Isolde Kurz
Im Zeichen des Steinbocks
Isolde Kurz

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Mann und Weib

Gottes Auge sieht von Anbeginn zwei Menschen einander gegenüberstehen: Mann und Weib. Wie die Zwei sich lieben und hassen, so haßt und liebt sich nichts mehr auf Erden. Für ihn sind es immer die nämlichen, denn was zwischen ihnen geschieht in Liebe und Haß ist durch die Jahrtausende immer dasselbe. Er kann da so genau nicht zusehen.

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Mann und Weib sind zwei Nationen, die niemals fraternisieren, am wenigsten, wenn sie sich zu der großen Allianz die Hand reichen.

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Liebe macht die Frauen hellsehend und die Männer blind. Denn die Frau will ein Ideal verwirklichen, der Mann will nur seinen Willen durchsetzen und unter allen Umständen Recht behalten.

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40 Die Männer leiden an einer Art geistiger »Übersichtigkeit«. Sie sehen ferne Horizonte, aber nicht die kleine Welt, die vor ihrer Nase liegt. Darum werden sie von den Frauen, denen die kleine Welt gehört, an eben dieser Nase herumgezogen.

Männer, die von dieser Regel eine Ausnahme machen und die Frauen durchschauen, sind für die Frauen unwiderstehlich, vorausgesetzt, daß sie zugleich die großen Horizonte umfassen. Ist dies aber nicht der Fall, so werden sie von ihnen verachtet.

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Es ist ein Stück Atavismus, daß raffinierte Männer die Frauen mißhandeln, um von ihnen geliebt zu werden. Die Wilden fingen die jungen Mädchen ein, betäubten sie mit Keulenschlägen und schleppten sie in ihre Hütten. Es war dies die Form der Werbung, durch die sie auf die Liebe vorbereitet wurden, und noch heute gibt es Beispiele genug, wo diese Form, ins Moralische übertragen, mit Erfolg angewendet wird.

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41 »Ist es dem Menschen nicht gestattet, Tiere zu jagen, Bäume zu fällen für seine Notdurft zur Speisung und Heizung; Blumen zu pflücken zur Lust seiner Augen? Und sollt' ich, ein Mann, nicht zum Spiel das niedere Wesen, das Weib, mir pflücken?«

Nur immerzu! Pflücke so viel du pflücken kannst, von dem, was niedrig wächst, du brauchst dich nur zu bücken. Wenn du dich am Ende deiner Bahn besinnst, so wirst du finden, daß du selber der Zerpflückte bist.

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Schwachheit des Weibes! Ja, sie ist unaussprechlich, es gibt nur ein Geschöpf, das schwächer ist – der Mann!

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Die schönen Frauen sind dem Manne im ganzen nicht sehr gefährlich, denn sie machen Ansprüche, die er sich schwer auf die Dauer gefallen läßt.

Was er zu fürchten hat, ist eine gewisse Sorte Frauen, die von der Natur mit wenig 42 Reizen und gar keinen inneren Gaben ausgestattet sind. Das sind die Schmarotzerpflanzen des weiblichen Geschlechts. Sie haben nichts, als ihre Bedürftigkeit, womit sie sich am Manne anklammern und festsaugen. Sie kriechen am Boden hin und umschlingen ihn von unten auf. Sie haben keinen Willen, keine Gedanken, keine eigene Geschmacksrichtung, sie haben nur den Trieb, sich festzuklammern, sie fordern keine Achtung, dulden jeden Fußtritt, arten sich nach Belieben um, aber halten fest. Die sind es, die das Unglück des ganzen Geschlechtes in der Liebe verschulden. Sie entwerten die Weiblichkeit. Sie sind wie die niedrigen Konkurrenzgeschäfte, die durch Schleuderpreise den anständigen Handel verderben. Das Nachbeten und Anräuchern, woran sie den Mann gewöhnen, fordert er dann vom ganzen Geschlechte als sein Recht.

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Es gibt für einen geistig hervorragenden Mann – sei er Künstler, Gelehrter oder was auch immer – keine gefährlichere Klippe als 43 weibliche Bewunderung. Wenn sich eine Anzahl alleinstehender Damen, besonders Witwen, um ihn festsetzt, die ihn als Orakel verehren, so muß er sich selber scharf in Obhut nehmen, sonst machen sie ihn erst eitel, dann unduldsam gegen andere Meinung und schließlich gegen alles, was nicht von ihm selber ausgeht, voreingenommen.

Der männliche Geist neigt ohnehin viel leichter zum Erstarren; tritt noch die Selbstgefälligkeit hinzu, so wird ihm jeder eigene Gedankenfund zum Unumstößlichen, Absoluten, und ein Mensch, der zu fortschreitender Entwicklung berufen war, trägt sich am Ende mit lauter fertigen Begriffen, die nichts sind, als die Totenstarre seines Geistes.

Umgekehrt können geistvolle Frauen durch männliche Huldigungen nie so verderbt werden. Ihre größere Beweglichkeit läßt kein Erstarren zu, ihr Geist wird im Gegenteil immer flüssiger und feuriger, wenn er auf andere Geister wirken kann, und – »die Arge liebt das Neue.« Besseres Zeugnis ist ihr nie aus Männermunde gegeben worden.

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44 Die Dritte. Hier sei eine Warnungstafel für Liebende aufgestellt. Ich male darauf das Bild der Dritten.

Sie wird in jedem Jahrgang geboren und kann jedes beliebige Äußere haben, aber am liebsten denke ich sie mir in ihrer völlig typischen Gestalt. Da ist sie lang und schlank, farblos und geschmeidig, mit langen Armen, die wie zum Umschlingen, mit Händen, die zum Greifen gemacht sind. Ihre Füße huschen, man hört nicht, wo sie geht. Schön ist sie niemals. Sie hat niemals einen eigenen Gedanken, ihr Geist ist eine ganz weiche Masse, die sich bequem in jede Form gießen läßt. In weiblichen Augen ist sie ein reines Nichts, durch das kein blühendes, gesundes Weib sich in seinen Rechten bedroht fühlt. Darum wird sie gerne von den Ehefrauen protegiert, besonders von den eifersüchtigen, die kein glänzendes Mädchen um sich dulden würden. Ihr Ruf ist der beste und schwer zu erschüttern. »Die Arme,« heißt es, »sie hat ja gar keine Reize.« Sie schleicht sich in einen Haushalt ein, erweist sich der Frau hilfreich, dem Manne unentbehrlich. Immer 45 ist es die Frau, die ihr die Tür geöffnet hat. Aber sie ist ein gefährliches Nichts. Ihr ganzes Innere ist eine große Leere, die aufgähnt nach dem Mann, sie will ihn an sich, in sich reißen, ihre Arme begehren ihn zu umstricken, ihr Geist begehrt sich mit seinem Geist, ihre Seele sich mit seiner Seele zu füllen. Sie ist das Raubtier unter den Weibern. Ihre Beute werden nur die schon gebundenen Männer, den Junggesellen ist sie nicht gefährlich, sie ist als Dritte geboren; kein Mann würde sich mit Absicht an sie verschenken. Aber der Ehemann glaubt keinen Grund zur Vorsicht zu haben; ihm tut es wohl, ein Weib, das er für gänzlich uninteressiert halten muß, um seine Person beschäftigt zu sehen. Sie drängt sich leise, unmerklich an ihn heran, sie lauscht ihm seine kleinen Eigenheiten ab, denen sie zu schmeicheln versteht, sie merkt auf seine Gewohnheiten und ist vor allem beflissen, ihm immer Recht zu geben. Hat er irgend einen besonderen Hang, auf den die Frau nicht einzugehen vermag, die Dritte spürt ihn auf, zieht ihn durch ihr Entgegenkommen 46 groß. Spricht der Mann, so ist sie ganz Ohr, sie saugt Nahrung aus seinem Geiste, und ihm ist dabei so behaglich, wie einer Mutter, die die Milchströme in ihrem Busen rinnen fühlt.

Zuerst ist die Zufriedenheit der Ehegatten durch sie gesteigert, sie haben einen Ableiter für die Stunden, wo sie glücksübersättigt zur Verstimmung neigen, sie ahnen keine Gefahr. Aber ihre einsamen Spaziergänge werden seltener, der Mann merkt, daß ihm etwas fehlt, wenn die Dritte nicht zugegen ist, er fühlt das Bedürfnis, von Dingen zu reden, die zwischen ihr und ihm angeregt sind und woran die Frau schon keinen Teil mehr hat. Sind erst diese heimlichen Fäden zwischen ihnen gezettelt, so hat die Frau, wenn sie eine reine, edle Natur ist, schon verloren, und es liegt nur an der Dritten, wie lange sie das Zusammenleben der Gatten noch dulden will. Nur wenn die Frau selber vom Raubtiergeschlecht ist, wenn sie sich auf das Ducken und Schmiegen, auf das Leisetreten und Huschen und Starkanpacken 47 versteht, so kann sie sich der Dritten noch erwehren,

Der Mann, der einem solchen Weibe verfällt, ist rettungslos verloren. Sie saugt seinen Geist, er bleibt ihr aber nicht; wie allzu gierige Säuglinge verschüttet sie die Nahrung und bleibt immer leer; sie zieht den Mann mit hinab in ihre gähnende Leere. Bald erträgt er keine Gesellschaft mehr, als nur die ihre. Der Widerspruch, dessen sie ihn entwöhnt hat, dünkt ihm eine Beleidigung, je kleiner er wird, um desto größer sieht er sich. Er ist unglücklich, weil die Welt ihn nicht ebenso groß sehen will, er verbittert und fühlt sich nur noch wohl neben seiner Vergifterin, die nun die Dosis immer mehr verstärken muß, bis sie ihn durch ihre Schmeichelei ganz verdummt hat und ihn jetzt selber nicht mehr ertragen kann. Ihr zehrendes Verlangen hat sie unterdes gestillt und kann sich nun anderswohin wenden; sie läßt ihn dann ganz hohl und ausgeleert zurück. Manchmal bleibt sie auch bei ihm, aus äußeren Gründen, dann behandelt sie ihn schlecht und rächt sich für 48 die Schmeichelei, die sie an ihn verschwendet hat.

So deutlich ich sie hier gemalt habe, kein Mann wird die Dritte erkennen, wenn er ihr begegnet, nur Frauenaugen sind scharf genug, sie zu durchschauen.

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Boa Constrictor. Im Deutschen ist die Schlange weiblichen Geschlechts, und man hat ihre Prädikate so oft auf die Evastochter übertragen, daß man sich die alte Feindin des Menschengeschlechtes immer in Weibsgestalt denkt. Eine Schlangenart aber gibt es, die in allen Sprachen männlich ist: der Boa Constrictor. So sei einmal zur Abwechslung dieser vorgeführt.

Er ist immer ein Mann von glänzenden Gaben, der aus Mangel an irgend einer wichtigen Qualität darauf verzichten muß, sich im Leben hervorzutun und unter Männern etwas zu gelten. Darum wirft er seinen Ehrgeiz und seine Herrschsucht auf das weibliche Geschlecht. Seine Opfer werden 49 vorzugsweise die geistvollen Frauen; den Dutzendweibern ist er viel weniger gefährlich, er stellt ihnen auch nicht nach, denn er sucht nicht, was sonst der Mann beim Weibe sucht. Er sucht nur das Geistige in ihr, das Seelische, das innerste, weibliche Selbst, für das der normale Mann zu grobe Finger hat. Durch das Mitteilungsbedürfnis bemächtigt er sich ihrer Seele, wie es der katholische Priester tut, und wie dieser wird er ihr unumschränkter Herr und Gebieter. Die femme incomprise ist gar nicht die lächerliche Figur, als die sie in der älteren Literatur hingestellt wurde. Sie existiert überall, wo ein begabtes oder auch nur eigentümliches Weib existiert, denn auch die Männer, die uns am stärksten lieben, denken nicht daran, unser tiefstes Sein belauschen zu wollen, dazu sind sie viel zu sehr mit sich selbst, mit ihrer Leidenschaft beschäftigt. Oft sind es gerade die gefeiertsten, die angebetetsten Frauen, die völlig ausgehungert sind nach ein wenig Verstandensein. Wenn einer solchen der Boa Constrictor begegnet, so hat er mit seinen spürenden Sinnen gleich 50 ihre individuellsten Bedürfnisse herausgetastet, er fühlt ihre feinsten Nervenschwingungen mit, denn von da aus wird er sie packen, zusammenschnüren, erwürgen. Sein Opfer verehrt in ihm den Weisesten und sittlich Höchsten aller Männer, weil er nicht auf das Weib, sondern auf das Individuum in ihr lauert. Den Mißton, der der ersten begeisterten Annäherung folgt, schreibt sie ihrer eigenen Unvollkommenheit zu, sie strebt, sich zu veredeln, um ihm näher zu sein, und nun spielt er nach Laune auf ihrer Seele. Je höher ihr Ernst, desto wilder sein Spiel; er verwandelt sich unablässig unter ihren Händen und ergötzt sich an ihrer Seelenqual, bis all ihre Saiten reißen. Denn er ist der geborene Frauenhasser: er rächt an ihr seinen Unmut darüber, daß es nur ein Weib ist, das er beherrschen kann.

Den Männern geht er instinktiv aus dem Wege, desgleichen solchen Frauen, von denen er sich durchschaut fühlt. Seine Gesellschaft wird auch allen denen, die nicht unter seinem Zauber stehen, in Bälde unerträglich, denn er kann über keinen 51 Gegenstand sachlich reden. Überall scheint die persönliche Absicht durch, alles wird dehnbar, schillernd in seinem Munde. Nur seine verblendeten Opfer hängen bis zum letzten Augenblick an ihm fest, weil er fort und fort die Illusion zerstört und wieder erneuert, als ob das Ich bei ihm seine trauteste Heimstätte finden könnte.

Besonderes Merkmal: er ist niemals ein Don Juan, bei seinen Eroberungen will er nur das Machtgefühl auskosten, die Sinne sprechen nicht in ihm. Am ehesten hat er seinesgleichen unter den Jesuiten, den feinen, hochgebildeten, die, um zu herrschen, den Umweg über das weibliche Herz nehmen. Aber die Jesuiten dienen dabei einem höheren Zweck. Sein Zweck ist ein Widersinn: Herrschen und das Beherrschte zerstören.

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Gesteigertes Lebensgefühl in einer Familie, das bei den männlichen Gliedern oft zum Wechselmord und zu Verbrechen aller Art geführt hat, bringt die herrlichsten Frauentypen hervor. Das sieht man an vielen 52 Frauen der Geschichte, besonders an denen der italienischen Renaissance und der griechischen Mythe, die eine vergeistigte Geschichte ist; am schönsten stellt es sich in Goethes »Iphigenie« dar.

Wenn das Weib durch starke Rasseanlagen über den seelischen Indifferenzpunkt, auf dem es gewöhnlich steht, hinaufgehoben wird, so können die positiven Elemente vorwalten, und es kann ein Bild vollkommenster Menschlichkeit entstehen. Dieselben Anlagen treiben den Mann, bei dem ohnehin die Hemmungen schwächer sind, auf eine Spitze, wo er sich überschlägt und ins Ungeheure stürzt.

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Jede begabte Frau sollte ihrem Geschlecht eine Wohltat hinterlassen, wie Fürsten an armen Orten, wo sie verweilt haben.

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Der Mann hat durch Zuchtwahl Jahrhunderte lang die Eigenschaften, die seinem Herrscher- und Besitzerinstinkt bequem 53 waren, an der Frau groß gezogen, er hat sie so lange an ihr gepriesen und besungen, bis die Frau in sein Ideal hineinwuchs. Er hat moralische Hypertrophien gezüchtet und sich dabei verrechnet, denn Prüderie zum Beispiel und Tugend sind grundverschiedene Dinge.

Man hatte sie so gewöhnt, sich dem vom Manne geprägten Typus anzupassen, daß sie gar nicht mehr wagte, ihrem Instinkte zu folgen, oder ihr Instinkt lag selber im Bann der Suggestion. Da ist es denn so weit gekommen, daß die meisten Frauen heutzutage nicht nur nicht wissen, wie sie über eine Sache zu denken haben, sondern nicht einmal, wie sie fühlen sollen, bevor ihre Männer ihnen die Richtung geben. Man zeige ihnen die Erwartung, daß sie sich choquiert fühlen, und sofort fließen sie vor Entrüstung über, wo sie eben noch bereit waren, Beifall zu klatschen.

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54 Gibt es etwas Dümmeres, als das Protzen auf sein Geschlecht? Kann sich ein geistreicher Mann auf eine Eigenschaft etwas einbilden, die er mit unzähligen Nullen gemein hat?

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Die Juden hatten von alters her in ihrem täglichen Gebet den Spruch: »Herr Gott, ich danke dir, daß du mich als Mann geboren werden ließest.« Seit aber der moderne Geist auch in den Mosaismus eingedrungen ist, glaubte man dem weiblichen Geschlecht einen Ausgleich schuldig zu sein, und die rechtgläubige Jüdin betet allmorgendlich an derselben Stelle: »Herr Gott, ich danke dir, daß du mich als das, was ich bin, geboren werden ließest« – soll heißen: nicht als Mann. So ist der Judengott jetzt in der glücklichen Lage, es allen Teilen recht gemacht zu haben.

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Gottfried Keller, den wir so gern als den Unsrigen ansprechen, zeigt sich der Frau gegenüber nicht als Deutscher. Seine Weiber 55 sind viel kräftiger, vollsaftiger, herrschender, als die der deutschen Dichter. Hätte ein deutscher Dichter eingestanden, daß der wichtigste geistige Prozeß, der sich in ihm vollzog, der Bruch mit dem religiösen Herkommen, durch ein junges Mädchen angeregt wurde, das nicht an Unsterblichkeit glauben konnte?

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Gleichklang gibt keine Harmonie. Es kann in der großen Symphonie der Zukunft nicht Aufgabe des Weibes sein, dieselbe Stimme zu singen, wie der Mann. Nur dann kann sie die Kultur fördern helfen, wenn sie es wagt, einmal hell und klingend ihre eigene Stimme hören zu lassen, von der man erst vereinzelte Töne vernommen hat. Ja, wären nicht die großen Dichter, die immer ein doppeltes Geschlecht haben, so hätte kaum je ein Laut die dichte Atmosphäre, in der die Seele des Weibes lebt, durchdrungen. Denn wie die Frau vom öffentlichen Leben ausgeschlossen war, so durfte sie auch am häuslichen Herde nicht sie selber 56 sein: sie mußte sich vor dem Manne scheuen, der ihre Seele ein für alle Mal in bestimmte, von ihm geschaffene Formen gegossen sehen wollte, und noch zehnmal mehr vor ihrem eigenen Geschlecht, das sich in seiner Masse so gern zum Polizeidiener der Konvention hergibt. Jene Großen haben es der Welt verraten, wie der Seher Tiresias, was in den Stunden, da sie Weib waren, mit ihnen vorgegangen ist. Aber auch sie konnten nur unser Fühlen ahnend verdolmetschen, unser geistiges Ich, wer hat es je vertreten? Und wir selber, vertrauen wir ihm zur Stunde schon genug, um damit nicht bessere, aber andere Dinge aus der Natur herauszuholen als der Mann?

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Was ist es nun, wodurch wir uns im Durchschnitt vom Manne zu unseren Gunsten unterscheiden? »Der Instinkt,« so pflegte er bisher mit mißverstandener Herablassung zu sagen, wie man etwa dem Tiere die Überlegenheit des Instinktes zugesteht. Aber wir 57 dürfen uns das Kompliment gefallen lassen. Es ist eine hohe Sache um den menschlichen Instinkt. Was sich dahinter birgt, ist eine starke psychologische Anlage, die, wo sie ihrer selber nicht bewußt wird, triebartig wirkt. Diese Gabe, nur auf persönliche Dinge angewandt, hat freilich unser Geschlecht in den verdienten Ruf der kleinlichen Berechnung und Ränkespinnerei gebracht; in höherem Sinne und in weiterer Sphäre wirkend, würde sie zur Wohltat für die Menschheit. Denn Psychologie ist es, was dem verworrenen Weltgetriebe vor allem not tut, sie müßte die Begleiterin des abstrakten Rechtssinns werden, sie müßte mit ihrer Fackel in alles Erziehungswesen leuchten, sie müßte überall, wo Menschen zusammenwirken, der strengen Sachlichkeit die Aufsicht führen helfen.

Nicht, als ob nun alle Frauen eine psychologische Anlage hätten und als ob allen Männern diese Eigenschaft mangelte. Es gibt Männer, die sie im allerhöchsten Grade besitzen – sonst gäbe es ja keine Dichter. 58 Allein die Dichter sind auch niemals die Repräsentanten einer ausgeprägten, einseitigen Männlichkeit. Es gibt hervorragende Frauen, denen sie gänzlich fehlt, aber eben an ihnen kann man die Probe auf den Satz machen, denn es pflegen diejenigen Frauen zu sein, die überhaupt in ihrer Handlungs-, ihrer Denk- und Sprechweise etwas Abstraktes, Prinzipielles haben und sich damit dem Wesen des Mannes annähern. Den Sinn für die heimlichsten Ursprünge des menschlichen Handelns wird man jedenfalls für ein Merkmal der weiblichen Natur gelten lassen müssen.

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Dann wird die Frau frei und geachtet sein, wenn man von der bedeutenden Leistung eines Weibes nicht mehr sagen wird, daß es eine männliche Leistung sei. Wie, zum Lohn dafür, daß sie euch entzückt und gehoben oder gefördert hat, wollt ihr sie ihres Geschlechtes berauben und erklärt sie für ein Versehen der Natur? Es kann nichts Gedankenloseres geben. Die wahrhaft 59 originelle Leistung eines Weibes wird auch allemal eine weibliche Leistung sein.

Wenn das taktlose Kompliment aus Männermunde kommt, so ist es nur als wohlgemeinte Unschicklichkeit anzusehen, daß aber der Chor der Frauen es nachbetet, statt die Persönlichkeit, an die es gerichtet ist, nach ihren innersten Merkmalen für sich zu fordern, ist eine Selbstentwürdigung, es heißt mit anderen Worten: Was kann aus unserem Armenviertel Gutes kommen!

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So lange die Frau wie ein Mond den Mann umkreist, daß nur die eine ihm zugewendete Seite beleuchtet ist, während nach der anderen unbekannten niemand fragt, so lange ist es unmöglich, sich über die Fähigkeiten der weiblichen Natur überhaupt ein Urteil zu bilden. Man hat bisher das künstliche Durchschnittsprodukt der Töchterschule als natürlichen Normaltypus, höher geartete Frauen aber als Ausnahmen, gewissermaßen 60 als geistige Mißgeburten hingestellt und ist so zu einem ganz falschen Bild des Weibes gekommen. Gerade wie wenn man aus dem Mittel der durch Schuhwerk verkrüppelten Europäerfüße die Norm des menschlichen Fußes ableiten wollte.

Was die Frau im Durchschnitt als Gesellschaftswesen wert ist, darüber kann man erst reden, wenn sie sich einmal ungehindert mehrere Generationen hindurch nach ihren inneren Gesetzen entwickelt hat – wenn sie endlich als ein Gestirn erscheint, das sich um seine eigene Axe dreht und sein Licht von der gemeinsamen Sonne empfängt.

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Wenn die ungeheuren Anforderungen der modernen Zivilisation den Mann immer mehr zum Fachmenschen plattdrücken und ihm die Zeit zur humanistischen Ausrundung beschränken, so muß es Sache der Frau werden, der Menschheit ihre höchsten Erbgüter zu bewahren. Nach diesem Ziele hat die unaufhaltsam gewordene Frauenbewegung, die zunächst nur praktische Zwecke 61 verfolgt, allmählich umzulenken. Denn wenn es sich bei all dem Kraftaufwand immer nur um die Förderung und ökonomische Sicherung einzelstehender weiblicher Wesen, also um den Ausnahmefall handeln sollte, so wäre der Preis zu klein für so viel Mühe. Ein viel höheres Ziel muß gesetzt, ein allgemeinerer und noch viel zwingenderer Notstand muß gehoben werden: wir brauchen eine stärkere, adligere Mutter für die künftigen Geschlechter, als die Durchschnittsfrau von heute.

Bisher hießen die höchsten Tugenden der deutschen Frau: Unterwerfung und Entsagung. Die deutsche Nation in ihrer langen wirtschaftlichen Misere brauchte jenen Typus des weiblichen Lasttieres (der nun schon der Vergangenheit anzugehören beginnt), und deshalb züchtete sie ihn, indem sie ihn mit unbewußter Absicht zum Ideal erhob. Kein anderes modernes Kulturvolk hat ein so niedriges, nur auf Unterdrückung der Persönlichkeit beruhendes Frauenideal geschaffen wie das deutsche. Man denke nur an Shakespeares Frauencharaktere oder an die 62 weiblichen Lieblingsgestalten der italienischen Renaissance. Aber auch der Deutsche kannte dieses Ideal der negativen Frauentugenden erst, seitdem er es brauchte. Die deutsche Edeldame des Mittelalters war sogar gebildeter als der Edelmann, und man fand dies nicht unweiblich, sondern ganz natürlich: sie hatte ja mehr Zeit zum Lesen und zum Verkehr mit den wandernden Sängern, als ihr beständig in Raufhändel verwickelter Eheherr. Erst die tiefe, dauernde Verarmung der Nation nach dem dreißigjährigen Kriege mit dem Niedergang alles dessen, was das Leben schmückt, erzeugte jenen Frauentypus, dessen höchstes Streben auf Selbstentäußerung gerichtet war. Sonst pflegen in Zeiten vaterländischer Not die Frauen ihr Geschmeide darzubringen. Die deutsche Frau hat viel, viel mehr geopfert: die Grazie, die Eleganz, die Bildung, die gesellschaftlichen Reize und Talente und noch anderes mehr, das sonst allerwärts der Frauen Erbteil ist. So wurde sie die ungraziöse, pedantische, kleinliche, aber nützliche deutsche Hausfrau, deren Mangel an Form sich beim Sohn 63 aufs Geistige übertrug, so daß Formlosigkeit vom deutschen Geiste unzertrennlich geworden schien. Noch mehr, sie opferte sogar ihr Geschlecht: in den Familien, wo die Mittel nur zur Ausstattung der Söhne reichten, da wurde sie, ohne zu rebellieren, die einsame, lächerlich gemachte, von aller Welt herumgestoßene »alte Jungfer«. Man könnte sagen: Mit dem gemeinsamen Sparpfennig der »guten Hausfrau« und der »alten Jungfer« ist der große deutsche Gelehrtentypus erzogen worden. Freilich hat dieses Opfer der Frauen Deutschland in seiner schlimmsten Zeit über Wasser gehalten und ihm seinen geistigen Rang unter den Nationen bewahrt. Die Tränen aber und die Schweißtropfen, die darum vergossen wurden, hat niemand gezählt. Niemand fragt, wie viel blühende, gesunde Gestalten, verkümmert und zur Unfruchtbarkeit verdammt, in den Winkel geworfen wurden, um Stubenhocker groß zu ziehen, aus denen dann in tausend Fällen einmal eine Leuchte der Wissenschaft hervorging.

Heute steht es anders. Die negativen 64 Frauentugenden sind auch in Deutschland überflüssig geworden, seitdem die Nation sich regen kann. Die deutsche Frau möge nun den abgelegten Schmuck wieder hervorsuchen, um würdig unter ihren Schwestern zu erscheinen. Aber sie hat noch mehr zu tun als das. Wenn der männliche Geist, dank der Spezialisierung aller Wissenschaft, einmal der Doppelaufgabe nicht mehr gewachsen sein wird, die neuen wissenschaftlichen Ernten einzuheimsen und die vollen Scheunen des Altertums zu bewahren, dann muß die gebildete Frau an seine Seite treten und die Lücke füllen. Früher schuf er die geistige Atmosphäre, und die Frau hatte im günstigsten Falle als Genießende daran Teil. Es dürfte eine Zeit kommen, wo er ihr gerade auf diesem Punkt als der Empfangende gegenüberstehen wird. Er nehme ihr nur den Kampf ums Dasein, der ihr auf die Länge doch zu hart sein dürfte, wieder ab, dafür wird sie ihm Hüterin der geistigen Schätze werden, wie sie es bisher nur der materiellen war. Zweifelt nicht, daß sie sich trefflich zu diesem Amte eignen wird. Ihr Geist ist 65 noch jugendlich, unverbraucht, nicht durch tausendjährigen Drill verdorben, ja und ich wage mir einzubilden, daß er bei seiner größeren Beweglichkeit überhaupt nicht so leicht zu verderben ist. Jedenfalls wird er auf lange Zeit im stande sein, sich selbst gegen ein verkehrtes Schulsystem zu halten, bis dann endlich unter seiner Mitwirkung auch dieses verkehrte System gebrochen wird.

Kein Zweifel, die Herkulesarbeiten der Zukunft werden wie die der Vergangenheit vom männlichen Geschlecht verrichtet werden. Der Frau liegt es ob, den würdigen Kulturhintergrund für die Taten der künftigen Heroen zu schaffen, damit die Menschheit nicht trotz ihrer Gottähnlichkeit in die Barbarei zurückfalle. Etwas ähnliches fühlen schon die Amerikaner von heute, die es richtig finden, daß ihre Frauen sich eine feinere Bildung aneignen, als ihnen selbst die Geschäfte gestatten. Nur daß diese Bildung, weil sie aus literarischen Modeerzeugnissen besteht, der Nation auch bloß äußerlich zu gute kommt. Die tief sprudelnden 66 Quellen einer klassisch-humanistischen Bildung allein haben die innere, lebenwirkende Kraft. Diese Bildung muß vom häuslichen Herde ausgehen, denn bei Bilderbuch, Lied und Märchen liegt der Anfang aller Kultur. Götter und Heroen sind zu Spielkameraden der Kindheit eben gut genug. Dann mag man immerhin dem Jüngling die Zeit für die klassischen Studien beschränken, die Mutter hat ihm den Weg nach Rom und Hellas abgekürzt, und sollte ihm je im Dienste exakter Wissenschaften ein Teil der ererbten Schätze abhanden kommen, so muß er sie später an seinem eigenen Herde wiederfinden.

Vielleicht wird Männerstolz und -Voreingenommenheit ungern eine so große Macht in die Hände der Frauen übergehen sehen. Die einen werden fürchten, daß die Frau Herrschaftsgelüste bekomme, die anderen, daß die häusliche Bequemlichkeit darunter leide. Unbesorgt, ihr Kleingläubigen. Der Geist ist überall ein gar brauchbares Ding und selbst für die kleinste häusliche Verrichtung gut. Und was das andere betrifft – so lange es Männer gibt, war es ihr 67 Los, von Frauen unterjocht zu sein. Schon die Sprache plaudert dieses Geheimnis aus. Die niedrigste Maitresse ist eine »Gebieterin«. Ist es nicht besser, eine kluge Freundin, als eine stumpfsinnige Gebieterin zu haben?

Freilich, es hat noch gute Wege, bevor die Frau diese Höhe ersteigt. Was sich heute unter dem Titel des »modernen Weibes« spreizt, jene seltsame Mischung von Prätension und Unzulänglichkeit, die auf wirkliches Können noch nicht eingerichtet ist und das Opferbringen verlernt hat, das ist eine unreif gefaulte Frucht am Baum der Zivilisation.

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Geistreiche und schöpferische Frauen haben in unseren Tagen mit Bewußtsein unbedeutende Männer geheiratet, bloß weil diese jung und hübsch waren, und haben sich mit der Befriedigung der Sinne befriedigt erklärt. »Mein Mann braucht keinen Geist zu haben, wenn er mir nur gefällt,« denken sie mit überlegenem Lächeln, wenn sie auch noch nicht so weit gehen, es auszusprechen. 68 Die Natur bäumt sich auf, aber das Experiment, einmal gemacht, findet Nachahmung. – Und hat nicht auch die Natur sich aufgebäumt, als zum ersten Mal der Mann seine Genossin zum Haustier erklärte?

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Nietzsche und die Frauen. Nietzsches Werk ist im Grunde selbst ein »Sklavenaufstand«. Die Werte, die er umwerten will, kleben noch an ihm fest, er ringt mit ihnen, bald wird er Meister über sie, bald sie über ihn. Ist es nicht ein ganz breites Stück Philisterium, wenn er, wie in der Biographie seiner Schwester zu lesen steht, dem kleinen Mädchen den Homer, für den er selbst begeistert ist, als unpassend verweist? Mädchen sollen keinen Teil am Größten, Wahrsten, Einfachsten haben, das den Menschen auf den Boden der Natur zurückversetzt! Und warum? Er sagt es uns nicht. Für Mädchen paßt die biblische Geschichte, sagt er, gerade wie der Herr Pfarrer oder der Herr Schulmeister sagen würde. – Und eben weil er noch die Spuren der alten Ketten an 69 sich trägt, deshalb laufen ihm die Freigelassenen aller Länder in Scharen zu. Die Freigeborenen haben nichts bei seiner Fahne zu suchen.

Daß er mit dem Hergebrachten nicht fertig geworden ist, beweist er durch seine Stellung zum Weibe, der Amme und Erzieherin des Menschengeschlechts, die alle Saat der Zukunft sät. In seinem Haß gegen den »Feminismus« vergißt er ganz, daß es die kräftigsten, jugendlichsten Rassen sind und waren, die der Frau die überlegenste Stellung eingeräumt haben: im Altertum die Dorer und unsere germanischen Vorfahren, in unserer Zeit die Amerikaner, denen man doch Männlichkeit nicht absprechen wird. Wogegen der weichliche und weibische Orient die tiefste Unterdrückung des Weibes erfand.

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Nietzsche ruft Wehe über das Weib, das sich vor dem Manne nicht mehr fürchtet. Aber wo sind denn die Männer, vor denen das Weib sich heutzutage »fürchten« kann? 70 Das männliche Ideal ist dem Weibe zerstört, seitdem das Zeitalter nur Spezialisten auf jedem Gebiet heranzieht. Sein Dämonisches ist von dem Manne gewichen, und damit hat alles »Fürchten« ein Ende. Keine Unabhängigkeit des Weibes kann dem Manne den Zauber nehmen, den er auf sie ausübt, wenn er sich nicht selber sein begibt. Laßt nur einmal ein neues, starkes Geschlecht von männlichen Männern kommen, und alle Ausartungen der Frauenbewegung werden in sich zusammensinken, wie ein Luftkissen, dem sein Inhalt entströmt. Das Fürchten aber wird ein gegenseitiges sein, wenn die beiden sich in Zukunft finden und jedes vor dem ihm unbekannten Dämon des andern erschrickt. Denn was kann dem Weibe Überraschenderes und Größeres begegnen, als ein Mann, der diesen Namen verdient, was kann dem Manne fremdartiger und bezaubernder kommen, als das starke, seiner eigenen Natur bewußte Weib. Wo die zwei sich begegnen, da werden sie sich so übermächtig anziehen und doch auch durch ihre innere Verschiedenheit weit genug abstoßen, 71 daß sie gezwungen sind, in Ewigkeit als ein Doppelgestirn eins um das andere zu schwingen. Oder sie werden mit solchem Prall zusammenstoßen, daß beide Teile unter einem Feuerregen in Stücke gehen. Aber am meisten dabei gewinnen wird die Poesie, die wieder einmal große Leidenschaften zu besingen haben wird, wie in jenen Tagen der Vergangenheit, wo Mann und Weib einander die Wage hielten.

Die italienische Renaissance, die mit ihrer gewaltigen Bejahung der Persönlichkeit auch dem Weibe die positiven Eigenschaften abforderte, stellte neben ihre grandiosen Männergestalten fort und fort ebenbürtige, herrliche Frauen, die teils sichtbar, teils unsichtbar in das Ringen der Zeit eingriffen. Niemand nannte diese Frauen unweiblich, denn es war ja gerade die Entfaltung ihrer weiblichen Natur, die sie berechtigte, neben die Männer zu treten, wie siegverleihende Göttinnen neben ihre Heroen. Alle Leidenschaften wurden aufs höchste gespannt und entluden sich in unvergänglichen Werken und in unvergeßlichen Verbrechen. 72 Aus der Annäherung der beiden Geschlechter in dieser gespannten Atmosphäre erwuchs eine Menschensaat, in der die großen Genien wie Halme aufschossen. Kein Wunder, daß ihre Zahl unendlich wurde, als sollte ein neues Titanengeschlecht sich über die Erde verbreiten, bis die anflutende Barbarei dem Treiben und Sprossen ein Ende machte. Sobald nun das stiller werdende Leben das Weib auf seine negativen Eigenschaften zurückverwies, und darum auch sie aufhörte, dem Mann sein Äußerstes im Guten und Bösen abzulocken, wurde neben dem allgemeinen Rückgang der Nation auch der Genius wieder ein seltener Gast auf Erden. Und von nun an sank mit dem sinkenden Kulturniveau des Landes auch das Frauenideal der Italiener, und sank immer tiefer bis auf ein fast orientalisches Niveau herab, das sich erst in unseren Tagen, jetzt aber mit reißender Schnelligkeit, wieder zu heben beginnt.

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Die Frau in der Küche. Alle Gebiete hat der Germane der Frau verschlossen, 73 mit Ausnahme des einen, wohin sie nicht paßt, der Küche. Zu allem möglichen hat die Frau Geschick: zum Wundennähen, zum Prozesseführen, die Geschichte sagt sogar: zum Staatenregieren, nur zum Kochen hat sie, in der Gesamtheit genommen, keins. Wie schmackhaft ist der Tisch bei Franzosen und Italienern bestellt, wo Männer die Küche regieren. Auch bei den Griechen und Römern war es so. Das Mahl als Kunstwerk wird nur vom Manne begriffen. Der Mann ist ein inspirierter, ein genialer Koch, Ehre, wem Ehre gebührt, er dichtet mit dem Kochlöffel. – Wer je das Vergnügen gehabt hat, von einem kulinarisch gebildeten Junggesellen zu einer Mahlzeit geladen zu werden, die er selbst gekocht hat, der wird in meine Bewunderung einstimmen. – Seine geistige Helligkeit bleibt dem Manne am Herdfeuer ungetrübt, und seine Mühe ist gleich Null: er kann neben dem Kochen ein Bild malen oder eine Wahlrede einstudieren. Das weibliche Geschlecht ist in der Küche niemals produktiv gewesen, es kocht talentlos weiter nach vererbten Rezepten, und das ist noch 74 ein Glück, denn wenn es improvisieren will, so pfuscht es meistens.

Aber was schlimmer ist: die Frau verdummt am Herdfeuer. Diese Weisheit ist nicht auf meinem Grund und Boden gewachsen, ich verdanke sie einem alten Seefahrer und Weltweisen, der mir viele Sommer hindurch im Golf von Spezia die Küche bestellt und manches tiefsinnige Wort dazu geredet hat. Er war einer der klügsten Menschen und der besten Köche in einem Land, wo alle Menschen klug und alle Köche gut sind.

»Warum kochen denn bei euch die Männer?« fragte ich ihn eines Tages, da ich in jenem Lande noch ein Neuling war.

Er sah mich an, wie wenn ich gefragt hätte: »Warum ziehen denn bei euch die Männer in den Krieg?«

Dann sagte er einfach: »Das Herdfeuer ist zu heiß für die Frauen, es schadet ihrem Kopf, es macht sie blöde und zänkisch.«

Da ging mir mit einem Male ein helles Licht auf: das Herdfeuer ist's, was die 75 deutsche Frau heruntergebracht hat. Und um sich für die widerfahrene Unbill zu rächen, kocht sie so langweilig, daß jeder feinere Appetit schon vom Ansehen der Schüsseln vergeht.

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Die Frau im Hause. Die Frauen sollten nicht klagen, daß ihre häusliche Beschäftigung zu niedrig sei, sie sollten Gott danken, daß sie nicht, wie die Männer, in Gefahr sind, von lauter Abstraktionen verschlungen zu werden. Wie freudelos ist das Tun des Beamten, der seine Bureaustunden absitzt, des Kaufmanns, der Zahlen an Zahlen reiht, gegen das ihre. Greift eine Hausfrau nicht hinein ins volle, strotzende Leben, wenn sie einen Sack mit Mehl öffnet? Ein Zuckerhut, ein Krug Öl, ein Korb voll Äpfel oder Nüsse, sind das nicht natürliche Gegenstände, deren Berührung ein sinnlicher, das heißt ein poetischer Genuß ist? Was gibt es Erquicklicheres, als einen Ballen schöner, starkkörniger Leinwand? Der Duft, den sie ausströmt, ist den Nerven wohltuend, 76 wie ein Bad, er erinnert noch an das wogende Feld, wo die blaue Leinblume blühte. Im Rohstoff ist noch die frische, sinnliche Wirklichkeit, während sonst ringsum im Leben alles schon verarbeitet und verbraucht ist. Sind darum nicht auch die Frauen der Natur näher geblieben und fähiger, ihr Lallen zu verstehen? Nur das laute, aufdringliche Gerassel müßte man der häuslichen Maschine abgewöhnen, denn das allein ist es, was die Frau im Hause erniedrigt.

 

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