Isolde Kurz
Aus meinem Jugendland
Isolde Kurz

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Der Brand und die Flamme. Hat der Mann ein Seelenleben?

Ich weiß nicht, ob die kleinen Episoden, die ich hier erzählen will, nicht vielmehr in die Zeit nach meines Vaters Tode fallen. Mein Gedächtnis schiebt sie an dieser Stelle ein, weil mir nachträglich alles Heitere vor jenem dunkeln Tage zu liegen scheint.

In der Kronengasse, schrägüber von unserer Wohnung, lag eine Studentenwirtschaft, die Flammerei genannt, wo Edgar und zuweilen auch die jüngeren Brüder die Abende verbrachten. Daß es dabei munter und witzig herging, mußte ich den Beteiligten glauben, als Unbeteiligte sah ich aber immer nur den unfrohen Ausklang der fröhlichen Stunden. Zwar trieben sie es gewiß nicht schlimmer als die andern Musensöhne auch, nur daß jene der Mehrzahl nach nicht unter den Augen ihrer Mütter lebten. Die meinige konnte sich an das Nachtschwärmen ihrer Söhne nicht gewöhnen und wollte niemals schlafen gehen, bevor sie alle daheim in ihren Betten wußte, wenn es auch noch so spät wurde. Hatte ich sie endlich doch dahin gebracht, daß sie sich niederlegte, so horchte sie schlaflos, bis sie Edgars Tritt auf der Treppe vernahm, denn ihm, für den sie von klein auf am meisten gezittert hatte, galten vor allem ihre Ängste. Im Nu war sie aus dem Bette und auf dem offenen Gang, ich ebenso schnell, in einen Überwurf gehüllt, an ihrer Seite, um den aufgrollenden Sturm zu beschwören. Dabei verdiente ich mir, wie es den Friedensstiftern zu gehen pflegt, bei keinem der beiden Teile Dank, da der eine nur den gestörten schönen Abend, der andere nur die in Sorge durchwachten Stunden sehen wollte. Mamas Raschheit endete gewöhnlich damit, 205 daß der ebenso rasche Sohn alsbald wieder in die Nacht hinausstürmte und erst zum Morgenkaffee nach Hause kam. Mir lag es dann ob, das aufgeregte Mutterherz zu beschwichtigen, sie ins Bett zurückzuführen und bei ihr zu sitzen, bis sie sich in Schlaf gegrämt hatte. Die wunderbare Frau, die bei der Gedankentiefe eines Philosophen nicht mehr weltliche Klugheit als ein Kind besaß, wollte sich niemals überzeugen lassen, daß die Stunde, wo ein Student in erhöhter Stimmung aus dem Wirtshaus kommt, nicht die geeignete ist, ihn vom Wirtshausgehen zu bekehren. Leichter hatten es die jüngeren Brüder, besonders Erwin, der die Kunstschule von Rottenburg besuchte und in den studentischen Kreisen seiner Zeichenkünste und seines heiteren mimischen Talentes wegen ein gern gesehener Gast war. Wenn sich einmal die mütterlichen Vorwürfe über ihn ergossen, so nahm er die kleine leichte Frau singend in den Arm und tanzte mit ihr, bis ihr Wort und Atem ausgingen und ihr Unmut sich in Lachen löste.

Eines Tages bat er mich für einen Streich, den er vorhatte, um mein hübsches hellgraues Straßenkleid. Ich half ihm selber in den Anzug, bemühte mich, seine schlanke Länge mittels eingestopfter Taschentücher etwas ins Weibliche zu runden, gab ihm noch Anleitung, gesittet in den Röcken zu gehen und entließ ihn mit meinem Segen. Der Bengel sah bildhübsch aus, begann aber auch gleich, seine Augen auf eine Weise im Kopf zu drehen, daß mir Arges schwante. Edgar stellte ihn in der Flammerei als eine von auswärts gekommene Base vor, niemand erkannte ihn, und die schöne, geschmeidige Erscheinung erregte natürlich das stärkste Aufsehen, denn es war unerhört, daß ein junges Mädchen aus guter Familie des Abends unter den Studenten saß. Das Dämchen kokettierte gewaltig, zechte, rauchte, ließ sich mit jedem einzelnen heimlich ein und gab Betulichkeiten betulich zurück. Ein hübscher, etwas leichtsinniger Philologe jedoch 206 sah sich für den Meistbegünstigten an und fing ernstlich Feuer. Seine Huldigungen wurden so stürmisch, daß Edgar es geraten fand, die gefährliche Verwandte, durch deren Betragen er sich nachgerade etwas bloßgestellt fühlte, geräuschlos verschwinden zu lassen. Der erregte Anbeter stürzte ihr auf die Straße nach und rannte die ganze Stadt nach dem Gegenstand seiner Flamme ab, während der Schalk schon still daheim im Bette lag. Er behielt jedoch meine Kleider und fuhr dann und wann wieder hinein, um schnell irgendwo aufzutauchen und spurlos zu verschwinden, worüber der Suchende in immer größere Leidenschaft geriet. Edgar warnte ihn vor der Kokette, deren Besuch man ihrer unziemlichen Haltung wegen habe abkürzen müssen, der andere behauptete dagegen, sie sei noch in der Stadt und werde grausamerweise vor ihm, der es doch ehrlich meine, versteckt. Edgar mußte schließlich dem Jammer ein Ende machen und erklären, daß das schöne bacchantische Kind sein jüngerer Bruder sei. Der Gefoppte kam wie von Sinnen, weinte, sprach vom Totschießen, fand aber am Ende seinen Trost darin, das zierliche Bürschchen, das ihn an der Nase geführt hatte, wärmstens ins Herz zu schließen. Ich erhielt nun endlich auch mein Kleid zurück, mußte es aber wegschenken, denn nachdem es solche Orgien gesehen hatte, mochte ich es nicht mehr an meinem Leibe fühlen.

Die Zusammenkünfte in der Flammerei gingen immer weiter und die Ängste meiner guten Mutter ebenfalls. Sie sah es deshalb gern, wenn auch unsere jungen Hausfreunde die Flammerei besuchten, denn von jedem hoffte sie, er würde einen günstigen Einfluß üben und die Sitzung abkürzen. Aber jene verfielen alsobald dem Genius loci und blieben ebenfalls sitzen. Darum entzog sie ihnen ihre Gunst und sah immer in dem zuletztgekommenen Verführten den Verführer. Nicht anders erging es unserem Freunde Ernst Mohl. Eines Abends, da die Wirkungen der Flammerei an den jungen 207 Herren gar zu deutlich hervortraten, schloß der ältere Freund sich ihnen als getreuer Eckard auf dem Heimweg an, um den häuslichen Zusammenstoß abzuschwächen. Als sie miteinander nicht eben geräuschlos zur Tür hereinkamen, wollte Mama gleich mit Vorwürfen gegen den vermeintlichen Anstifter losbrechen, aber ich kam zuvor, indem ich selber das Strafgericht übernahm und schließlich den Reuigen verurteilte, des anderen Morgens um neun Uhr mit einem Bußgedicht über das Thema: Der Brand und die Flamme anzutreten.

Dadurch bekam der Auftritt unerwartet eine heitere Wendung. Während jener bußfertig die Strafe auf sich nahm und das Gedicht im Katzenjammer zu schmieden versprach, gewannen die Hauptschuldigen Muße, sich friedlich in ihre Betten zu verziehen.

Richtig stellte sich der Gemaßregelte des anderen Tages zur bestimmten Stunde ein und brachte sein Gedicht, das als lautete:

      Der Brand und die Flamme

Daß ich, dieweil ich in der Flamme
Mir antrank einen kleinen Brand,
Obgleich ich sehr noch auf dem Damme,
Dir meine Schwäche eingestand,

Das hat in dir des Zornes Flamme
Zu solchem Übermaß entfacht,
Daß du, Herzlose und Grausame,
Mir eine Strafe zugedacht:

Ich solle gleich nach Hause gehen,
Ausschlafen von der Kneiperei,
Und dann in Versen dir gestehen,
Wie sehr ich zu verdammen sei.

Ich werde – ehrlich es zu sagen,
Ist Rache ebenso wie Pflicht –
Noch manchen aus der Flamme tragen:
Die Ente läßt das Schwimmen nicht.

208 Freilich, die Ente am Schwimmen zu hindern, hätte es ein Wunder gebraucht. Der Trunk galt damals noch beim deutschen Mann in viel höherem Maß als heute für einen Ausweis von Männlichkeit und war zugleich von einer Art Weihe umgeben, denn man glaubte noch das Weben altgermanischen Heldengeistes beim Humpen zu verspüren. Dieses deutsche Erbübel drückte dem ganzen Leben seinen Stempel auf und trug viel zu der gesellschaftlichen Formlosigkeit bei, weil es die Geschlechter trennte. Ältere Herren hielten es meist in Damengesellschaft nicht aus; kam solch ein männlicher Gast in die Familie, so erging in kurzem an den Hausherrn die Frage: Wollen wir streben? Darauf erhoben sie sich und strebten – natürlich nach dem Wirtshaus. Dort wurden erst die tieferen Gespräche entbunden, die kein weibliches Ohr vernahm als das der Kellnerin. Wie durfte man nun erwarten, brausende Jünglinge von einer Sitte fernzuhalten, die von ihren Lehrern und Vorbildern mit Inbrunst geübt und von den Dichtern als einer der höchsten Lebenswerte besungen wurde? Auf diesem Punkte konnte man sich nie verstehen. Ich war natürlich den Wirtshäusern, die mich so viele schlaflose Nächte kosteten, spinnefeind, und wenn man auf gemeinsamen Spaziergängen in eine Wirtschaft geriet, wo die männliche Jugend sich alsbald festhakte, so saß ich nach kurzem wie auf Kohlen. Edgar klagte, daß ich den Komment nicht erfaßt hätte, und suchte mich aus dem Hafis und Anakreon von der Poesie der Schenke zu überzeugen. Aber vergeblich: auf einer Holzbank vor dem Bierglas zu sitzen, gehörte für mich zu den schwersten Geduldsproben, und selbst dem grünen Blätterdach der Roßkastanie wurde ich gram, so schön seine lenzlichen Blütenkerzen waren, weil dieser Baum sich in meiner Vorstellung mit dem Sonntagspublikum der Wirtsgärten und dem Gegröl der Kegelbahn unzertrennlich verband. Da gegen den germanischen Durst in keiner Weise aufzukommen war und ich die Erfahrung 209 machte, daß auch diejenigen unserer jungen Freunde, die mir die ritterlichste Ergebenheit bezeigten, sobald sie zwischen meiner Seelenruhe und dem Wirtshaus zu wählen hatten, dem Wirtshaus den Vorzug gaben, und kein Vorsatz, kein Versprechen stark genug war, sie zu binden, wurde ich allmählich am männlichen Geschlecht völlig irre. Und in meiner Verzweiflung setzte ich mich eines Tages nieder, um eine Untersuchung zu schreiben über die Frage: Hat der Mann ein Seelenleben? Oder ist er nur ein Gefäß zur Aufnahme von Flüssigkeit? Ich brachte es aber nicht weiter als bis zur Überschrift, denn ich kam über das Für und Wider nicht ins klare.

Als ich einmal nach Jahrzehnten, kurz bevor Edgars arbeitsreiches Leben vorzeitig schloß, mit ihm in Florenz beisammen saß und wir der alten Zeiten gedachten, bekannte ich ihm, mit welchem literarischen Vorsatz ich mich dazumal in Tübingen getragen hatte und wieso ich über die Beweise für das Seelenleben des Mannes nicht schlüssig geworden war. Da strich er sich schmunzelnd über den Bart und sagte: Ich glaube jetzt die Frage dahin entscheiden zu können, daß der Mann unbestreitbar ein Seelenleben hat, daß ihn aber dieses nicht hindert, auch ein Gefäß zur Aufnahme von Flüssigkeit zu sein. – Sprach's und leerte mit Andacht sein Glas Chianti. 210

 


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