Leopold, Emilie und Jette wieder Haltung an. Emilie schob schnell ein Stückchen Semmel, das sie in der Hoffnung abgebrochen hatte, damit das Eigelb auf dem Teller aufzusaugen, beiseite; Leopold, der mit Hilfe des Daumens den Fisch auf die Gabel schob, griff ängstlich nach der zweiten Gabel; nur Jette sah ungeniert und belustigt alle drei der Reihe nach an und fragte:

»Die Herrschaften befehlen?«

»Der gnädige Herr und die gnädige Frau haben so laut den Namen des gnädigen Fräulein geschrien,« sagte Luise vorwurfsvoll, »daß das ganze Haus gezittert hat. Da wollte ich nur sehen, was dem gnädigen Fräulein eigentlich zugestoßen sei.«

»Ich auch,« sagte Johann, der Kammerdiener.

»Ich auch,« sagte Miß Dawis, die Gouvernante. »Muir sein der Schreck in den Glied gefahren.«

»Arme Miß,« jammerte Jette, und zu Luise und Johann gewandt, sagte sie: »Ich bin gerührt über so viel Teilnahme.«

Johann trat leise an Leopold heran, zog ihm die Serviette aus dem Hals, brabbelte leise »Unmanier« und legte sie ihm auf die Knie. Leopold setzte geniert die Tasse an den Mund, obgleich sie längst leer war. Luise warf schnell noch einen strafenden Blick auf Emilie, für die allein sie sich verantwortlich fühlte. Miß Dawis führte gelangweilt den langen Zeigefinger vor den Mund und gähnte. – Sie schlief nie die erste Nacht in einem neuen Bett. – Dann schlichen alle drei wie auf ein Zeichen wieder aus dem Zimmer.

»Papa, du kannst die Tasse hinsetzen,« flüsterte Jette, »sie sind raus.«

Leopold griff nach dem Tageblatt, das neben ihm lag, sah dann scheu zur Tür und schob es wieder zur Seite.

Jette drückte einmal auf den Knopf und klingelte.

»Was is?« fragte Emilie ängstlich.

»Papa, wisch dir das Ei aus dem Bart, Johann kommt.«

Leopold griff sich gewohnheitsgemäß hinter den Kragen. Jette lachte.

»Die wird längst auf der Erde liegen,« sagte sie, während Leopold mit einem »Ach richtig die Serviette auf seinem Schoße suchte.

»Du hast recht,« sagte er und beugte den Oberkörper nach vorn über. Aber sein dickes Bäuchlein ließ ihn nicht zum Ziele kommen. Er krebste mit den Armen in der Luft herum; aber so sehr er den Rücken krümmte, sie reichten nicht bis zur Erde. Jette klingelte gerade zum zweiten Male. In diesem Augenblick trat Johann ins Zimmer.

»Ich wünsche, daß Sie sofort erscheinen, wenn ich klingle,« fuhr Jette ihn an, »ein für allemal! Merken Sie sich das!«

Die Wirkung war fabelhaft. Leopold schoß nach vorn über und schlug mit dem Kopf auf den Boden. Emilie blieb ein Stück Fisch nebst Gräte im Halse stecken, und sie würgte mit einem puterroten Kopf und rang nach Luft.

Johann wurde bleich.

»Ich bitte um Verzeihung, gnädiges Fräulein,« flüsterte er ehrerbietig. »Es läutete gerade – ich mußte öffnen, der Herr Baron von Prittwitz sind gekommen.«

»Widersprechen Sie nicht!« gebot Jene energisch.

Johann krümmte den Rücken.

»Da,« und sie wies auf Leopold, »richten Sie den gnädigen Herrn auf.«

Johann mühte sich um Leopold und brachte ihn wieder zum Sitzen.

Emilie krächzte noch immer.

»Geben Sie der gnädigen Frau einen Schluck Tee,« befahl Jette.

Johann führte den Befehl aus.

»Klopfen Sie der gnädigen Frau auf den Rücken.«

Johann zögerte.

»Wird's bald!« brüllte Jette.

Johann klopfte. Der Tee kam wieder heraus, aber mit ihm der Fisch und die Gräte.

»Die Serviette!« brüllte Jette. »Haben Sie nicht so viel Manieren!« Johann hielt Emilie die Serviette vor. Emilie bekam wieder Luft; sie entfärbte sich und kehrte bald in ihren natürlichen Zustand zurück.

»Und nun«, rief Jette und wies zur Tür, »den Herrn Baron! Wir lassen bitten!«

Johann kroch zur Tür hinaus.

»So,« sagte Jette, »und nun wißt ihr hoffentlich, wie's gemacht wird.«

*

Baron von Prittwitz betrat mit einem kleinen Strauß Orchideen, die er in der linken Hand hielt, die Veranda.

Johann blieb in der Tür stehen.

Als der Baron auf den Frühstückstisch zuschritt, gab Johann Emilien, die gerade im Begriff war, sich zu erheben, ein Zeichen und markierte mit dem Munde: »S-i-t-z-e-n-bleiben!« worauf Leopold, der gerade aufgestanden war, sofort auf seinen Platz zurückkehrte.

Prittwitz überreichte Emilien die Orchideen, begrüßte dann Jette und sagte zu Leopold, der wie angegossen wieder auf seinem Stuhle saß, indem er ihm die Hand reichte:

»Bleiben Sie ruhig sitzen, mein lieber Herr Lesser!« worauf Leopold erregt aufsprang und sagte:

»Wie man's macht, macht man's falsch; der eine sagt aufstehen, der andere sitzen bleiben.«

Aber Jette wies grinsend auf Johann, der ganz verzweifelt an der Türe stand und fortgesetzt beide Arme in die Höhe warf, zum Zeichen, daß Leopold aufstehen solle.

Prittwitz lachte laut.

»Gott sei Dank,« rief Jette, »das tut einem ordentlich wohl. Endlich ein Naturlaut!«

Auch Leopold und Emilie lachten, – aber nicht mit dem Herzen, sondern aus Verlegenheit.

»Bitte,« sagte Leopold und lud Prittwitz ein, sich zu setzen.

»Nehmen Sie eine Tasse Tee?« fragte Jette.

»Gern,« erwiderte Prittwitz und setzte sich.

Johann eilte an den Tisch und goß ihm Tee ein.

»›Haben Sie vormittags Geschäfte?« fragte Prittwitz.

»Sonnabends nie,« erwiderte Leopold.

»Ach!« rief Emilie entsetzt und stieß ihn unter dem Tisch an.

Leopold verstand und erschrak: »Das heißt, das hat nichts damit zu tun,« verbesserte er.

Prittwitz lächelte und sagte: »Selbstverständlich nicht, das wäre ja auch – na, zum mindesten inkonsequent, nachdem Sie einmal Ihre Überzeugung gewechselt haben.«

»Den Glauben meinen Sie,« verbesserte Jette.

Emilie wurde unruhig und winkte ab.

»Wozu immer diese Gründlichkeit,« schalt sie.

»Sie hat ganz recht,« sagte Leopold, »was hat das mit der Überzeugung zu tun. Das sind geschäftliche oder meinetwegen gesellschaftliche Rücksichten, wie alle andern auch.«

»Das versteh ich nicht,« sagte Jette.

»Nun,« erwiderte Leopold – »wenn ich 'n Papier hab' und bin innerlich noch so fest davon überzeugt, es ist gut und es kommt 'ne Konkurrenz, die an sich zwar nichts taugt, die vielleicht nichts anderes als ein vergröberter Abklatsch von meiner guten Ware ist, – ich weiß aber, gottlob, wer hinter der Sache steht, und daß die Leute durchhalten, zu gesund noch hundert Jahre, – und ich habe die Möglichkeit, mein gutes Papier, das nichts bringt, einzutauschen gegen das andere, das ja bringt, na, sagen Sie selbst, wäre ich nicht ein Esel und versündigte mich gegen meine Kinder, wenn ich's behielte?«

»Ein entzückender Vergleich!« sagte Jette. »Beinahe geistreich – Dir fehlt doch nichts, Papa?«

»Jette!« rief Leopold, »was fällt dir ein?«

»Du solltest nicht so oft, und vor allem nicht so laut ›Jette‹ rufen,« sagte Emilie, »du weißt doch,« – und sie wies auf die drei Türen, durch die auf den letzten Aufschrei hin Luise, die Zofe, Johann, der Diener, und Miß Dawis, die Gouvernante, herbeigeeilt waren, – »überhaupt, ich weiß nicht – …«

»Was?« fragte Leopold.

»Nu,« sagte Emilie und schüttelte den Kopf, – – »Jette – ich kann mer nich helfen, mir gefällt der Name nich.«

»Was bedeutet denn das nun wieder?« fragte Jette

»Ich kann mir nich vorstellen – ich suche doch nur schon seit vierzehn Tagen – seitdem wir das Tageblatt mit der Täglichen Rundschau vertauscht haben, in allen Hof- und Gesellschaftsberichten – ich bin dabei auf die verrücktesten Namen gestoßen – aber Jette –« sie zog die Schultern hoch, – »– Jette habe ich nirgends gefunden.«

»Umtaufen!« rief Jette belustigt. »Sie müssen nämlich wissen, Baron, Jette hieß meine Großmutter Cohn aus Neutomischel.«

»Oh, oh!« schrie Emilie und hielt sich die Hand vors Gesicht.

» Mamas Mutter!« unterstrich Jette.

»Wer denkt daran noch,« jammerte Emilie.

»Wollen Sie mal das Bild sehen?« fragte Jette, »eine gute, liebe alte Frau. Ich hole es Ihnen, es hängt über Mamas Bett. Oh, Sie unterschätzen Mama, sie ist sehr pietätvoll.«

Jette ging zur Tür.

»Sucht ihr inzwischen nach einem andern Namen. Vielleicht nach deiner Großmutter, Papa?«

»Ich verbiete dir …« zitterte Emilie.

Aber Jette trat an den Tisch zurück, legte den Arm um ihre Mutter und sagte: »Aber ich bitt dich, Mama, Rebeckchen ist doch ein allerliebster Name. Such' nur mal nach in der Hofgesellschaft. Ich wette, daß du ihn findest.« Dann lief sie laut lachend aus dem Zimmer.

»Ein Wildfang,« sagte Prittwitz, als sie draußen war.

»Sie macht es uns schwer,« klagte Emilie, »statt daß sie es uns erleichtert.«

»Das findet sich von selbst,« beruhigte sie Prittwitz. »Lassen Sie Ihr Fräulein Tochter erst einmal in unsere Kreise kommen! Ich bin sicher, daß sie das Tempo Ihres Aufstiegs nicht aufhält, sondern beschleunigt.«

»Gott gebe es,« sagte Leopold.

»Leopold!« rief Emilie vorwurfsvoll, »so nimm doch endlich deine Gedanken zusammen.«

Leopold und Prittwitz sahen sich erstaunt an.

»Immer diese blamablen Rückfälle!« schalt sie. Und als er noch immer nicht begriff, sagte sie ganz empört. »Du mußt dir doch endlich einmal die alttestamentarischen Redensarten abgewöhnen.«

»Was hab' ich gesagt?« fragte Leopold.

Emilie schüttelte den Kopf.

»Ich wiederhol's nicht,« erklärte sie bestimmt.

»Gott gebe es! hab' ich gesagt, soviel ich weiß,« wiederholte Leopold.

Emilie hielt sich die Ohren zu.

»Leopold, ich bitt dich, hör auf,« bat sie.

»Das ist doch aber nicht alttestamentarisch,« nahm ihn Prittwitz in Schlitz.

»Was?« rief Emilie, »was soll das heißen? – Gott, – ich kann's gar nicht hören, – das ist doch jüdisch und nicht christlich.«

Prittwitz senkte den Kopf, um nicht zu lachen. Leopold sagte nur:

»Du übertreibst,« und nach einer Weile sagte er: »nun weiß ich's selbst nicht mehr sicher.«

»Im übrigen haben Sie nicht ganz unrecht,« meinte Prittwitz, »Jette, – nun, zum mindesten ist es fern aristokratischer Name, und da Sie nun sowieso Ihren Familiennamen von Lesser in Lasser gewandelt haben, was ich übrigens sehr glücklich finde, kein Mensch kommt in fünf Jahren mehr auf den Gedanken, daß Sie jemals Lesser hießen, – nun, so ließe sich vielleicht bei dieser Gelegenheit auch Jette in …«

»Aus Jette ist nichts zu machen,« unterbrach ihn Emilie lebhaft, »ich habe mir schon den Kopf zerbrochen.«

»Wieso nicht?« widersprach Leopold, »zum Beispiel Hannchen?«

Prittwitz begriff das nicht.

Aber Emilie leuchtete es ein und sie sagte: »Na ja, aber wenn schon, da nimmt man doch lieber gleich etwas ganz anderes, – ich dachte an Viktoria.«

»Viktoria Lesser?« sagte Prittwitz und verzog den Mund.

»Lasser,« verbesserte Emilie streng.

»Richtig, verzeihen Sie,« erwiderte Prittwitz, »natürlich Lasser. – Viktoria Lasser, – nun, schön klingt das auch nicht gerade –«

In diesem Augenblick betrat Jette wieder das Zimmer.

»Aber Mama, das ist ja doch unglaublich,« begann sie ganz außer sich. »Sämtliche Familienbilder sind ja aus deinem Schlafzimmer heraus! – Vor drei Tagen hingen sie doch noch alle an ihrem alten Fleck. Was ist denn damit geschehen?«

»Sind wir nicht alle andere geworden seit voriger Woche?« fragte Emilie; »ich wenigstens fühle keinen Zusammenhang mehr.«

»Aber mit dem Zeug, das jetzt da bammelt, fühlst du ihn?« unterbrach sie Jette.

»Das sind künstlerische Reproduktionen,« erwiderte Prittwitz, »für die ich die Verantwortung trage,« und zu Leopold gewandt fuhr er fort: »Ich habe übrigens auch die Stiche vorn in den beiden Salons entfernt und durch die Neuanschaffungen, von denen ich Ihnen gestern sprach, ersetzt. Ich wollte, daß sie, wenn Beers mittags das erstemal zu Ihnen kommen, bereits hängen.«

»Bis dahin kann ich mir doch unmöglich die Namen der Maler einprägen,« klagte Emilie.

»Wenn Sie nur zwei, drei kennen, das genügt schon, und wenn Sie sie schließlich auch durcheinanderwerfen, – so macht's auch nichts. Beers wissen selbst nicht Bescheid. Nicht einmal mit ihren eigenen Bildern.«

»Und was ist aus dem Ruwens geworden?« fragte Leopold.

»Genau wie besprochen,« erwiderte Prittwitz. »Exzellenz Keim hat bis zu 8000 Mark für das Bild geboten, um es dem Kaiser-Friedrich-Museum zu sichern. Ich habe es für 8500 erstanden.«

»Nu, und?«

»Nun hängt es seit heute früh über Ihrem Schreibtisch – macht sich ganz wunderbar!«

»Was hab' ich davon?« fragte Leopold.

»Nun zunächst mal kennt der Mann Ihren Namen, das ist schon immerhin was. Und weiß, daß Sie ein Mäzen sind.«

»Schön, – und weiter?« fragte Leopold.

»Alles weitere lassen Sie mich nur machen. Ich treffe in diesen Tagen mit ihm zusammen – da werde ich ihm sagen, daß ich Sie kenne, daß Sie ein großer Mäzen sind.«

Emilie nahm sich vor, das Wort zu merken.

»... Und eventuell nicht abgeneigt wären, das Bild dem Kaiser-Friedrich-Museum zu überlassen.«

»Warum nicht?« erwiderte Leopold, »wenn er mir fünfhundert Mark draufzahlt …«

»Aber ich bitt Sie, liebster Herr Lesser …«

»Lasser,« verbesserte Emilie.

»Natürlich, Lasser, verzeihen Sie, gnädige Frau.«

»Bitte, lieber Baron,« erwiderte Emilie und verneigte sich.

»Aber selbstverständlich müssen Sie ihm die Zeichnung für die Sammlung kostenlos überlassen, – sozusagen als Geschenk an Seine Majestät den Kaiser.«

»Ah, ah, ah,« rief Emilie und fuhr in die Höhe.

»Was ist dir, Mama?« fragte Jette.

»Nichts,« erwiderte sie, »es geht schon vorüber.«

»Ich denke,« fuhr Prittwitz fort, »Seine Exzellenz wird dann den Wunsch äußern, das Bild noch einmal zu sehen und wird sich zu diesem Zwecke von mir bei Ihnen einführen lassen.«

Leopold nickte mit dem Kopfe.

»Wen laden wir noch dazu?« fragte Emilie ganz aufgeregt, »wenn der Exzellenz kommt?«

»Der Verkehr von Haus zu Haus würde sich wohl erst allmählich, – eventuell erst nach der zweiten oder dritten Schenkung, – entwickeln,« meinte Prittwitz.

»Unberufen,« brabbelte Leopold und multiplizierte achttausendfünfhundert mit drei.

»Nur muß ich Ihnen sagen, mein lieber Herr Lasser, –« er sah unwillkürlich zu Emilie, die befriedigt mit dem Kopfe nickte, » – Lasser,« wiederholte er noch einmal, um es sich einzuprägen. Und zum Überfluß sagte Jette:

»Gott sei Dank, jetzt haben Sie's endlich raus. Wenn Papa, um sich den Namen der Maler seiner Bilder einzuprägen, auch so lange Zeit gebraucht …«

»Ich bitt dich!« unterbrach Leopold gekränkt. »Ich kenn' doch den Ruwens!«

»Eben wegen dieses Rubens«, sagte Prittwitz, »halte ich es für meine Pflicht, Ihnen zu sagen, daß tue Echtheit angezweifelt wird.«

»Wessen?« fragte Leopold.

»Die Echtheit dieses Bildes,« erläuterte Prittwitz.

»Was heißt das?« fragte Leopold wütend. »Was ist das for 'ne Frechheit. Heut, wo der Ruwens – oder irr' ich mich –« er schwankte, aber nein! – doch längst tot ist!«

»Ich muß Ihnen sogar noch mehr sagen. Exzellenz Keim ist so ziemlich der einzige, der das Bild für echt hält.«

»Was heißt: der einzige?« widersprach Leopold. »Ich halt' se auch für echt. Meinen Se, ich hätte sonst achttausendfünfhundert Mark dafür bezahlt?«

Prittwitz lachte. »Sie haben ganz recht,« sagte er.

»Ich bitt Sie, wo der Ruwens zu gesund – also wie lange tot ist?«

»Dreihundert Jahre,« erwiderte Prittwitz.

Leopold strahlte über das ganze Gesicht.

»Ich wünschte, alle meine Geschäfte wären so glatt! Da ließ ich mir von niemand was dreinreden, – leider sind se's nich,« sagte er ziemlich verdrießlich.

»Und wie steht es mit meinem Namen?« fragte Jette. »Habt ihr inzwischen etwas gefunden, was zu der Exzellenz, dem Rubens und den Böcken paßt? Wie ist es mit Maud?«

»Was heißt Mod?« fragte Emilie. »Das ist doch kein Name!«

»Doch,« widersprach Jette, »so heißt die kleine Komtesse, bei der Miß Dawis in Stellung war, bevor sie zu meiner Gouverneuse befördert wurde.«

Das wirkte.

»Nicht übel,« sagte Prittwitz.

Emilie war entzückt, sie stand auf, trat an Jette heran, legte die Hand auf ihren Kopf, beugte sich über sie, küßte ihr die Stirn und sagte:

»Mod!«

»Bitte Komtesse Maud,« erwiderte Jette.

»Nehmen wir es als einen Wink des Schicksals,« sagte Emilie, und dabei sah sie so verständnisinnig zum Baron Prittwitz hinüber, daß der, wie immer in unangenehmen Situationen, sein Monokel aus dem Auge nahm und ganz verlegen zur Seite sah.

»Schade,« sagte Jette und sah den Baron grinsend von der Seite an.

»Was ist schade?« fragte Emilie.

»Nun, daß Herr von Prittwitz nur Baron ist, – denn unter einer Komtesse machst du es doch nicht, nicht wahr, Mama?«

»Und was wird aus Ernst Litten, dem jungen Dichter?« fragte Prittwitz wie zur Abwehr.

»Recht so!« stimmte Leopold bei. »Fahren Sie ihr gehörig über den Mund. Sie verdient's nicht bester.«

»Litten? – Litten? Junger Dichter?« verstellte sich Jette, – Richtig!« rief sie plötzlich, »ich entsinne mich, war das nicht der Verlobte von dieser netten, kleinen Jüdin Jette Lesser? Aber natürlich! Jetzt entsinne ich mich ganz genau! – Ja, mein lieber Baron, Sie müssen unbedingt etwas für Ihre Nerven tun! Sie verwechseln ja. Sie werfen ja durcheinander, Sie können ja nicht einmal mehr Jette Lesser von Maud Lasser unterscheiden! Wäre ich empfindlich, so hätte ich jetzt Grund, gekränkt zu sein.«

Miß Davis, die Gouvernante trat ins Zimmer. Prittwitz stand auf, Jette stellte vor.

Miß Dawis wandte sich an Jette und sagte:

»Die italienische Lehrerin ist da zu das Unterricht, Fräulein Jette.»

»Maud, bitte,« verbesserte Jette.

Die Miß verzog den Mund.

»Allen Ernstes, ich heiße von heute ab Maud.«

Die Miß lächelte.

»Jette klingt meiner Mama zu jüdisch.«

Die Miß zeigte die Zähne.

»Der Name ist Ihnen ja geläufig, und wenn Sie versehentlich mal Komtesse sagen, so entläßt Mama Sie darum auch nicht.«

Die Miß grinste.

»Aber die Italienerin schicken Sie nur nach Hause, wir haben zum Lunch Besuch. Beers kommen.«

»Vielleicht …« sagte Emilie zögernd.

»Was?« fragte Jette.

»Ich meine, es macht sich vielleicht ganz gut, wenn die englische und die italienische Miß beim Lunch wären.«

»Gar nicht übel, Mama,« sagte Jette. »Sie machen Schule, Baron.«

»'n bißchen viel,« meinte Prittwitz, »aber vielleicht für Beers das Richtige.«

»Also soll die italienische Miß bleiben,« entschied Emilie.

»Sie versteht gar nisch meine Deutsch, die italienisch Miß,« sagte Miß Dawis. »Wuenn vielleicht Komtesse Jette sie sagen wollte …«

»Das durfte nicht kommen!« rief Jette, stand auf, schob Miß Dawis durch die Tür und ging dann selbst hinaus.

Kaum war sie draußen, da fragte Leopold:

»Wie weit is es mit dem Kommerzienrat?«

»Ich denke bestimmt, daß die Ernennung bis zur nächsten Woche heraus sein wird,« erwiderte Prittwitz.

»Das wäre ein Pech,« rief Emilie, »wenn es nach unserm Diner käme!«

»Das ist nicht anzunehmen,« erwiderte Prittwitz. »Im übrigen wollte ich Ihnen noch sagen, Herr Kommerzienrat …«

»Hören Se auf,« unterbrach ihn Emilie, »ich kann's gar nich hören!« und klopfte dreimal unter den Tisch.

»Sie werden sich bald genug daran gewöhnen müssen,« sagte Prittwitz. »Aber, – was ich sagen wollte, – nur damit Sie's wissen, diese fünfzigtausend Mark, die Sie für den Kommerzienrat gegeben haben, sind nicht, wie ich erst annahm, für Fliegerzwecke, sondern für ein neues Kirchenfenster in der Gertraudenkirche verwandt worden.«

»Wohltat bleibt Wohltat,« erwiderte Emilie.

»Und was richtiger ist, der Erfolg bleibt derselbe,« sagte Leopold und lachte.

»Fängst du auch schon an, wie … wie … jetzt habe ich den Namen meiner Tochter vergessen.«

»Maud,« sprang ihr der Baron bei.

»Richtig!« dankte Emilie und wiederholte: »Maud!«


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