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Tiberius und Vipsania

Tiberius. Vipsania, meine Vipsania, wohin gehst du?

Vipsania. Wen sehe ich? – Meinen Tiberius?

Tiberius. Ach! Nein, nein, nein! Aber du siehst den Vater deines kleinen Drusus. Drücke ihn zärtlicher an dein Herz um dieses Wiedersehens willen und gib ihm –

Vipsania. Tiberius! Die Altäre, die Götter, das Schicksal stehen zwischen uns – ich will den Kuß von dieser Hand nehmen; so, so soll er ihn von mir empfangen.

Tiberius. Hebe dein Antlitz auf, meine Geliebte! Ich möchte keine Tränen vergießen. Augustus, Livia, nicht eine sollt ihr mir auspressen. Vipsania! Dein Haupt darf ich küssen, denn ich habe es gerettet. Du sagst nichts. Ich habe dir ein Unrecht angetan; wie?

Vipsania. Ehrgeiz hat keine Augen für das Erdreich, auf dem er wandelt. Gras und Felsen sind eins für ihn. Ich will dich vor meinem Herzen entschuldigen, o Tiberius; es verlangt nach so vielem, danach aber vorerst und am heißesten.

Tiberius. Mein Ehrgeiz ist es nicht, der uns trennt; das schwöre ich dir bei den unsterblichen Göttern. Eine stärkere Hand, die Hand, welche Rom in Ordnung hält und die Welt regiert. –

Vipsania. Tiberius fürchtet sich! Ich weiß es; es war Befehl und Wille des Augustus.

Tiberius. Tiberius fürchtet sich! Wen hat nicht Macht gebeugt, wen hat nicht Tod geschreckt! Will man unser Haus verachten, will man auf uns niedersehen? Augustus, mein Wohltäter, ich habe dir unrecht getan! Livia, meine Mutter, diese grausame Tat war dein! Wahrlich, es ist süß zu herrschen. O weibliche Begierde! Als ich müßig auf den Klippen von Rhodus saß, der Sonne nachblickte, wie sie ihr goldenes Räucherfaß über den Himmel schwang, oder ihrem Spiegelbilde, wie es übers Meer wanderte, da fiel es mir nicht ein, jemand über mir zu fühlen, und hätte es so viele Cäsaren gegeben, daß sich im Kaiserpalast zu Rom die Balken unter ihnen gebogen hätten. Es steht mir vor Augen, das Spiegelbild der Sonne, und wenn ich auch meine, es wolle mich erdrücken, so kann ich es doch anlächeln, wie damals von meinem kleinen Lieblingsnachen aus, auf dem die Hochzeit der Thetis gemalt war. Die Bootsleute zogen sich ihre langen zottigen Haare über die Augen, um sich vor der Blendung zu schützen, wenn wir noch Stadien davon entfernt waren.

Das waren auch glückliche Tage. An solche Tage des Glückes kann ich mit schmerzlosem Erinnern zurückdenken.

O Griechenland! Tiberius segnet dich; mögest du in Freuden gedeihen.

Warum, Vipsania, kehren die herrlichen, lichten Stunden nicht wieder, die wir verlebten?

Vipsania. Tiberius! Sprichst du zu mir? Ich wollte dich nicht unterbrechen; aber mir war, als hörte ich meinen Namen, da du dich entferntest und den Blick so heimlich nach Osten wandtest.

Tiberius. Wer hat es gewagt, dich zu rufen? Du warst mein vor den Göttern – können sie es leugnen? War es meine Schuld? –

Vipsania. Da wir getrennt sind, und für immer, o Tiberius, so laß uns nicht mehr darüber grübeln, was uns getrennt hat. Wir wollen beide nicht an eine Schuld des anderen glauben; dann wird die Trennung weniger schmerzvoll sein.

Tiberius. O Mutter! Sagte ich dir nicht, wie sie geartet ist? Geduldig in Kränkung, stolz in Unschuld, heiter im Kummer!

Vipsania. Hast du das auch gesagt? Aber ich glaube, es war so; ich hatte noch wenig Kummer gefühlt. Eine mächtige Welle hat die Erinnerung an kleinere Wellen aus meinem Gedächtnis fortgewaschen. Wie konnte Livia, wie konnte deine Mutter, die mir so freundlich gesinnt war –

Tiberius. Die Gattin des Kaisers hat es getan. Aber höre mich jetzt an; höre mich an und sei ruhig wie ich. Niemand ist so schwach wie eine Mutter, die ihren Sohn unmäßig liebt; und niemand ist so leicht von anderen zu bereden. Wer weiß, was für Antriebe sie empfing. Sie ist sehr, sehr gütig; aber sie denkt nur an mich, und wie sie mich schmücken und fördern kann. Alle Schwachen schauen nach Macht aus, denn sie ist die Beschützerin der Schwäche. Du bist eine Frau, o Vipsania! Ist keine Stimme in dir, die meine Mutter entschuldigt? Sie ist immer so gut zu mir gewesen, so liebevoll!

Vipsania. Ich vergebe ihr alles; sei ruhig, o Tiberius!

Tiberius. Niemals werde ich Frieden haben – niemals werde ich verzeihen können – niemandem. Mit Trennung haben sie mir gedroht, mit deiner Gefangenschaft, deiner Verbannung! Sie haben mir bedeutet, daß es Himmelsstriche gebe, die deiner Gesundheit gefährlich werden könnten. Da sah mir der Tod ins Antlitz, und ich gab nach. Sie haben gedroht, uns unsern kleinen Sohn zu nehmen – unsern einzigen Knaben, unser hilfloses Kind – ihn, der geschrien hat, weil wir ihn beide zugleich küßten! Erinnerst du dich? Oder hörst du mich nicht? Du wendest dich weg von mir!

Vipsania. Ich höre; ich höre! O schweige, geliebter Tiberius! Tritt nicht auf diesen Stein; mein Herz liegt darunter.

Tiberius. Ha, da stand wieder der Tod vor mir, mehr als der Tod. Oh, sie machte mich rasend, meine Mutter, rasend machte sie mich; sie hat mich in eines Atems Länge dahin gebracht, wo ich bin. Selbst die Götter können mich nicht wieder zu dem machen, was ich war; auch sie können mich nicht trösten, nicht versöhnen und mir meine Vernunft nicht zurückgeben. Zu wem kann ich mich flüchten; wem kann ich mein Herz öffnen; mit wem kann ich offen sprechen? Ich hatte auf Erden einen Mann, mit dem ich furchtlos reden konnte; ich hatte auch eine Frau, die ich furchtlos lieben konnte. Was für ein Krieger, was für ein Römer war dein Vater, o meine junge Braut! Wie konnten die, welche ihn nicht gekannt haben, so Schönes über die Tugend sagen!

Vipsania. Diese Worte kühlen meine Brust, als drückte ich seine Aschenurne ans Herz. Er war tapfer: Wird Tiberius des Mutes ermangeln?

Tiberius. Meine Feinde verspotten mich. Ich bin ein Kranz, der vom Triumphwagen gefallen ist, den man aufnimmt und ansieht, um des Platzes wegen, den er geschmückt; dann wirft man ihn weg und lacht darüber. Senatoren! lacht, lacht! Es könnte sein, daß eure Verdienste noch einmal ihren Lohn empfangen – seid guten Mutes! Ratet mir in eurer Weisheit, womit ich euch dienen kann, ihr Väter Roms!

Vipsania. Das klingt wie Spott; Tiberius hat früher nicht so gelächelt.

Tiberius. Damals hatten sie mir noch nicht Glück gewünscht.

Vipsania. Wozu?

Tiberius. Es war nicht um ihrer Schönheit willen – denn sie fanden sie schön –, auch nicht um ihrer Tugend willen – denn ich weiß, daß sie tugendhaft ist; es war, weil die Blumen auf dem Altar mit meinem Herzblut getränkt waren. Dazu haben sie mir Glück gewünscht. Ihr Tag wird kommen. Ihre Söhne und Töchter sind so, wie ich sie mir wünsche: Würdig, ihre Nachfolger zu sein.

Vipsania. Wo ist die Gelassenheit, die Entsagung, die Gottesfurcht, wo das Herz voll treuer Zärtlichkeit geblieben?

Tiberius. Wo ist meine Liebe? – meine Liebe?

Vipsania. Weine nicht so laut, Tiberius! Es ist ein Echo hier. Soldaten und Sklaven könnten uns überraschen.

Tiberius. Und könnten meine Tränen sehen? Es ist kein Echo hier, Vipsania; warum mich so erschrecken? Wir sind hoch über dem Echo: die Stadt liegt unter uns. Mich dünkt, sie erzittert und wankt, – täte sie es doch! – von den marmorgefaßten Ufern des Tiber bis hinauf an diesen Felsen. In meinem Hirn ist ein sonderbares Surren und Murmeln; wenn ich noch eifriger lauschte, würde ich hören, wie die Dächer Roms im Sturze prasseln, und würde vor Freude jauchzen.

Vipsania. Ruhig, o mein Liebster! Werde Herr dieser furchtbaren Anwandlung.

Tiberius. Sprach ich so laut? Habe ich wirklich meine Stimme einem verlornen Tone nachgeschickt, um ihn zurückzurufen; und du hieltest ihn für ein Echo? Willst du nicht lachen mit mir über diesen Irrtum, wie du es früher getan? Was sagte ich zu dir, mein süßes Lieb, als ich befahl – ich weiß nicht, wem – bei Todesstrafe zurückzutreten? Warum starrst du mich so angstvoll an? Habe ich deinen Fingern wehe getan, Kind? Ich lasse sie los; nun laß mich dir ins Angesicht sehen! Du wendest deine Augen von mir. Oh! Oh! Mein Verbrechen tönt mir in den Ohren! Unsterbliche Götter! Ich habe euch laut geflucht, und vor dem Antlitz der Sonne habe ich meiner Mutter geflucht.


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