Karl Kraus
Die letzten Tage der Menschheit
Karl Kraus

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Vorspiel

1. Szene

Wien. Ringstraßenkorso. Sirk-Ecke. Ein Sommerfeiertagabend. Leben und Treiben. Es bilden sich Gruppen.

Ein Zeitungsausrufer: Extraausgabee –! Ermordung des Thronfolgers!Thronfolger – Franz Ferdinant d'Este, der öster.-ung. Thronfolger. War beim Adel unbeliebt, seine Ermordung am 28.07.1914 war der Vorwand zum Weltkrieg I. Da Täta vahaftet!

Ein Korsobesucher (zu seiner Frau): Gottlob kein Jud.

Seine Frau: Komm nach Haus. (Sie zieht ihn weg.)

Zweiter Zeitungsausrufer: Extraausgabee –! Neue Freie Presse! Die Pluttat von Serajevo! Da Täta ein Serbee!

Ein Offizier: Grüß dich Powolny! Also was sagst? Gehst in die Gartenbau?

Zweiter Offizier (mit Spazierstock):Woher denn? G'schlossen!

Der Erste (betroffen): G'schlossen?

Ein Dritter: Ausg'schlossen!

Der Zweite: Wenn ich dir sag!

Der Erste: Also was sagst?

Der Zweite: Na gehn mr halt zum Hopfner.

Der Erste: Selbstverständlich – aber ich mein, was sagst politisch, du bist doch gscheit –

Der Zweite: Weißt, no wer' mr halt (fuchtelt mit dem Spazierstock) – a bisserl a Aufmischung – gar nicht schlecht – kann gar nicht schaden – höxte Zeit –

Der Erste: Bist halt a Feschak. Weißt, einer wird ganz aus'n Häusl sein, der Fallota, der was –

Ein Vierter (tritt lachend hinzu): Grüß dich Nowotny, grüß dich Pokorny, grüß dich Powolny, also du – du bist ja politisch gebildet, also was sagst?

Der Zweite: Weißt, diese Bagasch hat Umtriebe gemacht ganz einfach.

Der Dritte: Weißt – also natürlich.

Der Vierte: Ganz meine Ansicht – gestern hab ich mullattiert –! habts das Bild vom Schönpflug gsehn, Klassikaner!

Der Zweite: Weißt, der Fallota das ist dir ein Patriot, der sagt immer, es genügt nicht, daß man seine Pflicht erfüllt, man muß ein Patriot sein unter Umständ. Wenn der sich was in den Kopf setzt, da gibts keine Würschtel. Weißt was ich glaub? Wern mer halt schwitzen müssen die Täg. No von mir aus!

Der Dritte: Was is mit'n Hopfner?

Der Vierte: Du, hast die zwei Menscher gekannt da?

Der Zweite: Weißt, der Schlepitschka von Schlachtentreu, der is furchtbar gebildet, der liest dir die Presse also auswendig von A bis Z, er sagt wir sollen auch lesen, dort steht sagt er, wir sind für den Frieden wenn auch nicht für den um Frieden um jeden Preis, du is das wahr? (Eine Büfettdame geht vorüber.) Du schau, das ist das Mensch wo ich dir erzählt hab was ich umsonst gehabt hab neulich. (Der Schauspieler Fritz Werner geht vorüber.) Djehre!

Der Dritte: Du mir scheint den kenn ich nicht.

Der Vierte: Den kennst nicht? Geh mach keine Gspaß den kennst nicht! Das is doch der Werner!

Der Dritte: Klassisch, weißt was ich mir eingebildet hab, ich hab mir eingebildet, das is der Treumann!

Der Erste: Geh hör auf! Wie kann man denn den Treumann mit dem Werner verwechseln!

Der Zweite: Siehst du, weil du nicht Logik studiert hast – er hat doch konträr den Werner mit dem Treumann verwechselt.

Der Dritte: Weißt, nein – wart (denkt nach). Weißt überhaupt was meine Ansicht is? »Husarenblut« is besser wie »Herbstmanöver«!

Der Zweite: Hör auf.

Der Erste: Du, du bist ja furchtbar gebildet, also –

Der Vierte: Also natürlich war das der Werner!

Der Erste: Du bist ja furchtbar gebildet –

Der Zweite: Warum?

Der Erste: Warst schon beim »Lachenden Ehemann«? Kennst auch den Marischka?

Der Zweite: Leider nicht.

Der Erste: Kennst auch den Storm?

Der Zweite: Aber selbstverständlich.

Der Vierte: Gehts, stehts nicht herum bei der Potenz-Ecken. Gehn wir zum Hopfner, wenn also die Gartenbau –

Der Dritte: Kennst auch den Glawatsch? (Im Gespräch ab.)

Ein Zeitungsausrufer (kommt im Laufschritt): Tagblaad – da Thronfolga und Gemalin ermordet bittä –!

Der Agent: Was fangt man mit dem angebrochenen Abend an?

Ein Zweiter: Venedig soll offen sein.

Der Erste: Also schön, steig ma in eine BK und fahr ma nach Venedig.

Der Zweite: Ich weiß nicht, ich bin doch etwas nerves, bevor man nicht gehert hat –

Der Erste: Hert ma doch unten! Im Imperial haben sie auf Melpomene getippt, den ganzen Tag gestern sind sie einem in die Ohren gelegen mit Melpomene. Aber mise Vögel, Sie wissen doch – chab genug Lehrgeld gezahlt – dort geht Fischl (er ruft zur Allee hinüber) Fischl, Melpomene?

Fischl: Nu na nicht!

Der Erste: Der Schlag soll Sie treffen.

Fischl: Nach Ihnen. Glaukopis – zweiter!

Ein Wiener: (zu seiner Frau): Aber laß dir doch sagen, er war nicht beliebt –

Seine Frau: Marandjosef, warum denn?

Der Wiener: Weil er nicht papolär war. Der Riedl selber hat mir erzählt – (ab.)

Ein alter Abonnent der Neuen Freien Presse (im Gespräch mit dem ältesten Abonnenten): Schöne Bescherung!

Der älteste Abonnent: Was heißt Bescherung? (Sieht sich um.) Besser wird alles! Es wird eine Zeit wie unter Maria Theresia kommen, sag ich Ihnen!

Der Alte: Sagen Sie!

Der Älteste: Wenn ich Ihnen sag!

Der Alte: Ihnen gesagt! Aber – um Gotteswillen – Serbien! Mein Jüngster!

Der Älteste: Erstens ist ein Krieg heutzutag ausgeschlossen und dann – grad ihn wern sie nehmen! Warum, ma hat nicht genug andere? (murmelt) Gott, du bist gerecht! Ich – freu mich morgen am Leitartikel. Eine Sprache wird er finden, wie noch nie. Wie Lueger gestorben is, wird nix dagegen sein. Jetzt wird er endlich reden können frei von der Leber, wenn auch selbstredend vorsichtig. Aber allen wird er aus dem Herzen reden, sogar den Gojims sag ich Ihnen, und sogar den höheren Gojims und sogar den höchsten und denen ganz besonders. Er hat gewußt, was am Spiel steht, er jo!

Der Alte: Man soll's nicht berufen. Vielleicht is es nicht wahr.

Der Älteste: Pessimist Sie! (Beide ab.)

Einige Betrunkene (drängen sich durch die Passanten): Grüß enk Good allamitanandaa! Nieda! Nieda mit Serbien! Hauts es zsamm! Hoch!

Vier Burschen und vier Mädchen Arm in Arm: Er ließ schlageen eene Bruckn daaß man kont hiniebaruckn Stadtunfestung Belgerader ließ schlagen einen Brucken – aus dem Lied »Prinz Eugenius, der edle Ritter« von 1717 –

Die Menge: Hoch! (Fritz Werner kommt zurück und dankt grüßend) Hoch Werner!

Fräulein Löwenstamm: Geh jetzt zu ihm und bitt ihm.

Fräulein Körmendy (nähert sich): Ich bin nämlich eine große Verehrerin und möcht um ein Autogramm –

(Werner zieht einen Notizblock, beschreibt ein Blatt und überreicht es ihr. Ab.)

So lieb war er.

Fräulein Löwenstamm: Hat er dich angeschaut? Komm weg aus dem Gedränge, alles wegen dem Mord. Ich schwärm nur für den Storm! (Ab.)

Ein Zeitungsausrufer: Extraausgabee –! Eazheazog Franz Ferdinand –

Ein Gebildeter: Kolossaler Verlust wird das sein für die Theater, das Volkstheater war total ausverkauft –

Seine Frau: Schön verpatzter Abend, wärn wir zuhausgeblieben, aber du, du bist ja nicht zu halten –

Der Gebildete: Ich staune über deinen Egoismus, einen solchen totalen Mangel an sozialem Empfinden hätte ich bei dir nicht vorausgesetzt.

Die Frau: Du glaubst vielleicht ich intressier mich nicht, selbstredend intressier ich mich, im Volksgarten essen hat gar keinen Sinn, wenn sowieso keine Musik is geht man gleich zu Hartmann –

Der Gebildete: Immer mit deinem Essen, wer hat jetzt Gedanken – Du wirst sehn was sich da tun wird, Kleinigkeit –

Die Frau: Wenn man nur wird sehn können!

Der Gebildete: Ein Begräbnis wird das doch sein, wie es noch nicht da war! Ich erinner mich noch wie der Kronprinz – (ab.)

Poldi Fesch (zu seinem Begleiter): Heut wird gedrahtt – gestern hab ich mit dem Sascha Kolowrat gedraht, morgen drah ich mit dem – (ab.)

Ein Wachmann: Bitte links, bitte links!

Ein Zeitungsausrufer: Reichspost! Zweate Oflagee! Die Ermordung des Thronfolgapaares!

Ein Kleinbürger: Leben und leben lassen! Also natürlich für den Wiener, für den kleinen Mann, war das nicht das richtige. Wofern, das kann ich dir also aufklären verstehst du. Denn warum? Der Wiener is gewohnt, daß man ihm seine Gewohnheiten loßt. Er herentgegen – der Hadrawa hat ihm einmal erkannt, wie er einmal, also natürlich im Kognito war, da is er sogar nach der Tax gfahren und hat Trinkgeld geben wie ein Prifater, aber nicht um a Sexerl mehr sag ich dir.

Zweiter Kleinbürger: Hör auf!

Der Erste: Und in die bessern Gschäfte hat er auch nicht mehr zahln wolln. Das war einer! Glaubst, der hätt sich von unseran überhalten lassen? Der hätt sich hergstellt mit unseran! Wo unseraner doch auch leben will! Nix hat er auslassn. Nicht um die Burg! Also das is Gefühlssache. I sag, leben und leben lassen und dafür stirb i. Denn warum? Der kleine Mann –

Ein Zeitungsausrufer: Extraausgabee –!

Der Kleinbürger: Her mitn Bladl! kost –?

Der Zeitungsausrufer: Zehn Heller!

Der Kleinbürger: An Schmarrn! Wurzerei. Steht eh nix drin. Du – pst – schau dir dös Madl an, sauber, wos? Die Gspaßlaberln! Da kann sich meine Alte also natürlich vastecken.

Zweiter: Hör mr auf, das is eine Protestierte!

Erster: Da schau her, vorm Bristol stehn Leut, gehma hin, da muß eine Persönlichkeit sein. (Ab.)

Ein Wachmann: Bitte links, bitte links!

Ein Reporter (zu seinem Begleiter): Hier nimmt man am besten die Stimmung auf. Wie ein Lauffeuer, sehn Sie, hatte sich am Korso die Nachricht verbreitet, wo sich die Wogen brechen. Das fröhliche Leben und Treiben, das sich sonst um diese Stunde zu entfalten pflegte, verstummte mit einem Male, Niedergeschlagenheit; das Gefühl tiefer Erschütterung, zumeist aber stille Trauer, konnte man von allen Gesichtern ablesen. Unbekannte Leute sprachen einander an, man riß sich die Extrablätter aus der Hand, es bildeten sich Gruppen –

Zweiter Reporter: Da möcht ich so vorschlagen: In den Alleen der Ringstraße sah man Gruppenbildungen von Leuten, die das Ereignis besprachen. Wachleute zerstreuten die Gruppen und erklärten, daß sie weitere Gruppenbildungen nicht dulden würden. Hierauf bildeten sich Gruppen und das Publikum begann sich zu massieren – sehn Sie, dort!

(zwischen einem Fahrgast und einem Fiaker, vor dem Hotel Bristol, hat sich ein Wortwechsel entsponnen, die Passanten nehmen Partei, man hört Pfui-Rufe.)

Ein Zeitungsausrufer: Extraausgabee –! Der Thronfolger und seine Gemahlin von Verschwörern ermordet!

Der Fiaker: Aber Euer Gnaden! An so an Tag –!

(Verwandlung.)

2. Szene

Café Pucher. An demselben Abend vor Mitternacht. Das Kaffeehaus ist beinahe leer; nur zwei Tische sind besetzt. An dem einen hat ein Prokurist des Bankvereins soeben Platz genommen. An dem andern sitzen zwei glatzköpfige Herren, die, jeder eine Zigarre mit Papierspitz im Mund, in die Lektüre von Witzblättern vertieft sind. Die Kassierin schläft. Ein Kellner fuchtelt zum Scherz mit dem »Hangerl« vor ihrem Gesicht. Ein anderer wird vom Kaffeekoch mit einem Fetzen aus der Küche gejagt, worüber der Zahlkellner und der Koch in Gelächter ausbrechen.

Der Zahlkellner Eduard: Seids in ein Tschecherl? Schamts euch! Die Minister lesen, schamts euch, und die Fräuln Paula schlaft!

Der Prokurist: Sie!

Eduard: Herr von Geiringer?

Der Prokurist: Eine Trabukko und eine Extraausgabe!

Eduard (zieht die Zigarrentasche und die Zeitung aus der inneren Rocktasche hervor und sagt): Ein Trabukkerl und etwas fürs Gemüt!

Der Prokurist: War niemand da? Wieso is heut so stier? Nicht einmal der Dokter Gomperz?

Eduard: Niemand Herr von Geiringer.

Der Prokurist: Hat wer telephoniert?

Eduard: Bisher nicht. Jedenfalls das schöne Wetter – vielleicht über die Feiertäg die Herrn einen Ausflug –

Der Prokurist: Was für ein Feiertag is denn heut?

Eduard: Peter und Paul, Herr von Geiringer.

(Während die beiden ihr Gespräch fortsetzen, ist ein Fremder eingetreten. Er hat an einem Tisch vis-à-vis den beiden älteren Herren Platz genommen. Ein Kellner bringt Kaffee.)

Der Fremde: Sie Markör, wer sind denn die beiden älteren Herren, die kommen mir so bekannt vor –

Franz (sich über den Gast beugend): Das is der Ministertisch. Der Herr mit dem Zwicker, der was das Kleine Witzblatt liest, is seine Exlenz der Minister des Innern, und der Herr mit dem Zwicker, der was den Pschütt studiert, das is seine Exlenz der Herr Ministerpräsident.

Der Fremde: So! Sind die nur heute da, wegen des Ereignisses, oder immer?

Franz: Jeden Abend bereits, na ja, die Exlenzen sind hauptsächlich Junggesellen.

Der Fremde: So! Und wer ist der Herr, der grad dazukommt?

Franz: Ah is scho da – das is Seine Exlenz der Direktor der Kabinettskanzlei.

Der Fremde: So!

(Franz stürzt davon und bringt dem Direktor der Kabinettskanzlei eine Limonade und das Interessante Blatt. Nach einer Weile sagt)

Der Ministerpräsident (indem er die Prchütt-Karikaluren beiseite gt): Nix besonderes heut.

Der Minister des Innern (gähnt und sagt): Fad!

Der Ministerpräsident: Überhaupt, bis so ein Tag vorüber is!

Der Direktor der Kabinettskanzlei: Man spürt scho die Hundstäg.

Der Ministerpräsident (nach einer Pause des Nachdenkens): Ein Communiqué denk ich wird halt doch nötig sein denk ich. Wegen der Maßnahmen, die die Regierung zu der durch die Ereignisse geschaffenen Situation ins Auge gefaßt hat, zu deren Besprechung die Mitglieder des Kabinetts in längerer Konferenz beisammen verblieben und so.

Der Minister des Innern: Tunlichst.

Der Ministerpräsident: Eduard!

Der Minister des Innern: Welche Maßnahmen werden wir denn treffen?

Der Ministerpräsident: Das wird vom Communiqué abhängen. Sie Eduard!

Eduard: Befehlen Exlenz?

Der Ministerpräsident: Gibts denn heut gar nix Neues? Bringen S' die – wie heißt's denn?

Eduard (unter den Witzblättern am Tisch suchend): Fehlt denn noch was Exlenz? Richtig!

(Er geht zum Zeitungsschrank. Währenddessen nähert sich der Prokurist dem Ministertisch und zieht den Minister des Innern, der sich erhoben hat, ins Gespräch. Eduard winkt den Kellner Franz herbei, der eben mit einem Fetzen aus der Küche gejagt wurde und sich anschickt, der schlafenden Kassierin mit dem Hangerl vor dem Gesicht zu fuchteln.)

Eduard: Hörts denn no net auf? Seids in ein Tschecherl? Schamts euch! (Er sucht weiter im Zeitungsschrank.) Wo habts denn wieder die Illustrierten hinmanipuliert? Für den Ministertisch die Bombe!

(Verwandlung.)

3. Szene

Kanzleizimmer im Obersthofmeisteramt. Nepalleck, ein Hofrat, am Schreibtisch. Er telephoniert, sich dabei fortwährend vor dem Apparat verbeugend, fast in ihn hineinkriechend.

Nepalleck: Begräbnis dritter Klasse – Versteht sich Exlenz – Exlenz können unbesorgt sein – Durchlaucht hat sofort die Initiative ergriffen – wie? Pardon Exlenz wie? Man versteht heut wieder so schlecht – Kruzitürken, Fräulein, Hofgespräch, das is ein Skandal! – Pardon Exlenz, es war unterbrochen – ja-ja-ja – zu dienen – wird besorgt – aber natürlich – abgewunken – allen – selbstverständlich – Durchlaucht hat sofort die Initiative ergriffen – natürlich – Durchlaucht wird hocherfreut sein – Alles im Sinne von Seiner Durchlaucht – Exlenz können sich verlassen – nein, nein, keiner von die Monarchen – auch keine Mitglieder – nein, auch keine Verwandten – natürlich – Wie? – nein, alle wollten – keiner kommt – A Großfürst war schon reisefertig, aber wir haben es zum Glück noch rechtzeitig verhindern können – ginget uns ab, die möchten uns da mit Aufklärungen – daß' am End nur ja zu kan Krieg kommt – Wie? schon wieder unterbrochen, Kruzitürken, is das ein Pallawatsch! – ja, auch von England – nein, niemand – keine Katz von an Hof – nur die Botschafter und so Leut – selbstverständlich auch das mit Auswahl, wo man schon nicht nein sagen kann – wer mr scho machen – tüchtig gesiebt, tüchtig – nach Tunlichkeit – Raumrücksichten – mein Gott, die kleine Kapelle, ham mr an Gspaß ghabt – Der Wortlaut? Gleich bitte. (zieht einen Zettel aus der Tasche.) »Beschränkungen der Delegierungen auswärtiger Fürstenvertreter und militärischer Delegierter, die mit Rücksicht auf den verfügbaren Raum –« Wie? Natürlich, selbstverständlich, das wird die bitterste Enttäuschung sein, keine offizielle und keine allgemeine Beteiligung des Militärs – Wie, Exlenz? In Belgrad? No ja, die werns kurios finden – sehr richtig, solln s' draufhin nur noch mehr frech wern gegen uns – wir haben gar nichts dagegen, nicht wahr, Exlenz? – So ist es! – Sehr gut, Exlenz, famos, Begräbnis dritter Klasse Nichtraucher – famos, muß ich Durchlaucht erzählen, Durchlaucht wird sich kugeln – wir haben eh die größten Scherereien mit der Einsegnung – ja der böhmische Adel, bißl zudringlich von die Herrn – die Spezi und die Verwandtschaft – was wir geantwortet haben? Durchlaucht hat sofort die Initiative ergriffen. Ganz einfach, außer dem Allerhöchsten Hof und den Offiziellen hat höchstens noch der Vormund Zutritt – Wie? die Kinder? nein, Durchlaucht is dagegen wegen der Plaazerei – Wie? ja die Herrschaften wollen zu Fuß mitspazieren – natürlich sehr unangenehm für Durchlaucht, fast eine Demonstration – Sehr gut, die Arbeitslosen! Muß ich Durchlaucht erzählen, Durchlaucht wird sich kugeln – Wie meinen Exlenz? Wurscht? Und wie! Savaladi! – Aber natürlich, kein Mensch kann was sagen – allen Formalitäten genügt – allerhöchstes Ruhebedürfnis ganz einfach – justament, solln s' sich giften – selbstverständlich – Thronfolgerbegräbnis ist eben dritter Klasse, da gibts keine Würschtel – zu Fleißaufgaben haben wir gar keine Ursache – ja apropos Exlenz haben von der unverschämten Zumutung seiner Kanzlei noch nicht gehört? – Nach dem spanischen Zeremoniell solln mr ihnen auch noch das Begräbnis in Artstetten, nicht bloß die Zufuhr zur Westbahn – nicht wahr, unerhört – In unsere Kompetenz gehört nur die Kapuzinergruft, punktum! – Aber natürlich, Durchlaucht hat sofort die Initiative ergriffen und denen geantwortet, sie solln froh sein, daß wir die Leich bis zur Westbahn bringen. Das weitere geht die städtische Leichenbestattungsanstalt an – oder den Verein zum ewigen Leben, sehr richtig – natürlich, jedenfalls aus Schmutzerei – in seinem Sinne – Pietät, sehr gut! Muß ich Durchlaucht erzählen, Durchlaucht wird sich – nein, nur zwanglos, kleines Festessen in gemütlichem Kreis – Ob mr wen anstellen wem? Nicht einen, wird alles hinausgschmissen – Oja, Viechsarbeit – natürlich, wenn's auf mich ankommt, ich persönlich war vom ersten Moment dagegen, daß die Leich von der Chotek im selben Zug mitkommt – ich sag in solchen Fällen, wärst net aufigstiegn, wärst net abigfalln – aber das war leider – aber ja, das gute Herz von Seiner Durchlaucht – und dann, Exlenz wissen ja, Seine kaiserliche Hoheit hat interveniert, kann man halt nix machen – na, wenigstens hätt mr die Gschicht so weit in Ordnung bracht, daß ihr Sarg um eine Stufen tiefer aufgstellt wird wie der seinige – Gewiß, wird nicht angenehm sein morgen auf der Südbahn – aber wenigstens kein Gedränge – Wie? Sehr gut, nicht wie am Sonntag nach Atzgersdorf, sehr gut, muß ich Durchlaucht, Durchlaucht wird sich – Wie? pardon, ach so, die Zeitungen? Instruiert, alles instruiert, wern nicht viel hermachen. Schlagwort: Kein Prunk, sondern stille Trauer oder was beißt mich da – Wie Exlenz? So still, daß man – famos, muß ich Durchlaucht, Durchlaucht wird sich – Wie? ja, hocherfreut, daß die Kabinettskanzlei ebenso tief erschüttert ist wie das Obersthofmeisteramt – Durchlaucht wird sich kugeln – paar Vergnügungsetablissements haben bei uns angefragt, ob s'ihnere Vorstellungen abhalten sollen. Antwort: daß irgendeine Hoftrauer noch nicht angeordnet und daß es dem Ermessen jeder einzelnen Direktion anheimgestellt bleibt – gut, was? – no und was die ermessen, kann man sich ja denken, na ja der Wolf aus Gersthof braucht a net mehr z'wanen wie rnir selber. Aber Venedig in Wien, das wird Exlenz intressiern, die warn so vernünftig und habn gar net gfragt und habn ruhig am selben Tag gspült. Mein Gott, das bißl Gaudee und das bißl Gschäft soll man den Leuteln bei die schlechten Zeiten vergunnen – leben und leben lassen, natürlich – Gewiß, gewiß, nicht wir allein, das ganze Reich – das ganze Reich – sehr gut, alle die gleichen Gefühle, sehr richtig, man will eben nicht ersticken Wie? Kruzitürken, was is denn schon wieder – es war eine Störung! – sehr richtig, man will gemütlich sein – so ist es, einmal geht auch der Schinder drauf – leben und leben lassen – die Leut wolln ein joviales Gsicht sehn, sonst wern s' selber grantig – jawohl, wer nicht grüßen kann, ghört nicht an die Spitze! – no in der Beziehung können wir ja für die Zukunft Gottseidank unbesorgt sein – Wie? Was die andere Durchlaucht macht, die neuche? Oder vielmehr, der gewesene künftige Obersthofmeister? Der verblichene Günstling, selig in dem Herrn entschlafen, Gott hab ihn selig, hol ihn der Teufel, noja, ein ganz spezieller Trauerfall, der einzige, der tiefgebeugt, jedenfalls – nein, wird uns wohl nicht mehr mit seinem Besuche beehren – Wie? Die was in Serajevo mit waren? Der Harrach? Vielleicht auch. Hat ihn ja doch »mit seinem Leibe gedeckt« – ja, die habn sich wichtig gmacht unten – Der MorseyHarrach, Morsey – Kämmerer des Erzherzogs und seiner Frau fahrt einen Polizeibeamten an, warum er einen von die Attentäter nicht verhaftet, no der hat ihm aber tüchtig geantwortet, Herr Leutnant kümmern Sie sich um Ihre Angelegenheiten! – Die Polizei in Serajevo hat einfach ihre Pflicht erfüllt, nicht mehr und nicht weniger – Die Gendarmerie – wie viel da waren? Durchlaucht hat damals die Initiative ergriffen beim Tisza, der hat aber selbst schon alles vorgekehrt ghabt. Sechs zu seinem persönlichen Schutz, das war doch mehr wie genug! – Sehr gut, ein vernünftiger Ausgleich, zweihundert hat man ihm für Konopischt bewilligt, damit das p. t. Publikum nicht in die Anlagen trete – ja, das hat ihm gschmeckt, da hat man geuraßt – Wie? im Auswärtigen sans schon fuchtig? Natürlich, die beste Handhabe, selbstverständlich – Endlich, endlich! – bin neugierig, ob s' lang untersuchen wern im Schlangennest – wieder ein vernünftiger Ausgleich, sechs Gendarmen für Serajevo, brauchn mr halt desto mehr für Belgrad! – Bagasch übereinand – Aber natürlich, mir san ja eh die reinen Lamperln – ja das is wahr mit die Ahnungen, was er ghabt hat, aber da ham'r ihm schon Mut gemacht, ein Offizier fürcht sich nicht! – sehr richtig, er war in Gottes Hand, sein Lebtag, bis zum Schluß – nicht zu verhindern gewesen, versteh, versteh, aber strafen, wanns einmal gschehn is! – gewiß, nachher nimmt man sich eben zsamm, ja, ja, wird auch in dem Punkt sein Gutes haben, nach innen und außen – abrechnen – ja, der Conrad, na der wird jetzt – aber natürlich, das fressen s! Da muß doch eine Genugtuung sein, das sieht doch jedes Kind, wär net schlecht – ein Prestischpunkt, der sich gewaschen hat – wer' mr scho machen – aber ja – Wie? Aber natürlich, da reißen uns schon die Deutschen heraus – so is, wir sind für den Frieden, wenn auch nicht für den Frieden um jeden Preis – nein Exlenz, von Urlaub leider keine Rede, woher denn – is schon einmal so, noja, mir bleibt doch nichts erspart – nochmals, selbstverständlich, bitte unbesorgt – wer's bestelln – tänigsten Dank, korschamster Diener Exlenz!

4. Szene

Ebenda.

Diener: Bitt schön Herr Hofrat – einer is da.

Nepalleck: Was für einer?

Diener (verlegen): No, von die andern.

Nepalleck (herrisch): Es gibt keine andern! Die Zeiten sind vorbei! Hab ich Ihnen nicht gesagt, daß jeder, der kommt –

Diener: Bitt schön – er sagt, daß es nur wegen einer Erkundigung is.

Nepalleck: Möcht wissen, was es da noch zu erkundigen gibt, alstern herein mit ihm. (Diener ab.)

5. Szene

Ein alter Kammerdiener des verstorbenen Erzherzogs tritt auf.

Nepalleck (zischt hervor): Was wollen S'?

Der alte Kammerdiener: Zu dienen, gnädiger Herr Hofrat – also – ich weiß mir in dieser Beziehung – also diesfalls – also anderweitig –

Nepalleck: Was Sie wollen, möcht ich gern hören!

Kammerdiener: Nämlich das Unglück, das große Unglück, also nicht wahr, gnädiger Herr Hofrat – also wo ich schon unter kaiserlichen Hoheit – hochseligen Weiland – Herrn Erzherzog Ludwig, Gott hab ihn selig –

Nepalleck: Aha, also mit einem Wort, Sie sind ein vazierender Kammerdiener – Sie, mein Lieber, das schlagen S'Ihnen aus dem Kopf, Anstellungen werden hier nicht vergeben!

Kammerdiener (weinend): Aber nein, Herr Hofrat – aber nein, Herr Hofrat –

Nepalleck: Was, zudringlich wern S'?

Kammerdiener: Aber nein Herr Hofrat – nicht will ich – nicht will ich –

Nepalleck: Also was denn sonst?

Kammerdiener: Aber nein – wahr is, ein strenge Herr – aber strenge – und – gute Hoheit – aber – so –

Nepalleck: Sie Verehrtester erzählen S' uns hier keine Raubersgschichten – sagen S' was Sie von uns wollen!

Kammerdiener: Aber nix wollen, Herr Hofrat, nix, nix, gar nix wollen – nur sprechen – nur sprechen – nur sprechen – vor der Leich noch amal –

Nepalleck (seine Stimme erhebend): Sprechstunde hab ich für Sie keine, verstanden?

(Von rechts, durch den Lärm gerufen, stürzt Fürst Montenuovo mit wutverzerrtem Gesicht herein.)

6. Szene

Montenuovo: Was ist? Ah is schon einer da! Sie, schaun Sie, daß Sie weiter kommen! Hier findet keiner von euch einen Posten, verduften, gschwind!

Kammerdiener (mit großem Staunen): Ich – hab – Jesus – zu dienen, gnädigste Durchlaucht – (Ab.)

7. Szene

Montenuovo: Sie, Hofrat, Sie wissen, daß hier kein Asyl für Obdachlose ist – ich habe nun einmal die Initiative ergriffen, also – Ruh will ich haben!

Nepalleck: Durchlaucht können sich verlassen, es wird nicht mehr vorkommen, der Mensch wollte nur –

Montenuovo: Alleseins. Daß mir keine von den Belvedere-Visagen hier unterkommt! – Wie viel Einladungen?

Nepalleck: Achtundvierzig.

Montenuovo: Was reden S' denn?

Nepalleck: Ach so, bitte tausendmal um Vergebung, ich hab an morgen abends gedacht. Sechsundzwanzig.

Montenuovo: Die sechs noch streichen! (Ab.)

Nepalleck: Zu Befehl! (Setzt sich wieder an den Schreibtisch.)

8. Szene

Fürst Weikersheim, dicht hinter ihm der Diener.

Diener: Bitte Durchlaucht, ich habe den strengsten Auftrag –

Fürst Welkersheim: Was hat der? Auftrag? Was? Man muß hier angemeldet werden? (Diener ab. Nepalleck bleibt am Schreibtisch sitzen, ohne aufzublicken. Der Fürst nach einer Pause des Wartens.) Sie! (Nach einer weitern Pause lauter) Sie! Was – geht hier vor? (schreiend) Sie, stehn Sie auf!

Nepalleck (wendet den Kopf, obenhin): GutenTag, guten Tag.

Fürst Welkersheim (nach einer Pause sprachlosen Staunens): Was – ist – das? So – rasch – (Mit Betonung) Sie, wissen Sie, wer ich bin?

Nepalleck: Was ist denn, was ist denn, natürlich weiß ich das, Sie sind der gefürstete Baron Bronn von Weikersheim.

Fürst Welkersheim: Und Sie sind ein – Und der dort ist Ihr Vorgesetzter! (Ab, indem er die Tür ins Schloß wirft.)

9. Szene

Nepalleck (lacht krampfhaft. Das Telephon klingelt): Korschamster Diener Exlenz, in dem Moment hat sich – (Montenuovo steckt den Kopf zur Tür herein, blitzschnell dreht sich Nepalleck um) zu Befehl Durchlaucht –

(Verwandlung.)

10. Szene

Südbahnhof. Im fahlen Morgenlicht ein Raum, von dem aus man durch eine große Türöffnung den Hofwartesalon überblickt. Dieser selbst ist ganz mit schwarzen Tüchern drapiert. In der Mitte des Saals, für die draußen Stehenden anfangs noch sichtbar, zwei Sarkophage, deren einer um eine Stufe tiefer steht; rings um die Särge hohe Leuchter mit brennenden Kerzen. Kränze. Gebetstühle. Schwarz livrierte Lakaien sind eben damit beschäftigt, die letzten Kerzen anzuzünden und die zum Empfang der Trauergesellschaft notwendigen Vorbereitungen zu treffen. Im Vorraum und auf dem noch sichtbaren Teil der Treppe drängt sich Publikum, das von Polizeibeamten geordnet wird. Würdenträger, Funktionäre in verschiedenartigen Uniformen erscheinen, bleiben im Vorraum oder verschwinden im Saal, wechseln stumm oder flüsternd Grüße. Ein unablässiges Kommen und Gehen. Eine Abordnung von Gemeinderäten in Frack erscheint. Hofrat Nepalleck tritt mit allen Anzeichen tiefster Niedergeschlagenheit auf und nimmt von zahlreichen Anwesenden Kondolenzen entgegen. Dieser und die folgenden Vorgänge spielen sich im Zwielicht ab. Die Gespräche sind die von Schatten.

Nepalleck: Es ist das Furchtbarste, Durchlaucht ist ganz trübsinnig und durch Unwohlsein verhindert, der höchsten Trauerfeier persönlich beizuwohnen. Auch der Graf Orsini-Rosenberg muß das Bett hüten. Es ist über uns hereingebrochen. Rechts der schönste, der mit Chrysanthemen auf dem Sarg Ihrer seligen Hoheit der durchlauchtigsten Frau Herzogin, ist von Seiner Durchlaucht.

(Ein hochgewachsener Herr, Kleid und Haltung in tiefster Trauer, erscheint, geht auf Nepalleck zu und drückt ihm warm die Hand.)

Angelo Eisner v. Eisenhof: Er war mein Freund. Ich bin ihm nahegestanden. Zum Beispiel bei der Eröffnung der Adriaausstellung. Aber was ist mein Schmerz, verglichen mit dem Ihren, lieber Hofrat! Was muß ein Mann wie Sie in diesen Tagen durchgemacht haben!

Nepalleck: Mir bleibt doch nichts erspart.

(Inzwischen ist das gegenüberliegende Torgeöffnet worden, und man sieht, wie sich der Saal mit der Hofgesellschaft, den höchsten Hof- und Staatsbeamten und der Geistlichkeit füllt, wobei ein Zeremonialbeamter ordnend eingreift und jedem den ihm vorbehaltenen Platz anweist. Bis zum Beginn der heiligen Handlung strömen in den Vorraum immer neue Teilnehmer und Zuschauer, die einzutreten versuchen, Einladungen vorzeigen, zugelassen oder abgewiesen werden. Einige Damen des Hochadels werden von einem diensthabenden Organ aus dem Saal gewiesen. Es erscheinen zehn Herren in Gehröcken, die, ohne sich zu legitimieren, mit Zuvorkommenheit, an dem Spalier der Wartenden vorbei, bis über die Tür des Trauergemachs geleitet werden, die sie während des Folgenden besetzt halten, so daß sie zwar selbst die Vorgänge beobachten können, aber diese den Blicken der Außenstehenden fast ganz entziehen. Die Sarkophage sind seit dem Moment ihres Auftretens nicht mehr sichtbar. Wahrend jeder der zehn ein Notizblatt hervorzieht, treten zwei Funktionäre an die Gruppe heran und stellen sich gegenseitig wie folgt vor.)

Zawadil: Spielvogel.

Spielvogel: Zawadil.

Beide (zugleich sprechend): Ein trüber Morgen. Schon um 6 Uhr waren wir zur Stelle, um die Anordnungen zu treffen.

Angelo Eisner v. Eisenhof (tritt hinzu und spricht angelegentlich mit einem der zehn, die zu schreiben beginnen. Er deutet auf verschiedene Gestalten, die alle die Hälse recken und den Versuch machen, aus dem Spalier zu treten. Er beruhigt durch Winken jeden einzelnen, indem er, gleichzeitig auf die zehn Männer weisend, die Pantomime des Schreibens macht, so als ob er ihm bedeuten wollte, daß bereits von ihm Notiz genommen sei. Inzwischen ist es dem Hofrat Schwarz-Gelber und dessen Gemahlin gelungen, in unmittelbaren Kontakt mit den Schreibenden zu kommen und einem von diesen auf die Schulter zu tippen.)

Hofrat Schwarz-Gelber und Hofrätin Schwarz-Gelber: Wir haben es uns nicht nehmen lassen wollen, persönlich zu erscheinen.

Angelo Eisner v. Eisenhof (der sich mit einem indignierten Blick abwendet, zu seinem Nachbar Dobner v. Dobenau): Und so etwas will einer heiligen Handlung beiwohnen! Wahrscheinlich das erstemal. Ich muß mich vor meinem Freunde Lobkowitz schämen, der grad herüberschaut. (Er grüßt öfter und winkt.) Aha, er hat mich bemerkt, aber nicht erkannt.

Dobner v. Dobenau (mit starrer Miene und langsam): Als Truchseß hätte ich eigentlich das Recht, hineinzugehen, wo die Spitzen sind.

Conte Lippay: Dadurch, daß es mir als Künstler gelungen ist, den Papst zu malen, hatte ich als Palatinalgraf des Öfteren Gelegenheit, Seine Heiligkeit als deren Kämmerer auf die durch solche Vorfälle nicht zu erschütternde Frömmigkeit des verewigten hohen Herrn aufmerksam zu machen, was Seine Heiligkeit beifällig zur Kenntnis zu nehmen geruhte.

Eisner v. Eisenhof: Ja, Lipschitz, wie kommen denn Sie hieher? Unsere Väter in Pilsen hätten sich auch nicht träumen lassen –

Conte Lippay: Nichts davon, Baron, nichts davon, tempi passati. Sie wissen ja selbst, nemo propheta in sua patria und alle Wege führen nach Rom. Aber haben Sie nicht meine Söhne die Grafen Franz und Erwein gesehn?

Dobner v. Dobenau: Als Truchseß hätte ich eigentlich das Recht –

Cafetier Riedl: In der Adriaausstellung habe ich mit Seiner kaiserlichen Hoheit verkehrt, ihm selbst als Patriot und schlichter Gewerbsmann speziell den Kaffee kredenzt, warum nicht, wenn ich auch anerkannt bin, unsereins ist nicht so hopatatschig, indem auch seine hochherzigen Bestrebungen um den Ausbau unserer Flotte an mir im Geiste Tegetthoffs als Obmann jederzeit einen warmherzigen Förderer um damit auf dem einmal betretenen Wege unerschrocken fortzufahren.

Dr. Charas: Mit mir an der Spitze ist auch die Rettungsgesellschaft erschienen, hat aber noch keinen Anlaß gefunden, in zahlreichen Fällen zu intervenieren.

Der Chef des Sicherheitsbureaus Hofrat Stukart: Meine Anwesenheit versteht sich von selbst. Ganz abgesehen von meinem gesellschaftlichen Prestige, mußte schon das rein kriminalistische Interesse meine Aufmerksamkeit auf diesen Fall lenken, dem ich vollkommen unbefangen gegenüberstehe, weil es sich um einen Mordfall handelt, aus dem es niemandem gelingen wird den Vorwurf der Reklamesucht gegen mich abzuleiten. In Wien wäre so etwas unmöglich gewesen. Ich will ja nicht leugnen, daß der geehrte Kollege in Sarajewo bis zu dem Attentat selbst eine ähnliche Taktik eingeschlagen hat, wie sie sich bei uns wiederholt bewährt hat, indem man von den Vorbereitungen zu einem Verbrechen entweder nichts weiß oder es ausreifen läßt, um es späterhin mit umso größerem Erfolge entdecken zu können. Aber der geehrte Kollege in Sarajevo hat eben diesen eigentlichen kriminalistischen Zweck, wenn er ihn selbst angestrebt hätte, bedauerlicherweise verfehlt. Wie anders hätte ich nach vollzogener Tat, weit über meine Dienstpflicht hinaus, mir den Fall angelegen sein lassen, indem unser Sicherheitsbureau fieberhaft gearbeitet und ich persönlich so lange die Fäden in meiner Hand gehalten hätte, bis es mir gelungen wäre, den Täter nach erfolgtem Geständnis unter der Last der Beweise zusammenbrechen zu lassen, was dem geehrten Kollegen in Sarajevo dadurch, daß der Täter auf frischer Tat ergriffen wurde, bedauerlicher Weise nicht geglückt ist. Ich kann mir diese fatale Wendung nur aus Ungeschicklichkeit, vielleicht aus dem Übereifer des Attentäters, der sich der Verhaftung nicht widersetzte, oder aus einem unglücklichen Zufall erklären, der eben in diesem besonders beklagenswerten Falle die Tätigkeit der Polizei vollständig lahmgelegt hat. Da aber das Opfer des Täters an diesem katastrophalen Ausgang unschuldig ist, so wird man es begreiflich finden, daß meine Anwesenheit hier, wenn auch unter andern, bemerkt wird.

Sektionschef Wilhelm Exner: Ich stehe hier als Vertreter technologischer Interessen.

Gouverneur Sieghart von der Bodenkreditanstalt: Ich bin heute Gouverneur. In der sichern Erwartung, daß nunmehr die Staatsgewalt sich in den meiner Weltanschauung angepaßten Bahnen ohne Aufenthalt weiterbewegen wird, kann ich hier meinen Platz behaupten.

Präsident Landsberger von der Anglobank: Sie sagen von mir, ich sei ein Bankmagnat. Trotzdem glaube ich nicht, daß es unter meiner Würde ist, hinter dem Sarge eines wenn auch anderen Idealen zugewandten Mächtigen ein bescheidenes, aber stolzes Plätzchen anzustreben.

Herzberg-Fränkel: Mein Name ist Herzberg-Fränkel. Ich weiß, er hat bei Lebzeiten keine besonderen Sympathien für meinen Typus gehabt, aber der Tod hat etwas Versöhnendes.

Die freisinnigen Gemeinderäte Stein und Hein: Ich weiß zwar nicht, was ich hier zu suchen habe, aber da auch ich da bin, bin ich auch da.

Zwei Konsuln (stellen sich gleichzeitig vor): Stiaßny. Wir haben zwar keine nennenswerte Beziehung zu dem Verewigten gehabt, sind aber dessenungeachtet herbeigeeilt, um unsere Pflicht zu erfüllen.

Drei kaiserliche Räte (treten in einer Reihe auf): Wir sind als Abordnung erschienen, weil wir es den Manen schuldig zu sein glauben, uns in der Hoffnung auf bessere Zeiten nicht von der Überzeugung abbringen zu lassen, daß er das Gute gewollt hat, aber schlecht informiert war.

Sukfüll: Vom Gremium entsendet und berufen, die schmerzlichen Gefühle der Sektion auszusprechen, sehen wir einer ungewissen Zukunft entgegen und sind noch nicht einmal in der Lage, zu ermessen, ob das Ereignis für die geplante Hebung des Fremdenverkehrs hemmend oder fördernd aufzufassen ist. Wie dem immer sei, entbiete ich meinen letzten Gruß.

Birinski und Glücksmann: Als Vertreter der Kunst hat uns die Kunst entsendet, um an der Bahre des großen Toten das Gelöbnis idealen Strebens zu erneuern, während als Vertreter der Industrie jedenfalls andere gekommen sind.

Der Buchhändler Hugo Heller: Durch meine weitverzweigten kulturellen Verbindungen wäre es mir offenbar ein Leichtes gewesen, den erlauchten Verstorbenen dauernd an mich zu fesseln, wenn nicht wie gesagt der Tod dazwischen gekommen wär.

(Während dieser Rede ist eine Dame in tiefster Trauer eingetreten. Alles weicht zurück.)

Hofrätin Schwarz-Gelber (wie vom Blitz getroffen, gibt ihrem Gatten einen Stoß und spricht): Was hab ich dir gesagt! Die is überall, wo sie nicht hineingehört. Ob man einmal unter sich sein könnte!

Flora Dub: Wie ruhig sie daliegen! Wenn sie leben möchte, möchte sie sich erinnern, wie ich einmal Blumen geworfen hab auf ihr. Er war zwar kein besonderer Freund von Blumenkorsos. Aber ich bin gekommen, damit sie sehen sollen, ich trag ihnen nichts nach.

Der Nörgler (im Vordergrund):
Du großer Gott der Großen und der Kleinen!
Du prüfst die Großen, weil es Kleine gibt.
Du prüftest einmal Kleine durch den Großen.
Und riefst ihn weg. So hat er diese Prüfung
als Prüfer und Geprüfter schlecht bestanden.
War dies die Absicht, als Du Tod und Leben
zu seligem Unterschied erfunden hast?
Stürzt in die Bresche der Unendlichkeit
der irdische Feind, ein tollgewordener Haufe?
Und ist das Leid nicht göttlicher Besitz,
daß die es tragen, die gemordet haben?
Ist selbstvergossnes Blut nur ein Rubin,
ein falscher Diamant die echte Träne,
ein Putz, den sich die Judasfratze borgt?
Dann ist die Zeit zu Ende und nichts bleibt
als Deine Prüfung. Laß es sie entgelten,
in Stadt und Staat die Mißgebornen fühlen,
daß es vollbracht ist! Nimm ihr eigenes Blut
und traure über sie mit Gottes Träne!

(Während dieser Worte hat die heilige Handlung in höchster Feierlichkeit ihren Anfang genommen. Man sieht, wie der gesamte im Trauersaal versammelte Hofstaat zum Gebete kniet, vorne schluchzend die drei Kinder der Ermordeten. Zeitweise wird die Stimme des Priesters hörbar. Nun spielt die Orgel. Einer der zehn, die allmählich ganz in das Trauergemach gelangt sind, wendet sich plötzlich mit lauter Stimme an seinen Nachbarn.)

Der Redakteur: Wo is Szomory? Wir brauchen die Stimmung!

(Die Orgel setzt ab. Es tritt eine Pause stummen Gebetes ein, nur vom Schluchzen der drei Kinder unterbrochen.)

Der Redakteur (zu seinem Nachbarn): Schreiben Sie, wie sie beten!

Die Leser der folgenden Szene waren der Meinung, ich hätte die Sätze, die ich dem Hans Müller in den Mund lege [Akt I Szene 25], erfunden. Als ob man so etwas erfinden könnte und als ob mein Anteil an diesen Gestaltungen darüber hinausginge, daß ich zu allem, was es gab, am rechten Ort und zur rechten Zeit die Anführungszeichen gesetzt habe. Es ist die tragische Bestimmung meiner Figuren, das sprechen zu müssen, was sie selbst geschrieben haben und so auf eine Nachwelt zu kommen, die sie sich ganz anders vorgestellt haben. Mein Verdienst besteht nicht darin, irgendetwas erfunden zu haben, sondern darin, daß man glaubt, ich müsse es erfunden haben, weil man nicht glaubt, daß man es erlebt haben könne.


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