Richard Kralik
Die Argonauten an der Donau
Richard Kralik

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Dritter Akt.

Dieselbe Szene wie im ersten. Tiefe Nacht.

Kaspar stolpert herein in Weibertracht. Blitz, Donner- und Hagelwetter! Jetzt wär ich aber bald hergetatscherlt weil man da auf dem Weg vom steilen Burgberg herunter aber auch schon gar nix sieht. Ich bin ja schon längst auf keinem Weg gewesen. sondern hab mich nur so durch die Bäume durchgetappt, denn die Nacht ist so finster und schwarz, wie wenn im schwärzesten Weltteil ein schwarzer klerikaler Neger um Mitternacht bei Mondesfinsternis im tiefsten Keller einen ungezuckerten Schwarzen, der von Schwärzern ins Land geschwärzt worden ist, in seinen schwarzen Schlund hinunterschluckt. Dabei hindert mich auch mein Weiberkittel; denn damit man mich nicht als den Kaspar erkennt, den Dienstmann des Markgrafen, hab ich mich als Weib vermummen müssen und geb mich für die Fee vom Sieveringer Brünnl aus. Mir scheint, ich bin jetzt schon ins Tal hinuntergekommen und aus dem Wald heraus, denn ich stoß mir den Schädel da an keine Bäum mehr an. Es is merkwürdig, daß die Bäum bei der Nacht viel härter sind als bei Tag. Das muß eine Boshaftigkeit von der Natur sein, damit die Beulen, die man sich stößt, mehr ausgeben. Aber wohin nun? Ha, da leuchten schon ein paar Stern, und da geht der Herr Mond auf, natürlich nur halb. Und da seh ich ein Licht zwischen den Sträuchern leuchten. Das muß das griechische Lager sein. Der Mondschein scheint auch schon schön schief scheangelnd daher. Ja, ich irr mich nicht. Ich werd rufen, damit mich die Wächter nit für ein feindlichen Späher halten. Dabei muß ich aber eine sanfte Weiberstimm anwenden, damit man mich wirklich für das halt, was ich vorstellen will. Wie tut man denn da? sehr grob Hö, hö! Oha, das war nit recht, ich muß es noch feiner machen! sehr hoch He, he! Noch höher! He, heda!

Medea kommt. Hab ich hier nicht einen schrecklichen Schrei gehört? Oder war es ein Nachttier?

Kaspar. Nein, ich bitte schön, ich bin kein Tier, sondern ein Mensch, und zwar ein weiblicher Mensch, wenn's erlaubt ist. Und zwar kein gewöhnliches Waldweiberl sondern die Jungfrau Fee vom Sievringer Jungfernbrünnl. Ich bin so zu sagen allwissend. Ich weiß, daß du die Medea, die kolchische Königstochter bist.

Medea. Das ist allerdings richtig. Aber wenn du wirklich allwissend bist, du rätselvolles Wesen, so wirst du auch in die Zukunft sehen können und wissen, wie mein künftiges Schicksal sich gestalten wird.

Kaspar. Um alles zu wissen, müßt ich erst in meinem Jungfernbrünnl hineingucken und die Runen darin ententräseln. Das ist keine so einfache Prozedur. Aber in die nächste Zukunft kann ich schon jetzt ums Eck herum schauen, freilich auch nur mit der den Propheten angemessenen Vieldeutigkeit, denn es liegt im Wesen der Zukunft, daß sie entweder so oder so ausgehen kann, aber das ist sicher.

Medea. Davon hätte ich freilich nicht viel zur Beruhigung meines unruhigen Herzens, höchstens eine Vermehrung meiner unerträglichen Unruhe. Darum unterlasse ichs, dich, du Vieldeutige, zu fragen, ob du nur mein Schicksal des nächsten Tages kennst, ob du mir sagen kannst, wie das Urteil des Markgrafen darüber ergehen wird, ob ich bei Jason bleiben darf oder mit dem Bruder zurückkehren muß.

Kaspar. O das könntest du mich immerhin fragen, du unruhiges Herzerl, und ich wüßte dir unfehlbare Antwort zu sagen. Aber wer nit fragt, kriegt keine Antwort.

Medea. Nun denn, so frage ich.

Kaspar. Nun denn, und so antwort ich. Der hochweise Urteilspruch des Markgrafen wird unweigerlich sicher also lauten. Ist Prinzessin Medea dem Helden Herrn Jason als eheliches Weib nach aller Umständlichkeit angetraut, so ist das Eheband nicht mehr zu trennen und sie g'hört ihm schon. Hat man aber bisher, ich bitt um Verzeihung für meine Indiskretion, eine gültige Eheschließung vergessen oder unterlassen, hat Herr Jason die Jungfer Medea nur so mitgenommen, und ist sie ihm nur so so nachglaufen, dann hat der Vater König und der Bruder Prinz der ehrsamen davonglaufenen Maid das Recht, sie wieder in den Schoß der väterlichen Familie zurückzufordern, ob sie mag oder nit und ob Herr Jason mag oder nit. Verstanden?

Medea. Ich habe allzuwohl verstanden.

Kaspar. Nun dann weißt, liebes Herzerl, was dir bevorsteht. So oder so, wie ich schon zu sagen die Ehre hatte. Denn du wirst ja wohl wissen, ob Ehe oder Nichtehe.

Medea. Nein, das weiß ich eigentlich nicht recht. Wohl hab ich mich als Jasons Weib gefühlt und die Eheschließung schon in gegenseitigem Einverständnis vollzogen gesehen. Aber weitere Zeremonien sind dabei nicht gemacht worden.

Kaspar. Ich versteh: also keine Brautwerbung, keine Brautschau, kein Aufgebot, feierliches, doppeltes Ja vor versammelten Zeugen, Familiengliedern und Priestern oder staatlichen Standespersonen, keine Eheringe, kein Hochzeitsmahl, keine Gratulationen, keine Toste.

Medea. Du siehst ein, daß zu dem allen keine Zeit war. Wir mußten heimlich fliehen.

Kaspar. Also wenigstens die Zeremonie der Hochzeitsreise ist streng eing'halten worden. Das is schon was, aber es is doch a bisserl wenig.

Medea. Das seh' ich ein. Mir selber schafft das große Sorge, auch abgesehen von den Folgen des Urteilspruches. Denn ich weiß nicht, ob ich mich auf die Treue Jasons verlassen kann.

Kaspar. Freilich, da wär schon ein Ehekontrakt oder so was dergleichen gut, eine bedingte Mitgift. O wir Weiber kennen ja die flatterhaften Männer; nit wahr, Herzerl?

Medea. Ich kenne nur meine eigene Sorge. Wie wenig kenne ich Jasons Art. Er denkt edel, heldenhaft; er scheint mir aber leicht neuen Eindrücken zugänglich zu sein. Er verdankt mir wohl das goldene Vlies, das Ziel seines Heldenstrebens; ist das nicht Mitgift genug, die ihn schon aus Dankbarkeit an mich fesseln sollte?

Kaspar. Freilich, freilich, aber so was vergessen halt die Männer zu leicht.

Medea. Ich glaube zu fühlen, daß ich ihm schon jetzt fremd werde als eine Barbarin, die wohl in manchem nicht seinem Ideal des griechischen Weibes entspricht.

Kaspar. So, so, also so steht es schon mit euch beiden? Nun, dann sag, Herzerl, wärs nit am besten, du tätst den lüftigen Griechen laufen lassen, nähmst dein goldnes Vlies, sagtest, es war nix, bedanktest dich für die Unterhaltung, du hättest genug, du möchtest nun wieder zu Haus in geordnete, gewohnte Verhältnisse?

Medea. Das stünde mir freilich noch immer frei, nach dem, was du mir über den zu erwartenden Richterspruch des Markgrafen sagst. Aber wird das ohne Kampf ausgehen? Wird Jason, wenn er schon auf mich verzichtete, auf den Siegspreis des goldenen Vlieses verzichten? Auch meine Ehre verlangt, daß ich auf dem einmal eingeschlagenen Wege bestehe, daß ich mich für wohl verheiratet ansehe und fordere, daß man mich als ehrsame Ehegattin betrachte.

Kaspar. Ja, wird denn das geschehn, nach allem, was du mir da anvertraut hast? Der Markgraf wird euch beide streng examinieren, und wenn sich herausstellt, daß ihr gar nit verheiratet seid, dann –

Medea. So rate mir, du weises Weib! Gibt es da kein Mittel?

Kaspar. Es gibt immer Mittel, auch in den verwuzeltsten Fällen. Die Sache läßt sich auch ganz einfach drechseln. Willst du, Herzerl, die Frau des Jason nach allen Rechten unzweifelhaft sein, so müßt ihr eben die feierliche, ordentliche Eheschließung nachholen.

Medea. Wie ist das möglich noch vor dem so bald zu erfolgenden Richterspruch?

Kaspar. Alles is möglich, wenn man gleich dran geht.

Medea. Aber ich schäme mich, vor allen Argonauten zuzugestehn, daß ich mich bisher noch nicht für vermählt gehalten habe.

Kaspar. Da gibt's keinen Schenierer! Man muß sich daraus eine Ehre machen!

Medea. Und wird Jason wollen? Wird er sich so binden wollen?

Kaspar. Heut noch; morgen vielleicht nit mehr, mein liebs Herzerl. Drum nur schnell dazuschaun! Ruf deinen Jason! Ruf alle Argonauten!

Medea. Ich glaube, ich sehe sie da kommen mit Fackeln und Lichtern.

Jason kommt mit Orpheus und anderen. Hier bist du, Medea? Wir suchen dich schon lange.

Medea. Wirklich, mein Jason? Du hättest mich leicht finden können, denn ich war nicht so weit von dir, wie du von mir.

Jason. Das ist spitz gesagt und unmöglich zugleich. Mit wem sprichst du da?

Medea. Sie ist die Jungfrau Fee vom Jungfernbrünnlein, wie sie sagt. Es scheint, daß sie so eine Art Sibylle ist.

Kaspar. Sibylle? Ja; aber keine von den bösen Sieben? Ich bin gekommen, euch kraft meiner Weissagungskunst guten Rat zu geben?

Jason. Guten Rat? Das wäre? Sie kommt mir nicht ganz richtig vor.

Medea. Sie weiß voraus, welchen Urteilspruch der Markgraf morgen ergehen lassen wird.

Jason. Das wüßte sie? Durch ihre Weissagekunst? Und wie wird der Spruch lauten?

Medea. Daß ich mit dem goldenen Vlies als meiner Mitgift dir angehöre, wenn ich dir rechtlich und förmlich verehlicht bin, sonst müßte ich und das Vlies den Kolchiern zufallen.

Jason. Nun, du, Medea, gehörst doch zu mir, ebenso wie das Vlies! Wer kann daran zweifeln?

Medea. Vielleicht der Richter. Gewiß mein Bruder Absyrtos. Man wird uns fragen, einen Eid von uns verlangen, ob wir in heiliger Ehe verbunden sind, wo, wie und wann die Ehe geschlossen wurde.

Jason. Du weißt, daß eine förmliche Festlichkeit unmöglich war.

Medea. Sie könnte aber nachgeholt werden, um uns so einander und unsern Gegnern gegenüber fester und unlöslicher zu verbinden.

Jason. Wie wäre das möglich? Jetzt, unter diesen Umständen?

Orpheus. O ja, mein Jason, es wäre wohl rätlich und auch möglich. Du weißt, daß ich, Orpheus, nicht nur heiliger Sänger, sondern auch geweihter Priester des höchstens Gottes Zeus bin, oder wie er sonst lieber genannt sein will, des Gottes, der bei den Kolchern wie bei den Phäaken hier ebenso gelten muß wie bei uns Griechen; denn es gibt nur Einen höchsten Gott, die andern sind nur seine Söhne, seine Kinder, seine Diener, seine Boten, seine Engel.

Jason. Ich kenne ja wohl deine Lehre, die orphische Geheimlehre von der Einheit und Einzigheit der höchsten Gottheit.

Orpheus. Nun denn, so hab ich auch als deren Prophet, deren Verkündiger, Sänger, Prediger und Priester das Recht, an jedem Ort, zu jeder Zeit, auch nun bei Nacht und im Walde den Fels hier als den Altar dieser Gottheit zu erklären, ihm, dem höchsten Gott, Brot und Wein zu spenden und zu opfern, seinen Segen herabzuflehen und euch, dieses vom Gott für einander bestimmte Paar, zu unlöslichem, heiligem Bunde zu verbinden, indem ich eure Erklärungen dazu hinnehme.

Jason. Mir widert ein solches Gaukelspiel.

Medea. So weigerst du dich, o Jason, dem heiligen Bunde?

Jason. Nein, Medea, aber wozu das?

Orpheus. Des Rechtes und der Gerechtigkeit wegen.

Kaspar. Meine verehrten Herrschaften, ich rat euch zur Eile! Schon dämmert es dort im Osten vom Marchfeld her. Es ist nit mehr viel Zeit zu verlieren. Wollt ihr nicht vor dem markgräflichen Gericht als blamierte Europäer dastehn, so müßt ihr euch schnell entschließen und euch den günstigen Rechtsspruch durch gültige Eheschließung versichern.

Orpheus. O Jason, zögere nicht länger! Sieh, ich bin bereit, das Opfer zu bringen, den bindenden Segensgesang zu sprechen.

Jason. So zwingt ihr mich dazu?

Orpheus. Alles zwingt dich dazu: die Pflicht, die Ehre, der Ruhm, die Liebe. Willst du erfolglos mit Schmach von hinnen ziehn? Tretet vor diesen Stein, der uns Altar sein soll und der bereits die Opferspeisen trägt! Reicht euch die Hände und vereinigt euch im Geist meinem Gebete, das den ganzen Himmel und die Erde zu Zeugen des unlösbaren Bundes beruft! Er singt nach der 1. Melodie.

1.
            Einiger Schöpfer der Welt, o Vater des Alls und der Menschen,
Komm als der Stifter der Ehe nun auch zu der heiligen Feier!
Hymen, o Hymenaios, o Hymen, o Hymenaios!
2.
Komm mit all deinen Scharen der Himmlischen, komm aus den Himmeln,
Komm zur Erde herab, gib Segen dem Mann und dem Weibe!
Hymen, o Hymenaios, o Hymen, o Hymenaios!
3.
Seid uns Zeugen, auch ihr, ihr Geister der Berge, der Bäume,
Geister der Quellen und Bäche, der Flüsse, der Ströme des Landes!
Hymen, o Hymenaios, o Hymen, o Hymenaios!
4.
Zeugt es allen, daß bindend sich Jason der edlen Medea
Hat in Treue verbunden, und Fluch sei dem Brecher des Bundes!
Hymen, o Hymenaios, o Hymen, o Hymenaios!

Kaspar. Da muß ich doch auch als weise Jungfrau Fee vom Jungfernbrünnl meinen Spezialsegen dazu geben: Gschehn is gschehn! Wers gsehn hat, kann gehn, und kann es sagen den spätesten Tagen, was er hier hat gesehn: Gschehn is gschehn!

Orpheus. Somit gratuliere ich euch, meine Freunde, daß ihr ein leidiges Versäumnis gut gemacht habt zu eurem Heile. Ihr seid stumm? Ihr schlagt die Augen nieder? Ihr wagt es nicht einmal, einander in die Augen zu sehen? Nicht so! Empor die Herzen und die Augen! Seht, die Sonne geht schon auf und freut sich eurer Tat! Und wir, alle Argonauten, begrüßen euch mit den Heilsrufen: Heil Jason und Medea!

Alle. Heil!


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