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Peter der Große und Alexis

Peter. So bist du aus Wien zurückgekehrt, der du aus dem Hause deines Vaters geflüchtet bist? Nach diesem Schimpf, den du mir vor den Augen von ganz Europa angetan, wagst du es, vor mir zu erscheinen?

Alexis. Mein Kaiser und Vater! Man hat mich mit Gewalt vor das Angesicht Eurer Majestät geführt; mein Wunsch und Wille ist es nicht, daß ich hier stehe.

Peter. Das glaube ich wohl.

Alexis. Ich wollte Euch keinen Verdruß bereiten.

Peter. Was hofftest du mit der Flucht nach Wien zu erreichen, Rebell?

Alexis. Ich hoffte auf Frieden und Verborgenheit; ich hoffte auf Sicherheit, und vor allem hoffte ich, niemals wieder Euren Zorn zu erregen.

Peter. Diese Hoffnung ist dir erfüllt worden. Du hast dir also eingebildet, mein Bruder von Oesterreich werde dich an seinem Hof behalten – sprich!

Alexis. Nein, Herr! Ich glaubte, er werde mir einen Zufluchtsort gewähren.

Peter. Du hast also Geld mit dir genommen?

Alexis. Ein paar Goldstücke.

Peter. Wieviele?

Alexis. Etwa sechzig.

Peter. Für die Hälfte dieses Geldes würde er dir Versprechungen gemacht haben; aber für die doppelte Summe hättest du noch kein Haus kaufen können, unwissender Schwächling!

Alexis. Das wußte ich, obwohl ich von Geburt nicht dazu bestimmt schien, irgendwo ein Haus zu kaufen; Eure Güte, mein Vater, hatte mich bis zur Zeit mit allem versehen, was ich bedurfte.

Peter. Nicht mit Weisheit, nicht mit Pflichtgefühl, nicht mit Tatkraft, nicht mit Mut und Ehrgeiz. Ich habe dich zwischen meinen Garden und Pferden erzogen, zwischen meinen Trommeln und Trompeten, zwischen meinen Flaggen und Masten. Als du ein Kind warst und kaum gehen konntest, habe ich dich mit mir ins Zeughaus genommen, obwohl Kinder diese Stätte den Verordnungen nach nicht betreten sollen. Ich habe dort Kanonenkugeln über eiserne Platten rollen lassen, habe dir glänzende neue Waffen gezeigt, Bajonette und Säbel, habe meine Hände blutig gestochen, habe dich das Blut lecken lassen und habe dasselbe mit deinen Händen getan. Später, von deinem zehnten Jahre an, habe ich Schießpulver in deinen Grog gemischt; ich habe deine Pfirsiche gepfeffert; ich habe Kimmwasser, mit ein wenig gutem, heilsamen Teer darin, über deine Melonen gegossen; ich habe Mädchen angestellt, dich zu verspotten und dir schön zu tun, und habe sie geheißen, wie die Matrosen zu sprechen, alles, um dich mutiger zu machen. Nichts wollte helfen! Denke daran, wie ich dich selbst ans Fenster geführt habe, wenn Burschen gehängt und erschossen wurden. Tag für Tag habe ich dir halbe und gevierteilte Körper gezeigt; ich habe eine Ordonnanz oder einen Kämmerling nach den abgeschlagenen Köpfen geschickt, habe ihnen die Mütze von den Augen gezogen und habe dich gezwungen, ihnen fest ins Gesicht zu sehen, du unverbesserlicher Feigling!

Und nun noch ein Wort über deine schimpfliche Flucht aus dem Palast, noch dazu in einer Zeit des Friedens! Zur Sache! Hat dich mein Bruder von Oesterreich eingeladen? Ja oder nein?

Alexis. Wird Seiner Kaiserlichen Majestät aus meiner Antwort kein Nachteil oder Schaden erwachsen?

Peter. Welchen Schaden könnte deine oder irgendeines anderen Zunge dem antun, der an hohem Platze steht?

Alexis. Er hat mich jetzt nicht eingeladen; nein, er hat es nicht getan. Ich kann auch nicht behaupten, daß er mich je eingeladen habe; aber er hat gesagt, er bemitleide mich.

Peter. Warum? Halt deinen Mund; wir wollen das übergehen. Fürsten bemitleiden nur, wenn sie Verräter brauchen; dann werden ihre Herzen weicher als Eingeweide. Er bemitleidete dich, die gute Seele, weil er dich gegen deinen Vater ausspielen wollte; da er aber gemerkt hat, daß dein Vater ihm gewachsen ist, so bemitleidet er jetzt den Vater, beklagt den Ungehorsam und die Unbesonnenheit des Sohnes und möchte um keinen Preis etwas tun, das Gottes Zorn erregen könnte. Indessen muß zuerst irgendein Entgegenkommen von seiner Seite stattgefunden haben, denn du bist zu schamhaft, um dich aufzudrängen. Komm – du hast nie Witz genug zum Lügen gehabt – sag mir die Wahrheit, die volle Wahrheit.

Alexis. Er sagte, sein Hof stehe mir jeder Zeit offen, wenn ich eine Zuflucht brauchen sollte.

Peter. Offen! Schenken stehen offen, aber die Leute bezahlen für das, was sie dort genießen. Offen, wahrhaftig! Haben sich seine Worte bewahrheitet?

Alexis. Er empfing mich freundlich.

Peter. Das sehe ich.

Alexis. Spott verdiene ich nicht, mein Vater!

Peter. Richtig, richtig! Es war meine Absicht nicht.

Alexis. Gütiger Vater! Bestraft mich, wie es Euch gut dünkt.

Peter. Schurke! Du willst auch noch meine Hand küssen? Weißt du nicht, daß der Oesterreicher dich so gleichgültig von sich geworfen hat, als seiest du das unterste Blatt eines sandigen, verdorrten Lattichs?

Alexis. Ach wehe mir! Ich weiß es nur zu gut!

Peter. Er entließ dich auf meinen Befehl. Hätte ich seine Tochter von ihm gefordert, um sie einem Kalmücken zum Bettgenoß zu geben, er würde sie mir geschickt und Gott gepriesen haben.

Alexis. O Vater! Ist es mein Verbrechen, daß er so niedrig denkt?

Peter. Nein, dein Verbrechen ist größer. Ich weiß, daß es deine Absicht ist, die Einrichtungen umzustürzen, die meine Lebensarbeit sind. Du hast dich nie über meine Siege gefreut.

Alexis. Ich habe mich gefreut, wenn Ihr glücklich waret und unverletzt heimkehrtet.

Peter. Lügner! Feigling! Verräter! Hast du mir in deinem Herzen Glück gewünscht, wenn Polen und Schweden vor mir fielen, hast du dich daheim oder im Lager betrunken? Hast du den Herrn der Heerscharen und den heiligen Nikolaus gepriesen? Warst du nicht still, höflich und niedergeschlagen?

Alexis. Ich beklagte den unersetzlichen Verlust so vieler Menschenleben; ich beklagte, daß die Tapfersten und Edelsten zuerst hinweggerafft, daß die Gütigsten und Häuslichsten vor allen anderen in Trauer versenkt wurden; daß Mäßigkeit durch Prasserei ersetzt, Ordnung von Verwirrung abgelöst wurde, und daß Euer Majestät die glorreichen Pläne zerstörte, die nur Ihr allein fähig waret, zu ersinnen.

Peter. Ich sie zerstören! Wie? Von was für Plänen sprichst du?

Alexis. Den Moskowitern die Zivilisation zu bringen. Die Polen waren schon teilweise zivilisiert; die Schweden waren weiter, als irgendein anderes Volk Europas. Sie waren so erfahren in der Kriegskunst, so mutig, daß jeder Mann, den Ihr erschlugt, Euch sieben oder acht Leute kostete.

Peter. Du lügst; nicht einmal sechs. Und zivilisiert, wahrhaftig? Pah, die Gewänder des Metropoliten zu Upsala sind unter Juden und Livornesen nicht drei Dukaten wert. So wahr ich lebe, Polen und Schweden sollen nicht die einzigen Länder sein, die große Fürsten hervorbringen. Was haben sie für ein Anrecht auf einen Gustav Adolf und einen Sobieski? Europa sollte sich vorsehen, auf daß die Unzufriedenheit nicht allgemein wird und das Volk an uns tut, was wir am Volke zu tun berechtigt sind. Ich verschwende meine Worte; mit so ausgemachten Narren, wie du einer bist, läßt sich nicht reden. So würde es also nach deinem Herzen gewesen sein, wenn ich die Polen und Schweden in Ruhe gelassen hätte! Zwei so mächtige Nationen!

Alexis. Weil sie so mächtig sind, und auch aus anderen Gründen hätte ich sie gern ruhig gesehen, bis unser Volk größer und reicher geworden ist.

Peter. So streitest du mir ins Gesicht das Recht ab, die höchste Gewalt auszuüben?

Alexis. Herr! Das wolle Gott nicht!

Peter. Das wolle Gott nicht, wirklich! Was fragen solche Schurken wie du nach dem Willen Gottes? Er will nicht, daß der Sohn sich gegen den Vater auflehnt; er will nicht – zwanzigerlei Dinge will er nicht. Es ist weder mein Wunsch, noch meine Absicht, einen Nachfolger zu haben, der von Toten träumt.

Alexis. Mein Vater! Ich habe nie von Toten geträumt.

Peter. Gewiß hast du das und hast auch über sie gesprochen – Skythen, glaube ich, nennt man sie. Nun, Herr Professor, wer sagt dir, daß diese Skythen ein glücklicheres Volk waren als wir; daß sie unschuldig waren; daß sie frei waren; daß sie mit ihren Karren von Weide zu Weide, von Fluß zu Fluß zogen; daß sie ehrlich waren im Handel und mutig im Kampf; daß sie niemand kränkten, niemand fürchteten und in keines andern Land einbrachen? Auf solche Art habe ich es nicht getrieben. Man hat mir in Holland erzählt, daß der große Gründer von Rom seinen Bruder erschlug, weil er über die Schwäche seiner Mauern spottete. Soll der Gründer dieser mächtigeren Stadt einen entarteten Sohn schonen, der ein Landstreicherdasein einem geordneten Leben, einen Karren einer Stadt, einen Skythen einem Moskowiter vorzieht? Habe ich mein Volk nicht rasiert, habe ich ihm nicht Hosen angezogen? Habe ich nicht regelrechte Armeen mit Musikkapellen und Tornistern aus ihm geschaffen? Sind Bogen und Pfeile besser als Kanonen, Schafhirten besser als Dragoner, Stutenmilch besser als Branntwein, rohes Fleisch besser als gebratenes? Deine Grundsätze zerstören die Wurzeln jeder Bildung und jeder vernünftigen Regierung. Alle Fürsten Europas sollten sie im eigensten Interesse mit Feuer und Schwert ausrotten.

Es gibt keine anderen Mittel gegen falsche Lehren. Worte gegen Worte nützen wenig.

Alexis. Herr, ich habe nie versucht, meine Meinungen zu verbreiten.

Peter. Wie hättest du das machen sollen? Die Saat wäre auf Granit gefallen. Die aber, welche ein paar Körner auffingen, haben sie mir gebracht.

Alexis. Ich habe die Zivilisation nie unterschätzt, im Gegenteil, ich habe alles verwünscht, was ihr im Wege stand. Meiner Ansicht nach entspringen alle Uebel, die man ihr vorwirft, aus ihrer Unvollkommenheit und ihren Lücken. Noch hat es kein Volk sehr weit mit ihr gebracht.

Peter. Wieso? Sag mir deine Gründe – oder vielmehr deine Grillen; denn Gründe hast du nicht.

Alexis. Wenn ich sehe, wie die Männer, die an Rang und Geist am höchsten stehen, sich untereinander hassen und zu Verleumdern und Lügnern werden, weil sie einen Gegner erniedrigen und beschimpfen wollen; wenn ich höre, wie man den Gott der Gnade um Beistand für ein Blutvergießen anruft und wie man ihm für seine Hilfe dankt bei Taten, die er verwirft und verdammt; dann suche ich vergeblich unter den barbarischen Völkern der Vergangenheit nach schlimmerer Barbarei. Ich habe meiner Bewunderung für unsere Vorfahren Ausdruck gegeben, weil sie, die keine Christen waren, ein tugendhafteres Leben führten, als ihre christlichen Nachkommen, mäßiger, gerechter, aufrichtiger, keuscher und friedlicher.

Peter. Bösartiger Atheist!

Alexis. Freilich, mein Vater, wenn ich bösartig wäre, müßte ich auch ein Atheist sein; denn Bosheit verträgt sich nicht mit dem Glauben an Gott und ist seinen Geboten zuwider.

Peter. Bin ich der Zar der Moskowiter und lasse mir Reden über Vernunft und Religion halten? Noch dazu von meinem eigenen Sohne! Nein, bei der heiligen Dreieinigkeit! Du bist kein Sohn von meinem Blut. Wenn du mein Knie noch einmal berührst, so zerbreche ich dir die Gelenke mit diesem Pfeifenstock; ich wünschte um deinetwillen, es wäre ein Schmiedehammer. Fort, du kriechender Schmeichler! Fort, du entlaufener Sklave!

Alexis. Vater! Vater! Mein Herz ist gebrochen! Wenn ich Euch kränkte, so vergebt mir!

Peter. Der Staat fordert, daß ich dich unerbittlich strafe.

Alexis. Wenn der Staat es fordert, so muß es sein; aber nehmt eines Vaters Zorn von mir!

Peter. Die Welt mag über uns richten. Ich will dich mit Schande brandmarken.

Alexis. Bis jetzt, o Vater, hatte ich kein rechtes Gefühl für den Ruhm. Höret mich, o Zar! Laßt nicht etwas so Niedriges wie mich zwischen Euch und die Welt treten! Schafft Euch keine Ankläger!

Peter. Mich anklagen, Empörer! Mich anklagen, Verräter!

Alexis. Gebt niemand Gelegenheit, schlecht von Euch zu sprechen, o mein Vater! Die Stimme des Volkes erschüttert den Palast; die Stimme des Volkes dringt bis ins Grab; sie geht dem Wagen des allmächtigen Gottes voran, und beim Jüngsten Gericht wird ihr Gehör gegeben.

Peter. Der Teufel hole die Stimme des Volkes! Ich will hier in Petersburg nichts von ihr hören. Unsere Kirche sagt nichts über sie; unsere Gesetze verbieten sie. Mit dir aber, unnatürliches Scheusal, will ich auch nichts mehr zu tun haben!

Hallo! Kanzler! Was! Kommst du endlich! Warst du eingenickt oder zähltest du deine Dukaten?

Kanzler. Ich stehe Eurer Majestät zur Verfügung.

Peter. Ist der Senat da drinnen versammelt?

Kanzler. Vollzählig, Herr.

Peter. Nimm diesen Jüngling mit dir und laß ihn richten: Du verstehst mich.

Kanzler. Die Befehle Eurer Majestät sind der Atem unsres Mundes.

Peter. Wenn die Kerle ihre Pflicht nicht tun, so versuche ich auf ihren Rücken, wie meine neue Ladung Hanf aus Livland beschaffen ist.

Kanzler ( kommt zurück). Herr! Herr!

Peter. Sprich, Bursche! Gewiß haben sie sich nicht die Zeit genommen, die Anklage zu lesen, und haben ihn nicht zum Tode verurteilt. Wie kämest du sonst so schnell zurück?

Kanzler. Nein Herr! Keines von beiden ist geschehen.

Peter. Dann sag deinem Kopf lebewohl.

Kanzler. O Herr!

Peter. Verdammt dein albernes »Herr!« Was treiben sie?

Kanzler. Wehe! Er fiel.

Peter. Dann bindet ihn an den Stuhl fest. Feige Kreatur! Warum fiel er?

Kanzler. Die Hand des Todes, der Name seines Vaters haben ihn getroffen.

Peter. Du sprichst in Rätseln; drücke dich deutlicher aus.

Kanzler. Wir verkündeten ihm, daß sein Verbrechen klar und erwiesen sei; daß er sein Leben verwirkt habe.

Peter. So weit tatet ihr gut.

Kanzler. Er lächelte.

Peter. Wirklich! Er lächelte? Frechheit wird ihm wenig helfen. Wer hätte das von diesem Milchgesicht erwartet! Weiter – was geschah dann?

Kanzler. Er seufzte ein paarmal und sagte ruhig: »Führt mich zum Schafott; ich bin des Lebens müde; niemand hat mich lieb.« Ich zeigte ihm meine Teilnahme, weinte auf seine Hand und hielt das Papier mit dem Urteil an die Brust gedrückt. Er nahm eine Ecke davon zwischen seine Finger und sagte: »Verlest mir, was auf diesem Papier steht; verlest mir mein Todesurteil. Euer Schweigen und Eure Tränen haben es mir schon verkündet; aber das Gesetz hat seine Formen. Laßt mich nicht lange in Ungewißheit. Mein Vater hat nur allzu recht: Ich bin nicht mutig; aber der Tod, der mich zu meinem Gott bringt, wird mich niemals schrecken.«

Peter. Ich habe solche blassen Gesellen entschlossen sterben sehen, in schweigendem Ingrimm, wie die weißen Frettchen mit ihren wässrigen Augen und winzigen Zähnen. Ihr verlast das Urteil?

Kanzler. Zum Teil, Herr! Als ich las, daß Eure Majestät ihn des Verrats, der Empörung und des versuchten Vatermordes anklage, da fiel er lautlos nieder. Wir hoben ihn auf; er rührte sich nicht; er war tot!

Peter. Unbedachter, barbarischer Häscher, du; einen solchen Unfall berichtest du einem Vater, und einem Vater, der noch nicht zu Mittag gegessen hat! Bring mir ein Glas Branntwein.

Kanzler. Erlauben Eure Majestät, daß ich einen – einen –

Peter. Fort und hole es, Schurke! Alle sollt ihr mich bedienen und mir gehorchen, einer wie der andere.

Höre! Du kannst die Flasche mitbringen. Ich muß mich abkühlen – und – höre! eine Schnitte Speck, wenn dir dein Leben lieb ist! Und etwas gepökelten Stör, und etwas Kraut und Kaviar, und guten, kräftigen Käse.


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