Karl Kraus
Glossen bis 1936
Karl Kraus

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Barockhendl

Wie gut mir diese Wortbildung gelungen ist, bekräftigt jetzt Herr Hermann Bahr in einem seiner Tagebücher:

... Wann beginnt eigentlich das Backhendlwien und wann endet es? Seine schönste Blüte war vielleicht der Wiener Kongreß. Das Backhendel ist ja das Symbol einer Lebensform, in der eine schon lockere, schon zergehende Kraft sich noch einmal aufzuraffen versucht. Indem Habsburg sich aufgibt –

Auf der ganzen Welt dürfte es ja an den Grundlagen für diese Gastronomie fehlen, die sich schon zur Gastromantik steigert, um aus einem gebackenen Hühnchen eine Lebensform zu erschließen. Aber die ganze Welt entbehrt eben überhaupt der Kultur, welche ohne die sie deutenden Schmöcke ja auch nicht bestehen oder gewesen sein könnte. Ich erwartete nun sehnsüchtig das Wörtlein »Barock«. Hat ihn schon:

Statt, wo die Überlieferung abgerissen war, beim Barock, wieder anzuknüpfen, importiert man Bildung und wundert sich dann, wenn sie improvisiert wirkt.

Ich hatte also den Nagel auf den Kopf getroffen und das Barockhendel abgeschossen.

Umsturz in der Neuen Freien Presse

Unlängst, an einem Sonntag, mußten die ältesten Leser das Folgende wahrnehmen. Zum erstenmal, nicht etwa in der Gerichtsrubrik, nein in der Literaturrubrik – in der Besprechung einer Novelle von Berthold Viertel durch Herrn Zweig – lasen sie, der Autor habe unter anderen Werken eine fanatische Bekenntnisschrift für Karl Kraus geschrieben, und ferner, der Held seiner Novelle werde in einem Abenteuer mit einer kleinen Hure vorgeführt. Das war etwas viel auf einmal. Es schmeichelt mir, daß bei der ersten Gelegenheit, da sich die Neue Freie Presse das Wort »Hure« erlaubte – obschon sie vielleicht bei einer »kleinen‹ Hure unliebsame Gedankenverbindungen für ausgeschlossen hält –, auch meinen Namen über die Lippen gebracht hat. Sie weiß, daß ich stets gerade auf diesem Gebiete den Kampf gegen soziale Vorurteile geführt habe und wo es stärkere Journalisten gibt, immer auf Seite der schwächeren Huren gewesen bin. Aber für die treuen Leser, welche die Traditionen des Blattes schon durch die Seifenannoncen über dem Leitartikel durchbrochen fühlen, war es sicherlich ein Chok. Handelt es sich doch um Gebiete des Wissens, die nicht ohne behutsame Aufklärung, nicht allzu jäh erschlossen werden sollten. Jenen nun, die sich über die durchgreifende Neuerung entrüsten dürften, wird die Neue Freie Presse schon mit dem Mut ihrer Überzeugung und mit dem Blattgefühl, das eben auch eine Anpassung an den Zeitgeist vorschreibt, zu begegnen wissen. Es werden sich aber voraussichtlich Gruppen bilden, und was wird sie mit solchen Lesern anfangen, die überhaupt nicht verstanden haben, was ihnen ihr Blatt da auftischt? Es verlautet denn auch bereits, daß aus dem Lager der ältesten Biache, die nie anderes als die Neue Freie Presse gelesen haben, lebhafte Anfragen eintreffen: »Fanatische Bekenntnisschrift für Karl Kraus? Erstens, wer ist das, was heißt das? Bekenntnisschrift für einen Unbekannten? Was hat er selbst für Schriften geschrieben? Zweitens, wie ist das zu verstehn mit Hure? Was ist das, was heißt das? Schreibt sie fürs Blatt?« Denn zu Rebussen sind sie nicht aufgelegt, und schließlich muß man zugeben, die Neue Freie Presse hat sich vielleicht ein bißl übereilt.

Desperanto

zur Beethoven-Feier:

Dem Mann maßlos wütender Wortgewitter, dessen Liebe den Nächsten mit der Peitsche Reinheit heischender Virtus striemte, wälzt Schicksalsfinsternis undurchdringliche Nebelschwaden vor des Hörganges Pforte. Beethoven wird taub.

Das kann dem Leser, dem solch undurchdringliche Nebelschwaden vor des Hörganges Pforte gewälzt werden, auch passieren. Denn, wie sich der Erfinder dieser Sprache einst kürzer ausgedrückt hat: »Schälle täuben«. Wie dem immer sei, jedenfalls sieht man, daß er der Alte geblieben ist, daß er durch das schurkische Attentat, welches ihn zum Blutzeugen gegen diese deutsche Nachkriegswelt gemacht hat, nicht, wie das Gerücht behauptete, der Kraft verlustig ging, seine Satzgebilde zu formen. Bedauerlich genug, daß sich Gesundheit nicht anders ausdrückt, erfreulich, daß sie sich ausdrückt. Und man darf mir schon glauben, daß ich solche Gelegenheit zum Dementi mit einem positiven Gefühl benütze: auch als die zu einer menschlichen Anerkennung, die dem Manne gebührt, der für die sagenhafte deutsche Freiheit mehr getan, weil mehr gelitten hat, als alle diese Protestliteraten zusammen, die sich in Gruppen hervorwagen um unter einen verständlicheren Leitartikel ihre Namen zu setzen. Ich habe es mir seit damals versagt, seine Arbeiten, die er fast nur mehr in Wien veröffentlicht, zu lesen, und sicher war es bloß um dieser Erklärung willen meinem Blicke verhängt, auf den einen, vollkräftigen Satz seiner Beethoven-Huldigung zu fallen.

Der Glaserdiamant

Dieses ist von Werfel, für Mosse zu Ostern:

Der Fanatiker

Wehleidig, wie noch immer nicht gesundet
Von langer Krankheit, schaut er müde drein.
Er wählt, abwesend, unter Näsche rein,
Von denen ihm die süßeste nicht mundet.
Braun ist sein Aug' von Ekel untergrundet.
Ein graues Lächeln hängt wie Spinnweb fein
Im Runzelwerk: Die Welt ist so gemein!
Man hat ihn schon im Mutterleib verwundet.
Das Stichwort fällt! Der noch wie Uferweiden
Im Winde des Gespräches schlaff sich wand,
Hebt eine Stirn nun, steinern ausgespannt.
Das Kinn zielt scharf. Nun sollen andre leiden!
Schon blitzt, um uns ins Lügenherz zu schneiden,
Sein Brillenblick, der Glaserdiamant.

Man sagt, es gehe gegen mich. Ich wüßte nicht, wie er zu der Beobachtung gekommen wäre. Möglich, daß ich in der Zeit, da ich den Dichter in der Maienblüte meiner Sünden und seiner Begeisterung ein paar Mal an meiner Seite hatte, müde und wehleidig dreingeschaut habe. Das ist aber schon lange her und von Ekel untergrundet war mein Auge erst später, als sich das Erlebnis der Haßliebe an einem dieser Verehrer nach dem andern wiederholte. »Näscherein« und gar solche, die sich so pragerisch reimen, habe ich selten genossen, und richtig ist nur, daß mir bald die süßeste, welche man in Deutschland für Lyrik hält, nicht gemundet hat. Ich erinnere mich, daß ich etwa im Jahre 1913 nach dem Abendessen einige sogenannte »Scheidl«, die geradezu ein Gedicht waren, zu mir genommen, diese Gewohnheit aber zugleich mit dem Genuß der echten Werfel eingestellt habe. Es könnte nun sein, daß das Motiv der ›fünfzehn Indianerkrapfen«, für das ich vergebens nach einem Anhaltspunkt in meinem Leben suchte, aus solchem Bezirk visionärer Eindrucksbildung – der Dichter sah mir auf die Lippen – in die Erpresserjournalistik gelangt ist. Daß ich mich je im Winde des Gesprächs mit Werfel wie Uferweiden schlaff gewunden haben soll, ist eine starke Übertreibung und vielleicht die hysterische Übertragung eines Jüngers, der sich damals im Mänadenzustand vor mir gewunden hat, bis er sich selbständig machte und mich nebbich überwand. Es kam, nach jener großen Zeit, da das Vaterland die Begeisterung für Götz verlangte, die Epoche des Sturms und Drangs auf den Bankverein, welcher sich aber auch nicht erobern ließ, hierauf spiegelmenschliches Besinnen, etliche Libretti mit und ohne Musik von Verdi, von dem »La donna è mobile« ist, und dazwischen öfter ein Gedicht, das meines Wesens Bild als das eines Fanatikers, eines Torquemada, kurz als das eines Menschen zeichnete, der keine Gefühlsschlamperei in der Literatur duldet Aber immer so, daß es etwas unbestimmt war und auch gegen einen andern gehen konnte. Ich habe natürlich gar nichts dagegen, daß es sich auf mich bezieht, wiewohl manches nicht zu stimmen scheint. Das mit dem Brillenblick, dem Glaserdiamanten, ist gewiß nicht richtig. Ich trage wohl eine Brille, weil mein Auge kurzsichtig ist, aber mein Blick ist es keineswegs. Nicht die Brille, die nur bei der Erfassung äußerer Mißeindrücke hilft, macht meinen Blick zum Diamanten, der das Gläserne bricht; sondern von Natur schneidet er ins Lügenherz. Daß der Dichter sich zu einem solchen bekennt, um meine Unerbittlichkeit anzuklagen, ist vielleicht eine Fleißaufgabe zu dem Gerichtstag, den er über sich zu halten pflegt. Dennoch möchte ich ihn, streng, aber gerecht ermahnen, in seinem Läuterungsbedürfnis nicht zu weit zu gehen. Ich fühle mich nicht getroffen, wohl aber belästigt, und er sollte sich doch ein Beispiel an mir nehmen, der sich so lange als nur möglich zurückhält, jenen Gerichtstag über sich zu halten, durch den hervorkäme, welcherlei Menschlichkeiten ich literaturreif gemacht habe, »Nun sollen andre leiden!«: es ist einfach nicht wahr, daß dies mein Wunsch ist, und ich habe es mein Lebtag immer so lange vermieden, als es mit einem öffentlichen Interesse nur irgend vereinbar war. Diese Abspiegelungen meiner Wesensart, wie Sie sich vazierenden Verehrern darstellt, diese Versuche, mit mir bei Mosse oder wo immer in Sonetten anzubinden, wünsche ich ehestens eingestellt, nicht weil sie mich betreffen, sondern weil sie der klägliche Ausweg eines Betroffenen sind, der zugleich nicht dichten und nicht polemisieren kann. Wie rein sachlich in künstlerischen Dingen ich urteile, rücksichtslos bis zum Fanatismus, wenn es sich um Verse handelt; wie da den Glaserdiamanten – schon blitzt er – kein Mitleid abhält, andere leiden zu lassen, beweise ich allerdings gerade in diesem Fall. Denn wiewohl das Gedicht offenbar gegen mich geht, bringe ich doch die Objektivität auf, zu erklären, daß es ein Dreck ist.


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