Karl Kraus
Die letzten Tage der Menschheit
Karl Kraus

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IV. Akt

1. Szene

Wien. Ringstraßenkorso. Sirk-Ecke. Larven und Lemuren. Alles erscheint Arm in Arm zu fünft. Grundlose Fröhlichkeit wechselt mit dumpf brütendem Schweigen. Ein Knäuel von Böcken steht da, je zwei Stirn an Stirn, einander anstarrend, wie durch ein Geheimnis miteinander verbunden. Soweit die Masse in Bewegung ist, zieht sie durch ein Spalier von Zivil, Krüppeln, Invaliden, deren Köpfe und Gliedmaßen in unaufhörlichen Zuckungen begriffen sind, von Fragmenten und Freaks aller Arten, Bettlern und Bettlerinnen aller Lebensalter, von Blinden und von Sehenden, die mit erloschenen Blicken die bunte Leere betrachten. Dazwischen gebückte Gestalten, die das Trottoir nach Zigarrenresten absuchen.

Ein Zeitungsausrufer: Extraausgabee –! Varnichtete Niedalage der Italiena!

Zweiter Zeitungsausrufer: Extraausgabee –! Die amerikanische Note von Wülson!Wülson – Thomas Woodrow Wilson, von 1913 bis 1921 Präsident der USA. Er erklärte am 6.4.1917 den Eintritt der USA in den Krieg, sein 14-Punkte-Programm vom Jan. 1918 diente als Basis des Versailler Vertrages

Ein Offizier (zu drei anderen): Grüß dich Nowotny, grüß dich Pokorny, grüß dich Powolny, also du – du bist ja politisch gebildet, also was sagst zu Amerika?

Zweiter Offizier (mit Spazierstock): Pluff!

Der Dritte: Weißt – also natürlich.

Der Vierte: Ganz meine Ansicht – gestern hab ich mullattiert –! Habts das Bild vom Schönpflug gsehn, Klassikaner!

Der Erste: Weißt, ich glaub, es is nur eine amerikanische Reglam oder halt so was.

Der Vierte: A Gschäft wollen s' machen einfach, steht heut in der Zeitung. Für ihnern Pusiness!

Der Dritte: Weißt, wann s' rüsten, rüsten s' gegen China.

Der Zweite: Woher denn, gegen Japan!

Der Dritte: Oder gegen Japan natürlich, das is doch dasselbe, weißt ich verwechsel die immer.

Der Zweite: Pluff sag ich. Erstens können s' nicht wegen die U-Boot –

Der Vierte: Natürlich, jetzt wo s' noch dazu verschärft sein.

Der Zweite: No weißt und wenn s' schon herüberkommen – mit denen ihre Divisionen wird ein Regiment von uns spielend fertig, aber spielend mein Lieber – rrtsch obidraht.

Der Dritte: Höchste Zeit, wann amal Frieden is.

Der Zweite: Erlaub du mir!

Der Dritte: No, daß man wieder in die Gartenbau kann!

Der Zweite: Ah so, das is was andreas.

Der Erste: Also du, du bist doch politisch gebildet, also ich lies da immer, sie machen eine Blockade, du was is das?

Der Zweite: Weißt das is so – also wir und die Deutschen wir sind ein Block, den s' nicht besiegen wern, no und dafür sperrn s' uns halt die Lebensmitteln und so.

Der Erste: Ah, so is das – du is das wahr, daß die Sozi schuld sind an dem Hofverrat von die Böhm? – Du – mir scheint – das Mensch kenn ich, schau – du was is das eigentlich Belange?

Der Dritte: Herstellt – das ist die von gestern – ein Gustomenscherl – warts, ich – (ab.)

Die Andern (ihm nachrufend): Kommst also nacher zum Hopfner!

Dritter Zeitungsausrufer: Tagblaad! Unwidastehliches Vurdringen unsara Truppeen!

Eine Komtesse (einen der Offiziere bemerkend, zu ihrer Begleiterin): Schau, die vielen Auszeichnungen, der hat sich gewiß gut geschlagen! Ich hab's rasend gern, wenn sich die Leut gut schlagen. (Ein blinder Soldat in zerlumpter Uniform in einem Rollwagen erscheint.) Wie ich noch im Palffy-Spital war –

Ein Intellektueller (zu seinem Begleiter): Ich versicher Sie, solange die Feinde eine Mentalität haben – (ab.)

(Ein Automobil hält vor dem Hotel Bristol. Ein Riesenbaby lehnt darin.)

Poldi Fesch (erscheint am Wagenschlag): L'exactitude la politesse des rois. Du, noch eine Minute, ich hab meine Gründe.

Das Riesenbaby: Wie viel Gedecke? Kommt sie?

Poldi Fesch: Qui vivra verra. Ich bin heut kolossal rnontiert, wiewohl ich gestern verloren hab – im Chapeau – zu blöd – also seitdem ich den großen Verlust damals an der Südwestfront gehabt hab, is mir das nicht passiert.

Das Riesenbaby: Ich versteh dich wirklich nicht, warum du dich mit solche Leute – das ist doch keine Klasse!

Poldi Fesch: Erlaub du mir – dafür wird morgen wieder mit dem Sascha Kolowrat gedraht – übrigens – da mußt du noch viel lernen, bevor du mich – du wie alt bist du?

Das Riesenbaby: Zwauundzwanzig.

Poldi Fesch: Also da red nicht – ein erstklassiges Tripot sag ich dir! Solang ich hier hocken muß, bin ich angewiesen. Aber da kannst du Gift drauf nehmen – ich wart nur auf den Moment, wo der Frieden unterschrieben is, selbstredend wird es eine partie rernis – so oder so, wie immer die Entscheidung fällt, so bin ich der erste, der mit'n Orient nach Paris kommt! – Jetzt können wir schon herein Burscherl – (er winkt. Der Hotelneger öffnet den Wagenschlag.)

Das Riesenbaby: Du ich flieg kolossal auf die Lona, glaubst du, wird sich da was machen lassen?

Poldi Fesch: Qui vivra verra. (Ab.)

(Alte Männer ziehen vorbei. Man hört den Gesang: In der Heimat, in der Heimat, da gibts ein Wiedersehn –)

Ein Berliner Exporteur (mit Importe im Mund, zu seinem Begleiter): Ach, unsere Jungens überwinden diese Eindrücke spielend. Einer unserer hervorragendsten Professoren hat festjestellt, die psychische Umschaltung tritt schon in der Etappe ein. Ihr hier seid ja im Hinterland lausiger als wir an der Front! Nee Kinderchens, bei euch siehts nich nach nem Siegfrieden aus! Is det ne Stimmung in eurem lieben Wien? Da staunt der Fachmann und der Laie wundert sich. Nee, hätt ich mir doch anders vorjestellt. Ihr faulen Brieder macht ja nen Klamauk um den Frieden, als ob ihrs jaarnich erwarten könntet –! (Ab.)

(Ein Passant geht auf einen andern mit aufgehobenen Händen zu und deutet auf den Zigarettenrest, den dieser im Mund hat.)

Eine Offiziersgattin (zu ihrem Begleiter): Dort stehn s' schon angestellt für morgen. Von mir aus könnte der Krieg noch zehn Jahr dauern, mein Mann schickt mir alles, was ich brauch (ab.)

Ein Spaziergänger: Hält man sich nicht an die Vorschritten, muß man zahlen. Hält man sich ja an die Vorschriften, is man zum Tod verurteilt.

Ein Zweiter: Wieso?

Der Erste: No ham Sie nicht heut gelesen, intressant, ein Professor verhungert?

Der Zweite: Wieso ein Professor?

Der Erste: Mittelstand. Er hat sich nicht verschaffen können im Schleichhandel, er hat gelebt nach der Rationierung.

Der Zweite: Schigan. (Ab.)

Erster Verehrer der Reichspost: Wenn jetzt die Offensive kommt, dann paß auf – rrtsch obidraht!

Zweiter Verehrer der Reichspost: Und nacher mit die Juden – ramatama! (Ab.)

Ein Eigenbrötler: Sehn Sie, gestern hab ich hier im Rostraum vorzüglich gegessen. Wann aber wird endlich diese Bezeichnung »Bristol« verschwinden? Unsere Sprache muß von diesen welschen Bezeichnungen gesäubert werden! Früher, ja, da hab ich 10 Prozent genommen, jetzt nehm ich grundsätzlich nur 40 vorn Hundert.

Sein Begleiter: Da haben Sie recht. Da – schaun Sie sich die an –

Der Eigenbrötler: No wenn Sie einen Gusto, pardon einen Geschmack haben – gehn Sie ihr nach, vielleicht gibt sie Ihnen ihre Anschrift. (Ab.)

(Eine korpulente Dame in Rote Kreuz-Tracht mit Lorgnon entsteigt einem Elektromobil.)

Lenzer v. Lenzbruck (in Rittmeisteruniform): Küß die Hände, gnädigste Kommerzialrätin – Wie, noch nicht auf die Länder? Eine Sensation für Wien! Kann Ihnen gar nicht sagen, wie famos Ihnen die Tracht steht!

Frau Back v. Brünnerherz: No und Ihnen doch auch! Gehn Sie herein frühstücken? Mein Mann wartet.

Lenzer v. Lenzbruck: Der Göttergatte? Rasend gemütlich! Also daß Sie sich entschlossen haben zu pflegen, ist die größte Sensation von Wien!

Frau Back v. Brünnerherz: Ich bin sehrzufrieden, wir können dadurch das Auto behalten, zwei Jahre hat mein Mann darum gekämpft, so hab ich mich schließlich entschlossen zum Roten Kreuz zu gehn. Ihnen kann ich ja sagen, es is mehr pro forma und wegen dem guten Ton. Nämlich ich pflege –

Lenzer v. Lenzbruck: Also doch!

Frau Back v. Brünnerherz: Wiesoo, ich pflege nur hinzufahren, wenn ich grad Lust hab. Jetzt wo der Krieg sich sowieso seinem Ende zuneigt, stehts so nicht mehr dafür. Gestern hat mich die Annunziata angesprochen –

Lenzer v. Lenzbruck (faltet die Hände): Bitti bitti erzählen, Baronin –!

Frau Back v. Brünnerherz: Ich protz nicht gern, soll Ihnen mein Mann erzählen. Apropos, ich hab gelesen, Sie sind doch Rittmeister geworn, ich gratuliere. Wissen Sie, daß Sie viel fescher sind wie in Zivil? Wahrscheinlich gehn Sie deshalb in Uniform herum! No hab ich erraten? Die Männer!

Lenzer v. Lenzbruck (geschmeichelt): Finden Sie?

Frau Back v. Brünnerherz: Und das Verdienstkreuz! Sigilaudis! Da schauts her!

Lenzer v. Lenzbruck (abwehrend): Nicht der Rede Wert.

Frau Back v. Brünnerherz: Fehlt nur noch – no Sie sind imstand und gehn noch an der Front! Waren Sie schon einmal?

Lenzer v. Lenzbruck: No kann ich denn?

Frau Back v. Brünnerherz: Wieso?

Ein Blumenweib: Veigerl!

Lenzer v. Lenzbruck: Der Verwaltungsrat laßt mich doch nicht! Ich hab aufgedraht – (beide ab.)

Ein Herr: Ja richtig, sagen Sie, was macht denn eigentlich Ihr Freund, der Maler? Der hat doch einen leichteren Dienst?

Zweiter Herr: No eigentlich ja. Zuerst hat er Grabkreuze gezeichnet –

Der Erste: No also!

Der Zweite: Aber da wars auf einmal aus mit der Herrlichkeit und er hätte in ein Marschbataillon –

Der Erste: Oiwe, no und –?

Der Zweite: No und da ist eine glückliche Wendung eingetreten. Es hat sich nämlich herausgestellt, daß der Hauptmann kunstsinnig ist.

Der Erste: No und?

Der Zweite: No und jetzt zeichnet er nackte Weiber für den Hauptmann.

Der Erste: No also!

(Storm kommt.)

Fräulein Löwenstamm: Da kommt der Storm!

Fräulein Körmendy: Und noch dazu in Uniform!

(Ein Herr steigt aus einem Wagen.)

Der Fiaker (die Hand aufhaltend): Aber gnä Herr, wos gebn S' mr denn do? (Die Hand umdrehend) Schaun S'her – dö Narben!

(Verwandlung.)

2. Szene

Der Optimist und der Nörgler im Gespräch.

Der Optimist: Gehen Sie bald wieder in die Schweiz?

Der Nörgler: Von Herzen gern, wiewohl man sicher sein kann, das Publikum, dem man hier entflieht, dort anzutreffen. Nun, wenigstens verliere ich das Milieu nicht ganz aus den Augen, wenn ich an dem Drama dieses Untergangs arbeite. In Bern ist man wieder in Wean, ein verwesender Staat exportiert seine Fäulnisprodukte, Falloten und Diplomaten, Schieber und Schreiber, deren ungehindertes Reisen sich von selbst versteht und die für die Hassenswürdickeit dieses weltaufreizenden Staatsgebildes noch die Schweizer Propaganda besorgen. Aber unsereins hat's nicht so leicht und die Formalitäten, die nötig sind, um wegzukommen, hindern mich daran.

Der Optimist: Ja, die Paßgeschichten. Ein Amt weiß nicht, was das andere verlangt. Aber schließlich, Krieg ist –

Der Nörgler: Krieg, das ist ja bekannt. Aber noch lästiger als sich von diesem Staat etwas verbieten zu lassen, ist, sich von ihm etwas erlauben zu lassen. Und dann muß man ja einen »triftigen Grund« angeben.

Der Optimist: Nun, und Sie haben keinen?

Der Nörgler: Eine Fülle. Die Aussicht in der Schweiz ein Butterbrot zu bekommen, möchte ich nicht geltend machen. Eher schon die Summe aller Gründe: das Bewußtsein, in Österreich zu leben. Die Behörden würden sich Schreibereien ersparen, wenn man vor der Ausreise einen triftigen Grund anführen müßte, um hier zu bleiben. Aber ein triftiger Grund, um auf und davon zu gehen, ist allein schon die Frage, ob man einen hat. Sie ist allerdings nicht bloß ein triftiger Grund zur Ausreise –

Der Optimist: Sondern?

Der Nörgler: Zur Auswanderung.

Der Optimist: Sie werden also leicht einen finden. Wofür würden denn Sie mit Ihrer Dialektik keinen triftigen Grund finden!

Der Nörgler: Zur Rückkehr.

(Verwandlung.)

3. Szene

Ein Bahnhof bei Wien. Eine fünfhundertköpfige Herde steht vor dem herabgelassenen Kassenschalter seit zwei Stunden.

Ein Wiener: In zehn Minuten kummt er.

Ein zweiter Wiener (zum Portier): Bitt schön wann kummt er denn?

Der Portier: No so um a siebene kummt er gern.

Ein Dritter: No aber jetzt is eh scho dreiviertel auf acht.

Der Portier: Richti, do schau. No heut hot er eh zwarahalb Stund Verspätung. Is eh ongschrieben.

Der Nörgler: Kann man sich darauf verlassen?

Der Portier (gereizt): Ah wos, wos waß denn i, die wissen an Dreck, und wonn s' wos wissen, wern s' es do net dem Publikum auf d' Nosn binden!

Der Nörgler: Ja aber warum denn nicht?

Der Portier: Weil s' selber an Dreck wissen!

Der Nörgler: Aber es is doch angeschrieben.

Der Portier: Jo, ongschrieben, ongschrieben, aber kummen tut er deßtwegen halt do später!

Der Nörgler: Is das die Regel?

Der Portier: Na, a Regel is grad riet, aber dös müßt rein a Ausnahm sein, daß er pünktlich nach der Verspätung kummt.

Der Nörgler: Ja, aber warum wird denn dann die Verspätung angeschrieben?

Der Portier: Weil dös eben ka Mensch net wissen kann. Dö draußt mölden 's net herein und dö herint sogen nix.

Ein Vierter: Mir scheint gar, jetztn kummt er!

Der Portier: No olstan, sehn S', dös is rein der reine Zufall.

Der Nörgler: Ja, aber wie kommt denn das?

Der Portier: Mei liaber Herr, do nutzt ka Nürgeln, da müassn S' wem ondern frogen. Dös san halt die Verspätungen! Wir herint kriagn kane Möldung nicht und dö draußt sogen nix – jetzn bei dem Verkehr kann ma halt nix machn, jetzt is Kriag!

Ein Fünfter: Der Zug kommt!

Ein sechster: Der Kassier schloft!

Rufe: Was is denn?! – Aufmachen! – (Der Nörgler schlägt mit dem Stock auf den Schalter.) So is recht!

(Der Schalter geht in die Höhe. Das österreichische Antlitz erscheint. Es ist von außerordentlicher Unterernährtheit, jedoch von teuflischem Behagen gesättigt. Ein dürrer Zeigefinger scheint hin- und herfahrend alle Hoffnung zu nehmen.)

Das österreichische Antlitz: Wird kane Koaten ausgeben! Wird kane Koaten ausgeben!

(Murren, das sich zum Tumult steigert. Es bilden sich Gruppen.)

Ein Eingeweihter: Kummts, i zeig enk ein Hintertürl! Da brauch 'mr überhaupt kane Koaten! (Alle ab durch das Hintertürl.)

(Verwandlung.)

4. Szene

Kohlmarkt. Vor dem Schaufenster einer Bilderhandlung.

Margosches: Eines unserer gediegensten Geschäfte für Künste und so.

Wolffsohn: Prächtich! (Er betrachtet die Auslage.) Was mir in eurem lieben Wien sympathisch auffällt, ist, daß ihr noch im vierten Kriegsjahr an den Sinnbildern der Nibelungentreue festhaltet. Überall sieht man doch euern guten alten Kaiser Schulter an Schulter mit dem unsern; er will nicht loskommen, denn er kann nicht, sie sind unzertrennlich. Ach und da ist ja S. M. im Reichstach, die historische Sitzung, in der er das Schwert zieht. Na wissen Se, lieber Kommerzialrat, das war 'n Tach! – Wer ist denn der olle Dicke da?

Margosches: Das is doch der Erzherzog Friedrich!

Wolffsohn: Tüchtjer Mann!

Margosches: Sehn Sie sich an, das ganze Erzhaus!

Wolffsohn: Sieh mal, lauter Charakterköpfe, jeder 'ne Nummer. Ach, und da habt ihr sogar das schöne Bild, wie unser Kaiser weint.

Margosches: No und das Bild, wo unser Kaiser weint? Dorten!

Wolffsohn: Nicht doch, das is nur 'n Schangerbild, er könnte auch beten. Aber der unsre ist an der Front bei seinen Soldaten und da hat denn der Maler richtje Tränentropfen rinjemalt.

Margosches: Das da is eines der greßten Malereien, »Die große Zeit«. Da is auch unser Kaiser mitten drin in der Schlacht!

Wolffsohn: Ja, so siehste aus. Mächtich intressant. Da reiten se alle feste druff, euer alter Kaiser und S. M., unser Hindenburch und euer Hötzendorf – da könnte sich manch ein Drückeberger 'n Beispiel nehmen.

Margosches: Kennen Sie das hier, Herr Kommerzienrat? Das hab ich mir sagen lassen, soll von Theodor Körner sein.

Wolffsohn: Doch. Ist ja berühmt! 'n stimmungsvolles Bild, 'n prächtjer Junge. (Er liest) »Vater, ich rufe dich, 's ist ja kein Kampf um die Güter der Erde!« (Im Abgehn.) Ja, ich sage Ihnen, siegen müssen wa, siegen! Denn geht die Valuta von alleine in die Höhe.

(Verwandlung.)

5. Szene

Zwei Dichter im Gespräch.

Der Dichter Strobl: – Und all das Grün mit Mondlicht durchwirkt, weit hinaus ergossen, bis zu fernen, weißglänzenden Häusern und dunklen Bergen, wie Eichendorffs allerholdseligstes Sommernachtsgedicht ... (versinkt in Träumerei) Wie ich wieder aus dem dunklen Saal auf die Terrasse trete, hat der Fähnrich sein großes Taschenmesser in der Hand, schneidet ein Stück Geselchtes herunter und sagt so beiläufig und obenhin: »Mit diesem Messer hab ich ein paar Katzelmachern den Hals abgeschnitten.« (Nach einer Pause, versonnen) War ein braver Junge!

Der Dichter Ertl: Welch ein Erleben! Ich beneide Sie. (Er sinnt.) Ich habe einen Plan gefaßt. Ich werde vorschlagen, die siebente Kriegsanleihe »Wahrheitsanleihe« zu nennen.

Der Dichter Strobl: Fürwahr ein sinniger Gedanke. Aber warum?

Der Dichter Ertl: Weil unser Sieg der Wahrheit endlich doch zu ihrem Rechte verhelfen muß und wird! Weil die Bedingung erfolgreicher Friedensverhandlungen die Wahrheit sein muß, nämlich: amtliche Richtigstellung aller Lügen und Verleumdungen, mit denen unwürdige Machthaber und Zeitungsschreiber der Ententeländer ihre eigenen Völker und die Welt betrogen, vergiftet und mißleitet haben. (Strobl drückt ihm stumm die Hand. Sie schreiten fürbaß.)

(Verwandlung.)

6. Szene

Kommers. Hindenburg-Feier.

Ein A. H.: – Bierehrliche Seelen! So beherziget denn, was euch die Deutsche Korpszeitung ans Herz legt. (Liest vor.) Und die Möglichkeit des Vieltrinkens und des Vieltrinkenlassens ist auch notwendig. Verbieten wir das Resttrinkenlassen, so kann jederzeit jeder trinkfeste Fuchs jeden weniger vertragenden Korpsburschen in Grund und Boden trinken, und die Autorität ist hin, oder aber wir schaffen die Bierehrlichkeit und damit die Grundlage jeder Kneipgemütlichkeit ab. Verbieten wir das Vollpumpen, so geben wir ein Erziehungsmittel aus der Hand. (Rufe: »So ist es!« »Tempus für Platz und Stoff!«) Ich bitte, diese Worte nicht aus dem Zusammenhang gerissen zu zitieren. Unser Korpsleben soll doch eine Kette von Erziehungsversuchen darstellen. Und jeder Korpsstudent wird bestätigen, daß er nie mehr im Leben so deutlich, so ungeschminkt, so unglaublich grob manchmal die Wahrheit zu hören bekam wie im Korps. Und wie kam's, daß er sich das gefallen ließ? So lächerlich es klingt: infolge der Kneipe! Die Kneipe ist für uns, was der vielgelästerte Kasernenhofdrill, der Parademarsch für den Soldaten. (Ruft: Hurra!) So wie dort das hundertmal wiederholte »Knie beugt!« nacheinander Faulheit, Wurstigkeit, Trotz, Wut, Schlappheit und Ermattung überwindet und aus dem Gefühl hilfloser Ohnmacht und völliger Willenlosigkeit vor dem Vorgesetzten die Disziplin hervorgehen läßt (Rufe: Hurra!) – so bietet bei uns das »Rest weg!« dem Älteren vor dem Jüngeren immer eine Gelegenheit, seine unbedingte Überlegenheit zu zeigen, zu strafen, Abstand zu wahren, die Atmosphäre zu erhalten, die für das ständige Erziehungswerk des Korps unbedingtes Erfordernis ist, wollen wir nicht Klubs werden. (Rufe: Beileibe nich!) Das »Rest weg« ist natürlich nicht immer, nicht bei jedem angebracht, aber es muß über der Kneipe schweben wie das »Knie beugt!« über jedem Kasernenhof!

Alle: Hurra! Hurra! Hurra! (Anstoßen) Rest weg!

Ein FuchsFuchs – ein Student älteren Semesters, der die Jüngeren unterstützt [ganz im Gegenteil: ein junger Student, sozusagen noch ein Lehrling, der unter der Fuchtel des Fuchsmajors steht, eines älteren Studenten] (schwingt das Hindenburg-Heft der »Jugend« und singt nach der Melodie »Als die Römer frech geworden«):

Darauf hat er kurz besonnen
Gleich den Feldzugsplan begonnen.
Schon im Eisenbahncoupé
Sprach er: »In den Narewsee!«

Und kaum daß er angekommen,
Sind die Russen schon geschwommen
In dem See bei Molch und Lurch.
Ja, so war der Hindenburch!

Dreimal so zu Frosch und Unke
Tauchte er sie in die Tunke.
Jeder Tümpel, Sumpf und Teich
War verrußt bis an das Aich!

Alle: Hindenburch Hurra! Hurra! Hurra! Rest weg!

(Verwandlung.)

7. Szene

Ärzteversammlung in Berlin.

Ein Psychiater: – Meine Herrn l Der Mann ist der eigenartigste Fall, der mir bis heute untergekommen ist. Ein gütiges Geschick hat mir ihn aus der Schutzhaft zugeführt. Da es offenbar so viele Jahre Zuchthaus gar nicht gibt, als der Mann für seine Verbrechen zu erwarten gehabt hätte, so mußte man nolens volens an die Psychiatrie appellieren. Hier ist mal ein Fall, wo nicht gefragt werden muß, ob der Verbrecher für die Tat subjektiv verantwortlich ist, vielmehr ist die Tat selbst der Beweis für die aufgehobene Verantwortlichkeit. Um Ihnen, meine Herrn, gleich die volle Anschauung der Unzurechnungsfähigkeit des Patienten zu vermitteln, will ich nur hervorheben, daß der Mann coram publico die Ansicht ausgesprochen hat, daß die Ernährungslage Deutschlands ungünstig sei! (Bewegung.) Mehr als das: Der Mann zweifelt am Endsieg Deutschlands! (Unruhe.) Aber nicht genug daran – der Mann behauptet die Unzweckmäßigkeit des verschärften U-Bootkrieges, ja des U-Bootkrieges überhaupt – denn ich habe mich sogleich überzeugt, daß er die Waffe als solche ablehnt und zwar nicht nur weil er sie für unzweckmäßig, sondern weil er sie geradezu für unsittlich hält! (Erregte Zurufe.) Meine Herrn, wir als Männer der Wissenschaft haben die Pflicht, kaltes Blut zu bewahren und dem Gegenstand unsrer Entrüstung nur als einem Objekt unsrer Forschung gegenüberzustehn, sine ira, jedoch cum studio. (Heiterkeit.) Meine Herrn, ich erfülle hier die traurige Pflicht, Ihnen ein volles Bild der Geistesverwirrung des Patienten zu entwerfen und ich muß Sie bitten, weder diesen Unglücklichen noch auch mich als den zufälligen Demonstranten einer abscheuerregenden Form von Irresein verantwortlich zu machen. Seine Verantwortlichkeit ist durch die Krankheit, meine durch die Wissenschaft aufgehoben. (Rufe: »So ist es!«) Meine Herrn, der Mann leidet an der fixen Idee, daß Deutschland durch eine »verbrecherische Ideologie«, wie er den hehren Idealismus unsrer Obrigkeiten nennt, dem Untergang entgegengetrieben werde, er findet, daß wir verloren sind, wenn wir uns nicht auf dem Höhepunkte unsres Siegeslaufs für geschlagen erklären, daß unsre Regierung, unsre militärischen Machthaber – beileibe nicht die englischen (Oho!-Rufe.) – Schuld daran tragen, daß unsre Kinder sterben müssen! (Pfui!-Rufe.) Schon durch die Behauptung, daß unsre Kinder sterben müssen, daß also unsre Ernährungslage ungünstig sei, wäre ja die Sinnesverwirrung des Mannes glatt bewiesen. (Rufe: »So ist es!«) Ich habe Ihnen nun, meine hochverehrten Kollegen von der internen Medizin, den Fall entwickelt, damit Sie den Versuch machen mögen, auf den Patienten durch Mitteilung Ihrer Erfahrungen über den Gesundheitszustand der deutschen Bevölkerung im Kriege einzuwirken. Von der Art seiner Reaktion erhoffe ich mir eine Vervollständigung des klinischen Bildes, wenn nicht dessen Berichtigung nach jener Richtung, in der sich vielleicht doch die kriminelle Verantwortlichkeit nachweisen ließe, da man ja nichts unversucht lassen darf – in der Hoffnung also, daß der Patient unter der Einwirkung Ihrer maßgebenden Darlegungen sich zu Äußerungen hinreißen lassen werde, die uns die Entscheidung nach der einen oder der andern Richtung leichter machen. (Ein Ruf: »Wir wolln det Kind schon schaukeln!«)

Der Irrsinnige: Wenn unter Ihnen einer von den 93 Intellektuellen ist, verlasse ich den Saal! (Oho!-Rufe.)

Der Psychiater: Ich will hoffen, meine Herrn, daß Sie diesen Ausbruch weniger als Insulte, denn als Symptom werten werden. Ich selbst habe,wie Sie alle wissen, jenen Protest, der als ein Markstein aus großer Zeit in den Annalen fortleben wird, unterzeichnet, und ich bin stolz darauf. Ich bitte nunmehr den verehrten Kollegen Boas, einen Versuch mit dem Patienten vorzunehmen.

Professor Boas (tritt vor): Ich habe schon wiederholt die Erklärung abgegeben und ich bekräftige aufs neue, daß eine Beeinträchtigung unsrer Volksgesundheit durch die Einschränkung der Lebensmittel nicht stattgefunden hat. (Rufe: »Hört! Hört!«) Als Tatsache kann betrachtet werden, daß wir mit der Hälfte der früher verbrauchten Eiweißration unsrer Nahrung, ohne Beeinträchtigung von Kraft und Arbeitsfähigkeit auskamen, ja sogar unser Gewicht und körperliches Wohlbefinden noch steigern konnten.

Der Irrsinnige: Sie versorgen sich vermutlich im Schleichhandel! (Erregte Zurufe.)

Der Psychiater: Meine Herrn, bedenken Sie den Geisteszustand – bitte Herr Kollege, wie steht es mit der Säuglingssterblichkeit, ein Punkt, der in der Phantasie unsres Patienten ständig wiederkehrt.

Professor Boas: Es hat sich gezeigt, daß von einer ungünstigen Einwirkung der Ernährungsverhältnisse auf die Säuglingssterblichkeit keine Rede sein kann.

Der Irrsinnige: – sein darf, mein Herr! (Rufe: »Maulhalten!«)

Der Psychiater: Was erhoffen Sie sich, Herr Kollege, von einer Fortsetzung des Krieges?

Professor Boas: Wir haben mit steigender Wohlhabenheit und Zunahme der Luxusernährung Raubbau an unsrer Gesundheit getrieben; jetzt haben Millionen von Menschen unter dem Druck der Entbehrungen den Weg zur Natur und Einfachheit der Lebensführung zurückzufinden gelernt. Sorgen wir dafür, daß die heutigen Kriegslehren unsrer zukünftigen Generation nicht wieder verlorengehen. (Rufe: Bravo!)

Der Irrsinnige: Der Mensch hat ganz recht – die vom Kurfürstendamm haben vor dem Krieg zu viel gefressen. Sie fressen aber auch jetzt noch zu viel. Da hat sich die Ernährungslage tatsächlich gar nicht verschlechtert. Was aber die zukünftige Generation der übrigen Bevölkerung anlangt, jener Kreise, die nicht Boas wegen Fettleibigkeit konsultieren – was die zukünftige Bevölkerung Deutschlands anlangt, so sehe ich sie rachitisch zur Welt kommen! Kinder als Invalide! Wohl denen, die im Krieg gestorben sind – die im Krieg geboren sind, tragen Prothesen! Ich prophezeie, daß der Wahnsinn des Durchhaltens und der elende Stolz auf die Verluste der Andern, der deutsche Männer ebenso auszeichnet, wie deutsche Megären die Begeisterung für den Heldentod ihrer Söhne – daß dieser perverse Geisteszustand einer Gesellschaft, die in einer organisierten Glorie atmet und sich von Selbstbetrug nährt, ein verkrüppeltes Deutschland hinterlassen wird! (Pfui!-Rufe.) Was diesen Boas betrifft, so fordere ich ihn auf, zu bestreiten, daß bisher rund 800 000 Personen der Zivilbevölkerung Hungers gestorben sind, im Jahre 1917 allein um 50 000 Kinder und 127 000 alte Leute mehr als im Jahre 1913; daß im Halbjahr 1918 mehr Deutsche – um 70 Prozent mehr – an Tuberkulose starben als damals im ganzen Jahr! (Rufe: »Schluß! Schluß!« »Jemeinheit!«)

Der Psychiater: Sie sehen meine Herrn, wie es um den Mann steht. Ich danke dem verehrten Kollegen Boas und ersuche nunmehr Herrn Kollegen Zuntz, einen Versuch anzustellen. Ich bitte den verehrten Kollegen, sich dahin zu äußern, ob die deutsche Leistungsfähigkeit, dieses kostbarste Nationalgut, durch die Ernährung auch nur im mindesten gelitten hat.

Professor Zuntz: Verminderte Leistungsfähigkeit kommt bei der jetzigen Ernährung nicht in Frage. Allerdings wird in weiten Kreisen eine Unterernährung dadurch herbeigeführt, daß die Leute keine Lust haben zur Aufnahme ausreichender Mengen der wenig konzentriert vegetabilischen Nahrungsmittel.

Der Psychiater: Wenn ich den verehrten Kollegen recht verstehe, so hätte es sich die Bevölkerung selbst zuzuschreiben. Denn zu einer Unterernährung läge objektiv keine Ursache vor?

Professor Zuntz: Nein.

Der Psychiater: Aber die Unterernährung, soweit sie herbeigeführt wird oder sagen wir: wenn sie überhaupt herbeigeführt wird, hat keine nachteiligen Folgen?

Professor Zuntz: Nein.

Der Psychiater (zum Irrsinnigen): Darauf Wissen Sie wohl nichts zu erwidern?

Der Irrsinnige: Nein.

Der Psychiater: Zu allem hat er seine koddrige Schnauze, aber da schweigt er betroffen! Ich danke dem verehrten Kollegen Zuntz und ersuche nunmehr Rosenfeld-Breslau, den wir als Gast der Berliner Fakultät zu begrüßen die Ehre haben, einen Versuch anzustellen.

Professor Rosenfeld-Breslau: Unsre Bevölkerung ist bei aller Unterernährung gesünder geworden und die große Angst um die Unterernährung hat sich als müßig erwiesen. Im Gegenteil: die Überernährung der Friedenszeit stellt eine größere Gefährdung des Lebens dar als die Kostknappheit der Kriegsjahre. Die Statistik hat gezeigt, daß in der weiblichen Bevölkerung fast alle Krankheiten in den Kriegsjahren weniger Todesfälle gezeitigt haben als im Frieden. Jedenfalls können wir unsre Betrachtungen dahin zusammenfassen, daß die Kriegskost die Widerstandsfähigkeit des Volkes weder gegen die überwiegende Mehrzahl der Krankheiten noch gegen Erkrankungen noch gegen Anstrengungen in irgendeinem erkennbaren Maße herabgesetzt hat.

Der Irrsinnige: Nur gegen die Verlogenheit der Professoren! (Lebhafte Entrüstungsrufe.)

Eine Stimme: Machen Sie sich hier nicht unnütz!

Zweite Stimme: Rraus mit dem Kerl!

Dritte Stimme: Da müßt 'n Schutzmann ran!

Der Vorstand des Ärzteausschusses von Groß-Berlin: Ich benütze die Gelegenheit dieses Skandals, um meine Stimme zu einem nachdrücklicher. Appell zu erheben. Kollegen! Ihr seid die Beichtväter eurer Kranken, ihr habt die vaterländische Pflicht, mündlich und in jeder andern Form aufklärend und belehrend zum Durchhalten zu ermutigen! Den Kleinmütigen müßt ihr aufs schärfste entgegentreten! Unbegründete und oft böswillig oder leichtfertig verbreitete ungünstige Gerüchte weiset zurück! Wir Heimgebliebenen können, sollen und werden durchhalten! Kollegen! Die einfache Lebensweise und Kost, das Maßhalten in der Aufnahme von Eiweißkörpern und Fett ist vielen gesundheitsdienlich gewesen!

Der Irrsinnige: Den Wucherern und den Ärzten! (Rufe: »Das ist Unjebähr!« »Rraus mit dem Kerl!«

Der Vorstand des Ärzteausschusses von Groß-Berlin: Schulärzte haben einwandfrei festgestellt –

Der Irrsinnige: – daß Deutschland erfolgreich mit Lügen belegt worden ist! (Pfui!-Rufe.)

Der Vorstand des Ärzteausschusses von Groß-Berlin: – daß die erste Jugend keine gesundheitliche Schädigung gegen früher erkennen läßt!

Der Irrsinnige: Die Zunahme der Sterblichkeit beträgt nur 37 Prozent! (Rufe: »Maul halten!« »Vaterlandsloser Jeselle!«)

Der Vorstand des Ärzteausschusses von Groß-Berlin: Die Kindersterblichkeit ist zurückgegangen. Erst kürzlich hat ein erster Fachmann nachgewiesen, daß es den Säuglingen noch nie so gut gegangen ist wie jetzt. (Rufe: »So ist es!«) Die Krankenhäuser sind weniger überfüllt als früher.

Der Irrsinnige: Weil alle tot sind! (Lärm.)

Eine Stimme: Das soll der Kerl beweisen!

Der Irrsinnige: Die Berichte mancher Anstaltsärzte klingen verzweifelt, wenn sie den Hunger der Insassen schildern, die weggeworfene Kohlstrünke und allerlei Unverdauliches zu verschlingen suchen, um nur die Hungerqual zu stillen. Der von einem Siechenhaus eingeforderte Bericht lautet lakonisch: Die Insassen sind alle gestorben. – Die aber lebend hier versammelt sind, sind zu Gutachten kommandiert worden und werden erst nach dem unvermeidlichen Zusammenbruch der Lüge und des Reichs den Mut zur Wahrheit finden! Dann aber wird es zu spät sein und kein Geständnis wird ihnen die Verachtung des Auslands ersparen. Denn die deutsche Wissenschaft ist eine Prostituierte, ihre Männer sind ihre Zuhälter! Was hier versammelt ist, um im Dienste der großen Lüge des Generalstabs das Kindersterben in Abrede zu stellen und aus schwarz weiß zu machen, trägt mehr Blutschuld als jene, die rot gemacht haben! Die 93 Intellektuellen, die da einst ausriefen »Es ist nicht wahr!« und »Wir protestieren!«, die das Pathos der Lüge mit ihrem Protest gegen die deutsche Ehre eröffnet haben, und jene, die zu ihnen gestoßen sind, haben die deutsche Kultur von Goethe und Kant und allen guten Geistern Deutschlands weiter abgezogen als selbst die romantischen Mordbrenner, unter deren Zwang sie lügen! Unter der Hand solcher Ärzte wird die Welt, die vom deutschen Wesen angesteckt zu werden fürchtet, an ihm sicher nicht genesen – und daß bei so viel Professoren das Vaterland verloren ist, sagt ein deutscher Reim!

(Es erhebt sich ein ungeheurer Lärm. Man hört die Rufe: »Es ist nicht wahr!« und »Wir protestieren!« Einige Professoren wollen sich an dem Irrsinnigen vergreifen und werden von anderen zurückgehalten.)

Der Psychiater: Meine Herrn! Wir waren soeben Zeugen des wildesten Ausbruches eines Vaterlandshasses, der unmöglich auf deutschem Boden gewachsen sein kann. Die Reaktion des Patienten auf die Experimente der verehrten Kollegen Boas, Zuntz und Rosenfeld-Breslau, und namentlich auf die gehalt- und lichtvollen Darlegungen des verehrten Vorstandes des Ärzteausschusses Groß-Berlin, für die ich dem verehrten Kollegen noch wärmstens danken muß, hat mir klar bewiesen, daß der Mann nicht geistesgestört, sondern von der Entente bezahlt ist! Wir haben es mit einem akuten Fall von Northcliffe-PropagandaNorthcliffe – Alfred Charles William Northcliffe, engl. Zeitungsverleger, vor und im Krieg Wortführer der antideutschen Propaganda, † 1922 zu tun, deren chronische Ausbreitung zu verhindern gerade die Ärzteschaft Groß-Berlins verpflichtet ist. Schon hat das Gift des Pazifismus auch in gesunde Hirne Eingang gefunden, und der zu weit getriebene Idealismus der Kriegsgegner ermutigt Weichlinge und Drückeberger zu einem Verhalten, das mit das schlimmste Übel ist, an dem der deutsche Volkskörper krankt. Tritt dazu noch eine verbrecherische Propaganda, so ist alsbald ein Zustand geschaffen, der danach angetan ist, knapp vor dem Endsieg unsern Unternehmungsgeist zu lähmen. Es ist der Geist der Flaumacherei, der dem Feind den Rücken stärkt und uns die Schwingen lähmt in einem Verteidigungskrieg, den britischer Neid (Ein Zwischenruf: »Britischer Krämergeist!«), französischer Revanchedurst (Zwischenrufe: »Und russische Raubgier!«) – und russische Raubgier uns aufgezwungen haben. Hier haben wir einmal einen typischen Fall vor uns. Ich kann nicht umhin zu betonen, daß der Mann mir von vornherein bedenklich war, und nunmehr habe ich die Überzeugung gewonnen, daß wir es mit einem ganz schweren Jungen zu tun haben. So spricht kein Geisteskranker, meine Herrn, so spricht ein Vaterlandsverbrecher! Ich kann Ihnen, meine Herrn, des weiteren verraten, daß der Mann durch sein reueloses Verhalten während der Schutzhaft, wo er die empörenden Angriffe gegen alles was dem Deutschen heilig ist fortsetzte, ja sich sogar zu einer abfälligen Bemerkung über das Wolffsche Büro hinreißen ließ (Bewegung) – die Aufmerksamkeit der höchsten Kreise erregt hat und daß sogar eine Persönlichkeit, die uns allen ehrwürdig ist (Die Versammelten erheben sich) – unser Kronprinz, die Äußerung getan hat, man sollte dem Kerl eins in die Fresse hauen. (Rufe: »Hurra!«) Es wird von der Entschließung der betreffenden höchsten Stelle abhängen, ob eine solche Remedur, die etwa als Strafverschärfung in Aussicht zu nehmen wäre, zur Anwendung gelangen soll. Unsres Amtes, meine Herrn, ist es, uns glatt für inkompetent zu erklären, da die medizinische Wissenschaft mit diesem Fall nichts zu schaffen hat, und ihn der Obhut der maßgebenden kriminellen Faktoren zu übergeben. (Öffnet die Tür und ruft) Schutzmann!

Schutzmann Buddicke (erscheint): Im Namen des Gesetzes – na kommen Se man mit! (Ab mit dem Irrsinnigen. Die Versammelten erheben sich und stimmen die Wacht am Rhein an.)

(Verwandlung.)

8. Szene

Weimar. Frauenklinik.

Professor Henkel: Ist nichts mehr zum operieren da? Seine Hoheit wird gleich da sein und ich habe ihm zugesagt – ich wollte ihm Gelegenheit geben, mal einer Operation als Zuschauer beizuwohnen. Also?

Professor Busse: Wir haben nichts.

Henkel: Wir müssen aber noch etwas operieren.

Busse: Es ist nichts da.

Henkel: Sie haben doch noch einen Fall. Bringen Sie den mal rein.

Busse: Aber – die Patientin hat gerade gefrühstückt.

Henkel: Das macht nichts. (Die Patientin wird hereingebracht. Zu einem Assistenten) Bereiten Sie den Fall vor und pumpen Sie ihr den Magen aus.

Die Patientin (wehrt sich in großer Erregung): Nein – nein – ich – will nicht –

Henkel: Keine Faxen! Die blamiert einen noch vor Seiner Hoheit! (Der Prinz zu Lippe erscheint mit Gefolge. Begrüßungszeremonie. Die Operation wird vorgenommen.) Es geht sehr schön, Hoheit da – so –

Eine Schwester (zupft den Assistenten am Rock): Ach – Himmel –

Henkel: Was is'n los? (Der Assistent gibt eine Kampferinjektion).

Der Assistent: Herr Professor –

Henkel (abwinkend): Pst –

Der Prinz zu Lippe (zu Henkel): Da haben Sie ganz ausgezeichnet operiert, ich werde das sofort meiner Schwester mitteilen.

(Verwandlung.)

9. Szene

Bei einer deutschen Reserve-Division.

Ein Oberst (diktiert): Von einem französischen Arbeitstrupp am Hindernis Planquadrat 4674 wurden durch den Grabenbeobachter Gefreiten Bitter, 7. Komp., R.-Inf.-Regt. 271, mit drei Schuß zwei Franzosen niedergeschossen. Ich spreche dem Gefreiten Bitter für die gute Leistung meine Anerkennung aus.

(Verwandlung.)

10. Szene

Isonzofront. Bei einem Brigadekommando. Nach Tisch.

Die Schalek (steht umgehen von Offizieren): Schritt für Schritt bin ich jetzt die Front am Isonzo längs des Görzer Abschnittes abgegangen. Alles haben sie mir gezeigt! Also was ich da erlebt hab! Die im Hinterland sitzen, können sich das gar nicht vorstellen. Nach langem Bitten bekam ich also die Erlaubnis mitzugehen. Ich fühlte, wie die Freiwilligkeit die Last erschwert. Daß ich nicht mitgehen muß, verursacht den innern Hader. Zur angegebenen Stunde, um 5 Uhr nachmittags, melde ich mich beim General als abmarschbereit. Ich bitte darum, mit einem Herrn gehen zu dürfen, der ohnedies heute in Stellung muß. Durch mich soll keiner gefährdet werden, von dem es der Dienst nicht verlangt! Ein blutjunger Leutnant, der über die sich eröffnende Abwechslung seelenvergnügt ist, biegt mit mir am Fuße des Berges ab, den wir umgehen, um ihn dann von der Flanke anzufassen. Vorher bekomme ich den Befehl, punkt 9 Uhr wieder an der Ausgangsstelle zu sein. Tiu, tiu, tiuuu – geht es uns von der Seite an. Und plaudernd bummelten wir durch die Mondnacht wiederum heim. Aber dann! Beim Artilleriebeobachter der Podgora bin ich gesessen, atemlos harrend, was sich in seinem Abschnitte begeben würde. Nun, eine Bejahung der Instinkte, eine Betonung der Persönlichkeit hat Platz gegriffen, wie sie nie vordem hätte gezeigt werden dürfen. Oberhalb der Parkmauer des Schlosses bin ich beschossen worden. Wir stehen da, ohne Regung. Mag der Feind uns sehen! Kein Wort haben wir noch gesprochen. Jetzt sehe ich ihn an. Dünn ist er und blaß. Nicht viel über Zwanzig. Etwas Sonderbares geht in mir vor. Ich sehe den Leutnant an; Volksschullehrer ist er in einem ungarischen Dorf. Und wie ein blendendes Licht steigt in mir eine Erkenntnis auf. Während des Trommelfeuers auf dem San Michele erleuchtet ein neues Verstehen jede Windung meines Gehirns. Der Leutnant ahnt nicht, wie seine Haltung auf meine Erkenntnis wirkt. Er sieht mich an und lächelt. Er fühlt, daß ich mit ihm denke, unsere Nerven schwingen während des Trommelfeuers im Takt. Es klingt wie eine Solonummer im Orchester ... Tk, tk, tk – geht es los ... Der erste Ton ists des Morgens, wenn ich um halb vier aufstehe, um in die Stellung zu gehen. . Tiu, tiu, tiu – tk, tk, tk – kings! ... Aber auch nicht der Gedanke daran, daß man ungehorsam sein, den Befehl mißachten könnte, kommt einem von uns beiden in den Sinn. Die ungeheure Triebkraft eines Befehls verspüre ich jetzt am eigenen Leib. Der Leutnant bleibt stehen. Eine Nachtigall lockt und die Akazien duften betäubend. Jetzt freilich kommt es von der andern Seite; nicht mehr so peitschend und eilig, sondern langsam brüllend, fast hohnvoll singend. Der Leutnant zerrt mich an die Wand. Wu – wu – wu – Ein Blindgänger war's ... Kein Gedanke daran, stehen zu bleiben oder Deckung zu suchen. Befehl: Um neun Uhr stellig zu sein. Zum erstenmal kann ich ganz mit der Mannschaft fühlen. Was für eine Erleichterung ist ein Befehl! Wunderbar leicht kommt man durchs Feeuer, wenn der Befehl es heischt. Wohl jenem Volk, das im Befehl leben dürfte, vertrauend, gläubig, daß der Befehl auch der richtige sei, von den Besten der Besten ersonnen; so wie es hier der vorwärtsdrängende und jeden Rückfall abschneidende, das Eigentum schützende Befehl vom Isonzo ist! Verwundete holen uns ein ... Einer ist taubstumm geworden. Er winkt und deutet, was ihm geschah. . Die Autos warten und bald sind wir im Quartier. Der Tisch ist gedeckt und in dampfenden Schüsseln wird das Mahl aufgetragen. In jedem Auge steht noch der Abglanz des Erlebnisses. Aber wir essen ganz tüchtig und schlafen prächtig und nächsten Mittag spielt die Militärmusik bei der Offiziersmesse auf. Wir haben ja den benötigten Graben. Im Freien wird gespeist, die Spargel schmecken gar köstlich und süße Walzermelodien wetteifern mit dem Kuckuck und mit dem Specht ... In Rom erfährt Salandra wohl nichts, als daß er heute einen Graben verlor. Nun, das Trommelfeuer auf dem Monte San Michele hatte ich hinter mir. Am nächsten Tag aber gings noch einmal hinaus. Interessant sind die Verwundetenzüge. Die Leichtverletzten nehmen noch Haltung an und salutieren, andere heben matt den Blick und versuchen, mit der Hand nach der Mütze zu fahren, viele aber liegen unbeweglich, haben den Mantel übers Gesicht gezogen und sehen und hören nichts ... Das Gefecht ist zu Ende. Wir können also gehn. Andern Tags dachte ich, ach was, den Monte San Michele läßt du heute rechts liegen. Heute führt mich mein Weg zur Nachbardivision, zu den ungarischen Truppen des Heeres. Leichengeruch weht über die Straße weg. Kein Korso einer Großstadt ist so menschenbelebt wie diese granatenbestrichene Straße. Hier liegen seit acht bis zehn Monaten zwischen den Stellungen ganz mumifizierte, durchlöcherte Leichen. . Die Gräben sind eng, fast nur mannsbreit und die Leute schlafen langausgestreckt auf ihrem Grunde. Man steigt über sie weg, aber sie wachen nicht auf. . Sechs Einschläge zählen wir und eine rasche Aufnahme gelingt. . Ich darf durch einen Panzerschild hinausschauen und den Trichter bestaunen ... Beim Bataillonskommandanten bekomme ich ein Glas Eierschnaps. Das tut wohl. Die Nerven vibrieren doch von dem ewigen Krachen ringsum. »Decken Sie frisches Zeitungspapier auf«, ruft der gastfreie Offizier. (Offenbar eine Galanterie für mich.) Sechs Schüsse – sechs Volltreffer ... Platte auf Platte fülle ich mit Bildern für die Zukunft. . Und dann zurück hieher. Beim Brigadier wartet ein Frühstück auf uns; dankbar nehme ich's an. Das war aber ein Frühstück –! Weil mich Cadorna heute wiederum verschonte, weil die Granate wiederum gerade um ein Viertelstündchen zu spät kam, gab's eine Flasche echten Champagners und als besonderen Lohn eine Dose wirklichen Kaviars. Knusprige Kipfel und bunte Blumen, Radieschen und ein Damastgedeck – solche Kontraste gibt's nur an der Front!

Die Offiziere: Weil sie Cadorna heute wiederum verschonte, weil die Granate wiederum gerade um ein Viertelstündchen zu spät kam –

gab's Blumen, Kipfel, Kaviar,
so muß es sein, das ist doch klar.

Wir sind die bessern Herrn vorn Stab,
in diesem Punkt geht uns nix ab.

Wir gehn nicht in den Schützengraben,
weil s' dorten keinen Schampus haben.

Statt Kaviar auf Butterbrot
gibt's nix als einen Heldentod.

Wir fressen, die dort müssen zahl'n.
Fürs Vaterland is's schön zu fall'n.

Und das weiß heut doch jedes Kind:
Wir fall'n nur, wenn wir b'soffen sind.

Cadorna, der hat uns schon wieder verschont.
[:Sehn S', solche Kontraste gibt's nur an der Front:]

(Verwandlung.)

11. Szene

Divisionskommando.

Ein Kommandant: Exzellenz, gerade dieses Unternehmen war mangels entsprechender Artillerie aussichtslos. Der Feind hat geradezu ein Scheibenschießen auf die abgelassenen Pontons und deren Besatzungen veranstaltet. Hunderte von Leichen sind an jenem Tag im San versunken und dann mußten wir doch die Forcierung des Flusses aufgeben. Wir stehen jetzt vor derselben Situation.

Der Kaiserjägertod: Sie müssen unbedingt aushalten.

Der Kommandant: Exzellenz, die Truppen erfrieren in den von Grundwasser erfüllten eisigen Löchern.

Kaiserjägertod: Wie hoch schätzen Sie die voraussichtlichen Verluste?

Der Kommandant: 4000.

Kaiserjägertod: Die Truppen sind befehlsgemäß zu opfern.

Der Kommandant: Wenn sie herauskommen werden, waten sie bis zu den Knieen im Schnee und sollen dabei eine überhöhende Stellung des Feindes angehen.

Kaiserjägertod: Haben Sie denn keinen Feldkuraten, der die Leute aufpulvern könnte? Die Offensive darf um keinen Preis verzögert werden!

Der Kommandant: Exzellenz, es liegt ja so viel Schnee, daß ein ganzes Regiment aufgerieben wird.

Kaiserjägertod: Ein Regiment? Was macht mir ein Regiment!

Der Kommandant: Die Leute stehen mit hungrigem Magen im Wasser. Sie kämpfen verzweifelt gegen die gewaltigen unausgesetzten Anstürme der Russen.

(Der Kaiserjägertod wird zum Telephon gerufen.)

Kaiserjägertod: Was? Ablösung oder Verstärkung? Herr Oberst, Sie haben auszuhalten bis auf den letzten Mann, ich habe keine verfügbare Mannschaft, und ein Zurück kenne ich nicht, koste es was es will! Was? Einen Tag Ruhe wollen s' zum Trocknen der Kleider? Was sagen Sie? Ihre armen, braven Tiroler liegen erschossen draußen und schwimmen im Wasser? (Brüllend.) Zum Erschießen sind sie da! Schluß! – So und Ihnen habe ich nichts anderes zu sagen. Die Truppen haben in ihren Stellungen auszuharren, es geht um meine Existenz! (Ab.)

Ein Major (zum Kommandanten): Da ist nichts zu machen, Exzellenz pflegt eben seine Kerntruppen wegen ihrer vorzüglichen Eigenschaften gerade bei den schwierigsten Aufgaben einzusetzen. Exzellenz ist ein überaus energischer, zielbewußter, impulsiver General, der streng dienstfordernd, persönlich tapfer, von seinen Untergebenen unbedingte Aufopferung verlangt.

(Verwandlung.)

12. Szene

Rückzug. Eine Ortschaft.

Kaiserjägertod (zu einem Obersten): Niemand darf austreten und niemand darf sich etwas kaufen! (Aus einem Geschäft tritt ein hungernder Soldat, der ein Stück Brot in der Hand hält. Kaiserjägertod züchtigt ihn mit der Reitpeitsche.) Herr Oberst, was führen Sie hier für einen Sauhaufen, lassen Sie jeden Mann, der ausgetreten ist, drei Stunden anbinden! Verlautbaren Sie, daß auf Leute, die beim Vormarsch oder Rückzug zu den Bauern Brot und Milch kaufen gehn, geschossen werden soll! (Er reitet ab. Da und dort verlassen Leute die Einteilung. Die Offiziere schießen der Mannschaft nach. Panik. Schreckensrufe: »Die Russen kommen!«)

Oberleutnant Gerl (stellt sich in Positur): Ihr könnts krepieren vor Hunger, ich werde aber noch immer etwas zum essen haben!

(Verwandlung.)

13. Szene

Spital neben einem Divisionskommando. Man hört die Regimentsmusik lustige Weisen spielen.

Ein Schwerverwundeter (wimmert): Nicht spieln – nicht spieln!

Ein Wärter: Stad sein! Das is die Tafelmusik vom Exzellenzherrn Feldmarschalleutnant von Fabini! Die wird er euretwegen net aufhören lassen, was glaubts denn?!

(Die Tür geht auf. Man hört Gesang: Ja so ein Räuscherl is mir lieber als wiara Krankheit, wiara Fieber.)

(Verwandlung.)

14. Szene

Bei einer deutschen Reserve-Division.

Ein Oberst (diktiert): – Jetzt den Schluß vom Tagesbefehl. Notiz! Aus der Masurischen Waschanstalt in Lötzen hat Herr General von Schmettwitz drei weiße Stehkragen, Marke Maingau, Weite 42 Zentimeter, ohne Zeichnung zurückerhalten, die ihm nicht gehören. Dagegen fehlen drei weiße Stehkragen, Weite 43 Zentimeter, zwei davon gezeichnet v. Sch., und alle drei mit grauem Faden im hinteren Knopfloch versehen. Um Austausch wird gebeten.

(Verwandlung.)

15. Szene

Der Optimist und der Nörgler im Gespräch.

Der Optimist: Vor einem möchte ich Sie warnen: zu generalisieren.

Der Nörgler: Sie meinen, ich solle mich hüten, jeden Schurken für einen General zu halten?

Der Optimist: Nein, Sie sollten nicht die Fülle der Beispiele von Pflichterfüllung und von Opfermut übersehen – auch bei den Offizieren –

Der Nörgler: Man darf nicht generalisieren. Da doch jene Beispiele in ihrer Fülle offenbar gar nicht zu übersehen sind, so bleibt nichts übrig, als sein Augenmerk auf die Ausnahmen zu heften. Wollte man statt dessen auf solche, die im Krieg ihre Ehrenhaftigkeit nicht verloren haben, aufmerksam machen, so würde man das Selbstverständliche hervorheben und der Institution vollends nahetreten, indem man den Eindruck erweckte, als ob die Ehrenhaftigkeit eine Ausnahme sei. Gerade indem man auf die Schurken hinweist, bleibt man frei von dem Vorwurf, zu generalisieren, den nur die Getroffenen, nicht die andern erheben können. Nahetreten möchte ich keinem einzigen, nur der ganzen Institution, indem ich weniger zu ihren Gunsten gelten lasse, daß sie einen Ehrenmann nicht verdirbt, als zu ihren Ungunsten, daß sie einen Schwächling in einen Schurken verwandelt. Glauben Sie ja nicht, daß ich diese feigen Philister, die jetzt die Machtgelegenheit benützen, um sich für ihr Minus an Mannheit an der Mannschaft zu rächen, für bewußte Tyrannen halte. Sie vergießen nur Blut, weil sie keines sehen können und es nie gesehen haben, sie handeln im Rausch des Erlebnisses, plötzlich ihre eigenen Vorgesetzten zu sein und einmal Dinge tun zu dürfen, für die sie nicht in ihrer Persönlichkeit, nur in der Gelegenheit die unentbehrliche »Deckung« finden. Und die meisten dieser Schubbjacks werden dereinst nicht zu fassen sein, weil sie bei ihrem Handeln von jenem Kodex gedeckt waren, der ihnen alles das erlaubt und gebietet, was ihnen bis dahin das Strafgesetzbuch verboten hat: vom Reglement. Groß war die Zeit, in der einer für Rauben, Morden und Schänden mit dem Verdienstkreuz davonkam, und für die Bestellung dieser Taten mit dem Mariatheresienorden!

Der Optimist: Man darf nicht generalisieren. Erst heute habe ich gelesen, daß sich die Mannschaft mit den Offizieren, die ihr frisches Herzblut dem Vaterlande opfern, durch eine oft bis zur Freundschaft gesteigerte Kameradschaft –

Der Nörgler: – angebunden fühlt.

(Verwandlung.)

16. Szene

Frachtenbahnhof in Debreczin. Ein Waggon, von Posten bewacht. Mit Kreide angeschrieben: 40 Mann, 6 Pferde. Neugierige im Umkreis.

Ein Posten (zur Bevölkerung): Gehts weg da!

Oberleutnant Beinsteller: Wie lang hängen die jetzt drin?

Leutnant Sekira: Erst anderthalb Stunden.

Beinsteller: Also noch eine halbe Stund! Wie viel sinds?

Sekira: 20.

Beinsteller: Also noch Platz für 20! Den Frontschweinen gehts zu gut.

Sekira: Ich hab s' eh schon trocken rasiern lassen und nacher geohrfeigt. Wenn das Anbinden verboten wird, weiß ich schon was ich mach. In ein Schilderhäusl – und nacher drin mit Stacheldraht so umatum, daß der Kerl nur habtacht stehn kann!

(Verwandlung.)

17. Szene

Wiener Magistrat.

Der Beamte (zu einer vor ihm stehenden Partei): Also wann S' aufs Land gehn wolln – das wern mr gleich haben, da brauchen S' sich nur nach der folgenden Vurschrift zu richten, passen S' auf (er liest, wobei er ein bestimmtes Wort besonders lebendig hervorhebt, aber unaufhörlich mit dem Zeigefinger der rechten Hand eine Bewegung vornimmt, die jede Hoffnung abzuweisen scheint): »Personen, die im Jahre 1917 ihren Wohnort vorübergehend in ein Heilbad oder auf die Dauer von mindestens vier Wochen in einen Kurort oder in eine Sommerfrische verlegen, haben bis längstens 1. Juni bei der Bezirksbehörde ihres ständigen Wohnortes mittelst des dort erhältlichen amtlichen Formulars eine Abmeldung zu erstatten, in der der Name, der ständige Wohnort, der Ort des Sommeraufenthalts, der Tag des voraussichtlichen Eintreffens, die Anzahl der Begleitpersonen und die beabsichtigte Dauer des Aufenthalts anzugeben sind; eine gleichlautende, zweite Ausfertigung dieser Abmeldung ist der Bezirksbehörde des gewählten Sommeraufenthalts zuzusenden. Die Personen haben noch vor der Abreise bei ihrer Brotkartenausgabestelle den Lebensmittelkartenabmeldeschein zu beheben und sohin den Bezug derjenigen Lebensmittel, deren Verkauf rayoniert ist, gegen Bestätigung auf dem L bei der betreffenden Verschleißstelle abzumelden. Der Verschleißer rayonierter Lebensmittel hat eine Liste zu führen, in welcher Name, Wohnort, Tag der Abreise und Zahl der Begleitpersonen der sich Abmeldenden sowie die Menge der in Abfall kommenden Lebensmittel einzutragen sind; diese Liste ist derjenigen Stelle, von der die Zuweisung rayonierter Lebensmittel erfolgt, am Ende jeder Woche vorzulegen. In dem Heilbad, dem Kurort oder der Sommerfrische haben sich die Personen unter Vorweisung des Lebensmittelkartenabmeldescheines (Die Partei verschwindet) bei der Brotkartenausgabestelle sowohl nach dem Eintreffen als auch vor dem Verlassen dieser Orte zu melden. Die Ausfolgung von Lebensmittelkarten darf im Orte des Sommeraufenthalts sowie nach der Rückkehr im ständigen Wohnort nur auf Grund des mit den entsprechenden Amtsvermerken versehenen Lebensmittelkartenabmeldescheines erfolgen. Die politischen Bezirksbehörden sind ermächtigt worden, den Einkauf von Lebensmitteln durch die Fremden zu rayonieren und außerdem die Verabfolgung von Speisen in den Speisewirtschaften der Heilbäder, Kurorte und Sommerfrischen zu regeln. Gastwirtschaften haben auf die Mehrzuweisung von Lebensmitteln für die Verpflegung von Heilbäder- und Kurortebesuchern sowie Sommerfrischlern im Allgemeinen nur dann Anspruch, wenn sie den erhöhten Bedarf durch Abgabe der von den Kostteilnehmern eingezogenen Kartenabschnitte nachweisen. Für Ausflügler, die nur auf kurze Zeit Heilbäder, Kurorte und Sommerfrischen besuchen, können besondere Verpflegsvorsorgen nicht getroffen werden. Weiters sind die politischen Bezirksbehörden ermächtigt worden, den Besuchern von Heilbädern, Kurorten und Sommerfrischen zur Verhinderung des Hamsterns von Lebensmitteln den unmittelbaren Einkauf gewisser Lebensmittel beim Produzenten zu verbieten.« – Na alstern, jetzt wissen S' es, jetzt können S' – (er blickt auf) Wo is denn der hin verschwunden? (Er sucht auf dem Boden.) Sie Herr, warten S' auf den Lebensmittelkartenabmeldeschein! (Kopfschüttelnd) Mirkwirdiger Mensch das. Was sich die Leut herausnehmen! (Er sucht weiter. Dann erhebt er sich.) Der hats net erwarten können. Am End is er gar schon am Land!

(Verwandlung.)

18. Szene

Wohnung der Familie Durchhalter.

Die Mutter: Ziagts z'haus die Sandalen aus, man hört sein eigenes Wort nicht!

Ein Kind: Mutter, gibt's heut wieder nix z' essen?

Die Mutter: Du frecher Bub, ich werd dir lehren – (sie will auf ihn losgehen. Es läutet.) Das is der Vater! Er hat sich angstellt um Wrucken, hoffentlich –

(Man hört das Klappern von Sandalen. Der Vater, in Papieranzug, erscheint in der Tür.)

Die Kinder: Vater, Brot!

Der Vater: Kinder, Rußland verhungert!

(Verwandlung.)

19. Szene

Der Abonnent und der Patriot im Gespräch.

Der Abonnent: No jetzt wern wir doch schon bald Getreide aus der Ukraine haben.März 1918 der Friede von Brest-Litowsk zwischen Sowjetrußland und den Mittelmächten

Der Patriot: Der CzerninCzernin – Ottokar Graf Czernin von und zu Chudenitz, 1916 bis 1918 österr.-ungar. Außenminister, † 1932 hat eine Gewure! Jetzt ham wir den Brotfrieden! Und jetzt solln sie probiern, uns auszuhungern.

(Verwandlung.)

20. Szene

Sofia. Ein Bankett deutscher und bulgarischer Schriftleiter.

Der deutsche Gesandte Graf Oberndorff (erhebt sich): Meine verehrten Gäste! Ich freue mich jedesmal, wenn mir vergönnt ist, hier im Hause, über dem das schwarz-weiß-rote Banner weht, deutsche und bulgarische Freunde zu gemütlichem Gedankenaustausch zu vereinen. Heute aber freue ich mich ganz besonders. Denn Sie, meine verehrten Herren von der deutschen und bulgarischen Presse, darf ich als – Kollegen willkommen heißen.

Rufe: Bravo! Prösterchen, Herr Kollege!

Der deutsche Gesandte: Ja, mögen wir auch ein oder das andere Mal etwas an einander auszusetzen haben, wie das zwischen Zunftgenossen vorkommen kann, Diplomatie und Presse gehören eng zusammen.

Rufe: Bravo! Bravo!

Der deutsche Gesandte: Kein guter Journalist ohne diplomatisches Empfinden und kein brauchbarer Diplomat, der nicht mit einem vollen Tropfen Druckerschwärze für seinen Beruf gesalbt wäre.

Rufe: Famos!

Der deutsche Gesandte: Ich sage Beruf, das Wort ist zu gering. Es ist eine Kunst, eine hohe Kunst, die wir ausüben, und das Instrument, auf dem wir spielen, ist das edelste, das sich denken läßt, es ist die Seele der Völker!

Rufe: So ist es!

Der deutsche Gesandte: Was Diplomatie und Presse geeinigt vermögen, hat uns dieser Weltkrieg gezeigt.

Rufe: Jawoll!

Der deutsche Gesandte: Vom Feinde soll man lernen. Wenn wir die Reihe der diplomatischen Größen der Anktankte an unserem Sinn vorüberziehen lassen und dabei Namen wie Times und Reuter, Matin, Havas, Nowoje Wremja hören, nicht zu gedenken der kleinen Satelliten in Rom, Bukarest, Belgrad, dann müssen wir gestehen, daß hier ein Bund auftrat, der Erfolge aufweisen kann. Erfolge an Lüge und Verblendung –

Rufe: So ist es!

Der deutsche Gesandte: – Wut und Haß, wie sie die Welt nie zuvor gesehen. Ja, es ist ein mächtiger Bund und schreckhaft anzuschauen, und dennoch nur ein künstlich aufgetriebener Koloß, der eines Tages bersten wird. Denn es fehlt ihm der Leben spendende und erhaltende Geist, die Wahrheit. Die ficht auf unserer Seite.

Rufe: Jawoll!

Der deutsche Gesandte: Mit ihr und für sie streiten Sie, meine Herren von der bulgarischen und deutschen Presse, in der stolzen Erkenntnis, daß jeder Erfolg, den die Wahrheit erringt, auch einen Erfolg für unsere gemeinsame Sache bedeute. Ja, an dem Tag, an dem den Völkern, die man gegen uns in einen vergeblichen Kampf treibt, endlich die Schuppen von den Augen fallen, am Tage, an dem sie erkennen werden, wie wir wirklich dastehen –

Rufe: Hurra!

Der deutsche Gesandte: – wie unüberwindlich gerüstet von innen und von außen, an dem Tage endet der Weltkrieg! (Setzt sich. Allgemeines Anstoßen.)

Rufe: Hurra! – Pröstchen Herr Kollege! – Herr Graf, Pupille!

Kleinecke-Berlin: Mir scheint, Herr Kollege, die Balkanonkels machen flau. Haben Se bemerkt, keen Ton –!

Steinecke-Hannover: Ist mir nicht entgangen. Na und wenn schon. Oberndorff war famos.

Kleinecke-Berlin: Eine Poënkte neben der andern. Der Mann ist in der Tat mit 'nem vollen Tropfen Druckerschwärze jesalbt.

Steinecke-Hannover: Der Mann ist mit der beste Redner, den wa jetzt haben. Die Wahrheit, die ficht auf unserer Seite – wie schlicht und wahr zugleich!

Kleinecke-Berlin: Ja, seit dem Tage, da wir melden konnten, französische Flieger hätten Bomben auf Nürnberch jeworfen. Das war der Anfang.

Steinecke-Hannover: Ja, seit damals stehn wa im Kampf ge,gen die Lügen unserer Feinde.

Kleinecke-Berlin: Was Diplomatie und Presse geeinigt vermögen, hat uns dieser Weltkrieg gezeigt, den britischer Neid, französischer Revangschedurst und russische Raubgier uns aufgezwungen haben. Goldene Worte.

Steinecke-Hannover: Es erinnert an das treffende Wort eines großen Kollegen. Wie sagt doch Ernst Posse? Der Krieg hat offenbart, welche Macht der moderne Zeitungsschreiber in der Hand hält, man denke sich, sagt Ernst Posse, wenn man kann, die Zeitung weg in diesem internationalen Aufruhr der Gemüter; wäre ohne sie der Krieg überhaupt möglich geworden, möglich in seinen Entstehungsursachen, möglich auch in seiner Durchführung?

Kleinecke-Berlin: Wie wahr! Ernst Posse schaltet sogar die Diplomatie aus.

Steinecke-Hannover: Er spricht eben als Journalist. Oberndorff ist Diplomat und gibt darum der Presse, was der Presse ist.

Kleinecke-Berlin: Nu sagen Sie aber Kollege, diese faulen Balkanfritzen –

Steinecke-Hannover: Ach, das wolln wa uns nich anfechten lassen. Gucken Se mal, Oberndorff trinkt uns zu –

Beide: Herr Graf, Pupille!

(Verwandlung.)

21. Szene

Ministerium des Äußern.

Haymerle (zu einem Redakteur): Wenn er das erlebt hätt der Selige, daß ich über seinen Todestag einen Artikel in die Neue Freie Presse schreib – die Freud, was er ghabt hätt! Ich bin zur Zeit im Felde und eigens hereingekommen – denn draußen hab ich keine Ruh zum Schreiben. Aber da is mir gleich lieber, ich diktier's Ihnen. Also – ich denks wie heut. Also – ich wär Ihnen also dankbar, wenn Sie nachstehende Zeilen in Ihr geschätztes Blatt aufnehmen wollten.

Ich hatte die Ehre, seit Ende Januar 1914 als k. u. k. Botschaftsrat in Berlin unter dem Befehle Sr. Exzellenz des Grafen Szögyeny-Marich zu stehen. Näheres über die Zeit kurz vor Ausbruch des Weltkrieges zu sagen, liegt nicht in meiner Absicht, noch bin ich dazu berechtigt; ich möchte nur eine für den großen Staatsmann charakteristische und zugleich ehrende Episode erwähnen.

Es war am Abend der Kriegserklärung zwischen Serbien und der k. u. k. Monarchie.

Ich war, mit der Bitte um eine Unterschrift, noch um ½ 9 Uhr abends zu Sr. Exzellenz aus der Kanzlei hinuntergekommen.

Der Botschafter war eben im Begriffe, aus dem Eßzimmer in sein Schlafzimmer zurückzukehren.

Als er mich sah, frug er mich, seiner Gewohnheit gemäß, auch dann immer zuerst seine Besucher oder Beamten zu fragen, ob etwas Neues los sei, selbst dann, wenn er selbst Wichtiges mitteilen wollte: »Was gibt's Neues?« Auf meine Antwort, mir sei nichts Wichtiges bekannt, sah mich der alte Herr mit einem ganz eigentümlichen, halb stolzen, halb wehmütigen Blicke an – Wissen S', so kwieß – und sagte, mir tief ergriffen die Hand reichend: »Soeben haben wir Serbien den Krieg erklärt.«

Der Redakteur: Herr Botschaftsrat haben das also um ½ 9 Uhr abends noch nicht gewußt? Aber die Bevölkerung scheint bereits informiert gewesen zu sein?

Haymerle: Warten S'. Buchstäblich in dem gleichen Augenblicke ertönte bereits in der Moltkestraße (die zwischen dem Botschaftspalais und dem preußischen Kriegsministerium hindurchführt), ein donnerndes vielfaches Hoch und gleich darauf wurde unsere geliebte Volkshymne von Hunderten von Menschen aller Stände – Offiziere, Herren im Zylinder, Damen in Abendtoilette –

Der Redakteur: Intressant, also sie haben sich schon massiert.

Haymerle: Frauen aus dem Volke, Arbeiter, Soldaten und Kinder –

Der Redakteur: Wie, auch Kinder?

Haymerle: Naturgemäß. Oh Kinderln sind oft gscheit! Er speziell war immer ein großer Kinderfreund! Also wo sind wir – angestimmt, und alles rief wie aus einem Munde nach dem Botschafter. »Ans Fenster«, »ans Fenster«, »er soll sich zeigen«, »wir wollen ihn sehen!«

Der Redakteur: Offenbar hat das Volk nicht so sehr aus Inforrnation wie aus Instinkt gehandelt.

Haymerle: Versteht sich. Es fühlte eben bereits damals mit dem der großen Menge eigenen Spürsinn das deutsche Volk, wie innig die beiden Reiche in Not und Tod mit einander verbunden sein sollten.

Se. Exzellenz war so tief ergriffen, daß ich nur mit Mühe ihn dazu bewegen konnte, ans Fenster seines Schreibzimmers zu treten.

Graf Szögyeny war so erschüttert, daß er der begeisterten Menge nur mit der Hand seinen Dank zuwinken konnte. Doch Tränen rannen ihm über die Wangen. Und ich schäme mich nicht, einzugestehen, daß auch mir – (mit tränenerstickter Stimme) der im Hintergrund stehend diesen erhebenden Moment miterleben durfte, die schweren Tränen rannen.

Für den Botschafter war es aber wohl der größte und schönste Moment seines schicksalsschweren Lebens, als der bedeutende Staatsmann kurz vor dem Scheiden aus seinem seit zweiundzwanzig Jahren innegehabten Amte noch erleben konnte, welche für unser geliebtes Vaterland unschätzbaren Früchte – (kann vor Rührung nicht weitersprechen.)

Der Redakteur (ergriffen): Herr Botschaftsrat, fassen Sie sich, wir von der Presse empfinden ganz mit Ihnen! Das weitere mach ich in der Redaktion. Ich ersehe aus Ihrer bewegten Schilderung, daß schon vor Beginn des Weltkrieges Tränen vergossen wurden. Wenn es auch unglücklicherweise nur Freudentränen waren, so hat die Diplomatie damit doch die Aufgabe, die weiterhin den Völkern überlassen war, intuitiv vorgezeichnet. Aber glauben Sie mir, Herr Botschaftsrat – die Journalistik ist nicht unbeteiligt beiseite gestanden. Ein von Natur liberaler Beruf, hat sie im Gegenteil alles dazu beigetragen, den Tränen, die seit jenem großen Moment geflossen sind, freien Lauf zu lassen.

Haymerle (ergriffen): Wir danken es Ihnen.

(Verwandlung.)

22. Szene

In der guten Stube bei Wahnschaffes.

Frau Pogatschnigg: Also ich kann nur sagen, daß »Heldengrab im Hause« bei uns die weiteste Verbreitung gefunden hat und alles begeistert ist.

Frau Wahnschaffe (bescheiden abwehrend): Ach, das war ja nur für die Toten. Aber jetzt hat Männe das Heldenkissen erfunden, das schönste Geschenk für unsere heimkehrenden Krieger, um auszuruhn von ihren Taten. Es enthält: 1. die sinnreiche Anrede: Siegreiche Krieger. 2. Das eiserne Kreuz. 3. Den Namen des Kriegers, von einem Eichenkranz umgeben als Sinnbild deutscher Stärke. 4. Deutsche und österreichische Fähnchen als Zeichen der Bundestreue –

Frau Pogatschnigg: Wacker!

Frau Wahnschaffe: 5. Willkommen in der Heimat! M. 3,50.

Frau Pogatschnigg: Preiswert. Was gibt es in Kinderbüchern und Kinderspielen Neues bei euch im Reich?

Frau Wahnschaffe: Wir spielen Weltkrieg.

Frau Pogatschnigg: Wie?

Frau Wahnschaffe: Wir spielen Weltkrieg, ein zeitgemäßes Bilderbuch für unsre Kleinen. Nun und von richtich gehenden Spielen – na der 42 cm Brummer, aber der ist ja eigentlich von euch – warten Sie – ach ja, kennt ihr »Verteilung der Beute«?

Frau Pogatschnigg: Ja, aber da ist man bei uns wenig befriedigt, ich weiß nicht, wie das kommt.

Frau Wahnschaffe: Ach, 's ist doch 'n entzückendes Spiel. Meine Jöhren sind ganz selig. Ja, für uns Deutsche ist das Beste –

Frau Pogatschnigg: – gerade gut genug. Wir haben dafür jetzt den »Russentod«, etwas Erstklassiges.

Frau Wahnschaffe: Das muß fein sein.

Frau Pogatschnigg: Der »Russentod«, eine sinnreiche Erfindung der Gräfin Taaffe, ist ein für Groß und Klein interessantes Geduldspiel, ein Erzeugnis der Verwundeten des Roten Kreuz-Lazaretts auf der Prager Kleinseite, wo die Gräfin als Oberschwester Samariterdienste versieht. In einem sehr geschmackvoll ausgeführten Osterei erscheint eine Miniaturfestung mit Drahthindernissen und Sumpf dargestellt, nebst kämpfenden verbündeten und russischen Soldaten. Durch Schütteln des Eies müssen die Verbündeten in die Festung hereingebracht und die Russen in den Sumpf getrieben werden.

Frau Wahnschaffe: Etsch!

Frau Pogatschnigg: Der »Russentod« bildet ein geeignetes Ostergeschenk nicht nur für die Jugend, sondern auch für die Soldaten in den Spitälern, denen es eine angenehme Zerstreuung und spannende Unterhaltung bietet. Das »Russentod«-Osterei, in sehr geschmackvoller schwarz-gelb-seidener Ausführung, kostet K 3.6o und ist in der Prager Zentralverkaufsstelle des Kriegsfürsorgeamtes erhältlich.

Frau Wahnschaffe: Zu niedlich. Und wie fein die hochgeborne Samariterin den Geschmack der Verwundeten berücksichtigt hat! Ja der östreichische Adel! Da ist denn doch noch bei aller Schlappheit mehr Grazie als bei uns, das muß sogar ich zugeben. Wie ist das also, liebe Pogatschnigg – man schüttelt das Ei und denn müssen unsre Braven in die Festung, die Russen aber in den Sumpf – etsch! Das ist ja das Ei des Columbus!

Frau Pogatschnigg: Die Gräfin ist seit dieser Erfindung der Gegenstand von Huldigungen der Gesellschaft. Und Sie im Reich – haben Sie nichts dergleichen an die Seite zu stellen?

Frau Wahnschaffe: Na, ich sollte eigentlich, was Wahnschaffe schafft, nicht anpreisen – Sie wissen ja, Eigenlob – aber ich kann nicht umhin, Ihnen den neuen Kriegsspielkreisel wärmstens zu empfehlen. Dieses neue Spiel darf in keinem deutschen Hause fehlen und gewährt in jeder Familie, jeder Gesellschaft, bei jeder Gelegenheit eine spannende Unterhaltung für jung und Alt. Zunächst wird von jedem Teilnehmer ein Einsatz in die Kasse gemacht. Sodann wird der Kreisel von jedem Teilnehmer der Reihe nach mit den Fingern in kreisende Bewegung versetzt. Die Buchstaben und Zahlen haben nachstehende Bedeutung: R. g. o: Rußland – gewinnt nichts. E. v. 1/1: England – verliert den ganzen Einsatz. F. v. ½: Frankreich verliert den halben Einsatz. T. g. ⅓: Türkei – gewinnt ein Drittel von der Kasse. Ö. g. ½: Österreich – gewinnt die Hälfte von der Kasse. D. g. a.: Deutschland über alles – gewinnt die ganze Kasse.

Frau Pogatschnigg: Bravo! Wenn aber Österreich die Hälfte der Kasse gewonnen hat, wie kann dann Deutschland über alles verfügen? Nimmt denn Deutschland auch –

Frau Wahnschaffe: Nanu ihr oberfaulen Östreicher, das paßt euch wieder mal nicht – das ist also der Dank, daß wir euch so oft aus dem Dreck rausgezogen haben! Die letzte Offensive ist euch wieder mal glücklich vorbeigelungen!

Frau Pogatschnigg (drückt ihr die Hand): Sie haben mich überzeugt. Österreich gewinnt zwar nur die Hälfte von der Kasse, aber – ich bin eine deutsche Hausfrau! (Sie gehen Schulter an Schulter, »Deutschland, Deutschland über alles« singend, ab.)

(Verwandlung.)

23. Szene

Drei deutsche Modedamen bei Betrachtung eines deutschen Modejournals.

Erste deutsche Modedame: Sieh mal, 4393, Kostürn »Glockenelfe« aus hellila Seidenstoff. Bauschender, in Zacken geschnittener Rock; eine Glocke als Kopfputz – das ist mein Fall für den Karneval!

Zweite deutsche Modedame: Nicht doch, 4389, Kostüm »Mörsergeschütz« aus glattem Satin, mit Mörserapplikationen; ein großes Mörsermotiv als Kopfputz – das ist mein Fall. Und wir sind doch mitten im Karneval!

Dritte deutsche Modedame: Man tut ein Übriges. Man bringt ein Opfer. Man macht aus einem Glockenkostürn ein Mörserkostüm.

(Verwandlung.)

24. Szene

Der Abonnent und der Patriot im Gespräch.

Der Patriot: Was sagen Sie zur Übertreibung, mit der in den feindlichen Ländern die versuchte Meuterei von drei, sage drei deutschen Matrosen beurteilt worden ist?

Der Abonnent: Da gibt es nur eine Antwort: Eine große Meuterei in der englischen Flotte.

Der Patriot: Wo, wieso?

Der Abonnent: In Spithead in the Nore.

Der Patriot: Was Sie nicht sagen – da war eine Meuterei?

Der Abonnent: Und was für Eine! Meuterei is gar kein Ausdruck! Die Meuterei ergriff fast die ganze Flotte des Admirals Duncan. Die Meuterer blockierten die Themse mit sechsundzwanzig Kriegsschiffen.

Der Patriot: Hören Sie auf, wo steht das, was war das für eine Meuterei?

Der Abonnent: Die Meuterei schien das Vorspiel einer Revolution zu sein.

Der Patriot: Was Sie nicht sagen! Was für eine Revolution, was für eine Meuterei?!

Der Abonnent: Was für eine Meuterei? Die Meuterei, an die der geehrte Einsender erinnert!

Der Patriot: Ja richtig – aber wann war das?

Der Abonnent: In den letzten Jahren.

Der Patriot: Davon hat man doch gar nie etwas gehört? Jetzt kommt das heraus? Sagen Sie bittsie wann war das?

Der Abonnent: 1797.

Der Patriot: No – das is doch aber nicht in den letzten Jahren!?

Der Abonnent: Bitte, des achtzehnten Jahrhunderts!

Der Patriot: No – aber was ham wir davon?

Der Abonnent: No – es redt sich herum!

Der Patriot: No ja, wenn es noch dazu wahr is! Wissen Sie, wenn es auf die Stimmungen der Entente wirkt, möcht ich mich freun, besonders wenn zum Beispiel in Frankreich –

Der Abonnent: No was wolln Sie haben – in Frankreich is die französische Revolution ausgebrochen!

Der Patriot: Hören Sie auf – wo steht das?!

(Verwandlung.)

25. Szene

Mittasgtisch bei Hindenburg und Ludendorff.Ludendorff – Erich Ludendorff, Generalstabschef der 8. Armee, ab 1916 Generalquartiermeister, † 1937

Hindenburg (drückt Paul Goldmann die Hand): Ah, da sind Sie ja.

Paul Goldmann (beiseite): Eine Löwenpranke. Er begrüßt mich mit der herzgewinnenden Güte, die ihm eigen ist.

Ludendorff (drückt Paul Goldmann die Hand): Ah, da sind Sie ja.

Paul Goldmann (beiseite): Sein Aussehen ist unverändert das gleiche wie vor einem, vor zwei, vor drei Jahren, nur daß sein Charakterkopf noch durchgeistigter geworden ist.

Hindenburg und Ludendorff (beiseite): Er hat sich nicht verändert.

(Sie nehmen Platz, Goldmann sitzt zwischen ihnen. Sie sprechen von rechts und links abwechselnd auf ihn ein.)

Hindenburg (seufzend): Jetzt heißt es durchhalten.

Ludendorff (seufzend): Es ist schwer, aber es muß gelingen.

Hindenburg: Es steht alles gut.

Ludendorff: Die Lage berechtigt zur größten Zuversicht.

Hindenburg: Überwintern müssen wir freilich.

Ludendorff: Den Termin des Friedens bestimmen können wir natürlich nicht.

(Goldmann nickt nach beiden Seiten und macht sich Notizen.)

Paul Goldmann (zu sich): Über das Wann des Friedens bestimmte Angaben zu machen ist natürlich unmöglich. Aber vielleicht über das Wie –? Ich werde jetzt eine Frage stellen, die wohl jedem daheim am Herzen liegen mag. (Laut.) Durch welche Mittel wird der Friede am sichersten herbeigeführt?

Hindenburg: Der Friede wird umso eher herbeigeführt werden

Ludendorff: je günstiger unsere Kriegslage wird. Noch steht die Tat

Hindenburg: über dem Wort.

Ludendorff: Deshalb sollten wir jetzt nicht

Hindenburg: vom Frieden sprechen. Den Anfang

Ludendorff: scheinen die Russen machen zu wollen.

(Es tritt eine Pause ein, während welcher sich Goldmann Notizen macht.)

Paul Goldmann (zu sich): Was im Anschluß hieran über den Frieden gesprochen wurde, entzieht sich in seinen Einzelheiten der Veröffentlichung. Nur so viel darf vielleicht mitgeteilt werden, daß Hindenburg und Ludendorff einen Frieden wünschen, der möglichst sichere und stabile Verhältnisse schafft, einen solchen Frieden, der uns gesicherte Grenzverhältnisse und eine freie wirtschaftliche Betätigung in der Welt und auf dem Weltmeer bringt.

Ludendorff: Fahren Sie fort!

Paul Goldmann: Gestatten Sie noch –

Ludendorff: Ach so – Hindenburg, fahren wir fort!

Hindenburg und Ludendorff: Ich bin der Meinung, daß die Ansichten über den Frieden nicht unveränderlich sein können, da sie von der Kriegslage abhängen.

Hindenburg: Auch über die Lage an der Westfront kann ich mich

Ludendorff: mit voller Beruhigung aussprechen.

Paul Goldmann: Was ist von dem Obersten Kriegsrat zu erwarten, den die Entente jetzt einzusetzen im Begriffe ist? (zu sich) Hindenburg lacht. (er notiert dies und legt dann den Finger auf die elsaß-lothringische Frage.)

Ludendorff: Für die Franzosen mag es eine elsaß-lothringische Frage geben

Hindenburg: für Deutschland gibt es keine.

Paul Goldmann: No und was ist mit Amerika?

Hindenburg: Die Reklame

Ludendorff: mit der Amerika seine Kriegsleistungen ankündigt

Hindenburg: ist imposant und des Landes würdig, das einen BarnumBarnum – Phineas Taylor Barnum, amerikanischer Unternehmer in der Vergnügungsbranche, auch Zirkusunternehmer, † 1891

Ludendorff: hervorgebracht hat. Nun wollen wir erst einmal abwarten

Hindenburg: ob die Leistungen selbst ebenso imposant sein werden.

Ludendorff: Na und wenn schon – erstens haben die Amerikaner ihr Heer gegen Japan aufgestellt –

Hindenburg: zweitens leiden sie an Tonnagemangel –

Ludendorff: drittens haben wir die U-Boote.

Hindenburg und Ludendorff: Kurzum, das große amerikanische Heer steht noch in nebelhafter Ferne.

Paul Goldmann: Ich habe eine Frage auf dem Herzen, die an das Problem des U-Bootkrieges streift.

Ludendorff: Na, Hindenburg, wolln Se mal alleene antworten?

Hindenburg: Nee.

Ludendorff: Wir haben nie daran gedacht, daß unsere U-Boote England in ein paar Monaten aushungern würden. Unser Ziel war nicht, England auszuhungern, sondern es zum Frieden geneigter zu machen.

Paul Goldmann: Na schön, unterhalten wir uns jetzt mal von den Operationen in Italien.

Hindenburg: Im Wetteifer mit unseren Deutschen haben sich die österreichisch-ungarischen Soldaten tapfer

Ludendorff: geschlagen.

Paul Goldmann: Von allen Kriegsschauplätzen war schon die Rede, ich vermisse jetzt nur noch den Balkan.

Hindenburg (ihn beruhigend): Die Lage dort ist

Ludendorff: unverändert.

Paul Goldmann (zu sich): Ich bin beruhigt. Das Mittagessen war von militärischer Einfachheit, wenngleich der Kaffee aus echten Bohnen.

(Hindenburg und Ludendorff erheben sieh. Paul Goldmann bleibt sitzen.)

Hindenburg (sich von dem Gaste verabschiedend, halb zu Ludendorff gewendet): Wenn wir noch eine zeitlang Kraft und Geduld haben, bringen wir's zum guten Ende. (Sich zu Goldmann wendend) Das sagren Sie in Österreich-Ungarn mit einem schönen Gruß von mir!

(Goldmann ist aufgestanden und wartet zögernd.)

Ludendorff (auf ihn zutretend, jedes Wort betonend): Sie sind heute vielleicht zum letztenmal bei uns gewesen.

Paul Goldmann (beiseite): Die Abschiedsworte des Generalquartiermeisters spielen darauf an, daß ich bisher in jedem Kriegsherbst einmal an der Tafel des Feldmarschalls habe sitzen dürfen.

(Verwandlung.)

26. Szene

Semmering. Auf dem Hochweg.

Der kaiserliche Rat: – Also was soll ich Ihnen sagen die zehn Waggon sind mir nur so in die Hand geflogen. In Marienbad also was soll ich Ihnen sagen man kriegt alles, nur natürlich fufzn Mal so teuer aber was schadt das? Gediegen – auf der Südbahn, wie ich hinkomm, alles gesteckt voll, lauter Soldaten und so, ein Geschrai und ein Gedränge, Menschen sag ich Ihnen so etwas war noch nicht da – no was heißt das, ich wer nicht Platz kriegen, also was soll ich Ihnen sagen bin ich einfach mitten durchgegangen und von vorn herein und von hinten herum, hat der Verkehrsbeamte gesagt ich soll mich verlassen, er versorgt mich, hab ich das Gepäck einem Soldaten gegeben, also was soll ich Ihnen sagen ein Coupé ganz allein bis herauf am Semmering, die Leute sind am Korridor gestanden wie die Häringe – phü die Hitze – (zieht eine Düte hervor) Billig –! vom Zuckerlkönig! das Stück zwei Kronen, ein Preis wo jeder staunen muß. Was sagen Sie zum heutigen Bericht?

Der alte Biach: Das kann nicht ohne Rückschlag auf die Stimmungen der Entente bleiben.

Der kaiserliche Rat: Ich weiß nicht – ich kann mir nicht helfen – der heutige Bericht – also was sagen Sie zu Luzk?

Der alte Biach: Zunehmendes Schwächegefühl in der Entente.

Der kaiserliche Rat: Wieso?

Der alte Biach: Die Entente verbirgt sich noch hinter großen Worten, aber sie fühlt bereits ihre Schwäche.

Der kaiserliche Rat: No und Luzk?

Der alte Biach: Der Friede sichert ein Frühstück ohne Rußland.

Der kaiserliche Rat: Erklären Sie –

Der alte Biach: In Milliarden ausrechnen können wir das nicht. Es gibt jedoch Milliarden, die sich nicht zählen lassen.

Der kaiserliche Rat: Alles geht, wenn man will.

Der alte Biach: Hundert Milliarden Mark im Jahr sind ein Ungetüm von Leviathan, an dem nichts klein ist.

Der kaiserliche Rat: Wo nehmen Sie die Milliarden her? Heutzutag?

Der alte Biach: Die Zeiten sind hart.

Der kaiserliche Rat: No also was folgt daraus?

Der alte Biach: Kerenski hat gesagt, Rußland ist erschöpft.

Der kaiserliche Rat: So. Aber Luzk –?

Der alte Biach: Die Schlacht am oberen Isonzo hat erst heute früh begonnen und wir möchten ihrem Verlauf nicht vorgreifen.

Der kaiserliche Rat: Ich mein aber Luzk –!

Der alte Biach: Wir wollen nicht in Zukunftsträumen schwelgen, doch ein solcher Beweis wäre des Einsatzes wert.

Der kaiserliche Rat: Luzk –!

Der alte Biach: Wir spüren aus den Worten des Kriegspressequartiers den Anhauch des Geschichtlichen. Nun werden sie schreien nach der amerikanischen Unterstützung, nach diesem Irrlicht der Entente, dem sie nacheilt und das sie immer tiefer hineinführt in den Sumpf, in Niederlage und Verderbnis.

Der kaiserliche Rat: Selbstredend, aber –

Der alte Biach: Aber schon jetzt empfinden wir den Geist des Sieges –

Der kaiserliche Rat: Nu na nicht. Das heißt – unten! Aber oben??

Der alte Biach (ausbrechend): Das erste muß jetzt sein, daß der Reisende die Fühlhörner ausstreckt und die Kundschaft abtastet.

Der kaiserliche Rat: Das leuchtet mir ein, aber –

Der alte Biach: Wenn wir die Bilanz ziehen, so ergibt sich noch immer zu unseren Gunsten ein Plus von zirka 40 000 Mann.

Der kaiserliche Rat: Unten! Aber oben –??

Der alte Biach: Man vernimmt den Kanonendonner und weiß, wie viele von den Toten, Verwundeten und Gefangenen auf die Lastenseite zu verrechnen sind.

Der kaiserliche Rat: Also nehmen Sie schon an –

Der alte Biach: London und Paris dürften heute recht verdrossen sein. Konsols sind auf dem Tiefstand.

Der kaiserliche Rat: No ja, der Krieg –

Der alte Biach: Der Krieg schlägt die Völker dreifach: Schlechtes Geld, Mangel und Höchstpreise.

Der kaiserliche Rat: In dem Punkt – wer sich –

Der alte Biach: Wer sich in die Italiener hineindenkt –

Der kaiserliche Rat: No und?

Der alte Biach: Schrecken dürfte sich bereits unter den Bewohnern ausbreiten.

Der kaiserliche Rat: Ich fürchte stark.

Der alte Biach: Ohne die Möglichkeiten schon jetzt, ehe das Werk vollendet ist, in den Einzelheiten und in den Details zu erörtern –

Der kaiserliche Rat: Was halten Sie von den Konferenzen in Rom?

Der alte Biach: Kühle Aufnahme in Paris.

Der kaiserliche Rat: Erinnern Sie sich noch – damals – bei der Affaire mit der Lusitania –

Der alte Biach (unwillig den Kopf hin und her bewegend): Übertreibung der ganzen Angelegenheit.

Der kaiserliche Rat: Wissen Sie, was uns gesund wär? Wie damals wo es geheißen hat – Gott das waren doch Zeiten – Umfassung der russischen Truppen durch die deutsche Armee –

Der alte Biach (rabiat): – und Hereinwerfen in die masurischen Sümpfe.

Der kaiserliche Rat: No und Rumänien?

Der alte Biach: Geputzte Frauen saßen an den Tischen in den hellerleuchteten Sälen der Bukarester Hotels. Wir können uns vorstellen –

Der kaiserliche Rat: No und was war da?

Der alte Biach: Die bemalten Weiber in Bukarest erbleichen.

Der kaiserliche Rat: Das sind Schmonzes.

Der alte Biach: Schrecken breitet sich aus über die Stadt. Die Fenster haben gezittert –

Der kaiserliche Rat: Nu na nicht. Aber was ham wir zu erwarten?

Der alte Biach: Beginn einer großen Zeit. Die Blicke der Völker nach dem Westen gerichtet.

Der kaiserliche Rat: Wenn Sie das sagen, glaubt man e Titel von ihm zu hören mit Untertitel im Abendblatt. Aber –

Der alte Biach: Die Frauen von Paris horchen nach dem Osten.

Der kaiserliche Rat: Wieso?

Der alte Biach: Frauen mit verweinten Augen sind in den Straßen von Paris zu sehen.

Der kaiserliche Rat: Bittsie, wir ham auch nix zu lachen.

Der alte Biach (mit Elan): Hymnen tönen im Herzen. Der Philosoph Fichte war zum Landsturm eingerückt.

Der kaiserliche Rat: Wie kommen Sie dadarauf?

Der alte Biach (fabulierend): Er machte seine Übungen gemeinsam mit Buttmann, Rühs und dem Theologen Schleiermacher. Buttmann und Rühs konnten nicht erlernen, rechts und links zu unterscheiden. Diese Zeit, die so viel Ähnlichkeit mit unserer hat, reizt die Neugierde, und vielleicht kann die Vergangenheit auf die Frage antworten: Wie ist der Verlauf von wirtschaftlichen Krisen, die von einem Kriege hervorgerufen werden? Der Vergleich führt zu auffallenden Übereinstimmungen bis in die Einzelheiten. Erleben wir jetzt nicht das Schöpfungswunder in der Stickstoffindustrie?

Der kaiserliche Rat: Ich versteh. Aber wissen Sie, was wir braucheten?

Der alte Biach (stürmisch): Starke Männer, die alles von sich werfen und sich den Trieben der Gegenwart hingeben wie die Braut dem Bräutigam.

Der kaiserliche Rat: Je nachdem.

Der alte Biach: Der Krieg hat besondere Absatzstockungen und der Friede auch, und so schwingen die Einflüsse fort und der Wechsel braucht eine Leitung des Staates, die in das Volk hineinhorcht und aus ihm heraushört und in den zittrigen Augenblicken dieser Veränderung in den Bedürfnissen und in der Erzeugung auf der Höhe ihrer Pflicht ist. Das Jahr der Erfüllung kommt.

Der kaiserliche Rat: Ob Sie da nicht bißl übertreiben –?

Der alte Biach (frohlockend): Herrlich ist alles geworden, frei ist das Land, zurückgeworfen sind die Feinde, ausgemerzt die serbischen Truppen, zerstört die russischen Festungen.

Der kaiserliche Rat: No – no! Und Luzk?!

Der alte Biach (betroffen, doch gefaßt): Trauerfahnen müssen herausgehängt werden. Aber wozu solche Äußerlichkeiten?

Der kaiserliche Rat: Jetzt sprechen Sie wieder wie wenn ma scho ganz –

Der alte Biach (aufatmend): Rußland gebeugt, Serbien zertreten, Italien beschämt! Die Menschheit ist für Jahrzehnte entlastet, das Bohren in den Nerven wird nicht mehr empfunden werden, und das muß ein Wohlgefühl verbreiten und die Einleitung zu Abschnitten sein, in denen das Staunen über die wirtschaftliche Entfaltung uns wieder gefangennimmt.

Der kaiserliche Rat: Apropos gefangennimmt. Bei Luzk –

Der alte Biach: Der Geschichtsforscher wird nach Mitteilungen über die Aufnahme der Nachrichten von dem Siege in Ostgalizien suchen, ob nicht Freudenfeuer auf den Spitzen der Berge angezündet, brennende Kerzen in die Fenster der Häuser gestellt wurden –

Der kaiserliche Rat: Gestatten Sie eine Laienfrage. Wo nehmen Sie die Kerzen her?

Der alte Biach: – ob nicht berauschende Musik die Stimmungen ausgedrückt habe –

Der kaiserliche Rat: Das sind Schmonzes über Tarnopol. Bleiben wir bei Tachles über Luzk!

Der alte Biach (nachdenklich): Der verstorbene Generalsekretär der Österreichisch-ungarischen Bank, Wilhelm v. Lucam, ist nahezu vergessen.

Der kaiserliche Rat: Traurig.

Der alte Biach: Der jetzige Gouverneur, Herr v. Popovics, hat eine Vergangenheit, die zu einer Zukunft berechtigt.

Der kaiserliche Rat: Schön. Aber warum sagen Sie das?

Der alte Biach: Wir stellen uns den Offizier und den Soldaten vor, der von Cattaro über Geröll und Felsblöcken, in den höheren Lagen über Eis und Schnee, beständig von den Geschossen des Feindes bedroht, auf den Lovcen gestiegen ist. Er muß ein anderer geworden sein.

Der kaiserliche Rat: Ich glaub auch. Aber mir imponiert nur Ihre lebhafte Phantasie –

Der alte Biach: Die Einbildungskraft schwelgt in der Vorstellung –

Der kaiserliche Rat: Moment. Sie springen auf die Österreichisch-ungarische Bank und von da auf den Lovcen. Mich intressieret aber Ihre Ansicht über Luzk –

Der alte Biach (scheu): Wir möchten in den Erinnerungen nicht zurückgreifen auf Tyrtäus

Der kaiserliche Rat: Warum nicht, tun Sie sich keinen Zwang an.

Der alte Biach (stichelnd): Clémenceau wird verwundert sein.

Der kaiserliche Rat: Das gönn ich ihm!

Der alte Biach (tändelnd): Der russische Dichter Puschkin heiratete ein junges Mädchen aus einer vornehmen Familie. Natalie Goncharow war gefallsüchtig und der Dichter eifersüchtig. Der Sohn des niederländischen Gesandten in Petersburg, Baron George Heckeren, reizte durch seine Werbungen um die Gunst der schönen Frau den Verdacht des Mannes –

Der kaiserliche Rat: Ich erinner mich. Puschkin is nebbich im Zweikampf getötet worn. Aber worauf wolln Sie hinaus?

Der alte Biach (sinnierend): Die Nachwelt hat ihn nicht vergessen, und bei der Enthüllung seines Denkmals wurde Dostojewski eingeladen, die Gedenkrede zu halten. Er sagte, der innerste Gedanke der russischen Volksseele ist: Dulde! Der Bericht der deutschen Obersten Heeresleitung erzählt, daß die Verluste des Feindes bei Postawy –

Der kaiserliche Rat: No ja, aber bei Luzk schätz ich –

Der alte Biach: Die Spaziergänger auf den Straßen streifen sich gegenseitig mit den Blicken und wollen in den Augen die Gedanken über Durazzo, Verdun und die Champagne lesen.

Der kaiserliche Rat: No und über Stanislau doch auch! Was sagen Sie zu Stanislau?

Der alte Biach (mit Überzeugung): Stanislau ist ein Rufzeichen, das den Übermut des Generals BrussilowBrussilow – Aleksei Aleksejewitsch, russ. General, führte 1916 und 1917 Offensiven gegen die Ostfront dämpfen und ihn erinnern muß, wie vergänglich an dieser Stelle russische Eroberungen gewesen sind.

Der kaiserliche Rat: Und was sagen Sie zu Brody?

Der alte Biach (kleinlaut): Brody ist ein Schmerz.

Der kaiserliche Rat: No und Görz?

Der alte Biach (obenhin): Görz ist ein Hautritz.

Der kaiserliche Rat: Glauben Sie mir, es kommt immer anders wie man sich vorstellt.

Der alte Biach: Die Linien und die Flächen sind in der Wirklichkeit vom Körper nicht zu trennen, und dennoch arbeitet das Denkvermögen mit ihnen und baut Sätze auf mit unbedingter Wahrheit, obgleich die Breite und Tiefe vernachlässigt werden. Die Schlachten an der Somme sind eine der schlimmsten Enttäuschungen.

Der kaiserliche Rat: Aber schließlich – die Leute müssen doch wissen, was sie wollen!?

Der alte Biach: Vielleicht wird sich die Erkenntnis verstärken, daß es auch im Völkerdasein nichts ganz Gradliniges gibt und daß überall die Kreuzungsflächen sich schneiden.

Der kaiserliche Rat: Moment. Die Diplomaten der Entente –

Der alte Biach (lebhaft): Die Diplomaten der Entente sind wie die Söhne des Noah, welche die Blöße ihres trunkenen Vaters zugedeckt haben.

Der kaiserliche Rat: Gelungen. Aber seit Rumänien –

Der alte Biach (übersprudelnd): Als die Kriegserklärung in Bukarest beschlossen worden ist, haben sich die Führer der Entente benommen, als hätten sie Dämpfe von indischem Hanf eingeatmet.

Der kaiserliche Rat: Meschugge. Aber was wolln Sie heut von Bratianu?

Der alte Biach: Bratianu wird jetzt böse Nächte haben.

Der kaiserliche Rat: Wieso glauben Sie?

Der alte Biach: Wenn eine Schraube auf die Offensive gestellt ist und zur Defensive umgedreht werden soll, kann sie leicht brechen.

Der kaiserliche Rat: Glaub ich auch. No aber in Wien wird sich doch heut etwas tun –!

Der alte Biach: In den Straßen von Bukarest werden jetzt manche herumgehen mit dem Zweifel im Herzen.

Der kaiserliche Rat: Erlauben Sie, wir können –

Der alte Biach: Wir können uns die Wirkung auf das rumänische Volk vorstellen.

Der kaiserliche Rat: No aber das is doch schon alles vorbei jetzt hat ma doch wieder andere Sorgen –!

Der alte Biach (gedeftet): Die Sorge beginnt wieder.

Der kaiserliche Rat: Sie, jetzt hören Sie schon –!

Der alte Biach: Jetzt hören sie schon den Kanonendonner von Tutrakan und Silistria in den Straßen von Bukarest.

Der kaiserliche Rat: Das is doch aber eine erledigte Sache –!

Der alte Biach: So endet der erste Abschnitt eines Krieges, für dessen Ausgelassenheit in den Beweggründen und in den Formen jedes Maß fehlt.

Der kaiserliche Rat: Ich wer Ihnen sagen, was Sie sich vorstellen, das –

Der alte Biach (bestimmt): Das kann in England nicht ohne Eindruck bleiben.

Der kaiserliche Rat: Sagt Er! Heut hat ma doch wirklich andere Sorgen wie Tutrakan!? Der bulgarische Sieg hat damals Aufsehn gemacht –

Der alte Biach (vibrant): – weil er mit solcher Frische aus dem Handgelenk gekommen ist.

Der kaiserliche Rat: Was heut intressiert – is Luzk!

Der alte Biach (schäkernd): Beim Melken der Kuh denkt Vroni, ob es nicht schön wäre –

Der kaiserliche Rat: Lassen Sie mich aus!

Der alte Biach (versunken): Alix von Hessen ist der Mädchenname der Kaiserin Maria Feodorowna. Sie war noch in der Baumschule des Lebens und bereits in der Rinde gekerbt.

Der kaiserliche Rat: Biach, was is Ihnen?

Der alte Biach (wehmütig): Was is aus Alix, die auch nicht beten darf, wie die verstorbene Mutter sie es gelehrt hatte, geworden, nachdem sie hinausgestoßen wurde in die düstere Verlassenheit an der Seite eines Zarenthrones.

Der kaiserliche Rat: Meine Sorg! Was intressieren Sie sich?

Der alte Biach: Der Anlaß zu dieser Frage ist die eigentümliche Meldung, daß die Kaiserin bis in die vordersten Linien der russischen Front, wo die deutschen Stellungen bereits in Sicht waren, gegangen sei.

Der kaiserliche Rat: No und?

Der alte Biach (sinnend): Vielleicht sind auch jüngere und ältere Männer aus Hessen in den Schützengräben gewesen, die Maria Feodorowna bei dem Besuche auf dem Schlachtfelde gesehen hat; vielleicht hat ein Zufall es gefügt, daß es Freunde aus der Jugendzeit waren, Söhne oder Gatten ihrer Gespielinnen, Nachbarskinder –

Der kaiserliche Rat: Vielleicht. Das müßte aber schon e besonderer Zufall sein!

Der alte Biach: – und jedenfalls Landsleute und Deutsche.

Der kaiserliche Rat: Also Deutsche jedenfalls. Aber ausgerechnet Söhne und Gatten ihrer Gespielinnen? Also so müssen Sie sich das nicht vorstellen, daß sich die grad vorn in die Schützengräben hereinlegen wern – und Nachbarskinder hat sie wahrscheinlich überhaupt keine gehabt und wenn ja und wenn sie zufällig wirklich vorn waren in die Schützengräben, sagen Sie mir bittsie wie soll sie sie erkennen nach so viele Jahr und auf die Entfernung?! Aber – warum lassen Sie sich das so nah gehn?

Der alte Biach (elegisch): Alix stand am Rande des russischen Drahtverhaues und schaute hinüber nach Wiesen und Feldern, die nur wenige Meter von ihr entfernt gewesen sind –

Der kaiserliche Rat: Ausgerechnet! So nah wird ma sie gehn lassen! Und wo sind da Wiesen und Felder, wie stellen Sie sich das vor?! Wo –

Der alte Biach (träumerisch): – wo ein Windstoß manchen Laut zu ihr hinübertragen konnte, der ihr trotz aller Wandlungen vertraut bleiben mußte.

Der kaiserliche Rat. Biach, Sie sind etwas ein Phantast!

Der alte Biach (beharrend): Alix lebt noch in der Kaiserin Maria Feodorowna.

Der kaiserliche Rat: Sagen Sie bittsie Sie sind doch ein vernünftiger Mensch – was geht Sie Alix an?!

Der alte Biach (teilnehmend): Sie ist eine unglückliche, gebrochene Frau, beständig von einem Kummer gequält, der sich in ihren Kopf hineinbohrt.

Der kaiserliche Rat: Sagen Sie mir nur um Gotteswillen was geht das Sie an?!

Der alte Biach: Mit gerungenen Händen hat sie zum Himmel aufgeschrien.

Der kaiserliche Rat: Wieso, was is ihr passiert?

Der alte Biach (schmerzlich, doch mit verhaltener Gewure): Den Namen konnten die Russen ihr ausziehen, als wäre er nur ein Kleid. Ein Gebetbuch konnten sie ihr aufzwingen, aber das deutsche Gemiet war nicht aus ihr herauszureißen. Eine Spur von Alix muß noch vorhanden sein.

Der kaiserliche Rat: No nehmen Sie schon an! Aber woher wissen Sie, was in Alix vorgeht?

Der alte Biach (verloren): Und schaute hinüber zu den Deutschen, wo auch kostbares Blut fließt, und dachte vielleicht an ihre Großmutter.

Der kaiserliche Rat: Vielleicht. Warum sagt sie aber dann nicht, sie solln aufhören mit dem Krieg?

Der alte Biach (bitter): Weil die Kaiserin Maria Feodorowna der Alix nicht zu viel nachgeben darf. Sie schaute hinüber und auf ihren verschlossenen Lippen mochte das Wort vom Frieden schweben.

Der kaiserliche Rat: Aber glauben Sie wirklich, daß man sie direkt in der Schlacht hineingeführt haben wird? Vielleicht –

Der alte Biach (versonnen): Vielleicht haben sie den Ausschnitt eines Salonkrieges für sie hergerichtet. Das langsame Abklingen der Krise mag in Petersburg nach dem Aufschäumen des Erfolges noch nicht erkannt werden. Der Zar hört auf sie, und Alix, die weggetauft wurde, ist ihm mehr als Maria Feodorowna.

Der kaiserliche Rat: Warum hat sie sich wegtaufen lassen? No also schön, wenn Sie das glücklich macht, stelln Se sach vor.

Der alte Biach (entschlossen): Stellen wir uns das Hauptquartier des Zaren vor, wenn die Nachrichten kommen.

Der kaiserliche Rat: No was harn Sie schon davon?! Aber wegen Alix will ich Sie aufmerksam machen – sie heißt gar nicht Maria Feodorowna!

Der alte Biach (pikiert): Das sind Sticheleien.

Der kaiserliche Rat: So wahr ich da leb, sie heißt, wie heißt sie nur, sie heißt Alexandra Feodorowna!

Der alte Biach (mißmutig): E Druckfehler.

Der kaiserliche Rat: Apropos, was sagen Sie zu Nikolajewitsch? Dem is auch schon mies.

Der alte Biach (schadenfroh): Da kommen die Stiche in der Leber und es melden sich die Erscheinungen einer verderbten Galle.

Der kaiserliche Rat: Das sind auch Sticheleien. Aber was nutzt das alles – Brussilow is gesund!

Der alte Biach (verklärt): Die Einnahme von Bukarest bringt uns einen jener seltenen Augenblicke, in denen der Mensch glaubt, die Schwingen des Talents über sich rauschen zu hören.

Der kaiserliche Rat: Was heißt Talent, das war schon genial! No aber – Brussilow is e Hund? Was möchten wir heute drum geben –! Also wenn die Nachricht –

Der alte Biach (ekstatisch): Wenn die Nachricht kommt, daß die Siege in Rumänien die verbündeten Truppen bis in die Palästestraßen von Bukarest geführt haben, so beugen wir uns in Ehrfurcht vor dem menschlichen Geiste.

Der kaiserliche Rat: Ja, die ham damals gut abgewirtschaftet, der rumänische König und sie!

Der alte Biach (phantasierend): Wer spricht von den Verschollenen und vielleicht ist ihre einzige Spur ein Parfüm, der noch an der Wandverkleidung der Zimmer haftet, irgend ein verstreutes Merkmal des einstigen Luxus und des Übermutes.

Der kaiserliche Rat: Meine Sorg. Der Sieg –

Der alte Biach (entschieden): Der Sieg hat ein Bedürfnis befriedigt.

Der kaiserliche Rat: Lassen Sie's gut sein, was möchten wir heute –

Der alte Biach (bedächtig): Wir möchten heute zu den mächtigen Herren vom Rat der Vier sprechen.

Der kaiserliche Rat: Von Ihnen wern sie sich zureden lassen! Was Sie sich einbilden!

Der alte Biach (einschmeichelnd): Wir möchten nicht –

Der kaiserliche Rat: Ob Sie möchten oder nicht möchten, liegt dem Rat der Vier stagelgrün auf.

Der alte Biach (eifernd): Weil sie die Einbildungen und die Stimmungen nicht geschont und mit solchen Reizungen die Luft zum Atmen vergiftet haben. Die Begehrlichkeit ist jedoch auch in den Berechnungen –

Der kaiserliche Rat: No passen Sie auf, sie kommen noch bis Konstantinopel.

Der alte Biach (leidenschaftlich): Die Hagia Sophia ist die Fata Morgana für die russische Vergrößerungspolitik. Das Versprechen der Beihilfe zur Verwirklichung dieses Spiegelbildes ist der Nasenring, an dem die englische Politik den russischen Bären führte und noch führt.

Der kaiserliche Rat: Sie mir scheint Sie ham etwas einen Pik auf England.

Der alte Biach (kategorisch): England ist nicht bedroht. Tell sagt, jeder geht an sein Geschäft und meines ist der Mord.

Der kaiserliche Rat: Ihres?

Der alte Biach: Seines!

Der kaiserliche Rat: Seines?

Der alte Biach: Tells!

Der kaiserliche Rat: Wieso Tells?

Der alte Biach: Englands!

Der kaiserliche Rat: Is denn England Tell? England is doch konträr Geßler und Deutschland is Tell! Tell sagt, ich lebte still und harmlos.

Der alte Biach: Sie?

Der kaiserliche Rat: Er!

Der alte Biach: Er?

Der kaiserliche Rat: Tell!

Der alte Biach: Wieso Tell?

Der kaiserliche Rat: No Deutschland! Man hat ihm doch hörich in ein Drachengift verwandelt die Milch!

Der alte Biach (bitter): Das ist Verderbtheit.

Der kaiserliche Rat: Da ham Sie recht.

Der alte Biach (dumpf): Wir können uns vorstellen, wie er dort sitzt auf der Regierungsbank, im Palaste des Monte Citorio, ein düsterer, schweigsamer Mensch.

Der kaiserliche Rat: Wer? Gar ka Spur!

Der alte Biach: Spuren von Gedrücktheit werden erkennbar. Die Neutralen werden nachdenklich.

Der kaiserliche Rat: Also gut. Aber vielleicht –

Der alte Biach: Vielleicht geht jetzt schon ein Flüstern durch die englische Gesellschaft, daß der Krieg sich nicht mehr bezahlt macht. Die Politik der Einkreisung ist zahlungsunfähig.

Der kaiserliche Rat: Davon bin ich überzeugt. Aber Lloyd George –

Der alte Biach: Lloyd George hat jedoch die Politik –

Der kaiserliche Rat: Geben Sie ihm Eizes. Was sagen Sie zu Rußland?

Der alte Biach (schwer): Im Flügel ist Blei.

Der kaiserliche Rat: Was kauf ich mr dafür.

Der alte Biach (mehr zu sich): Schreckliche Zeiten!

Der kaiserliche Rat: Wem sagen Sie das?

Der alte Biach: Man kann sich vorstellen, wie die Bomben herunterdonnern.

Der kaiserliche Rat: Schön. Aber was ham wir davon?

Der alte Biach (zufrieden): Verdrossenheit in der Entente.

Der kaiserliche Rat: Sie spielen darauf an, daß Lloyd George broiges wird mit Clémenceau. Wenn das Deutschland gelingt – schön. Aber –

Der alte Biach (nicht ohne Tam): Lloyd George können wir uns vorstellen, wie er von seinem Kirchenstuhle sich erhebt und als Prediger zu reden beginnt, weil nach den Worten der Heiligen Schrift der Geist des Herrn über ihn gekommen ist. Das ist bei Clémenceau undenkbar.

Der kaiserliche Rat: Reden wir von Tachles –

Der alte Biach: Präsident Wilson hat einmal gesagt, ich lege das Ohr auf den Boden und horche auf die Wünsche des Landes.

Der kaiserliche Rat: Sie? Ja so Wilson! No was hats Ihm genützt?

Der alte Biach (achselzuckend): Wilson ist vielleicht ein Reisender, der den Zug versäumt hat.

Der kaiserliche Rat: Das verdrießt die Firma.

Der alte Biach (eindringlich): Lloyd George hat jedoch einen Beweggrund für seine Politik, der nicht minder wichtig ist.

Der kaiserliche Rat: Man kann sich vorstellen.

Der alte Biach: Wir können uns vorstellen, welchen Eindruck die Nachricht in Wien hervorrufen würde, daß eine große Schlacht in Gloggnitz oder Neunkirchen stattfinde.

Der kaiserliche Rat: Gott soll schützen. Aber was halten Sie von –

Der alte Biach (geheimnisvoll): Es rieselt im Gemäuer.

Der kaiserliche Rat: Habachaachgehört. Ich mein aber, was halten Sie von Luzk?

Der alte Biach (betroppezt): Wir müssen uns in Rußland hineindenken.

Der kaiserliche Rat: No was kommt schon dabei heraus? Schaun Sie, Luzk –

Der alte Biach (feurig): Die Psychologie der Angriffsschlacht ist wichtig.

Der kaiserliche Rat: Wo steht das?

Der alte Biach (betamt): Ein Soldat steht in den Bergen bei Asiago auf der Wache.

Der kaiserliche Rat: No und –?

Der alte Biach (verdrossen): Das ist Entartung.

Der kaiserliche Rat: Wieso? Die Entente –

Der alte Biach (broiges): Die Entente will kränken.

Der kaiserliche Rat: Wie versteh ich das?

Der alte Biach (ächzend): Was hat die Monarchie Wilson getan, daß er –

Der kaiserliche Rat: Moment –

Der alte Biach (stöhnend): Was hat die Monarchie England getan, daß sie –

Der kaiserliche Rat: Jetzt handelt es sich aber –

Der alte Biach (aufschreiend): Was hat die Monarchie Serbien getan, daß es –

Der kaiserliche Rat: No no beruhigen Sie sich schon!

Der alte Biach: Die Entente weiß, daß sie uns nicht mit den Waffen besiegen kann, aber (zwinkernd) sie stichelt.

Der kaiserliche Rat: Das wird ihr einen Tineff nützen. Wissen Sie was man heut schon sagen kann?

Der alte Biach (dezidiert): Voraussichtlicher Heldentod der Besatzung von Kiautschau.

Der kaiserliche Rat: Das is passee! Intressant steht heut in der Presse: Die Entscheidung der Krise bevorstehend.

Der alte Biach: Wahrscheinlich morgen.

Der kaiserliche Rat: No ham Sie gelesen: Die Abreise des Grafen Czernin nach Bukarest?

Der alte Biach: Übermorgen Samstag.

Der kaiserliche Rat: Wissen Sie was das bedeutet? Die Annäherung zum Frieden. No und wodurch?

Der alte Biach: Durch die heute mitgeteilte Note.

Der kaiserliche Rat: Ich konstatiere: Leichte Entspannung der Krise.

Der alte Biach: In den gestrigen Londoner Blättern.

Der kaiserliche Rat: Bewegte Zeiten.

Der alte Biach: Deren Merkmale in den vorliegenden Nachrichten.

Der kaiserliche Rat: Grad les ich da den Artikel: Die Räumung Asiagos. Wissen Sie, von wem?

Der alte Biach: Von der Zivilbevölkerung.

Der kaiserliche Rat: Der Untertitel is die Hauptsache, weil man da ganz genau erfährt. Aber manchmal genügt ein Satz –

Der alte Biach (tändelnd): Sibyl war die Tochter eines Arbeiters.

Der kaiserliche Rat: Sie, wenn Sie wüßten, wie mies mir is.

Der alte Biach (gereizt): Das ist ein Herumbohren in der offenen Wunde.

Der kaiserliche Rat: Passen Sie auf, ich sag Ihnen, Sie wern sehn, die Situation –

Der alte Biach (herb): Das ist ein Hissen der Pestflagge, des Bankerotts.

Der kaiserliche Rat: No was sagen Sie dazu, daß wir zurückgeworfen sind?

Der alte Biach: Sie tändeIn mit dem Krieg.

Der kaiserliche Rat: Konträr, es scheint ihnen blutiger Ernst zu sein – wenn man bedenkt, wo wir stehn – wir sind doch heute weit entfernt –

Der alte Biach: Weit entfernt von Hochmut und von Schwäche.

Der kaiserliche Rat: Das war doch ganz am Anfang!? Gott waren das Zeiten, gar nicht denken soll ma –!

Der alte Biach (fest): Ein Anzug kostet zweitausend, eine Lokomotive sechzigtausend Rubel.

Der kaiserliche Rat: Bei uns –? Das wär doch billig! Aber sagen Sie mir nur, wer brauch jetzt eine Lokomotiv? Waggons brauch man!

Der alte Biach: Laienfragen und Laienantworten.

Der kaiserliche Rat: Bitt Sie, erinnern Sie einen nicht!

Der alte Biach (unerbittlich): Wenn der Vertrag über den Sonderfrieden unterzeichnet wird, ist Lloyd George verloren und vielleicht auch Clémenceau.

Der kaiserliche Rat: No und wir?

Der alte Biach (einlenkend): Wir müssen uns in die Entente hineindenken.

Der kaiserliche Rat: Weit gebracht. Stellen wir uns vor –

Der alte Biach (mit Genugtuung): Stellen wir uns vor, daß die Gefangenen zurückkehren, eine Million, vielleicht noch mehr –

Der kaiserliche Rat: Es können doch höchstens schätz ich alles in allem fufzntausend sein!

Der alte Biach (beschowet): – darunter meistens junge Leute, gehärtet im Klima von Sibirien.

Der kaiserliche Rat: No und wie! Aber jetzt halten wir vorläufig bei Luzk – der heutige Bericht – also lassen Sie ein vernünftig Wörtl mit sich reden –

Der alte Biach (abtastend): Hier fällt uns vor allem das Wörtchen »noch« auf und das Auge bohrt sich förmlich hinein in den Bericht und man kann sich vorstellen –

Der kaiserliche Rat: So wahr ich da leb das war das erste was ich früh sie is noch gelegen zu ihr gesagt hab sie hat noch gesagt sprech mit Biach! Sehn Sie, Sie sind auch ein Pessimist geworn. Nach meiner Ansicht – was soll ich Ihnen sagen – Luzk schließlich – also was is Ihre Ansicht?

Der alte Biach (schlicht): Die Familie Brodsky ist eine der reichsten in Kiew. (Ausbrechend) Dadaran glaub ich und dadavon geh ich nicht ab!

Der kaiserliche Rat: Moment. Wie kommt das zu dem?

Der alte Biach (erregt): Das wissen Sie nicht? das wissen Sie nicht? also den Anfang vom heutigen Leitartikel ham Sie –

Der kaiserliche Rat: Gott richtig, natürlich – nur so aus dem Zusammenhang heraus war es mir bißl fremd – ich kenn doch jeden Satz auswendig – wie er in die Stimmungen hereinkommt – heut gibt er es ihnen ordentlich, er stichelt gegen Wilson und er tändelt mit Czernin. Aber offen gestanden – die Geschichte mit Luzk gefällt mir etwas nicht.

Der alte Biach (schwärmend): Die Nase der Kleopatra war eine ihrer größten Schönheiten.

Der kaiserliche Rat: Ihnen gesagt.

Der alte Biach (erregt): Das wissen Sie nicht? das wissen Sie nicht? also den Anfang vom gestrigen Leitartikel –

Der kaiserliche Rat: Gott richtig, natürlich das war doch so packend – aber – Luzk gefällt mir nicht! Es is natürlich ein prima strategischer Rückzug – aber –

Der alte Biach (bündig): Ein Volk muß essen.

Der kaiserliche Rat: Selbstredend, aber wie kommt das zu –

Der alte Biach (erregt): Das wissen Sie nicht? das wissen Sie nicht? also den Schluß vom heutigen –

Der kaiserliche Rat: Gott richtig, natürlich –

Der alte Biach (bitter, jedoch mit edlem Anstand): Das Schicksal des Blattes ist es schon wiederholt gewesen, daß die Persönlichkeiten, die ihm angehören, die Mitarbeiter und Korrespondenten, von den Wirkungen der Weltbegebenheiten unmittelbar und persönlich getroffen werden.

Der kaiserliche Rat: Selbstredend kommt aber dabei immer ein großer Kowed für das Blatt heraus. Aber wissen Sie, wenn man die heutige Situation betrachtet, welcher Gedanke sich auch dem einfachen Laien aufdrängt? Einen Bismarck braucheten wir!

Der alte Biach (kategorisch): Ein Demosthenes wäre nötig, um Einsicht und Klarheit zu schaffen. Wir hoffen, daß unser Ministerium des Äußern die Angehörigen der Monarchie mit allem Nachdruck schützen werde.

Der kaiserliche Rat: Moment. Wenn noch –

Der alte Biach (resigniert): Wenn noch Raum wäre für einen GentzGentz – Friedrich von Gentz, Publizist und Politiker, führender konservativer Staatsdenker des 19. Jahrhunderts, stand bis 1802 im preußischen Staatsdienst, später enger Mitarbeiter Metternichs, † 1832 in der heutigen, so stark veränderten Gesellschaft, würde er boshaft lächeln.

Der kaiserliche Rat: Intressant. Aber warum soll nicht Raum sein?

Der alte Biach (resolut): Ein Talent wird immer Raum finden. Beethoven war auch ein Teilnehmer des Kongresses durch eine Kantate, Wiens glorreichster Augenblick.

Der kaiserliche Rat: Was nutzt das alles, man is doch schon sehr betroppezt!

Der alte Biach (mit einem Blick gen Himmel): Wo ist heute ein Fichte, der die gebeugten Seelen wieder aufrichten, dem deutschen Volke ein Lehrer und Wegweiser zugleich sein könnte!

Der kaiserliche Rat: Das is aber jo wohr! (auf die Uhr sehend) Gott halber acht!

Der alte Biach (im Abgehn, dumpf): Iwangorod röchelt bereits.

(Verwandlung.)

27. Szene

Berliner Tiergarten.

Padde: Die gefilmte Schlacht, die gefilmte Majestät des Sterbens und des Todes! Daß die Engländer eine unwissende und ungebildete Gesellschaft sind, wissen wir ja; der vorliegende Fall zeigt aber auch, bis zu welcher Gefühlsroheit Neid und Lüge führen.

Kladde: Wäre es nicht erwünscht, daß mm auch dein Deutschen hinter der Front solche lebenswahre Bilder der jüngsten Ereignisse vorführte? An Gelegenheiten, die geeignete Bilder zur Aufnahme bieten, dürfte kein Mangel sein. Die Taten unserer Soldaten, im Bilde vorgeführt, gäben wahrhaftig Stoff genug für mehr als einen Film, und das Volk, das am Bilde manchmal mehr hängt, als am Worte, würde solchen Vorführungen ein gewaltiges Interesse entgegenbringen, auch wenn wir auf die Ausschmückungen im Interesse nationaler Selbstverhimmelung, die Engländer und Franzosen nötig haben mögen, gern verzichten.

Padde: Machen wir. Was sagen Sie zum Hias? Unter dem Krachen aller Feuerwaffen und mit Sturmgeschrei ging gestern abend »Der Hias«, ein feldgraues Spiel in drei Akten, über die Bretter des Berliner Theaters. Der Zettel verschwieg den Namen des Verfassers; aber ein Feldgrauer soll das Stück geschrieben haben, und Feldgraue (Offiziere und Mannschaften Berliner und bayrischer Ersatz-Truppenteile, unter denen gewiß einige von schauspielerischer Herkunft waren) führten es auf. Für die Frauenrollen stellten sich Frauen der Aristokratie zur Verfügung.

Kladde: Wacker!

Padde: Das Stück gab Gelegenheit, Lagerleben und blutige Kämpfe mit erstaunenswertem Naturalismus vorzuführen. Die echten Soldaten auf der Bühne spielten, als ob sie an der Front wären. Dort, wo die kriegerischen Vorgänge der technischen Mittel der Bühne spotteten –

Kladde: – sprang der Film ein.

Padde: Na sehn Sie, treffen wa ooch! Und der Apparat rollte (im letzten Akte) eine Reihe von geschickt in die Szene des Stückes eingelegten Schlachtenbildern ab. Erhöht wurde der Eindruck durch den Lärm der Maschinengewehre und Handgranaten und durch das Ächzen und Stöhnen der Gefallenen.

Kladde: Ein Kulturskandal erster Güte –

Padde: Wie?

Kladde: – ist die englische Denkmünze auf die Seeschlacht im Skagerrak.

Padde: Ach so.

Kladde: Nachdem die Engländer ihre schwere Niederlage vorn Skagerrak auf dem Papier allmählich in einen Sieg umgemodelt haben, setzen sie diesem Lügenverfahren dadurch die Krone auf, daß sie eine Denkmünze auf die Seeschlacht prägen. »Der ruhmreichen Erinnerung derer, die an jenem Tage fielen!«

Padde: Ja, sie treiben's doll. Wir Deutsche brauchen keene Denkmünzen!

Kladde: Im Vergleich mit neueren deutschen Denkmünzen kann diese englische als gedankenarm und unkünstlerisch bezeichnet werden. Der Text, der nichts von Sieg enthält, ist für englische Verhältnisse ziemlich bescheiden. Die Denkmünzen sollen käuflich sein – die goldene zu 230 Mk., und der Gesamtertrag soll den Hinterbliebenen der gefallenen Seeleute zukommen. So verabscheuungswürdig diese englische Verlogenheit auch ist, kann man es nicht in Abrede stellen, daß sie System hat und sicher auch Erfolg haben wird, denn es unterliegt keinem Zweifel, daß auch auf diesen englischen Schwindel wieder eine ganze Menge neutraler Untertanen hereinfallen wird.

Padde: Marke Lügen-Grey. Wir hätten jetzt eine Gelegenheit zu 'ner Denkmünze! Kaiser Wilhelm als Feldarbeiter. Bekanntlich reiste der Kaiser an die Ostfront. Seine schlesischen Truppen erfreute Seine Majestät durch persönliche Anerkennung und durch seinen Dank für ihre Tapferkeit. Des freute sich ganz Schlesien. Aber ganz Schlesien freute sich noch über etwas anderes.

Kladde: Weiß schon. Das lassen Sie mich erzählen. Was rennt das Volk, was läuft die Schar hinaus auf die abgemähten Felder? Den Kaiser zu sehen. Nachmittags zwischen 5 und 7 Uhr ist es. Munteres Volk bringt die kostbaren Ährengarben auf bereitstehende Wagen. Plötzlich ruhen alle Hände, Stille tritt ein, alle Mützen fliegen vom Kopfe, Staunen ergreift alle: Der Kaiser kommt!

Padde: Er ist schon da, zieht den Rock aus und, hastenichgesehn, in Hemdärmeln beginnt des Deutschen Reiches Oberhaupt mit Hand anzulegen an die Feldarbeit. Auf dem mit goldenen Getreidegarben besäten durchfurchten Boden unseres lieben Vaterlandes erheitert das durch die Sorgen der Kriegsjahre tief durchfurchte Antlitz Seiner Majestät munteres Lächeln.

Kladde: Wie ist das? – Na, jedenfalls 'n herzerquickendes Momentchen.

Padde: Er hilft selbst, mit höchsteigener Person, den »von oben« gespendeten Segen für sein Volk einzuheimsen.

Kladde: Wie der Herr, so der Knecht. Dem Kaiser tun es seine Begleiter, hohe Herren und Offiziere, nach. »Siehst du da nicht auch unsern Reichskanzler bei der Feldarbeit?«- »Wahrhaftig, er ist's.«

Padde: Das lassen Sie mich mal fortsetzen. Von der Stirne heiß, rinnen muß der Schweiß bei solcher Arbeit. Überrascht schaut das zuschauende Volk, wie Seine Majestät den von der Stirne perlenden Schweiß mit dem Hemdärmel ein übers andre Mal abwischt; denn in brennender Sonnenhitze mit der Garbengabel Wagen vollzuladen, wenn auch mit aufgestreiften Hemdärmeln, macht schwitzen – und Durst!

Kladde: Weiß Gottchen.

Padde: Und so haben wir wieder das schöne Bild: Seine Majestät sitzt mitten in seinem ihm treu ergebenen oberschlesischen Volk auf –

Kladde: Wie?

Padde: – auf das er sich verlassen kann, sitzt auf –

Kladde: Wie?

Padde: – auf einem Feldrain und trinkt aus einem gewöhnlichen Kruge frisches Wasser. – Na? Da staunt der Fachmann und der Laie wundert sich. Das wär 'n Vorwurf für 'ne Denkmünze!

Kladde: – den uns die Engländer machen könnten – nee, nachmachen könnten! Wenn sie könnten!

Padde: Was Denkmünze! Das sollte jefilmt werden!

Kladde: Ja richtig, hören Sie mal, in den nächsten Tagen wird in den Kinos der höchstinteressante Film: Die Sommeschlacht, das größte Ereignis in diesem Kriege, dem Publikum vorgeführt.

Padde: Dieser Film kann in der Tat das größte Ereignis in diesem Kriege genannt werden. Es ist dies die erste und zugleich die letzte Aufnahme, die das Archiv des Generalstabes für das Publikum freigibt. Der Film ist im größten Kampfgewühl zustandegebracht worden. Vier Operateure sind bei der Aufnahme des Films gefallen, aber immer wieder traten neue an ihre Stelle, bis endlich das ganze Werk vollendet war, das unseren Nachkommen den Ruhm der heldenmütigen Kämpfer künden soll. Mit atemloser Spannung machen wir Sprengung und Erstürmung eines Blockhauses und nach mächtigem Trommelfeuer einen Sturmangriff von nervenerschütternder Eindruckskraft mit. Wir sind mitten drin in den gewaltigen Erdfontänen von Minensprengung und Einschlägen schwerster Kaliber und in den weißen Rauchschwaden der Handgranaten und bewundern fast noch mehr als den Todesmut der Truppen – den Mann oder die Männer, die im Geschoßhagel und Feuerregen die Ruhe gehabt haben, in vorderster Linie, mit eisernem Pflichtgefühl auch dem Befehl zu gehorchen, die Kurbel des kinematographischen Apparates zu drehen. Auf allen Seiten sieht man die höchste Anspannung aller Kräfte, das Ausnützen, aber auch Abnützen der menschlichen Energie – wir sehen den siegenden Tod!

Kladde: Dieser Film wird sicher in allen Kinos Deutschlands großen Anklang finden. Wie hieß es doch jüngst so schlagend in einem kriegspresseamtlichen Bericht unsrer östreichischen Bundesbrüder? Unsere Sturmtrupps rücken vor-

Padde: – unmittelbar gefolgt von unsern Filmtrupps. So soll es sein. Der siegende Tod! Das sollen uns die Vettern überm Kanal mal nachmachen! Da staunt der Fachmann –

Kladde: – und der Laie wundert sich.

(Verwandlung.)

28. Szene

Kino. Auf dem Programm: »Ach, Amalia, was hast du gemacht?« und der Detektivschlager »Mir kommt keiner aus«. Die Musik spielt »Puppchen, du mein Augenstern«.

Der Kinoregisseur (tritt vor): Nun folgt die erste Vorführung des großen Sommefilms. Sie werden in diesem Film die Sommehelden zu sehen bekommen, blühende Jugend und ergraute Männer in gleicher Weise verwittert und kampfgestählt stürzen und springen, stürmen und kämpfen zwischen fliegenden Feuern und hagelnden Geschossen, und schwankem, von Minen zerstäubtem Erdreich, in der zermalmenden Werkstatt des brüllenden, unsichtbaren Krieges. In drei Teilen entrollen sich Szenen der furchtbaren Herbstschlacht 1916, mit der die große Hoffnung der Feinde ins Grab sank. Imponierend dröhnen die Tritte unübersehbarer deutscher Reservisten. Im Feuer der eigenen Landsleute bringen deutsche Krieger behutsam französische Frauen, Greise und Kinder in Sicherheit. Wo vordem blühende Dörfer sich hinzogen, wo alte malerische Städte in ihrer historischen Schönheit das Auge erfreuten – Bapaume und Peronne und wie sie alle heißen – sind nunmehr Trümmerhaufen, zerschossen in Schutt und Staub durch die Ententebatterien. Und dann flimmert auf zuckenden Bildern, dank einzig dastehendem Mute tapferer Kinooperateure, deren vier in treuer Pflichterfüllung bei den Aufnahmen den Heldentod fanden, ein erhabenes Beispiel zielbewußter Exaktheit: »Das Divisionskommando hat um 8 Uhr 3o Minuten die Sprengung und den Sturm befohlen!« – Alles ist bereit gestellt. – Die Sturmtruppen fiebern. – Die Ungeheuer moderner Kriegsmaschinen öffnen ihre blitzenden Mäuler, die furchtbarsten Waffen unseres technischen Zeitalters spielen auf – aber dahinter stehen die Menschenleiber, die den toten Maschinen Leben einhauchen. Über Minenfelder, Hindernisse, durch sprengstoffschwangere Gassen des Todes hinein zum heißen Nahkampfe! – Die Handgranate mäht! ... Von Graben zu Graben in die Hauptstellung hinein! Die eigene Artillerie schöpft Luft und streut Entsetzen in die feindlichen Reserven, Graben auf Graben wird erobert. Dieser Film reiht sich zu den schönsten, zu den eindrucksvollsten aus dem jetzigen Weltkriege.

Eine weibliche Stimme: Emil, benimm dir!

(Verwandlung.)

29. Szene

Der Optimist und der Nörgler im Gespräch.

Der Optimist: Also die harmlosen Parodien auf Goethes »Über allen Gipfeln«, die jetzt bei uns und in Deutschland im Schwang sind, in Deutschland wegen der U-Boote und bei uns wegen der Kipfel – das bringt Sie auch schon aus Rand und Band?

Der Nörgler: Das tut es. Mit der Kriegsdichtung wollen wir uns abfinden. Die Gegenwartsbestie, wie sie gemütlich zur todbringenden Maschine greift, greift auch zum Vers, um sie zu glorifizieren. Was in dieser entgeistigtesten Zeit zusammengeschmiert wurde – es ergäbe täglich eine Million Tonnen versenkten Geistes, die wir einmal an den geschädigten Genius der Menschheit werden zurückzahlen müssen; und hierin war nicht nur die Schuld der vielen Schreiber enthalten, die auf die Fahne der Bestialität spekuliert haben, sondern auch der wenigen Dichter, die sich von ihr fortreißen ließen. Aber sehen Sie: wenn zugunsten Deutschlands nichts weiter geltend gemacht würde, als daß auf seinem Boden das Gedicht »Über allen Gipfeln ist Ruh'« gewachsen ist, so würde das wahre Prestige, auf das es schließlich mehr ankommt als auf jene zeitgebundenen Vorurteile, zu deren Befestigung Kriege geführt werden, heil aus der Affäre hervorgehen. Was unsere Lage vor dem Weltgericht gefährden könnte, wäre eine einzige vom Ankläger enthüllte Tatsache. Daß nämlich dieses Zeitalter, das als verstunkene Epoche preiszugeben und glatt aus der Entwicklung zu streichen wäre, um die deutsche Sprache wieder zu einer gottgefälligen zu machen, sich nicht damit begnügt hat, unter der Einwirkung einer todbringenden Technik literarisch produktiv zu sein, sondern sich noch an den Heiligtümern seiner verblichenen Kultur vergriffen hat, um mit der Parodie ihrer Weihe den Triumph seiner Unmenschlichkeit zu begrinsen. In welcher Zone einer Menschheit, die sich doch überall mit dem Mund gegen ein Barbarentum sträubt, dessen die Hand sich beschuldigt, wäre ein Satanismus möglich, der das heiligste Gedicht der Nation, ein Reichskleinod, dessen sechs erhabene Zeilen vor jedem Windhauch der Lebensgemeinheit bewahrt werden müßten, der Kanaille preisgab! Wo in aller Welt ließe sich so wenig Ehrfurcht aufbringen, den letzten, tiefsten Atemzug eines Dichters zu diesem entsetzlichen Rasseln umzuhöhnen? Die Ruchlosigkeit des Einfalls, der den Sieg jener Richtung bedeutet, die mit dem Abdruck von Klassiker-Zitaten auf Klosettpapier eingesetzt hat, übertrifft alles, was uns das geistige Hinterland dieses Krieges an Entmenschung vorgeführt hat. Bei Goethe! Es ist der Augenblick, aus einer Parodie ein großes Gedicht des Abschieds zu machen.

Der Optimist: Glauben Sie mir, zwei fleischlose Tage in der Woche sind ein größeres Übel, und dennoch muß auch dies ertragen werden.

Der Nörgler: Gewiß. Aber sieben geistlose – da halte ich nicht durch! Und ich sehe aus dieser Unterernährung keinen rettenden Ausweg. Die kriegerische Verblödung der Menschheit, der Zwang, der die Erwachsenen in jene Kinderstube zurückführt, in der sie noch das schaurige Erlebnis haben, keine Kinder mehr vorzufinden – ja, uns hier, die wir die Versuchsstation des Weltuntergangs bewohnen, hat die Entwicklung dort, wo sie uns haben wollte!

Der Optimist: Solange Krieg ist, muß alle Geistigkeit auf ihn eingestellt sein.

Der Nörgler: Sie befähigt uns eben noch, die Begriffe »Menschenmaterial«, »durchhalten«, »Scherflein«, »Hamstern«, »Mustern«, »Nachmustern«, »Tachinierer«, »einrückend gemacht«, kurz den ganzen ABC-Befund unseres Zustandes in seiner abgründigen Tiefe zu erfassen, ohne doch die völlige Aussichtslosigkeit eines Tuns ermessen zu können, zu dem wir uns innerhalb dieses Mechanismus verurteilen ließen. Aber die feigen Büromörder, die unsere Zukunft an ihr Fibelideal verraten haben –

Der Optimist: Sie glauben also wirklich, daß der Weltkrieg von ein paar bösen Menschen beschlossen worden ist?

Der Nörgler: Nein, sie waren nur die Werkzeuge des Dämons, der uns und durch uns die christliche Zivilisation in den Ruin geführt hat. Wir müssen uns aber an sie halten, da wir den Dämon, von dem wir gezeichnet sind, nicht fassen können.

Der Optimist: Wie würden wir denn aussehen, wenn wir von einem Dämon gezeichnet sind!

Der Nörgler: Wie vom Schönpflug.

Der Optimist: Sollten wir so talentlos gezeichnet sein?

Der Nörgler: Eben. Doch diese Talentlosigkeit hat tiefere Bedeutung. Wir hängen genau so in der Luft, wenn wir zu stehen vermeinen, und stehen genau so, wenn wir glauben, wir seien im Fortschreiten begriffen. Die grundlose Feschität, die dieses neuwienerische Dasein so beliebt macht wie die Figuren jenes teuflischen Antitalents, die tiefe Unfähigkeit, im Raum zu stehen, die die niedrigste Kunst und das niedrigste Leben zu vollkommener Deckung bringt, diese Leichenstarre der Lebendigkeit das ist es, was noch unsern Untergang zum stehenden Motiv des kolorierten Mißhumors macht. Ich ziehe die Luftlinie von einem verknödelten Leben, von einem Punkt der Entwicklung, wo Lehartöne und Schönpflugfarben uns bedrohen, zu einem Ultimatum, mit dem ein bodenloser Kretinismus die Welt auffordert, den k. k. Misthaufen abzuräumen, zu dessen Prestige er ausgerückt ist. Und ich lechze der Stunde entgegen, da es geschehn sein wird – mag nachher das herausgeforderte Weltgewissen als die Machtfratze eben jenes Siegerwahns triumphieren, der uns hier unser Leben vernichtet hat. Möglich, daß das mitteleuropäische Verbrechen so groß war, noch die Welt zu korrumpieren, die da auszog, es zu züchtigen. Was immer geschehe – Österreicher zu sein war unerträglich!

Der Optimist: Die österreichisch-ungarische Monarchie ist eine historische Notwendigkeit.

Der Nörgler: Vielleicht, weil dieser ganze nationale Gemischtwarenkram, der uns in kulturelle Schmach und materielles Elend gebracht hat, in irgendeinem verfluchten Winkel der Erde verwahrt sein muß. Aber diese Notwendigkeit wird sich durch alle revolutionären und kriegerischen Versuche, ihn los zu werden, abschwächen, und gelingt es diesmal nicht, erweist sich der k. k. Gedanke zunächst als unausrottbar, so wirds neue Kriege geben. Aus Prestigerücksichten hätte diese Monarchie längst Selbstmord begehen müssen.

Der Optimist: Wäre dem Kaiser Franz Joseph ein längeres Leben beschieden gewesen, so wäre der Zusammenhalt –

Der Nörgler: Ehrfürchtiger Schauder läßt mich vor der Konsequenz dieses Gedankens zurückbeben, ehe Sie ihn zu Ende gedacht haben. Aber Sie übersehen dabei, daß jenem ja tatsächlich ein längeres Leben beschieden war und daß trotzdem –

Der Optimist: Der Kaiser ist doch voriges Jahr gestorben –?

Der Nörgler: Woher wissen Sie das?

Der Optimist: Ich verstehe Sie nicht – er hat doch gelebt bis –

Der Nörgler: Woher wissen Sie das?

Der Optimist: Ja, spielen Sie vielleicht auf die in der Entente beliebten Scherze an, daß in Österreich-Ungarn eine Zucht von Kaisern bestehe und daß immer ähnlich aussehende –

Der Nörgler: Da könnte schon etwas dran sein. Wissen Sie, wenn ich mich auch entschließen könnte, an den Tod Franz Josephs zu glauben, keineswegs glaube ich, daß er je gelebt hat.

Der Optimist: Erlauben Sie einmal, diese siebzig Jahre sind doch nicht in Abrede zu stellen?

Der Nörgler: Ganz und gar nicht, sie sind ein Alpdruck von einer Trud, die dafür, daß sie uns alle Lebenssäfte und dann noch Gut und Blut abgezogen hat, uns das Glücksgeschenk zukommen ließ, in der Anbetung eines Idols von einem Kaiserbart grundsätzlich zu verblöden. Nie zuvor hat in der Weltgeschichte eine stärkere Unpersönlichkeit ihren Stempel allen Dingen und Formen aufgedrückt, so daß wir in allem was uns den Weg verstellte, in allen Miseren, Verkehrshindernissen, im Querschnitt jedes Pechs diesen Kaiserbart agnoszierten. Sie war die angestammte Schlamperei, die das Justament zum fundamentum regnorum erkoren hatte, sie war das graue Verhängnis, das sich durch die Zeiten frettet wie ein chronischer Katarrh. Ein Dämon der Mittelmäßigkeit hatte unser Schicksal beschlossen. Nur er vertrat diesen Anspruch, die Welt mit unserer nationalen Mordshetz zu belästigen, begründet in der Gottgewolltheit des Pallawatsch unter Habsburgs Szepter, dessen Mission es schien, als Damoklesschwert über dem Weltfrieden zu schweben. Er ermöglichte dieses budgetprovisorische Gebilde, dessen ewiges Völkerproblem nur durch die innere Amtssprache des Rotwelsch »tunlichst« zu lösen war und dessen Verständigung durch ein Kauderwelsch versucht werden mußte, wie es die hohnlachende Epoche noch nicht gehört hatte. Eine siebzigjährige Gehirn- und Charaktererweichung der nur um solchen Preis und selbst dann nicht zu verbindenden Völker ist der Inhalt der so regierten Tage, eine Verflachung, Verschlampung und Korrumpierung aller Edelwerte eines Volkstums, die in der Weltgeschichte ohne Beispiel ist und zumal ohne Beispiel durch die Verlogenheit, mit der dank dem einzigen Fortschritt dieser Zeit, nämlich der entwickelten journalistischen Technik, ein Schein vor ein Unwesen gestellt und die Legende der Gemütlichkeit über eine tödliche Realität der Leere gebreitet werden konnte. Welch unerbittliche Berichtigung und gleichwohl Bestätigung eines zwischen Fibel und Presse orientierten Denkens, daß ein blutiges Fanal am Aufgang wie am Abgang dieser gemütlichen Majestät errichtet war!

Der Optimist: Wie? Der Friedenskaiser katexochen, der in seiner sprichwörtlichen Leutseligkeit alles für's Kind getan hat, der ritterliche Monarch, der gute alte Herr in Schönbrunn, dem nichts erspart geblieben ist – so sprechen Sie über ihn, und noch dazu, wo er tot ist?

Der Nörgler: Er ist tot? Nun, abgesehn davon, daß ich es, selbst wenn ichs wüßte, nicht glaubte, muß ich Ihnen schon sagen, daß es vor dem Weltgericht wirklich keine Würschtel gibt; daß es da einmal keine Protektion gibt, aber auch keine Pietät; daß man es sich dort wirklich nicht richten kann und vor allem, daß dort der Tod nicht so sehr einen Strafausschließungsgrund als eine Voraussetzung für das Urteil bildet. Auch möchte ich glauben, daß es gottgefälliger ist, der Majestät des Todes an den Gräbern von zehn Millionen Jünglingen und Männern Ehrfurcht zu bezeigen, von hunderttausenden Müttern und Säuglingen, die Hungers sterben mußten – als vor dem einen Grab in der Kapuzinergruft, das eben jenen Greis bedeckt, der das alles reiflich erwogen und mit einem Federstrich herbeigeführt hat; und daß vor jener Instanz auch das Qualenantlitz der überlebenden Menschheit gegen den einen Toten unerbittlich zeugen müßte. Denn dieses blutgemütliche Etwas, dem nichts erspart blieb und das eben darum der Welt nichts ersparen wollte, justament, sollen s' sich giften – beschloß eines Tages den Tod der Welt.

Der Optimist: Aber Sie glauben doch nicht, daß der Kaiser den Krieg gewollt hat? Er soll ja geäußert haben, daß man ihn drangekriegt hat!

Der Nörgler: So ist es. Das gibt es. Ich meine nicht ihn, den man drankriegen konnte. Ich meine die den Wahnsinn dieser monarchischen Welten erschöpfende Möglichkeit, daß man ihn und uns drankriegen konnte. Ich meine jenen blutdürstigen Dämon seines verfluchten Hauses, dessen Walten sich justament in diesem Kaiserbart manifestierte und in einer Gemütlichkeit, die eben das Blut, das sie nicht sehen konnte, vergossen hat. Ich weiß nicht, wer, ich weiß nur, was uns regiert hat; und daß dieser Lemurenstaat durch sieben Dezennien der Welt das Schaustück eines als Thron kachierten Leibstuhls bot, worauf sich die legendäre Dauerhaftigkeit eines Nichtvorhandenen breitmachte. Von ihm in persona weiß ich nur, daß er mittelmäßig war und in Formen erstarrt. Aber eben diese Gaben mußten im Verein mit den tödlichen Giften der Zeit und dieses national verwirrten Landes ein übermäßiges Unglück heraufbeschwören. Der finstere Franz Ferdinand, dessen Wille es gebannt hätte – denn nicht was einer will, bloß daß er etwas will, vermöchte dieses Chaos zu hemmen –, war nur bestimmt, über seinem Ende die schadenfrohen Flammen aus dem monarchischen Hexenkessel aufschlagen zu lassen. Wenn man diesen Franz Joseph, dem nichts erspart geblieben ist außer der Persönlichkeit – wenn man ihn nicht zum Weltkrieg drangekriegt hätte, er wäre mit einer reinen Freude an der wohlerhaltenen k. k. Jammerwelt gestorben. Dem Nachfolger war es zuzutrauen, daß er sie unblutig zurechtgesetzt hätte. Das ist jenem dank den für Thronfolgerreisen vorgesehenen Sicherheitsmaßnahmen – denn doch erspart geblieben. Er hat es vorgezogen, ihr durch den Weltkrieg und die unausbleibliche Niederlage ein vollkommenes Ende zu bereiten.

Der Optimist: Er hat sich nicht anders zu helfen gewußt.

Der Nörgler: Gewiß nicht, man hat ihn drangekriegt, während die mehr aktive Rolle des Bundesgenossen diesen zu festem Draufgehn veranlaßt hat.

Der Optimist: Worauf spielen Sie mit Ihrer Bemerkung über die für Thronfolgerreisen vorgesehenen Sicherheitsmaßnahmen an?

Der Nörgler: Darauf, daß man bezüglich des Ergebnisses der Sarajewoer Reise in Sicherheit war.

Der Optimist: Das sind Legenden. Gewiß ist es erstaunlich, daß der mächtigste Mann der Monarchie keinen vermehrten Schutz für diese Reise durchsetzen konnte, aber –

Der Nörgler: – es ist begreiflich. Denn als er sich darum bemühte, war's nicht mehr bei seinen Lebzeiten. Ein Mächtiger, der dahin ist, hat keinen Einfluß.

Der Optimist: Er wurde aber doch erst ermordet, nachdem –

Der Nörgler: – seine Bemühungen erfolglos geblieben waren, ganz richtig. Also, wenn Sie auf der Chronologie bestehen: ein Mächtiger kann alles, nur nicht verhindern, daß er umgebracht wird.

Der Optimist: Sie wollen gewiß nicht behaupten, daß Franz Joseph, dem nichts erspart geblieben ist, seinen Neffen aus dem Weg räumen ließ. Dagegen ließe sich wohl beweisen, daß er die Nachricht von der Ermordung –

Der Nörgler: – mit einem nassen, einem heitern Auge aufgenommen hat. Aus allerhöchstem Ruhebedürfnis wurde die Trauerfeier eingeschränkt und der Weltkrieg eröffnet. Die Menschheit hat ein Begräbnis erster Klasse erhalten.

Der Optimist: Die Ermordung eines Thronfolgers ist doch ein hinreichender Grund –

Der Nörgler: – das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden. Daß die Spekulation mißglückt ist und Österreich auf der Suche nach dem verlorenen Prestige in Verlust geriet, ist ein anderes Kapitel. Vor dem Weltgericht wird noch nach dem dolus eventualis judiziert.

Der Optimist: Aber Sie werden doch schließlich nicht die persönlichen Eigenschaften des Monarchen –

Der Nörgler: Die interessieren mich wenig. Er war wohl nur ein Pedant und kein Tyrann, nur kalt und nicht grausam. Wäre ers gewesen, so hätte er vielleicht noch in hohem Alter so viel Geisteskraft gehabt, sich nicht drankriegen zu lassen, sondern zu wissen, was er wagen konnte. Er hat nur die Knöpfe auf der Uniform gezählt – und eben darum mußte sie sich bewähren. Er war ein unermüdlicher Arbeiter und hat unter den Hinrichtungsakten einmal auch einen unterschrieben, der die Menschheit fällte. Sie alle haben es nicht gewollt. Aber da wir andern es ganz gewiß nicht gewollt haben, müssen wir uns doch an sie halten. Der imperatorische Beruf bringt es eben mit sich, daß wir einem, der seine Ruh haben will und zu diesem Behufe einen Weltkrieg anfängt, die volle weltgerichtliche Verantwortung aufpelzen, ja daß wir einen pensionierten Landbriefträger, der sich per Zufall als Vampir betätigt, für eine Maske ansehen. Ein sterbender Christ darf die Gefahr, seiner Pfründe verlustig zu gehen, für kein größeres Übel halten als die Gefährdung seiner sämtlichen Nebenmenschen, und sein Seelenheil nicht mit dem Unheil Aller belasten. So glaube ich doch mindestens, daß der Genius seines Hauses an dieser Entschließung beteiligt war und gewiß an der Möglichkeit, daß ein paar phantasiearme Schurken ihn jenes Manifest unterschreiben lassen konnten, das mit vollendeter Stilkunst ein blutiges Alterserlebnis einem friedliebenden Greis zuschiebt, der sich nicht anders zu helfen weiß. Der, den man drangekriegt hat, hat alles reiflich erwogen. Es ist halt ein echt österreichisches Pech, daß das Ungeheuer, das diese Katastrophe heraufführen sollte, die Züge eines guten alten Herrn trägt. Er hat alles reiflich erwogen, aber er kann nichts dafür: und das eben ist die letzte, grausigste Tragödie, die ihm nicht erspart geblieben ist. Daraus habe ich ein Lied gemacht, das so lang ist wie sein Leben, eine unendliche Melodie, die ich ihm in den Mund lege, wenn er in meinem Weltkriegsdrama auftritt. Ich habe dieses tragische Couplet wie einen großen Teil des Dramas im Jahre 1915, also noch bei seinen Lebzeiten, geschrieben – wenn Sie es denn wirklich wahr haben wollen, Sie Phantast, daß jetzt ein Karl und kein Franz Joseph mehr über uns waltet.

Der Optimist: Werden Sie ihm nicht wenigstens als dem ritterlichen Monarchen und als Kinderfreund Gerechtigkeit widerfahren lassen?

Der Nörgler: Nein, denn die Szene, wie er, da er zum erstenmal die Nachbarschaft der Gemahlin Franz FerdinandsGemahlin Franz Ferdinants – Sophie Herzogin von Hohenburg, wurde als dem Kaiserhaus nicht ebenbürtig betrachtet an der Hoftafel dulden muß, ihr den Rücken zukehrt und auf die Mahnung seiner Tochter, sich doch schandenhalber auch einmal nach links zu wenden, justament und mit jähem Ruck es erst zu voller Anschauung bringt: diese Szene kommt im Drama nicht vor. Auch die Szene nicht, wie er in Weißenbach sich von einem allerliebsten vierjährigen Knirps ein Begrüßungssprüchlein anhört und dann –

Der Optimist: – als ein vorbildlicher Urgroßpapa, jedoch elastischen Schrittes auf das Pauxerl zugeht und ihm ein Zwickerl gibt?

Der Nörgler: – nein, sich salutierend, wirklich salutierend, abwendet: diese Szene kommt auch nicht vor. Nur das Couplet kommt vor. Aber seien Sie ganz beruhigt. Wäre er ein Privatmann, dem die häßlichsten Eigenschaften nachgewiesen werden könnten, und etwa einer, dessen Gemeinschaft eine in Hysterie verirrte Gattin als Kreuz durchs Leben schleppen mußte – der Tod gliche alle Rechnung aus und der Rest wäre Schweigen. In der Weltgeschichte macht kein Zeitpunkt die Verantwortlichkeit erlöschen und da muß auch der beste alte Herr noch nach seinem Tod in der Gestalt auftreten, zu der ihn einmal der Fluch seines Hauses verdammt hat. Ich lasse nicht Franz Joseph, sondern den leibhaftigen habsburgischen Dämon auftreten. Ein Lemur erscheint uns und sich selbst im Schlafe. Siebzig Jahre singen ihr Miserere, und da sind schließlich auch alle Vorgänger mit inbegriffen, die Kanaille die Franz heißt – der Spielbergprofos –, und so weiter die ganze Ahnengalerie zurück bis ins Stammschloß, aus dem man der Sippe nie die Einreise nach Österreich hätte bewilligen sollen.

Der Optimist: Wann wird Ihr Drama erscheinen?

Der Nörgler: Wenn der Feind besiegt ist.

Der Optimist: Wie? Sie glauben also doch –

Der Nörgler: – daß Österreich in einem Jahr nicht mehr besteht! Ich hatte das Manuskript in das Stammland der Habsburger, in die Schweiz gebracht –

Der Optimist: Um es in Sicherheit zu bringen?

Der Nörgler: Nein, um es auszuarbeiten. Ich habe es wieder zurückgebracht; denn ich fürchte mich nicht vor dem Feind. Er hat in seiner Blutwirtschaft eine solche Schlamperei einreißen lassen, daß ich dieses Manuskript schon zweimal über die Grenze und wieder zurückbringen konnte. Immerhin kann es jetzt nicht erscheinen. Das würde dem Autor doch wohl die Freiheit kosten und wenn die Generaille vor Schluß der Vorstellung noch Appetit auf eine Diktatur bekäme, sogar jenen Kopf, den er sich trotz den Offensiven des Schwachsinns durch einen vierjährigen Krieg hindurch bewahrt hat. Es wird erscheinen, wenn dieses technoromantische Abenteuer, die Menschheit durch die Quantität herauszufordern, von der größeren Quantität erstickt ist. Wenn der glorreiche Unfug, der in der Stunde, da wir hier sprechen, für nichts und wieder nichts tausende Menschen in Leichname oder Krüppel verwandelt, beendet und nicht mehr vom verblödenden Basiliskenblick eines Kriegsüberwachungsamtes behütet sein wird. Kurzum, wenn die Schalek ihr letztes Wort gesprochen hat.

Der Optimist: Was haben Sie gegen die Schalek?

Der Nörgler: Nichts als daß der Weltkrieg sie gezwungen hat, von mir überschätzt zu werden. So muß ich sie für die eigenartigste Erscheinung dieser Apokalypse halten. Wenn aber der tragische Karneval verrauscht ist und ich ihr beim Katzenjammer unsres Tages irgendwo im Hinterland begegne, werde ich sie für eine Frau halten.

Der Optimist: Sie haben nun einmal die heillose Fähigkeit, das Kleinste –

Der Nörgler: Ja, die habe ich nun einmal.

Der Optimist: Und daraus wird wohl das ganze Drama entstanden sein. Aus diesem unseligen Hang, die kleinen Erscheinungen und die großen Tatsachen zu verbinden.

Der Nörgler: Ganz gemäß dem satanischen Verhängnis, das uns von den kleinen Tatsachen zu den großen Erscheinungen der realen Tragödie geführt hat. Die meine läßt uns an den Formen und Tönen einer Welt mit ihr selbst zugrundegehen. Sie werden mir die Frage, was ich gegen den Benedikt habe, nicht schuldig bleiben.

Der Optimist: Und Sie mir nicht die Antwort.

Der Nörgler: Er ist nur ein verantwortlicher Redakteur des Weltkriegs. Er ist nur ein Zeitungsherausgeber und triumphiert dennoch über unsere geistige und sittliche Ehre. Seine Melodie allein hat mehr Opfer gefordert als der Krieg, den sie erregt und befeuert hat. Der gellende Ton des Schlachtbankiers, der der Welt an die Tasche und an die Gurgel fuhr, ist die elementare Begleitung dieser blutigen Aktion. Auch der orts- und zeitferne Leser wird fühlen, daß wir hier Besonderes durchlitten haben. Ich lasse an dieser Sprache, in der der altjüdische Sinn der neudeutschen Handlung sich rabiat zur Geltung bringt, einen alten Abonnenten sterben. Sie überwältigt das Leben, und da tritt denn der erlösende Gehirnschlag ein.

Der Optimist: Um das zu verstehen, muß ich schon auf Ihre Tragödie warten. Sie kommt also heraus –

Der Nörgler: – wenn die andere zu Ende ist. Eher ist es nicht möglich. Auch sie ist nicht fertig, und ich brauche eben meinen Kopf, um sie fertig zu bringen.

Der Optimist: Da wäre wohl nur Ihre Freiheit bedroht.

Der Nörgler: Solange Wien im Hinterland liegt. Hochverrat, Verbrechen gegen die Kriegsmacht, Majestätsbeleidigung, Beleidigung von Dörrgemüsespekulanten und sonstigen Persönlichkeiten, die nur das Objekt und nie das Subjekt einer strafbaren Handlung sein können und bei Abwicklung ihrer Wuchergeschäfte vom Ehrfurchtsparagraphen geschützt sind – nun, die allerhöchste Majestät, die Österreich hat, ist ja doch der Galgen! Er ist aber nicht nur ein Inventarstück des spanischen Zeremoniells, sondern auch ein wichtiges Requisit meiner szenischen Handlung. Bedenken Sie, daß unter dem Armeeoberkommando des Erzherzogs Friedrich allein – den ich für ein noch ausgiebigeres Phantom halte als die Schalek – 11.400, nach einer andern Version 36.000 Galgen errichtet worden sind. Einer, der nicht bis drei zählen konnte! Und eine kriegerische Erscheinung, vor deren Tatenruhm Napoleon als der erste Defaitist erscheint – im Martialischen wie im Erotischen wahlverwandt und verbündet jenem Scheusal von einem Barbarenkaiser, dem Imperator der geistigen Knödelzeit, der keine Quantität von Fleisch und Blut unberührt lassen konnte und dazu seinen eigenen Schenkel klatschend schlug und sein gröhlendes Wolfslachen ertönen ließ: so lachte der Fenriswolf, als die Welt in Flammen aufschlug. Zwischen assyrischen Backsteinen und Generalstabskarten, zwischen aller Halbwissenschaft, die das stundenlang stehende Gefolge peinigte, immer wieder mit obszönen Scherzen um Körperformen kreisend. Sich weidend an der Verlegenheit, wenn er auf der Jagd oder bei offiziellstem Anlaß, durch einen Hieb auf den Hintern, durch einen Tritt aufs Bein, durch eine Frage nach seinem Sexualgeschmack den Partner überraschte. Das waren die Blutgebieter. Der eine im Format dem öden Sinn dieses Weltmords gewachsen, verantwortlich für die Tat; der andere mit ahnungslosem Behagen in der Wanne eines Blutmeers plätschernd. Dieser Heros, der »Bumsti!« rief, als er im Kino Soldaten fallen sah, dieser Ehrendoktor der Philosophie, dieser Kretin war der Marschall unseres Verhängnisses. So verschieden beide, dennoch Busenfreunde, sich begegnend in einer Kennerschaft, im Austausch feinschmeckerischer Wahrnehmungen, und wenn's die Formen der Germania und der Austria betraf, in einem Seufzer über den Wandel der Zeiten. Das tritt, wie es leibt und lebt, aus der Kriegsgarderobe gleich in die kulturhistorische Erscheinung, weist auf die Quantität der Zeit, in Freuden und Leiden; und zur stündlich empfundenen Qual wird das Bewußtsein, von solchem Minus regiert zu sein, und das Wissen um die niedrigste Lebensart, die an höchster Stelle sich auslebend der leidenden Menschheit spottet, zur Mitschuld. Maitressen und Hausmeisterinnen konnten sich über den intimen Einfluß unterhalten, wenn die wehrlose Mannheit sich ans Ende aller Lebenslust zerren ließ, geweihte Bündnisse reiner Herzen blutig zerrissen wurden und Unschuldige in der letzten Stunde vor dem Galgen nach einem Gnadenblick bangten. Wissen Sie, wofür wir jetzt büßen? Für die Ehrfurcht, zu der uns solche Gestalten herausgefordert haben!

Der Optimist: Aber das österreichische Antlitz ist doch noch ein anderes als das preußische.

Der Nörgler. Das österreichische Antlitz ist jederlei Antlitz. Es lauert hinter dem Schalter der Lebensbahn. Es lächelt und greint je nach Wetter. Doch dieser Gorgonenblick hatte die Kraft, was er ansah, in Blut oder in Dreck zu verwandeln. Wo hätten wir es nicht geschaut? Stand es nicht vor dem, der ratsuchend in ein Amt kam und Unrat fand? Muß ich es in den Aborten der Wiener Kriminalität aufspüren, in den Wanzen- und Bazillenräumen der Wiener Garnisonsarreste, an den verwahrlosten Spitalsbetten, wo graduierte Profosen und akademische Henkersknechte nervenkranken Soldaten mit Starkstrom zusetzten, um den Verdacht sich von der Front zu drücken, auf sie abzuwälzen? War es nicht in jeder Schmach und Unappetitlichkeit jeder Amtshandlung und vor allem in der Gerechtsame jener Feldgerichte, deren eines die noch über den Justizmord unsittliche Forderung aufgestellt hat, daß der österreichische Staatsbürger seinen Behörden, diesen Behörden, »mit Ehrfurcht und Liebe zu begegnen habe«? Und solche Härte noch verschärft durch die Gewißheit, daß hier nicht Naivität, sondern ein Justament der Schurkerei am Werke war und die diabolische Lust einer letzten Belastungsprobe auf unsere Geduld. Das von der italienischen Regierung, längst verbotene Experiment der Hundsgrotte ist von der österreichischen tagtäglich Millionen Menschen zugemutet worden, und das Antlitz zwinkerte bei dem gelungenen Gspaß, um nach eingetretener Erstickung in voller Heiligkeit zu erglänzen. Das österreichische Antlitz, mit dem zugekniffenen linken Auge, hat man in diesen vier Jahren Schulter an Schulter neben dem mehr martialischen Gesicht so oft in den Schaufenstern gesehn, daß es wohl vierzig Friedensjahre brauchen wird, um die Erinnerung loszuwerden. Nein, es ist nicht wie das preußische, wenngleich es jedem gleicht und alles ist, nur eben nicht das, was die Feuilletonisten singen und sagen. Zumal aber ist es das des Henkers. Des Wiener Henkers, der auf einer Ansichtskarte, die den toten Battisti zeigt, seine Tatzen über dem Haupt des Hingerichteten hält, ein triumphierender Ölgötze der befriedigten Gemütlichkeit, der »Mir-san-mir« heißt. Grinsende Gesichter von Zivilisten und solchen, deren letzter Besitz die Ehre ist, drängen sich dicht um den Leichnam, damit sie nur ja alle auf die Ansichtskarte kommen.

Der Optimist: Wie? So eine Ansichtskarte gibt es?

Der Nörgler: Sie wurde von amtswegen hergestellt, am Tatort wurde sie verbreitet, im Hinterland zeigten sie »Vertraute« Intimen, und heute ist sie als ein Gruppenbild des k. k. Menschentums in den Schaufenstern aller feindlichen Städte ausgestellt, ein Denkmal des Galgenhumors unserer Henker, umgewertet zum Skalp der österreichischen Kultur. Es war vielleicht seit Erschaffung der Welt zum erstenmal der Fall, daß der Teufel Pfui Teufel! rief.

Der Optimist: Aber die Zeugen der Hinrichtung haben sich doch nicht absichtlich mitphotographieren lassen?!

Der Nörgler: Es bildeten sich Gruppen. Und zwar, um nicht nur bei einer der viehischesten Hinrichtungen dabei zu sein, sondern auch dabei zu bleiben; und alle machten ein freundliches Gesicht. Dieses, das österreichische, ist auch auf einer andern Ansichtskarte, der unter vielen ähnlichen eine nicht geringere kulturhistorische Bedeutung zukommt, in zahlreichen Soldatentypen, die zwischen zwei hängenden Rutheninnen Schulter an Schulter die Hälse recken, um nur ja ins Dokument zu kommen. Gott weiß, an welcher satanischen Blähung eines Generals, den vielleicht ein Zwischenfall beim »Sautanz« zu einer furiosen Aufarbeitung von »Wird vollzogen« gestimmt hatte, die beiden unglücklichen Frauen gestorben sein mögen.

Der Optimist: Ja, ja, von Ihnen wird es einmal heißen, daß ein Vogel, der sein eigenes Nest –

Der Nörgler: – niederreißt anstatt ein fremdes aufzubauen, ich weiß schon. Mit dieser Ansicht würde man gewiß den Vogel auf den Kopf treffen. Aber mit Unrecht, da er eben in Erfüllung der sittlichen Aufgabe gehandelt hat, vor der eigenen Tür zu kehren. Diese schmutzige Welt behauptet von dem, der ihr den Schmutz wegräumt, er hätte ihr ihn gebracht. Mein Patriotismus –eben ein anderer als der der Patrioten – vertrüge es nicht, einem feindlichen Satiriker die Arbeit zu überlassen. Das hat meine Haltung während des Krieges bestimmt. Ich würde einem englischen Satiriker, der uns mit Recht unmöglich fände, raten, sich um die Angelegenheiten seines eigenen Landes satirisch zu bemühen. Allerdings gibt es keinen englischen Satiriker.

Der Optimist: Shaw.Shaw – George Bernhard Shaw, irischer Schriftsteller, erneuerte mit seinen Theaterstücken das europäische Theater um 1900, kämpferischer Sozialist, † 1950

Der Nörgler: Nun eben. Aber selbst der betätigt jenen echten Patriotismus, der es vorzieht, seine Landsleute zu tadeln statt sie zu betrügen. Doch wem die allgemeinen Dinge über die staatlichen gehen, der muß die Gemeinheit der Dinge, die Abscheulichkeit dieser Kriegswelt an den nächstliegenden Beispielen darstellen und die Aussage eines, der in ihrer Atemnähe lebte, wird unverdächtig sein.

Der Optimist: Sie sind aber ein unerbittlicher Staatsanwalt.

Der Nörgler: Gegen solche Staaten.

Der Optimist: Wenns nach Ihnen ginge, wäre Österreich längst zum Tod verurteilt.

Der Nörgler: Leider wird es das erst sein, nachdem es die Österreicher zum Tod verurteilt hat, und nicht schon vorher. Hier denke ich an die überlebenden Österreicher, die dank der Zuständigkeit zur Monarchie einem Schicksal entgegengehen, das sie als Volk nicht verdient haben. An den andern, die sich gegen solche Zuständigkeit gewehrt, oder zumeist nicht einmal das getan haben, hat Österreich selbst ja die Todesstrafe noch bei seinen Lebzeiten vollzogen.

Der Optimist: Und glauben Sie, daß dergleichen bei den Feinden nicht vorgekommen ist? Die Engländer haben auch ihre Hochverräter hingerichtet. Denken Sie an Casement.Casement – Sir Roger Casement, irischer Politiker, setzte sich für die Unabhängigkeit Irlands ein, wurde nach einem mißlungenem Aufstand 1916 gehängt

Der Nörgler: Ich besitze von diesem Fall keine Ansichtskarte. Abgesehen davon, daß Casement von einem Gerichtshof zum Tode verurteilt und hierauf erschossen worden ist, während mit Battisti der kürzere Prozeß gemacht wurde, indem man ihn gefangen und aufgehängt hat, nachdem man ihn allerdings noch zur Verschärfung der Todesstrafe gezwungen hatte, das Gotterhalte stehend anzuhören – dürften bei der Hinrichtung Casements, die England ja nicht als Kirmes gefeiert hat, kaum amtliche Photographien hergestellt worden sein. Bilder, die nicht nur eine Galgenprozedur, sondern auch die bestialische Assistenz als Triumph verewigen, Bilder, die einen strahlenden Henker im Kreise animierter oder verklärt blickender Offiziere zeigen, dürften selbst in der Heimat der farbigen Engländer schwerlich aufgetrieben werden. Ich aber möchte speziell einen Preis aussetzen auf die Agnoszierung des gräßlichen Klotzes von einem k. u. k. Oberleutnant, der sich direkt vor einen hängenden Leichnam gestellt und seine aussichtslose Visage dem Photographen dargeboten hat, und auch jener dreckigen Feschaks, die heiter wie an der Sirk-Ecke versammelt sind oder mit Kodaks herbeieilen, um nicht nur in betrachtender, nein in photographierender Stellung auf das Bild zu kommen, in dem der sogenannte Seelsorger in der Runde von hundert erwartungsvollen Teilnehmern nicht fehlen darf. Denn es wurde nicht nur gehängt, es wurde auch gestellt; und photographiert wurden nicht bloß die Hinrichtungen, sondern auch die Betrachter, ja sogar noch die Photographen. Und der besondere Effekt unserer Scheußlichkeit ist nun, daß jene feindliche Propaganda, die statt zu lügen einfach unsere Wahrheiten reproduziert hat, unsere Taten gar nicht erst photografieren mußte, weil sie zu ihrer Überraschung unsere eigenen Photographien von unsern Taten schon am Tatorte vorgefunden hat, also uns »als Ganze«, all in unserer Ahnungslosigkeit – die wir nicht spürten, daß kein Verbrechen uns so vor der Umwelt entblößen könnte wie unser triumphierendes Geständnis, wie der Stolz des Verbrechers, der sich dabei noch »aufnehmen« läßt und ein freundliches Gesicht macht, weil er ja eine Mordsfreud hat, sich selbst auf frischer Tat erwischen zu können. Denn nicht daß er getötet, auch nicht daß er's photographiert hat, sondern daß er sich mitphotographiert hat; und daß er sich photographierend mitphotographiert hat – das macht seinen Typus zum unvergänglichen Lichtbild unserer Kultur. Als ob, was wir getan haben, nicht für sich selbst sprechen würde! Die Auditoren der Hölle, die sich durch ihre Leistungen vom Zwang zum Heldentod befreit haben wie nur die Dichter des Kriegs, haben wahrlich ganze Arbeit geleistet. Aber nach dem Henker mußte noch der Photograph heran. Nein, die für ein k. u. k. Kriegsarchiv gestellten Gruppen behaften die Erinnerung an Österreich mit einem Schandfleck, der in Äonen nicht untergehn wird!

Der Optimist: Von all dem hat sicher der Kaiser Franz Joseph nichts gewußt.-

Der Nörgler: Er hat seit jeher nur gewußt, daß sein Henker den letzten, einzigen und wahren Hort der Zentralgewalt bedeute. Als ihr leuchtendes, lachendes Symbol, in voller Kaffeesiederwürde und Weltrichtergemütlichkeit steht jener da, weit entfernt von Hochmut und von Schwäche, denn mir wern kan Richter brauchen, wohl aber einen Scharfrichter.

Der Optimist: Er als ritterlicher Monarch –

Der Nörgler: – hat schon in seiner Jugend die Abordnung der Mütter, Gattinnen und Töchter von Mantua, die in Trauerkleidern für ihre Söhne, Gatten und Väter um Abwendung der Galgenstrafe herangewallt kamen, abgewiesen. Doch haben sie nachher die Henkerrechnung bezahlen müssen. Das Andenken Österreichs ist bis heute in jenen Gegenden unverwischt und das weltgeschichtliche Motiv der »Treulosigkeit« mag seine Erklärung in dem nachzitternden Grausen finden, mit dem man dort noch jetzt von jenen Taten spricht, und in der diplomatischen Überlieferung – »la corde savonnée«,, diese Spezialität, sei der einzige österreichische Exportartikel gewesen. In hoc signoin hoc signo – in hoc signo vince!: In diesem Zeichen (das Kreuz) siege! Eine erlogene Erscheinung Konstantins des Großen vor der entscheidenden Schlacht an der Milvischen Brücke 312. wollte es siegen! Seine letzte Henkerrechnung wird Österreich selbst bezahlen.

Der Optimist: Wie das? Wann?

Der Nörgler: Nach seiner Hinrichtung!

(Verwandlung.)

30. Szene

Standgericht.

Hauptmann-Auditor Dr. Stanislaus v. Zagorski (verkündet das Urteil. Man hört die folgenden Sätze, die er besonders betont): Mit Rücksicht darauf, daß der Angeklagte Hryb 26 Jahre alt und des Lesens und Schreibens unkundig ist, somit keine Bildung hat, sowie angesichts dessen, daß die Schuld des Angeklagten Hryb dem Standgericht die kleinste mit Rücksicht auf die Schuld der anderen Mitangeklagten zu sein schien, hat das Standgericht beschlossen, daß die gegen den Angeklagten Hryb gemäß § 444 M.-St.-P.-O. ausgesprochene Todesstrafe dieser Angeklagte als erster abzubüßen hat.

– Die über den Angeklagten Struk verhängte Todesstrafe soll derselbe als zweiter abbüßen, weil seine Schuld im Verhältnis zur Schuld des Erstangeklagten krasser ist.

– Mit Rücksicht darauf, daß der Angeklagte Maeyjiczyn durch längere Zeit mit den Russen in Verbindung gestanden ist, wurde beschlossen, daß er als dritter die Todesstrafe abzubüßen hat.

– Unter einem wurde beschlossen, daß dieser Angeklagte in Würdigung der ihm zur Last gelegten Tat die Todesstrafe als vierter in der Reihe abzubüßen hat.

– Die über ihn gemäß § 444 M.-St.-P.-O. verhängte Strafe soll Angeklagter Dzus als fünfter verbüßen, weil seine lügnerische Verteidigung darauf hinwies, daß er den Russen vollauf ergeben war.

– und hat diese Strafe in Würdigung seiner Handlungsweise als sechster abzubüßen.

– Die Todesstrafe hat der Angeklagte Kowal als der siebente abzubüßen.

– Nachdem dem Fedynyczyn zwei strafbare Handlungen zur Last fallen, soll er die Todesstrafe als achter verbüßen.

– Mit Rücksicht auf die Schwere der dem Fedor Budz zur Last gelegten Tat soll derselbe die Strafe als neunter abbüßen.

– Die auferlegte Strafe hat Petro Dzus als zehnter abzubüßen, mit Rücksicht auf die Schwere seines Verschuldens.

– hat das Standgericht angenommen, daß seine Schuld die größte ist und daß er eben die gegen ihn verhängte Todesstrafe als letzter abzubüßen hat. Die Verhandlung ist geschlossen.

(Die Delinquenten werden abgeführt.)

Ein Offizier: Gratuliere. Das war saftig. Spürt ma halt gleich, daß du ein Advokat bist. Du, wieviel Todesurteil' hast eigentlich schon hinter dir?

Zagorski: Das is akkurat das hundertste – also das heißt das hundertzehnte.

Die Offiziere: Gratulieren! Jubiläum! Ja warum sagst das nicht?

Zagorski: Danke, danke! Und jeder Exekution hab ich persönlich beigewohnt, das kann ich mit Stolz sagen. Und wie oft hab ich noch bei den Exekutionen fremder Todesurteile assistiert!

Zweiter Offizier: Geh. Da überanstrengst dich aber! Nimmst es zu gewissenhaft.

Zagorski: Ja das is ein aufreibender Dienst!

Erster: Weißt, er is halt ein gelernter Jurist, das is nicht aso –

Zagorski: No ja, da muß man so ein Todesurteil sorgfältig begründen – ein Vergnügen ist das nicht.

Zweiter: Ujegerl, da ham wir schon Scherereien ghabt, früher mit dem Obersten! Der war dir ein geschworener Feind vom Standrecht. Er hat immer gsagt, das is eine verbohrte juristische Klügelei. Einfach niedermachen! hat er gsagt.

Erster: No das is nix gegen den Ljubicic, weißt, elftes Korps wo ich war. Der hat doch den Wild, da erinner ich mich, der Wild hat doch zwischen Weihnachten und Silvester 1914 zwölf p. v. hängen lassen, an einem Tag sechs. Der sagt, er braucht überhaupt kein gerichtliches Urteil als K-Offizier. Er hat auch viel abstechen lassen.

Zweiter: No und der Lüttgendorff! Der hat auch immer gsagt, er braucht kein Gericht, dafür hat ers abgekürzte Verfahren, hat er gsagt. Einmal hat er drei Kerle, weil s' bsoffn warn, durch'n Korporal abstechen lassen. Das war in Schabatz, zum allerhöchsten Geburtstag, ich denk's wie heut. Und fesche Bastonnaden hats geben und schöne Evakuierungen! No und Brandlegungen, da muß man schon tulli sagen! Weißt damals in Syrmien, wie s' jedes zweite Haus niederbrannt haben! Also da hat er amal ein Exempel schtatuiern wolln, da habn s' ein ganzes Dorf ausghoben zum Niedermachen, weißt mit hochschwangere Frauen und so, alle habn s' zu Fuß bis nach Peterwardein müssen. Ob s' nacher alle niedergmacht habn, weiß ich nicht. Jedenfalls habn s'bei der Nacht bei die Niedergmachten bleiben müssen, die Angehörigen und so, die was frei kommen sind. Weißt, die ungarischen Gendarmeriewachtmeister, die Kommandanten der Streifabteilungen, habn die Strafsachen gern im ab'kürzten Verfahren erledigt, die Leichen sind alle liegen blieben, von die Lehrer, Geistlichen, Ortsnotäre, Förster und so.

Erster: No bei die Internierungen hat mehr herausgeschaut!

Zweiter: Das war später, wo sie s' dann plangemäß ausgerottet habn. Dafür waren aber auch die ungarischen Lager erstklassig eingerichtet. Hunger, Stockhieb und Flecktyphus – das gibt scho was aus bei die Serben!

Dritter Offizier: No ja, aber alles was recht is, ein Justizverfahren is das halt doch nicht mehr.

Zweiter: No ja natürlich, das is mehr administrativ. Daß du aber nicht glaubst – weißt beim Lüttgendorff war jeder Fall mit einem Dienstzettel belegt: Justifizierung verfügt! No für eine Verhandlung wie bei uns hier, war dir der Lüttgendorff halt zu nervös. Mit die Richter hat er gschimpft, ujegerl! Da hats immer gheißen: Hofrat! Bandler! Patzer! Weißt, gleich aufhängen war ihm das Liebste, natürlich nur bei mildernde Umständ, sonst hat er hauptsächlich mit 'n Bajonett arbeiten lassen.

Erster: Habts ihr schon amal an NazarenerNazarener – christliche Sekte, die absolute Gewaltlosigkeit übt, wie es Jesus von Nazaret gelehrt und vorgelebt hat (s. z. B. Joh. 18, 1-11) ghabt?

Zweiter: Was is das? So was gibts doch nicht mehr!

Erster: Aber ja, Nazarener, weißt, das sind so Kerle, die sich aus Religion weigern, ein G'wehr zu nehmen, eh scho wissen. Da hab ich einmal einen solchen Kerl ghabt, der war a Landwirt und is als Fuhrmann verwendet worn. Seine bisherige Aufführung war eine gute, also nach der Konduite war er unbescholten und bis auf das, daß er beim Formieren ka G'wehr nicht hat nehmen wolln, is eigentlich nix gegen ihn vorglegen. Aber wie er so vor uns gstanden is, hat er mir halt einen höchst ungünstigen Eindruck gmacht. Nämlich wie er schon gewußt hat, daß er zum Tod verurteilt wird, hat er, aber weißt ohne die geringste Reue zu zeigen, also hat er dir einfach erklärt, er nimmt 's Gwehr auch dann nicht, wann er dafür erschossen wird. Also da hats naturgemäß auch keine Gnadengründe gegeben bei solcher Verstocktheit! No der Stöger-Steiner hat's naturgemäß bestätigt, wegen dem höchst ungünstigen Eindruck, den der Mann gmacht hat. Aber jetzt – das war dir a hakliche Gschicht. Später hat nämlich der Oberst-Auditor, weißt der Barta, gsagt, im Bericht an den Obersten Militärgerichtshof – daß das Urteil auf einen unliebsamen Versehn beruht hat. Weil angeblich nur auf gewalttätige Widersetzung Todesstraf is und das KM hat halt schon 1914 für die Nazarener vorgsorgt, daß sie ohne Waffen in die Front einzuteilen sind und erst nach'm Krieg militärgerichtlich abgeurteilt wern. Aber der Erlaß ist halt bei uns erst nach der Hinrichtung, 1916, einglangt, kann man halt nix machen. Der Barta hat drei Wochen Profosenarrest kriegt.

Zweiter: Das wär ihm unterm Lüttgendorff nicht passiert. Da wär so a Nazarener – (Geste) rrtsch obidraht, mei Liaber!

Zagorski: Ja, unsereins hat nicht so freie Hand als Jurist, verstehst du. Ich laß mir Zeit – no und ich hab doch schon mehr geleistet wie sogar der Wild!

Zweiter: No ja du!

Zagorski: Mein intressantester Fall war in Munkacs, das war im Herbst 1914 – da war man noch mit Leib und Seele dabei. Da waren drei galizische Flüchtlinge, ein Pfarrer Roman Beresowszkyi, ein gewisser Leo Koblanskyi und der Ssemen Zhabjak, die hab ich natürlich zum Tod verurteilt, no und in Vollzug gesetzt –

Zweiter: Hast dabei auch so schön arranschiert – nach der Reih –?

Zagorski: Woher denn, die haben ja alle drei lesen und schreiben können und außerdem waren s' alle gleich schuldig – das heißt, wenn mans genau nimmt, waren s' alle unschuldig.

Erster: Unschuldig – waren s', wieso?

Zagorski: Ja, das is eben das Intressante. Die Sache ist nämlich vom Militärgericht in Stryi wieder aufgenommen worden, und da stellt sich heraus, daß sie unschuldig sind.

Die Offiziere: Das is a Pech.

Zagorski (lachend): Wieso? Der ukrainische Nationalrat hat sich doch über mich beim AOK beschwert! No da könnts euch denken –

Erster: Ah so! No was warst damals?

Zagorski: Oberleutnant.

Erster: Und wann bist du Hauptmann gworn?

Zagorski: No wie sich herausgestellt hat, daß sie unschuldig waren!

Zweiter: Glaubst, daß da also ein direkter Zusammenhang is – daß man dir alser quasi hat eine Genugtuung geben wolln?

Zagorski: Das will ich nicht grad behaupten, so feinfühlig sind sie beim AOK nicht – aber durch die Beschwerde is man auf mich aufmerksam geworden, da hat man gsehn, was ich für eine Arbeitskraft bin, no und dann – wenn sich eine p. u.-Nation über unsereinen beschwert! Verstehst, wenn ein Ruthene uns schaden kann, so schadet er uns nicht durch seine Beschwerde, sondern höchstens dadurch, daß er noch am Leben is.

Dritter: No glaubst am End – daß die elf, was wir heut verurteilt ham, auch unschuldig sind? Also wenn mas genau nimmt, bewiesen is eigentlich nur –

Zagorski: – daß sie Ruthenen sind. No das wird doch genügen! Ein Uhr – gehmr in die Menage.

(Verwandlung.)

31. Szene.

Schönbrunn. Arbeitszimmer. Der Kaiser sitzt vor dem Schreibtisch und schläft. Ihm Zur Seite steht je ein Kammerdiener.

Der rechte Kammerdiener: Arbeit' scho wieder unermüdlich.

Der linke Kammerdiener: Jetzt is dreiviertel auf neun, sieben Minuten vor halber zehn fangen die Audienzen an, das is ein rechtes Kreuz is das.

Der Rechte: Pst – hör zu – der Weiland sagt was –

Der Kaiser (spricht aus dem Schlaf): Justament nicht – grad nicht – ich mach keinen Frieden mit die Katzelmacher – mei Ruh will i haben – man hat mich drangekriegt – es war sehr schön –gehts weg –'s zweite Knopfloch is um ein Millimeter zu hoch – was? Der Franz is wieder da? – schmeiß'n außi – es hat mich sehr gefreut – der Rudolf soll net alleweil mit die Fiaker – ghört sich denn das? – mir bleibt doch nichts erspart – warten solln s', ich fang erst dreizehn Minuten vor dreiviertel an – was sagst Kathi? Bist gscheit, daß d' die Preißn nicht schmecken kannst – das is ein Elend – man hat mich drangekriegt – no ja, kann man halt nix machen – (er erwacht) Was – was – wollts denn – ich – unterschreib eh schon. (Der linke Kammerdiener reicht die Feder. Der Kaiser unterschreibt mehrere Aktenstücke.) Du, wer kommt denn heut?

Der Rechte: Majestät, der Emanuel Edler von Singer für die Erhebung in den Adelsstand –

Der Kaiser: Ah der Mendl, das is gscheit.

Der Linke: Und dann der Riedl fürn Franz Josefs-Orden.

Der Kaiser: Ah der Riedl, das gfreut mich, wie gehts ihm denn dem Riedl?

Der Rechte: Er is nicht mehr der Alte. Letzte Wochn soll er g'legen sein. Es is unsicher, ob er heut kommt.

Der Kaiser: Was, wär net schlecht, so ein junger Mensch!

Der Linke: Ja, Majestät, um dreißig Jahr jünger wie Majestät, aber was Rüstigkeit anbelangt –

Der Kaiser: Ja, da hast recht – du Ketterl, wie gehts denn dem Beck?Beck – Friedrich Graf von Beck-Rzikowsky, enger Vertrauter des Kaisers, bis 1906 Chef des Generalstabs, dann der Leibgarde. † 1920

Der Rechte: Ujegerl Majestät! (Er kopiert die Haltung eines zitterigen Greises.)

Der Kaiser: Was, mit seine 84 Jahr, der Bua soll sich schamen – (er lacht und bekommt einen Hustenanfall, die Kammerdiener halten ihn.) Is scho guat. (Der linke Kammerdiener verläßt das Zimmer.) Wohin gehst denn?

Der Rechte: Er holt nur 's Pulver.

Der Kaiser: Ich brauch kein Pulver, justament nicht –

Der Linke (kommt mit dem Pulver und gibt es ihm ein): Grad hör ich –

Der Kaiser (nimmt das Pulver): Man hat mich drangekriegt.

Der Linke: Grad hör ich Majestät, daß der Riedl krankheitshalber verhindert is.

Der Kaiser: Hörts auf. Mir bleibt doch nichts erspart.

Der Rechte (zum linken): Uje, jetzt kommt das lebenslängliche Couplet, das kennen mr eh.

(Der Kaiser schläft wieder ein. Die beiden Kammerdiener entfernen sich auf Zehenspitzen. Schlafend singt er das folgende)

Wie ich zur Welt bin 'kommen,
da war a Schlamperei.
Ich hab mir vorgenommen,
mir is alles einerlei.
An Pallawatsch hats 'geben
von einer eigenen Art.
Was? Ich soll in das Leben?
Mir bleibt doch nichts erspart.

Als Bub spiel ich Theater:
von Barrikaden schauen s' zu.
Ich spiel, hilf Himmelvater,
»Wirrwarr« von Kotzebue.Kotzebue – August von Kotzebue, einer der erfolgreichsten Theaterdichter seiner Zeit, † ermordet 1819
Das Volk, es schreit sich heiser,
noch fehlt des Kaisers Bart –
da bin ich schon der Kaiser.
Mir bleibt doch nichts erspart.

Nach Ruh nur allweil lechz' ich,
daß ich von nix nix weiß,
denn spiel ich sechsundsechzig,
den Preis gewinnt der Preiß'.
Ja, das muß ich doch sagen,
das Glück war mit mir hart.
Mein Reich lag mir im Magen
und mir blieb nichts erspart.

Ich kann mich nicht erinnern,
daß ich erlebt nicht hätt'
im Äußern und im Innern
ein Kreuz und halt ein Gfrett.
Der Sohn, die Frau, der Otto –
bis in die Gegenwart
bleibt meines Lebens Motto:
Mir bleibt doch nichts erspart.

Nur Pech in der Verwandtschaft
längst hätte ich es satt,
hätt' ich nicht die Bekanntschaft
mit ihr, der Kathi Schratt,
Mit ihr allein ich's aushalt,
obschon sie schon bejahrt
und kostspielig der Haushalt –
auch ihr bleibt nix erspart.

Doch find ich, sie und alles
in Österreich war sehr schön.
Das Reich hat zwar den Dalles,
doch hoff ich, 's wird schon gehn.
Die Ehre ist oft bitter,
von Gold die Schande starrt.
Ich mach den Jud zum Ritter –
er hat sich was erspart.

Nur Ärger, nix als Kummer,
oft krieg ich eine Wut.
In Ischl nur, im Summer,
da g'freut mich mancher Jud.
Der denkt, wie er nur Geld krieg' –
was der zusammenscharrt
in diesem saubern Weltkrieg!
Hätt' ich mir den erspart!

Nur einem Freudenfeste
hab ich einst beigewohnt:
das war der Fall des EsteEste – s. Vorspiel Szene 1 –
der hat sich doch gelohnt! (Er erwacht.)
Wie man es hinterbracht hat
ganz schonend mir und zart,
mein linkes Aug' gelacht hat:
Schaut's, der bleibt uns erspart!

Es war sehr schön, so meint' ich
und grüßte alle Leut,
leutselig lacht' und weint' ich,
es hat mich sehr gefreut.
Recht g'schichts ihm, schmecks, nun büß' er,
weil auf mein' Tod er g'wart'.
Der Geizhals war kein Grüßer,
hat am Gemüt gespart.

Ein freudiges Erlebnis
für mich und für das Land
war das spanische Begräbnis
des Neffen Ferdinand.
Wir folgten unsrem Hasse
auf lustiger Leichenfahrt.
Begräbnis dritter Klasse –
da blieb mir was erspart.

Die G'schichte war erledigt,
erlöst hat uns der Tod.
Für den Verlust entschädigt
hab ich das Reich durch Not.
Wär' das Malheur nicht gschehen
durch Geistesgegenwart,
wär' ein Malheur geschehen!
So blieb es uns erspart.

Laßt Gott uns dafür preisen!
Mein Kreuz ist endlich rot.
Gold geben sie für Eisen,
Gift nehmen sie für Brot. (Er schläft ein.)
Nachdem ich so viel Leid trug,
mein Reich liegt aufgebahrt.
Das Volk sein Scherflein beitrug,
auch ihm bleibt nichts erspart!

Doch spür ich keine Reue,
doch geb ich keine Ruh.
Durch Nibelungentreue
drückt mich nicht mehr der Schuh.
Der Wilhelm, hätt' Geduld er!
Der Treubund ist sehr hart.
Jetzt drückt mich nur die Schulter.
Da wird mir nix erspart!

Die Schulter statt zu stützen,
sie drückt mich noch zu Tod,
und zu den faulsten Witzen
gehört der Nibelungen Not.
Das Schicksal hat, man weiß es,
mich oft und oft genarrt –
sein Essen, ach der Preiß' es
von meinem Munde spart!

Was hab ich von dem Bund doch!
Es geht mir glorreich schlecht.
Beim deutschen Gott, kein Hund doch
so länger leben möcht'!
Ach ums Panier der Treue
haben wir uns schön geschart –
der Freund frißt meine Säue,
mir bleibt ein Dreck erspart.

Es ist ein Bund des Pferdes
mit einem Reiter toll
und für den Schutz des Herdes
verlangt er hohen Zoll.
Das Volk, es preist das Deutsche.
Es war sehr schön beim Start.
Mich aber peitscht die Peitsche –
das Ziel bleibt mir erspart.

In dem Kalkül ein Loch ist:
der Preiß', er macht mir heiß.
Hoch ruft das Volk, doch hoch ist
von allem nur der Preis.
Ein Roß nicht ahnen kunnte,
wohin es ging' der Fahrt.
Der Preiß', man wanen kunnte,
der bleibt mir nie erspart!

Wie immer ich mich wende,
ich sitz dem Reiter auf
und kehr mit blutiger Lende
von seinem Siegeslauf.
Der Preiß' sitzt mir im Nacken,
die Treu er mir bewahrt.
Mein Thron ist seine Tacken,
kein Tritt bleibt mir erspart.

Nicht endet meine Klage,
nicht endet mein Verdruß,
auf meine alten Tage
ich hohenzollern muß!
Wozu, das möcht' ich fragen,
hab so ich mich gepaart –
nur um wiederamal zu sagen:
mir bleibt doch nichts erspart?

Was sind denn das für Sachen?
Bin ich nicht Herr im Haus?
Da kann man halt nix machen.
Sonst schmeißt er mich hinaus.
Wär' ich im Sommer sieben
gefolgt dem Eduard,Eduard – Eduard VII., englischer König, traf 1907 in Bad Ischl mit Franz Joseph I. zusammen
so wäre mir geblieben
so mancherlei erspart.

Mit Hurra gehts herunter
bis auf den Kladderadatsch
Jetzt geht der Wiener unter!
Wir heißen 's Pallawatsch.
In diesem Weltenkriege
krieg ich den schoflen Part
und wie ich immer siege,
der Sieg bleibt mir erspart.

In der Geschichte steht es,
was immer mir geschah.
Seit siebzig Jahren geht es
in einem Pfui k. k.!
Mit Justament regier ich
auf eine eigene Art,
und meine Völker führ ich,
daß uns ka Hetz erspart.

Ihr dürft noch lang nicht hoffen
aufs End von mein' Couplet.
Es hat noch Katastrophen –
Euer Gnaden wissen eh.
Mir wern kan Richter brauchen
nach dieser Praterfahrt!
Wenn erst die Trümmer rauchen,
wird am Tabak gespart.

In der Geschichte steht es,
was immer mir geschicht,
und wie man immer dreht es,
sie bleibt das Weltgericht.
Den Narren gab ich Titel
dem Volk des Kaisers Bart.
Die blutigsten Kapitel
hab ich mir aufgespart.

Mir war seit Kindesbeinen
schon alles einerlei.
Doch g'freut mich heut wie keinen
die blutige Schlamperei!
Heut bin ich ja noch rüstich,
noch rüst ich nicht zur Fahrt,
noch nicht für alles büßt ich,
noch viel bleibt euch erspart!

Noch bisserl Blut sehn will ich,
man nimmt an Weisheit zu,
und justament erst spiel ich
Wirrwarr von Kotzebue!
Noch bin ich ja der Alte,
Lorbeer den Kopf behaart.
Dem Volk mich Gott erhalte!
Ihm, dem ja nichts erspart.

Erhalt' er mich in Plagen!
Noch ists nicht an der Zeit,
»Es war sehr schön« zu sagen,
»es hat mich sehr gefreut«.
Die Welt muß erst verzweifeln,
worauf ich gnädig wart.
Dann fragen s' mich bei den Teufeln,
ob mir noch was erspart!

Und der nur Ruh wollt haben,
geht endlich selbst zur Ruh.
Doch eh' sie mich begraben
und eh' der Sarg fallt zu –
»So jung noch, soll ich«, frag ich,
»schon auf die letzte Fahrt?«
Und noch einmal g'schwind sag ich:
Mir bleibt doch nichts erspart!

(Die beiden Kammerdiener nähern sich auf Zehenspitzen.)

(Verwandlung.)

32.Szene

Kragujevac, Militärgericht.

Der Oberleutnant-Auditor (hinausrufend): Solln sich aufhängen! (zum Schriftführer) Sind die drei Todesurteile ins Reine geschrieben? Die über die drei Burschen aus Karlova mein ich, die Gewehre gehabt haben.

Der Schriftführer: Jawohl, aber (zögernd) da – möchte ich auf einen Umstand aufmerksam machen, da – hab ich die Entdeckung gemacht – daß sie erst achtzehn Jahre alt sind –

Der Oberleutnant-Auditor: Nun und? Was wollen Sie damit sagen?

Der Schriftführer: Ja – da dürfen sie aber – nach dem Militärstrafgesetz nicht hingerichtet werden – da muß das Urteil – auf schweren Kerker abgeändert werden –

Der Oberleutnant-Auditor: Geben S' her! (Er liest.) Hm. Da wern wir nicht das Urteil, sondern das Alter abändern. Es sind sowieso stattliche Burschen (Er taucht die Feder ein.) Da schreiben wir halt statt achtzehn einundzwanzig. (Er schreibt.) So, jetzt kann man sie ruhig aufhängen.

(Verwandlung.)

33. Szene

Ischler Esplanade. Eine teilnehmende Gruppe umgibt den alten Korngold.

Der alte Korngold (händeringend): Er is doch nicht gesund! Er is doch nicht gesund! (Wird von der Gruppe abgeführt.)

Ein Kurgast (spricht einen andern an): No Sie wern mir doch sagen können, Sie sind doch intim in Theaterkreise, also is es wahr was man hört oder is es bloß ein Gerücht?

Der Andere: Der alte Biach?

Der Erste: Konträr, der junge Korngold!

Der Andere (ernst): Es is wahr.

Der Erste: Hören Sie auf – also den jungen – Korngold – ham sie genommen?

Der Zweite: Wenn ich Ihnen sag! Was sagen Sie zu Biach? (Beide ab.)

Dritter Kurgast (kopfschüttelnd zu seinem Begleiter): Einen Mozart! Und wo er doch bei der Presse is!

Vierter (sich umsehend): Ein Racheakt. (Beide ab.)

(Fräulein Löwenstamm und Fräulein Körmendy treten im Dirndlkostüm auf.)

Fräulein Löwenstamm: Es hat aufgehört zu regnen!

Fräulein Körmendy: Also was is? Gehts ihr nachmittag am Nussensee?

Fräulein Löwenstamm: Wenn es so bleibt, ja, sonst selbstredend zu Zauner! Was is abends? Gehts ihr? Wir ham Sitze, der Schalk dirigiert von der Oper. (Ein anderes Dirndl geht vorbei.) Du – schau dir sie jetzt an –!

Fräulein Körmendy: Möcht wissen, worauf herauf sie so herumgeht.

Fräulein Löwenstamm: Ihr Bruder verehrt doch die Wohlgemuth!

Fräulein Körmendy: Dort kommt der Bauer mit dem Lehar. (Ab.)

Bob Schlesinger (Janker, nackte Knie): Was da hergemacht wird! Wetten, nächste Woche is er enthoben! Ein Wort wenn ich dem Hans Müller sag!

Baby Fanto (Tenniskostüm): Aber! Ein Wort vom Papa! In unserem Haus in Baden verkehrt doch bekanntlich das ganze Aokah! Der Arz wälzt sich, wenn der Tury einen Witz macht, und ich kopier ihm die Konstantin.

(Ein Hofwagen fährt vorbei. Sie grüßen.)

Bob Schlesinger: Ich glaub, er war leer.

Baby Fanto: Ich glaub, der Salvator. (Ab.)

Ein alter Abonnent: Was sagen Sie zum jungen Korngold?

Der älteste Abonnent: Das kann in England nicht ohne Eindruck bleiben. (Ab.)

(Man hört von ganz fern die Rufe des alten Korngold.)

(Verwandlung.)

34. Szene

Wachstube.

Der Inspektor: Aha, da is scho wieder so a syphilitischer Schlampen! Und verlaust is'!

Ein Wachmann: Die kenn i eh. Die is wegen Diebstahl abgstraft und wegen Vagabundasch war s' aa eingliefert. Im Spital war s' eh scho.

Der Inspektor: Wie alt bist denn? Wem ghörst denn?

Die Siebzehnjährige: Der Vater is eingrückt, die Mutter is gstorben.

Der Inspektor: Seit wann bist denn bei dem Leben?

Die Siebzehnjährige: Seit 1914.

(Verwandlung.)

35.Szene

Ein Berliner Nachtlokal.

Eine gröhlende Stimme (aus dem Hintergrund):
Das Dünnbier ist ein scheußliches Geschlampe
Und als Getränk mau mau!
Gießt du davon zuviel in deine Wampe,
Dann wird dir flau!

Bringt Burgeff-Grün, ihr Hundejungen! Friedelchen bleib man da, süße Toppsau – bewahre Sitzfleisch – ihr Vatalandsverräter – wat? – nu mal rin in die Sommeschlacht –

Frieda Gutzke (spuckt ihm auf die Glatze): Hopla, Vata siehts ja nich – (geht nach vorn.)

(Sally Katzenellenbogen, Export, Frankfurt a./O. tippt seinem Nachbarn, dem Rechtsanwalt Krotoschiner II an die Schulter.)

Katzenellenbogen: Wie sagt doch Nietzsche? Jehst du zum Weibe, vajiß de Peitsche nich!

Krotoschiner II: Na hörn Se mal, lassen Se mich man bloß mit dem Mann zufrieden, der Mann is mir nich maßgebend, der hat doch bekanntlich 'n böses Ende jenommen. Oberfauler Kunde, sage ich Ihnen. Kenn Se Dolorosa?

Katzenellenbogen: Nee. Sitzt dort nich Hertha Lücke vom Palais de danx, Kantstraße fünfzehn Belletahsche, Kurfürst achthundertvierundfunfzigtausendsiebenhundertsiebenundfunfzig?

Krotoschiner II: Ach Unsinn, Jejenteil, das ist Gerda Mücke vom Lindenkasino, Leibnizstraße neunundfunfzig zwei Treppen, Lützoo neunhundertsiebenundfunfzigtausendachthundertdreiundfunfzig, Teelefonn mit Warmwasser, Luftschiff im Hause, zu jedem Appartemang 'n Kulturbatt, tipptopp! Kann famos pieken!

Katzenellenbogen: Jewiß doch, mit das schickste Mädchen, das wa jetzt in Berlin haben – un wissen Se, wer neben sitzt? Motte Mannheimer, Kunststück – wickelt se alle in blaue Lappen.

(Die Musik spielt das Lied »Ach Puppe sei nicht so neutral!«)

Frieda Gutzke (geht vorbei und sagt zu Katzenellenbogen): Na hörste, sollst nich so neutral sein – was sitzt ihr beiden denn so miesepetrich da, halli hallo hopsaßa – (zu Krotoschiner II) na Puppe? Oller mit'n Kneifer!

Krotoschiner II: Totschick! Na komm mal ran.

Frieda Gutzke: Nich zu machen, schließt von selbst – weeßte, der Rittergutsfritze, der Pommernhengst, immer mit'n roten Kopp, guckt rüber – andermal – du schenk mr'n braunen Lappen, ik will Hindenburch benageln. (Sie geht nach hinten.)

Die gröhlende Stimme:
Und was das Schönste ist bei dieser Schose:
Das Reichsbekleidungsamt
(Frieda Gutzke singt mit)
Gibt uns pro Jahr bloß eine Unterhose –

Verdammt! Verdammt!

(Verwandlung.)

36. Szene

Der Optimist und der Nörgler im Gespräch.

Der Nörgler: Das nenne ich einmal Propaganda für eine gute und gerechte Sache!

Der Optimist: Was ist es denn?

Der Nörgler: Ein Aufruf, der lautet »Schluß der Kriegsanleihezeichnung!« Ein gutes Wort zu rechter Zeit.

Der Optimist: Es freut mich, daß Sie so einsichtsvoll denken. Alles Gerede von einem Verständigungsfrieden hat sich eben als müßig erwiesen.

Der Nörgler: Es ist, wie Sie sagen. Und immer klarer stellt sich heraus, daß Deutschland recht behalten wird: Der Krieg wird militärisch entschieden werden.

Der Optimist: Daß Sie das sagen! Darin stimmen wir einmal –

Der Nörgler: – vollkommen überein.

Der Optimist: Ich hoffe Sie auch zu meiner Ansicht über patriotische Jugenderziehung zu bekehren. In diesem Punkte kann, da es sich darum handelt, alle Gedanken auf den Endsieg einzustellen, gewiß nicht genug geschehen. Ich habe Ihnen aber den Jahresbericht der Kaiser-Karls-Realschule mitgebracht, damit Sie sich überzeugen, daß die Mittelschüler durchaus nicht zur Beschäftigung mit kriegerischen Themen gezwungen werden. Es wird ihnen vielmehr, in den meisten Fällen jedenfalls, die Alternative gelassen. Zum Beispiel in der V. b Klasse: »Eine Ferienwanderung« oder »Kriegsmittel neuester Zeit«. In der VI. a: »Warum ist Lessings Minna von Barnhelm ein echt deutsches Lustspiel?« oder »Durchhalten!« Was würden Sie wählen?

Der Nörgler: Durchhalten!

Der Optimist: Da haben wir zum Beispiel: »Gedanken nach der achten Isonzoschlacht« oder »Herbstwanderung«. Dann »Inwiefern vermag das Klima die geistige Entwicklung der Menschheit zu beeinflussen?« oder »Unser Kampf gegen Rumänien«.

Der Nörgler: Hier wählte ich, um mir's leichter zu machen, beide Themen auf einmal.

Der Optimist: »Die Hauptgestalten in Goethes Egmont« oder »Der verschärfte U-Bootkrieg«.

Der Nörgler: Ich würde sagen, daß wenn der verschärfte U-Bootkrieg nicht hinzugetreten wäre, die Deutschen mit Goethes Egmont England auf die Knie gezwungen hätten.

Der Optimist: Sie sind ein Optimist. Dann hätten wir noch: »Schicksal des Menschen, wie gleichst du dem Wind! (Goethe)« oder »Wir und die Türken – einst und jetzt«.

Der Nörgler: Hier wählte ich ganz bestimmt beide Themen; denn mir scheint, als ob mir just aus der Verknüpfung ein artiges Stück von einem Aufsatz gelingen sollte.

Der Optimist: Wie stellen Sie sich zu der Alternative: »Meine Gedanken vor RadetzkysRadetzky – Joseph Wenzel Graf von Radetzky, Generalstabschef der österr. Armee, hatte entscheidenden Anteil an der Völkerschlacht bei Leipzig 1813, † 1858 Standbild« oder »Seine Handelsflotte streckt der Brite gierig wie Polypenarrne aus und das Reich der freien Amphitrite will er schließen wie sein eignes Haus (Schiller)«.

Der Nörgler: Was das zweite Thema anlangt, so würfe ich es dem Deutschprofessor an den Kopf, würde ihm raten, für seinen pädagogischen Zweck lieber Lissauer zu zitieren, und ihm beweisen, daß ich auch die Anfangsstrophe des Schillerschen Gedichtes kenne: »Edler Freund! Wo öffnet sich dem Frieden, wo der Freiheit sich ein Zufluchtsort? Das Jahrhundert ist im Sturm geschieden, und das neue öffnet sich mit Mord.«

Der Optimist: Und das erste Thema, »Meine Gedanken vor Radetzkys Standbild«?

Der Nörgler: Würde ich ohneweiters und mit Erfolg bearbeiten, denn ich habe vor Radetzkys Standbild meine eigenen Gedanken. Zum Beispiel, daß dort schon mehr Schieber vorbeigekommen sind, als für den Nachruhm Conrads von Hötzendorf unbedingt erforderlich war.

Der Optimist: Da bemerke ich eben – der Jahresbericht verzeichnet: »An die Schülerbibliothek wurden 2 Exemplare Schalek, »Tirol in Waffen« geschenkt von Gräfin Bienerth-Schmerling, 1 Exemplar von der Verfasserin an die Lehrerbibliothek.« Na, das ist gewiß gut gemeint, aber –

Der Nörgler: Sie sind ein Nörgler. Die heranwachsende Generation kann nicht früh genug erfahren, wie man Schützengräben ausputzt. Ist denn kein Aufsatz da, der solche Anregungen schon unmittelbar verwertet?

Der Optimist (blättert): Etwa der da, für die VI. B: »Welcher von unseren Feinden scheint mir der hassenswerteste?«

Der Nörgler: Das Thema ist so anziehend, daß es keiner Alternative bedurft hat. Aber es läßt ja selbst eine zu, die allerdings schwierig genug ist.

Der Optimist: Und wie hätten Sie gewählt?

Der Nörgler (nachdenkend): Warten Sie – nein, ich wäre nicht imstande, zu einer endgültigen Entscheidung zu kommen.

Der Optimist: Wenn Sie sich streng an das Aufsatzthema halten, das da den Sextanern der Kaiser-Karls-Realschule gestellt wird –

Der Nörgler: – so sage ich: Österreich! Wenn ich aber wieder auf diese Annonce hier blicke, so erscheint mir der Militarismus unserer Jugenderziehung als ein Kinderspiel gegen das ausgewachsene Vorbild.

Der Optimist (liest): »Verkaufs-Kanone, Christ, militärfrei, repräsentabel und doch dezent, bisher Reklame-Akquisiteur für Ost- und Westdeutschland und Berlin mit effektiven Erfolgen und nur prima Referenzen, sucht Generalvertretung eines ausdehnungsfähigen kapitalskräftigen Unternehmens –« Nun und?

Der Nörgler: Da weiß ich als Patriot, welcher von unseren Feinden mir der hassenswerteste scheint!

(Verwandlung.)

37.Szene

Deutsches Hauptquartier.

Wilhelm II. (zu seinem Gefolge): Morjen, meine Herrn!

Die Generale: Morjen Majestät!

Wilhelm II. (in Positur, mit Aufblick zum Himmel): Es hat unser Herrgott entschieden mit unserem deutschen Volke noch etwas vor. Wir Deutsche, die wir noch Ideale haben, sollen für die Herbeiführung besserer Zeiten wirken. Wir sollen kämpfen für Recht, Treue und Sittlichkeit. Mit den Nachbarvölkern wollen wir in Freundschaft leben, aber vorher muß der Sieg der deutschen Waffen anerkannt werden. Es hat das Jahr 1917 mit seinen großen Schlachten gezeigt, daß das deutsche Volk einen unbedingt sicheren Verbündeten in dem Herrn der Heerscharen dort oben hat. Auf den kann es sich bombenfest verlassen, ohne ihn wäre es nicht gegangen. Was noch vor uns steht, wissen wir nicht. Wie aber in diesen letzten vier Jahren Gottes Hand sichtbar regiert hat, Verrat bestraft und tapferes Ausharren belohnt, das habt ihr alle gesehen, und daraus können wir die feste Zuversicht schöpfen, daß auch fernerhin der Herr der Heerscharen mit uns ist. Will der Feind den Frieden nicht, dann müssen wir der Welt den Frieden bringen dadurch, daß wir mit eiserner Faust und mit blitzendem Schwerte die Pforten einschlagen bei denen, die den Frieden nicht wollen. Ein Gottesgericht ist über die Feinde hereingebrochen. Der völlige Sieg im Osten erfüllt mich mit tiefer Dankbarkeit. Er läßt uns wieder einen der großen Momente erleben, in denen wir ehrfürchtig Gottes Walten in der Geschichte bewundern können. (Mit erhobener Stimme) Welch eine Wendung durch Gottes Fügung! Die Heldentaten unsrer Truppen, die Erfolge unsrer großen Feldherren, die bewunderungswürdigen Leistungen der Heimat wurzeln letzten Endes in den sittlichen Kräften, die unserm Volk in harter Schule anerzogen sind, im kategorischen Imperativ! Glauben sie noch immer nicht genug zu haben, dann weiß ich, werdet ihr – (Der Kaiser macht eine soldatische Bewegung, die ein grimmiges Lächeln auf den Gesichtern seiner Mannen hervorruft.) Der sichtbare Zusammenbruch des Gegners war ein Gottesgericht. Unsern Sieg verdanken wir nicht zum mindesten den sittlichen und geistigen Gütern, die der große Weise von Königsberg unserm Volke geschenkt hat. Gott helfe weiter bis zum endgültigen Siege!

(Der Kaiser streckt die rechte Hand vor, die Generale und Offiziere küssen sie der Reihe nach. Er stößt während des Folgenden, in der Erregung wie in der Belustigung, einen Ton aus, der wie das Bellen eines Wolfes klingt. Im Moment der Erregung bekommt er einen roten Kopf, der Ausdruck wird der eines Ebers, die Backen sind aufgeblasen, wodurch die Schnurrbartenden völlig senkrecht aufstehen.)

Erster General: Majestät sind nicht mehr das Instrument Gottes –

Wilhelm II. (prustend und pfuchzend): Ha –

Der General: – sondern Gott ist das Instrument Eurer Majestät!

Wilhelm II. (strahlend): Na 's is gut. Ha –!

Zweiter General: Wenn wa jetzt mit Gott und Gas durchbrechen,so haben wir das ausschließlich Eurer Majestät genialer strategischer Umsicht zu danken.

Wilhelm II. (tritt an die Generalstabskarte heran): Ha – Von hier bis hier sind fünfzehn Kilometer, da werfe ich fünfzig Divisionen hinein! Kolossal – was? (Er blickt um sich. Beifälliges Murmeln.)

Dritter General: Majestät sind ein Weltwunder strategischen Weitblicks!

Vierter General: Majestät sind nicht nur der größte Redner, Maler, Komponist, Jäger, Staatsmann, Bildhauer, Admiral, Dichter, Sportsmann, Assyriologe, Kaufmann, Astronom und Theaterdirektor aller Zeiten, sondern auch – sondern auch (er beginnt zu stottern) –

Wilhelm II.: Nanu?

Der General: Majestät, ich fühle mich außerstande, die Liste der Meisterschaften zu erschöpfen, die Majestät auszeichnen.

Wilhelm II. (nickt befriedigt): Na und ihr andern? (Sie lächeln verlegen.) Was, ihr verfluchten Kerls, wollt ihr euern Obersten Kriegsherrn – ha – auslachen? Ich werde euch – Seckendorff! (Er geht auf einen Adjutanten zu und tritt ihm öfter auf den Rist des Fußes.)

Der Adjutant (hüpft verlegen): Majestät – Majestät –

Wilhelm II. – Ha – Hacken zusammenschlagen! Na 's is gut, Seckendorff, habe Sie bloß 'n bisken pisacken wollen. Sekt!

Ein Offizier – Zu Befehl! (Ab.)

Wilhelm II.: Kaviar! (Ein Offizier will abgehen.) Ha – halt! Es ist des Deutschen unwürdig, reichlich zu leben! – Kaviar! (Der Offizier ab.)

Vierter General: Majestät –

Wilhelm II.: Na was is'n los?

Der General: Majestät – sind auch der feinste Gourmand aller Zeiten!

Wilhelm II. (strahlend): Na 's is gut. (Sekt und geröstete Kaviarschnitten werden gebracht. Er trinkt.) Das ist ja französischer Sekt! Pfui Deibel!

Ein Offizier (klebt eine Etikette »Burgeff-Grün« auf): Nein Majestät, es ist deutscher Sekt!

Wilhelm II.: Das ist ja ein famoser deutscher Sekt! – Ha – Hahnke, möchten wohl auch Sekt –? Hurra – (er schwippt den Rest auf das Gefolge und lacht dröhnend.)

Die Generale (sich tief verbeugend): Zu gnädig, Euer Majestät!

Wilhelm II. (schmiert mit dem Zeigefinger der rechten Hand den Kaviar und die Butter von einer Schnitte herunter und streicht sie sich in den Mund): Ha – Hahnke, möchten wohl auch Kaviar haben –? (Er wirft das leere Stück Brot unter die Generale und lacht dröhnend, wobei er sich mit der rechten Hand auf den Schenkel schlägt.)

Die Generale (sich tief verbeugend): Zu gnädig, Euer Majestät!

Wilhelm II. (sich an einen Adjutanten wendend): Ha – Duncker, nu sagen Se mal, was ist Ihr Geschmack in der Liebe? Sind Sie mehr für Dicke oder für Dünne? (Duncker lächelt verlegen. Wilhelm Il. zur Umgebung.) Er schwärmt für Dicke. Er liegt gern weich.

Die Generale: Köstlich, Euer Majestät! (Der Kaiser lacht wie ein Wolf.)

Wilhelm II.: Ha – Krickwitz! (Indem er ihn in den Bauch pufft) Wie macht der Hahn?

Krickwitz (kräht): Kikeriki – Kikeriki –

Vierter General (zu seinem Nachbar): S. M. ist ein Gott.

Wilhelm II.: Ha – Flottwitz – gucken Se mal dorthin, was dort los ist –

(Der Admiral dreht sich um. Der Kaiser pirscht sich an ihn heran und schlägt ihm mit aller Wucht auf den Hintern. Der Admiral krümmt sich vor Schmerzen.)

Wilhelm II.: Sind Sie verrückt geworden? Pissen Se mir doch nicht immer auf die Stiebeln! (Zum Generalarzt Martius) Ha – Martius, gucken Se mal dorthin, was dort los ist. (Der Generalarzt dreht sich um. Der Kaiser pirscht sich an ihn heran, springt dann auf ihn los und greift ihm mit der Rechten zwischen die Beine. Der Generalarzt taumelt vor wahnsinnigem Schmerz und hält sich an einem Stuhl fest. Er ist kreidebleich. Der Kaiser bricht in ein tolles Gelächter aus und wendet sich dann, wie er die Wirkung seines Zugriffs bemerkt, erzürnt ab. Mit rotem Kopf und aufgeblasenen Backen, prustend und pfuchzend): Kerls sind zu dösig – ha – keen Humor bei die Kerls!

Die Generale: Köstlich, Euer Majestät, köstlich!

Der erste General (zu den andern): Amor et deliciae humani generis.

(Verwandlung.)

38. Szene

Winter in den Karpathen. Ein Mann an einen Baum gebunden.

Kompagnieführer Hiller: Wie viel Grad hats woll?

Ein Soldat: An die 30.

Hiller: Na, denn könnt ihr'n losbinden. (Die Soldaten tun es. Der Mann – Füsilier Helmhake – bricht ohnmächtig zusammen. Hiller schlägt ihm mit der Faust mehrmals ins Gesicht.) Nu mal ins Erdloch neben! (Es geschieht.) Aber ist es denn auch feucht und stinkend genug?

Der Soldat: Jawohl.

Hiller: Fiebert woll schon tüchtich?

Der Soldat: Jawohl.

Hiller: Doppelposten – nu mal ran – das Schwein bekommt nichts zu fressen und zu saufen. Darf auch weder tags noch nachts austreten. (Lachend) Hat er denn freilich auch nicht nötich! Also wie gestern. Wer was dawider hat, den zerschmettere ich! (Er geht mit den Leuten ab. Zwei Soldaten bleiben vor dem Erdloch zurück. Man hört Wimmern.)

Der zweite Soldat: Meinst du nicht auch, daß wir gottgefälliger handelten, wenn wir statt seiner – ihn –?

Der Erste: Jawohl.

Der Zweite: Zwei sind schon tot. Thomas, den er bei ebensolcher Kälte gezwungen hat, sich nackt auszuziehen, und Müller, der krank auf Wache mußte. Noch fünf andere hat er – (Man hört Stöhnen. Es klingt wie »Durst!«) Ach was – das halte ein anderer aus! Ich will ihm einen Schneeball an den Mund halten. (Er kriecht in das Erdloch und kehrt weinend zurück.) Noch nicht zwanzig Jahre alt – freiwillig ins Feld gegangen –! (Hiller erscheint mit Leuten.)

Hiller: Ich habe mir die Sache überlegt. Ich will mal sehn – der Kerl soll rauskommen! – Na wirds?

Der zweite Soldat: Er – kann wohl nicht mehr, Herr Leutnant.

Hiller: Was is'n los? 'raus mit dem Mistvieh! (Einige Soldaten zerren Helmhake heraus und schleifen den Reglosen wie ein Stück Vieh.) So siehste aus. Ach die Drecksau verstellt sich ja bloß, trampelt ihn doch in den Hintern! (Er tritt ihn mit dem Stiefelabsatz.) Willst du laufen, du Schwein!? Ist denn das Aas noch nicht verreckt?!

Der zweite Soldat (beugt sich zu dem Mißhandelten nieder, den er berührt, streckt seine Hände wie abwehrend zu Hiller empor und sagt): Soeben.

(Verwandlung.)

39.Szene

Ebenda im Unterstand Hillers.

Unterarzt Müller: Tod durch Erfrieren. Wiederbelebungsversuche vergebens. Das Bedenklichste ist, daß er keine Verpflegung bekommen hat.

Hiller: Wir müssen die Sache so deichseln, daß uns keiner an den Wagen fahren kann.

Müller: Kein Zweifel, das Menschenmaterial ist erschöpft und krank. Nichts als Konservensuppe und die ist gesundheitsgefährlich. Es zeigt sich ein direkter Erschöpfungswahnsinn. Die Leute buddeln im Schnee und springen wie die Besessenen herum.

Hiller: Ich gebe ja selbst zu, daß Hunger, Schläge und Anbinden nicht mehr zureichen, um den Kampfesmut zu beleben. Was soll man tun? Was Helmhake betrifft, so kann ich sagen, daß ich alles Erdenkliche getan habe. Dem Vater schreibe ich so:

Werter Herr Helmhake!

Hierdurch erfülle ich die traurige Pflicht, Sie von dem plötzlichen Ableben Ihres Sohnes, des Gardefüseliers Carl Helmhake, in Kenntnis zu setzen. Der Arzt stellte blutigen Dünndarmkatarrh fest.

Während seiner kurzen Krankheit ist Ihrem Sohne die bestmöglichste körperliche und ärztliche Pflege zuteil geworden.

Wir verlieren in dem Dahingeschiedenen einen tüchtigen Soldaten und guten Kameraden, dessen Verlust wir schmerzlich betrauern. Seine Überreste ruhen auf dem Friedhofe in Dolzki.

(Verwandlung.)

40. Szene

Der Optimist und der Nörgler im Gespräch.

Der Optimist: Lesen Sie, mit welch erhebenden Worten die Waffenbrüderliche Ärztetagung eröffnet wurde: Ein wohltuendes Gefühl, ein erhebendes, echt bundesbrüderliches Bewußtsein soll es für uns alle sein, daß wir in dem Momente, wo draußen an unseren Fronten noch der Kampf wütet, hier mit kaiserlicher Erlaubnis darüber beraten dürfen, wie am besten und erfolgreichsten für unsere siegreichen Krieger vorgesorgt werde, um die Schäden an ihrer Gesundheit durch sachgemäße Pflege wieder zu tilgen und zu beraten, wie den siech gewordenen Helden frische Arbeitskraft, neuer Lebensmut –

Der Nörgler: Todesmut!

(Verwandlung.)

41. Szene

Ein Militärspital. Rekonvaleszente, Verwundete aller Grade, Sterbende.

Ein Generalstabsarzt (öffnet die Tür): Aha, da sind s' ja alle schön beisamm, die Herrn Tachinierer. (Einige Kranke bekommen schwere Nervenzustände.) Aber gehts, nur kein Aufsehn. Das wern wir gleich haben – Momenterl! (Zu einem Arzt.) No wird's? Wo bleibt denn heut der Starkstrom? Gschwind, daß mr die Simulierer und Tachinierer herauskriegen. (Die Ärzte nähern sich einigen Betten mit den Apparaten. Die Kranken bekommen Zuckungen.) Der dort, das is ein besonders verdächtiger Fall, der Fünfer! (Der Kranke beginnt zu schreien.) Da hilft nur ein Mittel, das verordnen wir im äußersten Fall. Ins Trommelfeuer! Jawohl, das Beste wäre, alle Nervenkranken in einen gemeinsamen Caisson stecken und dann einem schönen Trommelfeuer aussetzen. Dadurch würden s' ihre Leiden vergessen und wieder frontdiensttaugliche Soldaten wern! Da wern euch schon die Zitterneurosen vergehn! (Er schlägt die Tür zu. Ein Kranker stirbt. Es erscheint der Kommandant Oberstleutnant Vinzenz Demmer Edler von Drahtverhau.)

Demmer von Drahtverhau: Ah, heut wird zur Abwechslung wieder einmal schlampert salutiert! Ja die Herrschaften machen sichs halt im Hinterland kommod in die Betten. Aber grad diesbezüglich bin ich heut unter euch erschienen. Sie Regimentsarzt pulvern S' die Leut auf, daß s' jetzt zuhören, ich habe eine wichtige beispielgebende Mitteilung zu machen. Es handelt sich um die neuen Vurschriften wegen dem Salutieren, aber nicht wegen dem Salutieren hier in der Anstalt, sondern wenn die Leut wieder aufstehn, daß s' sich in der Zwischenzeit gewöhnen, bevor s' wieder einrückend gemacht wern. Also aufpassen! (liest vor) Direktive, Ehrenbezeigungen betreffend:

Die Ehrenbezeigung muß stets mit voller Strammheit bei Annahme der vorgeschriebenen Haltung geleistet werden; jedem Vorgesetzten und Höheren ist die vorgeschriebene Ehrenbezeigung zu leisten, wenn sich dieser nicht mehr als 30 Schritt vom Untergebenen oder Niederen befindet. Dieselbe ist durch ungezwungene Erhebung des rechten Armes gegen den Kopf, die Hand mit der inneren Fläche derart seitwärts des rechten Auges gegen das Gesicht gewendet, daß die Spitzen der geschlossenen Finger den Schirm der Kopfbedeckung (bei Kappen ohne Schirm den Rand der Kappe) berühren, zu leisten. Bei Begegnung des zu Begrüßenden, oder geht der zu Begrüßende an dem Grüßenden vorüber, ist die Ehrenbezeigung so zu leisten, daß diese drei Schritt vor dem zu Begrüßenden vollzogen ist, sie endet, sobald sich der Begrüßte drei Schritte entfernt hat. Trägt der Soldat etwas in der rechten Hand, so salutiert er mit der linken, hat er in beiden Händen etwas, so leistet er die Ehrenbezeigung durch eine stramme Kopfwendung. Letzteres gilt auch bei allen Gelegenheiten des Grußes. Beim Begegnen eines Vorgesetzten oder Höheren hat der Soldat es zu vermeiden, näher als einen Schritt an demselben vorüberzukommen. Andere eingerissene Arten der Salutierungen, wie zum Beispiel Erheben der rechten Hand mit der Fläche nach rechts auswärts, die Finger gespreizt und Antippen des Kappenschirmes mit dem Zeigefinger womöglich vor der Nase, Leistung der Ehrenbezeigung mit der Zigarette oder Zigarre (kurzer Pfeife, sogenannter Nasenwärmer) in der zum Gruß erhobenen Hand oder gar im Munde, dann Leistung der Ehrenbezeigung im Freien mit unbedecktem Kopfe, die Kappe in der Hand durch eine Verbeugung, sind streng untersagt und werden solche Militärpersonen, welche die Ehrenbezeigung nicht nach der Vorschrift leisten oder diese – sei es aus was immer für einem Grunde – unterlassen, einer strengen Ahndung unterzogen; Urlauber nebst Anzeige an ihr vorgesetztes Kommando einrückend gemacht. –

Alstern, merkts euch das, wer nicht, die Hand mit der inneren Fläche derart seitwärts des rechten Auges gegen das Gesicht gewendet, daß die Spitzen der geschlossenen Finger den Schirm der Kopfbedeckung (bei Kappen ohne Schirm den Rand der Kappe) berühren, den rechten Arm ungezwungen gegen den Kopf erhebt, kann dazu gezwungen wern! Merkts euch das! Das ist beispielgebend! Was die andern Salutiervurschriften betrifft, nämlich die was noch für die Anstalt gelten, solang ihr hier herumliegts, so müßts ihr auch mit gutem Beispiel vorangehn und ich brauch euch nicht erst einschärfen, daß ihr unbeschadet eurer p. t. Krankheiten jeder vurschriftsmäßig zu salutieren habts, wenn ein Vurgesetzter hereinkommt. Jetzt habts ihr keine Kappen, aber a Stirn hat a jeder und so wirds ihm auch net schwer fallen die Hand, wann er a Hand hat, an die Stirn z' führen, verstanden? Also – rechts schaut! Sie, was is denn dort – der dort von Bett 5 – mir scheint, der kanns net erwarten, daß er wieder zum Marschbaon – (der Regimentsarzt macht ihm eine Mitteilung) Ah so – no ja – also von mir aus – aber im allgemeinen – also daß mir das nächste Mal alles in Ordnung is! Sie überhaupt Regimentsarzt schaun S' mir daß die Leut hinauskommen! Sie sind ohnedem schlecht angschrieben oben – machen S' mr keine Spomponadeln und treiben S' nicht die Humanität auf die Spitze! Was ein patriotischer Arzt ist, hat ein Frontlieferant zu sein! Nehmen S' sich ein Beispiel am Dr. Zwangler, der hat einem Zitterer einen Fetzen in den Mund gsteckt und ihn mit zwei elektrischen Behandlungen B-Befundtauglich gemacht. Oder der Dr. Zwickler! Der hat einen Ehrgeiz, von dem stammt bekanntlich die Idee, die Geschlechtsteile zu faradisieren, er will halt möglichst viele und rasche Erfolge erzielen, und es gelingt ihm! Nehmen S' sich ein Beispiel! Jetzt muß man halt bißl antauchen! Bei die Deutschen hams den Sinusstrom – mir san ja eh die reinen Lamperln! Humanität hin, Humanität her, das is ja alles recht schön, aber wie reimt sich das mit dem Patriotismus? Jetzt is Krieg und da ist es die oberste Pflicht des Ärztestandes, mit gutem Beispiel voranzugehn und das Menschenmaterial aufzufüllen. Der Oberstabsarzt beklagt sich, daß Sie den medizinischen Standpunkt hervorkehren. Er hat Ihnen kollegial begreiflich zu machen gesucht, daß ein C-Befund in den Schützengraben ghört, er sagt, daß das immer ein Gwirks mit Ihnen is. Da möcht ich Sie nur fragen – haben Sie vielleicht Lust, in ein Fleckspital nach Albanien abzugehn? Na alstern! Vom medizinischen Standpunkt können S' ja von mir aus recht haben – wie neulich wo Sie sich kapriziert haben, weil also der Mann Lungenbluter is und Familienvater und so – aber hier ist ausschließlich der militärische Standpunkt maßgebend! Die Verantwortung übernehmen wir! Oder der Nierenkranke – hammer ein Gspaß ghabt – tun S' Ihnen nix an! Der Mann hat seine fünfzig Schuß zu machen, nacher kann er hin sein! Der Allerhöchste Dienst erfordert, daß jeder, der gehn kann, nicht länger hier herumliegt, als wie unbedingt nötig ist – die Schkrupeln heben Sie sich für den Frieden auf! Solange das Vaterland in Gefahr ist, hat jeder auf seinem Posten zu stehn, wie ich selbst, da kenn ich keinen Unterschied, krutzitürken! – Jetzt wern die Feldwebeln die Salutierübungen mit euch vornehmen, und daß ich von kein' Anstand hör also – über mich hat sich noch keiner zu beklagen ghabt – ja wenn statt meiner der Medinger von Minenfeld hier regieren tät oder der Gruber von Grünkreuz, ujegerl! Was wollts haben? Zu essen habts, Suppen, feins Dörrgemüse und a Schalerl Tee a no, da hat sich noch keiner beschwert. No ja die Zeit wird euch lang, bis ihr wieder hinauskommts, um euch gut zu schlagen. Aber eben dafür sind die Salutierübungen! Und die, denen es nicht vergönnt ist, die was also nicht mehr hinauskönnen, um sich gut zu schlagen, für das Vaterland, für die hat das Vaterland vorbildlich gesorgt. 6 Heller per Tag, ohne was arbeiten zu müssen, no is das vielleicht nix? No und wenn einer brav is, kriegt er sogar eine Prothesen und nachher wenn er mit gutem Beispiel vorangeht, wird er zu seinem Ersatzkörper zurückinstradiert. Mir san ja eh die reinen Lamperln – könnts eh noch froh sein, daß mr nicht bei die Deutschen sein, sonst müßt ich euch habtacht liegen lassen! Das bißl Salutieren, bevor einer wieder hinauskommt, hat noch keinen umbracht. So – gut is für heut! (Ab.)

(An einem Bett nimmt der Feldwebel Salutierübungen vor. An einem andern ist der Feldkurat beschäftigt.)

(Verwandlung.)

42. Szene

Der Optimist und der Nörgler im Gespräch.

Der Optimist: Die bekannte Frage »Was suchen wir in Albanien?« –

Der Nörgler: – kann ich Ihnen beantworten. Die Malaria.

Der Optimist: Glauben Sie, daß in Albanien nichts anderes zu holen ist?

Der Nörgler: O ja, auch Flecktyphus.

Der Optimist: Dort unten aber –

Der Nörgler: – ist's fürchterlich.

Der Optimist: Albanien diente uns doch vorwiegend als –

Der Nörgler: – Strafkolonie. »Nach Albanien mit ihnen!« war eine Verschärfung der Ehre, fürs Vaterland zu sterben.

Der Optimist: Wenn wir nach Albanien gehn, so ist eines sicher –

Der Nörgler: Der Tod.

Der Optimist: Unter unsern Truppen in Albanien herrschte, und dafür bürgt schon der Name Pflanzer-Baltin –

Der Nörgler: – Ein Massensterben.

Der Optimist: Wir hatten bekanntlich große politische Interessen in Albanien und außerdem –

Der Nörgler: Verwanzte Baracken.

Der Optimist: Aber unsere Offiziere in Skutari sollen sehr gut untergebracht gewesen sein und waren bekannt durch –

Der Nörgler: Hurentreiben.

Der Optimist: Was die Sanitätsverhältnisse in Albanien betrifft, die Sie in so düsteren Farben schildern, so habe ich mir im Gegenteil sagen lassen, daß die Feldspitäler leer standen.

Der Nörgler: Weil man die Malariakranken ohne Behandlung sterben ließ.

Der Optimist: Der Armeesanitätschef der Armeegruppe Albanien hat sich im Gegenteil dagegen gesträubt –

Der Nörgler: – daß die Kranken im Sommer abgeschoben werden.

Der Optimist: Er war aber dafür bekannt, daß er gesunde Soldaten –

Der Nörgler: – ohne Aburteilung erschießen ließ, wenn sie Konserven stahlen.

Der Optimist: Es wurde immerhin dafür gesorgt –

Der Nörgler: – daß für die Offiziere ein Feldkino errichtet werde.

Der Optimist: Der Krankenabschub, von dem Sie sprechen, ist tatsächlich durchgeführt worden, allerdings erst –

Der Nörgler: – bei der Flucht.

Der Optimist: Sie meinen den strategischen Rückzug. Was die Transportmittel anlangt, die dabei in Verwendung kamen, so war es freilich schwer, die ungeheuren Massen Kranker –

Der Nörgler: – die es bis dahin nicht gegeben hat, zu übersehen.

Der Optimist: Man half sich aber, indem man, da die paar Spitalschiffe zum Abtransport nicht ausreichten, in Automobilen –

Der Nörgler: – die Offiziersbagage des Armeekommandos beförderte.

Der Optimist: Was meinen Sie?

Der Nörgler: Ich meine die gestohlenen Möbel.

Der Optimist: Ach so. Die kranken Mannschaften freilich –

Der Nörgler: – hatten durch Dreck und Kot zu marschieren.

Der Optimist: Es war ihnen aber gestattet –

Der Nörgler: – am Straßenrand liegen zu bleiben, um eine längere Ruhe zu finden.

Der Optimist: Dies geschah ausnahmsweise, ohne daß –

Der Nörgler: – ohne daß Kaisers Geburtstag oder ein Jubiläum des Regierungsantrittes vorangegangen war. Denn sonst pflegt der Rückzug einer österreichischen Armee, speziell ein albanisches Schrecknis tausendfältigen Qualentods in Hunger und Dreck, mit einem dynastischen Datum verknüpft zu sein; als ob es nicht selbst eines wäre.

Der Optimist: Wie das?

Der Nörgler: Seit BelgradBelgrad – Hauptstadt Serbiens, am 2. Dez. 1914 von österr.-ungar. Truppen eingenommen, am 8. Dez. wieder geräumt hat das Bedürfnis österreichischer Generale, nebst ihrer eigenen verbrecherischen Dummheit Seiner Majestät eine Stadt zu Füßen zu legen, aus der sie am nächsten Tag wieder heraus müssen, dort unten Feste gefeiert.

Der Optimist: Sie scheinen nicht zu wissen, daß derartige Gelegenheiten dem Opfermut des Frontkämpfers zugleich ein Ansporn und eine Entschädigung sind. Wenn es auch in der weiteren Entwicklung eines solchen Ereignisses, das im Kalender des Vaterlands rot angestrichen ist, an Transportmitteln, Labestationen, Verpflegung und Unterkunft gemangelt haben mag – Krieg ist Krieg –, so ist doch nicht zu leugnen –

Der Nörgler: – daß der persönliche Train des Armeekommandanten fünfundzwanzig Fuhrwerke betrug, für die ein Hauptmann zu sorgen hatte.

Der Optimist: Woher weiß man das?

Der Nörgler: Aus dem Tagebuch eines Arztes, der in Albanien, wo es keine Gesunden gab, keine Kranken für sein Spital bekommen konnte.

Der Optimist: Es muß nicht so arg gewesen sein, wenn er selbst davongekommen ist. Wie ist er denn zurückgelangt?

Der Nörgler: Fieberkrank, in einem Lastautomobil, hoch oben auf der Kiste, die das Klavier der Korpsmesse enthielt, gestohlen bei –

Der Optimist: Nun, wenn ich auch leider zugeben muß, daß die Frage, was wir in Albanien suchen, durch die Ereignisse in ziemlich ungünstigem Sinne beantwortet worden ist, wiewohl wir doch unstreitig in Albanien große politische Interessen haben, so sollten Sie doch nie vergessen, das Letzte, was dem Stabsoffizier geblieben ist, ist –

Der Nörgler: Sein Klavier!

(Verwandlung.)

43. Szene

Kriegspressequartier.

Ein Hauptmann (zu einem von den Journalisten): Dokterl, heut gibts keine Würschteln, heut müssen S' einen Artikel schreiben, was sich gewaschen hat, und zwar Hygienische Betrachtungen. Alstern notieren S' Ihnen die Richtlinien. (Er liest ab.) Der Siegeszug in Galizien, die Eroberung von Lemberg waren mitbestimmend für die weitere Entwicklung der Hygiene bei unserer Armee. Was, da schaun S'!

Der Journalist: Is denn Lemberg schon wieder noch in unserem Besitz?

Der Hauptmann: Wie Sie das ausführen, is Ihre Sache. Solange in den Karpathen das heiße Ringen währte, gab es also naturgemäß weniger Möglichkeit für die Organisation hygienischer Detailarbeit. Unter dem schweren Drucke der allgemeinen Situation konnte die Sorge um den einzelnen Mann nicht in dem gewünschten Maße zur Geltung kommen. Die Parole war: Durchhalten um jeden Preis, ohne Rücksicht auf den einzelnen Mann, welcher in der Front nur so lange von Bedeutung war, als er kämpfte. Es war in jener schweren Zeit nicht anders möglich. Da waren s' halt alle verlaust. jetzt, wo wir aus'n Wasser sind, kann die Hygiene beispielgebend einsetzen. In jenen schweren Tagen wurde die Saat gelegt für ein großzügiges Wirken zur Erhaltung des Mannes, welcher so schwer zu kämpfen und zu leiden hatte. In den Sonnentagen der Wiedereroberung Lembergs kam der Keim zur ungehemmten Entfaltung. Das Gefühl unendlicher Dankbarkeit für die heldenmütigen Kämpfer, das Bewußtsein, nach schweren Verlusten unbedingt mit jedem Mann haushalten zu müssen, gaben Veranlassung, mit allen Kräften und mit allen Mitteln zur Erhaltung der Gesundheit und Leistungsfähigkeit des einzelnen Mannes zu wirken. Jetzt erzählen S', wie wir mit der Cholera fertig gworn sind. So wurde hygienisches Denken und Schaffen innig und überall mit der ärztlichen Tätigkeit verwoben. Aber jetzt! Jetzt kommt der Entlausungsdienst! Jeder Mann bekam etwa alle vier Wochen ein Bad oder wissen S' was, jede zweite Woche. Die Arbeit war überall eine systematische. Die Desinfektion war eine Prophylaxe gegen die durch Kontakt übertragbaren Infektionskrankheiten. Großartig, was? Das is von einem Oberstabsarzt! Der verstehts! Das regelmäßige Bad, oft gewürzt durch Kinovorstellungen, hatte einen hohen seelischen Einfluß auf die Mannschaften, hob ihre Leistungsfähigkeit und Dienstfreude. Ein wichtiger Schritt nach vorwärts zur Erhaltung des Mannes. Ich gib Ihnen nur die Richtlinien, das Weitere is Ihre Sache. Doch es gab kein Stillstehen. Die Front is mit der Zeit zu einem Erholungsheim ausgebaut worn. Oft waren s' in sonniger Waldgegend, Freibad hätten s' g'habt und Sonnenbad und es war gedacht, diese Einrichtung auch durch Unterricht und Musik, Bibliothek, Sport und Theater auszugestalten, wo Gelegenheit gewesen wäre, manches wichtige volkshygienische Problem der jetzt so empfindlichen und aufnahmsfähigen Soldatenseele näherzubringen, als elementare soziale Vorarbeit für die Zukunft. Das Projekt harrt noch der Verwirklichung! Wenn ruhigere Zeiten kommen, wird es unsere erste Arbeit sein. Das müssen S' sehr schön herausarbeiten. Wir sehen, daß ein Teil der Maßnahmen darauf hinzielt, dem Mann in der Front eine Heimat zu schaffen. Der stete fürsorgliche, kameradschaftliche Kontakt zwischen Offizier, Arzt und Mann schafft den Boden für ein günstiges Gedeihen.

Der Journalist: Der Infektionskrankheiten, Herr Hauptmann?

Der Hauptmann: Machen S' keine Gspaß. Die enge Zusammengehörigkeit zwischen Offizier, Arzt und Mann ist nicht vielleicht ein Problem, das erst der Realisierung harrt. Der Arzt ist nicht mehr allein »Doktor«, sondern er ist bestimmt, über seine rein ärztliche Tätigkeit hinaus, den Mann in jenem körperlichen und seelischen Gleichgewicht zu erhalten, welches für Siegerringen und Leidertragen dauernden Rückhalt bietet. Die Zugänge an Infektionskrankheiten sind seit Monaten nur mehr vereinzelt. Einzig und allein die Geschlechtskrankheiten sind es, die uns noch Sorge bereiten. (Kichern.) Ihre erfolgreiche Bekämpfung ist jedenfalls das allerwichtigste Problem, das uns bisher entgegengetreten. Und doch dürfen wir wegen der scheinbaren Aussichtslosigkeit des Kampfes gegen die Geschlechtskrankheiten die Hände nicht in den Schoß legen. (Heiterkeit.) Bedenken wir, daß sich während dieses Feldzuges wohl schon eine namhafte Anzahl Soldaten venerisch infiziert haben, bedenken wir, daß die Volkszahl ohnehin unmittelbar durch den Krieg einen Verlust an vielen im kräftigsten Mannesalter stehenden Soldaten eingebüßt hat, so ist es klar, daß wir mit allen Mitteln den durch die Geschlechtskrankheiten bedingten Schäden entgegentreten müssen. Wenn auch die zur Erhaltung des Mannes geleistete Arbeit schon dem Volke zugute kommt, so ist die Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten ein wichtiges Postulat zur Erhaltung des Volkes. Der große Ernst der Sachlage erfordert, überall tunlichst gleichsinnig und rücksichtslos energisch einzugreifen. Von den Maßnahmen zur Erhaltung des Mannes und im weiteren Sinne zur Erhaltung des Volkes, die unter der Ägide unseres Armeekommandanten Sr. Exzellenz des Generalobersten von Böhm-Ermolli ergriffen wurden und auch den Stempel der Persönlichkeiten unseres Armeesanitätschefs sowie des Chefs der Quartiermeisterabteilung tragen, gehört nebst den prophylaktischen Stationen und dem Zentralspital mit erstklassigem Personal und therapeutischem Rüstzeug eine Einrichtung, durch die wir speziell unentwegt werden wirken können für die Erhaltung des Mannes und für die Wiedererstarkung des Volkes, eine Einrichtung, in der die Sonnentage der Wiedereroberung Lembergs reichliche Früchte getragen: Wir haben – und das können S' grad so schreiben, wie ichs sag und wie ichs vom Oberstabsarzt hab – wir haben Bordelle mit einwandfreiem Material unter strengster militärischer Kontrolle etabliert.

(Verwandlung.)

44. Szene

Armee-Ausbildungsgruppe Wladimir-Wolinsky

Ein Hauptmann (diktiert einer Schreibkraft): Es ist der gesamten Mannschaft an drei aufeinanderfolgenden Tagen zu verlautbaren, daß venerische Erkrankungen als Selbstbeschädigungen kriegsgerichtlich belangt werden, und um dieser Verfügung Nachdruck zu verleihen, sind in jedem einzelnen Falle die erkrankten Leute beim A. A. Grp. Kmdo. vorzustellen. Für die in letzter Zeit vorgekommenen Erkrankungen, welche nachgewiesener Maßen künstlich erzeugt oder absichtlich herbeigeführt wurden, wird angeordnet, daß die Betreffenden körperlich zu züchtigen sind, und wird die Prügelstrafe, mit fünf Stockstreichen beginnend, täglich um einen Streich erhöht und so lange verabreicht, bis die Krankheitssymptome erlöschen.

Die erste Züchtigung ist heute um 2 h nachm. an nachfolgenden Leuten durchzuführen. – Da haben S' den Zettel, schreiben S' es ab.

Vollzugsorgan ist der Profoß, dem zwei kräftige Leute der technischen Kompagnie zur Verfügung zu stellen sind.

(Verwandlung.)

45. Szene

Bei Graf Dohna-Schlodien. Um ihn zwölf Vertreter der Presse.

Ein Vertreter der Presse: Wir schätzen uns glücklich, Herr Graf, aus dem Munde eines unserer unsterblichsten Helden eine authentische Schilderung der glorreichen Fahrt mit der »Möwe« zu empfangen, von der noch die Kinder und Kindeskinder den Enkeln in den fortlebenden Annalen erzählen werden. (Sie setzen die Bleistifte an.)

Dohna: Meine Herrn, ich bin ein Mann der Tat und nicht der vielen Worte. Als wesentlich mögen Sie das Folgende festhalten. Auf Grund der eingegangenen Aufklärungsnachrichten hatte ich mir für meine Fahrt einen ziemlich genauen Plan gemacht. Ich hatte denn auch gleich am ersten Tage das Glück, einen großen Dampfer zu sichten. Es war dies, wie bereits bekannt, der Dampfer Voltaire. Ich ließ die Nacht vergehen, ehe ich mich an den Voltaire heranmachte.

Eine Stimme aus der Gruppe: Bravo!

Dohna: Später konnte ich dann den Voltaire unschädlich machen. Ich kreuzte dann etwa zehn Tage im Nordatlantischen Ozean, konnte aber in den ersten drei Tagen kein weiteres Schiff sichten; später jedoch habe ich jeden Tag etwa einen Dampfer abtun können. Die Schiffe hatten sämtlich wertvolle Ladung, zum Teil Kriegsmaterial; eines von ihnen hatte eine Ladung von 1200 Pferden.

Ein Vertreter der Presse: Richtich gehende Pferde? 1.200 Pferde, Herr Graf?

Dohna: 1200 –! (Gebärde des Untertauchens.)

Die Vertreter der Presse (durcheinander): Donnerwetter noch mal! – Richtich gehende Pferde! – Hurra! – Schneidiger Rekord! – Elegant!


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