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§ 32 Der Abschied von Roxane. Der Winter, verbracht in Frieden und Muße, quälte Alexander mit undeutlicher und unbestimmter Sehnsucht, und oft, im Frühling schon, mit seinem Freunde Hephaistion auf der Terrasse sitzend, seufzte der König nach fernen Feldzügen. Dieses Streben lobend, riet der Freund dem Könige, nach dem Osten zu wandern, in das indische Reich, durch Wüsten; Gestirne des Himmels zu Führern, und Sternenreigen. Der König küßte den Freund und ging zu der Königin Roxane. Die Königin saß am Fenster, ohne etwas zu tun, gelangweilt von Alexanders Kälte, denn, obwohl sie die Gemahlin des Königs hieß, so blieb sie doch Jungfrau zu ihrem großen Ärger. »Was belieben Sie, König?« fragte sie, ohne an den Gemahl ihr breites, grell geschminktes Gesicht zu wenden. – »Mein Schwert und den Feldmantel such ich, Frau Königin«, antwortete Alexander. »Schicken Sie sich denn an, in neue Feldzüge zu gehn?« fuhr Roxane fort, die Augen von den gemalten Fensterscheiben nicht wendend. »Ja, Herrin!« – »Es wäre nicht übel, wenn Sie mich vorher benachrichtigten, damit ich Ihnen etwas zum Andenken sticken könnte.« – »Sie werden auch ohnehin in meinem Andenken herrschen!« Die Königin erging sich im Zimmer und wandte sich wieder an den Gemahl: »Was ist Ruhm? Ist es ein Rausch? Sie sollten einen Sohn haben, als würdigen Erben.« Und sie ließ sich auf den Fußboden zu den Füßen des Helden nieder. Alexander antwortete lange nichts, lächelnd und in Roxanes Locken spielend, dann sprach er: »Herrin, sticke mir einen Siegesmantel, bringe Opfer den Göttern dar, uns Männer aber laß die Männergeschäfte entscheiden!« Der König verließ eiligen Schritts die Gemächer der Königin, und jene saß lange in der Dunkelheit, mit den Händen die Schläfe pressend, die der Gemahl geküßt hatte; nicht hörend die Hörner und das Wiehern der Pferde, das Stampfen der Lanzen und die dumpfen Paukenschläge. Leer war der dunkle Platz, als Roxane durch das Fenster blickte, und eine kleine Lampe entzündend, setzte sie sich zum Sticken hin und verlor böse, karge Tränen.
§ 33 Die Wanderung in der Wüste. Das Heer wußte nur unklar, wohin es ging, die Feldherrn ebenfalls, und nur die Sicherheit der wolkenlosen Stirn des Königs hielt sie vom offenen Murren zurück. Von den Sternen acht Tage geleitet, irrten sie in unfruchtbarer Wüste umher; endlich kamen sie in Fruchtwälder, deren Einwohner Tieren glichen, und in ein Grasland, wo an Stelle von Hunden an den Häusern Flöhe und Kröten angekettet waren, und in ein Sumpfland, wo die schamlosen Einwohner bellten und nur durch Feuer in die Flucht gejagt werden konnten. Und weiter zogen sie und wunderten sich, über die Greifen, die stummen Völkerschaften, die Halbhunde, den einäugigen Tiger, die im Feuer lebenden Salamander, den Baum, der gegen Abend eine wohlriechende Träne vergießt, die sechsfüßigen, dreiäugigen Pardeln. Und aus dem warmen Nebel sangen zarte, aber strenge Stimmen: »Mache halt, König, mache halt!« Aber Alexander rief laut in die Dunkelheit: »Ich will den Rand der Welt sehen!« Und sie gingen wieder weiter, die Müdigkeit und das Murren durch die Liebe zum König betäubend. Endlich verkündete ihnen ein warmer und dichter Nebel die Nähe des Meeres. Im rosigen Nebel war das Meer nicht zu sehen, aber sichtbar waren die kaum blinkenden Lampen auf den Masten der Schiffe. Der König bestieg ein Schiff, das niemand kannte, und fuhr ab, ins dichte, leis und zischend schäumende Naß. Zur Linken war eine anscheinend bewaldete hohe Insel sichtbar, von der griechische Worte herüberklangen, aber die Sprechenden waren nicht zu sehen, und die Mutigen, die durch Schwimmen das wunderbare Ufer zu erreichen suchten, wurden von unsichtbaren Händen in den Strudel zurückgezogen. Endlich war der Nebel so dicht, daß er wie eine Porphyrmauer erschien, und der König war genötigt, ans Ufer zurückzukehren. Lange stand Alexander vor dem Nebelmeer, und dann begab er sich mit einem Seufzer in die Tiefe des Landes.
§ 34 Das Gebiet der Finsternis. Bald erreichten sie ein finsteres Land, ohne Dämmerung, Sonne und Mond, wo sie das Land der Seligen vermuteten. Um den Weg in der Finsternis nicht zu verlieren, wurde eine Eselin von ihrem Jungen getrennt, und indem man die erstere vorausließ, hielt man das andere vor dem Heere, damit man durch die Schreie der Mutter geleitet werde. Aber ein sonderbares Licht beleuchtete den unterirdischen Weg den an das Dunkel gewöhnten Wanderern. Die Gegenstände in ihrem Wege erschienen grau und unbestimmt, wie nach dem Schlaf. Bald kamen sie an einen traurigen, hügeligen Ort; der Wind brachte von links einen schweren Gestank, und die Eselin schrie in der Ferne kaum hörbar. Die Fledermäuse, dahinjagend über ihre Köpfe, schienen zu zischen: ›Biegt nach links.‹ Die Wanderer fanden bald einen See, ganz von Menschen erfüllt, so daß kein Wasser zu sehen war, nur Köpfe, Schultern und Arme. Unter der Erde hervor drang Stöhnen und Wehklagen, gleichsam wie während des Sturmes aus dem Innern eines Schiffs. Aber alle Stimmen wurden von der Stimme eines Riesen übertönt, der an einen spitzen Felsen gefesselt war; fünf Tage Weges weit war dieses Weheklagen zu hören. Ihnen entgegen kamen Haufen von Menschen, Männer und Frauen, alle entblößt, die von flammenblickenden Vögeln mit Nesselpeitschen gejagt wurden. Mit zerzausten Haaren blickten die Gejagten wild den König an und riefen mit ausgestreckten Armen: »Hast du, König Alexander, die Liebe gekannt?« Der König richtete seine Augen auf Hephaistion und wiederholte langsam: »Habe ich die Liebe gekannt?« Aber die grauen Menschen, heiser bellend, waren schon vorbeigezogen, gebeugt unter den Schlägen der Nesselpeitschen. Von der Bergfläche herabsteigend, betraten sie offenbar das Kupferland, so schallend verbreitete das Echo das Gestampf der Hufe. Alexander erschrak, indem er sich an die Weissagungen des Antiphon erinnerte, er werde sterben im eisernen Lande unter beinernem Himmel. Aber auch diesen Weg wanderte man zu Ende, ohne auf die nunmehr unaufhörlichen Stimmen und Weheklagen weiter zu hören. Auf einmal überraschte eine plötzlich eingetretene Stille ihr Gehör. Rechts ragte ein dichter Wald hinter hoher Umfriedung, eine Quelle glänzte im Silber murmelnd am Eingang, und der Himmel erschien durch die dichten Zweige durchsichtiger, grünlich zart erschimmernd. Das Wiehern der Eselin in der Ferne verstummte. Der König näherte sich langsam dem Haine, nahm den Helm ab und blickte prüfend auf den heller gewordenen Himmel. Plötzlich tat sich das Tor leise auf, und aus dem schweren Dickicht trat ein nackter Jüngling mit hoher Lanze, auf deren Spitze ein wunderbarer Topas gelb schimmerte. Mit zärtlicher Stimme, wie eine Turteltaube sagte er: »König Alexander, das ist die Stätte der Seligkeit; niemand kann hier lebend eintreten, selbst du nicht, der an diesen Ort kam, den noch kein Menschenfuß betrat. Freue dich, du wirst bald hierherkommen, auch ohne deinen Wunsch.« Und mit traurigem Lächeln verschwand der Knabe, und das Tor schloß sich von selbst, und der König führte wieder schweigend sein Heer dem Wiehern der Eselin nach, bis er in die weite Welt kam, wo Sonne, Mond und Sterne sind und wo Gras die liebe schwarze Erde bedeckt.
§ 35 Das Murren der Soldaten. In Indien nahm Alexander die Gesandten des Poros an, des Königs von Indien, der davon abriet, gegen den Gott Dionysos zu kämpfen, welcher ihm, Poros, beistehen würde. Der König antwortete: »Mit einem Gott kämpfe ich nicht, aber ich fürchte auch nicht aufgeblasene Barbarenworte.« Die Feldherren Alexanders jedoch, gewahrend, daß der Weg noch ferne hin sich zöge, die Berge immer unzugänglicher würden, die angetroffenen Tiere immer wunderlicher, bewegten die Soldaten, daß sie sich weigerten, dem Könige zu folgen. Alexander las im Zelte den Homer, als er zu den Soldaten gerufen wurde. Das Lager befand sich in einem schmalen Tale, so daß, der frühen Stunde ungeachtet, das lilafarbne Licht nur auf den Gipfeln der Berge lag. Die Menge schrie: »Wir sind nicht unsterblich, wir sind nicht Kinder Ammons! Wir brauchen Nahrung! Wohin hast du uns gebracht! Wir fürchten uns! Weiter gehen wir nicht: Geh allein!« Der König schwieg lange, die Augen gehoben zu den schweren Wolken, die rosig wurden. Dann erscholl hell und weit seine Stimme: »Bleibt hier, oder kehrt nach Hause zurück, das sei eure Sache. Ich werde auch ohne euch weiterziehen, und wenn ich's allein tun muß. Wie die Sonne nicht ihre Bahn ablenken kann, weder nach rechts noch nach links, so kann auch ich nichts mehr an dem mir vorbestimmten Ruhm ändern!« Hephaistion und die zunächst stehenden Jünglinge stürzten hin und küßten das kurze Kleid des Königs mit den Rufen: »Wir sterben mit dir!« – »Mein Ruhm ist euer Ruhm!« antwortete der König und ging ins Zelt. Gegen Morgen rückten die beruhigten Heere weiter, den Horden des Poros entgegen.
§ 36 Die Schlacht mit Poros. Auf den Gipfel des Berges gestiegen, erblickten die Griechen plötzlich eine endlose grüne Ebene, weiße Tempel mit blauen Bassins, Felder unbekannten Korns, lichte, aber zahlreiche Waldungen, mit roter Erde bestreute Wege und in der Ferne das ruhige blendend blaue Meer. Der Wohlgeruch der Feld- und Sumpfblumen drang sogar bis zu den Bergen. Vögel mit bunten Schöpfen flogen von Palme zu Palme, Schmetterlinge stiegen schwer von lila und rosa Blumen auf. Bienen summten in der stehenden Hitze. Über das ganze nahe Feld waren weiße Zelte verstreut, und hohe schwarze Menschen in weißen Kleidern mit Lanzen in den Händen wachten an Feuern. Zur Seite, wie eine Herde, lagen Panther und Tiger spielend zwischen den Beinen unbeweglicher Elefanten. Da der König Kriegstiere mehr fürchtete als das Heer selbst des Poros, hieß er kupferne Gestalten von Menschen machen, sie bis zur Rotglut erhitzen und vor die Krieger stellen, so daß die von den goldenen Ketten freigelassenen Tiger zurücksprangen, mit Geheul im Grase vor Schmerzen sich wälzten, dann sich wieder auf andere Abbilder stürzten oder mit Gewinsel der Geißel des Aufsehers Gehorsam verweigerten. Zur Nacht gingen die Gegner auseinander, um mit der Dämmerung wieder den Kampf zu beginnen. So dauerte dies acht Tage; am neunten schlug Alexander Poros vor, den Streit durch Zweikampf zu entscheiden, obwohl Alexander von solchem Schritte abgeraten wurde, indem man ihm vorhielt, König Poros sei ein ruhmreicher Zweikämpfer und beinahe zwei Ellen größer von Gestalt. Am zehnten Morgen begannen die königlichen Gegner vor den Heeren ihren Zweikampf. Poros war groß von Gestalt und biegsam, mit einem kleinen roten Schurz auf seinem braunen Körper; der Kopf, mit roter Seide umbunden, war von einem Rubin erleuchtet, sein Gesicht war regelmäßig und jugendlich schön, und der Blick der großen, niedrig stehenden Augen versetzte schüchterne Menschen in ein abergläubisches Beben. Die Feldherren und die Soldaten verfolgten schweigend den Gang des Kampfes, während die indischen und griechischen Priester Opfer brachten, jedes nach den Gebräuchen ihres Glaubens. Alexander warf rasch den Inder um, preßte mit den weißen Händen seinen schwarzen Hals zusammen und ließ ihn lange nicht frei. Endlich erscholl die ruhige Stimme des griechischen Königs über das weite Feld: »Ihr indischen Leute, schickt eurem König Ärzte. Unser Streit ist zu Ende, nicht mit euch kämpfe ich: ich hatte nur einen Feind – König Poros.« Der Inder lag rücklings da, ruhig die Arme gebreitet und mit geschlossenen Augen, ohne zu atmen. Von den fernen Bergen flog ein Habicht herunter, setzte sich dem Toten auf die Stirn, und nachdem er dreimal auf seinen schimmernden Rubin gehackt hatte, erhob er sich wieder langsam in die nebligen Berge.
§ 37 Die Brahmanen. Die Weisen, Brahmanen genannt, sandten Alexander ein Schreiben, in dem sie baten, sie geruhig und im Gebet ihre Tage führen zu lassen. Der König war begierig, sie selbst zu sehen, obwohl nicht diese berechtigte Neugier allein ihn zum Besuch zu bewegen schien. An einen großen, wie Milch trüben Fluß gelangt, erblickten die Wanderer bärtige und bartlose Menschen, ganz nackt, unter den Zweigen eines wilden Pflaumenbaums liegend und Schweigen wahrend; manche saßen da mit untergeschlagenen hageren Beinen und schiefblickenden Augen, die erhobenen Arme im Ellenbogen gekrümmt. Alexander im kurzen roten Mantel trat zu den Weisen, begrüßte sie und begann Fragen zu stellen. Den König umdrängend mit halbgeschlossenen Augen, gaben die nackten Weisen mit sanften Stimmen Antworten.
Frage: Habet ihr ein Reich und darin eine Stadt?
Antwort: Die Welt ist unser Reich und unsere Stadt: Die Erde gebiert uns, ernährt uns und empfängt unsere Asche.
Frage: Von welchem Gesetz werdet ihr geleitet?
Antwort: Höhere Vorsehung bewahrt uns und bestimmt unsere Taten und Gedanken.
Frage: Was ist die Königsmacht?
Antwort: Kraft, Verwegenheit, Last.
Frage: Wer ist der Stärkste von allen?
Antwort: Der menschliche Gedanke.
Frage: Wer ist dem Tode entronnen?
Antwort: Der lebendige Geist.
Frage: Gebiert die Nacht den Tag, oder ist der Tag der Vater der Nacht?
Antwort: Die Nacht ist unsere Urmutter, wir wachsen im Dunkel und streben zum nievergehenden Licht.
Frage: Habet ihr einen Abt?
Antwort: Unser Ältester ist Dandamis.
Frage: Möchte ihn küssen!
Der König wurde durch einen schattigen Hain zu dem Greise geleitet, der so mager war, daß ein leichter Windhauch zu genügen schien, seine gedunkelte Körperlichkeit zu verwehen. Seine Lider waren gesenkt, und auf großen Blättern vor ihm lagen eine Melone und einige Feigen. Er erhob sich nicht beim Nahen Alexanders, öffnete nicht einmal die Lider, die nur leise aufzuckten. Sein Bart zitterte, und seine Stimme war so schwach, daß der König sich bücken mußte, um sein prophetisches Lallen zu vernehmen. Mit einem Lächeln nahm der Greis mit der dürren Hand das Gläschen Öl entgegen, das ihm der König darbrachte, aber er weigerte sich, Gold, Brot und Wein zu empfangen. Ein kaum hörbares Flüstern säuselte wie ein wankendes Rohr: »Wozu führst du immer Krieg: Wenn du auch alles besitzen wirst – kannst du es denn mit dir nehmen?« Alexander rief schmerzlich: »Wozu bewegt der Wind das Meer? Wozu verstäubt der Orkan den Sand? Wozu jagen die Wolken und biegt sich der Rebenzweig? Wozu bist du als Dandamis geboren und ich als Alexander? Wozu? – Erbitte, du Weiser, was du willst, alles gebe ich dir, ich, der Beherrscher der Welt!« Dandamis zog ihn an der Hand und flüsterte freundlich: »Gib mir Unsterblichkeit.« Erbleicht riß Alexander seine Hand aus den Händen des Greises und ging schnell, ohne sich umzuwenden, aus dem Schatten des Hains zum Flusse, wo auf milchiger Nässe fette kropfige Enten knarrten und Mücken im Reigen schwirrten.
§38 Die Weissagungen der Bäume. Breite palmenbepflanzte Straßen, weite, bald weiße, bald bunte Tempel, eine geräuschvolle Menge ergötzten die müden Blicke der Ankommenden. Die Einwohner waren ergeben und freundlich. Ein alter Priester mit hohem Stabe aus schwarzem Holz führte den König herum, die Seltenheit der Stadt weisend. Das merkwürdigste Wunder war der Garten, in dessen Mitte zwei Bäume wuchsen, in der Art von Zedern, mit Tierfellen vollgehängt. Auf die Frage des Königs antwortete der Führer: »König, du siehst zwei heilige Bäume: Der eine heißt das Mannsgeschlecht und ist dem Sonnengotte geweiht, der andere, der Mondgöttin geweiht, heißt das Weibsgeschlecht. Die Tierfelle sind Gaben der Pilger, wobei die Felle der Männchen dem Sonnenbaum dargebracht werden, und die der Weibchen dem Mondbaum. Dreimal am Tage und dreimal nachts verkünden die Bäume das Schicksal bei Sonnenaufgang, Zenit und Neigung der Sonne und des Nachtgestirns. Wenn du dein Schicksal zu erkunden beliebst, reinige dich, entwaffne dich und tritt betend zu den Bäumen.« Zornigen Blick sprühend, rief Alexander: »Wenn die Sonne untergehen wird, ohne daß ich die Stimme vernehme, so werde ich euch lebendig verbrennen!« Der Priester neigte sich und ging weg, und der König begann, nachdem er die geforderten Gebräuche erfüllt hatte, zu beten, die Hand auf den Stamm eines heiligen Baumes gelegt. Schon glänzte die Sonne mit rotem Rande über dem dichten Hain, und der König wollte zornerfüllt fortgehen, als auf einmal, gleich einem fernen Gong, eine tiefe Männerstimme sang: »König Alexander, bald wirst du durch die Inder verderben!« Ohne sich zu rühren, stand der König da, wie versteinert; bis die rasche Dämmerung die neue trübe Röte des nächtlichen Gestirns brachte und aus dem Laub des benachbarten Baumes eine dunkle Frauenstimme ertönte: »Armer König Alexander, wirst nimmermehr deine Mutter Olympias schauen: In Babylon wirst du sterben.« Der verwirrte König trat zu seinem Gefolge, das auf ihn hinter der Umzäunung wartete; auf die Frage des Königs, ob auf die Bäume Kränze gelegt werden dürften, antwortete der Priester: »Es ist verboten, doch wenn du willst, tue es; nicht für dich, göttlicher König, sind die Gesetze!« Alexander folgte und entfernte sich in den neuen Palast. Die ganze Nacht zechte er mit seinen Freunden, an die Feldzüge und an die Gefahren zurückdenkend, aber kaum graute der leichte Morgen, da verließ der König, dringende Geschäfte vorhaltend, den Saal und begab sich von neuem zur geheiligten Umfriedung. In Sehnsucht beugte sich der König vor dem Baume, und als die Sonne die ersten Strahlen auf die Wipfel spritzte und purpurgoldene Vögelchen auf biegsamen Zweigen sich rührten, da erklang eine hohe Kinderstimme, gleichsam von der Kuppel des hellen Blaus herniedersinkend: »Alexander, Alexander, in Babylon wirst du sterben, nimmer umarmend, die dich geboren. Prüfe nicht mehr das Schicksal, wirst keine Antwort haben!« Ohne jemand etwas zu sagen, trat der König in sein Gemach und schlug die Schriftrollen auf, und als der eintretende Freund fragte: »Warum bist du, König, so bleich?«, da antwortete Alexander: »Ich schlafe wenig; Arbeit und Müdigkeit nehmen mir die Röte!« Bald begann er von Plänen für neue Feldzüge zu sprechen.
§ 39 Die Erforschung der Luft. Alle wurden durch den Befehl des Königs verwundert, einen geräumigen Käfig anzufertigen und gleicherart ein gläsernes Gefäß in Form eines Eies, sieben Paar kräftige Gebirgsadler zu fangen und ein keusches Mädchen zu finden, das noch keinen Mann gekannt. Als alles erfüllt war, rief der König das Volk zusammen auf ein freies Feld hinter der Stadt, und auf eine Anhöhe sich stellend, sagte er: »Ich habe Europa und Asien besiegt, das alte Ägypten und das wunderbare Indien, den Süden, Osten, Westen und Norden; ich habe große Könige niedergeworfen; ich zog über die ganze Erde von Ende zu Ende; ich war im Reich der Finsternis und sah die Stätte der Seligen. Jetzt werde ich die Elemente besiegen, die leichte Luft und das fließende Nasse, ich bin Alexander, der Sohn des libyschen Gottes!« Alexanders Gesicht war bleich, aber seine Stimme klang fest und hell über das weite Feld. Darauf hieß er an den Käfig die Adler binden und Fleischstücke hineinzulegen. Selbst nahm er zwei Lanzen, deren Länge die Fesseln der Vögel übertraf, und nachdem er auf die Spitzen die blutigen Stücke gesteckt, hob er sie mit beiden Händen in die Höhe; die Adler stürzten ihnen nach, ohne sie zu erreichen, und der Käfig mit dem Könige darin begann, sich bewegend, aufzusteigen vor den Augen des staunenden Volks. Immer kleiner und kleiner wurde der Käfig, so daß die vorbeifliegenden Schwalben größer als er zu sein schienen, und endlich verschwand er. Alexander flog immer höher und höher, und der Wind pfiff in seinen Locken. Die Erde wurde immer kleiner, bis sie, umgeben vom Bande des Ozeans, der Scheibe eines dunklen Granatapfels auf einer Schüssel reinen Wassers gleich wurde. Tag und Nacht strebte der König in die Höhe, an den Sternen und Planeten vorbei. Die Sterne waren kristallene buntfarbige Gefäße an goldenen Ketten, und jeder Engel entzündete und verlöschte eine Flamme der Nacht. Die Planeten aber waren durchsichtige Räder, die in ihren Spuren von Dutzenden von Engeln gewälzt wurden. Stimmen riefen mit dem Wind ihm entgegen: »Kehre um, kehre um!« Endlich erblickte Alexander in der Ferne die Sonne. Ein Rad von Hyazinth, dessen Größe dreimal den Umfang der Stadt Babylon übertraf, wurde in einer goldenen Spur gewälzt von Engeln mit feurigen Gesichtern und in roten Mänteln. Den Kopf zurückwerfend, schrie der König in das flammende Leuchten: »Ich bin Alexander! ich bin Alexander!« Und die Adler schrien vielstimmig mit sieben Paaren offener Schnäbel. Der Schall von tausend Hörnern und tausend Donnern erklang zur Antwort: »Zurück, betörter Sterblicher, ich bin dein Gott!« Ohnmächtig ließ Alexander die Lanzen sinken, und die Adler trugen ihn zur Erde nieder, schneller als ein wahnsinniger Komet. Als das Volk, welches auf den König wartete, rief: »Ruhm Alexandern, der die Elemente besiegt!«, da antwortete der König nichts und begab sich bleich, die Menge hinter sich, an das Ufer des Meeres.
§ 40 Die Erforschung des Wassers. Dort hieß der König an Taue das gläserne Gefäß binden und an einen dünnen Strick ein silbernes Glöckchen und befahl, das ausfindig gemachte Mädchen herbeizuführen. Sie war klein und braun, sah sich erschreckt um und nannte sich Chadidscha. Ihre Eltern, der Arzt und der Priester beschworen, daß sie Jungfrau. Alexander sagte zu ihr: »Halte dies Tau; solange du keusch bist, wird das Gefäß nicht versinken. Wenn ich schelle, ziehet die Stricke aus dem Wasser!« Und in das Ei tretend, begann er in den Strudel niederzusinken. Ein grünliches Halblicht, durch die hellen Scheiben sichtbar, umgab den König. Die Fische schossen wie Pfeile aus der Tiefe Alexander entgegen, und große Ungeheuer krochen langsam über Meerespflanzen von Ort zu Ort; der König sah zu, wie die größeren Fische die kleineren verschlangen, um selbst von den Ungeheuern vernichtet zu werden; wie Trümmer von Schiffen auf den Grund sanken, wo die Ertrunkenen fahl schimmerten, ineinander verschlungen oder Kleinodien fest umfassend, oder mit qualverzerrten Gesichtern. Mit grünen herausgequollenen Augen blickten Kraken durchs Glas auf den König, neugierig nah an das Gefäß heranschwimmend. Plötzlich stieß das Schiff des unterseeischen Schwimmers auf eine Korallengrotte, aus der eine Frau schwamm mit grünen Rohrzöpfen und Schuppengliedern. Ihr Angesicht war schrecklich und furchterregend; sie machte wehrende Gebärde mit den Händen, weit die Lippen öffnend, als ob sie etwas schrie, aber ihr Schreien drang nicht durch das gläserne Gefäß, und als der König sie verließ und immer mehr in die dunkle Tiefe zu sinken begann, da sah er, wie das Meerweib mit ringenden Händen in der Korallengrotte verschwand. Unten waren schon die Schuppen des Leviathan zu sehen, als ein starker Ruck das gläserne Gefäß erschütterte, das nicht aufsteigen konnte. Als Alexander sich niederbeugte, erblickte er ein kleines schwarzes Wassertier von der Art eines Krebses, das, an der glatten Wand festgeklammert, emsig nagte, so daß das Wasser bereits in feinem Strahl nach innen strömte. Da ergriff Alexander die dünne Schnur, und das Gefäß begann rasch aufzusteigen, mit dem bleichen König, der nicht mehr in die Fernen schaute, welche nun in hellem Grün aufglänzten. Als er ans Ufer gezogen wurde, stand der Mond im Zenit und schien auf zwei Leichen: des Mädchens Chadidscha und eines großen Soldaten. Alexander trat heran und erfuhr, daß, als alle ermüdet vom Wachen eingeschlafen waren, das Mädchen sich dem ersten, der an sie herantrat, hingegeben hatte und das Tau des Königs aus der Hand ließ. Da hatten sie, welche dem Könige nahestanden, die Verbrecher erschlagen. »Wieviel Zeit verbrachte ich auf dem Grunde?« – »Zwei Stunden, König.« – »Nicht zwei Stunden hat die Festigkeit eines einzigen keuschen Mädchens standgehalten«, sagte der König nachdenklich und begab sich, von der Menge und von Hornklängen begleitet, in die Residenz. »Ruhm sei Alexandern, der die Elemente besiegt!« rief die Menge, die Priester schwenkten qualmende Rauchfässer dem Könige entgegen, der war totenbleich unter dem Monde im Zenit.
Ende des dritten Buches.