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Teufelsbesessensein

Eine schwefelgelbe Schwüle lag über Paris. Häßliche Luft, häßliche Temperatur. Man konnte nicht frei gehen; man watete umher wie in großen, warmen Dünen. Man jappte und schnappte nach Luft, und öffnete man die Weste und knöpfte den Kragen auf – dann konnte ein scharfer, kalter Wind kommen, daß man schauernd Anzug und Kragen wieder zumachte.

Ich ließ mich vor einem Café nieder, wo es verhältnismäßig kühl war. Es war ein prächtiges Café. Es brauste und brummte aus den inneren Räumen, und aus Küche und Keller siedete und brodelte es.

Ich verlangte einen Absinth. Sonst genieße ich dieses Getränk nie; aber heute, hier in der gelben Wüstenluft – mag man mir nur das Gift bringen. Je schlimmer, je besser.

Und das Gift kam. Ich mischte es und trank. Das kühlte. Noch einen Zug aus dem Glase, und der Tag lag nicht länger klebrig und erstickend über mir. Er ließ etwas ab, rückte weit weg und hielt sich in passender Entfernung; er war in prächtige Hitze und bunte Pracht gekleidet. Aber er war nicht länger lästig.

– Ich weiß nur noch, daß ich bald darauf das Café verließ, und daß ich mich lange in der blauen Abendluft von Paris hknitterteerumtrieb. Wie war der Himmel während der letzten Stunde klar geworden, und wie funkelten all die Sterne ...

Ich ging immer weiter, kam auf Straßen, wo ich früher nie gewesen war. Staunend las ich die Namen der Straßen und jeder neue Name schien mir fremder als der vorige. »Jetzt verirrst du dich ganz und gar«, murmelte ich. »Du kommst auf nächtliche Irrwege.« Und eigentlich wollte mir dies, auf nächtliche Irrwege kommen, gar nicht als etwas so Uebles erscheinen ...

Da erreiche ich auch schon einen Platz, wo Karussell gefahren wird, und ganz in der Nähe sitzen einige schwarzhaarige Wahrsagerinnen, die aus den Händen wahrsagen. Zum Ueberfluß stehen zwei starke Männer dabei; sie schwingen schwere Handgewichte.

Ich blieb stehen und sah sie mir an. Die eine der Wahrsagerinnen war 20 Jahre alt und bezaubernd schön. Aber ihre Wahrsagungen waren dummes Zeug. Es hieß nur immer, der Betreffende würde glücklich werden, viel Geld sowie Frau und viele Kinder bekommen ...

Und schon wurde meine Aufmerksamkeit auch auf etwas anderes gelenkt: An meiner Seite stand ein Mann. Ich mußte ihn betrachten, ihn lange ansehen. Sehr mager war er, er hatte kleine, lebhafte Augen, eine krumme Nase, einen breiten Mund mit schmalen Lippen und große, weiße Zähne. Diese Zähne, fehlerfrei und schön, verliehen dem Gesicht das Gepräge der Gefräßigkeit und – von etwas anderem ... etwas, das an einen grinsenden Totenkopf erinnerte. Zudem sah er leidend aus: diese magere unschöne Gestalt und der merkwürdige Kopf. Und wenn ich genau nachsinne: etwas Verfolgtes, Müdes, beinahe Frommes hatte der Mann an sich.

Er stand da und rollte eine Zigarette mit seinen langen Fingern. Diese Finger hatten eine eigene rote Farbe, als hätte er sie verbrüht. Er mußte im Zigarettenrollen noch ein Neuling sein. Oder stand er gedankenlos da? Er rollte immerfort, ohne fertig zu werden. Ab und zu blickte er blitzschnell auf, als ob er sehen wollte, ob ihn jemand ansehe, um dann das Urteil des Betreffenden über ihn aus seinem Ausdruck zu lesen. Dieser Mann ist gewiß sehr empfindlich und eitel, dachte ich. Und er ist gewiß oft recht gekränkt worden.

Etwas an ihm rührte mich. Und der Mann selbst interessierte mich. Ich richtete einige freundliche Worte an ihn, ich fragte ihn, wo ich eigentlich sei. Und ich bekam eine höfliche Antwort, an die sich leicht ein Gespräch knüpfte. Zuerst über die Wahrsagungen der Zigeuner. Er lächelte, zeigte seine großen Zähne und mußte zugeben, daß es ein lächerlicher Unsinn sei.

Aber kurz darauf brachte es das Gespräch mit sich, daß ich in wegwerfendem Tone von dem Okkultismus überhaupt sprach. Eigentlich war es recht unüberlegt; denn im Grunde interessieren mich diese Sachen.

Da wurde er ernst: »Jetzt bin ich nicht länger Ihrer Ansicht«, sagte er.

»Aber glauben Sie denn an diese moderne Zauberei?«

Er machte einen feierlichen Gestus.

»Ich glaube an die großen unbekannten Dinge.«

»So, Sie glauben. Aber haben Sie jemals etwas gesehen, was in Wahrheit übernatürlich und nicht unsinnig war? – Ich glaube auch und fühle auch manchmal etwas. Aber geben Sie mir einen Wahrheitsbeweis.«

Während des Gesprächs hatten wir uns von dem Vagabundenlager entfernt. Der Mann ging an meiner Seite und sprach. Und ich ließ ihn sprechen. Sein mageres, gelbes Gesicht paßte zur schwülen Fieberluft.

»Sie verlangen Beweise«, sprach er im Flüsterton weiter. »Wohlan, ich habe einen Beweis, mein Herr. Beweise. Mehr noch, als ich mir gewünscht habe.«

»Wovon haben Sie Beweise?«

Er sprach hastig:

»Haben Sie die Geschichte des Mittelalters gelesen? Nicht was »aufgeklärte« Blätter meinen, ... nicht was irgend ein aufgeblasener Dummkopf vermutet, ... aber haben Sie sie selbst ernst und lauschend studiert? Haben Sie die Geschichte der Hexenprozesse, die Geschichte der Astrologie, die Geschichte des Teufelsbesessenseins gelesen? ... Wohlan, ich erkläre Ihnen ernst und feierlich, daß ich an Teufelsbesessensein glaube. Oder wenn Sie wollen: an die Macht der bösen Gedanken. Des Hasses tötende Macht.«

Er richtete sich auf, sein Kopf nickte, seine Nasenflügel zitterten.

»Ich sage Ihnen, es gibt Menschen, die andere töten können. Nicht gewalttätig. Nicht mit scharfen Waffen. Aber mit ihrem tiefen, glühenden Haß.«

Ich schwieg. Nun freilich. Ich fand keine bestimmte Antwort. Der Mann war natürlich verrückt. Aber trotzdem, wie war er intensiv, wie knisterte seine Stimme, und wie hob sich sein blasses Profil gegen den Abend ab.

Ich antwortete schließlich einige Worte ... mit großer Mühe kamen sie heraus:

»Es würde interessant sein, wenn Sie sich genauer aussprechen wollten. Ich verstehe so ungefähr, was Sie meinen. Aber Sie könnten sicher mehr erzählen. Was hat Sie denn auf die Gedanken gebracht, die Sie eben entwickelten?«

Er schwieg, es war, als schrumpfte er zusammen, er ging krumm und klein weiter.

»Ja, ja«, sagte er, »fragen Sie nur, was mich mit diesen Dingen in Berührung brachte. Fragen Sie mich über mein eigenes zermartertes Leben aus. Fragen Sie mich, wie ich ein Dämon der Finsternis wurde. Sie brauchen sich nicht vor uns berüchtigten Teufeln zu fürchten. Nicht vor mir und nicht vor den anderen. Wir sind nicht böse. Wir sind nur Ausgestoßene, Unglückliche. Und wollen den armen Menschen nicht schaden. Aber wir hassen die, welche schaden, die in Uebermut und Glück erdrosseln. Na, das werden Sie nicht so ohne weiteres verstehen. Aber ich kann Ihnen sehr gut eingehender von diesen Sachen erzählen. Sie kennen mich nicht. Sie kommen, nach Ihrer Sprache zu urteilen, aus einem fernen Land. Sie werden mich nie mehr sehen. Gut denn, Sie dürfen es wissen, daß ich einer der alten, adligen Familien Frankreichs angehöre. Als ich ein Junge war, schaute ich aus hohen Sälen über Wiesen und Wälder und sah meilenweit, ohne an die Grenze unserer Güter zu blicken. Aber mein Vater spekulierte. Er wollte den Reichtum seiner Vorfahren zurückgewinnen und die ziemlich hohen Schulden zahlen, die auf unseren Besitzungen lasteten. Und dann ging es ganz schlecht. Ganz schlecht. Er verarmte gänzlich und starb an Gram. Und ich stand da; hatte nichts Ordentliches gelernt, und meine Verwandten taten nichts, mir zu helfen. So sind wir Franzosen, wenn Sie es wissen wollen. Es fehlt uns an Herzenswärme. Einer kann den andern ertrinken sehen. Und läßt ihn ruhig untergehen ... wenn nicht Zuschauer, Publikum in der Nähe sind, so daß er auf Beifall und auf die Rettungsmedaille hoffen kann. Dann allerdings! Aber wenn jemand mich gerettet hätte, würde ihm das keine Ehre eingebracht haben. Deshalb ließen sie mich leichten Herzens zum Teufel gehen. Ganz zum Teufel ging ich übrigens nicht gleich. Denn auf meine Weise war ich fleißig und tüchtig, trotz der fehlenden Ausbildung und trotz des Mangels an Methode. Ich bekam einen Platz in einem Geschäft, und nach zwei Jahren hatte ich mich zu einer ganz hübschen Stellung emporgearbeitet. Aber ... ich war von Natur empfindlich und leicht zu verletzen ... In gewissen Dingen verstehe ich keinen Spaß. Und da geschah es denn, daß wir im dritten Jahre einen neuen Chef bekamen. Er war ein Tölpel. Er behandelte uns in einer unerträglichen Weise. Mich konnte er instinktmäßig nicht ausstehen. Er selbst war ein kräftiger Lümmel, – Gott weiß, woher er gekommen war, – und ich war in seinen Augen ein geeignetes Mittel, um seiner Macht einen noch höheren Glanz zu verleihen. Ich war ja ein Edelmann ohne Rennpferde, – mich würde er schon gut behandeln! Und ob er mich gut behandelte! Schlimmer noch als die anderen. Eine Zeit lang ertrug ich es tapfer; ich war ihm wirklich überlegen. Aber bald kam es zu einem widerwärtigen Auftritt. Ich sagte ihm offen meine Ansicht: Lümmel! Pöbelhafter Mensch! ... Die anderen Angestellten hatten Angst wie die Mäuse, sie sagten nichts. Und später zeugten sie hübsch zu seinen Gunsten. Diese Sklaven, die ihn jeden Tag im geheimen ausschalten. Jetzt krochen sie vor ihm, und aus ihrem Mund kamen nur ihm wohlgefällige Worte.

Ich haßte ihn. Ach, während ich umherging und fühlte, wie der Sumpf der großen Stadt mich erwartete ... während ich hungern mußte ... haßte ich ihn so, daß der Haß in meinen Eingeweiden wühlte. Und da geschah es, das Sonderbare, Unbegreifliche. Eines Tages fällt er auf einer Treppe hin und erstickt im Falle. Er lag mit der Nase in seinem Blute, als ihn die Leute fanden. Man war erstaunt, fast bestürzt. Denn niemals hatten sich bei ihm Symptome von Apoplexie oder Fallsucht gezeigt. Es sah aus, als hätte ihn jemand umgestoßen ...

Ich stutzte. Es wurde still in meiner Seele. Aber es war, als wimmelten Schattenwesen hervor, als ob sie mich umkreisten und flüsterten: Wir haben getan, was du wolltest! Und ich fühlte, daß diese Wesen meine haßerfüllten Gedanken waren.

– Aber dieses eine Mal, das war wohl nur ein Zufall, werden Sie denken. Ich kann mehr erzählen.

Ich hatte einige Jahre später eine jämmerliche Stellung als Hilfslehrer in einer Schule. Einer der Schüler fand sein größtes Vergnügen darin, mich zu quälen. Er war raffiniert grausam. Und quälte mich, wie nur ein reicher, dummer, gleichgültiger Bursche einen armen Lehrer quälen kann. Eines Tags verlor ich die Besinnung und prügelte ihn. Ich erhielt meine Entlassung und frech lachte er mir nach, als ich meiner Wege ging. Da wandte ich mich um, ging rasch zu ihm hin und sagte ihm einige stille Worte. Er lachte nicht mehr, er stand mit halbgeöffnetem Munde da und sah mir blöde nach.

Ich möchte Sie nicht gern mit der Erzählung von all dem vielen Unglück erschrecken; aber ich kann Ihnen das eine sagen, daß meine Worte so ziemlich in Erfüllung gingen. Ihm geht es jetzt schlechter als mir.

... Und jetzt sollen Sie noch eine seltsame Geschichte hören. Ich war verliebt, und sie hatte den schönen jüdischen Namen Mirjam, obwohl sie ein rechtes, gut französisches Mädchen war. Und wahrhaftig, sie lächelte mir zu und sah mir in die Augen und tat alles, was junge Mädchen zu tun pflegen, wenn sie einen Mann lieben. Aber ihre Verwandten und Freunde mochten mich nicht, taten sich zusammen und machten mich in ihren Augen lächerlich. Und mit den jungen Mädchen ist es ja so eigen: man kann schwer einen Mann mit Flüchen oder Drohungen aus ihrem Gemüt hinaustreiben. Aber man kann ihn im Herzen einer Frau durch Witz und Lachen töten. Das taten sie: »Hahah, schönes Fräulein Mirjam, was willst Du denn eigentlich mit dem?« ... Ich erinnere mich eines Maskenballs. Der Ton war schon freier, als ich zufällig eintrat. Sie saß auf dem Schoß eines jungen Burschen. Er war ihr »Vetter«, und es war Maskenball. Aber ich hörte ihn flüstern: »Man sollte denken, daß er immer maskiert sei ... tragische Maske, Mirjam. Sieh nur die lange krumme Nase.« Und sie lachte.

Er blieb stehen, nickte langsam mit dem Kopf und sagte leise:

»Ja, ja. Mirjam nahmen sie mir ... das dumme Kind verstand es ja nicht besser. Aber ... sie hätte es nicht nötig gehabt, ihn, den ... »Vetter« ... meinen ärgsten Feind zu heiraten.«

Ich fragte: »Wie ging es ihr denn weiter?«

»Sie lacht nicht mehr über seine Witze. Das Zusammenleben ist für die beiden zur Hölle geworden. Sie geht ihm und dem Leben aus dem Wege, so gut, wie sie es nur kann. Nimmt Morphium ...«

Er schwieg. Und wollte nicht mehr davon sprechen; das konnte man ihm deutlich anmerken.

»Wenn ich«, fuhr er fort, »erzählen würde, daß ich an die Fähigkeit vieler Menschen glaube, das Unglück eines anderen zu wollen, so intensiv zu wollen, daß aus dem Willen eine Macht wird, dann würde ich nicht die Wahrheit sagen. Die in Freude, Genuß und Wohlsein dahinleben, können nichts Derartiges vollbringen. Von einem wohlgenährten höheren Ministerialbeamten, einem gemütlichen Obersten oder Bürgermeister gehaßt zu werden – das läßt sich ertragen! Aber unter den zehnfach Unterdrückten, Zermarterten, Gekränkten finden sich solche, deren Seelen mit gefährlicher Flamme auflodern. Und dies Feuer kann den Kräftigsten töten. Ein Mann mag noch so kräftig sein, – er hat immer, wie soll ich mich ausdrücken ... einen Riß am Finger, ein kleines dunkles Eckchen, das ihm verhängnisvoll werden kann ...

Und jetzt, mein Herr, habe ich nur noch eins zu berichten ... ich weiß nicht, ob ich es fertig bringe, aber ich wills versuchen. Es bringt mir Erleichterung, wenn ich davon reden kann. Etwas Großes, Unbeschreibliches hat mich in den letzten zehn Jahren gemartert ... Sie können mir glauben, ich habe mich seitdem verändert. Damals konnte ich mich noch jung nennen. In kurzer Zeit alterte ich. Meine Last war zu schwer zu tragen ...«

Er blieb stehen, starrte mir in die Augen und sagte langsam:

»Ich habe den Tod von hunderten von Menschen verschuldet. Ich habe den großen Bazarbrand in der Jean Goujou-Straße am 4. Mai 1897 verursacht.«

Als er diese Worte sprach, hatte seine Stimme etwas unbeschreiblich Oedes an sich, als käme sie aus dem ewigen Weltenraum. Er stand unbeweglich. Ich sah, daß sein Mund verzerrt und seine Augen geschlossen waren.

Bis dahin hatte ich, während ich ihn ansah und ihm zuhörte, gestaunt, wie man es tut, wenn man einen Menschen beobachtet, der zwar verrückt, aber doch unschädlich ist. Jetzt erstarrte das Blut in meinen Adern. Er wirkte hypnotisch auf mich, so wie er da stand ...

Ich antwortete etwa:

»Weshalb glauben Sie denn, daß Sie das Unglück verschuldet haben?«

Er antwortete eigentlich nicht auf meine Frage, er redete vor sich hin ... wie im Schlaf:

»Ich besaß damals noch ein bischen Ehrgeiz, ich erinnerte mich der Traditionen meiner Familie. Ich hatte gerade einen kleinen Posten in einem der Ministerien bekommen, einen ganz kleinen Posten nur, aber immerhin doch einen Posten, von dem aus ich höhere Stellen erreichen konnte. Es marterte mich oft, daß ich nicht in den Kreisen verkehrte, wo man vornehm lebt und diejenigen verachtet, die vorlieb nehmen müssen ... Da traf ich eines Tags auf der Straße einen alten Freund ... einen jungen Mann aus angesehener Familie, vermögend und gutmütig. Er erzählte mir von dem feinen Bazar, an dem er mitwirken sollte. »Du müßtest eigentlich auch dabei sein«, sagte er, »überhaupt würde es nicht schaden, wenn Du Dich hie und da etwas beliebt zu machen suchtest. Du trägst doch einen alten, wohlklingenden Namen. Du bist viel zu störrisch und eigen. Benutze doch die Chancen, die Dir Dein Name gibt. Ziehe Dir Deinen Gesellschaftsanzug an, und wir treffen uns morgen ... Es soll Arrangementsprobe abgehalten werden. Dabei wirst Du Dich auch etwas betätigen können ... ich kenne einige höher stehende Herren näher ... ich werde mit ihnen reden.«

Gut, ich traf am nächsten Tage, wie verabredet, meinen Freund. Wir gingen nach dem Bazar hin. Und kamen da in eine sehr lange Holzbude hinein, die eine Straße im alten Paris darstellen sollte und demgemäß bemalt war. In einem kleinen separaten Raum trafen wir eine große Gesellschaft versammelt. Elegante Herren und Damen, die das Bazarkomité bildeten. Mein Freund stellte mich vor. Unser Gespräch bewegte sich in den üblichen Phrasen. Kurz darauf flüsterte mir mein Freund ins Ohr: »Gehe bitte auf einen Augenblick hinaus ... Du verstehst ... Du wirst selbstredend eingeladen ... Aber es muß zunächst entschieden werden.« ... Ich ging hinaus, stand eine Weile in dem langen Gang und besah mir die bemalte Leinwand. Mein Freund kam nach einer Weile wieder. Er war blaß und ärgerte sich und schüttelte den Kopf. Es war ihm, kurz gesagt, unbehaglich zumute.

»Na, ging es nicht?« fragte ich, »wollten sie mich nicht haben?« »Ich tat mein Möglichstes«, antwortete er. »Ich begreife die Sache nicht.«

Aber ich begriff. »Adieu«, sagte ich und ging meiner Wege. Das heißt, gleich ging ich nicht hinaus. Ich ging und stand wieder still, ging und stand nochmals still. Mir wurde sonderbar, seltsam. Sie wollten mich also nicht haben. Ich war ihnen zu gering, zu unsympathisch. – Die lange Holzbude fiel mir auf und die Verkaufsbuden, mit allerlei Krimskrams geschmückt. Dort wurde gerade eine Lampe probiert, eine große Lampe. Mich ging sie ja eigentlich gar nichts an; aber ich fragte doch, wozu sie gebraucht werden sollte. Zu einem Kinematographen, sagte man mir ... so, so ...! Danke sehr! Adieu.

... Mein Mißmut wuchs in den folgenden Tagen in grauenerregender Weise. Es war, als schössen große, kranke Sprossen in mir empor. Eine grenzenlose Schwermut befiel mich, die mit einem Groll wechselte, der wie Feuer in mein Blut ging. »Du bist krank«, flüsterte ich, »wenn eine solche Geringfügigkeit einen so tiefen Eindruck auf dich machen kann.« Geringfügigkeit? Von diesen Menschen zurückgewiesen zu sein, die das zufällige Heute im ewigen Fallen und Steigen des Menschengeschlechts auf höhere Stufen der schwankenden Glücksleiter führte. Mein Atem war heiß, meine Augen brannten. Ich schwankte wie ein Betrunkener. Der Haß arbeitete unaufhörlich in mir. Er ließ mir keine Ruhe ...

Eines Nachmittags ging ich zu Bett. Mich dürstete. Mein Hals brannte. Ich lag wie ein Knoten zusammengekrümmt, bald war mir kalt, bald schwitzte ich, meine Fäuste waren geballt ...

Ich fand die ganze Nacht keinen Schlaf. Am Morgen brachte mir mein Wirt die Morgenblätter. Sieh mal an, da konnte man vom Bazar lesen: Der Anfang sei großartig gewesen, die Ausschmückung herrlich, für 40 000 Francs sei schon verkauft worden. Die jungen Damen der Aristokratie seien zahlreich erschienen und bei dieser Festlichkeit in die höhere Gesellschaftswelt eingeführt worden ... »haha, jawohl, da sind sie auf einem Haufen zusammen, die ganze Bande ...« ich zerknüllte das Blatt ...

In schlafähnlichem Zustande blieb ich liegen. Und träumte von meiner Kindheit. Ich sah die Allee vor mir, die nach unserem Schlosse führte, die herrliche Allee ... den großen, weißen Altan, wo die Rosen in griechischen Marmorvasen blühten ... da stand ich als kleiner Knabe und rief dem Gesinde da unten zu; die Leute grüßten mich ehrerbietig und gaben sorgfältige Antworten.

Und nun die Menschen in jenem Bazar! Viele von ihnen waren nur ganz gewöhnliche Geldraffer; sie durften dabei sein; mir wies man die Türe ... ich war zu störrisch und eigen ... hätte ich sie nur in meiner Gewalt, diese Leute in der Jean Goujou-Straße, ... ich würde nicht milde mit ihnen verfahren ...

Gegen Abend wurde der Halbschlummer, in dem ich lag, tiefer. In meinen Träumen ging ich auf Wanderung. Es war mir, als sei ich im Bazar. Ich sah die lange Holzbude wieder, die Bilder vom alten Paris. Ich sah die bunten Verkaufsläden. Ich sah die eleganten Herren und Damen, die stereotype Höflichkeit, das heuchlerische Lächeln, die eleganten Manieren. Ich sah dann und wann auch einen langen, begierigen Blick, eine heiße Gebärde. Und ich sah blöde Reiche und ältliche Lebemänner mit brutalen Gesichtern ...

Sie wollten mich nicht haben. Mitten in meinem Halbschlummer fing der Haß an zu wachsen. Eine gewaltige Welle der Wut sammelte sich in mir an. Ich war vollgeladen wie eine Mine. Vor einer großen Lampe blieb ich stehen, Oel und Säuren brannten und glühten in ihr ... Feuer! Wie würde es hier drinnen aufflammen können! Feuer! Feuer! Ich schrie, ich rief, laut, wie ich es noch nie zuvor getan hatte. Und ich schlug mit meinem Stock gegen die Lampe! Ein gewaltiges Auflodern, eine Flamme, eine Explosion. Ich fühlte die Hitze. Und das Feuer schlängelte sich weiter, erfaßte die Leinwand ... sie leuchtete und alles wurde ein Flammenmeer.

Ein hundertfältiger Schrei! Jammer und Entsetzen!

Ich fuhr auf. Wo war ich? Im Bett. In meinem Zimmer. Und doch nicht da! Ich war in der Jean Goujou-Straße gewesen ... Gott weiß es, ich war da gewesen. –

Ich wurde unruhig. Ich glaube, ich betete. Ich stand auf. Mein Fieber hatte nachgelassen. Ich zog mich an und ging rasch hinaus. Es war, als umschwärmten mich die ganze Zeit Tausende von Schatten. Sie lachten, sie triumphierten, sie erzählten. Ich eilte nach der Jean Goujou-Straße. Dort flammte das Feuer. Welch' Entsetzen! Sie waren bei lebendigem Leibe verbrannt. Kein Rauch hatte sie erstickt. Sie waren bei lebendigem Leibe verbrannt. Ich merkte den süßlich widerlichen Geruch verbrannten Menschenfleisches!

Ich meldete mich selbst bei der Polizei und gestand alles. »Nehmen Sie mich fest! Ich kann die Schuld nicht tragen! Nehmen Sie mein Blut! Hindern Sie mich daran, noch mehr Unheil anzustiften!«

Hm, sie untersuchten die Sache. Mit ihren klugen Nasen und ihren bebrillten Augen. Mein Alibi wurde festgestellt und eine Zeitung schilderte mich als ein armes, schuldloses, degeneriertes Individuum, das durch das Unglück zu einer fixen Idee gekommen sei.«

Er stand still, blickte auf, als erwachte er. Dann machte er eine tiefe Verbeugung.

»Jetzt haben Sie gehört. Und jetzt trennen sich unsere Wege. Es erleichtert, sich offen aussprechen zu können. Ich sehe Ihnen an, daß Sie nicht begreifen. Aber Sie sagen auch nichts. Und dafür danke ich Ihnen ... Aber wahr ist alles, was ich Ihnen erzählte. So wahr, wie der Raum über uns ewig ist. Adieu, mein Herr.«

Er grüßte noch einmal. Wartete nicht einmal meine Erwiderung seines Grußes ab, wandte sich schnell um und ging raschen Schrittes davon. Er war verschwunden, ehe ich wieder recht zur Besinnung kam.

* * *

»Nach den Hallen!« rief ich einem Droschkenkutscher zu. Und er fuhr mich weit und lange. »Halten Sie bei Baratte!« rief ich.

Und ich ging ins Café Baratte und suchte mir im innersten Raum einen Platz aus, wo die meisten Leute waren. Und ich aß und trank, so viel ich nur konnte, ließ die Musik meine Lieblingsstücke spielen und plauderte eifrig mit den fröhlichen Nachtschwärmern.

Ich wollte um alles in der Welt nicht mehr an ihn denken!

Erst als die Morgendämmerung heranbrach, verließ ich das Lokal. Ich sah Fleisch und Gemüse zu großen Bergen zusammengehäuft. An dieses »wirkliche« Leben klammerte ich mich fest. Meine Augen weideten sich an Ochsenleibern und Schafrümpfen, an Schweinefleisch und Hühnern; ich sog den Duft von Salat, Kohl, Erdbeeren und Pfirsichen ein; ich streichelte den großen englischen Pferden die dampfenden Schenkel und ich nickte den kräftigen Leuten zu, die so früh schon auf den Beinen waren ...

Aber ... die Teufel des Wahnsinns lagen doch irgendwo und heulten!

* * *


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