Karl Kraus
Die letzten Tage der Menschheit
Karl Kraus

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II. Akt

1. Szene

Wien. Ringstraßenkorso. Sirk-Ecke. Das Publikum besteht in der überwiegenden Mehrheit aus galizischen Flüchtlingen, Schiebern, Berufsoffizieren auf Urlaub, solchen, die ein Spitalskommando innehaben oder sonst zu leichterem Dienst im Hinterland verwendet werden und aus wehrfähigen Zivilisten, die sichs gerichtet haben.

Ein polnischer Jude: Extrosgabee – kofen Sie mir ab, meine Damen und Herrn –

Ein sesshafter Wucherer: Das hat uns noch gefehlt, daß wir den Pofel herbekommen – wo man hinschaut, nix wie Juden! Was wern sie anfangen? Bleiben und unsere Geschäfte machen!

Der Agent: Vorläufig kann ich nicht klagen. Wenn ich auch beiweitem nicht sagen könnte, daß es mir so gut geht wie Ornstein.

Der Wucherer: Welcher Ornstein? Ornstein der Enthobene?

Der Agent: Selbstredend. Er hat letzten Samstag an Tornister achtahalb Tausender verdient auf einen Telephongespräch, Gewure!

Der Wucherer: Habachaachgehert. Was war er vor dem Krieg?

Der Agent: Vor dem Krieg, das wissen Sie nicht? Zindhelzl! Die Vertretung von Lauser & Löw. Jetzt macht er. Er hat gesagt, er wird mir auch verschaffen. Er is intim mit etwas einem Major.

(Ein Schwerverwundeter auf Krücken, mit Gliederzuckungen, schleppt sich vorbei.)

Der Wucherer: Ja, jetzt heißt es durchhalten.

Ein Zeitungsausrufer: Extraausgabee –! Neue Freie Presse! Kroßa Sick der Deitschen in Galizieen! Blutige Abweisung im Naahkaamf!

Der Wucherer: Knöpflmacher muß auch schon hübsch verdienen. Haben Sie gehört, Eisig Rubel geht sich täglich herauf in die Spirituszentrale, was sagen Sie, weit gebracht! Was ich sagen wollte, gediegen war gestern der Artikel über den seelischen Aufschwung.

Der Agent: Sie heut hab ich gehört, um fufzig Perzent gehn sie mit Leder in die Höh.

Der Wucherer: Was Sie nicht sagen, da wird doch Katz in die Breite gehn, der wird nicht mehr wissen, wo ein und aus, der is imstand, Sie wern sehn und wird noch adelig. Unsereins gibts billiger. Wissen Sie, was ich einmal mecht? Ich mecht einmal einen Nagel hereinschlagen in dem Wehrmann neben dem Imperial, aus Hetz, geh mr hin, was liegt Ihnen dran, ma is in guter Gesellschaft, was liegt Ihnen dran, eine Krone und man kriegt ein Blatt, wo der Name eingetragen is für kommende Geschlechter für die Annalen!

Der Agent: Lassen Sie mich aus mit solche Narrischkaten.

Der Wucherer: Da kommt Bermann! Enthoben!

Bermann: Servus!

Der Wucherer: Gehn Sie mit nageln in den Wehrmann, Bermann?

Bermann: Hab scho genagelt. (Ab.)

Der Wucherer: Gut, geh ich selbst!

Der Agent: Ich bin kein Freund von solche Schmonzes.

Der Wucherer: Was heißt Schmonzes? Schaun Sie sich an, was für Leute – das war einmal eine Idee! Auf die Art kommt viel herein für unsere braven Soldaten und man hat ein Andenken an die große Zeit. Sie, schaun Sie – (Eine auffallend gekleidete Dame geht vorbei, die beiden bleiben stehn.)

Beide: Unter mir gesagt.

Der Agent: Haben Sie gehört, wie sich Raubitschek und Barber patzig machen mit der Medaille vom Roten Kreuz?

Der Wucherer: Tut sich was. No was haben sie geben müssen?

Der Agent: E Pappenstiel. Aber sie hätten auch für die große gegeben, wenn sie sie kriegen möchten. Die is nur für Verdienste. Die kostet Unsummen!

Der Wucherer: Bittsie wer kann sich das leisten, und die es sich ja leisten können, wollen lieber Titeln. Eduard Feigl, der Konservenfeigl, der Große, wird heißt es Baron. Sofort nach dem Frieden.

Der Agent: Wer denkt jetzt an Frieden, jetzt sind andere Sorgen.

Der Wucherer: Was sind Sie auf einmal so kriegerisch? Mir scheint, Sie haben eine große Sache in Aussicht? No habach erraten??

Der Agent: Große Sache, Schmock was Sie sind, große Sache. Ma bringt sach durch.

Der Wucherer: Recht ham Sie. Ich steh auf den Standpunkt, Krieg is Krieg. Bittsie, ob die jungen Leut sich beim Automobilfahren den Hals brechen oder gleich fürs Vaterland – ich kann solche Sentimentalitäten nicht mitmachen.

Der Agent: Das is aber ja wahr. Das fortwährende Geschimpfe am Krieg wachst mir schon zum Hals heraus. Manches is ja teurer geworn – aber das gehört dazu! Ich versicher Sie, da wern noch viele sein, die heut so tun, da wird ihnen noch sehr mies wern, wenn sie hörn wern, es kommt Frieden.

Der Wucherer: Gewiß, wir sind doch heute mit Leib und Seele dabei –

Der Agent: Und mitten drin, grad wo sie sich Verdienste geschafft haben, soll es auf einmal zu End sein?

Der Wucherer: Nebbich, unsere braven Soldaten.

Der Agent (in ein schallendes Gelächter ausbrechend): Das is gediegen – Was ham Sie verstanden? Ich red vom Geschäft und Sie – (er lacht und hustet) Ein Staub ist heut wieder, Schkandaal das geb ich in die Presse unter die Rubrik »Der Mistbauer im Eisen« – was red ich, »der Wehrmann und die Fliege« – oder nein –

Der Wucherer: Hab auch schon mein Scherflein beigetragen, vor unserem Haus is nämlich seit geschlagenen drei Monaten –

Der Agent: Schaun Sie da her wer sich daherkommt, Weiß in Uniform! Das hat die Welt nicht – (Weiß bleibt mißmutig stehn.) Also – eingerückt?

Weiß: Scho lang, scho gor net mehr wohr. (Ab.)

Der Wucherer: Was aus die Leut wird! Wer hätt das noch vor einem Jahr gedacht – wenn man mir gesagt hätte – Weiß wern sie nehmen! Einen Menschen, den ich hab verdienen lassen!

Der Agent: Er is sehr mißmutig nebbich.

Der Wucherer: Nicht Brot auf Hosen hat er gehabt. Jetzt hat er des Kaisers Rock. Ja, es is eine große Zeit.

Der Agent: Sie was man nicht für möglich halten sollte, hörn Sie mich an, seit acht Tag telephonier ich zu Kehlendorfer für Husarenblut. Auf vier Wochen ausverkauft. Ich sag Ihnen, der Krieg wird vorüber sein und wir wern Husarenblut nicht gesehn haben! Meine Frau quält mich doch –

Ein Zeitungsausrufer: – Der Ansturm abgewieseen – Alle Stellungen genohmen!

Der Wucherer: Und ich sag Ihnen, nicht zu vergleichen mit Herbstmanöver. No und was sagen Sie zur Csardasfürstin – was die Leut hermachen! Warn Sie schon bei Fürstenkind?

Der Agent: Fürstenkind, selbstredend war mr! Da kommt doch – warten Sie –da kommt doch der großartige Witz vor, wo sich das Haus wälzt, »das warn die ramasurischen Sümpfe«. Das Haus dröhnt, wie er das herausbringt Marischka – (ab.)

Ein Offizier (zu drei anderen): Grüß dich Nowotny, grüß dich Pokorny, grüß dich Powolny, also du – du bist ja politisch gebildet, also was sagst zu Italien?

Zweiter Offizier (mit Spazierstock): Weißt, ich sag halt, es ist ein Treubruch, ganz einfach.

Der Dritte: No was willst von die Katzelmacher anderes verlangen – also natürlich.

Der Vierte: Ganz meine Ansicht – gestern hab ich mullattiert –! habts das Bild vom Schönpflug gsehn, Klassikaner!

Der Erste: Weißt was ich möcht nach langer Zeit, möcht wieder amal in die Gartenbau.

Der Zweite: Geh, bist denn verwundet?

Der Dritte: Wieso verwundet?

Der Vierte: Er ist doch nicht verwundet.

Der Erste: Ich bin doch nicht verwundet.

Der Zweite: No weißt denn nicht, die Gartenbau is doch jetzt a Spital! (Alle lachen.)

Der Erste: Richtig, a, Spital – (nach einigem Nachdenken) Weißt, das hab ich dir auf den Tod vergessen ~ jetzt dauert der Krieg schon so lang – (Ein Soldat auf Krücken kommt vorbei.)

Der Zweite: Soll ich den stelln, der salutiert blöd –

Der Erste: Mach kein Aufsehn, apropos was is mitn Militärverdienstkreuz?

Ein Zeitungsausrufer: Blutige Abweisung im Naahkaamf bittee –!

Der Zweite: Ich bin eingegeben – zu blöd, wie lang das dauert.

Der Dritte: Eine Wirtschaft!

Der Vierte: Was wollts ihr haben, Krieg is Krieg. Heut sind keine Menscher.

Der Erste: Wißts ihr, was? Gehmr zum Hopfner! (Ab.)

Ein Intellektueller (zu seinem Begleiter): Ich versicher Sie, solange die Mentalität unserer Feinde – (Beide ab.)

Poldi Fesch (zu seinem Begleiter): Heut soll ich mit dem Sascha Kolowrat drahn – (ab.)

Man hört den Gesang vorbeiziehender Soldaten: In der Heimat, in der Heimat da gibts ein Wiedersehn –

(Drei Schieber mit Zahnstocher im Maule treten aus dem Rostraum des Hotel Bristol)

Erster Schieber: Sie, gestern war ich bei Marcel Salzer. Ich sag Ihnen meine Herrn, das sollten Sie nicht versäumen.

Zweiter Schieber: Soo guut?

Der Erste: Ja! Sie, da trägt er Ihnen ein Gedicht vor, von etwas einem berühmten Dichter, weiß ich wie er heißt – warten Sie ja – Ginzkey!

Dritter Schieber: Teppiche.

Der Erste: Er soll sogar verwandt sein. Also, da kommt vor von Tannenberg, wie sie Hindenburg hereintreibt in die Sümpfe – Sie ham doch in der Presse gelesen damals die packende Schilderung –

Der Zweite: Ich weiß noch den Titel: Umfassung der russischen Truppen durch die deutsche Armee und Hereinwerfen in die masurischen Sümpfe.

Der Erste: Ja, also das kommt genau vor, aber mehr komisch, und da macht er gluck-gluck und gluck-gluck, wie sie ersticken. Ich sag Ihnen und dabei das betamte Gesicht, was er macht Salzer, die Äuglein – es is sein Geld wert.

Der Dritte: Ps – Sie – da kommen Feldgraue! (Sie bleiben stehn.)

Der Zweite (andächtig): In schimmernder Wehr.

Der Erste: Ja, die Deitschen!

(Es treten hintereinander drei deutsche Grenadiere auf, jeder begleitet von einem Wiener Gemeindeorgan, das Frack und Zylinder trägt.)

Erstes Gemeindeorgan: Durt is die Oper, jetzt kommen wir in die Kirntnerstraße, woselbst ich Ihnen den Stock im Eisen zeigen werde, das größte Wahrzeichen von Wien, was mir ham, errichtet zum Andenken, daß vorüberziehende Handwerksburschen jeder einen Nagel einigschlagen haben, gradaso wie Sie's beim Wehrmann in Eisen gsehn haben. Dann kommt die sogenannte Pestsäule, weil damals in der Wienerstadt die Pest gewietet hat und da hat er ein Gelübde getan, an dera Stelle eine große Sehenswürdigkeit zu errichten.

Erster Grenadier: Ach was, Donnerwetter!

Zweites Gemeindeorgan: Durt is die Oper, jetzt gehn wir durch die Kirntnerstraße, zum sogenannten Stock im Eisen, das ist ein Wahrzeichen, weil dort vorüberziehende Handwerksburschen jeder einen Nagel einigschlagen haben. Dann zeige ich Ihnen die Pestsäulen, da hat er nämlich ein Gelübde getan, weil damals die Pest gewietet hat, gradaso wie beim Wehrmann in Eisen, und darum is dort eine Sehenswürdigkeit errichtet.

Zweiter Grenadier: Famos, Donnerwetter!

Drittes Gemeindeorgan: Da ham S' die Oper. Jetzt kommt aber gleich die Kirntnerstraße, da gehn mir zum Stock im Eisen, in den haben nämlich die vorüberziehenden Handwerksburschen einen Nagel einigschlagn, gradaso wie sie's jetzt beim Wehrmann tun. Dann führ ich Ihnen am Graben zu einer Sehenswürdigkeit, zum größten Wahrzeichen was mir ham, indem nämlich durt die Pest gewietet hat an dera Stelln, und da hat er ein Gelübde getan und so is bekanntlich der Stock im Eisen entstanden.

Dritter Grenadier: Donnerwetter, schneidich!

Ein Reporter (zu einem zweiten): Sehn Sie, da kann man einmal sehn, was das heißt Schulter an Schulter.

Der Zweite: Sie scheinen sich gut zu verstehn, aber man hört nicht was sie zusammen sprechen.

Der Erste: Er erklärt ihm.

Ein Berliner Schieber (sehr schnell zu einem Dienstmann): Kommen Se mal ran und laufen Se rüber ins Restaurang, kucken Se, ob dort'n Herr wachtet oder gehn Se zum Potje oder zum Ober und fragen Se nach dem Sektionscheff Swoboda, der von Zadikower aus Berlin Mitte bestellt ist, mit der einflußreichste Mann, den ihr in Wien jetzt habt, er möge noch wachten und 'n Tisch anjeben, das Treffbuch liegt vamutlich an der Auskunftei aus, falls ich vahindat wäre, will ich mit ihm Amdbrot essen, habe aber noch 'n Jeschäft, für den Fall hörn Se daß a vahindat wäre, möge er nachts nach dem Muläng rusche komm'n oder wie det Etablissemang jetzt heißt, Se wissen doch, wo die Mizzal tanzt, mit das schikste Mädchen, das ihr in Wien jetzt habt, ich komme fünfzehn Minuten vor zwölfe, nu man fix habn Se vaschtanden? (Der Dienstmann betrachtet den Fremden erstaunt und schweigend.) Ja Menschenskind vaschtehn Se nich deutsch?

Der Dienstmann: Ahwoswoswaßiwossöwulln –

Der Schieber (sich empört an die Vorübergehenden wendend, die eine Gruppe bilden): Nu haste Worte, hörn Se mal, erlauben Se mal, das is'n ausjewachsener Skandal, was in eurem lieben Wien allens vorkomm' kann, ich habe hier als Reichsdeutscher ja schon manche Überraschung erlebt, so 'ne richtje Wiener Schlamperei ist man bei euch ja jewöhnt, ihr seid ja überhaupt 'n niedliches Völkchen, aber so etwas sollte man denn doch nich für möglich halten, das is doch wieder mal nur in Wien möglich, nee überhaupt daß sich eine Bevölkerung, mit der wir doch Schulter an Schulter kämpfen, so 'ne Sottise jefallen läßt, das ist doch kolomassiv, ihr Wiener habt ja nu eben keene Ahnung, daß ihr im Kriege seid, darum seid ihr auch schon nach einem Jahre untendurch, bei uns hingegen, da kann man sagen, ist die Stimmung ernst, aber zuversichtlich, bei euch hingegen – na, das sollte mal Hindenburch wissen, da will ich ihn nu mal gründlich orientieren –

Rufe aus der Menge: Ja was is denn gschehn?

Der Schieber: Was jeschehn is? Da fragen Se noch? Ulkjes Völkchen! Der Mann da, hat dajestanden wie'n richtich gehender Wiener Dienstmann, ich wollt ihn rüberschicken ins Restaurang mit 'ner wichtjen Nachricht für 'nen Sektionscheff, den ich bestellt habe, und er – ich bitte Sie, jetzt im Krieg –

Die Menge: Na was denn, was hat er denn tan?

Der Schieber: – und er antwortet mit englisch! (Er entfernt sich in größter Erregung. Die Menge sieht den Dienstmann fragend an, der seinerseits die ganze Zeit wie erstarrt dagestanden ist und sich nun stolz enfernt.)

Die Menge: Gott strafe England!

Ein Zeitungsausrufer: Extraausgabee –! Kroßa Sick da Vabündeteen!

(Verwandlung.)

2. Szene

Der Optimist und der Nörgler im Gespräch.

Der Nörgler: Halten Sie es im Bereich organischer Möglichkeiten für denkbar, daß ein Eskimo und ein Kongoneger auf die Dauer sich verständigen oder gar miteinander Schulter an Schulter kämpfen können? Ich denke, höchstens wenn es ein Bündnis gegen Preußen gilt. Die Verbindung zwischen einem Schöneberger und einem Grinzinger scheint mir unpraktikabel.

Der Optimist: Warum denn?

Der Nörgler: Es ist in alten Mären, auf welche die Nibelungentreue zurückzuführen ist, der Wunder viel geseit. Aber was sind diese gegen die wunderbaren, märchenhaften Verbindungen der blutlebendigen Gegenwart? Denn sehen Sie: noch nicht einmal telephonieren können und nichts als telephonieren können – das mag wohl zwei Welten ergeben; aber läßt es eigentlich ihre seelische Verbindung zu, da kaum eine telephonische zustandekommen könnte? Lassen sich zwei Wesen Schulter an Schulter denken, deren eines die Unordnung zum Lebensinhalt hat und nur aus Schlamperei noch nicht zu bestehen aufgehört hat, und deren anderes in nichts und durch nichts besteht als durch Ordnung?

Der Optimist: Das Vorbild des Bundesbruders, dessen im Frieden bewährte Organisation –

Der Nörgler: Sie würde sich an dem Vorbild der Schlamperei lockern, wenn sie nicht ohnedies in diesem Krieg kaputt gehen müßte. Die äußere und innere Ordnung der deutschen Welt ist eine Hülle, die bald geborsten sein wird. Dann mag es Schulter an Schulter mit uns mißglücken.

Der Optimist: Meinen Sie, daß etwa die deutsche Beamtenschaft in ihrem erprobten Pflichtgefühl je nachlassen oder gar korrumpiert werden könnte?

Der Nörgler: Als ein Symbol der deutschen Entwicklung ist mir jüngst an der deutsch-schweizerischen Grenze ein uniformierter Bahnfunktionär entgegengetreten, der mir neben der Kassa die Umwechslung der Valuta zu einem besseren Kurs als dem, den die Bahn zahlt, flüsternd anbot.

Der Optimist: Wo Sie sittlichen Verfall sehen, sehe ich –

Der Nörgler: Seelenaufschwung. Diese Vision wird jene Wirklichkeit noch fördernd beeinflussen. Unter der Ägide der sich selbst belügenden Kriegslüge wird das Chaos unendlich werden. Die ins Rollen gebrachte Quantität wird entgleisen.

Der Optimist: Und wir in Österreich?

Der Nörgler: Werden kaum nötig haben, herunterzukommen. Bei uns war schon im Frieden Krieg und jeder Konzertschluß ein ungeordneter Rückzug. Wir werden eher durchhalten.

Der Optimist: Im Treubund gibt es keine Rivalität. Er hat sich bisher bewährt und wir werden auch zusammen kämpfen bis zum Ende.

Der Nörgler: Das glaube ich auch. Nur werden in der gemeinsamen Verwirrung die Sprachen verschieden sein.

Der Optimist: Gemeinsam ist die des Schwertes. Wir sind mit den Deutschen verbunden auf Gedeih und –

Der Nörgler: –Verderb!

(Verwandlung.)

3. Szene

Der Abonnent und der Patriot im Gespräch.

Der Abonnent: Haben Sie gelesen, der Bürgermeister Dr. Weiskirchner hat anläßlich der glänzenden Waffentat des U-5-Boots dem Admiral Haus ein Glückwunschtelegramm geschickt, und er hat schon geantwortet?

Der Patriot: Was hat er geantwortet?

Der Abonnent: »Bitte, meinen verbindlichsten Dank für die überaus freundlichen Glückwünsche entgegenzunehmen.«

Der Patriot: Aber wissen Sie schon, daß der Leiter der israelitischen Militärseelsorge Feldrabbiner Dr. Frankfurter beim Osterfeste eine patriotische Ansprache gehalten hat?

Der Abonnent: Was Sie nicht sagen! Das is mir entgangen! Und dann?

Der Patriot: Der Text wurde vom Militärkommando Wien dem Erzherzog FriedrichErzherzog Friedrich – österr. Feldmarschall, Oberkommandierender der öster.-ungar. Streitkräfte, vgl. Akt. 4 Szene 29, † 1936 und dem Erzherzog Karl Franz JosefErzherzog Karl Franz Joseph – rückte nach dem Attentat von Sarajewo zum Thronfolger auf, als Karl I. seit November 1916 österr. Kaiser, befahl den Einsatz von Giftgas, wurde 2004 von Papst Johannes Paul II. heiliggesprochen vorgelegt.

Der Abonnent: Und dann?

Der Patriot: Beide Erzherzoge ließen dem Feldrabbiner danken.

Der Abonnent: Sehn Sie, das freut mich. Aber ich kann Ihnen dafür erzählen, König Ludwig von Bayern hat dem sich zur Zeit in Franzensbad aufhaltenden Bezirksrabbiner Benzion Katz von Borszczow auf dessen anläßlich der Einnahme von Warschau gesandtes Huldigungstelegramm telegraphisch seinen Dank ausdrücken lassen.

Der Patriot: Das weiß ich und ich weiß noch mehr.

Der Abonnent: Da bin ich gespannt.

Der Patriot: Benzion Katz, Bezirksrabbiner zu Borszczow, derzeit in Franzensbad, hat anläßlich der Einnahme von Warschau und Iwangorod –

Der Abonnent: Also auch wegen Iwangorod?

Der Patriot: Ja, auch wegen Iwangorod, an den Armeeoberkommandanten Feldmarschall Erzherzog Friedrich eine Huldigungsdepesche gerichtet –

Der Abonnent: Und dann?

Der Patriot: – auf welche folgende Antwort eingetroffen ist: Se. k. u. k. Hoheit der durchlauchtigste Herr Armeeoberkommandant Feldmarschall Erzherzog Friedrich –

Der Abonnent: Aha weiß schon: dankt bestens für die patriotische Kundgebung. Im höchsten Auftrage Flügeladjutant Oberst v. Lorz.

Der Patriot: Woher wissen Sie das?

Der Abonnent: No ich kann Ihnen noch mehr sagen. Nämlich den Text von der Antwort von König Ludwig von Bayern, nämlich das hab ich erst später gelesen, nämlich König Ludwig von Bayern hat an den sich in Franzensbad aufhaltenden Bezirksrabbiner Benzion Katz von Borszczow auf dessen anläßlich der Einnahme von Warschau gesendetes Glückwunschtelegramm folgende Antwort gerichtet: »Ihnen und Ihren in Franzensbad weilenden Landsleuten danke ich bestens für die Glückwünsche zur Befreiung Warschaus. Ludwig.«

Der Patriot: Schad, daß man immer nur von den Antworten hört, und nie, was Benzion Katz telegraphiert hat.

Der Abonnent: Gott, es gibt ja so viel jetzt, man weiß gar nicht, wofür man sich zuerst intressieren soll, richtig, wissen Sie schon, wer im Reservespital Nr. 9 (früher k. k. Statthaltereispital) unter der Leitung des Regisseurs Franz Brunner mitgewirkt hat?

Der Patriot: Frau Sektionschef Jarzebecka, Rosa Kunze, Helene Gad, Marta Seeböck, Elsa v. Konrad, Marta Land, Frau Professor Felsen, Gusti Schlesak, Henriette Weiß, Mizzi Ohmann, Christine Werner und die Herren Ernst Salzberger und Viktor Springer.

Der Abonnent: Fürwahr, eine stattliche Liste. Im Vereinsreservespital Nr. 8 (Rothschild-Spital) haben meines Wissens nur mitgewirkt: Frau Anna Kastinger, Fräulein Finni Kaufmann (am Klavier Hela Lang), Fräulein Ila Tessa, Adolf Raab, Fräulein Karla Porjes, das Schrammel-Quartett Uhl und das Edelweiß-Quartett unter Leitung des Chormeisters E. Bochdansky mit den Herren I. Michl, G. Steinweiß und I. Zohner.

Der Patriot: So ist es. Wissen Sie aber, daß im Spital in der Apostelgasse auf Anregung des Bezirksschulinspektors Hornolatsch das »Deutsche Lied in Wort und Bild und Sang und Klang« zum Besten gegeben wurde?

Der Abonnent: Nein, es setzt mich in Erstaunen, aber das eine weiß ich, daß sich E. Koritschoner, Prag und Minna Husserl, Mährisch-Trübau am 15. d. verlobt haben.

Der Patriot: So ist es. Ja, ja, es gehn große Dinge vor. Haben Sie gelesen, »Verzweiflung des Viererverbandes am Sieg«?

Der Abonnent: ja, ja, es scheint sich zu bewahrheiten, ich glaub es wird eine Verzweiflung am Sieg des Viererverbandes ausbrechen, wie sie die Welt noch nicht gesehn hat.

Der Patriot: Ma werd doch da sehn. (Ab.)

(Verwandlung.)

4. Szene

Standort des Hauptquartiers. Eine Straße. Ein Journalist und ein alter General treten auf.

Der Journalist: Sind Exellenz vielleicht in der Lage, mir einige Andeutungen über die momentane Situation zu machen?

Der General (nach einigem Nachdenken): Wir gedenken – in Liebe – unserer Lieben – in der Heimat – die uns – mit Liebesgaben – bedenken – und unserer – in Treue – gedenken.

Der Journalist: Aufrichtigen Dank, Exellenz, ich werde nicht verfehlen, diese bedeutsame Äußerung eines unserer glorreichen Heerführer sofort – (Beide ab.)

(Ein anderer Journalist und ein anderer alter General treten auf.)

Der Journalist: Sind Exellenz vielleicht in der Lage, mir über den Verlauf der jetzigen Begebenheit Authentisches, soweit es irn Rahmen der gebotenen Rücksichten möglich ist, für das Blatt zur Verfügung zu stellen?

Der General: I waß nix – i hob nur g'hört – daß jetzt – die Preißen kummen – die Preißen – nacher – alstern nacher – gehts uns wieder – schlecht – diese – diese – verflixten Preißen –

Der Journalist: Intressant. Wissen Exellenz vielleicht etwas über das uns besonders am Herzen liegende Schicksal der dritten reitenden Artilleriebrigade?

Der General: Die – ritte – dreitende – rati – tatita – ti – titeriti –

Der Journalist: Vielen Dank, Exellenz, ich werde nicht verfehlen, diese hochbedeutsame Kundgebung eines unserer siegreichen Feldherrn – (Beide ab.)

(Verwandlung.)

5. Szene

Südwestfront.

Eine Stimme aus dem Hintergrund: Net z'weit vurgehn, Exlenz, net z'weit vur!

Eine zweite Stimme aus dem Hintergrund: Net vurgehn Exlenz, der Ort is vom Feind eingsehn, da muß doch ein Einsehn sein, net vurgehn!

Ein alter General tritt auf. Er ist in Gedanken versunken. Ein siziIianischer Soldat nähert sich ihm und fängt ihn mit dem Lasso. Der Soldat fährt den General ab.

Ein Mitglied des Kriegspressequartiers (bemerkt es und ruft): Das ist nicht wahr! – Ich hab es selbst gesehn! – Das wird ein Fressen für sie sein! – Märchen italienischer Berichterstattung! – Kommentar überflüssig.

(Verwandlung.)

6. Szene

Ein Infanterieregiment dreihundert Schritt vom Feind. Heftiger Feuerkampf.

Ein Infanterieoffizier: Da schauts nach rückwärts, unser guter Feldkurat kommt zu uns. Das is schön von ihm.

Der Feldkurat Anton Allmer: Gott grüße euch, ihr Braven! Gott segne eure Waffen! Feuerts tüchtig eini in die Feind?

Der Offizier: Habe die Ehre Hochwürden – wir sind stolz, einen so unerschrockenen Feldkuraten zu haben, der trotz feindlicher Feuerwirkung, der drohenden Gefahr nicht achtend, sich unserer Feuerstellung nähert.

Der Feldkurat: Gehts, laßts mich auch a wengerl schießen.

Der Offizier: Wir freuen uns alle, einen so tapfern Feldkuraten zu haben! (Er reicht ihm ein Gewehr. Der Feldkurat feuert einige Schüsse ab.)

Der Feldkurat: Bumsti!

Rufe: Bravo! Ist das aber ein edler Priester! Hoch unser lieber Feldkurat!

(Verwandlung.)

7. Szene

Bei der Batterie.

Ein Artillerieoffizier: Da schauts, unser guter Feldkurat kommt zu uns aus der Infanteriestellung. Das is schön von ihm!

Der Feldkurat Anton Allmer: Gott grüße euch, ihr Braven! Gott segne eure Waffen! Feuerts tüchtig eini in die Feind?

Der Offizier: Sauber laufts, Hochwürden.

Der Feldkurat: Mit Gott möcht ich auch einmal ein Geschütz probieren.

Der Offizier: Gern, Hochwürden, hoffentlich treffen Sie einige Russen.

(Der Feldkurat feuert ein Geschütz ab.)

Der Feldkurat: Bumsti!

Rufe: Bravo!

Der Offizier (zur Mannschaft): Das ist ein guter, edler Priester! Und ein Sohn unserer schönen Steiermark. Das muß ich ins Grazer Volksblatt geben! (zum Feldkuraten) Das heimische Regiment freut sich und ist stolz auf seinen Feldkuraten und tapferen Mitkämpfer, der mit gutem Beispiel vorangeht.

Rufe: Hoch!

Der Offizier: Jetzt erst, da Hochwürden geschossen hat, sind unsere Waffen gesegnet!

Die Schalek nähert sich.

Die Schalek: Was is das für eine Stellung? Das soll eine Stellung sein? Ich hab schon bessere Stellungen gesehn!

Der Offizier: Bitte Nachsicht zu haben – in der kurzen Zeit –

Die Schalek: Sie, Herr Oberleutnant, wissen Sie was, ich möcht bißl schießen.

Der Offizier: Von Herzen gern Fräulein, aber das is momentan leider unmöglich, weil es den Feind aufregen könnte. jetzt is grad eine Gefechtspause und wir sind froh –

Die Schalek: Aber bitt Sie machen Sie keine Geschichten also der Kurat darf und ich darf nicht? – wenn ich schon eigens herausgekommen bin – wie Sie wissen, schildere ich nur aus dem persönlichen Erleben – bedenken Sie, daß ich die Schilderung unbedingt vervollständigen muß – es is doch für Sonntag!

Der Offizier: Ja – also – eine Verantwortung kann ich nicht übernehmen –

Die Schalek: Aber ich! Geben Sie her. Also wie schießt man?

Der Offizier: So –

(Die Schalek schießt. Der Feind erwidert.)

Der Offizier: Also da ham mrs!

Die Schalek: Was wollen Sie haben? Das is doch intressant!

(Verwandlung.)

8. Szene

Der Wurstelprater. Die Szene stellt einen Schützengraben dar, in welchem Provinzschauspieler Schießübungen vornehmen, telephonieren, schlafen, essen und Zeitung lesen. Der Schützengraben trägt Flaggenschmuck. Das tausendköpfige Publikum steht in dichten Reihen davor, zahlreiche Funktionäre, Würdenträger und Reporter im Vordergrund.

Der Entrepreneur: – und hiermit empfehle ich den Schützengraben, welcher dem p. t. Publikum das Leben im echten Schützengraben täuschend vor Augen führen soll, dem edlen Zwecke der patriotischen Kriegsfürsorge und richte an Seine kaiserliche Hoheit das alleruntertänigste Ersuchen, den Schützengraben für eröffnet zu erklären.

Ein Vertreter der Korrespondenz Wilhelm (zu seinem Kollegen): Unter den militärischen und zivilen Notabilitäten bemerkte man u. a. –

Der Kollege (schreibend): Angelo Eisner v. Eisenhof, Flora Dub, Hofrat und Hofrätin Schwarz-GelberSchwarz-Gelber – fiktiver Name, Anspielung auf das »Schwarz-Gelbe Kreuz«, eine Geldsammlung für den Krieg –

Der Vertreter: Aber ich seh die nicht –

Der Kollege: No ich weiß aber.

Der Vertreter: Pst. Die Eröffnung erfolgt. Schreiben Sie: Schlag 6 Uhr erfolgte.

Die Stimme des Erzherzogs Karl Franz Josef: Ich bin gerne gekommen, den Schützengraben anzuschauen. Ich bin ja selbst Soldat.

Das Publikum: Hoch! Hoch! Hoch!

Hofrätin Schwarz-Gelber (zu ihrem Gemahl): Hier sieht man nichts, komm, dorten wird man gesehn.

(Es erfolgen Vorstellungen. Das Publikum massiert sich und zerstreut sich hierauf. Es bilden sich Gruppen.)

Der ungenannt sein wollende Herr Oberleutnant, der in Schaumanns Apotheke, Stockerau, zu Gunsten des Roten Kreuzes den Betrag von 1 K erlegt hat (zu einem Herrn): Es ist zu hoffen, daß auch diese Veranstaltung, die sicherlich einem Gedanken oder einer Anregung ihre Entstehung verdankt, dem wohltätigen zwecke manch namhaftes Sümmchen einbringen wird. Ich interessiere mich für alle auf die Kriegsfürsorge abzielenden Bestrebungen, ich bin nämlich wie Sie mich da sehn niemand anderer als der Spender des in Schaumanns Apotheke, Stockerau, von einem ungenannt sein wollenden Herrn Oberleutnant zu Gunsten des Roten Kreuzes erlegten Betrages von 1 K, Summe 1091 K bar und 2000 K Nominale Rente, hiezu der frühere Ausweis von 679 253 K bar, macht 680 344 K bar und –

Doktor Kunze: Was, so viel?

Der ungenannt sein wollende Herr Oberleutnant, der in Schaumanns Apotheke, Stockerau, zu Gunsten des Roten Kreuzes den Betrag von 1 K erlegt hat: Ja, ja, das summiert sich. Ich hatte lange geschwankt, ob ich mit meinem Namen hervortreten solle, aber da ich, wo es sich um Wohltun handelt, ein abgesagter Feind jeglicher Publizität bin, so entschloß ich mich verborgen zu bleiben. Und die halbe Anonymität – das ist wieder die halbe Wohltätigkeit. Da sehen Sie, Otto Ni. aus Leitmeritz und Robert Bi. aus Theresienstadt gratulieren Rusi Ni. in Wien zum freudigen Familienereignis: »Gut is 'gangen, nix is g'scheh'n!« – 2 K 7 h, rechnet man aber hiezu den früheren Ausweis, so kommt bloß 576 209 K 52 h heraus. Da stehe ich ganz anders da, ganz abgesehen davon, daß ich ja allein war und keineswegs erst den Anlaß einer glücklichen Entbindung gebraucht habe, um –

Doktor Kunze: Ich beneide Sie. Ich habe mehr getan, aber im Ganzen wars doch nichts. Wie Sie mich da sehn, bin ich nämlich niemand anderer als der Mann, der in seiner Jagdgesellschaft die Anregung gegeben hat, daß jeder Teilnehmer für den Kriegsfürsorgezweck das Scherflein von 2 K beitragen möge. Ich selbst habe natürlich den Anfang gemacht und meinem Beispiele haben sich denn auch alsobald die andern angeschlossen, so daß ich in der Lage war, es zu veröffentlichen. Ich hatte lange geschwankt, ob ich mit meinem Namen verborgen bleiben solle, aber da ich, wo es sich darum handelt, beispielgebend zu wirken, ein abgesagter Feind jeglicher Anonymität bin, so entschloß ich mich, hervorzutreten. Ich huldige denn da doch wesentlich anderen Anschauungen als Sie. Im Ganzen waren es also 26 K, denn wir waren unser dreizehn. Das ist immerhin ein stattliches Sümmchen, aber freilich verglichen mit dem Resultat – (sie gehen im Gespräch ab.)

Der Patriot: In London haben sie etwas eine Spielerei, einen Schützengraben. Sehr gut hab ich da neulich in der Presse gelesen »Der Prinz von Wales im Schützengraben«. Natürlich dort treibt er sich herum, draußen war er noch nicht!

Der Abonnent: Sie tändeln mit dem Krieg.

(Verwandlung.)

9. Szene

Semmering. Terrasse des Südbahnhotels. Alpenglühen. Jung und Alt, Groß und Klein ist versammelt. Man bemerkt Schakale und Hyänen. Eine Dame hat soeben mit tiefer Empfindung Heine rezitiert und erntet reichen Beifall. Die Getreuen des Semmering sind in stiller Betrachtung versunken.

Jung: Weiß ist der größte Tourist. Er geht im Schritt, er geht im Trab oder, wenn keine Zeit is, geht er auch im Galopp. Er hat den Tarockzug noch nie versäumt.

Alt: Ein erstklassiges Alpenglühn. Schauts euch den Generaldirektor an am Fenster, sein Gesicht glänzt.

Dangl (kommt atemlos): Meine verehrten Gäste, soeben is aus Wien telephoniert worn, Durazzo is gfalln – große Erfolge bei Verdun!

Alle: Hoch Dangl!

Groß: Ich hab stark den Eindruck, der Himmel is illuminiert wegen Durazzo.

Klein: Heute kann man es genießen! Heut sind sie alle versammelt die unbedingten Verehrer des Semmering und die Getreuen.

Stimmengewirr: Wo is Weiß? – Bittich schrei nicht, Stukart hört – Habts ihr gehört von Durazzo, Kleinigkeit – Das Panorama war fabelhaft – Begierig bin ich, ob er heut zurecht kommt – Nutzt nix, Heine ist und bleibt der gresste deutsche Dichter und wenn sie zerspringen – Ich hab den Sektionschef gegrüßt, er hat auch gegrüßt – Sie wern sehn, er wird in den Annalen fortleben Am Sonnwendstein will er herauf hat er gesagt – Nicht wern sie Verdun bekommen! – Sind Sie eigentlich ein starker Esser? Ich bin nämlich ein starker Esser – Das Panorama war fabelhaft – Ich sag dir, im Schritt, er hat Zeit – Die Verluste müssen gesalzen sein! – Der muß auch hübsch verdienen – Wie sie das deklamiert hat, war ich effektiv begeistert – Wetten, er kommt heut im Trab – Der Doktor hat gesagt, unten steht es glänzend – Ich hätt noch drei Waggon – Wie er sich getauft hat, hat sie sich geschieden – Heut versäumt er aber ja, sag ich euch – Wenn ihr euch kugeln wollts, müßts ihr in die Josefstadt – Was heißt Truppentransporte? Der Tarockzug geht immer! – Das Panorama war fabelhaft – Dorten kommt er gelaufen, was hab ich gesagt, Weiß im Galopp! (Die Gesellschaft verzieht sich.)

Ein Getreuer des Semmering (im Abgehn): Laßts ihn schlafen, er macht sich Sorgen wegen der Metallablieferung.

Der Generaldirektor (schlafend, mit der Geste einer jähen Eingebung): Vergroben! (Er erwacht.)

(Verwandlung.)

10. Szene

Der Optimist und der Nörgler im Gespräch.

Der Optimist: Das kann ich wirklich mit ruhigem Gewissen behaupten, ich habe seit der Kriegserklärung noch keinen jungen Menschen in Wien getroffen, der noch da war und wenn er noch da war, der nicht vor Ungeduld gefiebert hätte, nicht mehr da zu sein.

Der Nörgler: Ich komme so wenig unter Leute. Aber ich habe ein Gesellschaftstelephon. Da habe ich schon im Frieden mühelos und ohne erst auf die schwarze Scheibe hauen zu müssen, Gespräche des Bezirks, über eine geplante Poker-Partie, über ein vorgehabtes Geschäft und über einen angestrebten Koitus hören können. Meine einzigen Verbindungen mit der Außenwelt sind die falschen. Seitdem der Weltkrieg ausgebrochen ist und das vaterländische Telephon dadurch keineswegs verbessert wurde, drehen sich die Gespräche um ein weiteres Problem und ich kann tagtäglich, so oft ich ans Telephon gerufen werde, um andere Leute miteinander sprechen zu hören, also mindestens zehnmal täglich Gespräche hören wie die: »Der Gustl is hinaufgegangen und hat sichs gerichtet.« »Wie gehts denn dem Rudi?« »Der Rudi is auch hinaufgegangen und hat sichs auch gerichtet.« »Und der Pepi? Is der am End schon im Feld?« »Der Pepi hat einen Hexenschuß. Aber sobald er aufstehn kann, wird er hinaufgehn und sichs richten.«

Der Optimist: Seien Sie vorsichtig.

Der Nörgler: Warum? Ich würde es beweisen können. Es gibt noch Richter in Österreich.

Der Optimist: Von Ihrem Standpunkt müßten Sie ja die Befreiung jedes einzelnen begrüßen.

Der Nörgler: Jawohl, jedes einzelnen. Ich stehe auf meinem Standpunkt. Aber das Vaterland steht nicht auf meinem Standpunkt, und jene, die ausgenommen sein wollen, bekennen sich zum Standpunkt des Vaterlands und nicht zu dem meinigen. Wenn ich den Zwang zum Tode für eine Schmach halte, so halte ich die Protektion vor dem Tode für einen Zustand, der die Schmach bis zu dem Gefühl verschärft, daß man hierzulande nur als Selbstmörder weiterleben kann. Es ist das letzte Freiwilligenrecht gegenüber der allgemeinen Wehrpflicht.

Der Optimist: Aber Ausnahmen muß es schließlich geben. Zum Beispiel die Literatur. Das Vaterland braucht nicht nur Soldaten –

Der Nörgler: – sondern auch Lyriker die ihnen den Mut machen, den sie selbst nicht haben.

Der Optimist: Die Dichter sind aber mit dem höheren Zweck entschieden gewachsen. Sie können unmöglich leugnen, daß der Krieg auch sie gestählt hat.

Der Nörgler: Den meisten hat er die Gewinnsucht mobilisiert, den paar Charaktervollen nur die Dummheit.

Der Optimist: Ein Mann wie Richard Dehmel,Richard Dehmel – dt. Lyriker, * 1863, meldete sich 1914 freiwillig zum Wehrdienst, schrieb Kriegsgedichte der selbst eingerückt ist, hat ein Beispiel gegeben –

Der Nörgler: – das er durch seine Kriegslyrik entwertet hat. Er nannte das Geräusch der Maschinengewehre Sphärenmusik und stellte jene Kreatur, die der allgemeinen Wehrpflicht noch wehrloser gegenübersteht als der Mensch, unter den Begriff des Vaterlandes, für dessen unheilige Sache er die »deutschen Pferde« reklamiert hat.

Der Optimist: Ja, in solchen Zeiten sind eben alle Dichter fortgerissen –

Der Nörgler: – der Tat jener, die die Schöpfung schänden, das Wort zu leihen.

Der Optimist: Blicken Sie auf KernstockKernstock – Ottokar Kernstock, österr. Lyriker, Pfarrer auf der steiermärkischen Festenburg † 1928 –

Der Nörgler: Nicht gern.

Der Optimist: Ein Dichter christlicher Milde, in seinem Beruf sogar ein Geistlicher.

Der Nörgler: Ja, das gebe ich zu, der ist außerordentlich gestählt worden. Ich denke vor allem an die Verse, in denen er seine Steirerbuam auffordert, aus Welschlandfrüchtchen blutroten Wein zu pressen.

Der Optimist: Oder denken Sie an den Bruder Willram –

Der Nörgler: Leider läßt mich mein Gedächtnis nicht im Stich. Das ist doch der christliche Dichter, dem Blut ein rotes Blühn ist und der von einem Blutfrühling träumt. Sie spielen vielleicht auf die Weisung dieses Seelsorgers an, die da lautet: Im Kampf mit Drachen und Molchen die stinkende Brut erdolchen? Oder: Die Feinde dreschen nach Herzenslust und jedem das schrille Blei in die Brust?

Der Optimist: Nein, ich meine seinen Ausruf: Zum Freiwild ist geworden der feige welsche Wicht. Oder die Verse, in denen sein Schlachtroß laut wiehert und schnaubt voll edlen Muts und trägt ihn in der Feinde Troß durch Bäche roten Bluts.

Der Nörgler: Aber die Kavallerie ist doch schon abgesessen und selbst der Einspänner von der Innsbrucker Weinstube nachhaus ist heute unerschwinglich.

Der Optimist: Unterschätzen Sie nicht die Kraft dichterischer Illusion, zumal in dem Gedicht, worin er den Herrgott bittet, die Feinde so zu segnen, daß selbst dem Teufel graust, wenn wir uns baden im Blute.

Der Nörgler: Und was tut der Teufel? Ihm grausts umsomehr, je weniger es dem Priester graust.

Der Optimist: Oder blicken wir auf Dörmann.

Der Nörgler: Der ist doch kein Priester.

Der Optimist: Aber ein Dichter! Wie standen wir seinerzeit im Bann seiner Worte: »lch liebe die hektischen schlanken-«! Jetzt, um fünfundzwanzig Jahre älter geworden, hat er sich aus einer anämischen Geschmacksrichtung, die wir gottseidank alle überwunden haben, zu einer blutlebendigeren Auffassung –

Der Nörgler: Sie vergessen, daß schon die hektischen schlanken Narzissen einen blutroten Mund hatten.

Der Optimist: Trotzdem. Was ist das im Vergleich zu den Versen, mit denen er jetzt alle fortreißt: »Die Russen und die Serben, die hauen wir zu Scherben!« Wie hat der sich aufgerafft, zu welcher Entschlossenheit und Kraftfülle ist dieser einst dekadente Lyriker emporgediehen. Wie groß muß die Wirkung dieser Gegenwart sein, daß sie einen amourösen Liebling der Grazien so verwandeln, zu solcher Unerbittlichkeit des Fühlens, zu solcher Tatkraft des Vollbringens befähigen konnte.

Der Nörgler: Es ist über ihn gekommen.

Der Optimist: Und Sie werden auch den Vorteil, den die Einstellung der literarischen Produktion auf die Bedürfnisse des Vaterlands sowohl für dieses wie last not least für den Betreffenden selbst hat, nicht leugnen können. Dazu kommt, daß in einer Zeit, in der jeder seine Pflicht gegen das Vaterland erfüllt, auch das Vaterland Gelegenheit hat, sich der Pflicht gegen seine besten Söhne zu erinnern. Ich denke da vor allem an einen Mann wie Lehar. Es hat sich einfach von selbst verstanden, daß der Schöpfer des Nechledil-Marsches von jeder Kriegsdienstleistung befreit blieb.

Der Nörgler: Beethoven hätte wegen Schwerhörigkeit einen C-Befund gekriegt und infolgedessen bloß bei Mullatschaks in Offiziersmessen Klavier spielen müssen. Welche Vertreter der Malerei und der Literatur würden Ihnen ähnlich berücksichtigenswert erscheinen?

Der Optimist: Ich denke an Schönpflug, den Zeichner so vieler lustiger Militärtypen, und an Hans Müller, dessen sonnige Feuilletons eine wahre Herzstärkung sind und so viel zum Durchhalten beigetragen haben.

Der Nörgler: Auch mich sollte es baß verwundern, wenn ein Dichter, den Wilhelm II. in der Wiener Hofburg empfangen hat, die daraufhin noch nicht geschlossen wurde, nicht eines Tages von dem aufreibenden Dienst im k. u. k. Kriegsarchiv befreit würde.

Der Optimist: Da haben Sie ganz recht. Solche Männer erbringen ja durch ihr eigenes Schaffen die erfreulichsten Beweise für ihre Unentbehrlichkeit. Aber daneben muß es auch Kriegsschilderer und Kriegsberichterstatter geben; sie sind vom Frontdienst befreit, um –

Der Nörgler: – den andern darauf Gusto zu machen.

Der Optimist: Sie bewähren sich in ihrer Art so gut wie die Militärärzte, die –

Der Nörgler: – umso untauglicher sind, je mehr Leute sie für tauglich erklären, und umso sicherer ihr Leben behalten –

Der Optimist: – je mehr Verwundeten sie es wiedergeben –

Der Nörgler: – damit diese es verlieren können. Während wieder die Auditoren es umso sicherer behalten, je mehr Gesunden sie es nehmen.

Der Optimist: Man darf nicht generalisieren.

Der Nörgler: Man darf alles, nur nicht das.

Der Optimist: Das Vaterland braucht Soldaten, aber auch Kriegsberichterstatter. Es ist doch Krieg, und so müssen sie es uns sagen.

Der Nörgler:
Wie? Es ist Krieg? Wir wissen es von solchen,
die noch ihr dreckiges Ich haben, das erzählt,
in welcher Stimmung sie den Krieg besichtigt?
Ein Schlachtroß fänd' es unter seiner Würde
mit seinem linken Hinterhuf die Krummnas'
von sich zu stoßen, und die oben sitzen,
empfangen sie, und stehn ihr Red' und Antwort,
verköstigen an ihrem eigenen Tisch
den Auswurf? Wie, war das Ereignis denn
nicht stark genug, den innern Feind zu schlagen?
Er dringt zur Front, macht sich ums Blatt verdient?
Stellt uns den Krieg vor, stellt sich vor den Krieg?
Er wird nicht untergehn? Er lebt? Er dient nicht?
Nicht exerzieren müssen die Gemeinen?
Ist es ein Krieg? Ich denk', es ist der Friede.
Die Bessern gehen und die Schlechtern bleiben.
Nicht sterben müssen sie. Sie können schreiben.

(Ein Zug von Rekruten, die graue Bärte haben, geht vorbei.)

Der Optimist: Sehn Sie, die rücken ein.

Der Nörgler: Und dennoch sind sie nicht Einrückende.

Der Optimist: Sondern?

Der Nörgler: Einrückend gemachte, wie sie mit Recht heißen. Das Partizipium der Gegenwart allein würde noch eine Willenstätigkeit bekunden und darum muß schon ein Partizip der Vergangenheit dabei sein. Es sind also einrückend Gemachte. Bald werden sie einrückend gemacht sein.

Der Optimist: Nun ja, sie müssen in den Krieg ziehen.

Der Nörgler: Ganz richtig, sie müssen, die allgemeine Wehrpflicht hat aus der Menschheit ein Passivum gemacht. Einst zog man in den Krieg, jetzt wird man in den Krieg gezogen. Nur in Deutschland ist man schon darüber hinaus.

Der Optimist: Wie das?

Der Nörgler: In Karlsruhe habe ich ein großes Plakatgelesen: Macht Soldaten frei! Und sogar am Tor des Oberkommandos.

Der Optimist: Wie ist das möglich, das ist doch Revolution, wie kann das Oberkommando in Karlsruhe –

Der Nörgler: Ja, es werden nämlich Schreiber für die Kanzlei gesucht und es wird gewünscht, daß sich Zivilisten melden, damit Soldaten, die noch in der Kanzlei arbeiten, für die Front frei werden. Also: »Macht Soldaten frei!« Bei uns würde man auch da sagen: »Macht Soldaten einrückend«, worin ja hinreichend Willensfreiheit wäre. Ich glaube aber, daß das deutsche Plakat seine Wirkung unter allen Umständen erreicht. Denn wenn es seine Wirkung auch nicht erreicht, so weiß die deutsche Militärverwaltung doch dafür zu sorgen, daß die vakanten Schreiberposten besetzt werden. Ein Mangel an Bewerbern könnte nur eintreten, wenn bereits alle Soldaten, die dafür in Betracht kommen, freie Soldaten geworden sind.

Der Optimist: Ihre Nörgelei macht nicht einmal vor einer Verlautbarung des Oberkommandos in Karlsruhe Halt.

Der Nörgler: Ich habe übrigens noch eine andere draußen gesehn. In einem Polizeiamt hängt ein Plakat, dessen Text mir ins Ohr gegangen ist. Er lautet:
Haut die Schufte, haut die Bande,
Werft sie bis zu Ätnas Rande,
Füllt sie in Vesuvens Rachen!
Haut sie, daß die Schwarten krachen!
Haut sie, daß sie nur so glotzen,
Haut sie, bis sie Lumpen kotzen!
Streicht Pardon aus eueren Herzen,
Um das Trugvolk auszumerzen!
Füllt mit Dynamit die Täler,
Rottet aus die Heuchler, Hehler,
Jedem schlagt den Schädel ein
Und seid stolz, »Barbar« zu sein!

Der Optimist: So etwas wäre auch bei den anderen Nationen möglich.

Der Nörgler: Man darf nicht generalisieren. Aber Sie könnten recht haben. Es wäre sogar bei den Engländern möglich, wenn sie noch ein paar Jahre allgemeine Wehrpflicht haben. Daß die Täler dazu da sind, um mit Dynamit gefüllt zu werden, wird allmählich allen Völkern einleuchten. Nur die eine Zeile: Haut sie, bis sie Lumpen. kotzen – die, sehn Sie, hat Landesfarbe.

Der Optimist: Eine Roheit, was weiter. Man darf nicht generalisieren.

Der Nörgler: Gewiß nicht, es wäre bei den weißen wie bei den farbigen Engländern unmöglich.

Der Optimist: Es ist auch in Deutschland ein Einzelfall.

Der Nörgler: Der aber nur in Deutschland möglich ist. Und der Kerl, der es verfaßt hat, sitzt in einem Büro und erschrickt, wenn ein Papiersack explodiert.

Der Optimist: Nun, eben –

Der Nörgler: Und derselbe Kerl ist, wenn er hinauskommt, ein passionierter Mörder, dreht einem Sterbenden das Messer im Leib um, würde es stolz erzählen, wenn er daheim ist, und wieder erschrecken, wenn ein Papiersack explodiert.

Der Optimist: Ich verstehe Sie nicht. Es gibt gute und böse Menschen im Krieg. Sie sagen doch selbst, daß er nur die Kontraste vergrößert hat.

Der Nörgler: Gewiß, auch den zwischen mir und Ihnen. Sie waren schon im Frieden ein Optimist und jetzt –

Der Optimist: Sie waren schon im Frieden ein Nörgler und jetzt –

Der Nörgler: Jetzt geb' ich sogar der Phrase die Blutschuld.

Der Optimist: Ja, warum sollte der Krieg Sie von Ihrer fixen Idee befreit haben?

Der Nörgler: Ganz richtig, er hat mich sogar darin bestärkt. Ich bin mit dem höheren Zweck kleinlicher geworden. Ich sehe einrückend Gemachte und spüre, daß es gegen die Sprache geht. An Drahtverhauen hängen die blutigen Reste der Natur.

Der Optimist: Wirklich also, mit Grammatik wollen Sie den Krieg führen?

Der Nörgler: Das ist ein Irrtum, mich interessiert kein Reglement, nur der lebendige Sinn des Ganzen. Im Krieg gehts um Leben und Tod der Sprache. Wissen Sie, was geschehen ist? Schilder und Schilde sind nicht mehr zu unterscheiden und alle, die nur ein Schild und einen Verdienst gehabt haben, werden dereinst ein Verdienst und einen Schild haben. So mischen sich die Sphären und die neue Welt ist blutiger als die alte, weil sie den furchtbaren neuen Sinn furchtbarer macht durch die alten Formen, denen sie geistig nicht entwachsen konnte. Fibel und Flammenwerfer! Panier und Papier! Weil wir zum Schwert greifen, mußten wir zur Gasbombe greifen. Und wir führen diesen Kampf bis aufs Messer.

Der Optimist: Das ist mir zu hoch. Bleiben wir hübsch in der Wirklichkeit. Es handelt sich in diesem –

Der Nörgler: Jawohl, es handelt sich in diesem –!

Der Optimist: Wenn die Kämpfer nicht ein Ideal vor sich hätten, würden sie nicht in den Krieg ziehen. Auf Worte kommt es nicht an. Weil die Völker Ideale vor Augen haben, tragen sie ihre Haut –

Der Nörgler: Zu Markte!

Der Optimist: Nun gerade in der Sprache unserer Armeekommanden müßten Sie einen Zug erkennen, der sich von der trivialen Prosa der von Ihnen verachteten Geschäftswelt kräftig abhebt.

Der Nörgler: Gewiß, insoferne diese Sprache bloß eine Beziehung zum Varietégeschäft verrät. So habe ich in einem Divisionskommandobefehl gelesen: ... die, was Heldenmut, todesverachtende Tapferkeit und Selbstaufopferung anbetrifft, das höchste geleistet haben, was erstklassige Truppen überhaupt zu leisten imstande sind ... Sicherlich hat dem Divisionär eine jener erstklassigen Truppen vorgeschwebt, an denen er sich im Frieden oft zu ergötzen pflegte. Das reine Geschäft kommt mehr in der fortwährenden Verwechslung von Schilden und Schildern zur Geltung.

Der Optimist: Meinen Sie das wörtlich?

Der Nörgler: Sachlich und wörtlich, also wörtlich.

Der Optimist: Ja es ist ein Kreuz mit der Sprache.

Der Nörgler: Das man auf der Brust trägt. Ich trag's auf dem Rücken.

Der Optimist: Ob Sie das nicht überschätzen?

Der Nörgler: zum Beispiel so: Ein Volk, sage ich, ist dann fertig, wenn es seine Phrasen noch in einem Lebensstand mitschleppt, wo es deren Inhalt wieder erlebt. Das ist dann der Beweis dafür, daß es diesen Inhalt nicht mehr erlebt.

Der Optimist: Wie das?

Der Nörgler: Ein U-Boot-Kommandant hält die Fahne hoch, ein Fliegerangriff ist zu Wasser geworden. Leerer wird's noch, wenn die Metapher stofflich zuständig ist. Wenn statt einer Truppenoperation zu Lande einmal eine maritime Unternehmung Schiffbruch leidet. Wenn der Erfolg in unsern jetzigen Stellungen bombensicher war und die Beschießung eines Platzes ein Bombenerfolg.

Der Optimist: Ja, diese Redensarten entstammen samt und sonders der kriegerischen Sphäre und jetzt leben wir eben in ihr.

Der Nörgler: Wir tun es nicht. Sonst wäre der Schorf der Sprache von selbst abgefallen. Neulich las ich, daß sich die Nachricht von einem Brand in Hietzing wie ein Lauffeuer verbreitet habe. So auch die Nachricht vom Weltbrand.

Der Optimist: Brennts darum nicht?

Der Nörgler: Doch. Papier brennt und hat die Welt entzündet. Zeitungsblätter haben zum Unterzünden des Weltbrands gedient. Erlebt ist nur, daß die letzte Stunde geschlagen hat. Denn Kirchenglocken werden in Kanonen verwandelt.

Der Optimist: Die Kirchen selbst scheinen das nicht so tragisch zu nehmen, denn sie stellen die Glocken vielfach auch freiwillig zur Verfügung.

Der Nörgler: Krieg sei ihr letzt Geläute. Die Verwandtschaft von Requiem und Mörser stellt sich allmählich doch heraus.

Der Optimist: In jedem Staat fleht die Kirche Gottes Segen für ihre eigenen Waffen herab –

Der Nörgler: – und trachtet diese noch zu vermehren. Wohl, es kann von ihr nicht verlangt werden, daß sie Gottes Segen für die feindlichen Waffen herabfleht, aber zu einem Fluch für die eigenen hätte sie sich immerhin aufraffen können. Da hätten sich dann die Kirchen der kämpfenden Staaten besser verstanden. Jetzt ist es möglich, daß der Papst den Krieg zwar verwünscht, aber von »berechtigten nationalen Aspirationen« spricht und daß an demselben Tag der Fürsterzbischof von Wien den Krieg segnet, der zur Abwehr »ruchloser nationaler Aspirationen« geführt wird. Ja, wären die Inspirationen stärker gewesen als die Aspirationen, so gäb's diese nicht und keinen Krieg.

Der Optimist: Die schwarze Internationale hat eben noch mehr versagt als die rote.

Der Nörgler: Bewährt hat sich nur jene, die es schwarz auf rot gegeben hat, die Presse –.

Der Optimist: – Es ist erfreulich, daß Sie deren Macht anerkennen –

Der Nörgler: – wiewohl ich ihren Einfluß überschätze. Was ist Benedikt gegen –

Der Optimist: Was haben Sie gegen –

Der Nörgler: Ich meine doch den Papst. Was vermag eine Predigt für den Frieden gegen einen Leitartikel für den Krieg. Und da es nur Predigten für den Krieg gibt –

Der Optimist: Das will ich zugeben, in Bethlehem war das Heil der Welt anders beschlossen.

Der Nörgler: Bethlehem in Amerika korrigiert den Mißgriff, der vor neunzehn Jahrhunderten begangen wurde.

Der Optimist: In Amerika? Wie meinen Sie das?

Der Nörgler: Bethlehem heißt die größte Kanonengießerei der Vereinigten Staaten. Bei uns stellt jede Kirche ihr Bethlehem bei, ihr Bethlehem-Scherflein.

Der Optimist: Ein Namenszufall.

Der Nörgler: Sie sind ungläubig. Da wissen Sie wohl auch nicht, was ein Paternoster ist?

Der Optimist: Ein Gebet!

Der Nörgler: Ein Lift! Sie Optimist!

Der Optimist: Ach so, natürlich. Aber das mit Bethlehem –? So heißt also der Ort, von wo Deutschlands Feinde mit Waffen versorgt werden!

Der Nörgler: Von Deutschen.

Der Optimist: Sie scherzen. An der Spitze des Stahltrusts steht Carnegie.

Der Nörgler: Steht Schwab.

Der Optimist: So, also Deutschamerikaner versorgen jetzt die Feinde –?

Der Nörgler: Reichsdeutsche!

Der Optimist: Wer sagt das!

Der Nörgler: Wers weiß. Das Wall Streetjournal, das in finanziellen Dingen mindestens so maßgebend sein soll wie unsere Börsenpresse, hat festgestellt, daß zwanzig Prozent der Aktien des Stahltrusts sich in deutschen Händen befinden, aber nicht in deutschamerikanischen, sondern in reichsdeutschen. Mehr als das. Da lesen Sie, was in einem deutschen Sozialistenblatt steht. »Während man von mehreren waschecht angloamerikanischen Fabrikanten erfahren hat, die Bestellungen der französischen und englischen Regierung abgewiesen haben, hat der in Milwaukee erscheinende sozialistische »Leaderes« die Namen mehrerer Deutschamerikaner genannt, die öffentlich laut und eifrig für die Sache Deutschlands eintreten –

(Eine Gruppe junger Burschen mit Lampions zieht vorbei, die das Lied singen: Lieb Vaterland, magst ruhig sein.)

– während die von ihnen geleiteten Fabriken Patronen, Flinten und anderes Kriegsmaterial für England und Frankreich herstellen. Ja es kommt noch schlimmer; es gibt in den Vereinigten Staaten Filialen reichsdeutscher Firmen, die sich an diesem Geschäft beteiligen! Hat man da noch das Recht, gegen die merkwürdige Neutralität Amerikas zu protestieren, das schließlich keine Veranlassung hat, um unserer schönen Augen willen auf diese gewaltigen Profite zu verzichten?«

Der Optimist: Unglaublich – aber schöne Augen, das müssen Sie zugeben, haben die Deutschen.

Der Nörgler: Schön und treu und das Herz, wo immer es sein mag, stets ist es auf dem rechten Fleck. Wissen Sie, daß die italienischen Karten von Österreich, in denen die irredentistischen Verheißungen erfüllt sind und die jetzt hier in den Buchhandlungen zum Beweis der feindlichen Unverschämtheit ausgehängt werden, in Deutschland hergestellt worden sind? Und daß die französischen Postkarten, auf denen die Entstehung der Marseillaise illustriert ist, in Dresden gedruckt sind? Ich habe eine Filmanzeige gesehen, mit dem packenden Titel: Deutsche Treue – welsche Tücke!

Der Optimist: Nun, das ist doch in Ordnung?

Der Nörgler: Das würden Sie nicht finden, wenn Sie es gesehen hätten. Ein Dämon hatte im dritten Wort einen Buchstaben weggelassen –

Der Optimist: Welche Tücke!

Der Nörgler: Ganz richtig: welche Tücke. Zum Glück wurde aber der Buchstabe von einem gewissenhaften Korrektor wenigstens handschriftlich nachgetragen. Er gab der Wahrheit die Ehre und dem Worte das s.

Der Optimist: Sie bleiben Ihrer Gewohnheit treu, Druckfehler –

Der Nörgler: – für den authentischen Text zu halten.

Der Optimist: Diese Treue –

Der Nörgler: – welche Tücke!

Der Optimist: Nun, was die italienischen Landkarten und die französischen Postkarten anlangt, so könnte man sagen, es spricht für die Tüchtigkeit der Deutschen –

Der Nörgler: – daß die Feinde ihren Haß aus Deutschland beziehen müssen, und wenn sie vor Wut zerspringen! Was nicht sosehr für die Deutschen als für die Feinde eine Demütigung bedeutet, nicht wahr?

Der Optimist: Nein, ich sage das nicht, aber ich sage, daß Sie sich an Auswüchse klammern.

Der Nörgler: Ein gesunder Stamm hat keine.

Der Optimist: Denken Sie lieber daran, daß die Deutschen in Amerika Bollwerke heimischer Volksart errichtet haben.

Der Nörgler: Ich denke daran, daß sie in diesen Bollwerken Munition gegen ihre Stammesgenossen fabrizieren.

Der Optimist: Ja, business is business.

Der Nörgler: Nein, Geschäft ist Geschäft.

Der Optimist: In der Politik sage ich: Erfolg ist Erfolg. Darum dürfte die Versenkung der Lusitania nicht ohne großen Eindruck bleiben.

Der Nörgler: Den hat sie allerdings schon erzielt. In der ganzen Welt, soweit sie noch eines Abscheus fähig ist. Aber auch in Berlin.

Der Optimist: Sogar in Berlin?

Der Nörgler: Das läßt sich wieder nur durch Beweise beweisen. (Er liest vor.) »In dem Moment, als der Dampfer unterging, sprangen Hunderte von Personen ins Meer. Die meisten wurden vom Strudel weggerissen. Viele Personen hielten sich an Holzstücken, die durch die Explosion losgerissen waren, fest ... in Queenstown konnte man tragische Szenen beobachten, Frauen suchten ihre Männer, Mütter riefen nach ihren Kindern, bejahrte Frauen irrten mit offenen, wassertriefenden Haaren herum, junge Frauen gingen ziellos umher, ihre Kinder an die Brust gepreßt. 126 Leichen lagen bereits in einem Haufen da; es waren darunter Frauen, Männer und Kinder aller Altersstufen. Zwei arme kleine Kinder hielten sich eng umschlungen im Tode. Es war ein jammervoller unvergeßlicher Anblick.« So.

Der Optimist: Nun, aber in Berlin?

Der Nörgler: In Berlin? In einem dortigen Varieté wurde schon am Tag nach der Katastrophe ein Film, der dies alles darstellt, vorgeführt, und auf dem Zettel hieß es: »Die Versenkung der Lusitania. Naturgetreu. Bei diesem Programmpunkt Rauchen gestattet.«

Der Optimist: Das ist gewiß geschmacklos.

Der Nörgler: Nein, es ist stilvoll.

Der Optimist: Nun, ich kann den Lusitania-Fall nicht sentimental nehmen.

Der Nörgler: Ich auch nicht, nur kriminell.

Der Optimist: Die Leute waren gewarnt worden.

Der Nörgler: Die Warnung vor der Gefahr war die Drohung mit einem Verbrechen, also ging dem Mord eine Erpressung voraus. Der Erpresser kann nie zu seiner Entlastung geltend machen, daß er den Schaden, den er verübt hat, vorher angedroht habe. Wenn ich Ihnen für den Fall, daß Sie eine Leistung oder Unterlassung, auf die ich keinen Anspruch habe, verweigern, den Tod androhe, bin ich ein Erpresser und kein Warner, und hinterher ein Mörder und kein Exekutor. Rauchen gestattet. Aber mag lieb Vaterland, wenn es an die Kinderleichen denkt, noch versuchen ruhig zu sein!

Der Optimist: Das Unterseeboot konnte nicht anders als –

Der Nörgler: – den Eisberg ersetzen, der ein paar Jahre zuvor in die Titanic fuhr wie Gottes Zorn in den Wahnwitz des technischen Übermaßes, daß er die Menschheit das Schaudern lehre statt der Ehrfurcht. Jetzt besorgt die Technik selbst das Strafgericht und alles ist in Ordnung. Aber damals wurde noch Gott, der es getan, mit Namen gerufen. Den Helden dieses Unterseeboots verschweigt die Weltgeschichte. Der amtliche Bericht nennt ihn nicht. Die Behauptung der Feinde, der Mensch hätte eine Auszeichnung erhalten, wird vom Wolffbüro als Lüge bezeichnet. Und mit einer Entrüstung, die hinter allem selbstbekömmlichen Tonfall der biedern Phrase endlich einmal die eigene Tat bloßstellt.

Der Optimist: Gewiß, er hat nicht den Anspruch, unter Helden wie Weddigen –

Der Nörgler: Ja, warum denn nicht? Die Tat wird ja verherrlicht. Warum wird sie nicht verschwiegen wie der Täter?

Der Optimist: Die Tat war nicht erhaben, aber nützlich. Die Lusitania hat Waffen an Bord geführt, die den Leibern deutscher Soldaten zugedacht waren.

Der Nörgler: Deutsche Waffen!

(Verwandlung.)

11. Szene

Gasse in der Vorstadt. Vor einem Greislerladen eine Menge von Proletariern angestellt. Wachleute halten Ordnung. Eine große Tafel »Brot ausverkauft« wird angebracht. Die Menge bleibt stehen.

Ein Wachmann: Sechts denn net, daß ausverkauft is?

Eine aus der Menge: Jetzt steh i seit zwa Uhr in der Nacht!

Zweiter Wachmann: Gehn Sie auseinander!

Eine zweite Frau: Ist das eine Gerechtigkeit? Acht Stunden steht unsereins da und jetzt haßts ausverkauft!!

Ein Mann: Hauts eahms G'wölb ein!

Ein Zweiter: Jo! Trau di! Wannst ihn jetzt fragst, ob er a Brot hat, haut er dir schon a Watschen herunter, daß d' den Stephansturm für a Salzstangl anschaust.

Dritte Frau: Mir zahln so gut Steuern wie die Juden, mir wolln auch essen!

Vierte Frau: Die Juden san schuld!

Rufe: Heraus mit'n Brot!

Zweiter Wachmann: Wenn Sie nicht auseinandergehn, werden Sie sich die Folgen selber zuzuschreiben haben.

Erster: Sie riskieren, wegen Widergesetzlichkeit verhaftet zu werden!

Rufe: Pfui! Brot!

Zweiter Wachmann: Einspirrn tan mr euch!

Rufe: Aufspirrn soll er!

Zweiter Wachmann: Auf d'Wochen kriegts eh die Marken.

Vierte Frau: Ujegerl, bis auf d'Wochen san mr eh hin!

Erster Wachmann: Jetzt heißt's durchhalten!

Eine alte Frau (enfernt sich kopfschüttelnd): Jessas, is das ein Elend! Die Mannsleut derschießen s' und die Weibsleut lassen s' derhungern!

Erster Wachmann: Da gibt's nur ein Mittel – zerstreun Sie sich!

Dritter Mann: Alstern, wart'n mr auf die Marken. Wo kriegt man denn hernach ein Brot?

Vierter Mann: No, beim Bäcken!

Fünfter Mann: Jo, beim Bäcken! (Gelächter. Die Menge zieht unter allerlei Rufe, ab.)

Der Greisler (öffnet einer bessergekleideten Frau, die zurückgeblieben ist, die Tür): Kumman S' gschwind eini –

(Verwandlung.)

12. Szene

Kärntnerstraße. Ein starker Esser und ein normaler Esser treffen sich.

Der normale Esser: Na wie gehts, wie überstehn Sie den Weltkrieg?

Der starke Esser: Ich bitt Sie, fragen Sie nicht, geben Sie mir lieber ein paar Brotkarten von sich, ich sammel wo ich kann.

Der normale Esser: Was fällt Ihnen ein, ich komm selber nicht aus. Und dabei bin ich doch nur ein normaler Esser! Aber ich kann mir denken, wie wütend Sie sein müssen. Erst gestern hab ich zu meiner Frau gesagt, das is nichts für Tugendhat, Tugendhat is bekanntlich ein starker Esser. Wir haben nämlich grad in der Presse gelesen, wie sie interessant auseinandergesetzt hat, wie die starken Esser mehr brauchen wern wie die normalen Esser, wo doch schon die normalen Esser mehr brauchen wie die schwachen Esser.

Der starke Esser: Sind Sie ein schwacher Esser?

Der normale Esser: Das kann ich gerade nicht sagen, mittel, ich bin ein normaler Esser. Aber ich komm auch nicht aus. Wenn das so weiter geht, kann mir der ganze Krieg gestohlen wern.

Der starke Esser: Das kann sich auch unmöglich halten. Ich bin bekanntlich ein starker Esser, ich hätt der Statthalterei Auskunft geben können, was man so im Tag braucht.

Der normale Esser: Aber das muß man zugeben, eine Sensation war dieser erste Tag der Brotkarte. Selbst kann man ja nur von sich selbst schließen, aber nach der Presse hat man einen Begriff, was sich da getan hat.

Der starke Esser: Ja, sie is ins Detail gegangen. Hundert Berichterstatter hat sie in alle Lokale geschickt. In jedem war's aber auch anders. Während sich zum Beispiel beim »Leber« die Stammgäste mit der neuen Einrichtung befreundeten –

Der normale Esser: – hatten die Kellner im »Weingartl« alle Hände voll zu tun –

Der starke Esser: – die Fragen der Neugierigen zu beantworten. In sämtlichen Lokalen soll aber eines gleich gewesen sein, nämlich, daß sich um den Zahlkellner, so oft er die Schere aus der Tasche zog –

Der normale Esser: – Gruppen gebildet haben. Kein Wunder, kann es denn eine größere Umwälzung geben?

Der starke Esser: Ja, es ist entsetzlich, was wir hier durchzumachen haben.

Der normale Esser: Na, wenigstens haben uns die im Schützengraben nicht zu beneiden.

Der starke Esser: Ich muß faktisch zugeben, am ersten Tag der Brotkarte – da hatte ich das Gefühl wie bei der Feuertaufe. Nur mit dem Unterschied, bei der Feuertaufe, da kann man sich's richten. Aber bei der Brotkarte? Sind Sie eigentlich ein starker Esser –?

Der normale Esser: Mittel. Ich bin ein normaler Esser.

Der starke Esser: Ja aber ich, der ich bekanntlich ein starker Esser bin, da muß ich denn doch sagen – wissen Sie – jeder Mensch in Wien fragt mich, alle sind neugierig, was ich tun wer'-

Der normale Esser: Das kann ich Ihnen nachfühlen, ein starker Esser wie Sie, wo doch selbst ich als normaler Esser –

Ein Hungernder (nähert sich ihnen, streckt die Hand aus): Bitt schön, hab nichts zu essen –

Der starke Esser: – und da ich bekanntlich ein starker Esser bin – (sie gehen im Gespräch ab.)

(Verwandlung.)

13. Szene

Florianigasse. Hofrat i. P. Dlauhobetzky v. Dlauhobetz und Hofrat i. P. Tibetanzl treten auf.

Dlauhobetzky v. Dlauhobetz: Bin neugierig, ob morgen in der Mittagszeitung – du, das is mein Lieblingsblatt – ob morgen also mein Gedicht erscheint, gestern hab ich ihr's eingschickt. Willst es hören? Wart – (Zieht ein Papier hervor.)

Tibetanzl: Hast wieder ein Gedicht gemacht? Worauf denn?

Dlauhobetzky v. Dlauhobetz: Wirst gleich merken, worauf. Wanderers Schlachtlied. Das is nämlich statt Wanderers Nachtlied, verstehst –
Über allen Gipfeln ist Ruh,
Über allen Wipfeln spürest du
Kaum einen Hauch –

Tibetanzl: Aber du – das is klassisch – das is ja von mir!

Dlauhobetzky v. Dlauhobetz: Was? Von dir? Das ist klassisch, das is von Goethe! Aber paß auf, wirst gleich den Unterschied merken. Jetzt muß ich noch einmal anfangen.
Also über allen Gipfeln ist Ruh.
Über allen Wipfeln spürest du
Kaum einen Hauch.
Der Hindenburg schlafet im Walde,
Warte nur balde
Fällt Warschau auch.
Ist das nicht klassisch, alles paßt ganz genau, ich hab nur statt Vöglein Hindenburg gesetzt und dann also natürlich den Schluß auf Warschau. Wenn's erscheint, laß ich mir das nicht nehmen, ich schick's dem Hindenburg, ich bin ein spezieller Verehrer von ihm.

Tibetanzl: Du, das is klassisch. Gestern hab ich nämlich ganz dasselbe Gedicht gemacht. Ich habs der Muskete einschicken wollen, aber –

Dlauhobetzky v. Dlauhobetz: Du hast dasselbe Gedicht gemacht? Gehst denn nicht –

Tibetanzl: Ich hab aber viel mehr wie du verändert. Es heißt: Beim Bäcken.
Über allen Kipfeln ist Ruh,
Beim Weißbäcken spürest du
Kaum einen Rauch.

Dlauhobetzky v. Dlauhobetz: Das is ja ganz anders, das is mehr gspassig!

Tibetanzl:
Die Bäcker schlafen im Walde
Warte nur balde
Hast nix im Bauch.

Dlauhobetzky v. Dlauhobetz: Du, das is förmlich Gedankenübertragung!

Tibetanzl: Ja, aber jetzt hab ich mich umsonst geplagt. Jetzt muß ich warten, ob deins erscheint. Wenn deins erscheint, kann ich meins nicht der Muskete schicken. Sonst glaubt man am End, ich hab dich paradiert! (Beide ab.)

(Verwandlung.)

14. Szene

Eine Jagdgesellschaft.

v. Dreckwitz: Ach hört mal auf mit euerm Jägerlatein. Mein Jahr in Rußland zählt dreifach gegen alle eure lummrigen Friedensjahre! Gut Gejaid alle Zeit gab's in Feindesland. Herrliche Tage waren's, wenn man als Sieger dem geschlagenen Feind auf den Fersen saß, ihn zustande hetzte, bis er, zu Tode erschöpft, sich dem Sieger ergab. Krieg ist doch wohl die natürlichste Beschäftigung des Mannes. Aber es gab damals auch einen Wundbalsam, der alles wieder gut machte, den ich mir kaum zu erträumen gewagt – das Kreuz von Eisen ohne Band! Ab und zu mußte man schon die alte Feldpulle zwischen die Zähne nehmen, um sich wenigstens innerlich etwas anzuwärmen. Man wird besinnlich in solchen Momenten. Ich dachte an den schönen lustigen Franzosenkrieg, wie wir die feindliche Kavallerie in den Dreck ritten, wo sich nur ein Pferdebein zeigte, um schließlich in der sonnigen Champagne unsre Rosse zu tummeln. Man bekam ein verdächtiges Schlucken in den Hals, wenn man an all den guten Schampus dachte, der einem damals durch die Kehle gerieselt war! Weiter führten einen die Gedanken mit einem kleinen Hupf in ein neues Feindesland: Belgien! Fruchtbare Felder, reiche Städte dicht gedrängt erwarteten uns da. Einen himmelblauen Gurkha und zwei belgische Radler konnte ich damals in mein Schußbuch eintragen. Und dann – die Grenzpfähle nach Polenland wegzufegen! Und, beim großen Zeus, unsere Flinten und Lanzen sollten auch hier nicht rosten!

Vorläufig gab's aber noch nichts zu schießen. Feind fehlte noch wegen Mangel an Beteiligung. Zu Pferde kriegt man die Lümmels schlecht, vorm Schießen haben sie aber einen Höllendampf. Nach endlosem Marsch, als es schon völlig dunkel war, kamen wir ins Quartier. Au je, das war doch überwältigend! Wer eine solche Panjebude nicht kennt, der ahnt überhaupt nicht, was es alles gibt. Beschreiben läßt es sich nicht, das muß man sehen und fühlen. Die Kosakis hatten sich nun doch ermannt und uns den Weg über eine Brücke verlegt. Es war allerdings auch dicke Infanterie dabei. Eine Schwadron von uns war schon beim Angreifen, erhielt aber ein wahnsinniges Feuer, das ziemlich schaurig durch die dustre Nacht gellte. Bei Tagesanbruch griff dann das ganze Regiment an und trieb die Brüder zu Paaren. Einer von uns hatte einen Streifschuß am Kopf, daß die Knochensplitter man so flogen. Auf leisen Sohlen heranbirschend, hatten wir bereits die Vorposten getötet. Peng, fällt ein Schuß, peng, peng, zweiter, dritter! Und dann ging eine maßlose Knallerei los! Rumbums! spricht unsere Kanone; kladderadoms! die Handgranaten, die die albernen Russen aus den Fenstern zu schmeißen für gut befanden. Über die Straße laufen alle möglichen Leute, kein Schwein kann aber im Dunkel erkennen, von welcher Partei sie sind. Na, wir drückten uns an ein großes Haus, um mal erst abzuwarten, wem die Siegesgöttin heute wohlgesinnt wäre. Der Skandal dauerte aber immer weiter und die Kriegslage schien sich gar nicht klären zu wollen. Wenn einer nicht Platz machte, kriegte er einfach einen Tritt. Ich müßte schamlos lügen, wenn ich dieses Situatiönchen besonders angenehm und lieblich nennen würde, aber wir kamen durch, und es sollte sich nachher bezahlt machen. 150 Schritt hinter der Stadt buddelten wir uns schnell bis an den Kragenknopf ein. Wir warteten freudig erregt der Dinge und Russen, die da kommen sollten. Wir acht Männerchen waren augenblicklich wohl die einzigen hier, die die Wacht am Rhein singen konnten. Also, wir lagen mucksmäuschenstill, den Finger am Abzug. Meiner Kriegsknechte war ich mir ziemlich sicher. Ohne Befehl würde keiner knallen. Neben mir schnatterte ein junger Kriegsfreiwilliger laut und ungeniert mit den Zähnen. Ich boxte ihm schnell noch eins in die Rippen. »Lebhaft weiterfeuern«, kommandierte ich dann mit gellender Stimme, um den Brüdern da drüben mal den Wohlklang einer Preußischen Kommandostimme zu Gehör zu bringen. Und ich mußte auch laut schreien, denn auf die erste Salve ertönte drüben ein Geheul, so entsetzlich, markerschütternd, daß mir die Haare zu Berge standen, und als unsere Büchsen lustig in den dichten Knäuel knallten, da stürzten sie zurück, fielen über die Toten und Verwundeten – und immerzu die Schreie der Todesnot! Und schon waren wir mit brüllendem Hurra hinterher!

Wie die Tiere drängte sich ein ganzer Haufen in die vorderste Haustür. Wir hätten sie in aller Ruhe abschießen können. Sie waren noch total halali und konnten vor Angst keinen Ton sagen. Die ganze Sache schien einzuschlafen. Das einzige was uns fehlte, war ein Alkohölchen.

Ich hatte aber doch so das Gefühl, daß sie noch irgend eine Biesterei vorhatten. Den Feind hinten wollte ich mir mal selbst etwas näher besehen. Hier konnten nur noch einige sichere Kugeln helfen. Da zog ich die Büchse an den Kopf, ein Tupf auf den Stecher: plautz, da lag der erste Kerl! Schnell repetiert und wieder gestochen. Nr. 2 und 3 fielen um wie die Säcke, bevor sie sich von ihrem ersten Schreck erholt hatten. Da kam Leben in die Gesellschaft, sie schienen nur noch nicht zu wissen, wohin sie sollten. Der nächste Russe, Nummer 4, erhielt die Kugel etwas zu kurz. Es war vielleicht für mich von Vorteil, denn der Kerl schrie ganz entsetzlich. Ich hatte schnell den Karabiner meines Begleiters genommen und ließ die nächsten fünf Kugeln in den dichten Klumpen am Gartenzaun. Einige Schreie zeigten, daß auch diese Kugeln nicht umsonst abgefahren waren. Diese letzten Schüsse waren mir ja etwas eklig, besonders weil ich gar nicht das Gefühl der Gefahr hatte, denn die Russen dachten gar nicht ans Schießen. Aber was hilfts; jeder ist sich selbst der nächste, und ich habe ja den Krieg nicht angefangen! Die Flanke war gesäubert; ich ging befriedigt zu meinen Knaben zurück. Die russischen Offiziere machten ein recht dummes Gesicht, als sie uns sechs Männerchen da stehen sahen. Mein liebenswürdiges Benehmen beschwichtigte aber ihre Bedenken. Wir schüttelten uns herzlich die Hände, ich mit einem gönnerhaften Siegerlächeln. Es war immerhin ein netter Augenblick, und der militärische Erfolg doch außerordentlich schön. Selbander zogen wir auf den Markt, wo alles voll von Russen stand. Bei dem Artilleriekapitän bedankte ich mich für die gutsitzenden SchrapneIls, dann mußte ich zur Division und berichten. Allgemeine Zufriedenheit. Meine sechs Soldaten bekamen gleich, wie sie gebacken waren, das Eiserne Kreuz. Ich wurde zur ersten Klasse eingegeben, was aber erst nach beinahe einem Jahr in die Erscheinung trat. – Und nun urteilt mal selbst Jungens, ob ihr mit eurem madigen Jägerlatein mir imponieren könnt! Was ich auf der Russenfährte erlebt habe, ist, wie ihr zugeben werdet, 'ne Nummer! Unser Fachorgan »Wild und Hund« hat die ehrende Aufforderung an mich ergehen lassen, einen Bericht über meine Jagderfolge in Rußland zu verfassen. Ich will es tun. Und denn auf fröhlich Gejaid nach Welschland! Eh wir aber so weit sind, wollen wir gemütlich noch mancher Pulle Sekt den Hals brechen. Na denn Pröstchen!

Alle: Pröstchen Dreckwitz! Weidmannsheil!

(Verwandlung.)

15. Szene

Bureauzimmer bei einem Kommando.

Hirsch (tritt singend auf. Melodie aus dem »Verschwender«)

Heisa! lustig ohne Sorgen
Leb ich in den Krieg hinein,
Den Bericht geb ich für morgen,
Schön ist's ein Reporter sein.
Wär ich noch so grad gewachsen,
Müßt ich nicht zum Militär.
[: So verdiene ich noch Maxen
Auf dem schönen Feld der Ehr.:]

Zweitens aber ist das Leben
Jetzt im Hinterland zu stier.
Darum hab ich mich begeben
In das Kriegspressequartier.
Drittens wärs im Schützengraben
Doch für unsereins zu fad,
[: Weshalb sie enthoben haben
Mich zum leichtern Dienst beim Blatt.:]

Viertens kann ich schnellstens melden,
Wie die Schlacht nimmt ihren Lauf.
Was sie vorne tun die Helden,
Schreib ich gleich von hinten auf.
Ich wer' bis zum Endsieg bleiben,
Ich gewinne, auf mein Wort.
[: Denn kaum fang ich an zu schreiben,
Laufen alle Feinde fort.:]

Darum kann ich fünftens sagen,
Ich bin hier wie's Kind im Haus.
Wie sich unsre Leute schlagen,
Haben unsere Leut heraus.
Sechstens, siebtens und so weiter,
Da mich keine Kugel trefft,
[: Leb ich ungeniert und heiter
Hier vom guten Kriegsgeschäft.:]

(Hineinrufend:) Sie Major, wenn Sie den General sehn, sagen Sie ihm, daß ich ihn dann interviewen wer' und den ganzen Stab! Heut wird sich kaner drucken! (Ab.)

Roda Roda (tritt singend auf. Nach einer bekannten Melodie):

Der Rosenbaum,
Der Rosenbaum
Vertritt die schönsten Blätter.
Er gedeihet kaum
Im Etappenraum,
An der Front schreibt sich's viel netter.

Ich seh mir alles
Selber an,
Dann kann ich alles wissen.
Und schlimmsten Falles
Werd' ich dann
Von den Schrapnells zerrissen.

Was schert mich Weib,
Was schert mich Kind,
Was gilt mein eignes Leben?
Zum Zeitvertreib
Mir errichtet sind
Die schönsten Schützengräben.

Doch vor dem Feind
Gibts keinen Schmus,
Da heißt's die Stellung wählen.
Ich bin kein Freund
Von Interviews,
Mir wern sie nix erzählen!

Ich war einmal
Selbst bei dem Gschäft,
Ich kenn hier alle Leute.
Bin überall,
Wo man mich trefft.
Gewährsmann bin ich heute!

Einst hat man doch
Mir a. D. gesagt,
Das sollte eine Schand' sein.
Jetzt wird nur noch
Nach mir gefragt,
Denn alle woll'n genannt sein.

Das Militär
Bin ich gewohnt;
Für meine Schlachtberichte
Spring ich von der
Zu jener Front
Und mache Weltgeschichte.

Heut bin ich in
Der Weichselschlacht
Und morgen am Isonzo.
Ich hab es drin
Sehr weit gebracht
Und bin es schon gewohnt so.

Der Brigadier
Er meldet mir,
Der Feind wird Schläge kriegen.
Doch werden wir
Geschlagen hier,
So laß ich einfach siegen.

Das Hinterland
Betret ich kaum,
Ich bleib viel lieber doda.
Ich bin verwandt
Mit Rosenbaum,
Doch heiß ich Roda Roda.

(Hineinrufend.) Sie Major, wenn Sie den General sehn, sagen Sie ihm, daß der Oberst versetzt werden muß – er hat mir den Passierschein für das Fort 5 in Przemysl verweigert. Er scheint nicht gewußt zu haben, wer ich bin. Das entschuldigt ihn nicht, sondern im Gegenteil. Ich werde den Herren schon Disziplin beibringen – haben Sie verstanden? (Ab.)

(Verwandlung.)

16. Szene

Ein anderes Bureauzimmer.

Ein Generalstäbler (erscheint und geht zum Telephon):– Servus, also hast den Bericht über Przemysl fertig? – Noch nicht? Ah, bist nicht ausgschlafen – Geh schau dazu, sonst kommst wieder zum Mullattieren zu spät. Also hörst du – Was, hast wieder alles vergessen? – Ös seids – Hör zu, ich schärfe dir noch einmal ein – Hauptgesichtspunkte: Erstens, die Festung war eh nix wert. Das ist das Wichtigste – Wie? Man kann nicht – Was? man kann nicht vergessen machen, daß die Festung seit jeher der Stolz – Alles kann man vergessen machen, lieber Freund! Also hör zu, die Festung war eh nix mehr wert, lauter altes Graffelwerk – Wie? Modernste Geschütze? Ich sag dir, lauter altes Graffelwerk, verstanden? No also, gut. Zweitens, paß auf: Nicht durch Feindesgewalt,sondern durch Hunger!Verstanden? Dabei das Moment der ungenügenden Verproviantierung nicht zu stark betonen, weißt, Schlamperei, Pallawatsch etc. tunlichst verwischen. Diese Momente drängen sich auf, aber das wirst schon treffen. Hunger is die Hauptsache. Stolz auf Hunger, verstehst! Nicht durch Hunger, sondern durch Gwalt, ah was red ich, nicht durch Gewalt' sondern durch Hunger! No also, gut is – Was, das geht nicht? Weil man dann merkt, daß kein Proviant – wie? – und weil man dann einwendet, warum nicht genügend Proviant? Alstern gut, gehst drauf ein und sagst: unmöglich, so viel Proviant als notwendig aufzuhäufen, weil's eh der Feind kriegt, wann er die Festung nimmt – Wie er sie dann genommen hätte? Durch Hunger? Nein, dann selbstverständlich durch Gewalt, frag net so viel. Verstehst denn net, wenn er also die Festung durch Gewalt nimmt und mir ham an Proviant, nacher nimmt er auch den Proviant. Darum dürfn mr kan Proviant haben, nacher nimmt er kan Proviant, sondern er nimmt die Festung durch Hunger, aber nicht durch Gwalt. No wirst scho machen, servus, muß in die Meß, habe nicht die Absicht, mich durch Hunger zu übergeben – Schluß!

(Verwandlung.)

17. Szene

Restaurant des Anton Grüßer. Vorn ein Herr mit einer Dame. Von einem Tisch zum andern geht ein Mann, der sich unaufhörlich stumm verbeugt. Vorn links an einem Tisch der Nörgler.

Kellner: Schon befohlen bitte?

Herr: Nein, die Karte. (Kellner ab.)

Zweiter Kellner: Schon befohlen bitte?

Herr: Nein, die Karte. (Kellner ab.)

Kellnerjunge: Zu trinken gefällig, Bier, Wein –

Herr: Nein. (Kellnerjunge ab.)

Dritter Kellner: Schon befohlen bitte?

Herr: Nein, die Karte. (zu einem vorbeieilenden Kellner) Die Karte!

Zweiter Kellnerjunge: Bier, Wein –

Herr: Nein.

Vierter Kellner (bringt die Karte): Schon befohlen?

Herr: Nein. Sie haben ja eben die Karte gebracht. Was ist fertig?

Kellner: Was auf der Karte steht.

Herr: Auf der Karte steht »Gott strafe England«. Das esse ich nicht.

Kellner: Vielleicht was frisch Gemachtes? Laßt sich der Herr vielleicht –

Herr: Haben Sie Roastbeef?

Kellner: Bedaure, heut is fleischfrei. Laßt sich die Dame ein schönes Schnitzerl machen oder ein Ramsteckerl oder vielleicht ein Ganserl die Dame –

Herr: Zuerst eine Vorspeise. Was ist denn das: Reizbrot (Leckerschnitte)?

Kellner: Das ist ein Appetitbrot.

Herr: Mir ist er schon vergangen. Also vielleicht – was ist denn das: Eieröltunke vom Fisch?

Kellner: Das ist eine Fischmayonnaise.

Herr: Was ist denn das: Butterteighohlpastete?

Kellner: Das ist ein Volavan.

Herr: Was ist denn das: Mischgericht?

Kellner: Das ist ein Rakuh.

Herr: Also bringen Sie in Gottes Namen das – und dann, warten Sie – was ist denn das: Rindslendendoppelstück nach Feldherrnart mit Hindernissen nebst Holländertunke?

Kellner: Das ist ein Anterkot mit Soß hollandees.

Herr: 52 Kronen, bißchen teuer, bißchen teuer.

Kellner: Ja, der Herr darf nicht vergessen, jetzt is Krieg und heut is fleischfrei.

Herr: Also meinetwegen, bringen Sie das. (Kellner ab.)

Dame: Siehst Du, wir hätten doch zum Sacher gehn sollen, dort kostet so was nur fünfzig.

Ein Kellner: Schon befohlen bitte?

Herr: Ja.

Zweiter Kellner: Schon befohlen bitte?

Herr: Ja.

Ein Kellnerjunge: Bier, Wein?

Herr: Nein.

Dritter Kellner: Schon befohlen bitte?

Herr: Ja.

Vierter Kellner (zurückkommend): Bedaure, kann nicht mehr dienen. (Streicht fast alle Speisen.)

Herr: Sie haben doch –

Kellner: Ja, heut an ein fleischfreien Tag is das kein Wunder. Aber laßt sich der Herr zwei verlorene Eier machen, vielleicht mit einer biganten Soß, stehn noch auf der Karten –

Herr: Verlorene Eier, was ist denn das? Wer hat denn die verloren?

Kellner (leise): Öf poschee hat man's ghaßen vorm Krieg.

Herr: Aha, und man glaubt, daß man ihn damit gewinnen wird? – Nein, warten Sie – Treubruchnudeln – was bedeutet denn das?

Kellner: No Makkaroni!

Herr: Ach ja, richtig. – Schurkensalat, was ist denn das?

Kellner: Welischer Salat.

Herr: Ach ja, das ist ja klar. Also – bringen Sie: ein feines Gekröse nach Hausmacherart mit gestürzten Kartoffeln und verlorenen Eiern, dazu ein scharfes Allerlei, hernach einen Musbrei und zweimal Grüßersahnenkuchen. Wie hat denn der früher geheißen?

Kellner: Grüßerschaumtorte.

Herr: Warum Grüßer?

Kellner: No nachm Herrn! (Grüßer kommt zum Tisch, grüßt und geht ab.)

Herr: Wer ist der Herr?

Kellner: No, der Herr! (Ab.)

Der Zahlkellner: Schon bestellt der Herr?

Herr: Ja.

Ein zwerghafter Zeitungsjunge (wippt von Tisch zu Tisch): Sick über Sick! Extraausgabe! Schwere Niederlage der Italiena! Sick über Sick!

Zwei Mädchen (mit Ansichtskarten und Kriegsfürsorgeabzeichen von Tisch zu Tisch): Für die Kriegsfürsorge ein Scherflein, wenn ich bitten darf –

Kellnerjunge: Brot gefällig? Bitte um die Karte.

Herr (will die Speisekarte reichen): – ah so, ich habe keine.

Zwei Frauen (mit Ansichtskarten von Tisch zu Tisch): Für die Kriegsfürsorge bitte –

Der Blumenmann (im Eilschritt auf den Tisch los): Blumen gefällig –?

Das Blumenweib (von hinten): Schöne Veigerln – für die Dame?

Eine Kolporteurin: Extraausgabee!

Ein Gast (den Zahlkellner rufend): Sie, Herr Finanzminister –!

Der Zahlkellner (beugt sich über einen Gast): Schon den neuesten Witz ghört, Herr Dokter? Was ist der Unterschied zwischen einem galizischen Flüchtling und – (sagt ihm die Fortsetzung ins Ohr.)

Der Gast (immer heiterer werdend, plötzlich ausbrechend): Glänzend! Aber wissen Sie schon den Unterschied zwischen einer Rotenkreuzschwester und – (sagt ihm die Fortsetzung ins Ohr.)

Ein Kellner (mit achtzehn Schüsseln): Sosss bidee –! (Er schüttet die Dame an) Oha, nicht zfleiß tan, paton!

Dritter Gast: Wer sagt da Pardon? Sie, Herr Grüßer, in Ihrem gut deutschen Lokal sagt ein Kellner Pardon!

Grüßer: Herr von Wossitschek glauben gar nicht, wie schwer es jetzt mit die Leut is. Sagt man einem von ihnen was, lauft er davon, er kriegt genug Posten sagt er. Es is ein rechtes Kreuz, die bessern eingerückt und diese ungebildeten Elemente was zurückbleiben –

Der Gast: No ja, no ja, aber –

Grüßer: Pardon, Herr von Wossitschek, ich muß grüßen gehn. (Tut es.)

Der Gast: Pardon pardon, lassen S' Ihnen nicht aufhalten.

Ein Stammgast: Serwas Grüßer, wie gehts dr denn? No was sagst, den Leberl hams schön eintunkt –

Grüßer: No was der aber auch für Preise hat! Und dann is der Mensch gar nicht beliebt. Ich, wo ich hier eine Persönlichkeit bin, hab noch nie den geringsten Anstand gehabt.

Stammgast: Geh setz di bißl her Grüßer.

Grüßer: Später, recht gern, aber weißt ich muß noch grüßen. (Tut es.)

Stammgast: Ja natürlich, serwas!

Bambula von Feldsturm (brüllend und auf den Tisch trommelnd): Sackrament noch amal, wird man denn heut gar nicht bedient? Sie, herstellt!

Ein Kellner: Bitte gleich, Herr Major!

Grüßer: Herr Major befehlen?

Bambula von Feldsturm: Sie, Wirt, was is denn das? Wird man denn heut gar nicht bedient? Die Bedienung ist nicht mehr wie früher, seit einem Jahr bemerk ich das, wo sind denn alle Kellner?

Grüßer: Eingerückt, Herr Major.

Bambula von Feldsturm: Was? Eingerückt? Warum sinds denn alle eingerückt?

Grüßer: No weil Krieg is, Herr Major!

Bambula von Feldsturm: Aber seit einem Jahr merk ich das schon, Sie haben ja bis auf die vier gar keine Kellner mehr. Für so ein Riesenlokal! Seit einem Jahr merk ich das schon.

Grüßer: No ja, seitdem Krieg is, Herr Major!

Bambula von Feldsturm: Was? Das is ein Skandal! Daß Sie's nur wissen, die Kameraden beklagen sich alle, sie wollen nicht mehr herkommen, wenn das so weiter geht! Alle sinds ausn Häusl. Der Hauptmann Tronner, der Fiebiger von Feldwehr, der Kreibich, der Kuderna, der Oberst Hasenörl, alle sinds ausn Häusl, erst gestern hat der Husserl von Schlachtentreu von die Sechsundsechziger gsagt, wenn das so weitergeht –

Grüßer: Ja, Herr Major, mir möchten ja alle, daß's einmal aufhört und daß der Frieden kommt –

Bambula von Feldsturm: Was, Frieden – hörn S' mir auf mit Ihrer Friedenswinselei – ich hab die Kaisermanöver mitgemacht – wenn Sie unser oberster Kriegsherr hören möcht – jetzt heißt es durchhalten lieber Freund – da gibts nix! (Ein Kellner eilt vorbei.) Sie rechts schaut! Kerl das verfluchter, na wart, den wer' ich einrückend machen – Sie sagen S' mir nur, was ist denn das für eine Bedienung –?!

Grüßer: Was haben bestellt, Herr Major?

Bambula von Feldsturm: Nix, ein Rostbratl möcht ich, aber etwas unterspickt –

Grüßer: Bedaure, heut is fleischfrei.

Bambula von Feldsturm. Was? Fleischfrei? Was is denn das wieder für eine neue Mod?!

Grüßer: Ja, jetzt is Krieg Herr Major und da –

Bambula von Feldsturm: Machen S' keine Spomponadeln. Möcht wissen, was das mit dem Krieg zu schaffen hat, daß 's Fleisch ausgeht! Das war früher auch nicht!

Grüßer: Ja, aber jetzt is doch Krieg, Herr Major!

Bambula von Feldsturm (in größter Erregung aufspringend): Also das brauchen S' mir nicht immer unter die Nasen reiben immer mit Ihnern Krieg, das hab ich schon gfressen! Von uns Kameraden sehn Sie keinen mehr in Ihrem Lokal – wir gehn zum Leberl! (Stürzt davon.)

Grüßer: Aber Herr – Major – (kopfschüttelnd) Mirkwirdig!

Dritter Gast (zu einem Kellner): Gar nix is da? Nicht amal a Mehlspeis?

Kellner: Wienertascherl, Anisscharten, Engländer

Der Gast: Was? Engländer habts jetzt im Krieg?

Kellner: Die sein noch vom Frieden.

Der Gast: Sie, pflanzen S' wem andern, zahlen!

Kellner: Zahlen!

Zweiter Kellner: Zahlen!

Dritter Kellner: Zahlen!

Vierter Kellner; Zahlen –

Ein Kellnerjunge (zu sich): Zahlen.

Grüßer (ist an den Tisch des Nörglers getreten, grüßt und spricht, sich über ihn beugend, mit starrem Blick, wodurch er das Aussehen des Todesengels gewinnt, erst allmählich lebhafter werdend): Das Wetter scheint sich nach der letzten mineralogischen Diagnose zu klären und dürfte auch wieder der Zuspruch ein regerer werden – waren gewiß verreist, schon recht, schon recht – ja jeder hat heutzutag zu tun, mein Gott der Krieg, das Elend, man merkts überall im Gewerbestand, wie der Mittelstand leidet – die Einflüsse sind noch immer nicht abzusehn – auch ein Herr von der Zeitung, ein Dokter was im Ministerium die rechte Hand is hat selbst gesagt – mirkwirdig – hm – aber mir scheint, heute keinen rechten Appetit, grad heut, schad, das Vordere, alle Herren loben sichs, nun dafür das nächste Mal als Gustostückl ein Protektionsportionderl von der Grüßerschnitte – Poldl abservieren, schlaft wieder der Mistbub, also djehre djehre – –

(Der Herr und die Dame vorn sind eingeschlafen.)

Kellner (stürzt herbei): Bedaure, kann nicht mehr dienen!

Der Herr (erschrocken auffahrend): Super – arbitriert? – Ach so. Also da gehn wir wieder. (Er erhebt sich mit der Dame.) Adieu.

Kellner: Paton, gestatten, daß ich drauf aufmerksam mach für das nächste Mal, wir sind ein deutsches Logal und da derf nicht franzesisch gesprochen wern – (wischt sich mit dem Hangerl die Stirn.)

Der Herr: So so –

Grüßer (hinter ihnen): Djehreguntagzwintschnkstiandschamstadienermenehoachtungkomplimentandersmalwieder!

(Verwandlung.)

18. Szene

Schottenring. Frau Pollatschek und Frau Rosenberg treten auf.

Frau Rosenberg: Verehrte Kollegin, für unser Auftreten gibt es keine Entschuldigung! Wir erwarten, daß wir Hausfrauen Österreichs auch weiterhin mit der Disziplin, von der wir schon so glänzende Proben abgelegt haben, durchhalten und nur am Donnerstag und Samstag den Einkauf von Schweinefleisch vornehmen werden. Unsere Ortsgruppen werden diese Fahne hochzuhalten wissen. Auch beim Filz!

Frau Pollatschek: Die Rohö gibt den Einkauf von Schweinefleisch und Filz für Donnerstag und Samstag frei!

Frau Rosenberg: So ist es! Wir Hausfrauen Österreichs hatten die Pflicht, in dieser die vitalsten Interessen tangierenden Frage ein entscheidendes Wörtlein mitzusprechen. Wir von der Rohö konnten nicht mit verschränkten Armen die Bildung der Marktpreise gewähren lassen und diesen Umtrieben zusehen, speziell beim Vordern!

Frau Pollatschek: Was jetzt vor allem not tut, ist Einheit. Durch Einheit zur Reinheit, lautet mein Wahlspruch, namentlich für den Tafelspitz!

Frau Rosenberg: Und ich möchte hinzufügen, wenn meine Meinung in dieser Sache das Zünglein an der Waage abgeben soll, daß wir uns durch keinen Terrorismus abschrecken lassen werden. Per aspera ad astra, sage ich, wenigstens soweit das Hieferschwanzl in Betracht kommt. Wir von der Rohö –

Frau Pollatschek: Wissen Sie, wer dorten kommt? Die Bachstelz und die Funk-Feigl von der Gekawe, beide möchten mich in einem Löffel Suppe vergiften.

(Begrüßung.)

Frau Bachstelz: Nun, verehrte Kolleginnen, wir kommen eben von der Markthalle, was sich da tut, speziell mit die Gustostückeln, hätte ich Ihnen gewünscht mitanzusehn!

Frau Funk-Feigl: Wir sind nämlich im Interesse der allgemeinen Sache, da doch jetzt jeder sein Scherflein beitragen muß und Not an Mann ist, aus voller Brust dorthin geeilt, denn wir wissen, wo es zu kämpfen gilt, im Gegensatz zu gewisse andere Leute, von denen ich nur das eine sage: Wenn das am grünen Holze geschieht, ja dann, meine Damen, kann ich nur sagen –

Frau Rosenberg: Ich bedaure sehr, liebe Dame –

Frau Funk-Feigl: Ich bin für Sie keine Dame, ich bin Aufsichtsrat von der Gekawe und hab ebenso ein Recht wie jede von der Rohö! Es ist leicht am grünen Holz Verordnungen ausarbeiten lassen, aber dann? Wie sagt doch Schiller, bitte greif nur herein ins volle Menschenleben –

Frau Rosenberg: Ich habe nur bemerken wollen, ich bedaure sehr, daß Sie sich zu Personalien hinreißen lassen, ich weiß ganz gut, daß Ihre heutige Zuschrift in der Presse seine Spitze gegen die Rohö nicht verkennen läßt, noch dazu zu einer Zeit geschrieben, wo Sie noch bei der Rohö waren –

Frau Funk-Feigl: Das ist nicht wahr, das sag ich meinem Mann, der wird Sie klagen!

Frau Rosenberg: Von mir aus! Ich kann beweisen, was ich gesagt hab. Ich wer' Ihnen vor Gericht beweisen, daß Sie eine Eigenbrötlerin sind! Wenigstens hörn Sie einmal die Wahrheit! Sie haben gegen die Rohö intrigiert, wie Sie noch drin waren!

Frau Bachstelz: Das wern Sie zu beweisen haben!

Frau Pollatschek: Ihnen sag ich ins Gesicht, hörn Sie mich an, jetzt kommt es nicht darauf an, der Eitelkeit zu frönen, merken Sie sich das! Wir gehören nicht zu jenen, die separatistischen Bestrebungen huldigen. Wenn eine der Rohö angehört, so hat sie ihr auch mit Leib und Seele anzugehören, unser Organ ist der »Morgen« und die Zeit ist viel zu ernst, lassen Sie sich das gesagt sein, heute, wo Solidarität der halbe Erfolg ist!

Frau Funk-Feigl: Von Ihnen wird man Solidarität lernen! Aufgewachsen –!

Frau Bachstelz: Das ist echt Rohö! Verleumdungen hinter dem Rücken! Wir sparen uns die Fetten vom Mund ab, um mit gutem Beispiel voranzugehn!

Frau Funk-Feigl: Hätten Sie nicht intrigiert, wären wir noch heut bei der Rohö. Man hat uns das Messer an die Kehle gesetzt, bis wir die Gekawe haben ins Leben rufen müssen. Ich bin von Pontius zu Pilatus gelaufen. Jetzt, das garantier ich Ihnen, wird Ordnung werden, und das sag ich Ihnen heute, wenn Sie anfangen wern, unsere Erfolge sich zuzuschreiben, wern Sie auf Granit beißen!

Frau Bachstelz: Wir sparen uns den Bissen vom Mund ab –

Frau Pollatschek: Ja, für Reiherfedern!

Frau Bachstelz: Beweisen Sie das!

Frau Pollatschek: Samstag im Volkstheater bei der Premier sind Sie mit Reiherfedern gesehn worn.

Frau Bachstelz: Infamie! Sie blasen ins Horn des Reichsritters Hohenblum, schämen sollten Sie sich!

Frau Rosenberg: Beweisen? Was heißt beweisen? Auf Ihrem Hut ist der Beweis!

Frau Bachstelz: Der is vom vorigen Jahr, das wissen Sie ganz gut!

Frau Rosenberg: Das ist Vogelstraußpolitik!

Frau Funk-Feigl: Nebbich! Vom Vogel Strauß tragen Sie selbst was am Kopf!

Frau Rosenberg: Der is vom vorigen Jahr, das wissen Sie ganz gut! Ich trag eine Kriegsbluse!

Frau Funk-Feigl: Nebbich!

Frau Bachstelz: Meine Bluse und Ihre Bluse – das is wie tausend und eine Nacht! Wir waren es, die den ersten Schritt ergriffen haben zur Schaffung einer Wiener Mode!

Frau Pollatschek: Sie? Mit der Figur! Großartig! Mein Geschmack und Ihr Geschmack!

Frau Bachstelz (schreiend): Sie haben zu reden! Wenn die Zeit nicht so groß wär, möcht ich mich an Ihnen vergreifen!

Frau Rosenberg: Lassen wir diese Reklammacherinnen, zum Glück gibt es in dieser ernsten Stunde vitalere Interessen und wir, wenn wir eine Phalanx bilden, können wir dieses ohnmächtige Gekläffe verachten. Man weiß ja, woher die ganze Wut kommt.

Frau Bachstelz: Sie, wenn Sie noch einmal diese Verleumdung wiederholen!

Frau Rosenberg: Was meinen Sie? Hab ich etwas gesagt? Also weil der Inspektor gestern in der Gemeinschaftsküche mit uns länger gesprochen hat wie mit Ihnen, deshalb müssen Sie nicht gleich aufgeregt sein meine Liebe –!

Frau Bachstelz (in Paroxysmus): Diese infame Insination werden Sie – warten Sie – ich schick meinen Mann über Sie – passen Sie auf, die ganze Oezeg kommt über Sie!

Frau Rosenberg: Mein Mann wird schon mit ihm fertig wern und mit allen, da können Sie unbesorgt sein! Er hat die ganze Miag hinter sich! Ein Wink von ihm, kommt noch die Ufa und die Wafa über Sie – mein Mann is Verwaltungsrat!

Frau Bachstelz: No, ruft mein Mann die lwumba! Mein Mann is kaiserlicher Rat! Wie Ihr Mann enthoben worn is, weiß man!

Frau Rosenberg: Ja Protektion hat er gehabt, no – und? Sie zerspringen, weil er Verbindungen hat. Er is intim bei der Sawerb. Warten Sie, alles wer' ich in der Ausschußsitzung zur Sprache bringen, für ein Mißtrauensvotum in der Generalversammlung garantier ich Ihnen!

Frau Funk-Feigl: Sie selbst sind der größte Ausschuß, Sie fliegen aus der Rohö heraus, das garantier ich Ihnen, die Gekawe wird Ihnen zeigen – ich hab Verbindungen, ich geh hinauf zur Presse –

Frau Pollatschek: Im nächsten »Morgen« wern Sie lesen warten Sie, wir von der Rohö –

Frau Funk-Feigl: Fangen Sie sich nichts mit uns an, wir von der Gekawe –

(Alle vier schreien durcheinander, wobei man aus dem Lärm nur die Worte Rohö und Gekawe heraushört, und gehen heftig gestikulierend ab. Ein Invalide auf Krücken humpelt vorbei. Eine Bettlerin, mit einem Knaben an der Hand und einem Säugling am Arm tritt auf.)

Die Bettlerin: Extraausgabee – Neue Freie Presse –

Der Knabe: Neue Feile Pesse –

Der Säugling: Leie – leie – lelle

(Eine Schwangere geht vorbei.)

Der Nörgler:
O rührend Anbot in der Zeit des großen Sterbens!
Nein, besser wird uns dieses Zwischenspiel entzogen.
Zwar weist es auf die letzten Spuren von Natur hin,
die diese Unmenschheit noch nicht verlassen konnte,
die Tod beschließt und dennoch Leben nicht verleugnet.
Doch es kommt selten etwas Bessres nach. Seht weg denn,
die letzte Menschlichkeit des heute andern Zielen
verpflichteten Geschlechts hat etwas Peinigendes.
Unheimlich ist die Vorstellung, daß dieses Weib da,
die so sich zeigt, so stillen Schrittes ihre Hoffnung
ins Leben trägt, so voll von heiligem Auftrag,
der Schmerz zugleich und Segen, in der nächsten Stunde
gebären könnte einen Heereslieferanten.
Der Stolz der Mutterschaft, so groß in aller Vorzeit,
das größte Mitgefühl von Unmaß abzuweisen,
war besser auch so stolz, den unberufnen Blicken
nicht die nur ihm bewußte Harmonie der Schöpfung
zu zeigen. Doch vor dieser mißgeformten Menschheit
ist er nicht mehr berechtigt. Er soll selber wegsehn.
Stolz werde wieder Scham. Sieh du jetzt weg, du Mutter,
du bist zu schwach allein, und bist auch unbescheiden;
dies ist ein gütiger Versuch, doch auch ein Anspruch
vor hunderttausend Müttern, die es sehn und wissen,
daß sie ja doch den größern Schmerz erlitten haben
als er der einen erst bevorsteht. Geh nach Hause,
was trägst du deine Bürde auf den Markt, als wäre,
was du der Welt zu bieten hast, bei weitem besser
als das was sie verloren hat, nein mehr, als ob nun,
jetzt endgiltig das neue, letzte Heil erstünde,
als wär' ein Sokrates die allerkleinste Gabe,
die hier in Aussicht steht. Wir haben viel zu schlechte
Erfahrungen gemacht. Wir sind in jedem Falle,
und wär's der beste, nicht mehr neugierig und wünschen,
daß die Erwartung deine Muttersache bleibe,
so keusch wie sie's verdient, bis einstens die Erfüllung
das Nachschaun einer Welt verlohnt. Geh heim, wir kommen,
wenns an der Zeit, bis dahin mit dir leidend, Mutter,
nicht tieferes Leid für dich als für das neue Leben,
das dank dem Mutterfluch einrückt ins alte Sterben,
der Opfer größtes durch Geburt. Geh, mach dich tauglich.
Wart auf den Jahrgang. Freiwillige, was bringst du?
Halt dich zuhaus, ein Tag ist wie der andere, immer
sieht tot wie tot aus. Geh! wir wollen überrascht sein.

(Verwandlung.)

19.Szene

Belgrad. Zerstörte Häuser. Die Schalek tritt auf.

Die Schalek: Ich habe mich durchgeschlagen. Hier intressiert mich wie immer vor allem das allgemein menschliche Moment. Das soll eine Kultur sein? Diese Häuser sind mit den letzten Geschäftshäusern in Fünfhaus zu vergleichen, sie haben deshalb die Bombardierung verdient. Die Trostlosigkeit dieser Stätte ist so groß, daß an eine photographische Wiedergabe überhaupt nicht zu denken ist. Was mich aber immer wieder empört, ist, daß die Stadt nicht einmal gepflasert war. Das mag dem Entschluß, sie dem Erdboden gleich zu machen, zu Hilfe gekommen sein. Nicht einmal der Konak bietet etwas. Was wir als Andenken mitgenommen haben, ist nicht der Rede wert. Was ist das auch für ein König, der ein Porzellanservice von Wahliß hat! Es gibt noch eine ausgleichende Gerechtigkeit des Schicksals. Dieser Gedanke verfolgt mich durch ganz Belgrad. Wenn man nur wüßte, ob das die Häuser derjenigen sind, die den Nationalfanatismus erfanden? Ich habe mich zur Überzeugung durchgerungen, daß in einer solchen Stadt keine Individualitäten wohnen konnten.

(Einige serbische Frauen erscheinen, die ihr entgegenlachen. Eine streicht kosend über die Wange der Schalek. Dann zuckt ein rasches Gespräch zwischen ihnen hin und her, und wieder lachen sie alle, laut, hell und froh.

Die Schalek (beiseite): Dieses Lachen, dessen Ursache ich nicht erfragen kann, reißt an meinen Nerven, denn jede Möglichkeit auf der Stufenleiter menschlicher Gefühle ist heute denkbar, bis gerade auf das Lachen, für welches das zerschossene Belgrad keine Gelegenheit bietet.

(Eine der serbischen Frauen bietet der Schalek Eingemachtes an und lacht.)

Ein irritierendes Rätsel.

(Ein Dolmetsch tritt auf.)

Der Dolmetsch (nachdem er mit den Frauen gesprochen hat): Sie sagen, es heiße nur ein paar furchtbare Tage durchhalten. Die Eroberung ihrer Stadt halten die Belgrader für ein Intermezzo. Sie glauben, daß wir wieder bald draußen sein werden, und so lachen sie schadenfroh.

Die Schalek: Das kann nicht der einzige Grund sein. Fragen Sie sie, was sie empfinden und warum sie mir Eingemachtes gibt.

Der Dolmetsch (nachdem er mit der Frau gesprochen hat): Sie sagt, nichts könne serbische Gastfreundschaft außer Wirkung setzen.

Die Schalek: Aber warum gerade Eingemachtes?

Der Dolmetsch (nachdem er mit der Frau gesprochen hat): Sie sagt, sie wollten zeigen, daß sie Frauen seien, und Eingemachtes sei das Gebiet der Frauen.

Die Schalek (nimmt das Eingemachte): Diese Frauen will ich nicht wiedersehen, will ihre gräßliche Enttäuschung nicht miterleben, denn Schlimmeres noch als eingestürzte Häuser und als zerschossene Straßen, Schlimmeres als die Verjagung des Heeres und die Erstürmung der Stadt – das Schlimmste steht den Serben noch bevor. (Die serbischen Frauen lachen. Die Schalek im Abgehen): Schaudernd ziehe ich davon, und das Lachen hallt lange in mir nach.

(Die serbischen Frauen gehen nach der anderen Richtung ab, man hört noch ihr Lachen.)

(Verwandlung.)

20. Szene

Vorstadtstraße. Ein schwer beladener Handwagen von zwei ganz schwachen, verhungerten Kriegshunden gezogen.

Eine alte Frau (ruft): Das ist ein Skandal! Das sollt man dem Ärar anzeigen!

Ein Oberleutnant: Halt! Legitimieren Sie sich! Das ist eine Beleidigung der Armee!

Die Menge (sammelt sich an): A so a Urschel! – Gehts wecka! – Wos is denn? – Nix, a Hofverrat is halt! – Recht g'schiehts ihr, um die Viecher nimmt sie sich an, wo s' selber nix z' essen hat!

(Verwandlung.)

21. Szene

Eine Vorstadtwohnung. An einem Riemen hängt, halbbekleidet, ein etwa zehnjähriger Knabe, dessen Körper Striemen, Blutbeulen und Flecken aufweist. Er ist völlig verwahrlost, anscheinend halb verhungert. Der Knabe heult. Eine Nachbarin steht händeringend in der Tür. Der Vater (in Uniform) liegt auf dem Sofa.

Eine Nachbarin (zu der Mutter, die einen Topf auf den Herd setzt): Aber Frau Liebal, wie können S' denn den Buben nur so zurichten? Wenn ich das bei Gericht anzeig, kriegn S' an Verweis!

Die Mutter: Hörn S' Frau Sikora, der Bub is Ihna so obstinat, daß S' Ihna gar keine Vorstellung net machen. A warms Fruhstuck will er habn!

Der Vater: Was ham S' denn Mitleid mit dem Bankert? Heut is er eh scho wieda beinand. Aber neulich hab i ihn hergnommen und ihn so mit dem Bajonett trischackt, daß i glaubt hab, er bleibt mr unter die Händ. Sehn S', er hat sich eh wieder erholt!

Die Nachbarin: Herr Liebal, Herr Liebal, damit is nicht zu spassen, geben S' Obacht, Sie wern amal an Verweis kriegn!

(Verwandlung.)

22. Szene

Standort des Hauptquartiers. Eine Straße. Man sieht Heereslieferanten, Offiziere, Prostituierte, Journalisten. Ein Hauptmann des Kriegspressequartiers und ein Journalist treten auf.

Hauptmann: Also, den Prospekt für das Werk »Unsere Heerführer« – hörn S' zu Dokterl und schaun S' sich nicht allerweil nach die Menscher um, jetzt is Krieg – also den Prospekt hab ich fertig und jetzt müssen S' ihn wenn noch ein Fehler is, umbessern. (Er liest vor.) »Wenn einst die brandenden Fluten des Weltkrieges verrauscht sind, wenn die tröstende Zeit die Wunden geheilt, die Augen getrocknet hat, dann schauen wir klaren Blickes zurück auf die glorreichen Tage, da eiserne Fäuste das Weltgeschick schmiedeten!« Jetzt separate Zeilen, passen S' auf – »Und über allem tauchen die Gestalten jener Männer auf, die in dieser Zeit unser und unseres Vaterlands Schicksal gewesen.« Fett!

(Man sieht im Hintergrund einen älteren korpulenten Herrn mit Koteletts und Zwicker, der in jeder Hand einen Marschallsstab trägt, über die Bühne von rechts nach links gehen.)

»Voll Verehrung und Liebe blicken wir auf sie, die berufen waren, in unermüdlich heißem Ringen, gleich jenen Helden in der vordersten Front, das Schlachtengeschick zu lenken –«

Der Journalist: Moment, die Heerführer sind also genau so viel wie die Helden in der vordersten Front, die das Schlachtengeschick lenken, also wieso?

Der Hauptmann: Machen S' keine Gspaß, sonst schick ich Ihna selbst an die Front.

Der Journalist: Sie – mich?

Der Hauptmann: Tun S' Ihnen nix an. Wenn der Prospekt schön ausfallt, is keine Gefahr mehr für mich. Hörn S' zu Dokterl. »Begeisterung und innigste Dankbarkeit soll diesen Helden –«

Der Journalist: Den Schlachtenlenkern in der vordersten Front? Ach so, ich versteh, jetzt meinen Sie wieder die Heerführer.

Der Hauptmann: Pflanzen S' wen andern, also »– in unseren Herzen ein Denkmal errichten und sie dauernd darin fortleben lassen, als Beispiel höchster Pflichterfüllung und Aufopferung für das Wohl des Vaterlandes.« Noch fetter.

(Man sieht im Hintergrund den älteren korpulenten Herrn mit Koteletts und Zwicker, der in jeder Hand einen Marschallsstab trägt, über die Bühne von links nach rechts geben.)

Hören S' zu Dokterl und schaun S' sich nicht allerweil nach die Menscher um! »Maler Oskar Brüch hat diesem Denkmal in edler Weise greifbare Formen verliehen. Lebenswahr und charakteristisch hielt sein Griffel ihre Züge fest und schuf so ein Werk »Unsere Heerführer« von historischer Bedeutung, welches berufen sein wird, nicht allein Namen und Bilder der Großen unserer Zeit – Am fettesten!

(Man sieht im Hintergrund jenen älteren korpulenten Herrn mit Koteletts und Zwicker, der in jeder Hand einen Marschallsstab trägt, über die Bühne von rechts nach links geben.)

»der Nachwelt zu überliefern, sondern auch eine Zierde jeder Bibliothek und jedes Hauses zu werden –« Jetzt muß noch was über die geschichtliche Bedeutung der einzelnen Dargestellten kommen – ja meine Herrn, dreht sich schon wieder um, Sie mein Lieber, wir sind hier im AOK und schließlich in kan Bordell, verstanden?

Der Journalist: Sie, war das nicht die Kamilla vom Oberstleutnant?

Der Hauptmann: Wenn S' an Gusto haben, schick ich s' Ihnen zur Konschtatierung, aber den Prospekt müssen S' mir durchsehn –

Der Journalist: Gemacht.

Der Hauptmann: Und dann kommt was über die Mappe, außerordentlich vornehm gehalten, erlesenster Geschmack, günstige Bezugsbedingungen, Unterschrift k. u. k. Kriegsministerium, Punktum. No was sagn S' Dokterl?

Der Journalist: Herr Hauptmann, ich mach Ihnen mein Kompliment, wie Sie die Sprache beherrschen, kein Berufsjournalist hätte das wirksamer abfassen können.

Der Hauptmann: Was? Und richtig, vorn am Prospekt geben wir als Illustrationsprobe, damit man gleich einen Begriff bekommt vom Weltgeschick und von der höxten Aufopferung, das Bild jenes Mannes, der uns das alles in einer geradezu beispielgebenden Weise verkörpert!

(Man sieht im Hintergrund den älteren korpulenten Herrn mit Koteletts und Zwicker, der in jeder Hand einen Marschallsstab trägt, über die Bühne von links nach rechts gehen.)

(Verwandlung.)

23. Szene

Innere Stadt. Ein blinder Soldat ohne Arme und Beine wird von einem andern Invaliden in einem Wagen vorwärtsgeschoben. Sie warten, denn ein Revolverjournalist steht im Gespräch mit einem Agenten auf dem engen Trottoir.

Der Invalide: Entschuldigen –

Der Revolverjournalist: Ich bitt Sie, was wollen Sie haben, 8o Zeilen sind mir letzten Montag gestrichen worn.

Der Agent: Aus dem Artikel gegen Budischovsky & Comp. wegen der Lieferung?

Der Revolverjournalist: Ja – früher, wenn so etwas gesetzt war und es is dann nicht erschienen, hat man verdient. Und wenn man nicht verdient hat, dann hat man eben erscheinen lassen und hat sicher das nächste Mal verdient. Jetzt erscheint ein Angriff nicht und man hat rein nichts davon.

Der Agent: Hat Budischovsky gewußt?

Der Revolverjournalist: Ja – aber die Leute verlassen sich jetzt auf die Zensur. No, denen wird aber ein gesunder Strich durch die Rechnung gemacht wern, warten Sie nur bis andere Verhältnisse kommen. Bis dahin soll sich die Zensur nur mit uns spielen. Passen Sie auf, nächstens was ich loslaß, das wird eine Nommer – prima!

Der Agent: Ich bin gespannt.

Der Revolverjournalist: Da geb ich es einmal der Zensur. Ich setze auseinander, wie unvernünftig dieses Vorgehn von der Regierung ist, sie schützt die Lieferanten gegen uns, uns aber braucht sie mehr wie die Lieferanten. Wir können nicht mehr exestieren. Die Presse hat im Krieg ihre Pflicht in geradezu vorbildlicher Weise erfüllt, stell ich dar, unser Dienst ist ein ebenso verantwortungsvoller wie der des Soldaten, stell ich dar, wir haben ausgeharrt wie die im Schützengraben und ohne Lohn!

Der Invalide: Entschuldigen –

(Verwandlung.)

24. Szene

Während der Vorstellung in einem Vorstadttheater. Auf der Szene die Niese und ein Partner.

Die Niese (in der Rolle): Was, a Busserl wolln S' haben? Sie, ein einfacher Soldat? Was Ihnen net einfallt! Ja, euch allen z'samm, euch braven Soldaten, möcht' ich schon eins geben aber einem allein? Oh nein! Nur allen auf einmal (sich besinnend) oder – doch, einem für euch alle! – einem einzigen Soldaten möcht ich ein Busserl geben! Aufpappen möcht ich's eahm, daß die Wienerstadt wackelt und der Stefansturm zum zappeln anfangt. Und dieser eine, einzige Soldat – das is – (an die Rampe tretend, durch und durch bewegt) unser liaber – guater – alter Herr in Schönbrunn! Aber leider – grad der – is unzugänglich!

(Orkanartiger Beifallssturm. Ein Theaterdiener erscheint auf der Szene und überreicht der Schauspielerin eine Extraausgabe.)

Die Niese: Geben S' her! Was die Gerda Walde trifft, triff ich auch!

Das Publikum: Bravo Niese!

Die Niese (liest unter größter Spannung des Publikums vor): – – durch die unvergleichliche Bravour unserer braven Truppen Czernowitz genommen! (Ungeheurer Beifall.)

Das Publikum: Hoch! Hoch! Hoch Niese!

(Verwandlung.)

25. Szene

Beim Wolf in Gersthof. Am Abend des Tages, an dem Czernowitz wieder von den Russen genommen war. An einem,Tisch sitzt der Generalinspektor des Roten Kreuzes, Erzherzog Franz Salvator, sein Kammervorsteher, zwei Aristokraten und die Putzi. Musik und Gesang: Jessas na, uns geht's guat, ja das liegt schon so im Bluat.

Ein Gast (zum Wolf): – effektiv der Salvator oder nur eine starke Ähnlichkeit?

Wolf: Nein, nein, er is', der Herr können sich verlassen.

Der Gast: Aber das kann doch nicht – und grad heut? Der Schwiegersohn vom Kaiser?

Wolf: Aber ja!

Der Gast: Der die Valerie hat?

Wolf: Der nämliche.

Der Gast: Sagen Sie, sind die Herrschaften zufällig da?

Wolf: Nein, sehr oft, heut nachmittag schon telephonisch reservieren lassen. Pardon, ich muß –

(Der Wolf und zwei andere Volkssänger nehmen neben dem Tisch der Herrschaften Aufstellung, die Musik intoniert die Melodie vom »Guaten alten Herrn«. Die Volkssänger, ins Ohr des Erzherzogs:)

Draußen im Schönbrunner Park
Sitzt ein guater alter Herr,
Hat das Herz von Sorgen schwer –

(Verwandlung.)

26. Szene

Der Abonnent und der Patriot im Gespräch.

Der Patriot: Also was sagen Sie jetzt?

Der Abonnent: Was soll ich sagen? Wenn Sie vielleicht meinen wegen dem Augenleiden des Sir Edward Grey, so sag ich, so soll es allen gehn!

Der Patriot: Auch, aber was sagen Sie zu Knebelung der öffentlichen Meinung in England?

Der Abonnent: Weiß schon, der Herausgeber des Labour Leader wurde vor das Polizeigericht geladen, weil gewisse Veröffentlichungen des Blattes gegen die Reichsverteidigungsakte verstoßen. Wegen so was!

Der Patriot: No und Frankreich is e Hund? Was sagen Sie zu Frankreich? Wissen Sie was es dort gibt?

Der Abonnent: Gefängnisstrafen für Verbreitung der Wahrheit in Frankreich. Sie meinen doch die Dame, die gesagt hat –

Der Patriot: Auch, aber jetzt hat ein Herr gesagt –

Der Abonnent: Natürlich, ein Herr hat gesagt, Frankreich hat keine Munition, und dafür gibt man ihm 20 Tage! Er hat gesagt, die Alliierten sind in schlechter Lage und Deutschland war für den Krieg gerüstet –

Der Patriot: Bitt Sie, erklären Sie mir das, ich versteh nämlich diese Fälle nicht, is es also unwahr, zu sagen, Deutschland war gerüstet oder is es wahr, zu sagen, Deutschland war nicht gerüstet –

Der Abonnent: No war denn Deutschland gerüstet?

Der Patriot: Also wie –?

Der Abonnent: Merken Sie sich ein für alle Mal. Deutschland is bekanntlich überfallen worn, schon im März 1914 waren sibirische Regimenter –

Der Patriot: Natürlich.

Der Abonnent: Deutschland war also vollständig gerüstet für einen Verteidigungskrieg, den es schon lang führen wollte, und die Entente hat schon lang einen Angriffskrieg führen wollen, für den sie aber nicht gerüstet war.

Der Patriot: Sehn Sie, jetzt klärt sich mir der scheinbare Widerspruch auf. Manchesmal glaubt man schon, es is etwas wahr, und doch is es unwahr.

Der Abonnent: In der Presse is das oft sehr übersichtlich, in zwei Spalten nebeneinander, und das hat den Vorteil, daß man ganz klar den Unterschied sieht zwischen uns und jenen.

Der Patriot: No haben Sie gelesen? Plünderungen und Verwüstungen der italienischen Soldaten! Nichtweniger als 500 000 Kronen haben sie in Gradiska aus einer Panzerkassa genommen, und außerdem noch 12 000 Kronen aus noch einer Kassa!

Der Abonnent: Hab ich gelesen. Eine Bande! Was sagen Sie zum kolossalen Erfolg der Deutschen?

Der Patriot: Hab ich nicht gelesen, wo steht das?

Der Abonnent: Frag! Gleich daneben in der Spalte! Mir scheint, Sie lesen nicht ordentlich –

Der Patriot: Gleich daneben in der Spalte? Das muß mir rein entgangen sein. Wo war der Erfolg?

Der Abonnent: Bei Nowogeorgiewsk. »Gold in der Beute von Nowogeorgiewsk« war der Titel.

Der Patriot: No was is da gestanden?

Der Abonnent: Da is gestanden, unter der Siegesbeute in Nowogeorgiewsk befanden sich auch zwei Millionen Rubel in Gold.

Der Patriot: Großartig! Was die anpacken –!

(Verwandlung.)

27. Szene

Standort in der Nähe des Uzsok-Passes.

Ein österreichischer General (im Kreise seiner Offiziere): – An keinem von uns, meine Herrn, is der Krieg spurlos vorübergegangen, wir können sagen, wir ham was glernt. Aber, meine Herrn, fertig sind wir noch lange nicht – da ham wir noch viel zu tun, ojeh! Wir ham Siege an unsere Fahnen geheftet, schöne Siege, das muß uns der Neid lassen, aber es is unerläßlich, daß wir fürn nächsten Krieg die Organisation bei uns einführn. Gewiß, wir ham Talente in Hülle und Fülle, aber uns fehlt die Organisation. Es müßte der Ehrgeiz von einem jeden von Ihnen sein, die Organisation bei uns einzuführn. Schaun S' meine Herrn, da können S' sagen was Sie wolln gegen die Deutschen eines muß ihnen der Neid lassen, sie ham halt doch die Organisation – ich sag immer und darauf halt ich: wenn nur a bisserl a Organisation bei uns wär, nacher gingets schon – aber so, was uns fehlt, is halt doch die Organisation. Das ham die Deutschen vor uns voraus, das muß ihnen der Neid lassen. Gewiß, auch wir ham vor ihnen manches voraus, zum Beispiel das gewisse Etwas, den Schan, das Schenesequa, die Gemütlichkeit, das muß uns der Neid lassen – aber wenn wir in einer Schlamastik sind, da kommen halt die Deutschen mit ihnerer Organisation und –

Ein preußischer Leutnant (erscheint in der Tür und ruft nach hinten): Die Panjebrüder solln sich mal fein gedulden, das dicke Ende kommt nach! (stürmt in das Zimmer, ohne zu salutieren, geht geradezu auf den General los und ruft, ihm fest ins Auge sehend) Na sagen Se mal Exzellenz könnt ihr Östreicher denn nich von alleene mit dem ollen Uschook fertich werden? (Ab.)

Der General (der eine Weile verdutzt dagestanden ist): Ja was war denn – nacher das? (Sich an die Umstehenden wendend) Sehn S' meine Herrn – Schneid haben s' und was die Hauptsach is – halt die Organisation!

(Verwandlung.)

28. Szene

Hauptquartier. Kinotheater. In der ersten Reihe sitzt der Armeeoberkommandant Erzherzog Friedrich. Ihm zur Seite sein Gast, der König Ferdinand von Bulgarien. Es wird ein Sascha-Film vorgeführt, der in sämtlichen Bildern Mörserwirkungen darstellt. Man sieht Rauch aufsteigen und Soldaten fallen. Der Vorgang wiederholt sich während anderthalb Stunden vierzehnmal. Das militärische Publikum sieht mit fachmännischer Aufmerksamkeit zu. Man hört keinen Laut. Nur bei jedem Bild, in dem Augenblick, in dem der Mörser seine Wirkung übt, hört man aus der vordersten Reihe das Wort:

Bumsti!

(Verwandlung.)

29. Szene

Der Optimist und der Nörgler im Gespräch.

Der Optimist: Ja, was wäre dann nach Ihrer Ansicht der Heldentod?

Der Nörgler: Ein unglücklicher Zufall.

Der Optimist: Wenn das Vaterland so dächte wie Sie, würde es gut aussehn!

Der Nörgler: Das Vaterland denkt so.

Der Optimist: Wie, es nennt den Heldentod ein Unglück, einen Zufall?

Der Nörgler: Annähernd, es nennt ihn einen schweren Schicksalsschlag.

Der Optimist: Wer? Wo? Es gibt keinen militärischen Nachruf, wo nicht davon die Rede wäre, es sei einem Soldaten vergönnt gewesen, den Tod für das Vaterland zu sterben, und es erscheint keine Parte, in der nicht der bescheidenste Privatmann, der wohl sonst von einem schweren Schicksalsschlag gesprochen hätte, in schlichten Worten, gewissermaßen stolz bekanntgäbe, sein Sohn sei den Heldentod gestorben. Sehen Sie, zum Beispiel hier, in der heutigen Neuen Freien Presse.

Der Nörgler: Ich sehe. Aber blättern Sie im Text zurück. So. Hier dankt der Generalstabschef Conrad von Hötzendorf dem Bürgermeister für dessen Kondolenz »anläßlich des grausamen Schicksalsschlages«, der ihn getroffen hat, da sein Sohn gefallen ist. Er hat auch in der Todesanzeige so gesprochen. Sie haben ganz recht, jeder Ratenhändler, dessen Sohn gefallen ist, nimmt die staatlich vorgeschriebene Haltung des Heldenvaters an. Der Chef des Generalstabs entsagt der Maske und kehrt zum alten bescheidenen Gefühl zurück, das hier wie vor keinem andern Tod berechtigt ist und in der konventionellen Formel noch lebt. Eine bayrische Prinzessin hat einem Verwandten zum Heldentod seines Sohnes gratuliert. Auf solcher gesellschaftlichen Höhe besteht eine gewisse Verpflichtung zum Megärentum. Der Chef unseres Generalstabes läßt sich nicht nur kondolieren, sondern beklagt sich auch immer wieder über das grausame Schicksal. Der Mann, der eben diesem Schicksal doch etwas näher steht als das ganze Ensemble, als die Soldaten, die es treffen kann, und als die Väter der Soldaten, die es beklagen können – wenn schon nicht dessen Autor, so doch dessen Regisseur oder sagen wir verantwortlicher Spielleiter, und wenn das nicht, so wenigstens dessen Inspizient – eben der spricht vom grausamen Schicksalsschlag. Und er sagt die Wahrheit, und alle andern müssen lügen. Er hat mit seinem privaten Schmerz aus der heroischen Verpflichtung glücklich heimgefunden. Die andern bleiben darin gefangen. Sie müssen lügen.

Der Optimist: Nein, sie lügen nicht. Das Volk steht dem Heldentod durchaus pathetisch gegenüber und die Aussicht, auf dem Felde der Ehre zu sterben, hat für die Söhne des Volkes vielfach etwas Berauschendes.

Der Nörgler: Leider auch für die Mütter, die auf ihre Macht verzichtet haben, das Zeitalter aus dieser Schmach zu retten.

Der Optimist: Für Ihr zersetzendes Denken waren sie eben noch nicht reif. Und das Vaterland als solches erst recht nicht. Daß die Oberen so denken müssen, versteht sich von selbst. Der Fall, den Sie berührt haben, ist ein Zufall. Baron Conrad hat einfach etwas Konventionelles hingeschrieben. Er hat es sich entgleiten lassen –

Der Nörgler: Ja, ein Gefühl.

Der Optimist: Jedenfalls beweist der Fall nichts. Etwas anderes, das ich Ihnen zeigen will, beweist mehr und alles für meine Auffassung. Da werden selbst Sie einen Beweis haben –

Der Nörgler: Wofür?

Der Optimist: Für die geradezu zauberhafte Einigkeit, für dieses Zusammenstehn in gemeinsamem Leid, wo alle Stände wetteifern –

Der Nörgler: Zur Sache!

Der Optimist: Hier – warten Sie, das muß ich Ihnen vorlesen, damit ich auch sicher bin, daß Ihnen kein Wort entgeht: »Eine Kundgebung des Kriegsministeriums. Das Telegraphen-Korrespondenzbüro teilt mit: Das k. u. k. Kriegsministerium bewilligt, daß der gesamten Arbeiterschaft, welche in jenen Betrieben beschäftigt ist, die sich mit der Munitionserzeugung und Elaborierung sowie mit der Erzeugung von Trainmaterial befassen, der 18. August d. J. als besonderer Feiertag freigegeben werde. Bei dieser Gelegenheit sieht sich das Kriegsministerium veranlaßt, die besondere Pflichttreue und den unermüdlichen Fleiß aller jener Arbeitskräfte hervorzuheben, die unseren unvergleichlich tapferen Truppen durch ihrer Hände Fleiß mitverholfen haben, die hehren Siegeslorbeeren in todesverachtender Tapferkeit zu erwerben.« Nun?

(Der Nörgler schweigt.)

Es scheint Ihnen die Rede verschlagen zu haben? Die sozialdemokratische Presse druckt es unter dem stolzen Titel: »Die Leistung der Arbeiter wird anerkannt«. Und wie viele dieser Arbeitskräfte mögen unglücklich darüber sein, daß sie zur Belohnung bloß einen Tag, wenn's auch Kaisers Geburtstag ist, frei bekommen –

Der Nörgler: Gewiß.

Der Optimist: – anstatt daß man ihnen die Genugtuung widerfahren ließe, sie endlich aus der Fabrik herauszunehmen –

Der Nörgler: Allerdings.

Der Optimist: – und ihnen Gelegenheit gibt, die Munition, die sie dort nur zu erzeugen haben, endlich auch an der Front erproben zu dürfen! Die Wackern sind gewiß untröstlich darüber, daß sie nur mit ihrer Hände Fleiß zu ihren Volks- und Klassengenossen stehen sollen und sich ihnen nicht auch ihrerseits in todesverachtender Tapferkeit anschließen dürfen. Die Gelegenheit, an die Front zu kommen, die höchste Auszeichnung, die einem Sterblichen –

Der Nörgler: Die Sterblichkeit scheint im Qualitätsnachweis hauptsächlich erfordert zu werden. Sie meinen also, daß die Zuweisung an die Front als höchster Lohn empfunden wird, nämlich von dem Empfänger?

Der Optimist: Jawohl das meine ich.

Der Nörgler: Das kann schon sein. Meinen Sie aber auch, daß sie als höchster Lohn vergeben wird?

Der Optimist: Das doch sicher! Es scheint Ihnen die Rede verschlagen zu haben.

Der Nörgler: In der Tat, und darum bin ich statt eigener Worte nur in der Lage, mich mit dem Text einer Kundgebung zu revanchieren. Ich werde sie Ihnen vorlesen, damit ich auch sicher bin, daß Ihnen kein Wort entgeht.

Der Optimist: Aus einer Zeitung?

Der Nörgler: Nein, sie dürfte kaum veröffentlicht werden können, Sie würde wie ein weißer Fleck aussehen. Sie ist aber in jenen industriellen Betrieben affichiert, die sich durch die Wohltat, unter staatlichen Schutz stellt zu sein, jede Unzufriedenheit in der Arbeiterschaft vom Hals zu schaffen gewußt haben.

Der Optimist: Sie haben doch gehört, daß die Arbeiterschaft mit Begeisterung bei der Sache ist und höchstens unzufrieden, weil sie nicht anders mitwirken kann. Wenn sogar das Kriegsministerium selbst die Hingabe anerkennt –

Der Nörgler: Sie scheinen die Rede, die es mir verschlagen hat, ersetzen zu wollen. So lassen Sie doch das Kriegsministerium zu Worte kommen! »14. VI. 15. Dem Kriegsministerium wurde zur Kenntnis gebracht, daß das Verhalten der Arbeiter bei zahlreichen industriellen Betrieben, welche auf Grund des Kriegsleistungsgesetzes in Anspruch genommen sind, in disziplinärer und moralischer Hinsicht außerordentlich ungünstig ist. Unbotmäßigkeiten, Frechheiten, Auflehnung gegen die Arbeitsleiter und Meister, passive Resistenz, mutwillige Beschädigung von Maschinen, eigenmächtiges Verlassen der Arbeitsstätten etc. sind Delikte, gegen welche sich auch die Anwendung des Strafverfahrens in vielen Fällen als wirkungslos erweist –«

Der Optimist: Offenbar sind die Leute schon ungeduldig, an die Front zu kommen. Diese Auszeichnung wird ihnen vorenthalten –

Der Nörgler – Nein, sie wird ihnen angeboten: »Das Kriegsministerium, sieht sich daher zu der Verfügung veranlaßt, daß in solchen Fällen unbedingt die gerichtliche Ahndung in Anwendung zu bringen ist. Die diesfalls vorgesehenen Strafen sind empfindlich und können durch entsprechende Verschärfungen noch empfindlicher gestaltet werden, auch bezieht der Verurteilte während der Haft keinen Lohn, so daß die gerichtliche Verurteilung gerade in solchen Fällen ein höchst wirksames Abschreckungs- und Besserungsmittel sein dürfte –«

Der Optimist: Nun ja, das sind harte Strafen, und solche Elemente haben auch die Aussicht verwirkt, je noch an die Front geschickt zu werden.

Der Nörgler: Nicht so ganz. »Jene kriegsdienstpflichtigen Arbeiter, welche bei gerichtlich zu ahndenden Ausschreitungen als Rädelsführer ausgeforscht werden, sind nach der gerichtlichen Austragung der Angelegenheit und nach erfolgter Abbüßung der Strafe nicht mehr in den Betrieb einzuteilen, sondern seitens der militärischen Leiter der betreffenden Unternehmungen dem nächsten Erg.Bez. Kom. behufs Einrückung zu den zuständigen Truppenkörpern zu übergeben. Dort sind diese Leute sofort der Ausbildung zu unterziehen und beim nächsten Marsch-Baon einzuteilen. Ist der betreff. einrückend gemachte Arbeiter nur zum Bewachungsdienst geeignet klassifiziert, so ist Vorsorge zu treffen, daß derselbe nach erfolgter Ausbildung zu einem Wachkörper eingeteilt wird, der im Armeebereich oder nahe demselben gelegen ist. Für den Minister: Schleyer m. p. F.z.M.«

(Der Optimist ist sprachlos.)

Der Nörgler: Es scheint Ihnen die Rede verschlagen zu haben? Sie sehen, daß Leute, die sich nach der Wohltat sehnen, an die Front zu kommen, dafür strafweise an die Front geschickt werden.

Der Optimist: Ja – sogar zur Strafverschärfung!

Der Nörgler: Jawohl, das Vaterland faßt die Gelegenheit, für das Vaterland zu sterben, als Strafe auf und als die schwerste dazu. Der Staatsbürger empfindet es als die höchste Ehre. Er will den Heldentod sterben. Statt dessen wird er ausgebildet und dem nächsten Marsch-Baon zugeteilt. Er will einrücken, statt dessen wird er einrückend gemacht.

Der Optimist: Ich kann es nicht fassen – eine Strafe!

Der Nörgler: Es gibt Abstufungen. Erstens Disziplinarstrafe, zweitens gerichtliche Abstrafung, drittens Verschärfung der Arreststrafe und viertens, als die schwerste Verschärfung des Arrests: die Front. Die Unverbesserlichen schickt man aufs Feld der Ehre. Die Rädelsführer! Bei mehrfacher Vorbestraftheit wird der Heldentod verhängt. Der Heldentod ist für den Chef des Generalstabes, nämlich wenn ihn sein Sohn erleidet, ein schwerer Schicksalsschlag und der Kriegsminister nennt ihn eine Strafe. Beide haben recht – Dies und das – die ersten wahren Worte, die in diesem Krieg gesprochen wurden.

Der Optimist: Ja, Sie machen es einem schwer, Optimist zu sein.

Der Nörgler: Nicht doch. Ich gebe ja zu, daß auch wahre Worte im Krieg gesprochen werden. Besonders was die Hauptsache betrifft. Das allerwahrste hätte ich beinahe vergessen.

Der Optimist: Und das wäre?

Der Nörgler: Eines, das beinahe mit dem Einrückendgemachtsein versöhnen könnte, die Revanche für die Schändung der Menschheit zum Menschenmaterial: die Aktivierung auf Mob-Dauer! Nach Flak und Kag und Rag und all den sonstigen Greueln hat man einmal an diesen Sprach- und lebensabkürzern seine Freude. Gewiß, wir sind auf Mob-Dauer aktiviert!

Der Optimist: Ihr Verfahren entfärbt alle Fahnen des Vaterlands. Alles Lüge, alles Prostitution? Wo ist Wahrheit?

Der Nörgler: Bei den Prostituierten!
Weh dem, der sich vermißt, das Angedenken
gefallener Frauen nun gering zu achten!
Sie standen gegen einen größern Feind,
Weib gegen Mann. Nicht Zufall der Maschine,
der grad entkommt, wer ihr nicht grad verfällt,
hat sie geworfen, sondern Aug in Aug,
aus eigenem Geheiß, eins gegen alle,
im Sturm der unerbittlichen Moral
sind sie gefallen. Ehre jenen sei,
die an der Ehre starben, heldische Opfer,
geweiht dem größern Mutterland Natur!

(Verwandlung.)

30. Szene

Irgendwo an der Adria. Im Hangar einer Wasserfliegerabteilung.

Die Schalek (tritt ein und sieht sich um): Von allen Problemen dieses Krieges beschäftigt mich am meisten das der persönlichen Tapferkeit. Schon vor dem Kriege habe ich oft über das Heldische gegrübelt, denn ich bin genug Männern begegnet, die mit dem Leben Ball spielten – amerikanischen Cowboys, Pionieren der Dschungeln und Urwälder, Missionären in der Wüste. Aber die sahen zumeist auch so aus, wie man sich Helden vorstellt, jeder Muskel gestrafft, sozusagen in Eisen gehämmert. Wie anders die Helden, denen man jetzt im Weltkrieg gegenübersteht. Es sind Leute, die zu den harmlosesten Witzen neigen, ein stilles Schwärmen für Schokolade mit Obersschaum haben und zwischendurch Erlebnisse erzählen, die zu den erstaunlichsten der Weltgeschichte gehören. Und doch. – Das Kriegspressequartier ist jetzt auf einem leeren Dampfschiff einquartiert, das in einer Bucht verankert liegt. Abends gibt es großes Essen, es geht bei Musik hoch her; schließt man die Augen – fast träumte man sich zu einem fidelen Kasinoabend zurück. Nun, ich bin gespannt, wie dieser Fregattenleutnant – ah, da ist er! (Der Fregattenleutnant ist eingetreten.) Ich habe nicht viel Zeit, fassen Sie sich kurz. Sie sind Bombenwerfer, also was für Empfindungen haben Sie dabei?

Der Fregattenleutnant: Gewöhnlich kreist man ein halbes Stündchen über der feindlichen Küste, läßt auf die militärischen Objekte ein paar Bomben fallen, sieht zu, wie sie explodieren, photographiert den Zauber und fährt dann wieder heim.

Die Schalek: Waren Sie auch schon in Todesgefahr?

Der Fregattenleutnant: Ja.

Die Schalek: Was haben Sie dabei empfunden?

Der Fregattenleutnant: Was ich dabei empfunden habe?

Die Schalek (beiseite): Er mustert mich ein wenig mißtrauisch, halb unbewußt abschätzend, wie viel Verständnis für Unausgegorenes er mir zumuten dürfe. (zu ihm:) Wir Nichtkämpfer haben so erdrückend fertige Begriffe von Mut und Feigheit geprägt, daß der Frontoffizier stets fürchtet, bei uns für die unendliche Menge von Zwischenempfindungen, die in ihm fortwährend abwechseln, keine Zugänglichkeit zu finden. Hab ich's erraten?

Der Fregattenleutnant: Wie? Sie sind Nichtkämpfer?

Die Schalek: Stoßen Sie sich nicht daran. Sie sind Kämpfer, und ich möchte wissen, was Sie da erleben. Und vor allem, wie fühlen Sie sich nachher?

Der Fregattenleutnant: Ja, das ist sonderbar – wie wenn ein König plötzlich Bettler wird. Man kommt sich nämlich fast wie ein König vor, wenn man so unerreichbar hoch über einer feindlichen Stadt schwebt. Die da unten liegen wehrlos da – preisgegeben. Niemand kann fortlaufen, niemand kann sich retten oder decken. Man hat die Macht über alles. Es ist etwas Majestätisches, alles andere tritt dahinter zurück, etwas dergleichen muß in Nero vorgegangen sein.

Die Schalek: Das kann ich Ihnen nachempfinden. Haben Sie schon einmal Venedig bombardiert? Wie, Sie tragen Bedenken? Da werde ich Ihnen etwas sagen. Venedig als Problem ist auch langen Grübelns wert. Voll von Sentimentalität sind wir in diesen Krieg gegangen –

Der Fregattenleutnant: Wer?

Die Schalek: Wir. Mit Ritterlichkeit hatten wir ihn zu führen vorgehabt. Langsam und nach schmerzhaftem Anschauungsunterricht haben wir uns das abgewöhnt. Wer von uns hätte nicht vor Jahresfrist noch bei dem Gedanken geschauert, über Venedig könnten Bomben geworfen werden! Jetzt? Konträr! Wenn aus Venedig auf unsere Soldaten geschossen wird, dann soll auch von den Unsern auf Venedig geschossen werden, ruhig, offen und ohne Empfindsamkeit. Akut wird das Problem ja erst werden, bis England –

Der Fregattenleutnant: Wem sagen Sie das? Seien Sie beruhigt, ich habe Venedig bombardiert.

Die Schalek: Brav!

Der Fregattenleutnant: In Friedenszeiten pflegte ich alle Augenblicke nach Venedig zu fahren, ich liebte es sehr. Aber als ich es von oben bombardierte – nein, keinen Funken von falscher Sentimentalität verspürte ich dabei in mir. Und dann fuhren wir alle vergnügt nach Hause. Das war unser Ehrentag – unser Tag!

Die Schalek: Das genügt mir. jetzt erwartet mich Ihr Kamerad im Unterseeboot. Hoffentlich hält der sich auch so wacker wie Sie! (Ab.)

(Verwandlung.)

31. Szene

In einem Unterseeboot, das soeben emporgetaucht ist.

Der Maat: Sie kommen schon!

Der Offizier: Schnell wieder hinunter! – Nein, zu spät.

(Die Mitglieder des Kriegspressequartiers treten ein, an der Spitze die Schalek.)

Meine Herren, Sie sind die ersten Gesichter, die wir sehen. Es ist eine eigenartige Empfindung, dem Licht wiedergegeben zu sein.

Die Journalisten: No wie is es da unten –??

Der Offizier: Fürchterlich. Aber da oben –

Die Journalisten: Geben Sie Details.

Der Offizier: Die wird er Ihnen geben, der Maat –

Die Journalisten: Der Mad? Nur ihr? No und wir? (Nach erfolgter Aufklärung des Mißverständnisses stürzen sich die Journalisten auf den Maat.) Also das sind die Lanzierrohre?

Der Maat: Nein, das sind Kalipatronen.

Die Journalisten: Sind das nicht die Diesel-Motoren?

Der Maat: Nein, das sind Wassertanks.

Der Offizier (wendet sich zur Schalek): Sie sprechen ja gar nicht?

Die Schalek: Mir ist zumute, als habe ich die Sprache verloren. Erlauben Sie, daß ich an ein dunkles Problem rühre. Ich möchte nämlich wissen, was haben Sie gefühlt, wie Sie den Riesenkoloß mit so viel Menschen im Leib ins nasse, stumme Grab hinabgebohrt haben.

Der Offizier: Ich habe zuerst eine wahnsinnige Freude gehabt –

Die Schalek: Das genügt mir. Ich habe jetzt eine Erkenntnis gewonnen: Die Adria bleibt unser!

(Verwandlung.)

32. Szene

Eine unter das Kriegsdienstleistungsgesetz gestellte Fabrik.

Der militärische Leiter: Anbinden, Stockhiebe, Arrest, no und halt Einrückendmachen – mehr ham wir nicht, was anders gibts nicht. Kann man halt nix machen.

Der Fabrikant (an dessen Arm eine Hundspeitsche baumelt): Solang es geht, versuch ichs in Güte. (Er zeigt auf die Hundspeitsche.) Wie man sich aber helfen soll, wenn diese Gewerkschaftshunde mit ihren Hetzereien nicht aufhören – Aussprache über die Lage der Arbeiterschaft, Ernährungsfrage – wie unsereins da durchhalten soll! – Rechts- und Arbeitsverhältnisse, Neugestaltung des Arbeiterrechtes im Kriege –

Der militärische Leiter: Ehschowissen. Einrückend gemacht und womöglich die Herrn Abgeordneten dazu. Wir haben aus 'm Kriegsdienstleistungsgesetz und dem Landsturmgesetz ohnedem alles herausgefetzt was nur möglich war. Wir brauchen uns da keine Vorwürfe zu machen. Am schönsten war das im August 14 mit die Schmiede und Mechaniker. Vormittag hams noch im Akkord ihre 6 Kronen verdient, Mittag hat mas gemustert und ihnen schön eröffnet, daß sie jetzt Soldaten sein, no und Nachmittag hams am gleichen Arbeitsplatz für die gleiche Arbeitsleistung schön um Soldatengebühren gearbeit'. Hat sich keiner gemuckst. Aber ich sag, eigentlich is so eine Musterung überflüssig –

Der Fabrikant: Oho!

Der militärische Leiter: Ich mein', man hätt's überall so machen solln wie bei uns in Klosterneuburg im Trainzeugdepot, da hab ich ihnen einfach gsagt, ihr seids von jetzt an Kriegsleister und habts daher nur Anspruch auf Soldatenlöhnung.

Der Fabrikant: Ja so!

Der militärische Leiter: Einmal hab'n sie sich beschwert wegen Unhöflichkeit oder was. Hab ich sie mir zum Rapport bestellt und frag sie, wer sie aufgeklärt hat. Antwortet der Kerl: Wir sind organisierte Arbeiter und haben uns an unsere Gewerkschaften um Aufklärung gewendet, die haben uns an zwei Abgeordnete gewiesen! No, sag ich, die Herrn wer' ich mir holen lassen, sie wern dastehn bei euch und wern arbeiten anstatt zu hetzen. Sagt drauf der Kerl: Wir sind organisierte Arbeiter, wir erfüllen unsere Pflicht gegenüber dem Staat, aber wir suchen auch Schutz bei unserer Organisation. Ich –

Der Fabrikant: Also da soll man keine Hundspeitsche bei sich haben. Was haben Herr Oberleutnant –

Der militärische Leiter: Was ich getan hab? Hochverräter seids ihr, hab ich ihnen gsagt, und damit euch die Lust vergeht, euch noch amal zu beschweren, habts ihr dreißig Tage Kasernarrest, punktum, Streusand drüber.

Der Fabrikant: Ich staune über diese Milde. Bei Hochverrat!

Der militärische Leiter: No wissen S', man darfs nicht überspannen. Das Traurige is, daß die Zivilgerichte die Bagasch noch unterstützen.

Der Fabrikant: So ein Fall is mir bekannt. Beim Lenz in Traisen, wo so ein Kerl ohnedem 25 Kronen pro Woche gehabt hat, klagen zwei auf Auflösung, weil sie zuerst 44 gehabt haben. Das Bezirksgericht verurteilt den Lenz. Wie die beiden seelenvergnügt das Gerichtsgebäude verlassen –

Der militärische Leiter: Der Fall is mir bekannt – wern s' von zwei Schendarm in die Fabrik gführt. Dort pelzt ihnen mein Kamerad zehn Tag Arrest auf und weiterarbeiten. Ja, die Gerichte sind eine saubere Staatseinrichtung, das muß ich schon sagen! Zum Glück is der Lenz Bürgermeister, da kann er auch selber Arrest geben. So hat ers mit die Arbeiterinnen gmacht, die hat er am zweiten Weihnachtstag mit Patrouillen abholen lassen, in die Arbeit und hernach in 'n Arrest.

Der Fabrikant: Über mich haben sie sich einmal wegen schlechter Behandlung und unzulänglicher Bezahlung bei der Gewerkschaft beschwert. Ich bitte – bei 38 bis 6o Heller die Stunde! No ich hab mir einen Rädelsführer kommen lassen und sag ihm: Ihr habts euch beschwert, aber die Hundspeitsche ist noch da. Und zeig auf meinen Arm. Sagt der Kerl: Wir sind keine Hunde. No zeig ich halt auf meine Revolvertasche und sag ihm: Für Sie hab ich auch noch einen Revolver! Hat er was – von Menschenwürde hat er was gredt oder so. Also der Kerl hat es richtig so weit gebracht, daß die Beschwerdestelle gesagt hat, die Löhne sind unzureichend!

Der militärische Leiter: Da is doch jedenfalls sofort –

Der Fabrikant: Aber natürlich, er is einrückend gemacht worn, Ihr Vorgänger war darin sehr kulant. Einen, der sich auch einmal über zu geringen Lohn beschwert hat, hab ich gepeitscht und Ihr Vorgänger hat ihm dafür drei Wochen Arrest gegeben.

Der militärische Leiter: Wern S' sehn, über mich wern Sie sich auch nicht zu beklagen haben. Ich sag nur so viel, die Kerle soll'n froh sein, daß sie in keinem Bergwerk sind.

Der Fabrikant: Ich weiß, das Militärkommando Leitmeritz hat den Grubenbesitzern die Lage wesentlich erleichtert. Die Belegschaften sind einfach aufmerksam gemacht worn, daß sie auf die Kriegsartikel vereidigt sind und daß das Vorbringen von Beschwerden unter Umständen als Verbrechen der Meuterei aufgefaßt werden kann, in welchem Fall die Rädelsführer und Anstifter standrechtlich zum Tod verurteilt werden können. Ja, die Grubenbesitzer –

Der militärische Leiter: Bei der Eibiswalder Glanzkohlengewerkschaft in Steiermark müssen s' Sonntagsschichten machen, nach acht Uhr abends gibts kein Gasthaus und Kaffeehaus. Dafür gibts bei fünf Tag Arrest drei Fasttäg. Unter Eskorte wern s' von der Grube in den Gemeindearrest gführt, ein' weiten Weg. In Ostrau hat mas gleich bei Kriegsausbruch zu prügeln angfangt, aber systematisch! Auf der Bank im Wachzimmer, von zwei Soldaten ghalten. Der Kerl, der nacher ei'm Abgeordneten was erzählt hat, den ham s' halt noch amal prügelt. Die was eine Beschwerde vorbringen – einrückend gemacht, auch wenn s' nie gedient hab'n. So is!

Der Fabrikant (seufzend): Ja, Grubenbesitzer müßt' man sein! Die können durchhalten!

Der militärische Leiter: No ganz schutzlos is heutzutag ein anderer Unternehmer auch nicht! Die Werkmeister schaun auch schon von selbst dazu. Sie ohrfeigen ganz tüchtig. Für'n Arrest hab ich immer täglich sechs Stund Spangen vorgsehn ghabt. No und wenn s' so von der Arbeit weg mit aufpflanzten Bajonett durch die Straßen gführt wern, das is schon ein Exempel! Ohne Reinigung vorher, im Arrest die Haar gschorn, auch wann einer nur vierundzwanzig Stund hat, die Menagekosten vom Lohn abzogn – schon wenns von Floridsdorf in die Josefstadt zum Rapport müssen, verlieren s' doch 'n halben Taglohn, no und gar der Verdienstentgang bei Arrest und so Sacherln, und was die Hauptsach is, wenn auch nur für die schwerern Fälle – Einrückendmachen! Also da hat sich noch keiner von die Herrn zu beklagen ghabt bitte!

Der Fabrikant: Aber bitte, ich will ja auch nichts gesagt haben. Und ich bin bekannt dafür, daß ich die militärische Autorität nur im äußersten Notfall strapaziere. Ich verlasse mich lieber auf die Selbsthilfe. Ich sag, solang es in Güte geht – (er zeigt auf die Hundspeitsche.)

(Verwandlung.)

33. Szene

Zimmer im Hause des Hofrats Schwarz-Gelber. Spät am Abend. Hofrat und Hofrätin Schwarz-Gelber treten ein.

Er (schwer atmend): Gott seis getrommelt und gepfiffen, da sind wir – puh –

Sie: Tut sich was, Märtyrer was du bist.

Er: Das letzte Mal – das letzte Mal – darauf kannst du dich verlassen!

Sie: Ich mit dir auch! Darauf kannst du Gift nehmen! (Sie beginnt sich zu entkleiden. Er läßt sich in einen Stuhl fallen, stützt die Stirn in die Hand, springt wieder auf und geht im Zimmer umher.)

Er: Warum – sag mir nur bittich warum – warum, nur das eine sag mir hat Gott mich mit dir gestraft – grad ich? – ausgerechnet – muß dieses Leben führen – warum – hätt nicht können ein anderer?! – Gerackert hab ich mich – bis in die sinkende Nacht für dich – du bringst mich um mit deiner Kriegsfürsorg – Hilfskomitees und Zweigstellen und was weiß ich, Konzerte und Nähstuben und Teestuben und Sitzungen, wo man herumsteht, und jeden Tag Spitäler – Gott, is das ein Leben – (auf sie losgehend) was –was willst du noch von mir – hast du noch nicht genug – ich – ich – bin nicht gesund – ich bin nicht – gesund-

Sie (schreiend): Was schreist du mit mir? Ich zwing dich? D u zwingst mich! Ob ich einen Tag Ruh gehabt hätt vor dir! –Ich – hab ich dir nicht helfen müssen treppauf treppab – bis sie gesagt haben, damit sie endlich Ruh haben vor dir und du bist Vizepräsident geworn! Glaubst du, man steht um dich? Mir verdankst du – wenn ich nicht fort wär hinter ihm hergewesen, Exner – Gott, was hab ich treten müssen – Ich wer dir sagen was du bist! Ein Idealist bist du! Wenn du dir einredst, auf andere Art wärst du geworn was du bist! Auf was herauf? Auf dein Ponem herauf, was? Auf deinen Tam herauf, was? Daß dus weißt, mir hast du zu verdanken deine ganze Karrier, mir, mir, mir – Liharzik ist tot – heut könntest du dort stehn, wo er war, überall könntest du sein – ein Potsch bist du! die gebratenen Tauben werden dir ins Maul fliegen, ausgerechnet – ich stoß und du kommst nicht vom Fleck – möchten möchtest du viel und zu nix hast du die Gewure!

Er: Gotteswillen bittich – schweig – in meiner Stellung – riskier ich genug –

Sie: Ich pfeif auf deine Stellung, wenn wir nicht weiterkommen. Stellung! Auch wer! Weil ich gelaufen bin, hast du e Stellung! Gerannt bin ich! Bin ich für mich gerannt? Für mich hab ich Wege gemacht? Darauf antwort mir!

Er: Nu na nicht.

Sie: Hör auf! Ich kann dich nicht sehn! Du weißt am besten, wie du lügst. Gott, getrieben hast du, wenn ich nicht heut da war und morgen dort – gestuppt hast du mich – wenn Grünfeld gespielt hat, hab ich reden müssen – ausgestanden hab ich – ich hab schon nicht mehr gewußt, is Sitzung bei der Berchtold oder is Tee bei der Bienerth,Bienerth – Anka Gräfin Bienerth-Schmerling, Ehrenpräsidentin der »Ausspeisungsaktion der Arbeitslosen« der Blumentag hab ich geglaubt is für die Patenschaft statt für die Flüchtlinge, da hats geheißen Korngoldpremier, fortwährend Begräbnisse, Preisreiten, Wehrmann und Wehrschild, wie sie den Kriegsbecher angeregt haben, gleich warst du aufgeregt, ich kenn dich doch, aber so hab ich dich noch nicht gesehn, schon hast du dabei sein müssen, warum, ohne dich wär's nicht gegangen, ich hab dir gesagt laß mich aus, konträr, gejagt hast du mich, in die Tees und Komitees hast du mich förmlich gestoßen, gequält hast du mich wegen Lorbeer für unsere Helden, da bin ich gerannt, dort bin ich gerannt, nix wie Hilfsaktionen; zu Gunsten da, zu Gunsten dort zu wessen Gunsten frag ich, wenn nicht zu deinen? Zu meinen nicht! An den heutigen Tag wer' ich zurückdenken – Gott – von einem Spital ins andere muß man sich schleppen – und was hat man davon? Was hat man? Undank!

Er: Um Gotteswillen, hör auf! Wenn dich einer reden hört, möcht er sich schöne Begriffe machen von deiner Nächstenliebe, die Gall geht einem heraus –

Sie: Vor dir! Kann ich dafür, daß sie dich heut übersehn haben? Schwören kann ich, ich hab mit dem Delegierten gesprochen, ich hab ihm gesagt, wenn sie kommen, hab ich ihm gesagt, soll er trachten, daß wir ganz vorn stehn, weil wir das letzte Mal Pech gehabt haben, im letzten Moment hab ich ihm noch einen Stupp gegeben, er weiß, daß ich Einfluß hab auf Hirsch, er hat ihn schon lang nicht genannt – ich hab getan was möglich war, ich bin fast neben der Blanka gestanden, wie sie dem Blinden gesagt hat es is für das Vaterland – auf mich willst du deine Wut auslassen? Kann ich dafür, daß sich im letzten Moment Angelo Eisner vorgestellt hat mit seinem Koloß, wo er alles verdeckt? Pech hast du, weil er größer is, und ich muß büßen! Mir – mir – machst du Vorwürfe – ich – ich – weißt du was du bist, weißt du was du bist – ich – eine Bardach (kreischend) bin viel zu gut für einen Menschen wie du (sie wirft das Mieder nach ihm) – du – du Nebbich!

Er (stürzt auf sie los und hält sie): Duuu! – mich reg nicht auf – mich reg nicht auf, sag ich dir – ich steh für nichts – ich vergreif mich an dir – was – was – willst du von mir – Ausraum, der du bist – von dir sprichst du nicht? – Dein Ehrgeiz bringt mich ins Grab! – hättst du Kinder, wärest du abgelenkt – schau mich – an – grau bin ich geworn durch dich (schluchzend) – ich – war bei – Hochsinger – das Herz is – nicht mehr – wie es sein soll – du bist schuld – (brüllend) jetzt sag ich dir die Wahrheit – weil du nicht erreicht hast – eine Flora Dub zu sein! – für Hüte hätt ich müssen ein Vermögen – woher – nehm ich – was will man von mir –

Sie (in Paroxysmus): Mit – Flora – Dub! – Du wagst es! – mich in einem Atem – Flora – mit der Dub! – mich – eine geborene Bardach! Weißt du, was du bist – ein Streber bist du! Aus der Hefe empor! Gelb bist du vor Ehrgeiz! Schwarz wirst du, wenn du einmal nicht genannt wirst! Wenn du an Eisner denkst, wälzt du dich im Schlaf! Bin ich schuld, daß er ein Aristokrat is? Geh hin zu Fürstenberg und laß dach adaptieren!

Er (weicher werdend): Ida – was hab ich dir getan – schau – laß ein vernünftig Wörtl – schau – Gotteswillen – was – was bin ich – Hoftat – ich – lachhaft – ein Jud bin ich! – (Er fällt schluchzend in den Stuhl) – Ausstehn! – Is das – ein Leben – is das ein Leben – immer hinter – ganz hinter – die andern – auf Hirsch angewiesen sein – beim letzten – letzten – Preistreiben – reiten – man hat uns – überhaupt nicht – bemerkt – (gefaßter) ich hab dich noch gestoßen – die Wydenbruck hat es bemerkt – sie hat Bemerkungen gemacht – und heut – der Skandal! – die Leute reden – ich bin fertig – Spitzy hat gelacht –

Sie: Laß mich aus mit Spitzy! Der hat zu reden! Spitzy is erst durch den Weltkrieg heraufgekommen. Nie hat man früher den Namen gelesen. Jetzt? Übel wird einem täglich auf jeder Seite von Spitzy!

Er: von Spitzy!? Er ist doch noch nicht – das fehlte noch!

Sie: Ich sag übel wird einem von Spitzy.

Er: Er drängt sich unter die Spitzen.

Sie: Auf ihm hat man gewartet! Mir scheint stark, er bildet sich ein, er is Spitzer.

Er: Er spitzt auf die goldene.

Sie: Ich hab so mit dem Delegierten gesprochen. Er hat gesagt, da kann man nichts machen, das is wieder einmal echt wienerisch, hat er gesagt, bittsie der Spitzy, er hat die Presse und außerdem leistet er für die Prothesen.

Er: Auf den Delegierten soll ich sagen!

Sie: Ich gift mich genug über ihm.

Er: Den Unterschied zwischen der Gartenbau heut und wie der Krieg angefangen hat, möcht ich Klavier spielen. Wenn ich zurückdenk, damals bei der Schlacht von Lemberg, du weißt doch, wie die Presse das Jubiläum gefeiert hat, Weiskirchner hat ihr gratuliert, neulich erst sag ich zu Sieghart –

Sie: Du, zu Sieghart?

Er: Du – weißt – nicht mehr, wie ich mit Sieghart gesprochen hab? Das hat die Welt nicht gesehn! Alle haben gesehn – Du weißt nicht? Wie er gekommen is, wir sollen beitreten zum Subkomitee in die Hilfssektion – du weißt doch, er hat doch die Idee gehabt zu einer Sammlung »Kaviar fürs Volk«, es is eigentlich eine Anregung von Kulka – sag ich also zu Sieghart, Exzellenz, sag ich, der Delegierte gefällt mir etwas nicht und der Primarius gefällt mir nicht und die ganze Schmonzeswirtschaft gefällt mir nicht. Er schweigt, aber ich hab gesehn, er denkt sich. Sag ich zu ihm, Exzellenz, die Zeit ist viel zu ernst. No ich kann dir nur soviel sagen, er hat nicht nein gesagt. Wieso das kommt, frag ich. Er zuckt mit die Achseln und sagt, Krieg is Krieg. No hab ich doch gewußt, woran ich war. jetzt brauch ich nur –

Sie: Wenn du damals, bei der konstituierenden Versammlung für die Walhalla nicht wie ein Nebbich dagestanden wärst, wäre die Sache schon erledigt.

Er: Erlaub du mir, grad bei solchen Gelegenheiten vermeid ich aufzufallen. Alle haben sie sich den Hals ausgereckt, wie er von der Korrespondenz Wilhelm gekommen is –

Sie: Und ich hab dir Zeichen gemacht, du sollst auch!

Er: Nein sag ich dir! Da kennst du mich schlecht! Auf geradem Wege gehts nicht, so hör zu meinen Plan. Mit Eisner wirst du sehn, er is imstand und geht eines schönen Tages hinauf und wird sichs richten. Aber ich hab mir fest vorgenommen – ich wart jetzt nur – das nächste Mal – no ich könnt ihm gut schaden – er hat, aber sag's nicht, er hat eine abfällige Bemerkung über Hirsch fallen lassen!

Sie: Bittich fang dir nichts an! Misch dich in nichts! Ich könnt auch, ich halt mich genug zurück, die Dub hat etwas über die Schalek gesagt – daß sie sich patzig macht in der Schlacht und so – zur Odelga könnt ich eine Anspielung machen, Sonntag schätz ich kommt sie zum Invalidentee – Sigmund – hör mich an weißt du was – sei nicht nervees – du bist überanstrengt – ich sag dir, wir setzen es durch! Komm zu dir – ich wett mit dir, Freitag is eine Gelegenheit wie sie noch nicht da war – die Jause, du weißt doch, für unsere Gefangenen in Ostsibirien. Oder hör zu, wart, noch vernünftiger, Samstag, für die deutschen Krieger! Du wirst sehn, paß auf, du kriegst! Wenn nicht die erste, so die zweite. Ich garantier dir. Bis zum Kabaree vom Flottenverein warten wir nicht! Jetzt zeig, was du imstand bist. Nimm dir ein Beispiel an Haas, an ihm, nicht an ihr – siehst du, er is nur ein Goj, aber eine Gewure – dir gesagt! Jetzt entscheidet sich alles. Daß du mir nicht wieder wie ein Stummerl dastehst, hörst du? Sie warten bloß, daß du den Mund aufmachst. So wahr ich da leb – ich kann mir nicht helfen – aber ich hab das Gefühl, wir sind sowieso vorgemerkt –

Er: Glaubst du wirklich – das wär ja – lang genug hätt man sich geplagt – aber woher glaubst du?

Sie: Was heißt ich glaub? Ich weiß! Du bist der Meinung, es is schon alles verpatzt. Ich sag dir, nix is verpatzt! Du warst von jeher ein Pessimist mit dem Krieg. Ich kann dir nicht alles sagen, aber die Frankl-Singer von der »Sonn und Mon« is wie du weißt intim mit der Lubomirska, frag mich nicht. Du hättest das Gesicht von der Dub sehn solln, wie sie gesehn hat, ich sprech mit ihr. Was soll ich dir sagen, sie hat sich gejachtet. Sogar Siegfried Löwy hat mit dem Kopf geschüttelt, no da hab ich alles gewußt. Es wird vielleicht eines der größten Errungenschaften sein, wenn mir das gelingt. Nur bei der Ausspeisung dürfen sie nichts erfahren, sonst zerspringen die Patronessen, behauptet Polacco. Selbst heut hab ich das Gefühl gehabt, es kann nicht mehr lange dauern. Weißt du, nämlich wie der Lärm war – wie sie alle hinüber sind – zu dem sterbenden Soldaten – du weißt doch, der getrieben hat, weil er geglaubt hat, unten steht seine Mutter, sie haben sie nicht herauflassen wollen, es is verboten wegen der Disziplin, Hirsch hat noch gesagt, er wird in den Annalen fortleben, er gibt ihn hinein – da hab ich das Gefühl gehabt – nämlich, wie sie so gestanden sind – da hab ich mir eigens achtgegeben, ich hab hingeschaut und da hab ich deutlich bemerkt, wie die Palastdame hergeschaut hat, alle sag ich dir haben sie auf uns gezeigt – ich hab dich noch aufmerksam machen wolln – aber da hab ich ihn beobachten müssen, ob er nicht vorgeht, der lange – und dann haben sie noch besprochen – grad wie Hirsch die Stimmung notiert hat, haben sie besprochen wegen dem Konzert für die Witwen und Waisen – da hab ich wieder das Gefühl gehabt – ich kann mir nicht helfen – (dicht bei ihm, zischend) wenn du nur jetzt nicht wieder bescheiden bist! – nur jetzt nicht! – meinetwegen immer, aber um Gotteswillen nicht jetzt!

Er (eine Weile nachdenklich, dann entschlossen): Was haben wir morgen?

Sie (sucht hastig Einladungen hervor): Wien für Ortelsburg – liegt mir stark auf, wir gehn, aber wir müßten auch nicht. Verwundetenjause bei Thury, nicht der Rede wert, aber kann nicht schaden. Konstituierende Sitzung des Exekutivkomitees für den Blumenteufel-Rekonvaleszenten-Würsteltag – da muß ich als Patroneß. Aber da, wart, Kriegsfürsorgeamt, musikalischer Tee, Fritz Werner singt, ich sprech sicher mit ihm, er hat auch immer größeren Einfluß –

Er: Sagst du!

Sie: Wenn ich dir sag!

Er: Einfluß, lächerlich –

Sie: So! Also kürzlich hat er ihm das Bild schicken müssen. Er is ein großer Verehrer. Er hat schon fufzigmal »Husarenblut« gesehen.

Er: Zufällig kennt er ihn nur flüchtig.

Sie: Wenn du also besser informiert bist! Gut, nehmen wir schon an, Fritz Werner hat nicht Einfluß, was is aber, jetzt paß auf, was is mit Spitzer? Wenn ich auf keinen halt, auf Spitzer halt ich! Man brauch nur sehn, was sich da tut jedesmal, was sie angeben, wenn er kommt! Spitzer is heut maßgebend, alles spricht nur von Spitzers Karrier. Ich sag dir, man muß das Eisen schmieden, solang man Gold dafür kriegt. Nur jetzt keine Versäumnisse! Du, hör mich an- was nützt das alles – jetzt nimm dich zusamm, sei ein Mann! Mach dich beliebt! Was denkst du so nach? Du hasts ja bisher getroffen, warum nicht weiter. Also! Jetzt heißt es durchhalten!

Er (die Stirn in der Hand): Das heut is zu schnell vorübergegangen. Man hat gar nicht können zu sich kommen. Ich war heut nicht auf der Höhe. Ja, ich hab gleich gespürt, etwas is nicht in der Ordnung. Von allem Anfang hab ich bemerkt, sie bemerken uns nicht, und zum Schluß, wie sie uns ja bemerkt hätten, war ich zerstreut und hab es nicht bemerkt. Ich sag dir, es is das Herz – Hochsinger is unbedingt für Schonen. Schonen sagt er und wiederum schonen. Aber wie soll man – Gott – du sag mir bittich, wie war das eigentlich, wie sie alle mit Spitzer geredet haben, wie er –

Sie: Mit Spitzer? Das war doch nicht heut! Das war doch Sonntag!

Er: Gotteswillen – ein Kreuz is das – Sonntag – alles geht einem durcheinander im Kopf – also gut – ärger is wenn ich Gottbehüt vergessen hätt mit Sieghart zu sprechen. Wie, also was, also sag mir – mit Spitzer, das intressiert mich –

Sie: Sonntag? No ja, da war es doch schon auf ein Haar so weit, daß der Delegierte – ich hab schon geglaubt – hast du gezweifelt? No hörst du, das is doch so klar, wie nur etwas!? Wenn nicht die Schwester dazwischengekommen wär, das Skelett, du weißt doch, die den Schigan hat, den ganzen Tag pflegen, überhaupt eine bekannt exzentrische Person, grad wie ich zum Bett hingehen will, Pech, kommt sie daher, einen Schritt war ich –

Er: Moment! Das – wart – wo sind sie da gestanden? Das war doch, wo die Rede war, daß man wieder sammeln gehn soll, etwas einen Gardenientag, weiß ich! haben sie beschlossen für Wiener Mode im Hause oder –

Sie: Freilich, Trebitsch hat noch erzählt, daß er tausend Kronen anonym gegeben hat –

Er: Bekannter Wichtigmacher, gibt sich jetzt aus für intim Reitzes – siehst du, jetzt hab ich, also wart – ob ich weiß! unterbrich mich nicht, da war, ich wer dir sagen, da war auch die Rede von Aufnahmen im Spital, für den Sascha-Film, wächst mir auch schon zum Hals heraus, siehst du, daß ich weiß? Aber nur – wo sind sie gestanden? Die Situation – wir sind nicht durchgekommen, so viel weiß ich – wir sind zurückgegangen –

Sie: Du kannst dich nicht erinnern? Ich seh's vor mir! Bei dem Bett von dem Soldaten –

Er: Bei dem Bett – mit der Mutter der?

Sie: Geh weg, das war doch heut!

Er: Wart – der Blinde!

Sie: Der Blinde von der Blanka? Das war doch heut!

Er: Aber wie der Salvator –

Sie: Vom Salvator der Blinde – das war doch Dienstag in der Poliklinik! Der Blinde, ich seh es vor mir! Damals, du weißt doch – Hirsch hat sich notiert –

Er: Entschuldige, aber das war bei der Staatsbahn beim Labedienst! Wo sich noch die Löbl-Speiser vorgedrängt hat, die Geschiedene –

Sie: Konträr, grad damals is es sehr günstig gestanden, wenn du mir nur gefolgt hättst, ich hab dir noch geraten, mach dich an Stiaßny.

Er: An Stiaßny? Das war doch beim Wehrmann! Siehst du, jetzt verwechselst d u!

Sie (lauter): Ich verwechsel? Du verwechselst! Beim Wehrmann! Wer redt heut vom Wehrmann?

Er: Also wart – beim Bett – übrigens was gibst du Rebussen auf, sag mir den Soldaten und fertig.

Sie: Grad nicht! Siehst du, wenn ich nicht wär mit meinem Gedächtnis –

Er (lauter): Laß mich aus mit deinem Gedächtnis! Was nutzt nur dein Gedächtnis! Ä – es is alles für die Katz!

Sie: Du marterst mich – ich lauf mir die Füße wund – soll ich dir noch helfen erinnern!

Er: Schrei nicht – ich laß alles liegen und stehn – ich geh morgen nicht – du kannst allein gehn ausspeisen – ich hab es satt – der ganze Krieg kann mir gestohlen wern! – das hat uns noch gefehlt – als ob früher nicht genug Lauferei war – geh mir aus den Augen – jetzt reißt mir die Geduld! – von mir aus soll –

Sie (schreiend): Du schreist mit mir, weil du kein Gedächtnis hast! Du weißt nicht mehr, wem du grüßt! Du grüßt Leute, wo es nicht nötig is, und wo es ja nötig is, grüßt du nicht! jedesmal am Graben muß ich dich stuppen! Ich hab für dich gearbeitet – du – du weißt du, was du ohne mich bist? Ohne mich bist du ein Tineff für die Gesellschaft!

Er (sich die Ohren zuhaltend, mit einem Blick zum Plafond): Ordinär –! (nach einer Pause, in der er herumgegangen ist) Möchtest du jetzt also die Güte haben? – Bist du jetzt vielleicht beruhigt? Also sag mir –

Sie: Grad sag ichs nicht – Sonntag – wie sie alle um das Bett gestanden sind – ich bin vorgegangen – alle sind sie –

Er: Moment! Laß mich ausreden – im ganzen Belegraum –

Sie (schreiend): Du quälst mich aufs Blut – jetzt tust du als ob du nicht bis drei zählen könntest – ich lauf mir die Füße wund – von Pontius zu Pilatus –

Er: Das weiß ich zu schätzen. Leicht is es nicht.

Sie: Also gib Ruh und bohr nicht in mich – daß du's endlich weißt und frag mich nicht mehr – ich hab Recht und nicht du – ich hab dir gesagt, Sonntag hat man uns bemerkt, wie sie beim Bett gestanden sind –

Er: Noo-o! Also beim Bett – mir scheint, du redst dir da was ein –

Sie: So wahr ich da leb! Beim Bett von dem Soldaten, wo der Primarius alles gezeigt hat –

Er: Ah – jetzt weiß ich! Was sagst du nicht gleich? Der mit den abgefrorenen Füßen!?

Sie: Ja – und mit der Tapferkeitsmedaille!


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