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§ 41 Die Errettung des Kandaules. In Alexanders, der heimkehrte, Lager kamen in der Nacht einige Reiter gesprengt in zerrissenen Kleidern, verstaubt und blutbedeckt. Da der König ruhte, in einen leichten und für ihn seltenen Schlummer versunken, so wurden die Ankommenden von Alexanders Würdenträger Ptolemaios empfangen. Ein Jüngling, angetan mit reicherem Kleide, erklärte, er sei Kandaules, der Sohn der ruhmreichen Königin Kandake, und daß er mit seinem Weibe auf das Fest der Mysterien des Sommers gezogen sei; unterwegs habe sie eine Horde Räuber überfallen, sein Weib geraubt, einen Teil der Diener und das Vermögen – und ihn verwundet in der Wüste hingeworfen. Nachdem Ptolemaios dies angehört, begab er sich zu dem bereits erwachten König, welcher verabredete, daß in Gegenwart der Ankömmlinge er, Alexander, als Antigonos angesprochen werde, Ptolemaios aber als König. In der Nacht wurde der Rat versammelt beim Schein der Fackeln, wobei Alexander den vermeintlichen König überredete, Kandaules zu helfen, unverzüglich das Lager der Räuber zu überfallen und die geraubte Prinzessin zurückzuholen. Der betrübte Jüngling fiel ihm um den Hals, rufend: »O wärest du doch nicht Antigonos, sondern Alexander!« Wenig Mühe kostete es, die Räuberhorde zu schlagen und die Gefangenen zu befreien, aber dem erfreuten Kandaules erschien dies als eine sehr ungewöhnliche Tat, da die Dankbarkeit zwingt, die erwiesene Wohltat zu vergrößern. Er flehte Ptolemaios und seinen Stellvertreter Antigonos an, die wunderbare Residenz seiner Mutter Kandake zu besuchen, welche weit durch ihre Wunder berühmt war. Alexander nahm es gern an, nicht so aus Neugierde, sondern auch aus Dankbarkeit gegen die Königin, die schon früher ihm zum Geschenk Gold, Elfenbein, Ebenholz, Perlen, eine Smaragdkrone, Tierfelle, gezähmte Tiere und äthiopische Sklaven geschickt hatte. Nach zwei Tagen Reisens erblickten sie inmitten der Ebene gerade, bewaldete Hügel – das waren die hängenden Gärten der äthiopischen Königin.
§ 42 Kandake. Sie wurden von der Königin Kandake und ihren Söhnen empfangen, die durch Boten benachrichtigt waren. Sie war groß und stattlich, Olympias ähnlich; ihre großen Augen strahlten würdevoll und königlich; ein enges weißes Gewand hinderte ihre Schritte und machte noch sichtbarer die braune Farbe des Gesichts und der Hände. Sklavinnen trugen Fächer hinter ihr, und Neger führten einen weißen Elefanten mit einer silbernen Laube auf dem Rücken. Die Königin eilte zum Sohne, aber jener trat zurück und sagte: »Küsse zuerst, Mutter, meinen Befreier«, auf Alexander weisend. Nachdem Kandake ihn geküßt, sagte sie: »Schon längst sehnte ich mich, dich zu erblicken, ruhmvoller König …« »Ich bin nicht der König, ich bin Antigonos. Alexander folgt mir«, sagte der König, auf Ptolemaios in seiner prächtigen Krone weisend. Lächelnd verneigte sich die Königin vor dem Edelmanne. Nach einem feierlichen Mahle führte Kandake ihre Gäste, ihnen die Stadt zu zeigen, goldene Äpfel, melonengroße Nüsse, Hähne, auf denen Krieger ritten, Panther, deren Knochen Glas schneiden, Krokodile, die mit ihrem Harn Bäume verbrannten, einäugige Menschen, Riesen und das böse Geschlecht der Viper. Das Vipernweibchen hat eine Öffnung nicht weiter als ein Nadelöhr, so daß es nur den männlichen Schoß verzehrend zu zeugen vermag. Die Jungen erblicken die Welt, den Schoß durchbeißend, als Vater- und Muttermörder vor der Geburt, erscheinen stets paarweise – ein Bruder und eine Schwester. Drosseln, weiße, graue und schwarze Bären setzten die Griechen in Verwunderung. Nachts auf dem Feste fragte Kandake: »Wie haben euch, liebe Gäste, meine Wunder gefallen?« Alexander sagte: »Wäre all das bei den Griechen zu finden, so würden alle staunen.« Die Brauen runzelnd, wandte sich die Königin an Ptolemaios: »Und du, König, was sagst du?« – »Wahrlich, ich dünke mich im Lande der Wunder!« rief der betroffene Grieche. Da traten äthiopische Mädchen ein und begannen zu tanzen auf einem großen runden Spiegel, der vorher von einem Teppich zugedeckt war, und es schien, als würden sie auf einem durchsichtigen Teiche jagen und kreisen. Die Königin fragte wieder: »Und wie gefallen euch meine Tänzerinnen?« Alexander kam wieder Ptolemaios in der Antwort zuvor, indem er sagte: »Wahrlich, ich dünke mich im Lande der halb verbrannten Holzscheite! Warum verbrennt die Sonne so grausam deine Untertanen, daß sie Kohlen gleichen?« Kandake sagte nichts, aber nach dem Schluß des Festes faßte sie den König bei der Hand, und ihn zu sich ins Schlafgemach führend, sagte sie: »Jetzt werde ich dir zeigen, was auch dich in Verwunderung setzen wird, du Antigonos, der sich über nichts wundert!« Und sie reichte ihm ein Stück Leinwand, auf der in zarten Farben Alexanders Gesicht konterfeit war. Der König schwieg, und die Königin fuhr fort: »Was sagst du nun, großer König? Warum bist du versteckt zu mir gekommen, so daß ich dich nicht empfangen konnte, wie es sich geziemt?« – »Verzeih, Königin, den unschuldigen Betrug und verrat mich nicht!« Kandake antwortete mit leichtem Lächeln: »Ich werde dich nicht verraten, aber gehorche den Sitten meines Landes: Noch ist kein König von mir gegangen, ohne mein Gemahl geworden zu sein!« – »Wie, Königin?« rief der Gast, aber das Weib wand ihre Arme um seinen Hals und küßte seine Lippen, zärtliche Worte der Leidenschaft flüsternd, und flocht die langen schwarzen Zöpfe auf, riß ihr enges weißes Kleid ab und bedrängte, nackt, den König so sehr, daß er, zum Schwerte greifend, rief: »Laß ab, Unvernünftige, gedenkst du Alexandern zu verderben?!« Ihren braunen Leib zurückwerfend sagte die Königin unter Lachen: »Alexander! Alexander! Hast gegen ein Weib das Schwert entblößt!« In diesem Augenblick tat sich die Tür mit Gepolter auf, und es stürzte hinein, trunken, Ptolemaios, hinter ihm der älteste Prinz Thoas, dem sein Bruder Kandaules mit langer Pike folgte. Ptolemaios stürzte zu Alexander und rief: »König, rette! rette! Dieser Wahnsinnige will mich töten!« Thoas hielt inne und schrie: »Da also ist er, der Mörder meines ruhmvollen Schwiegervaters Poros! Da ist der makedonische Hund!« Und stürzte sich auf den König. Indem die Pike, von Kandaules in den Rücken des Bruders gebohrt, zu Tode den wütenden Thoas traf, den Mann von Poros' Tochter. Alexander schaute schweigend den Brudermord an, und die nackte Königin, die sich zu spät zwischen die Kämpfenden warf, stieß vergeblich durchdringende Schreie aus. Kaum noch lebend lag Ptolemaios, sozusagen immer weiter um Schutz flehend, vor den Füßen des Königs. Kandake nackt und barhäuptig erblickend, rief Kandaules: »Mutter, was hast du?« – Alexandern seitlings anblickend. Die Hände gen Himmel gehoben, rief die Königin laut: »Wahrhaftig, der König Alexander ist keusch!« Als Kandake am Morgen von den reichbeschenkten Gästen Abschied nahm, da sprach sie: »Ich scherzte, du hast es verstanden? Ich glaubte dem Gerüchte nicht, aber du bist der Liebe unzugänglich.« Alexander lächelte und antwortete: »Auch ich dachte, daß du mich prüfest, ich scherzte ebenfalls«, und berührte den Zügel des Pferdes.
§ 43 Die Amazonen. König Alexander ging wieder in die Wüste und gedachte nach Babylon zu ziehen. Bald kamen sie zu einem großen Fluß, wo die kriegerischen Amazonenjungfrauen lebten. Der König, der schon längst von ihrer Tapferkeit gehört hatte, schickte Ptolemaios, sie um eine kriegerische Abteilung zu bitten und ihre Sitten zu erfahren. Nach einiger Zeit kam mit dem zurückgekehrten Ptolemaios ein Hundert hoher mannsähnlicher Frauen mit ausgebrannten rechten Brüsten, kurzen Haaren, in Männerschuhwerk und bewaffnet mit Lanzen, Pfeilen und Schleudern. Sie sprachen mit rauhen, heiseren Stimmen und rochen nach Ziegenschweiß. Sie erzählten folgendes: »Wir leben, König, jenseits des Flusses. Nur Jungfrauen, regiert von der ältesten Jungfrau; wir weiden unsere Herde, lenken die Wagen und führen Krieg allein ohne Männer; niemandem sind wir untertänig; jedes Jahr gehen wir über den Fluß zum Feste des Gottes Hephaistos und Poseidon; die von uns Mutter werden will, bleibt hier mit dem erwählten Manne, bis sie gebiert; dann kehrt sie nach Hause zurück; in ihrer Freiheit steht es, des Mannes zu vergessen oder nach einem Jahre wieder zu ihm zurückzukehren. Den geborenen Knaben behält der Vater, das Mädchen aber, nach Ablauf von sieben Jahren, wird auf die Weiberseite des Flusses geschickt. In die Schlacht ziehen zwei Drittel aller Jungfrauen, die übrigen bewachen das Land. Wenn bei uns ein Gefangener flüchtet, so fällt die Schmach auf alle Amazonen. Die Königin küßt dich und schickt uns, dir im Kriege zu helfen!«
Der König fragte noch nach vielem, nicht wenig sich ihrer Antworten verwundernd, und, Geschenke in das Land sendend, zog er weiter.
§ 44 Die Gorgone. Das Lager von Lussa. Alexander schickte nun Kundschafter vor, zu erfahren, ob nicht ein eisernes Land voraus wäre, gedenkend der Prophezeiung des Antiphon. An den süßen Flüssen vorüber und den steinernen Strömen, wo an Stelle des Wassers mit Getöse Steine sich wälzten, vorbei an den Sandbächen, die drei Tage lang gegen Süden fließen und drei Tage gegen Norden, kamen sie zu einer Insel, von wo die Sonne aufgeht. Ein äthiopischer Priester in weißem Kleide kam heraus mit einem schwarzen Stabe, höher als er selbst, und seine dunkle Hand gegen den König ausstreckend, rief er: »König, du mußt umkehren! Bis hierher kam noch niemand, – du bist der Erste, und du bist der Letzte. Eile nach Babylon, die Zeit ist nah; dein Weg geht durch das Lager von Lussa und das neue Reich der Finsternis.« Die Türen schlossen sich, und der König, nachdem er sich vor dem Sonnentempel aus unerträglich glänzenden Steinen verneigt hatte, hieß seine Krieger umkehren. Bald kamen sie in das Land der Finsternis; die Bewohner verbargen sich in Erdhütten, von Tannenzweigen bedeckt, fürchtend die in der Wüste wandernde und alles verderbende Jungfrau Gorgo. Sie hatte einen Pferdeschweif und Schlangen anstatt der Haare; alle verlockte sie zur Geilheit: Reptile, Tiere und Menschen, und alle tötete sie mit ihrem bloßen Blick. Um Mitternacht wurde Alexander von einem laut hallenden, aber mit Wonne und Leidenschaft erfüllten Schrei geweckt. Aus dem Zelte ins dunkle Feld tretend, vernahm der König einen zweiten und dritten wundersamen Ruf. Als ob alle vergangenen und kommenden Geliebten in diese eine Stimme die Versprechen nie gekannter Liebkosungen und süße Drohungen verschmolzen hätten; wie das Brüllen einer Tigerin, welche das ferne Männchen sucht, schallte der Ruf durch den dunklen Raum: »Alexander, Alexander, dich allein begehr ich, komm, stille mich! Furchtloser König! …« Alexander sandte einen Magier mit einer Decke der rasenden Jungfrau entgegen. Als er sie nicht mehr weit wußte, sagte er, sich ihr rücklings nähernd: »Ich bin Alexander! Verhülle dein Angesicht mit der Decke, damit ich nicht verderbe!« Und als wortlos, schwer atmend die Jungfrau ihn bei den Schultern packte, schlug er ihr, sich rasch umdrehend, den Kopf ab und barg ihn in einem bereitgehaltenen Gefäß. Darauf, ohne sich zum daliegenden Riesenkörper zu wenden, lief er in das Lager mit der Beute. Mit diesem Kopfe, der ein Entsetzen brachte, welches in Stein verwandelt, bezwang der König viele Völker der Wüste und die unreinen Könige Gog und Magog, die sich von Würmern und Fliegen nährten, vertrieb sie in geborstene Felsen und versiegelte sie bis ans Ende der Welt mit dem Siegel Salomonis. Und weiter zogen sie, den Weg nicht kennend und vergehend vor Müdigkeit und Hunger; die Kundschafter voraus, ob da keine eiserne Erde wäre. Einst verspürte der König eine tödliche Kälte und den letzten Hauch; die Soldaten legten ihre Schilde auf den Sumpf, über den sie gingen, damit er sich hinlegen könne, und von oben fiel ein dichter Schnee. Zu sich gekommen, fragte der König mit Unruhe: »Ist nicht beinerner Himmel über uns?« Aber gegen Morgen erlaubten ihm die zurückgekehrten Kräfte, den unbekannten Weg weiter zu verfolgen. Durch Sümpfe, dunkle Wälder, hohe, in den dunklen Himmel ragende Berge, durch Finsternis und Nebel – gingen sie, auf dem Marsche die demütigen Völker unterwerfend. Der König wahrte Schweigen während der ganzen Tage, die Nächte verbringend im Beobachten kaum sichtbarer Sterne; und jeden Morgen begegnete er immer düsterer den treuen Freunden und den murrenden Soldaten. So kamen sie an das Lager von Lussa, auf das sie noch in der Sonnenstadt gewiesen worden. Solange die durch das Nahen des Wegendes erfreuten Krieger sich an den Wachtfeuern wärmten und alter Scherze gedachten, begab sich Alexander allein in den Tempel, auf die begegnenden Wunderdinge nicht achtend. Alles war leer und lautlos. Eine Reihe Gemächer durchschreitend, deren eines immer wunderbarer als das andere, trat der König in das Allerheiligste, wo Lampen mit Rubinen anstatt der Flammen hingen, und inmitten ein vergoldeter Käfig mit einer Taube darin. In der Mitte ragte eine Bahre, auf der ganz in Verbänden ein Mann ruhte, der an Wuchs alle Sterblichen übertraf, sein Gesicht war zugedeckt. Schweigen herrschte im Gemach; der König stand lange wortlos, verwirrt durch unklare Angst. Endlich wollte er eine der Rubinlampen nehmen, um den Schlafenden anzusehen, aber von der Kuppel sang die Taube mit Menschenstimme: »Laß, König Alexander, ruhen die Ruhenden und eile nach Babylon. Die Zeit ist nah!« Den Tempel verlassend, trat Alexander zu einem Feldfeuer, an dem die Soldaten mit alten Scherzen sich erlustigten, lachend und einander auf die Schulter schlagend. Gegen den dunklen Himmel flogen die Funken und der Rauch, und die Schilde, auf einen Haufen gelegt, glänzten schimmernd.
§ 45 Der Tod Alexanders. Unterdessen kamen im fernen Makedonien Unruhen und Aufstände vor; Antipater, vom Könige an seiner Statt gelassen, unterdrückte die alte Königin Olympias, zur Antwort auf deren mehrfache Klagen Alexander Chares geschickt hatte, den früheren Herrscher zu ersetzen. Da schickte der verletzte Antipater mit seinem Sohne ein Gift, das nur ein Bleigefäß ertragen konnte, aber kein kupfernes, kein tönernes, kein gläsernes, zu dem königlichen Mundschenk Ilos, der schon lange eine heimliche Wut auf Alexander hatte, welcher auf einem Festmahle ihn mit einem Stab übern Kopf geschlagen hatte. Ihm schlossen sich noch einige mit dem König Unzufriedene an und die Verwandten der Königin Roxane. Auf diese Weise war zur Zeit der Ankunft des Königs in Babylon die Verschwörung schon bereit, ihn zu verderben. Die Königin empfing freudig den düsteren und schweigsamen König, der sich wieder mit Freunden den Festen ergab, die Regierungsgeschäfte auf eine andere Zeit verschiebend, und dem Lesen des furchtbar drohenden Sternenhimmels. Als einmal Alexander des Mittags ermüdet ruhte, wurde er durch die Meldung geweckt, daß eine sonderbare Frau nach ihm frage. Dem König sagte sie, sie habe ein seltsames Kind geboren, dessen obere Hälfte tot, die untere aber mit allen Zeichen des Lebens sei, und eine Wunderstimme habe geheißen, das Kind in den Palast zu bringen. Alexander, von Ahnungen erfüllt, blickte mit Entsetzen auf die Kindesleiche mit den sich bewegenden roten Beinchen. Die Weisen erklärten, daß der obere Teil Alexanders Feinde bedeute, der untere aber ihn selbst; jedoch ein Chaldäer rief, die Gewänder zerreißend: »König, König, dein Tod ist nah!« Alexander beschenkte die Frau und hieß die Mißgeburt verbrennen, und er selbst begab sich aufs Fest zu einem gewissen Makedonier, ohne sich von seinem Mundschenk, dem indischen Jüngling Ilos, zu trennen. Das Fest war in vollem Gange, als plötzlich der König ausrief, wie von einem Pfeil getroffen: »Die Zeit ist gekommen, Alexander!!« Und er zog sich bleich, wankend in seinen Palast zurück. Vergeblich suchten die Ärzte das Gift mit Brechmitteln zu entfernen, die Schmerzen des Königs waren so unerträglich, daß er mehr als einmal versuchte, sich in den Euphrat zu stürzen, der unter den Fenstern des hohen Palastes rauschte. Die Makedonier umringten den Palast und drohten die Mauern zu zerstören und alle Wachen zu töten, wenn ihnen der König nicht gezeigt würde. Und Alexander, von der Königin Roxane gestützt, zeigte sich im Fenster; alle riefen: »Ruhm dem König Alexander, er lebe in alle Ewigkeit!« Ein Lächeln glitt über die erstarrten Lippen des Herrschers, und er rief mit der alten hellen Stimme: »Lebet ihr in alle Ewigkeit, aber meine Stunde hat geschlagen!« Am folgenden Morgen rief der König Perdikkas, Ptolemaios, Lysimachos zu sich, um ihnen seinen Letzten Willen zu geben. Dann ließ er sich hinaustragen zu einem offenen Gang und ließ an sich das ganze Heer vorüberziehn, jedem Soldaten Grußworte sagend. Und ergraute Altgediente weinten, als sie den König erblickten, dahingestreckt auf den Kriegsschilden, bleich und freundlich. Die Freunde, ihr Gesicht in Mäntel gehüllt, standen von ferne. Alexander, die Augen gegen die Decke aus Elfenbein hebend, sprach: »Himmel, beinerner Himmel!« und fuhr fort, die vorüberziehenden Krieger zu begrüßen. In der Luft hing ein dichter Nebel, und auf dem Himmel ging am Tage ein Stern von ungewöhnlicher Größe auf, rasch zum Meer hinziehend, von einem Adler begleitet; und die Idole im Tempel wankten langsam mit Klang. Dann ging der Stern seinen Weg vom Meer zurück und blieb stehen, brennend über dem Gemache des Königs. In diesem Augenblick starb Alexander. Der Leib des Königs wurde nach langem Zwist gen Alexandria in Ägypten geschickt und dort in ein Heiligtum gesetzt, das ward genannt ›Der Leib Alexanders‹. Sein Reich verteilte er unter Philon, Seleukos, Antiochos, Ptolemaios. Er starb im dreiunddreißigsten Lebensjahre, zum Aprilneumond, nachdem er zwölf Alexandrien gegründet, und hinterließ einen unauslöschlichen Ruhm bei allen Völkern und Zeiten.
Ende.