Richard Kralik
Die Argonauten an der Donau
Richard Kralik

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Vierter Akt.

Saal wie im zweiten Akt.

Limma allein. Meine Unruhe wird mir immer unerträglicher. Ich habe die ganze Nacht kein Auge geschlosseu. Meine Phantasie hat sich alles ausgedacht, was zu dieser Zeit im Lager der Kolcher wie in dem der Argonauten sich ereignet haben mag. Ob diese, ob jene geflohen sind, ob diese oder jene die andern etwa angegriffen und überfallen haben, die Kolcher, um Medea und das Vlies mit Gewalt zu erbeuten, die Argonauten, um dem Richterspruch meines Gatten, des Markgrafen, auf andere Art zuvorzukommen. Oder ist alles ruhig geblieben? Ist es dem klugen Kaspar gelungen, die Griechen zu finsterer Nachtzeit aufzufinden? Hat er sich ihnen verständlich machen können? Haben sie ihm getraut, oder sein Vorgehen als eine Falle angesehen und ihn vielleicht gar als einen Spion getötet? Es wäre mir unerträglich, wenn mein Plan mißlänge, wenn er verraten würde, wenn mir daraus Schimpf und Vorwurf erwüchse. Ha, meine Seele würde sich gerne zum Gebet an meine Schutzgöttin, die Göttin des Landes aufschwingen, wenn nicht solche Erdensorgen wie Lasten sie zu Boden drückten. O komm, Ostara, Schutzfrau des Landes, und rette meine Ehre, wenn ich dir je hold war! Ha, was ist das? Erscheint sie mir leibhaftig, dort, dort?

Kaspar kommt durchs Fenster herein. Nein, Frau Markgräfin. Ich bin nicht die verehrliche Göttin des Landes Österreich, sondern nur die Jungfrau vom Sievringer Jungfernbrünnl, und auch die nur als Verkleidung, denn in Wirklichkeit bin ich gar nur der Kaspar, den Euer Gnaden zu den Argonauten ausgeschickt haben. Trotz der schaurigen Nachtzeit hab ich den Weg hingfunden und hab euren hohen Auftrag ausrichten können. Ich hab die Herrschaften alle richtig vorgefunden, ihnen alles deutlich gemacht, und sie waren so gütig, meinen bieder gemeinten Worten zu glauben und zu vertrauen und darnach zu handeln.

Limma. Darnach zu handeln? Wie meinst du das, Kaspar?

Kaspar. Nun, Frau Markgräfin, es hat sich wirklich so herausgstellt, wie wir alle beide gefürchtet haben, daß der Junker Jason und die Prinzessin Medea nur sehr oberflächlich mit einander verheiratet sind oder eigentlich gar nit verheiratet sind. Es is weder die Red von einer kirchlichen Ehe noch von einer Zwifelehe oder Zuvielehe, oder wie man's heißt, die Red gwesen. Der Jason hat auch nit recht anbeißen wollen, der Schlankl, weil er sich doch als blutjunger Bursch schon vor dem allzufrühen Ehekrüppeltum gefürchtet hat. Aber wir andern haben ihn doch so fest bei seinem Gewissen, seiner Pflicht, seiner Ehre, seinem Dankbarkeitsgefühl und sonstigen Schlafitteln gepackt, daß er endlich eingewilligt hat, die versäumte religiöse Zeremonie nach der Hand nachzutragen. Sehr hochzeitlich war freilich die ganze Hochzeitsgesellschaft nicht grad gestimmt.

Limma. Das ist mir einerlei. Ich hab mir einmal in den Kopf gesetzt, diese Ehe zu stiften und will, daß die Sache nach meinem Kopfe gehe. Aber sage mir noch, Kaspar, ich verstehe, warum du dich als Weib, als Jungfrau vom Jungfernbrünnl vermummt hast, um weder von den Argonauten noch von etwaigen Wachen meines Gemahls erkannt zu werden. Aber warum behältst du diese Vermummung und Verkleidung noch weiter bei?

Kaspar. O gnädige Frau Markgräfin, das geschieht aus guten Gründen. Ich muß doch als eine Standesperson, die bei der schnellen Hochzeit dabei war, und Kraft meiner Autorität als angebliche Fee Zeugnis ablegen können über die wirklich stattgehabte ordnungsgemäße Eheschließung. Darum bin ich auch gleich in selber Gestalt daher kommen.

Limma. Das war wirklich sehr klug von dir. Aber sieh, da kommt mein Gemahl. Nun nimm nur wieder deine Frauenstimme an, damit er dich nicht trotz der Vermummung erkennt!

Kaspar. O daran fehlt sich nix! Ich kann so hoch reden wie ein junges Mädichen, zu geschweigen wie eine alte Hex.

Nero kommt. Guten Morgen, Frau Gemahlin! Schon längst auf, wie ich merke? Nun, ich sehe auch mit Spannung den Entwicklungen des heutigen Tages entgegen. Die Sonne ist schon längst herauf; aber noch zögern unsere Gäste, die Argonauten wie die Kolcher. Ach, wie viel lieber würde ich sie als Freunde, denn als gegenseitige Gegner bei uns empfangen! Eine böse Ahnung sagt mir, dass ihr Streit ein schlimmes Ende für beide Teile nehmen müsse. – Aber was ist denn das für eine sonderbare Erscheinung?

Kaspar. Ja bitt, gnädiger Herr Markgraf, ich bin die bekannte Jungfer Fee vom Sievringer Brünnl, zu der von weit und breit die Leut kommen, um sich wahrsagen zu lassen. Ich hab auch die polizeiliche Lizenz dazu.

Nero. Ich habe davon gehört, aber wie kommst du daher? Hat dich vielleicht meine Frau gerufen, um sich wahrsagen zu lassen?

Limma. Allerdings, mein lieber Mann, ich wollte von dieser weisen und klugen Person erfahren, wie die verwickelte Angelegenheit mit den Argonauten und Kolchiern ausgehen wird, die mir so große Unruhe schafft. Du wirst ja nichts dagegen haben?

Nero. O keineswegs, aber ich zweifle sehr, daß dir von dieser Seite irgend eine förderliche Auskunft kommen könnte.

Kaspar. O, i bitt, gnädiger Herr Markgraf, unterschätzen Sie nit die Bedeutung der von unser einem ausgeübten Wahrsagekunst! Diese Kunst ist es allein, die die Staaten erhalt, ja man kann sagen, daß wir es sind, die die Weltgeschichte machen, denn die Ereignisse erfolgen genau so, wie wir sie voraussagen. Fragt mich einer, ob er über einen Graben springen oder hineinfallen wird, so geschieht das, was ich ihm prophezei. Denn prophezei ich ihm, daß er glücklich drüber springt, so springt er wirklich im festen Vertrauen darauf, kühn hinüber; prophezei ich ihm aber, daß er in den Graben fallen wird, so fürchtet er sich so sehr davor, daß er aus lauter Furcht zu kurz springen und in den Graben fallen wird. Das ist nur ein kleines Beispiel für alle Staatssachen, Kriegssachen, Heiratssachen, Handelssachen und was es sonst überhaupt für Sachen gibt.

Nero. Haha, da magst du recht haben. Anders ausgedrückt, ist das Vertrauen oder Mißtrauen in uns und unsere Sache alles. Nun, und was hast du denn über die in Frage kommende Frage zu prophezeien gehabt?

Kaspar. Wozu soll ich das sagen? Es wird sich ja gleich weisen. Ich bleib nur mit Ihrer Erlaubnis noch ein bisserl da, um zuzuschauen, ob die Dinge meiner Prophezeiung gehorsam folgen oder nit, und wenn's nötig sein sollt, ein wenig nachzuhelfen.

Nero. Das sei dir immerhin erlaubt, denn es kann nichts schaden. Aber da kommen ja schon die Kolchier herein mit gar unziemlichem Ungestüm.

Absyrtos und ein Kolchier.

Absyrtos. Wir haben uns beeilt, um etwaigen Quertreibereien der Argonauten vorzubeugen. Wir haben von unsern Spähern erfahren, daß die ganze Nacht hindurch das Lager der Griechen in Bewegung war, und daß da verdächtige Dinge vorzugehen schienen. Aber wir haben auch vorgesorgt, daß sie uns nicht etwa bei Nachtzeit mit dem Raub entwischen.

Nero. Das war bei so biederen Leuten nicht zu fürchten. Wir hatten ja ihr Wort!

Absyrtos. In solchen Dingen bricht die Not und die List alle Ehrlichkeit.

Nero. Das ist hier nicht der Fall, denn seht, da kommen sie schon: Jason mit Medea und Orpheus.

Jason. Ja, erlauchter Markgraf, wir zögern nicht, uns deinem Urteilsspruch zu stellen und ihm, wie er auch falle, zu gehorchen.

Absyrtos. Das will ich für mein Teil nicht unbedingt zugeben, denn der Tapfere kann noch immer an sein Schwert appellieren. Doch rede, Markgraf, laß uns hören, was du uns zu sagen hast!

Nero. So hört denn! Ich habe der Sache reiflich nachgedacht und folgende Entscheidung aus dem Innersten meines Rechtsbewußtseins geschöpft. Medea gehört nur dann dem Jason, wenn sie ihm als eheliches Weib durch rechte Eheschließung verbunden ist, und wenn also auch das goldene Vlies als ihre rechtlich dargebotene Mitgift gelten kann. Wenn nicht, nicht! Seid ihr, beide Teile, mit diesem Spruche zufrieden?

Absyrtos. Vollkommen, ehrlicher Markgraf; denn es ist zweifellos, daß Medea dem Jason nicht als dessen Eheweib folgt, sondern unrechtmäßiger Weise und unehrenhafter Weise dem Familienhaus entlaufen ist, ohne Werbung, ohne Ehevertrag, ohne Mitgift des Vaters, ohne die geheiligten Zeremonien, ohne den Segen der Gottheit. Das ist keine Ehe, sondern ein Raub!

Nero. Und du, Jason, bist du auch mit dem Richterspruch zufrieden?

Jason. Vollkommen, denn Medea ist mir auf meine Liebeswerbung freiwillig gefolgt, sie hat mir des zum Zeichen das goldene Vlies als Mitgift mitgegeben; ich habe also weder sie noch das Vlies geraubt, und die geheiligten Zeremonien sind auch mit dem Segen der Gottheit erfüllt worden.

Nero. Ja, was ist denn das? Da wäre also durch meinen Richterspruch, der so klug ausgedacht ist, gar nichts entschieden, und die Streitfrage bliebe wie vorher in Schwebe?

Limma. Mit nichten, mein Gatte, es kommt auf die Auslegung an und auf die Zeugen, die beide Teile zur Rechtfertigung ihres Anspruchs vorbringen können.

Nero. Du hast recht; also nenne du, Absyrtos, deine Zeugen für deine Behauptungen!

Absyrtos. Was da Zeugen? Das sind ja offenkundige Tatsachen, die niemand ableugnen kann, auch Jason und Medea nicht.

Jason. O ja doch! Ich leugne alles ab und ich bin es, der jenen zeugenlosen leeren Behauptungen wohlbezeugte Tatsachen entgegenstellen kann. Zeugen sind alle meine fünfzig Mitargonauten.

Absyrtos. Das gilt nicht, sie sind Partei!

Jason. Zeuge ist hier der Sänger und Priester des höchsten Gottes, Orpheus, der mich mit Medea getraut hat.

Absyrtos. Das ist nur ein Zeuge und schon darum verdächtig. Wo ist der notwendige zweite Zeuge?

Kaspar. Der ist da, mit Verlaub, meine Herrschaften! Ich bin, wie mich alle hier kennen und anerkennen, die berühmte wahrsagende Jungfer Fee vom Sievringer Brünnl, ich war Zeuge bei der Eheschließung.

Absyrtos. Haha, damit deckst du die Schwäche deiner Zeugenschaft auf. Wenn auch andere leichtgläubige Leute deine wahrsagende Jungfernschaft anerkennen, vor Gericht zeugt kein Weib, und aus deinen Worten ergibt sich, daß die Eheschließung erst vor kurzem nachträglich, und um dem Spruche zu genügen, erfolgt ist.

Kaspar. Hoho, nur keine Beleidigungen! Ich bitt, ich bin sozusagen eine geistliche Autorität, und dann bin ich kein Weib, sondern ein Mannsweib oder Weibsmann, wie es sich für so eine heilige Person geziemt. Und ob die Ehe vor einer Stund, vor einer Wochen oder vor einem Monat oder vor 100 Jahren abgeschlossen worden ist, das is nach dem Urteilsspruch ganz gleichgültig. Ehe ist Ehe und geschehn is geschehn. Und wer's nit glaubt, dem geb ich meinen Original-Sievringerischen Brünnlfluch, daß er nächstens vom Teufel geholt werden soll!

Absyrtos. Was soll denn das für ein lächerliches Zwischenspiel in einer ernsthaften Gerichtssache sein? Ist das hier in Österreich so üblich? Kannst du, o Markgraf, nicht den Ernst des Gerichtes gegen solche Possen aufrecht erhalten? Dann tust du mir höchlich leid.

Nero. Das sind keine Possen, übermütiger Kolchier! Bei uns wird eben auch in der Regierung, in der Rechtspflege die möglichste Gemütlichkeit gepflegt, für die du freilich als Barbar kein Verständnis zu haben scheinst. Und somit erfolgt der entgültige ernsthafte Spruch, daß Jason die Gattin und ihre Mitgift zu eigen haben soll. Er mag ungekränkt mit allen Argonauten von hier abziehen! Ihr Kolchier könnt entweder bei uns bleiben als Kolonisten oder frei nach Hause zum Schwarzen Meer zurück fahren.

Kaspar. Ja, dort wo's am schwärzesten is!

Absyrtos. Ich schelte deinen ungerechten Richterspruch, o Markgraf; und da du mir das Recht verweigert hast, so werde ich mir's selber holen! Jason mag sich vor meinem Schwerte hüten!

Nero. Nach deutschem Recht hat der im Rechtstreit Unterliegende das Recht, nach Herzenslust seinen Zorn über den Richter und das Gericht auszulassen; es wird ihm nicht übel genommen; dazu sind wir zu gemütlich. Du, Absyrtos, schilt und schimpfe also nur darauf los; du hast das Recht dazu, weil du eben unterlegen bist. Wir aber werden uns vorsehen, daß dein Zorn niemand zum Schaden gereich. Mein Volk wird die Abfahrt beider Schiffe überwachen und jeden Streit zu verhindern suchen.

Absyrtos. Bildet euch nur das nicht ein, ihr allzu gemütliche Ostmärker! Ihr werdet noch heut etwas erleben! Ab.

Nero. Hüte dich, Jason! Er sinnt dir Unheil. Er will dir einen Hinterhalt legen. Wir werden dich aber zur Donau begleiten.

Jason. Wir werden uns selbst zu schützen wissen. Auf Wiedersehen unten an der Donau!

Orpheus. Dank dir, Markgraf! Der Segen des Himmels bleib auf deiner Burg! Das wünscht euch Orpheus, der heilige Sänger!

Limma. Dem Himmel sei Lob, daß es bis jetzt so gut ausgegangen ist. Alle ab außer Kaspar.

Kaspar. So, jetzt kann ich mich wieder bald aus einer Jungfrau in ein Mannsbild verwandeln. So eine Abwechslung is zur Abwechslung nit so übel, um die Leut zu vexieren; aber von nun an muß ich schon das bleiben, wozu mich die Natur geschaffen hat. Er singt.

1.
            Natur hat unter Mann und Weiben
So hold geteilt die Menschenwelt,
Der Mann hätt' Mannestat zu treiben,
Dem Weibe ward sein eignes Feld.
Der Mann sei Mann, das Weib sei Weib,
Daß jedem seine Ehre bleib.
2.
Heut aber leuchtet, wie wir sehen,
Das Weib in Staat und Politik.
Wird's so auf Erden besser gehen?
Ist's für die Menschheit bess'res Glück?
Wir wollen's hoffen meinetweg'n:
Der Kaspar gibt dazu sein Seg'n.
3.
Zur Abwechslung bin ich ja gerne
Für die verkehrte bunte Welt.
Mir is das Spaßverderben ferne,
Weil mir der Spaß ja selber g'fällt.
Und wenn die Frau'n dem Mann befehl'n,
In Gottes Nam', so kann's nit fehl'n.
4.
Der beste Staat ist dann zu hoffen,
Wenn's Weib regiert und schafft und kriegt,
Und wenn den Mann das Los getroffen,
Daß er die kleinen Kinderln wiegt.
Wann bisher Übel g'nug is gscheh'n,
So wird's auf die Weis besser geh'n.
5.
Ich gratulier euch, holde Frauen
Und holde Mädchen, auf die Zeit,
Wo wir durch euch so werden schauen
Der neuen Welt Glückseligkeit.
Verzeiht mir dann mit mildem Sinn,
Daß ich doch nur ein Manderl bin!

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