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§ 16 Die Thronbesteigung. Alexander hatte achtzehn Jahre vollendet, als er den väterlichen Thron bestieg. Nachdem der neue König eine gehörige Zeit in Trauer und eine andere in den prunkvollen Feierlichkeiten der Krönung zugebracht hatte, versammelte er alle Heere und redete ihnen in einer Ansprache voll Feuer zu, die persische Macht abzuwerfen. Er versammelte die Jünglinge aus allen Städten und verteilte unter ihnen Waffen aus den offenen Rüstkammern, ohne der Altgedienten zu vergessen, der erfahrenen Ratgeber in den Schlachten.
§ 17 Die griechischen Feldzüge. Nachdem er seine Truppen gezählt hatte, begab sich Alexander, bevor er gegen die Barbaren rückte, in die griechischen Städte, die damals von ihm abgefallen waren, um den Feind nicht im Rücken zu behalten, dabei hinterließ er als Herrscher an seiner Statt Antipater. Eine besondere Hartnäckigkeit im Nichtanerkennen des neuen Herrschers zeigte Theben, das Alexander bis auf den Grund zerstörte, allein das Haus des ruhmvollen Pindar, des Odendichters, verschonend. Und der König hieß seine Flötenspieler und Cymbalschläger laute Siegeslieder spielen, als die Mauern zerstört wurden, welche doch unter Amphions Musik gebaut waren. Nachdem der Feldherr seine Macht in Griechenland befestigt hatte, begab er sich über Makedonien zum Hellespont, um sich nach Asien einzuschiffen. Die Städte unterwegs begegneten ihm mit offenen Toren, den siegreichen König mit Kränzen krönend. Alexanders Überfahrt wahrnehmend, eilten die persischen Kundschafter am Meere, dem König Dareios zu melden, daß der ›Besessene‹ den Hellespont überschritten habe; Dareios, der zu dieser Zeit beim Schachspiel saß, vermischte mit der Hand alle Figuren, hieß die Wächter züchtigen und begann die Heere zu sammeln. Die Kriegsmächte trafen am Flusse Granikos zusammen an einem frischen Morgen, ehe die Sonne noch aufgegangen war. Die griechischen Reiter wagten nicht, in den schmalen, aber reißenden Fluß zu setzen, und wechselten nur Pfeile und weit hinausschallende Schmähworte. Da stürmte Alexander selbst auf seinem Bukephalos in das reißende Wasser, die Mannen hinter sich mitziehend. Nachdem Alexander die Perser besiegt, durchzog er Ionien, Karien, Lydien, Phrygien, Pamphylien, nahm die königlichen Schätze in Sardes und begab sich über Anaptos nach Sizilien, von wo aus er Italien erreichte. Die Edlen dieses Landes sandten dem Helden Markos entgegen mit einer Perlenkrone und Geschenken. Nachdem der König von ihnen Krieger zur Hilfe genommen hatte, setzte er sich wieder auf seine Schiffe und segelte weiter in die offene See.
§ 18 Die Bekräftigung der göttlichen Abkunft. Alexander hatte keine Ruhe beim Gedanken an seine Herkunft, aber er vertraute seine Sorge niemand an, selbst nicht seinem Freunde Hephaistion. Einmal, als der König die Nacht nicht geschlafen hatte, verfiel er in einen leichten Schlummer gegen Morgen. Und da sieht er, gleichsam mit eigenen Augen, wie der Gott Ammon die Königin Olympias umarmt, sie süß auf den Mund küssend, und sagt zu ihm, Alexandern: »Fürchte dich nicht, mein Kind, denn siehe, ich bin dein Vater!« Als der König erwachte und auf Deck trat, da leuchtete wie eine Sonne sein erheitertes Gesicht. Der Freund fragte: »Was hast du, o König, heute?« Wichtigen Ernstes umarmte ihn Alexander, und liebkosend sprach er: »Dich küßt der Sohn Ammons!«, und in der Ferne schimmerten gelb die sandigen Flächen immer näher und näher, und die Möwen kreisten über dem Schiffe des Königs. So kamen sie nach Ägypten.
§ 19 Die Gründung Alexandrias. Durch ein neues Gesicht wurde Alexander benachrichtigt, daß in diesem Lande eine neue Stadt gegründet werden müsse, dort, wo das erste Wild oder ein wildes Tier getroffen stehenbliebe. Vom Meere mit wenigen Begleitern sich entfernend, suchte der König lange mit dem Blick Vögel oder wilde Tiere, aber alles war leer im Röhricht und Gesträuch, nur Pfützen von der jüngsten Überschwemmung glänzten in der heißen Sonne. Der Schütze ritt daneben, mit dem Pfeil bereit. Plötzlich verkündete ein verhaltener Schrei die gewünschte Begegnung. Und das Schilf zerteilend, erschien ein weißes Pferd mit einem gleicherart weißen Horn auf der Stirn. Es verschwand so rasch, daß man's für ein Gesicht halten konnte. Alexander, Hephaistion und der Bogenschütze stürzten hinter dem wunderlichen Tiere her, in den biegsamen Sumpfgräsern raschelnd, angezogen von dem bald erscheinenden, bald verschwindenden Einhorn. Der erste und der zweite Pfeil erreichten das Ziel nicht, auf flache Seen fallend. Endlich ritten sie auf eine offene sandige Stelle hinaus, in deren Mitte ein Johannisbeerstrauch auf morastigem Boden wuchs. Das Pferd stand gerade gegen den König und wieherte herzbewegend. Alexander, von dem herbeigeeilten Jüngling den Bogen nehmend, traf in die Stirn das wundersame Tier, das alsobald verschwand. Dort betete der Makedonier unter dem klaren Himmel, bis die Heere mit den Kriegsherrn kamen. Sofort wurde die Fläche der zukünftigen Stadt abgemessen, und man zog den Fluß hinauf, indem Hephaistion mit einem Teil der Armee dablieb, um Eingeborene zu dingen, welche Ziegel brennen und rasch für den Augenblick Erdhäuser aus Weidenruten und Lehm aufbauen sollten zur Wohnung der Arbeiter und ihrer Familien.
§ 20 Das Orakel des Serapis. Gegen Abend erreichte der König eine Insel, auf der ein verlassener Tempel sich befand inmitten einiger armseliger Hütten. Keiner der Einwohner wußte, wen das Standbild des schönen Mannes aus schwarzem Stein darstellte. Der Priester selbst konnte es nicht mit Bestimmtheit erklären. Aber Alexander hatte kaum die Schwelle des Heiligtums überschritten, als eine Stimme ertönte:
Dreifach selig besucht Alexander den Tempel Serapis'.
Schaff eine große Stadt, du baust dir ein ruhmvolles Grab.
§ 21 Alexander in Ägypten. Die Ägypter empfingen Alexander mit Jubel und feierlichen Aufzügen. Ans Ufer des Flusses kamen Reigen von Jünglingen und Jungfern, Priester in gelockten Perücken, die weithin nach Moschus dufteten, Hierophoren mit den Abbildungen der Götter in Gestalt von allerhand Tieren und Scharen schwarzer sonnverbrannter Eingeborener. Der König wurde im alten Tempel mit dem zwiefachen Uräus gekrönt und zu den Gräbern der Pharaonen geleitet. Eine Totengruft betretend und vernehmend, die sei zu Ehren des sonder Nachricht verschwundenen Königs Nektaneb errichtet, hieß Alexander die Fackeln zum Antlitz des Bildes heben, und mit lautem Schrei erstieg er plötzlich die hohen Stufen, umarmte das Standbild und sagte weinend: »Das ist mein Vater, ihr ägyptischen Männer!« Alle fielen zur Erde, nur die Wedel ragten über die niedergestreckte Menge, und die Hörner der Priester antworteten dem Könige.
Nachdem er die Tage der Festlichkeiten in der Hauptstadt verbracht hatte, nahm der König das Götzenbild des Vaters und die Reliquien des Propheten Jeremias und fuhr weiter gen Norden. Ein Adler flog den ganzen Weg ihrem Schiffe voran, zuweilen auf das Standbild Nektanebs sich niederlassend, das auf dem Vorderteil ragte und mit dem hellen Topas auf der Stirn dem Abendstern entgegenleuchtete. Von ferne erblickten sie den Rauch des Ziegelbrennens und vernahmen die wehmütigen ägyptischen Lieder von dem Orte her, wo die Stadt errichtet wurde. Hephaistion wartete mit Fackeln am Ufer, als er von der Höhe das königliche Schiff erspäht hatte; nachdem der König den Göttern Opfer gebracht, besonders Serapis und Ammon, und die ersten Gesetze den Ansiedlern gegeben, schiffte er sich wieder ein, bewegt von Ruhmdurst und nie schlafender Tapferkeit.
§ 22 Die Eroberung von Tyros. Vor Tyros sandte Alexander Boten, in der Absicht, auf friedlichem Wege die Stadt zu gewinnen; aber zur Antwort auf seinen Brief henkten die Bürger vor den Stadttoren die Boten und schlossen sich noch fester in ihre Türme ein. Alexander trat in Verbindung mit drei östlichen Vorstädten, und in einer dunklen Nacht, da er vorher die Tore offen wußte, fiel er über die Stadt, nahm sie, den Schlaf und die Sicherheit der Einwohner sich zunutze machend, und tötete alle Männer, während er für die Sklaverei Frauen und Knaben übrigließ.
§ 23 Alexander in Jerusalem. Vom Meere zog der Weg in hohen Bergflächen nach Jerusalem. Die Juden schickten von selbst Auserwählte zu Alexander mit Geschenken und mit der Bitte, sie untertan zu nehmen.
Alexander beobachtete die Sterne, als man ihm die Gesandtschaft meldete; der König empfing die Juden im Gewande des Sterndeuters, kühl und zurückhaltend, er fragte sie nach ihrem Aberglauben und nach ihren Wünschen; als er vernahm, daß sie ihn baten, ihm untertan zu werden, befahl er vier Jünglingen, sofort sich in einen Abgrund zu werfen, welches sie, miteinander umarmt, auch taten. Die Judäer zerrissen ihre gestreiften Gewänder und erhoben Wehklage; aber der König sprach: »Glaubet nur nicht, daß diese Epheben Verbrecher waren, Verräter oder derlei; aber welche mir zu gehorchen sich vornehmen, die müssen meinen leisesten Wunsch erfüllen!«
Am Morgen empfing im Tore den König der Hohepriester, dessen Kleidersaum mit goldenen Glöcklein benähet war und dessen Brust sich in ein Ephod das Schulterkleid des Hohenpriesters hüllte mit magischen Edelsteinen: 1. dem babylonischen Sardion, rot wie Blut, der Wunden heilt; 2. dem indischen Topas, der von Wassersucht befreit; 3. dem Smaragd, – der Augen Weide; 4. dem Anthrax, der in der Nacht und durch Hüllen scheinet; 5. dem Saphir, auf ihm verzeichnete Moses die Gebote; 6. dem Jaspis aus Amathunt; 7. dem Anatis, der Schlangenbisse lindert; 8. dem Hyazinth, der mit seiner Glut das Feuer löscht; 9. dem Amethyst aus dem libyschen Küstengebirge; 10. mit Chrysolithen, Beryllen und Onyxen. Der König trat in Eile zu dem Greis, und seine Hand küssend, fragte er: »Vater, welchem Gotte dienst du?« – »Dem einzigen, der Himmel und Erde geschaffen!« – »So mag er auch mein Gott sein!« rief der Held. Aber der Greis, die Arme mit offenen Händen zum Himmel gestreckt, rief: »Der Gott der Siege sei mit dir, o Kind!« Das griechische Gefolge des Königs fand sein Betragen nicht ganz der königlichen Würde geziemend, es ging aber ein Gerede der Juden vor Alexander her, der Sieger lasse ihrem Glauben alle offenbaren Zeichen der Verehrung angedeihen, insgeheim bekennend, aber in der Tat ist dies nichts als eine leere Fabel.
§ 24 Die Boten des Dareios und Alexanders Antwort. In Syrien stießen zu Alexander die Boten des Dareios, einen Brief bringend, einen Ball, eine Peitsche und ein Kistchen mit Gold. Der vor versammeltem Heere verlesene Brief war voll aufgeblasener Prahlerei und Schimpfens. »Ich, Dareios, der König der Könige, der Gott der Götter, strahlend wie eine Sonne usw. an Alexander, meinen Sklaven. Möchtest du lieber zu deiner Mutter Olympias gehen, liegen an ihrer Brust und die Schule besuchen, anstatt fremde Länder zu plündern wie ein Räuber!« Das Schweigen auf dieses freche Sendschreiben wurde durch die Stimme des Königs unterbrochen, der laut ausrief: »Haben wir denn vor bellenden Hunden Furcht?« Darauf hieß er die Boten kreuzigen. Die Boten, zwei Perser mit roten Bärten und der Dolmetsch, ein griechischer Knabe, fielen dem König zu Füßen, wehklagend: »Erbarme dich! Was haben wir getan? Was ist da unsere Schuld?« Der König antwortete mit einem Lächeln: »Soll ein Räuber um Erbarmen gebeten sein?« – »Wir sehen den König«, lallten jene. – »Wohl, Könige lassen Boten nicht töten!« rief da laut Alexander, gleich als ob er sich an etwas erinnerte, und begab sich gesenkten Hauptes zum Nachtmahl, wohin er auch die Boten kommen ließ. Der Dolmetscherknabe flüsterte, zum Ohr des Königs geneigt: »König, ich will dir sagen, wie du Dareios überwältigen kannst. Deine Schönheit hat mich besiegt!« Ihn zur Seite schiebend, sprach der König: »Sage mir dein Geheimnis nicht, bewahre es für jemand, der schöner ist als ich!« Auf dem Feste wurde mit der Einwilligung der Feldherren auch die Antwort geschrieben: »Alexander, Sohn des Philipp und der Olympias, an den König der Könige, den Gott der Götter usw. Dareios – zur Freude. Bedenke, welche Ehre mir, dich zu besiegen. Doch einen Räuber zu zwingen, wär das Verdienst nicht groß! Auch deine Geschenke sind sehr gut. Der Ball ist die Erdkugel, die Peitsche bedeutet Sieg, das Gold – Tribut.« Alle begrüßten mit lautem Rufen die Antwort des Königs, stoßend mit dem Humpen an den Becher und mit den Lanzen auf den Boden.
§ 25 Die Schlacht und die Flucht des Dareios. Dareios sandte von neuem ein Schreiben an Alexander, noch aufgeblasener als das erste, aber der Held schüttelte nur die Mähne und sagte: »Dareios gleicht einer Pauke: aus der Ferne schrecklich, in der Nähe – ein gespanntes Fell!« Hinter dem kilikischen Tauros und dicht bei Tarsos trafen sich die Feinde wieder am Flusse. Aus dem griechischen Lager war deutlich das hohe Gespann des persischen Königs zu sehen. Dareios stellte seine besten Kräfte an den Flügel, der jenem gegenüberstand, wo er den Alexander vermeinte. Die Schlacht währte bis zum Abend fast, wobei ein Gedränge war, daß es im allgemeinen Durcheinander beinahe unmöglich ward, den Perser vom Griechen zu unterscheiden, den Gemeinen vom Befehlshaber; die Pferde kämpften mit aufgeschlitzten Bäuchen, das betäubende Brüllen der Hörner und das Gerassel der persischen Wagen erhöhten die allgemeine Erregung und Unordnung. Bald war die ganze Erde voll von lebenden und gefallenen Menschen und Tieren, zerbrochenen und dahinsausenden Gespannen, von Blutlachen; und die Wolken, welche die Sonne bedeckten, erschienen noch düsterer von der Menge der Lanzen und Pfeile, die den Tod in alle Teile des Feldes trugen. Der König wandte seinen Blick nicht vom Gespann des Dareios, bis es plump umbog und, zuerst langsam, dann immer rascher und rascher begann, vom Schlachtfeld abseits zu streben. Mit einigen Freunden eilte Alexander auch dorthin, die flüchtenden Perser wehrend. Der Wagen, stark seitlings gekrümmt bei den Biegungen, fuhr eilends, mit den speichenlosen Rädern knarrend. Der Weg führte bergauf, immer steiler hinan und menschenleerer; das Geräusch unten verstummte. Schon hörte Alexander die Dareiospferde wiehern, und endlich gelangte er hin; die Pferde aufhaltend ohne Hast, ergriff er die Teppich-Zudecke, sprechend: »König, fürchte dich nicht, du bist in Sicherheit; ich bin Alexander!« Ein dicker runder Kopf schob sich unter der Decke hervor und versteckte sich wieder; nach einigem Warten wiederholte der König seine Versicherung, die abermals vergeblich blieb. Die Fackeln anbrennend, schlugen die Diener endlich die Schöße des Teppichs zurück. Das Gesicht mit den Händen verdeckt, knieten drei Frauen. Der König selbst deckte ihre Gesichter auf: die erste erwies sich als ein Eunuche, der im gebrochenen Griechisch und mit Gebärden erklärte, daß Dareios zu Pferde verschwunden; und seien diese Frauen die Mutter und die Tochter des persischen Königs; die zweite nannte er Datipharta. »Ich hoffe, Fürstinnen, ihr vertraut meinem Edelmute? Zu Hause würde euch keine solche Ehre empfangen, wie sie euch bei mir erwartet«, sprach der König, von der roten Mähne den Helm abnehmend.
Die alte Königin schien ertaubt zu sein, aber Datipharta warf das blonde, in kleine Zöpfchen geflochtene Haar zurück, lächelte, nahm Alexanders Hand, drückte sie an ihr Herz, wies dann auf den jungen zweihörnigen Mond, und sie stammelte etwas mit zarter, kindlicher Stimme.
§ 26 Alexander am Grabe des Achilleus. Während Dareios ein zweites Heer sammelte, um Alexander niederzuwerfen, begab sich der König zum Meere, um die von Homer besungenen Stätten zu besuchen. Als der König alles aufmerksam besichtigt hatte und die ruhmreichen Trümmer bewundert, brachte er mit eigener Hand Opfer dar am Grabe des Achilleus, zusammen mit seinem Freunde Hephaistion. Darauf betete er im Tempel des Orpheus und begann seinerseits zu einem neuen Kampfe sich vorzubereiten.
§ 27 Die Treue des Philippos. Einmal, nach einem Bad im kalten Wasser des Kidnos, erkältete sich Alexander und wurde bettlägerig. Als der Arzt Philippos geholt wurde, ruhte der König halb sitzend im Bette, hoch gerötet und irgendeinen Brief lesend.
Flüchtig mit dem feurigen Auge auf den Eintretenden blickend, fuhr Alexander fort zu lesen, bis der Arzt seine Kräuter stampfte und mischte. Endlich reichte Philippos dem König die Schale; scharf ihn anschauend, rief jener: »Siehe, welch ein Vertrauen, o Philippos!« und begann langsam zu trinken, ohne die Augen von dem ruhigen Gesicht des Heilkundigen zu wenden. Darauf zurück in die Kissen fallend, ließ er Philippos die heimliche Anzeige des Parmenion lesen, daß der königliche Arzt bestochen sei, Alexandern zu vergiften. Nach seiner Genesung näherte sich der König dem Philippos noch mehr, gänzlich Parmenion von sich haltend.
§ 28 Die Vorbereitung zur Schlacht. Mysien und Armenien durchziehend, erreichte der König durch wasserlose Wüsten den Euphrat, dessen Quellen im wundersamen Paradies verborgen sind. Alexander holte den Zug ein, und selbst die Spitze des Heeres nehmend, befahl er, die Brücken zu vernichten, welches Dareios sofort gemeldet wurde. Der persische König schickte Boten zu seinen Feldherrn und vereinigten Herrschern, aber allein Poros von Indien versprach ihm seine Hilfe. Die alte Mutter schrieb aus der Gefangenschaft, von welcher Ehrerbietung und Hochachtung sie umgeben sei, und beschwor flehentlich, nicht die Welt in Aufruhr zu setzen. Dareios brach in Tränen aus, nachdem er an König Alexander ein Schreiben voll unaussprechlicher Verzweiflung abgesandt hatte, in welchem er auf die gefangenen Verwandten Verzicht leistete, ihr Schicksal dem Könige selbst überlassend. Alexander lachte, antwortete nichts auf dieses wahnwitzige Schreiben und begann zur Schlacht sich vorzubereiten.
§ 29 Alexander im persischen Lager. Der König suchte vergebens irgend jemand, der es auf sich genommen hätte, in des Dareios Lager sich zu begeben. Nachts ließ er an die Hörner der Ziegen brennende Zweige binden, jagte sie vor die babylonischen Mauern und benutzte den Schrecken der Wächter, um den großen Umfang der Stadt von außen in Augenschein zu nehmen. Die dreifache Reihe der Mauern, die hohen Kupfertürme und die Tore lagen in Schweigen; nur die Elefanten brüllten von innen gegen die Himmelsröte, und aufgeschreckte Tauben flogen in Schwärmen zum schwarzen Himmel. Nachdenklich betrachtete der König die erstaunlichen Mauern und erklärte, heimgekehrt, daß zu Dareios als Bote er selbst sich begeben werde. Vergeblich suchten die Ratgeber den König von seinem Entschluß abzuwenden, wie von dem Vorhaben eines Hirnverbrannten. Eumelos und drei Pferde nehmend, selbst gekleidet nach der Art des Hermes, begab sich Alexander zum Flusse Strangas, der damals mit Eis bedeckt war. Dort ließ er Eumelos mit zwei Pferden, selbst überschritt er auf dem Bukephalos den Fluß und rief: »Ammon ist mein Helfer!« Die persischen Wächter, Alexander umringend, hielten ihn für eine göttliche Erscheinung und geleiteten ihn in den Palast, allwo Dareios in babylonischen Gewändern, im vergüldeten Schuhwerk, im Purpurkleid, mit Szepter und Stab auf dem strahlenden Throne saß. Alle verwunderten sich über Alexanders kleine Gestalt. Dareios sprach mit etwas vom Weine ermatteter Stimme: »Wer bist du, Knabe?« – »Ich bin der Bote Alexanders.« – »Was hast du zu sagen?«
»Alexander drängt zum Kampfe und ist unwillig ob deiner Langsamkeit!« Die Brauen des Königs runzelten sich, dennoch sagte er laut lachend: »Sei er unwillig, wir aber wollen einstweilen zechen! Eine Schale für ihn!« Alexander verbarg die eine Schale in den Falten der Chlamys und streckte die Hand nach der zweiten aus. Dareios lachte schläfrig. »Geschickt! und jene, wo ist sie, die erste?« – »Der König Alexander schenkt stets die Schalen, wenn er mit Freunden zecht!« Der persische Künstler flüsterte Dareios ins Ohr, dieser Mensch sei Alexander selbst, von dem er einst ein Bildnis gemacht. Der König nickte bejahend in halbem Schlafe; durch die Reihen der Gäste ging ein Raunen: »Alexander selbst«, aber Alexander, an das hohe Fenster tretend, rief: »Ja, ich gleiche von Ansehen dem gottähnlichen Helden, aber ihr irret euch!« Dann, auf einmal auf den Sockel der Bildsäule des Xerxes steigend, rief er laut: »König Dareios, sieh mich gut an, auf daß du in der Schlacht Alexander nicht vorbeilässest!« Und sich abschwingend von der auf den Tisch gestürzten Bildsäule, mit den Bruchstücken Becher und Schalen zerschlagend, verschwand er durch das hohe Fenster.
Die trunkenen Perser, fluchend, sattelten die Pferde im Dunkel, aber sie holten den leichten Griechen nicht ein und meldeten dem bei den Trümmern der väterlichen Säule sitzenden Dareios die unwahrscheinlichsten Nachrichten über das Verschwinden Alexanders.
§ 30 Die Schlacht. Die folgende Schlacht fand bald statt am Flusse Strangas im Winter; die beiden Führer hatten so viel als möglich Heere gesammelt und sprachen ihre bedeutendsten Reden. Dareios befand sich in einem wunderlichen Gespann, mit Sicheln ums Rund der Räder, mit denen das Gefährt alle Herannahenden mähte. Und solcher Vorrichtungen gab es ein ganzes Bataillon. Diese Schlacht war am blutigsten; der Himmel wurde verdunkelt von den Pfeilen, Steinen und Spießen. Die persischen Sichelwagen schnitten auf der Flucht in ihre eigenen Soldaten; und diese, ihre letzte Zuflucht auf dem Eise des Flusses suchend, fanden dort ihr endgültig Verderben, da das Eis das Gewicht von so vielen Menschen und Pferden nicht trug und brach, und alle wurden von dem plötzlich offenen schwarzen, rauschenden Wasser zugedeckt. Dareios zerriß am Ufer sein Kleid und begab sich eilig in den Palast, wo, in entferntem Gemach eingeschlossen, er auf den Boden stürzte, wie ein Kind weinend: »Dareios, Dareios, ein flüchtender Bettler, vor kurzem noch der Beherrscher der Welt!«
Apis, der Vertraute des Dareios, unternahm erfolglos einen Anschlag auf das Leben Alexanders, indem er sich als Makedonier verkleidete, er wurde aber vom großmütigen König in Freiheit gesetzt. Alexander hieß die Leiber der gefallenen Griechen und Perser begraben und schickte sich an, in Babylon zu überwintern, das durch viele Wunder berühmt war.
§ 31 Der Tod des Dareios. Zwei andere Vertraute von Dareios, im Wunsche, Angenehmes Alexandern zu bereiten, als dem wahrscheinlichen Sieger in diesem Kampfe, beschlossen, den Perserkönig zu töten; einmal in der Nacht in das königliche Schlafgemach dringend, überfielen sie Dareios, aber mit nackten Händen wehrte er die zwei so ab, daß die Edelleute, ohne die schmachvolle Absicht wahr zu machen, verschwanden, indem sie den nicht vollends erwürgten König stöhnend im dunklen Gemache zurückließen. Kaum erfuhr Alexander von der Verschwörung und dem Mordanschlag auf Dareios, als er sofort, übers Eis den Fluß überschreitend, sich in des Persers Gemach begab. Der König lag auf dem Fußboden, mitten im Zimmer, das alle Spur des jüngsten zähen Kampfes trug, kaum noch lebendig.
Alexander deckte ihn mit seiner Chlamys zu, und, die erstarrenden Hände drückend, flüsterte er: »Dareios, stehe auf, lebe, herrsche in deinem Lande!«
Dareios, auf den König den irrenden Blick geheftet, flüsterte kaum hörbar: »Sieh, was ich geworden; ein Schatten, auf einer Mauer vorüberhuschend, das ist der Ruhm; denk daran, denk daran! …« Des Dareios Gesicht mit dem Mantel verhüllend, sprang Alexander davon. In Babylon besah er alle Wunder, bestattete Dareios, kreuzigte an seiner Grabstätte seine Mörder, krönte sich und feierte bald darauf seine Hochzeit mit Roxane, wobei er, wie es schien, den Gipfel menschlichen Glückes erreichte.
Ende des zweiten Buches.