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Der Hundeschinder

1.

Es gibt vielleicht Menschen, die meinen Haß gegen Hunde krankhaft nennen. Und die meisten glauben natürlich, genau zu wissen, daß mein Kind eines natürlichen Todes gestorben ist. Aber ich will die Sache doch mal genau erzählen von Anfang bis zu Ende. Dann mag jeder urteilen und glauben, was er will. Ich glaube nicht. Ich weiß.

Ich kenne fast keinen Menschen mehr. Der einzige, mit dem ich ab und zu einige Worte wechsele, ist mein Chef, der Hausbesitzer Martin Julius. »Hausbesitzer« ist sein Titel. Der stammt von der Zeit, wo er Großspekulant war und viele Häuser besaß. Jetzt hat Herr Julius allerdings keine Häuser mehr. Er wurde in einem schwierigen Jahr bankerott, und kam nicht wieder in die Höhe. Jetzt lebt er von Darlehnsgeschäften; er borgt kleine Beträge aus – gegen sehr hohe Zinsen. Ist Wucherer und Blutsauger – wie Sie ihn nennen wollen. Er selbst nennt sein Geschäft »den Leuten kleine Gefallen erweisen«. Ja – weshalb nicht? Die Bürgen, mit denen sich Herr Julius begnügen muß, sind nicht immer glänzend. Und mag er auch zuweilen, wenn die hohen Zinsen pünktlich erlegt werden, vergnügt schmunzeln, – passiert es doch eben so oft, daß er das Nachsehen hat. Und dann wird er an einem einzigen Tage fahl und mager. Und grämt sich. Sein gelber Schnurrbart strotzt wie die Tasthaare einer Hyäne.

Mit knapper Not gibt sein Geschäft ihm einen kleinen Ueberschuß. Wenn er schlechter Laune ist, murmelt er sogar etwas davon, daß ich wohl bald meiner Wege gehen müsse: »Ich kann mir wahrhaftig keinen Sekretär mehr leisten.«

Und dann werde ich fahl und gelb. Der liebe Gott weiß, wohin ich mich dann wenden sollte. Denn keiner nimmt gern einen Mann in seine Dienste, an dem ein Wort wie ... »Schinder« klebt ...

Wenn nur alle Schinder ihre Waffe eben so gerecht wie ich die meine gebraucht hätten, dann wäre wohl der Begriff »Schinder« angesehener ... Aber jetzt – mag jeder selbst urteilen.

2.

Ich hatte stets Angst vor Hunden. Angst und Abscheu. Vielleicht schreibt sich das von der Zeit her, wo ich als ganz kleiner Knirps sah, wie meine Mutter von einem großen, wütenden Hunde gebissen wurde.

Den Tag werde ich nie vergessen. Es war ein sehr heißer Julitag. Mutter und ich hatten im nächsten Dorf Verwandte besucht. Plötzlich hörten wir unterwegs lautes Hundegebell. Und aus einer offenen Gartenpforte kam ein riesenhafter Hund laut heulend auf uns zugelaufen. Er sah aus wie ein Teufel. Mutter blieb stehen, hielt meine Hand fest, ich fühlte, wie ihre harten Finger sich um die meinen preßten, – trotz des Schrecks fühlte ich diese Finger. Sie schob mich hinter sich, um mich zu decken. Und wollte selbst das Unglück auf sich nehmen, das ganze Unglück! Sie stand still, beschützte mich und schrie! ich hatte furchtbare Angst, ich war ja ein kleines Kind, kaum sechs Jahre alt. Klammerte mich an sie fest und verbarg mein Gesicht in ihrem Kleid. Ich hörte das Hundegebell ganz nahe, huh, es klang wie Donner ... Mutter schrie lauter als zuvor, sie schrie entsetzlich. Auch ich schrie. Ich weiß nur, daß ich schrie.

Ich hörte Rufe. Es kam jemand. Man rief den Hund herbei, er mag wohl losgelassen haben. Ich guckte aus meinem Versteck hervor. Mutter jammerte, ihr Kleid war zerrissen, das Blut rann von ihrer Hand herunter, und auch ihre Wange war blutig.

Dieser Tag meiner Kindheit haftet wie ein roter Blutfleck in meiner Erinnerung. Der Blutfleck und der Hund lassen sich nicht von einander trennen. Und ich höre das Schreien meiner armen Mutter, ihr jammervolles Klagen, zuletzt ihre geduldigen Seufzer, – so wie arme Weiber seufzen, wenn sie leiden ... diese Seufzer haben etwas Hoffnungsloses an sich, das mich mehr schmerzt als laute Wehrufe ...

Ich weiß es genau, an jenem Tag ging mir der Schreck vor Hunden ins Blut. Ich fühle es selbst, seit jenem Tage gehe ich an diesen widerwärtigen, eingebildeten Tieren mit den frechen, ungesunden Gelüsten scheu und feindselig vorbei. Schon damals hatte ich Ekel vor ihrer schmutzigen Unnatur und ihrem frechen Wesen. Und ich verstand, daß die Hunde auch mich haßten. Wenn ich einen Hund auf verkehrsreichen Straßen traf, nahm er keine Notiz von mir. Ging ich aber eine einsame Straße oder einen abseits gelegenen Weg entlang, und begegnete ich dort einem Hund, – zumal einem der großen, brutalen mit schwarzem Schlund, dann reckte er meistens den Kopf in die Höhe und knurrte, wenn ich an ihm vorüberkam. Ja, oft geschah es, daß ein solcher Hund mich anbellte und Miene machte, mich zu verfolgen, mich vielleicht anzugreifen. Ich bezwang dann mit Gewalt meinen Schreck, und vor allem hütete ich mich wohl, ihm in die Augen zu sehen; denn mein Blick würde ihn aufhetzen. Ich entging dann meistens mit heiler Haut seiner Wut. Aber wenn ich endlich wieder in Sicherheit war, wurde ich von einer unheimlichen Nervosität befallen, als wäre ich von den bösen Augen des Hundes besessen.

Mit Hunden geht man ja überhaupt schonend um. Das Gesetz schützt sie in hohem Grade. Wenn ein Hund auf einen Mann zugelaufen kommt und bellt, daß der Geifer ihm aus dem Schlunde tritt, so tut man am besten, ihn nicht zu schlagen. Man riskiert eine Geldstrafe, wenn das liebe Tier vom Schlag eine Verletzung davonträgt. Jedenfalls hat man zu warten, bis der Hund gebissen hat, und auch dann tut man am vorsichtigsten, wenn man sich nicht selbst sein Recht verschafft, nein, man soll den Hund »anzeigen« und, wenn auch zu spät, verlangen, daß er einen Maulkorb bekomme. Und beißt der Hund nicht, droht er nur mit Gebell und Geifer, dann hat man eben zu warten, bis er beißt. Ein solcher Hund kann Dir tagaus tagein mit großen, scharfen Zähnen drohen, er kann bellen, daß ihm der Dampf aus dem Rachen tritt, – Du mußt Dich drein finden. Auch wenn Dein Gemüt im Voraus erregt ist, und diese angstvollen Augenblicke Deine Unruhe noch vergrößern, dem Hund ist es doch erlaubt, Dir täglich mit Unglück zu drohen. Wenn ein Mann seine Hand gegen Dich erhebt, wird er auf Dein Verlangen bestraft. Der Hund geht frei aus.

Ich hasse Hunde, und ich hasse dasjenige in den Menschen, das Hunde liebt.

Ein Wort nur, bevor ich weitergehe: Ich habe Jagdhunde mit schönen, freundlichen Augen gesehen. Und weit draußen in wilden Gebirgsgegenden und auf weiten, öden Ebenen habe ich Hunde getroffen, deren Wesen Ernst und Treue war. Die nicht nur unschuldige Passanten anbellten, sondern die Menschen gegen wirkliche Gefahren schützten. Diese Hunde habe ich aufrichtig bewundert, so, wie ich einen schönen Gegenstand bewundere, der an seinem richtigen Platze ist.

3.

Diesen Herbst wird ein Jahr vergangen sein, seit mein kleiner Junge starb. Und er starb an dem Schreck, der sein Gemüt befiel, und an dem Gift, das ihm ins Blut ging, als ihn der große, böse Hund biß. Konstatieren Sie mir, bitte nicht, daß es im wütenden Schlund des Hundes kein Gift gibt. Auch wenn die Mikroskope nicht gerade den Hundswutbazillus feststellen können, kann es Säfte geben, deren Wirkung niemand ahnt. In der ganzen Geschichte der Menschheit ist Abscheu vor Hunden ebenso verbreitet wie Liebe zu Hunden. Dem geheimnisvollsten Gestirn des Himmels gab man den Namen des Hundes. Die Mystiker verlegten die Hölle dahin. Und welche Krankheit hat wohl einen Schreck im Gefolge, der mit der Hundswut verglichen werden könnte? Sie ist ja die Höllenangst selbst. Der Biß des bösen Tieres ins Fleisch meines Kindes und der Schreck, der in sein Blut gegossen wurde – sie breiteten sich langsam aus und gaben ihm den Tod.

Mein kleiner Junge war ein wahres Wunder; kräftig und gesund, dick und fett, heiter und zappelnd. Und vor allem, er war mein Junge. An seinen Augen sah ich, daß er mein Junge war. Denn seine Augen waren oft so sonderbar und schwermütig. Und deshalb liebte ich ihn doppelt. Ich fand in seinen Augen mein eigenes, armes Leben wieder. Und seine roten Backen und sein strahlendes Lächeln waren mir das Bild meines heißen Glückstraumes.

4.

Ich erinnere mich noch genau der kleinen Straße, wo ich damals wohnte. Sie ging längs eines Armes der See im südlichen Stadtteil. Dort wohnten in der Hauptsache Agenten, Heuerbase und Kaufleute, die mit Kolonialwaren und Schiffsrequisiten handelten. Mein Hauswirt war einer der bekanntesten Kaufleute dort, sein Laden war im Keller, aber er selbst war der Eigentümer des ganzen Hauses. Er war ein Mann von Macht und Einfluß; man sah ihm an, daß er da unten sein sicheres Geld einnahm. Er stand oft im Kellerhals und sah aus, als sei er der Eigentümer nicht nur des Hauses, sondern der ganzen Straße. Als ich ihn zum ersten Male im Krämerladen aufsuchte und ihn fragte, wie hoch die Miete für die kleine Dachwohnung sei, nannte er kurz den Preis, und als ich fragte, ob er mir die Wohnung nicht etwas billiger lassen wollte, antwortete er nein. Kein Wort mehr. Nur nein.

Als wäre es ihm vollständig gleichgültig, ob ich die Wohnung mietete oder nicht. Er konnte sicher seinen Mann stehen. Die Wohnung war übrigens recht gut und sie lag in der Nähe meines Bureaus; ich mietete sie und zahlte, was er verlangte, ohne zu mucksen.

Aber eine Unannehmlichkeit erwartete mich schon am ersten Abend, als ich nach Hause kam. Ich hörte ein dumpfes Bellen, das aus der Wohnung des Wirtes kam. Und als ich am nächsten Tage ausgehen wollte, stand ein großer Hund mitten im Haustor. Er sah bestimmt und gebieterisch aus. Die Augen waren schläfrig und gleichgültig, aber grimmig. Und im Innersten der Augen lauerte etwas Böses. Er knurrte still, gedämpft, als wäre er nicht ganz im Klaren, ob er mich mit heiler Haut vorbeilassen sollte.

Ein unbestimmter Schreck vor diesem Tier befiel mich, ein Schreck, der sich ausbreitete und Böses ahnen ließ ...

Der Hund schien zu merken, daß ich Angst vor ihm hatte. Seine Aufmerksamkeit war erregt worden. Seine Augen paßten auf, wenn er mich sah. Er knurrte immer dumpf. Einmal lief er mir zwei Schritte nach und bellte.

Oft verbitterte mich der Gedanke an diesen Hund. Einmal, als ich in den Laden trat, stand er da, und ein zorniges Bellen knallte mir sofort entgegen. Ich sagte: »Zum Teufel, was macht denn das Tier immer für einen Lärm!« Der Wirt antwortete unfreundlich und mürrisch: »Ach, kümmern Sie sich gefälligst nur um sich selbst, dann tut Ihnen der Hund nichts.«

Scharfe Antworten zu geben, war nie meine Sache – ich schwieg also. Aber ich glaube doch, daß der Hund das erboste Aussehen seines Herrn merkte und den zornigen Ton seiner Stimme hörte. Sie hätten nur sehen sollen, wie er da mitten im Laden thronte, und wie böse er war. Ein tiefes Knurren durchzitterte die Luft ringsumher. Ich war froh, als ich aus dem Kellerladen glücklich heraus war.

»Sie müssen ja ein heimtückischer Mensch sein«, werden einige sagen. »Die Hunde bellen immer die dunklen Existenzen an.«

Ja, ich weiß es, das nimmt man allgemein an; aber ich habe doch etwas anderes entdeckt. Er läßt vielmehr viele böse und unheimliche Leute in Ruhe. Und ist der böse Mann noch dazu brutal, wird er oft der beste Herr des Hundes. Er läßt sich von ihm bereitwillig prügeln und beherrschen; er leckt seine Hand zum Danke und zittert beim kleinsten Wink. Aber kommt ein Unglücklicher gegangen, eines der Stiefkinder des lieben Gottes (er mag noch so herzensgut sein): dann fährt der Hund auf ihn los und ist Held und zittert kein bischen mehr.

Jeden Abend, wenn ich hinaufging, hörte ich aus der Wohnung des Wirts tiefes Gebell. Es war der Hund. Er war eingesperrt; aber schon das dumpfe Bellen wirkte auf mich wie eine Drohung. Ich konnte nicht bis in meine Wohnung kommen, ohne von dem bösen Gebell getroffen zu werden. Es war, als stieße jemand die schrecklichsten Flüche gegen mich aus. Zuletzt war es, als hätte ich Fieber im Blut, wenn ich die Treppe hinaufging: Vielleicht würde er heute abend irgendwo im Dunkel lauern, über mich herstürzen und mich zerfleischen?

5.

Mein kleiner Junge durfte regelmäßig im Freien sein. Nicht selten spielte er im Hof. Er baute Häuschen von kleinen runden Steinen und Sand, er hatte einen »Laden«, oder er legte eine »Eisenbahn« an. Still und winzig klein ging er da herum und beschäftigte sich mit seinen bescheidenen Sachen; er bekam nie teures Spielzeug, er amüsierte sich aber recht gut, immer war er lebhaft und eifrig dabei. Jeden Tag erklärte er mir, was er jetzt gebaut und angelegt hatte, ich mußte es sehen und loben.

Oft mußte ich, während ich im Bureau des Herrn Julius saß, lächeln, wenn ich an mein Bübchen dachte. Ich sehnte mich nach Hause, um seine kindlichen, ernsten Erklärungen zu hören, es war, als hörte ich den Klang seiner Kinderstimme, seine drolligen Worte und ungeschickten Sätze, als sähe ich sein weiches, unbeholfenes Körperchen, und dabei hegte ich den innigen Wunsch, daß ihm nie ein Unglück zustoßen möge, daß seine Backen immer so frisch wie jetzt und daß seine Augen immer so klar bleiben möchten. Ja, oft überraschte ich mich selbst bei dem Wunsche, daß mein kleiner Junge stets klein wie jetzt sein möge, damit ich ihn immer beschützen könnte, und ihn das große mühsame Leben nie grob und hart oder wund und unglücklich mache. Ab und zu spielten wir auch zusammen. Ich half ihm bei seinen Bauwerken und erklärte ihm unzählige Sachen, die er früher nicht wußte. Wir waren die besten Freunde und sehr glücklich ...

Aber wenn wir dann gerade mal ganz glücklich waren, hörten wir aus der Nähe garstiges, wütendes Hundegebell, und das widerwärtige große Tier mit den bösen Augen stand da, die Zunge hing ihm weit aus dem geifernden Maule heraus ... Pfui, der ganze Spaß war uns verdorben. Der Friede war vorbei. Mein einziges Bestreben war jetzt, mit meinem kleinen Jungen unbemerkt hineinzukommen.

Er hatte übrigens keine Angst vor dem Hunde. In seinem Unverstand wäre er direkt zu ihm hingegangen. Und würde dieser ihn dann nicht gebissen haben? nicht schon allein deshalb, weil er mein Fleisch und Blut war?

Häufig, während ich bei Herrn Julius saß, konnte ein Angstgefühl meine guten ruhigen Gedanken verscheuchen: Wo war mein Junge jetzt? Doch wohl nicht im Hofe! Doch wohl nicht in der Nähe des großen, wütenden Hundes! Hm, so konnte es auf die Dauer nicht fortgehen. Vielleicht täten wir am besten, uns nach einer anderen Wohnung umzusehen ...

Oder machte meine Phantasie die Gefahr doch größer, als sie wirklich war?

6.

Das Unglück kam! Ach, weshalb waren wir nicht ausgezogen! ... Mein Junge spielte im Hof und ich war nicht draußen. Ich war müde. Ich hatte im Bureau anstrengende Arbeit gehabt. Hatte mich aufs Bett gelegt und war eingeschlafen. Ein Schrei weckte mich. Mein Junge schrie. Der Schrei kam näher. Ich sprang auf.

In demselben Augenblick wurde die Tür geöffnet. Meine Frau kam ganz verstört herein, unseren Jungen auf ihren Armen tragend. Er war vom Hunde unseres Hauswirts gebissen worden. In die Wange und in den Arm. Er hatte große, blutende Wunden. Wir holten den Arzt. Er wusch die Wunden aus und legte Pflaster auf. Wir sollten uns die Sache nicht so sehr zu Herzen nehmen, meinte er. Die Wunden seien nicht gefährlich ...

Aber das Sonderbare. Die Wunden meines Jungen heilten anscheinend. Einen Monat danach war fast nichts mehr zu sehen. Aber der Junge war ein anderer geworden. Er war nicht mehr das kerngesunde, sorgenfreie Kind. Er gedieh nicht mehr recht. Er trippelte zwar noch umher und plauderte und lächelte uns zu. Aber es war, als hätte er den Glanz, den Ueberschuß verloren.

Und seine Widerstandskraft war noch geringer. Oft war er erkältet und hustete. Der Arzt führte es auf gewöhnliche Ursachen zurück. Ich glaube aber noch immer, daß es ein schleichendes, zehrendes Gift war, das sich verkapselt und unbemerkt unter den Narben seiner Wunden verbreitete. Das an ihm fraß, wie Würmer an jungen Pflanzentrieben.

Es wurde Herbst und Winter. Ein kalter, finsterer Winter. Unser Junge wurde nicht gesund, und die Wohnung war nicht gut für ein krankes Kind. Und umziehen konnten wir nicht. Unsere Mittel waren gerade damals sehr knapp ... Eines Tages wurde unser Junge kränker. Er starb. Es sei kurz gesagt. Er starb. Ich vergesse diese Tage nie. Den feinen kleinen Kopf. Die lieben Augen, die so müde waren. Den armen kleinen Mund, der so schwer atmete und doch lächeln wollte ...

Schlafe mein Kind! Die Hunde hätten dich früher oder später doch gebissen. Denn einige Menschen auf der Welt sollen von Hunden gebissen werden. Und du warst zu still, und deine Augen waren zu wunderlich, – du wärest nicht verschont geblieben. Schlafe, schlafe!

* * *

Meiner Frau, die ohnedies schon keine kräftige Gesundheit hatte, ging es nach dem Tod unseres kleinen Jungen noch viel schlechter. Es stellte sich bei ihr eine starke Schlaflosigkeit ein; oft wachte ich in der Nacht auf und hörte sie weinen. Ihr Weinen hatte nicht Anfang, nicht Ende. Ihr großer Kummer löste leicht und unbewußt die Tränen aus. Ihr Weinen war wie der krumme, saugende Wirbel des Stromes. Bald zeigt er sich, bald verschwindet er, und dann ist er unablässig wieder da, weil der Strom fließt. Ihr Gemüt war voller Entbehrung. Der Arzt sprach von nervösem Leiden und riet ihr, ihren Aufenthaltsort zu wechseln. Meine Frau reiste zu einer verheirateten Schwester in eine der Küstenstädte, und die Seeluft kräftigte sie wirklich etwas.

Und ich blieb allein zurück. Gewiß, ich hatte meine Bureauarbeit. Blieb auch in dem alten Logis wohnen; – aber ich wohnte allein dort. Besorgte alles selbst, hielt mein Zimmer rein, kochte mein Essen, hielt meine Sachen in Ordnung. Das Ganze ging viel leichter, als ich gedacht hätte. Und in meiner Trauer über den Verlust des Jungen fand ich die Einsamkeit oft süß. Wenn ich morgens sehr früh aufwachte, lange, bevor ich ins Geschäft gehen mußte – ach, wie war ich da weit, weit fort von der Welt. Wie still waren meine kleinen Räume! Wie wunderbar konnte ich an mein Kind denken. Und wenn gar meine wache Sehnsucht mit mir still in den Schlaf hinüberglitt, dann schenkte sie mir einen Traum, einen schönen Traum von meinem Jungen, der gesund und lächelnd auf mich zukam und mir seine drolligen Bauwerke zeigen wollte.

* * *

Den Hund – sah ich noch. Er ging herum, groß und breitbrüstig wie früher. Dem ging es gut. Und weshalb sollte es ihm nicht gut gehen? Er war ja gerade so gebaut, daß er sich unter den Menschen wohl fühlen, daß es ihm bei ihnen gut gehen mußte. Stark, gesund, brutal, schweinisch.

Ich »zeigte ihn nicht an«. Er bekam also keinen Maulkorb.

Nein, ich hatte andere Sachen im Kopfe.

Eines Nachmittags blieb ich zufällig vor einem der vielen Krämerläden unten am Hafen stehen. Am Fenster waren mehrere Schiffsrequisiten ausgestellt, Tauwerk, Werkzeug, Trensen, Haken ... Ich blieb stehen und sah mir die verschiedenen Sachen an, ohne eigentlich eine bestimmte Absicht damit zu verbinden. Da fiel mein Blick auf ein langes, spitzes Ding aus Eisen. Grauenerregend sah es aus, einen entsetzlichen Spieß würde es in einer kräftigen Hand abgeben. Und wie würde es zerfleischen und stechen können!

Ich blieb stehen und sah mir dieses lange, grauenhafte Ding an; ging in den Laden hinein und kaufte es. Und probte aus, in welcher Tasche es sich am leichtesten unterbringen ließ.

Dies gefährliche Werkzeug trug ich immer bei mir. Weshalb? In der letzten Zeit war mein Feind, der Hund, viel unterwegs. Vielleicht nahmen ihn Liebesabenteuer in Anspruch; jedenfalls sah ich ihn oft, wenn ich spät abends nach Hause ging, auf der dunklen Straße an der See herumrennen. Es wäre gar nicht so dumm, ihm die Pike in den Nacken zu stoßen!

Ich wollte die Gelegenheit wahrnehmen, wenn die Straße leer wäre. Wenn der letzte Nachtschwärmer verschwunden wäre und der Schutzmann in irgend einem Wirtshaus sich wegen seiner nachsichtigen Duldung der Ueberschreitung der Polizeistunde ein paar Glas Bier geben ließ. Am sichersten würde es wohl sein, wenn ich ihn nach einer abseits gelegenen Werft mitlocken würde, wo sein Heulen nicht gehört werden konnte.

Aber wie so oft: jetzt, wo ich die Mordwaffe bei mir hatte, traf ich ihn gerade nicht. Eines Abends hörte ich ihn bellen und ging dem Laut nach; als ich ihn endlich fand, war er von einer Anzahl Seeleute umgeben, die mit ihm spielten. Mir schien es zu gefährlich, ihn an jenem Abend mitzulocken. Die Seeleute kannten ihn vielleicht. Wenn der Hund am nächsten Tage vermißt würde, könnten sie als Zeugen gegen mich auftreten.

Aber kurz darauf, – ich hatte gerade in der Stadt mein Mittagessen eingekauft, eine große Niere. Das Fleisch lag schwer im Papier, es war von Fett umgeben, die ganze Niere war dunkelrot und vor Blut dem Platzen nahe. Da stand er am Treppenaufgang, als ich kam. Der Dunst des Nierenfleisches reizte ihn. Als ich an ihm vorüberkam, öffnete er seinen Schlund und schnaufte.

Wie ein Blitz kam mir ein Gedanke. Ich stieg die Treppe hinauf bis zur Hälfte der ersten Etage, öffnete das Papier und warf ihm ein Stück Fleisch zu.

Er schnappte und verschlang es in einem Nu, und wieder stand er da mit seinem großen, schwarzen Schlund und prustete, noch einmal so schnell wie vorher. Seine Begierde nach dem Fleisch war offenbar, er konnte sich kaum beherrschen. Als ich ihn wieder rief, war es, als knurrte er, etwas Brennendes zeigte sich in seinen Augen. Ich riß noch ein Stück ab, so hastig, daß ich meine Finger mit Blut besudelte, und ich warf ihm auch das noch zu. Er verschlang es und wurde freundlich; die Zunge hing ihm weit aus dem Rachen heraus, er stöhnte blöde, wedelte mit dem Schwänze und wurde ein liebenswürdiger Kerl, während gleichzeitig Bosheit und Blutdurst gelb aus seinen Augen leuchteten.

»Na, komm nur«, rief ich. Und ich schwang das letzte große Nierenstück in meiner Hand. »Na, komm nur ... freilich,.. komm nur, mein gutes Hündchen.« Und er kam mit, die ganzen Treppen hinauf, bis in meine Wohnung hinein.

Meine Wohnung lag nach dem Hofe und den Packhäusern zu. Unter mir wohnte ein tauber Schuster. Kein Laut aus meinen Zimmern konnte jemanden stören. Kein Jammerschrei aus meiner Wohnung würde etwas zu denken geben.

Ich tötete den großen, teuflischen Hund! Ich erdrosselte ihn langsam mit einem Strick, den ich, während er einige alte Fleischreste fraß, um seinen Hals befestigte. Ich heftete den Strick an einem kräftigen Lampenhaken an der Decke fest und zog zu. Was für ein Anblick. Er stutzte, hustete, bekam das Fleisch in die falsche Kehle, röchelte und knurrte. Ich zog kräftiger zu, und plötzlich wurde er ganz jämmerlich, blinzelte mit den Augen, wurde groß, dumm und elend. Und zeigte damit erst jetzt die Eigenschaften, die ihn zum besten Freunde des Menschen machen.

Nach und nach wurde er schwer; der Todeskampf gab ihm eine seltsame Kraft. Aber ich zog den Strick noch enger zu. Und jetzt wurde er todesangst und wütend. Seine Augen waren mit Blut unterlaufen, der ganze Körper streckte sich aus und zog sich wieder zusammen, er ähnelte einer ungeheuren Giftnatter. Es war, als gäbe sich alle die Brutalität und alle die Bosheit, die er in sich hatte, deutlich zu erkennen; er dunstete nach der Bestialität der Hölle.

Er tötete mein Kind, er vergiftete das Blut meines kleinen Jungen. Ich mordete ihn innig und mit tiefer Freude. Zuletzt stach ich ihm die große, spitzige Eisenpike in den Körper, sah ihn elend und tot daliegen ... Mir schien, ich hätte etwas getötet und etwas beseitigt, was manchem Unglücklichen das Leben auf dieser Welt vergällte und verleidete.

Spät am Abend schleppte ich den toten Hund hinunter und legte ihn vor die Tür des Wirtes. Am nächsten Morgen klingelte es bei mir. Der Wirt kam herein. Er sah aufgeblasen aus und doch ein bischen weniger aufgeblasen als früher ...

Ob ich seinen Hund gesehen hätte?

Der übermütige und doch ein wenig ängstliche Ton, in dem dies gesagt wurde, machte mich lachen. Ja, wahrhaftig, ich lachte, lachte laut auf. Der Mann glaubte gewiß, daß ich verrückt geworden sei.

Endlich schwieg ich und fragte teilnehmend:

»Ach, was Sie sagen? haben Sie den süßen Hund verloren? Und ob ich ihn gesehen habe? Ja, viele, viele Male!« Ich ging ganz nahe auf ihn zu und starrte ihm lange in die Augen: »Jetzt nehmen Sie sich aber in Acht. Das traurige Ende des Hundes bedeutet für Sie selbst nichts Gutes. Ja, hüten Sie sich! Die Dämonen warten auf Sie.«

»Die Dämonen warten auf Sie!« sagte ich noch einmal. Und ich muß seltsam gesprochen haben. Der tapfere Wirt schlich zur Tür hinaus, ohne ein Wort zu sagen.

Am Abend bekam ich einen Brief von ihm. Er bat mich in höflicher Weise auszuziehen. »Er hätte für die Wohnung selbst Verwendung.« Ach so, ja freilich, ich würde schon ausziehen. Und am Tage vor meinem Auszuge ging ich zu ihm hinunter und berichtete ihm alles über den Tod des Hundes. Er ließ mich ausreden und verbeugte sich, als ich ging. Gott behüte, was hat der für eine Angst vor mir gehabt!

Er erzählte die Geschichte weit und breit und erntete auch sicher viel Lob seiner Milde wegen; daß er keine Strafanzeige gegen mich erstattete.

Und doch war es sicher kein anderer als er gewesen, der jenen geheimnisvollen Herrn zu meinem Chef geschickt hatte, der sich als »Rechtsanwalt« vorstellte und Herrn Julius wissen ließ, was für einen abscheulichen Menschen er in seinem Bureau beschäftigte. Aber Herr Martin Julius war gerade in guter Laune und nahm die Geschichte in überlegener und leicht abfertigender Weise hin:

»Na ja ... die Geschichte kenne ich ja ... er tötete das Ungeheuer. Na, das war ja sehr vernünftig von ihm.«

»Wollen Sie ihn behalten, Herr Julius?«

»Das will ich.«

Und als dann der Mann noch mit anzüglichen Bemerkungen kam, mit denen er andeuten wollte, daß Herr Julius am allerwenigsten Grund habe, unvernünftig zu sein, lächelte Herr Julius und setzte den Mann an die Luft.

* * *

Durch meinen großen Kummer und meine Einsamkeit bin ich anders als andere Menschen geworden. Aber meine Gedanken sind ruhig und klar. Und kümmert mich auch die Welt um mich herum nicht mehr, ich kann mir doch ab und zu meine eigenen Gedanken über die Menschen machen: über ihre Aufgeblasenheit, ihre Feigheit, ihre Bestialität ... Und dann fühle ich den Haß in mir glühen! ... Aber wozu? Ich bin nichts. Ich vermag nichts ...

Ach, mein Traum, mein eitler Traum! Einmal mächtig genug zu sein, um herumzugehen und allen feigen, grausamen, tückischen Hunden in der Welt mit einem großen, schweren, eisernen Knüppel auf den Kopf zu schlagen!

* * *


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