Selma Lagerlöf
Der Ring des Generals
Selma Lagerlöf

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11

Adrian Löwensköld lag in seinem Giebelzimmerchen in der Mansarde und schlief, als er durch ein leichtes Geräusch geweckt wurde. Er schlug die Augen auf, und da die Fensterläden nicht verschlossen waren und draußen eine helle Sommernacht war, sah er deutlich, wie die Türe aufglitt. Er glaubte, es sei ein Windzug, der sie geöffnet hatte, aber sah nun in die Türöffnung eine dunkle Gestalt treten, die sich spähend in das Zimmer vorbeugte.

Adrian unterschied ganz deutlich einen alten Mann in einer aus der Mode gekommenen Reiteruniform. Ein Elchlederkoller schimmerte unter dem etwas aufgeknöpften Rock hervor, die Stiefel reichten bis über die Knie, und den langen Haudegen hielt er erhoben, wie um nicht damit zu rasseln.

»Wahrhaftig, das ist der General,« dachte der junge Baron. »Das ist recht. Hier soll er einen sehen, der keine Furcht vor ihm hat.«

Alle anderen, die den General gesehen hatten, pflegten zu sagen, daß er verschwand, sobald man den Blick auf ihn heftete. Aber so kam es diesmal nicht. Noch lange nachdem Adrian ihn entdeckt hatte, blieb der General in der Türe stehen. Nach ein paar Minuten, als er sich vergewissert zu haben schien, daß Adrian seinen Anblick ertragen konnte, hob er die eine Hand und winkte ihn zu sich.

Adrian setzte sich sofort im Bett auf. »Jetzt oder nie,« dachte er. »Endlich verlangt er meine Hilfe, und ich werde ihm auch folgen.«

Eigentlich hatte er durch viele Jahre auf diesen Moment gewartet. Er hatte sich darauf vorbereitet, seinen Mut im Hinblick darauf gestählt. Er hatte immer gewußt, daß dies etwas war, was er durchmachen mußte.

Er wollte den General nicht warten lassen, sondern ganz so, wie er aus dem Bette kam, folgte er ihm. Er riß nur eine Decke an sich und hüllte sich hinein.

Erst als er mitten im Zimmer stand, kam es ihm in den Sinn, daß es doch eine gefährliche Sache sein konnte, sich einem Wesen aus der anderen Welt zu überantworten, und er wich zurück. Aber da sah er, wie der General beide Hände nach ihm ausstreckte wie in verzweifeltem Flehen.

»Was sind das für Torheiten?« dachte er. »Soll ich Angst bekommen, bevor ich auch nur das Zimmer verlassen habe?«

Er näherte sich der Türe. Der General schritt vor ihm auf den Dachboden hinaus, aber ging die ganze Zeit rücklings, wie um sich zu vergewissern, daß der junge Mann ihm folgte.

Als Adrian die Schwelle überschreiten und das Zimmer verlassen sollte, um sich auf den Dachboden hinauszubegeben, fühlte er wieder einen Schauer des Entsetzens. Etwas sagte ihm, daß er die Türe zuschlagen und in sein Bett zurückeilen sollte. Er begann zu ahnen, daß er sich über seine Kräfte getäuscht hatte. Er war nicht einer von jenen, die, ohne Schaden zu nehmen, in die Geheimnisse der anderen Welt hineinzublicken vermögen.

Doch hatte er noch ein kleines bißchen Mut übrig. Er sprach sich selbst Vernunft zu und sagte sich, daß der General ihn doch sicherlich nicht in irgendwelche Gefahren locken wollte. Er wollte ihm nur zeigen, wo der Ring sich befand. Wenn er nur noch ein paar Minuten aushielt, würde er erreichen, was er durch so viele Jahre erstrebt hatte, und konnte den müden Wanderer der ewigen Ruhe zurückgeben.

Der General war mitten auf dem Dachboden stehen geblieben, um auf ihn zu warten. Es war hier dunkler, aber Adrian sah doch deutlich die düstere Gestalt mit den flehend ausgestreckten Händen. Er ermannte sich, trat über die Schwelle, und die Wanderung begann von neuem.

Der Geist strebte der Treppe zu, und als er sah, daß Adrian nachkam, begann er den Abstieg. Noch immer ging er rücklings, blieb auf jeder Stufe stehen und schleppte den zaudernden Jüngling durch die Macht seines Willens mit sich fort.

Es war eine langsame Wanderung mit vielen Unterbrechungen, aber sie wurde doch fortgesetzt. Adrian versuchte sich Mut zu machen, indem er sich zurückrief, wie oftmals er vor den Schwestern geprahlt und gesagt hatte, daß er dem General folgen würde, wann immer er ihn rief. Er erinnerte sich auch, wie er von Kindheit auf vor Verlangen gebrannt hatte, das Unbekannte zu erforschen und in das Verschlossene einzudringen. Und jetzt war der große Augenblick gekommen, jetzt folgte er einem Gespenst in das Ungewisse hinaus. Sollte ihn seine elende Feigheit hindern, jetzt endlich etwas zu erfahren?

Auf diese Weise zwang er sich auszuharren, aber er hütete sich, dem Gespenst ganz nahe zu kommen. Sie waren immer durch ein paar Ellen Zwischenraum getrennt. Als Adrian mitten auf der Treppe stand, befand sich der General am Fuß derselben. Als Adrian auf der untersten Treppenstufe stand, war der General unten im Flur.

Hier aber blieb Adrian wieder stehen. Zur rechten Hand, dicht neben der Treppe, hatte er die Türe zu dem Schlafzimmer der Eltern. Er legte die Hand auf die Klinke, aber nicht um zu öffnen, nur um sie liebevoll zu streicheln. Man denke, wenn die Eltern wüßten, daß er hier draußen in dieser Gesellschaft stand! Er sehnte sich danach, sich in die Arme seiner Mutter zu stürzen. Es dünkte ihm, daß er sich ganz in die Gewalt des Generals gebe, wenn er diese Türklinke losließ.

Während er noch so mit der Hand auf der Klinke dastand, sah er, wie die eine Flurtüre aufgeschoben wurde und der General über die Schwelle trat, um ins Freie hinauszugehen.

Sowohl auf dem Dachboden wie auf der Treppe war es recht dämmrig gewesen, aber durch die Türöffnung kam ein stärkeres Licht hereingeströmt, und in diesem Licht sah Adrian zum ersten Male die Gesichtszüge des Generals.

Es war das Antlitz eines alten Mannes, wie er es erwartet hatte. Er kannte es sehr wohl von dem Gemälde im Salon. Aber über diesen Zügen ruhte nicht der Frieden des Todes, aus diesen Zügen sprach ein wildes Gelüste, um den Mund schwebte ein grausiges Lächeln des Triumphes und der Siegesgewißheit.

Aber dies, zu sehen, wie irdische Leidenschaften sich in einem Toten abspiegelten, war etwas Erschreckendes. Weit, weit entfernt von menschlichen Gelüsten und Leidenschaften wollen wir uns unsere Toten denken. Weit entfernt von allem Irdischen wollen wir sie sehen, nur von himmlischen Dingen erfüllt. In diesem Wesen, das sich an das Irdische anklammerte, glaubte Adrian einen Verführer zu sehen, einen bösen Geist, der ihn ins Verderben ziehen wollte.

Er wurde von Grauen überwältigt. In besinnungsloser Angst riß er die Türe zum Schlafzimmer der Eltern auf, stürzte hinein und rief: l

»Vater! Mutter! Der General!«

Und im selben Augenblick fiel er ohnmächtig zu Boden.

*

Die Feder entfällt meiner Hand. Ist es nicht vergeblich, dies niederschreiben zu wollen? Mir ist die Geschichte im Dämmerschein am Kaminfeuer erzählt worden. Ich höre noch die überzeugende Stimme. Ich fühle den richtigen Gespensterschauer über den Rücken laufen, jenen Schauer, der nicht nur vom Grauen, sondern auch von der Erwartung herkommt.

Wie gespannt lauschten wir nicht gerade dieser Geschichte, weil sie ein Ende des Schleiers vor dem Unwißbaren zu lüften schien! Welch sonderbare Stimmung hinterließ sie doch, so als hätte sich eine Türe aufgetan, so als sollte nun endlich etwas aus dem großen Dunkel hervortreten!

Wieviel ist daran wahr? Die eine Erzählerin hat sie von der anderen geerbt, die eine hat hinzugefügt, die andere hat weggelassen. Aber birgt sie nicht wenigstens einen kleinen Kern von Wahrheit? Macht sie nicht den Eindruck, die Schilderung von etwas zu sein, das sich wirklich begeben hat?

Der Geist, der im Schloß Hedeby umging, der sich am hellichten Tage zeigte, der in den Gang des Haushalts eingriff, der verlorene Sachen wieder herbeischaffte, wer war er, was war er?

Ist nicht etwas ungewöhnlich Deutliches und Festes in seinem Auftreten? Unterscheidet er sich nicht durch eine gewisse Eigenart von den vielfältigen Schloßgespenstern? Sieht es nicht aus, als hätte Jungfer Spaak ihn wirklich die Äpfel an die Wand des Speisesaales werfen hören, und als sei ihm der junge Baron Adrian tatsächlich über den Boden und die Treppe hinunter gefolgt?

Wer in diesem Fall, in diesem Fall . . . vielleicht, daß einer von jenen, die schon jetzt die Wirklichkeit sehen, die hinter der Wirklichkeit liegt, in der wir jetzt leben, das Rätsel deuten kann.



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