Ernst Kratzmann
Das Lächeln des Magisters Anselmus
Ernst Kratzmann

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Am andern Morgen ging ich zum Vater und gab ihm Bescheid von dem Handel mit dem Herrn Ehinger, und er zeigete sich hocherfreut, dass es so gut gelaufen. Nun hatten wir viel Arbeit und Mühe und Schreiberey, zwohundert Lastwagen führeten nach und nach, bis dass der erste Schnee kam, das ganze Korn gen Augsburg.

Ich war erst drei Tage wieder daheim und saß einmal so gegen vier Uhr am Tisch in unserer Stube, auch die Christel war da und nähete ein Kleid für das Jakobele, da pochte es leis an die Tür und die Linde trat ein . . . 137

Mein Weib ward blaß wie das Linnen, das sie in Händen hielt, ich stand langsam auf, und auch ich mochte bleich geworden seyn wie der Kalk an der Wand. Aber die Linde nickte uns lächelnd zu, ihre Augen grüßten mich, sie ging leise zur Christel und setzte sich gegen ihr über ans Fenster, stützte den Arm auf das Nähtischlein auf und sah die Christel an.

Es dämmerte schon stark und das letzte Licht schimmerte auf Lindes schwerem, mattblondem Haar. Sie beugte sich, wie sie's so gerne tat, ein wenig vor und lächelte so gut und lieb und redete noch immer kein Wort. Es war, als sey sie bloß gekommen, ein wenig Trost und Helligkeit zu uns zu tragen, und da war es ja genug, daß sie nur da war . . . was hätte sie sagen sollen?

Da hielt sich die Christel nicht länger und schlang ihr die Arme um den Hals und weinete bitterlich. Die Linde nahm sie an sich, wie eine Mutter ihr Kind, und streichelte ihr über's Haar und die Wangen und küßte sie langsam und still immerzu. Mir schien es, als wollte sie auch die Christel um Verzeihung bitten . . . Da ging ich leise hinaus in meine Kammer.

Aber nach einer Weile kam die Linde mir nach. Sie stand an der Tür und blickte ernst zu mir her 138 mit großen Augen, und ich verstand ihre Sprache: willst du, dass ich gehe und euch den Frieden gebe?

Da schrie ich auf – nicht laut – oh nein! Man kann leise schreien, stumm kann man schreien, mit den Augen allein kann man es tun! Ich brach ihr zu Füßen auf die Knie und umfing sie mit aller Gewalt, so wie damals am ersten Tag, auf der Frühlingswiese, und hob mein Antlitz zu ihr auf:

»Linde, Linde – dein bin ich tot und lebendig in alle Ewigkeit, Amen!«

Sie strich mit ihren leisen Händen über mein Haar und lächelte mir zu und es war still zwischen uns. Es war still und kein Laut ringsum, und mir war es, als sey der Tod in mein Haus getreten und stünde noch zaudernd an der Schwelle, unschlüssig, wen er sich wählen solle . . .

Mein Weib bezwang sich mit ganzer Kraft, dass sie das furchtbare Geheimnis nicht verriete, aber es gelang ihr nicht. Die erste Zeit nach meiner Heimkehr, da ging es wohl noch an, denn ich war seit jener traurigen Nacht merkwürdig gefaßt und fast heiter geworden, froh auch, dass ich vor der Christel nimmer heucheln und hehlen mußte! Aber nach etlichen Wochen vertrauete sie mir, dass sie sich von damals gesegneten Leibes fühle . . .

Da stand ich wohl wie vom Donner gerührt und 139 starrte sie an und raufte mir das Haar in Verzweiflung und kniete nieder vor ihr und rief: »Christel – nun hat Gott selber geredet – ich bleibe bei dir, es kann nimmer anders seyn!«

Aber sie blickte zu mir nieder und lächelte, indes ihr die Tränen über die Wangen liefen, und strich mir über's Haar: »Du lieber, guter Gesell – laß seyn! Das ist vorbei . . . Könntest doch nicht bei mir seyn mit dem Herzen . . . Geh du nur zu in dein Glück . . . So hab ich von deiner letzten Liebe doch noch ein Pfand – will's hegen und pflegen mit ganzer Treu und Lieb!«

Und sie beugte sich tief zu mir und lächelte ganz wundersam und wurde leis rot über die schmalen Wangen und raunte mir zu:

»Und wenn ich's an die Brust lege, will ich an einen denken, der einmal diese selbige kleine Brust hat so gern geküßt und geherzt . . .«

Da sprang ich auf und hob beide Fäuste wild gegen Himmel und schrie: »So fluch ich dir, du heilloser, grausamer Gott, dass du kannst so deine eignen Geschöpfe martern und quälen, wie ein wüster Henkersknecht seine Lust hat an Foltern und Pein! Was schaffest du Menschen, wenn du sie also ins Elend führest . . .«

Die Christel hielt mir den Mund zu und riß mir 140 entsetzt die Arme hernieder. Aber ich machte mich los und rief:

»Nein, laß mich ihm fluchen und lästern, er hat's nicht besser verdient um dich, du allerunseligstes Weib!« – – –

Ein paar Wochen lang ging es wohl hin, dass die Christel ihre Mutter täuschte, wie denn ja Frauen wohl in der ersten Zeit, wann sie schwanger sind, oft wunderlich schwermütig sind und viel weinen. Aber da es nicht besser wurde und die arme Christel schier ganz von Kräften kam, da faßte die Lenhartin doch allmählich einen Verdacht und hörte nicht auf mit Fragen und Bohren, bis dass sie es denn endlich doch herausbekam!

Ach Gott, da war es geschehen! Erst lief sie zornig zu mir und hielt mir eine salzige Predigt, dann kam noch ihr Mann und dann meine Eltern und das Rikele, und alle drohten und fluchten und baten und wollten wissen, wer das elendige Weib sey, das mich verlockt – aber das bekamen sie nicht zu hören, da schwiegen wir beide wie ein Stein. Und stelleten mir vor, wie ich so ganz gottlos und verworfen sey und jetzt mein arme Christel wollte verlassen, da sie wieder ein Kind von mir habe empfangen, und konnten sich nicht sattreden und fluchen. Erst wollt ich's ihnen klarmachen, aber dann sah ich, dass ich eher 141 einem Pferd könnte das Singen lehren als ihnen einreden, wie das alles gekommen sey – da schwieg ich still und saß unter ihnen stumm und verstockt wie ein Klotz Holz. Das machte sie erst recht wütig auf mich. Und oft schlich das arme Rikele abends zu mir und bat mich auf den Knien, dass ich mich doch überwinden sollte und ein Opfer bringen, Gott und der Christel zulieb – aber ich schwieg und litt Höllenqualen dabey! Und sie flehte mich an, dass ich ihr die Frau sage, sie wolle zu ihr gehen und sie kniefällig bitten, von mir zu lassen – es war umsonst . . .

So kam der Winter über die Stadt und es fiel Schnee. Und oft schien es mir zu dieser Zeit, da es still und heimlich wurde in den lieben Gassen und alles laute Wesen gedämpft ward, als sey eine tote, dumpfe Ermattung über uns alle gesunken. Mein armer Vater ward alt in wenigen Wochen, der Gram fraß in ihm, er zehrte sich auf an seinen Sorgen. Er hatte mich geliebt wie nur je ein Vater seinen Sohn, mit einer heimlichen, schamhaften Liebe, wie sie nur Männer kennen – nun war es vorbey damit, er redete kaum ein Wort mehr mit mir. Er fing an, gebückt zu gehen, sein Haar und Bart wurden grau in wenig Wochen und unter den Augen bekam er schwere, dicke Falten. Und meine Mutter – was soll ich sagen von ihr?! . . . 142

Da kam ein neuer Schlag. Eines Tages klopfte es derb an die Tür und eh ich ein Wort gesagt, trat der Kaspar Bollmann ein, weiß im Gesicht vor Wut und Ingrimm. Nun wußte ich genug. Das Unheil war los.

»Was habt Ihr mit meiner Hausfrau, Meinrat Maurenbrecher?«

Ich blieb sitzen und sah ihn gelassen an.

»Wie meinet Ihr?«

»Gotts Blut und Wunden, treibt nicht Possen mit mir –« Und er riß den Degen heraus.

Ich sprang auf ihn zu und da ich denn nun wohl zweimal so stark war als er, lag der Degen bald zerbrochen unter dem Schrank.

»Hier seyd Ihr in meinem Haus, Ihr grober Klotz! Wann Ihr was wollet von mir, so redet gebührlich, sonst schmeiß ich Euch vors Tor, dass Euch die Knochen entzwei brechen, verstehet Ihr?«

Da wurde er ein wenig demütiger.

»Gebt mir Bescheid mit ja oder nein: habt Ihr eine Buhlerey mit meiner Hausfrau, ja oder nein?«

Da sagte ich guten Gewissens, laut und deutlich: nein! Denn was der üble Wicht mit dem häßlichen Wort meinte – das war uns so fern und fremd!

»Nein –? Und was spricht man in der Stadt, dass Ihr ein anderer Frau nachgehet? Und was 143 sagte mir mein Weib selber, da ich Verdacht faßte und sie zur Rede stellete?«

»Sie sagte Euch: dass sie mich liebe, Herr Kaspar Bollmann, und ich sie – und das ist was andres als Buhlschaft, verstehet Ihr wohl?«

»Sucht keine Lügen und Ausflucht und verdreht nicht die Worte! Also ist's wahr!«

Er rannte im Zimmer umher und schlug mit den Armen um sich. Dann kehrte er sich zu mir:

»Ich klage Euch! Daß Ihr's wißt! Und die Dirne jag ich davon! Ihr wißt, was mit ehebrecherischen Weibern geschieht!«

Seine Augen glühten mich an in teuflischem Hohn.

Donauwörth! Der Büttel!

Mir wurde es heiß und kalt. Aber ich blieb still und sagte ganz gelassen:

»Habt Ihr Eure erste Frau auch so traktieret, dass sie so absonderlich schnell verstarb?«

Da sah ich, dass ich gewonnen Spiel hatte . . . Er wurde ganz bleich und begann zu zittern.

»Was wißt Ihr davon?«

Ich aber merkte, dass da mehr verborgen lag, als ich wußte, und war klug. »Genug für Euch,« sagte ich kalt und blickte ihm fest ins Gesicht.

»Habt Ihr Zeugen?« höhnte er noch. 144

Aber ich log drauflos: »Was Ihr wollt: Zeugen und einen Brief . . .«

Da schlotterten ihm die Knie. Er kam auf mich zu und wollte meine Hand fassen, aber ich trat zurück und legte die Arme hinter meinen Rücken.

»Hört,« keuchte er, »laßt es seyn! Ihr wollt mein Weib – gut – sollt sie haben! Seit einem Jahr weigert sie sich mir, ich habe es satt! Nehmt sie – aber schweigt! Hört Ihr? Schweiget!«

Ich musterte ihn stumm. Seine Angst stieg. Er rang die Hände vor mir:

»Ich bitte Euch, schweigt! Ihr wißt – ihr Vater ist unser Prediger – er löst unsere Ehe – ich will wieder nach Ansbach verziehen – ich komme nie wieder gegen Dinkelsbühl – nie wieder – ich schwöre es!« Und er hob die Finger auf zum Eid.

Ich besann mich eine Weile. Dann sagte ich ganz ruhig: »Gut denn! Aber es könnte Euch reuen! Gebt mir Schrift und Unterschrift!«

»Ja! Sogleich!«

»Ich meine: Bekenntnis und Unterschrift – als Pfand!«

Er trat zurück. »Nein! Das tue ich nicht!«

»Nun denn: sehet: meine Zeugen könnten sterben – nicht wahr? Sterben ist menschlich, Herr Bollmann, nicht wahr? Was tue ich dann? Bleibt nur 145 ein Brief! Das ist ein schwacher Beweis, nicht wahr? Was meinet Ihr also? Ich gehe gleich zum Richter: Klage gegen Klage! Welche wiegt schwerer?«

Er stand da wie ein armer Sünder vor dem Block. Dann flüsterte er heiser:

»Gebt mir Tinte und Papier!«

Ich führte ihn in meine Kammer und wies ihn an den Schreibtisch. Er brauchte lang, bis er die Feder führen konnte. Dann reichte er mir das Blatt:

»Ich, Kaspar Bollmann, bekenne, den Tod meiner ersten Gattin verschuldet zu haben.«

Ich riß das Blatt hohnlachend durch: »Oh, mein werter Herr Kaspar, so leicht entkommt Ihr mir nicht! Was heißt: verschuldet? Ihr habt ihr wohl bloß üble Worte – eingegeben, nicht wahr!?«

Er wischte sich den Schweiß von der Stirn.

»Was wißt Ihr?! Nichts wißt Ihr!«

Ich lachte.

Da nahm er ein neues Blatt und schrieb zitternd. Es dauerte lang, eh dass er den Namen fertigen konnte. Ich las: das Bekenntnis des Giftmords . . . Mir grauete es bis in den Grund der Seele. – Wer hatte mir den seltsamen Gedanken eingegeben, der sich nun als wahr gewiesen?

Ich faltete das Blatt sorglich und steckte es zu 146 mir. Er stand auf. Aber plötzlich zuckte ein böser Hohn über sein Gesicht:

»Vergesset eines nicht, mein werter Herr: erpreßtes Zeugnis gilt nicht vor Gericht!«

»Das weiß auch ich. Aber dieses Zeugnis ist nicht erpreßt – die Wände und Türen haben Ohren, Herr Bollmann! Und meine Zeugen . . .«

»Können sterben,« höhnte er.

»Aber vorher können sie schreiben . . .«

»Teufel! Elender Teufel! . . . Aber halt: wer einen Mord verschweiget, macht sich zum Mitschuldigen!«

Ich lächelte. »Wie Ihr doch das Gesetz so wohl kennet! Aber was denket Ihr: wessen Strafe wird härter seyn? Die des Mörders oder die meinige? – Und im übrigen: ich bin ein Bürger der freyen Reichsstadt Dinkelsbühl – Ihr seyd ein Ansbacher; ich habe nicht die Pflicht, Euch dem Gericht anzugeben – ich kann's bloß, wenn ich will!«

Er gab sich besiegt. Noch einmal bat er händeringend um Schweigen, dann lief er davon . . .

Aber jetzt kam mir die Angst um Linde. Ich rannte aus dem Haus, in die Nacht hinaus. Es war still, kein Mensch in der engen Gasse. Vor ihrem Haus blieb ich stehen. In Lindes Zimmer brannte 147 ein Licht. Ich suchte unter dem Schnee ein Steinchen hervor und warf es gegen die Scheiben.

Ein Schatten – Linde! Sie öffnete und sah herab.

»Linde! Nimm dich in Acht!«

»Sey ruhig! Meine Kammertür ist fest!«

»Ist das Kind bei dir?«

»Ja!«

»Linde, er hat mir gestanden: er hat der Katharina mit Gift vergeben – dass du's weißt!«

Sie prallte zurück – ich verschwand im Dunkel.

Am Morgen, bald nach dem Frühstück, lief aufgeregt die Magd herein und sagte mir den hochwürdigen Herrn Stadtpfarrer an. Und schon trat er ein.

Er begann ohne lange Umschweife. Hielt mir meine arge Sünde vor, das Ärgernis, das ich gebe, als ein so angesehener Bürger, und ermahnete mich mit ernstlichen Worten, Buße zu tun und zum Guten zurückzukehren.

Ich hörete ihn ruhig an und hatte dabey gar absonderliche Gedanken. Es war mir nämlich, als predigte mir ein botokudischer Priester oder Schaman, und wie eine heiße Glut stieg es plötzlich in mir auf: du hast den heiligen Glauben verloren – was dieser da sagt, ist eitel Wind für dich. 148

Als er geendigt, entgegnete ich mit scheinbar sehr großer Ehrfurcht:

»Ich danke Euch, hochwürdigster Herr, dass Ihr Euch selber um mich armen Sünder bemühet. Aber ich bitte Euch zunächst um eine Belehrung: ist der menschliche Wille frei?«

»Wie könnt Ihr fragen? Natürlich ist er frei, das lehret die heilige Kirche explicite et implicite, will sagen zu deutsch . . .«

»Ich verstehe Latein, hochwürdigster Herr!«

»Wie –?«

»Ja. – Also er ist frei. Ich habe es auch nie anders geglaubt. Nun sage und bekenne ich Euch aber bei allem, was mir teuer ist: die Gewalt meiner Liebe ist stärker als mein Wille – ich kann nicht lassen von ihr!«

Der Pfarrer blickte mich zornig an. »Ja! Das saget Ihr so! Das kommt, weil Euer sündhaftes Gelüsten stärker ist als Euer schwacher Wille!«

Da sagte ich sehr still und demütig: »Das glaube ich auch! Aber nun belehret mich, ich bitte Euch inständig: wie soll mein Wille dem sündhaften Gelüsten widerstehen, wenn es stärker ist als er?!«

Der Priester wurde zornrot. »Faselt nicht! Euer Fleisch ist schwach! Der Geist ist stark!«

»Umgekehrt, Hochwürdigster!« 149

»So soll also jeglicher Sünder sagen: Herr, ich kann nicht anders – mein Wille vermag nichts gegen die Versuchung?!«

»Ich weiß nicht, wie das ist, Hochwürdigster, ich bitte um Eure Belehrung!«

Er stand auf. »Fastet und betet, lieber Herr, dass der Allmächtige Euren Willen stärke, der Sünde zu widerstehen!« Und er machte sich fort.

»Das will ich tun, doctissime!« rief ich ihm nach, und gab mir keine Mühe mehr, den Hohn in meiner Stimme zu verbergen . . .

Am Nachmittag kam wieder die Magd und meldete mir den Herrn Prediger an. Da lachte ich laut.

»Vor etlichen Stunden war Euer katholischer Kollega bei mir, Reverendissime,« empfing ich ihn höhnisch – aber ich hielt ein, denn ich sah sein gramvolles Gesicht. Ich ging ihm entgegen und faßte seine Hand.

»Verzeihet, verzeihet, lieber Herr! Ihr seyd ja ihr Vater! Ihr Vater! Aber seht – in mir ist alles so voll von Qual und Pein und Galle und Hohn! Verzeihet!« Und ich küßte seine Hand.

Der Mann sah mich an und plötzlich schlang er die Arme um meinen Hals und begann schmerzlich zu weinen. Und auch ich weinete.

Da faßte er sich endlich. »Ich sehe, lieber Freund, 150 Ihr seyd kein verstockter Mensch, wie mir mein Eidam sagte . . .«

»Euer Eidam? Sagt mir, ehrwürdiger Herr: wo habt Ihr Eure Augen gehabt, da Ihr Euer Kind diesem Wicht gabet?«

Er hob abwehrend die Hand: »Richtet nicht! Er ist kein schlechter Mensch!«

»Wisset Ihr das?! Ich sage es Euch: er ist ein elender Schuft! Fordert keinen Beweis – es könnte uns allen unlieb seyn!«

Er wurde unsicher. »Lassen wir das! Es war Gottes Wille . . . Aber nun sehet: was soll denn werden, wollet Ihr mein Kind vor der ganzen Stadt zur Ehebrecherin machen?«

»Ehrwürdiger Herr – ich achte Euch als Priester und verehre Euch noch mehr als den Vater meiner Linde –«

Er senkte das Haupt. »Linde . . .« sagte er leise.

»Ja, Linde . . .« Ich sagte es weich und leise und faßte seine Hand und er ließ sie mir. »Und nun saget mir: ist der Wille des Menschen frei?«

Er blickte mich erstaunt an. »Wie kommt Ihr darauf?«

»Gebet mir Bescheid, ich bitte Euch!«

»Er ist nicht frei,« sagte er unsicher. »Gott hat zum voraus bestimmt, was werden soll . . .« 151

Ich lächelte. »Nun sehet doch: wie kann ich dann anders handeln, als ich tue, wenn es Gott mir bestimmt hat?«

Er wurde rot und auf seine Stirne trat Schweiß.

»Das sind subtile Fragen, lieber Herr! Ich will es Euch ehrlich gestehen: ich habe im Leben nie gezweifelt, dass der Wille frei sey – wenn ich auch klar einsehe, nach den Worten der Schrift sowohl als nach den besten Philosophen, dass er unfrei sey . . . Es ist uns wider die Natur, uns für unfrei zu halten . . .«

»Nun höret einmal: heute Vormittag sagte mir unser Pfarrer, der Wille sey frei, und ich entgegnete ihm, dass meine Liebe stärker sey als mein stärkster Wille – da wußte er nichts zu sagen und entlief wie ein überführter Inculpant . . . Und Ihr saget das Gegenteil! Was soll ich jetzt glauben?«

Er wischte sich den Schweiß von der Stirne.

»Ihr verstehet einen wohl zu packen! . . . Lasset mich denken!« Und er ging eine gute Zeit im Zimmer auf und ab. Dann trat er endlich zum Tisch, setzte sich und sah mir gut und treu in die Augen.

»Nun saget einmal ehrlich: könnt Ihr Euch denken, dass Ihr nicht frei wollen könnet?«

»Oh ja!« 152

»Aber wie doch? Wollet Ihr nicht der Versuchung widerstehen?«

»Aus ganzem Herzen will ich! Ich habe gebetet und geweinet darum!«

»Nun also!«

»Ja, ›nun also‹ sage auch ich: ich kann aber nicht! Die Liebe ist stärker als ich!«

Er schüttelte den Kopf, stand auf und ging hin und her. Wieder kam er zurück und setzte sich.

»Jetzt nehmet einmal an: ich bin frei und will nicht sündigen! Glaubet Ihr nicht, dass Ihr dann könnet?«

»Aber wenn alles in mir schreit: dein bin ich – sey's Sünde und Tod?«

Er sah mich lange an und endlich sprach er leise:

»Ich will nicht richten . . . der Herr führe und leite Euch . . .« Und er wollte gehen.

»Ich aber hielt ihn zurück: »Ich bitte Euch als den Diener am Wort: nehmet mich auf in Eure Kirche!«

Er zauderte: »Ich weiß, warum Ihr evangelisch werden wollet! Ihr meinet, Ihr kommt dann leichter los aus Eurer Ehe!«

Ich senkte beschämt den Kopf. »Ja, es ist wahr! Und doch auch wieder nicht. Ich halte von Eurer Kirche kaum mehr als von der meinen – aber Ihr 153 seyd meines Lindeleins Vater und ich habe mit ihr aus einem Kelch getrunken, aus dem Ihr einst einem Sterbenden den letzten Trost gereicht . . .«

Er trat einen Schritt zurück. »Ist es so mit Euch beiden?« Schaudernd schlug er die Hände vors Gesicht. »Gottes Gericht! . . . Wir haben kein Recht mehr über Euch!«

Und er umarmte und küßte mich und ging hinaus . . .

Nach vielen, vielen Jahren erst habe ich erkannt, wie ich damalen mit meinen spitzfindigen Fragen, aus denen der Schalk hervorgrinste, ein freveliges Spiel getrieben und mir zu Unrecht eingebildet, dass ich die zwo geistlichen Herren in Wahrheit überwunden. Denn ich lernte dann einsehen, daß jene Frage nach der Freiheit unseres Wollens ein wenig tiefer muß gepackt werden, als ich mir dazumalen träumen ließ.

Aber mir war in dieser Zeit nur wohl, wann ich konnte den Leuten, und auch solchen, die mir nichts Übles getan, ins Gesicht schlagen . . .

Bald begann ich es zu merken, dass in der Stadt über mich böse Reden umgingen. Wo ich mich zeigte, starrten mir die Leute neugierig und frech ins Gesicht oder sie lachten. Die Frauen tuschelten miteinander, wann sie mir begegneten, schlugen die Augen nieder oder schielten begehrlich zu mir herüber. 154

Mein Vater redete mit mir kaum so viel, als im Geschäft vonnöten war, oft schrieb er mir, statt dass er selbst mit mir gesprochen hätte. Der Müller Lenhart, meiner Christel Vater, und die Lenhartin waren mir bitter feind und grollten auch meinen Eltern, weil sie glaubten, dass selbe mir nicht genug zugesetzt hätten mit Drohen und Bitten. Ein Glück war es nur, dass sie noch immer nicht wußten, wer meine Geliebte sey – sie hätten die Ärmste gesteinigt. Die gute Christel stellte sich unwissend und der Kaspar Bollmann schwieg auch. Er war beim Prediger gewesen und hatte ihm unter vielen Beteuerungen seiner lauteren und edlen Gesinnung angezeigt, dass er sich wolle scheiden lassen von seiner Hausfrau, um sie nicht ins Unglück zu bringen.

Ich nützte den Winter wohl. Alle ausstehenden Gelder zog ich langsam ein, was mir an Vermögen zustand, brachte ich in meine Hand. Für den Meierhof suchte ich durch einen Mittelsmann einen redlichen Käufer und fand ihn, so dass ich ihn konnte verkaufen, wann immer es mir gefiel. So bekam ich mit der Zeit genug Geld zusammen, dass ich mit der Linde und dem Kind in der Fremde konnte sorglos leben, nahm sichere Wechsel auf eine Berner Bank und konnte nun gut warten.

Der Winter schlich trübe und eintönig dahin. 155 Bisweilen steckte mir die Luise, wenn sie mich traf, heimlich ein lateinisches Brieflein von meinem Lieb zu, darin sie mich grüßte und mir sagte, dass es ihr wohlergehe und dass der Kaspar sie nicht bedränge.

Aber endlich ging auch diese armselige Zeit vorbey, es begann wärmer zu werden, der Frühling kam. Und als ich noch einige Wochen in Qual und Ungeduld verwartet, traf ich draußen auf der Wiese, wo wir uns das erste Mal gesehen, die liebste Linde wieder, und wir flogen uns in die Arme und küßten uns lachend und weinend. Ach ja, was hatten wir uns doch alles zu sagen nach dieser furchtbaren Trennungszeit! Nun fanden wir uns fast jeden Tag und beredeten unsere Flucht, die nicht gar so einfach war. Wir konnten nicht gehen, wie wir da standen – es mußten wohl wenigstens zwo große Kutschen seyn, in denen wir reiseten. Aber wie sollten wir damit aus der Stadt kommen? Das machte uns viel Beschwer.

Inzwischen aber begannen die Apfel- und Kirsch- und Birnenbäume zu blühen und das war eine Pracht ohnegleichen. Der ganze Stadtgraben vom Nördlinger bis zum Segringer Tor war ein einziger weißblühender Garten, der uns die Augen schier blendete, wenn die helle Frühlingssonne ihn leuchten und strahlen ließ. Und es war ein so lieblicher 156 Anblick, die weiße junge Blust, all dies neue Leben dicht neben den uralten, verwitterten Mauern und Türmen zu sehen, wie es sich anschmiegte an sie gleich einem weißen Gürtel. Und der Himmel lachte blau und heiter dazu.

Uns war es, als sey uns das Leben neu geschenkt, wir waren gleich Gefangenen, die jahrelang im Kerker geschmachtet und denen plötzlich die herrliche Freiheit gegeben war. Und oft kränzte ich das mattblonde Haupt des Lindeleins mit einem weißen Blütenkranz. Oh Gott! Da sah sie so lieblich, so himmlisch schön aus, dass ich mich nicht konnte sattschauen an ihr! Warum war ich doch kein Maler, dass ich sie hätte können abschildern für alle Zeit! Und hätte ich dies Bildnis in einem kleinen Kirchlein ausgestellet, irgendwo einsam im Feld, inmitten von Äckern und Wiesen, wo ringsum Vögel und Grillen sangen und das Korn leise rauschte und die roten und blauen Blumen blüheten – von weit und weit her wären die Menschen gepilgert, vor dem Gnadenbildnis zu knien und zu beten, und sie wären geheilt worden von allem Siechtum des Leibes und der Seele . . .

Wir hatten nun endlich einen Ausweg gefunden. Die Linde wollte dem Kaspar ansagen, dass sie nicht länger wolle bei ihm hausen, sondern nach Ulm verziehen, zu einer Muhme, einer Schwester des 157 Vaters, die dort an den Prediger verheiratet war; denn sie wolle nicht mehr in der Stadt bleiben, die ihr verleidet sey. –

Aber es kam anders!

An einem späten Abend im Mai kehrte ich bei sinkender Dunkelheit in mein Haus heim, da hörte ich hinter mir einen Schritt und sah mich um. Es war mir ein Mensch nachgegangen, der mir ein junger Bauer oder ein Knecht schien und scheu mich anblickte, als habe er Böses im Plan. »Was willst du?«

»Seyd Ihr der Herr Meinrat Maurenbrecher?«

»Ja – was willst du?«

Er trat näher. »Herr,« flüsterte er, »ich habe mit Euch zu reden! Kann ich zu Euch ins Haus, ohne dass man mich sieht?«

»Zum Teufel mit dir – was willst du, Mensch?«

Er legte den Finger an den Mund und zog mich in einen dunklen Winkel zwischen der Stadtmauer und einem Haus.

»Hört mich an, lieber Herr! Ich bin der Veit Knoll, der Knecht des Bollmann . . .«

»Was geht mich das an?«

»Hört mich doch an, Herr! Ich will's kurz machen. Seht – ich bin ein unseliger Mensch! Ich bin voll Jachzorns und ich bin dem Trunk verfallen, 158 schon als ein junger Bursch . . . Einmal schon hab ich im Streit einen Bauren gestochen, um ein Haar, er wäre verstorben daran. Ich weiß es, ich muß elend verrecken wie ein Vieh, ich kann mich nicht halten im Zaum, mein Zorn und Blut ist stärker als ich . . .«

»Was schiert mich das alles?«

»Hört mich doch nur!« rief er und trat mir in den Weg, da ich gehen wollte. »Nun hab ich schon zwo Jahre lang eine Dirne, eines Kleinbauren Tochter, die ist mir gut. Und die ist meine Hilfe gewesen, Herr, seit ich die hab, bin ich ein anderer Mensch geworden, Herr! Ich hab nimmer trunken, hab keine Händel mehr angefangen, hab mich wohl gehalten . . . Sie ist so ein schöne, saubere Dirne, Herr . . .«

Mir ward unheimlich zumute. Die Augen des Veit glüheten mich wild an, er zitterte am ganzen Leib und sein Gesicht war ganz bleich und weiß.

»Und heut früh hab ich sie getroffen, Herr, da hat sie geheult und geweint – der Bollmann, der Hundsfott, hat sie geschändet heut Nacht!«

»Du erbarmst mich, ehrlich, Veit, aber was soll ich dabei?«

»Wißt Ihr's noch immer nicht?« Er schrie mich an, aber es klang eher wie ein Flüstern. »Ihr seyd dem Bollmann in den Stall gebrochen – er dafür 159 in den meinen! So seyd Ihr schuld an meinem Unglück!«

Ich hob blitzschnell die Faust, ihn niederzuschlagen. Aber er kam mir zuvor und seine groben Bauerntatzen hielten meine Hände fest.

»Nicht so wild, lieber Herr,« höhnte er. »Es ist, wie ich sage! Ihr habt ihm sein Weib genommen – so nimmt er mir das meine! Ja – Herrgott, so macht mich nicht wild, ich hab das Messer locker sitzen im Gurt!«

»Laß die Bollmannin und mich aus dem Spiel, Veit!«

»Nein, Ihr gehöret dazu! Er hat's selber gesagt! Da er sie übermannt hatte und hatte seinen Willen an ihr, da sagt er ihr's höhnisch: mein Weib hat mir der Maurenbrecher gestohlen, der Schuft, der Hundsfott, so nehm ich mir ein andres! Du bist mir gerade recht! Jetzt ist's Frühling, die Zeit der Liebe, haha! Halt dich bereit, übermorgen komm ich wieder! Was glaubst du – findst du ein feinern Liebhaber als mich? Ein Jahr schon läßt mich mein Hausdrach nicht ins Bett – freu dich! Ich will dir zeigen, dass ich gefastet!«

»Halt's Maul, du Hund, und pack dich!«

»Geduld, lieber Herr! Also Ihr seyd schuld an meinem Jammer, das gebt Ihr wohl nun zu. Aber 160 jetzt hört: den Bollmann mach ich kalt! Morgen abends, wenn er wieder zur Lore kommt, stech ich ihn nieder . . .«

»Fort mit dir, du Schandgesell!«

»Ja, so reden die feinen Herrn und seynd selber noch schlechter als wir! Nur Geduld, mein Herr!« Und er hielt mich fest.

»Doch denkt einmal: wenn der Bollmann krepiert – ist das nicht Euer Vorteil? Dann habt Ihr freies Spiel bei seinem . . .«

»Schweig, Mordbub! Willst mich noch zu ein Mörder machen?«

»O nein! Stechen tu ich! Aber dann, verstehst mich, muß ich weg! Dazu mußt du mir helfen, nicht wahr?«

»Kusch, Hundsfott, du sprichst mit ein' Herrn!«

»Verzeiht mir, ich kann nit anders! Ich bitt Euch um Gottes willen: gebt mir Geld, dass ich mir kann ein Pferd kaufen, dass ich fortkomm nachher!«

»Bist du verrückt? Ich soll dir helfen zum Mord?«

Er trat wieder dicht zu mir: »Herr – wann der Bollmann leben bleibt – Ihr seyd keine Stunde sicher, Ihr nicht und nicht Eure Liebste . . .«

»Schweig von der Frau!«

»Ich mein es Euch ehrlich, Herr, ich bin kein 161 schlechter Mensch. Seht, ich tu, was seyn muß – es ist auch für Euch. Ob Ihr da bleibt in der Stadt oder weggeht – er findet Euch, das schwör ich Euch heilig zu!«

»Ich hab ihn in der Hand, Veit – er kann nicht an gegen mich! Ich weiß zu viel von ihm!«

»Desto eher wird er Euch nachstellen! Und seht – denkt Ihr denn nicht bis morgen? – Kann er Euch nur schaden mit Stich und Schuß? Geht's nicht auch mit dem Maul? . . . Ich sag es Euch heilig: so lang der Hundsfott lebt, ist Euch kein Rast und Ruh!«

Ich stand da und lehnte mich an die Mauer. In meinem Kopf war es wirr und kaum wußte ich noch, was der Mensch vor mir redete. Aber das eine war schon richtig so: so lang der Kaspar lebte, hatten wir keinen Frieden . . .

Da stieg in mir ein furchtbarer Gedanke auf:

Laß das Schicksal dort droben für dich reden! Wer hat uns damals zusammengeführt? Du Geiervogel dort oben in der Nacht – sprich du jetzt den Spruch, denn du bist die Schuld! . . . Und ich sagte:

»Hör, Veit! Du sollst nicht morden! Denk an dein erste Gewalttat, wie dir damals zumut war! Ich geb dir Geld auf ein Pferd und ein' Brief – den bringst du mir nach Augsburg zu ein Kaufmann 162 – morgen abend bist dort! Verstehst mich? Und kommst dann wieder langsam heim, bis dahin ist dir dein Jachzorn verraucht!«

Er blickte mich forschend an – von einem Fenster fiel ein trübes Kerzenlicht auf uns – was ich wohl meine. Eine Weile schwieg er, dann war mir's, als zucke ein Grinsen um seinen Mund. »Wohl, Herr, ich versteh Euch!«

»So komm in einer Stunde zu mir in mein Haus – dort geb ich dir Geld und Brief!«

»Oho – das tu ich nit! Ich geh nit in ein Fallen!«

»Ich stell dir keine!«

»Schwöret Ihr mirs zu?«

»Ja!«

»So schwöret mir beim Leben der . . .«

»Halt! Sprich den Namen nicht aus! Ich geb dir mein Wort! Ich bin ein Mann!« Und ich gab ihm die Hand.

»Ist gut.« Er ging.

Daheim schrieb ich einen Brief an den Herrn Ehinger: dass ich ihn bitte, eine große Summe, die er mir noch schuldig war von unserm letzten Geschäft, nicht zu schicken, sondern in Augsburg zu lassen auf Zins. Und ich ersuche ihn, dass er den Boten um seinen Namen frage, denn ich schicke den Brief 163 durch einen Menschen, den ich dadurch von Übeltat abhalten wolle – es werde gut seyn, wenn wir wüßten, ob er wirklich selber die Reise getan.

Dies alles bedachte ich ganz kühl und ruhig, mich zu salvieren vor jeden Fall.

Als der Veit kam, gab ich ihm Brief und Geld vor zwo Zeugen und sagete ihm: »Du gehst noch heut abend, Veit, morgen mußt du in Augsburg seyn, verstehst du?«

»Ja, Herr, ich will reiten, was das Zeug hält.« Er machte seinen Bückling und ging.

Noch wollt ich ihm nach – allein ich blieb sitzen. Was sollte ich tun?

In dieser Nacht schlief ich wohl keine Stunde. Ich wußte genau, dass der Veit nicht nach Augsburg reiten werde! Ich wußte, dass morgen abend der Kaspar ein toter Mann seyn werde, wenn ich ihn nicht rettete. Aber es konnte doch auch seyn, dass der Veit sich mit dem Geld einen Rausch trank und nicht weiter auf Mord und Rache sann! Es konnte beides geschehen – das Schicksal – oder Gott – sollten es entscheiden.

Und ins Dunkel unsrer Schlafkammer starrte ich mit offenen, heißen Augen, und ich fühlte einen grimmigen Hohn in mir: so rächte ich mich an der ewigen Macht, die mich aus Glück und Behagen in Leid 164 und Kummer stieß. Nun stellte ich ihr selbst eine Falle – mochte sie sehen, wie sie bestand!

Gegen Morgen schlummerte ich doch für eine kurze Weile ein und erwachte wieder, da es schon dämmerte und draußen vor dem Fenster eine frühe Amsel sang . . .

Und ich sah mit einmal den kleinen Vogel vor mir, der im Gezweig eines weißblühenden Baumes saß und mit süßer Stimme den Tag begrüßete, der langsam und leise in die Welt trat nach einer finstern, bösen Nacht!

Da liefen mir die Tränen aus den übermüden Augen, und ich beschloß, zum Kaspar zu gehen und ihn zu warnen, ohne doch den Veit zu verraten.

Ich stand auf, ohne dass mich die Christel hörete, schlich hinaus und stand vor der Tür meines Hauses und sah in den Morgenhimmel hinauf. Soll ich denn ein Mörder seyn?

Aber wie wird mich der Kaspar empfangen? Mit Galle und Hohn! Oder gar –? Kann er nicht sagen, ich hätte den Mörder gegen ihn gedungen? Der Schein war gegen mich! Oh Himmel! Da wurde mir heiß und bang und der Schweiß brach mir aus am ganzen Leib.

Ich wollte den Knecht rufen, dass er mir mein Pferd sollte satteln, aber ich ließ es. Nicht hinaus! 165 Daheim bleiben im Haus, jeder sollte mich sehen an diesem Tag, dass ich kein Unrecht tat!

Ja! Nun war ich selber ins Garn gerannt! Ich erbärmlicher Tor! Dem Schicksal wollte ich eine Falle stellen, ich blöder Narr – und es fing mich darin! Nun war ich ein Mörder auch noch geworden! Und wieder wie vor einem Jahr hörte ich eine Stimme: ». . . als da sind: Ehebruch, Vater und Mutter nicht ehren, Mord!« Nun war das Letzte auch geschehen.

Aber nein! Der Kaspar lebte ja noch, noch konnte ich ihn retten. Und ich lief zur Tür und hatte die Klinke schon in der Hand –

». . . so lange der Bollmann lebt, habt ihr nicht Rast noch Ruh!«

Und ich ließ es wiederum seyn und warnete ihn wieder nicht und so trieb er mich um und um, mein Höllengeist, Stunde für Stunde.

Wie war doch der Tag so endlos lang und bang! So voll von grausamer, gräßlicher Qual! Ich zählte die Glockenschläge von St. Georg, die Zeit schlich mir hin, dass ich sie hätte hetzen mögen mit einer Peitsche, und doch auch jagte sie wieder wie mit Windesflügeln. Und wohl tausendmal war ich daran, zum Kaspar zu laufen und ihn nicht aus dem Haus zu lassen, ich warf mich ihm zu Füßen und 166 hielt ihn auf und er war gerührt, dass ich meinem Todfeind also Gutes tat und söhnte sich aus mit mir – aber ich tat's immer nur in Gedanken und blieb daheim!

Mählig begann es zu dämmern. Da stieg meine Angst und Not so sehr mir zum Herzen, dass ich in meiner Kammer das Gesicht in ein Tuch vergrub und hineinbiß und laut stöhnete. Geh, geh, noch immer ist es Zeit! schrie ich mir selber zu – aber ich blieb – der Veit ist schon in Donauwörth – schon ist er nah gegen Augsburg! – Nein – er lauert am Weg hinter ein Busch!

Und wieder zur Tür und wieder zurück, um und um: Keine Ruh und Rast. Ja, oh ja, bald ist Ruh! ». . . als da sind . . . Ehebruch . . . Mord!« . . .

Ich streckte die Arme zum Himmel und ballte die Hände zur Faust in einer wilden Wut:

»So sey's drum, auch noch den Mord! Aber dann ist mein Weg frei zum Leben, dann hab ich alles getan, was ein Mensch mag sündigen, dann hast du dein Fraß, du wilder Geier! Ich geb dir alle Sünden für mein Glück – jetzt zahl mir's heim, jetzt lös dich aus meiner Schuld!«


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