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IV. Die Geheimnisse von Red Castle.

Im St. Katharinen-Dock, dem ältesten Hafen Londons, welcher sich mitten im Zentrum der Riesenstadt befindet, lag schon seit zwei Wochen ein Schiff, von welchem damals in London viel gesprochen wurde. Es war ein ganz merkwürdiges Ding, sah fast aus, wie eine riesige Zigarre, mit zwei Schornsteinen und einem kurzen Signalmast darauf. Die Zeitungen machten darauf aufmerksam, daß dieses interessante Fahrzeug nach dem Typ der neuen Torpedojäger auf einer New-Yorker Werft erbaut worden wäre, auch aus Stahl, aber ohne Panzerung, denn es sei eine Privatjacht, freilich ein sonderbares Vergnügen, denn die runde Riesenzigarre mußte sich in der hochgehenden See förmlich umkugeln.

Wer war denn ihr Besitzer?

Als das Ding die Themse heraufgedampft war, hatte man sich nicht nur über die seltsame Zigarre gewundert, sondern auch über die merkwürdige Flagge am Heck: eine junge Hexe, welche auf einem Flederwisch durch Sturm und Gewitter reitet. Es gibt kuriose Schiffsflaggen, aber so eine hatte man doch noch nicht gesehen, das war originell. Daher also der Name ›Wetterhexe‹.

Als aber nun die Zollbeamten mit der Plombenzange an Bord kamen und von dem Kapitän empfangen wurden, da war das Staunen erst recht groß.

»Kapitän Flederwisch!!!« erklang es wie aus einem Munde, und dann vergaßen alle, diesen Mund wieder zuzumachen. Denn Flederwisch war doch sämtlichen

englischen Zollbeamten als professionsmäßiger Schmuggler bekannt, man lauerte nur immer darauf, ihn dabei endlich einmal zu fassen.

»Was für Schmuggelware habt Ihr denn diesmal an Bord?« stellte dann einer die naive Frage.

»Nein, geschmuggelt wird nicht mehr, ich hab's nicht mehr nötig. Ich habe genug dabei verdient. Besonders bei meiner letzten Fahrt, vor einem Vierteljahre, als ich nach England 3000 Tonnen Tabak und ebensoviel Spirituosen paschte – es sollte mich doch sehr wundern, wenn die Herren nicht davon Witterung bekommen hätten, das heißt hinterher – das hat mich zum reichen Manne gemacht, jetzt habe ich mir eine eigene Lustjacht angeschafft, fahre bloß noch zu meinem Vergnügen in der Welt herum.«

So gemütlich wird es hinterher mit der Schmuggelei genommen.

Wir freilich wissen es besser, woher Flederwisch die Jacht hatte, und wer der eigentliche Besitzer derselben war. Aber die Zollbeamten wußten es doch nicht. Die mußten es wohl oder übel glauben, was ihnen der Kapitän da sagte.

Die ›Wetterhexe‹ nahm Kohlen ein, dazu mußte sie noch öfters von Beamten betreten werden, und diese konnten nicht genug erzählen, was sie an Bord zu sehen bekommen hatten.

Allerdings gerade mit verschwenderischer Pracht war die Jacht nicht eingerichtet, es fehlte schon dadurch an Komfort, daß alle bewohnbaren Räume nur sehr klein und niedrig waren. Was aber den Fachleuten am allermeisten imponierte, das waren die kolossalen Maschinen, welche der Jacht eine Schnelligkeit bis zu 24 Knoten verliehen, damals eine unerhörte Schnelligkeit.

Und dennoch, auch bei dem Mangel an Luxus, fehlte es nicht an Beweisen, daß Kapitän Flederwisch ein Mann war, der sein Geld anzuwenden wußte. So zum Beispiel, um nur ein einziges anzuführen, hatte er an Bord seinen eigenen Eisenbahn-Wagen, mit Küche und allem eingerichtet, was zu einem Luxuswaggon gehört, um darin völlig wohnen zu können.

Was man ferner an der Jacht interessant fand, das war die Besatzung, welche aus nicht weniger als 26 Mann bestand. Kapitän Flederwisch hatte da eine wahre Musterkarte von allen Nationen und allen Farben, vom tiefsten Pechschwarz an bis zum reinsten Weiß eines schwedischen Stewards. Es mußten alles tüchtige Seeleute sein, das sah man ihnen an, und ferner, daß sie an Bord dieser Jacht keine Not zu leiden hatten. Sie trugen sämtlich eine gleiche, schmucke Uniform.

Das Zusammensuchen dieser Leute war des Kapitäns Arbeit gewesen, so lange sich das Schiff noch im Bau befunden, fast ein halbes Jahr lang hatte er deswegen die weitesten Reisen gemacht, und in den Hafenstädten mochte er manchen alten Bekannten aufgetrieben und zu sich an Bord genommen haben. Nur einige wenige hatte Nobody selbst besorgt, unter diesen war einer, der vom ersten Tage an, da die Jacht im Hafen von London lag, in der weiteren Umgebung eine bekannte Persönlichkeit wurde.

Es war des Kapitäns Ordonnanz, die besonders die Post zu besorgen und dienstliche Wege zu erledigen hatte. Gleich als er sich das erstemal mit seiner großen Ordonnanztasche auf der Straße sehen ließ, da hatte er sofort seinen Spitznamen weg, sogar deren zwei – Nasenkönig oder Zwergnase – und alles blieb stehen und lachte, und dabei wäre ein Spitzname gar nicht nötig gewesen, denn der eigentliche Name dieses originellen Kerlchens war Puttfarken, Jochen Puttfarken – und Puttfarken ist doch gewiß auch ein schöner Name.

Es war gerade kein Zwerg, nur ein sehr, sehr kleiner Mann, wozu auch das viel mit beitrug, daß seine kurzen Beinchen noch etwas weiter nach außen geschweift waren, als es die Anatomie des Menschen für gewöhnlich erlaubt. Auf diesem Untergestell nun ruhte ein gewaltiger Oberleib mit noch gewaltigeren Schultern, und von diesen Schultern gingen ein Paar Arme herab, welche mit den Händen fast den Boden berührten – und was waren das für Hände! mit Gelenken, welche von keinem Griffe umspannt werden konnten – nein, das waren überhaupt keine Hände, sondern das waren fünfzinkige Kohlenschippen.

Trotz dieses kolossalen Knochenbaues schien der kleine Mann wie aus Kautschuck zusammengeknetet zu sein. Hiervon hatte er dem Publikum zwar noch keinen Beweis gegeben, aber das erkannte man schon aus seinem Gange – – oder das war eigentlich auch kein Gang, gehen konnte er gar nicht, sondern nur traben, ein ganz eigentümliches Rennen, wobei er mit seinen Kohlenschaufeln mächtig schlenkerte.

Das Interessanteste an ihm aber war das Gesicht, und das Hervorstehendste in diesem die Nase. Doch eigentlich war das auch wiederum keine menschliche Nase, auch kein Geierschnabel, auch kein Lötkolben, auch kein Leuchtturm – das war einfach ein Zinken. Unter diesem Zinken hatte er einen breiten Schlitz, der von einem Elefantenohre bis zum andern reichte, und über diesem Zinken war links und rechts dort, wo andere Menschen sonst ihre Augen haben, wieder je ein Schlitz, welcher immer pfiffig und vergnügt blinzelte. Aber von eigentlichen Augen gar keine Spur!

Nun, für sein Aussehen kann niemand etwas. Kapitän Flederwisch und sein Kompagnon wußten schon, wem sie ihre Brieftasche anvertrauten. Wir werden diese Ordonnanz später noch näher kennen lernen. Gleich im voraus sei nur noch erwähnt, daß sich Jochen Puttfarken selbst für den schönsten Mann auf Gottes Erdboden hielt, und hiervon war er allein schon deshalb überzeugt, weil ihm immer alle Menschen nachguckten, am allermeisten die ›Mächens‹.

 

Dem Quai, an welchem die ›Wetterhexe‹ lag, näherte sich in dunkler Abendstunde ein Mann in Fischertracht. Wir kennen ihn, es ist Nobody, welcher soeben von Rechtsanwalt Sir Clane kommt, dem er den spiritistischen Apport vorgemacht hat.

Vor dem Laufbrett hielt ein Matrose Wache.

»Ist der Kapitän schon wieder von Harrydocklane zurück?« wurde er von dem Fischer angeredet.

Der schwarze Matrose hatte den sich nähernden Mann gemustert, auf diese Frage hin trat er sofort zurück und ließ ihn passieren.

In London gibt es gar nichts, was ›Harrydocklane‹ heißt, das war eben ein Stichwort, und bei dem Verwandlungskünstler war ein solches auch stets unbedingt nötig, sonst hätten ihn ja seine eigenen Leute nicht erkannt, und Nobody konnte sich jeder nennen.

Er stieg durch eine Luke in einen engen, hell-erleuchteten Gang und klopfte an eine der Schiebetüren.

» Come in! «

Nobody trat in die kleine Kajüte, der eigentliche Jachtbesitzer, der aber keine Höflichkeit außer acht ließ, befand sich dem von ihm bezahlten Kapitän gegenüber.

»Ich gratuliere,« begrüßte der Kapitän seinen Schiffsherrn. Denn die beiden sahen sich nach Nobodys heutigem Riesenerfolge zum ersten Male wieder.

»Danke,« entgegnete der Detektiv kurz. »Ist Keigo Kiyotaki gekommen?«

»Ja, 20 Minuten nach 6 Uhr fand er sich an Bord ein. Ich war natürlich sehr erstaunt, als er sich zu erkennen gab.«

»Ich paßte auf, wann er aus dem Gefängnis entlassen wurde, heftete mich an seine Fersen und war im rechten Augenblick zur Stelle, ehe es so weit kam, daß er mit aufgeschlitztem Leibe in die Themse stürzte.«

»Also er wollte wirklich Selbstmord begehen? Ich denke, er ist ein Sintus, welcher nicht töten, also auch keinen Selbstmord begehen darf?«

»Er ist kein Sintus mehr. Er ist gar nichts mehr. Der arme Kerl, der aus Pietät gegen den Vater solch eine Tat beging, hat Vaterland und alles verloren. So sagte er mir. Aber ich habe ihm den Kopf gewaschen und ihm bewiesen, daß man auch ohne Heimat wahre Freunde haben kann, und als ich ihn entließ, da wußte ich, daß er sich an Bord meines Schiffes begeben würde, deshalb brauchte ich ihn nicht erst zu begleiten, ich hatte noch anderes vor. Wo befindet er sich jetzt?«

»Er hat gegessen, jetzt schläft er. Bleibt er an Bord, Master?«

Master war Nobodys gewöhnlicher Titel an Bord zum Unterschiede vom Kapitän.

»Gewiß bleibt er an Bord, ich muß dem Jungen doch wenigstens ein Heim bieten. Er ist ein Japaner, in alle Mysterien der Priesterkaste eingeweiht und ... ich denke ihn noch recht gut gebrauchen zu können.«

»Darf ich Sie auf etwas aufmerksam machen?«

»Bitte sehr, Herr Kapitän.«

Jetzt ging es zwischen den beiden etwas anders zu als damals, da sie sich in Brotteig einwickelten.

»Es gibt mir zu denken, daß dieser Japaner während des Prozesses so gänzlich von seinen hier ansässigen Landsleuten verlassen, förmlich verleugnet wurde, die japanische Gesandtschaft lehnte sogar ab ...«

»Ganz gewiß,« fiel Nobody seinem Kapitän ins Wort. »Keigo Kiyotaki hat ein Fürstengrab geplündert, so etwas ist auch bei uns schon ein ganz gehöriges Verbrechen – er hat ein Monikono-Schwert daraus entwendet – – das ist nach japanischen Ansichten ein Vergehen, so ungeheuerlich, daß wir es gar nicht mit Worten ausdrücken können. – Ja, Kapitän, wir werden uns in nächster Zeit nach China begeben, werden uns in nächster Nähe Japans befinden, es könnte doch bekannt werden, daß dieser Keigo Kiyotaki bei uns an Bord ist – – wir dürften noch die größten Unannehmlichkeiten von unserer Menschenfreundlichkeit haben, uns den größten Gefahren aussetzen, denn ... ich kenne die Japaner, sie sind zu allem fähig, wenn es gilt, den Bruch eines Geheimnisses ihrer Kaste oder ein religiöses Vergehen zu rächen. Aber ... wollen wir da zu Kreuze kriechen und den jungen Japaner nicht lieber doch von Bord weisen, ehe wir uns solchen Gefahren aussetzen?«

Kapitän Flederwisch hatte verstanden, was jener meinte, und er lächelte, als er seine riesige Gestalt zur vollen Größe aufrichtete, daß sein Kopf fast gegen die Decke stieß.

»Ich hatte Sie nur darauf aufmerksam machen wollen,« entgegnete er dennoch ganz einfach, weitere Worte verschmähend.

»Haben Sie schon von dem sogenannten Goto-Schatz gehört, Kapitän?« begann Nobody wieder.

»Ja, ich habe den ganzen Fall verfolgt, und dabei hat sich ja herausgestellt, daß Keigo der letzte Erbe einer ganzen Reihe von Familien ist, welche alle zum Goto-Geschlechte gehörten und riesig reich gewesen sind. Aber aus einer Erbschaft wird jetzt wohl nichts mehr werden, das ganze Vermögen konfisziert doch jedenfalls der Staat oder die Kirche.«

»Natürlich, da ist nichts mehr zu wollen,« bestätigte Nobody, sich wiederholt sinnend das Kinn reibend, »in dieser Hinsicht ist Keigo jetzt arm wie eine Kirchenmaus. Nein, ich meine mit diesem Goto-Schatze eigentlich auch etwas ganz anderes. Auch ich habe schon von diesem sagenhaften Schatze gehört, es könnte sein, daß doch etwas Reelles daran ist. Nun,« fuhr der Detektiv fort, aus seinem Sinnen erwachend, »ich werde meinen Schützling bei Gelegenheit auf den Zahn fühlen. – Sind Briefe für mich angekommen?«

»Wenigstens sechs Dutzend, Mr. Hawsken wird sie schon sortiert haben.«

Nobody verließ die Kajüte und betrat eine Kammer, in welche der enge Gang auf Backbordseite ausmündete. Diese kleine Kammer war als Toilettenraum eingerichtet, er enthielt einen riesigen Waschtisch, auf dem nichts fehlte, was ein Schauspieler zum Anschminken einer Maske braucht, und dann vor allen Dingen fielen die großen Spiegel auf, welche an allen Wänden angebracht waren.

Der Detektiv drückte auf einen Knopf und brachte den Mund an ein Sprachrohr, er wünschte einen Mann Namens Hassan, und gleich darauf erschien ein junger Araber. Diesem teilte er verschiedenes mit, wobei es sich zeigte, daß Nobody ebensogut das Arabische beherrschte, wie das Japanische. Wie mit Keigo, so redete er jetzt mit dem Araber in dessen Muttersprache.

Als Hassan die Kammer wieder verließ, trug er den Fischeranzug, dessen sich Nobody entledigt hatte, kunstvoll zusammengerollt unter dem Arm, das ganze Kostüm bis auf die hohen Seestiefel. Der Araber befand sich in dem sehr langen, aber kaum einen Meter breiten Korridor, der auf dieser Seite durch das ganze Schiff lief. Der Mann bückte sich. Plötzlich schob sich die ganze eine Wand in die Höhe und verschwand oben in der Decke, also eine Art von Rolljalousie, und eine Unmenge von Schubkästen zeigte sich, jeder mit einer Etikette versehen, welche sagte, was für ein Kostüm der betreffende Kasten enthielt.

Allein diese eine hohle Schiffswand barg mehr als 200 verschiedene Anzüge, und dann gab es auch noch auf dieser einen Seite besondere Abteilungen für Perücken, falsche Bärte und dergleichen.

Das war es, wozu dieser Detektiv eine eigene Jacht für sich selbst gebrauchte! Und weil er sie besaß, weil er auf diese Weise operierte, und weil er dieses stets als sein Geheimnis bewahrt hat – deshalb hat niemals jemand begreifen können, wie es dieser Privat-Detektiv ermöglichte, manchmal an einem Tage zehnmal und noch öfter sich zu verwandeln! Und es hat nicht an Leuten gefehlt, welche es sich förmlich zur Lebensaufgabe setzten, dieses Rätsel zu lösen.

Hiermit aber ist dieses Rätsel gelöst. Hinzu kommt noch, daß er auch in seinem eigenen Eisenbahnwagen diese Maskengarderobe immer mit sich führte, wenigstens einen großen Teil davon, den er während eines Ausflugs ins Land hinein zu benutzen gedachte.

Denn diese Verwandlungen in einem Hotel auszuführen, daran ist ja gar nicht zu denken, die Kellner würden ja gleich beim ersten Male stutzen, wenn sie aus einem Zimmer einen anderen Mann heraustreten sehen.

Nobody aber brauchte auch keinen direkten Aufpasser zu fürchten, er konnte seine Jacht als Matrose, seinen Eisenbahnwagen, den er irgendwohin rangieren ließ, in der Maske des Koches verlassen, und wenn er wollte, konnte er sogar als ein ganz anderer wiederkommen, denn jeher einzelne Anzug war wiederum doppelt, er brauchte ihn nur zu wenden, was an einem entlegenen Orte leicht zu bewerkstelligen war, und er erschien wiederum als ein vollkommen anderer.

Wir werden später noch sehen, wie er einmal einen Verfolger, der ihn entlarven wollte, auf diese Weise immer wieder getäuscht hat.

Der Jachteigentümer beanspruchte nur die hohlen Bordwände für seine Garderobe, die kleine Toilettenkammer und eine größere, zum Kontor eingerichtete Kabine, in welcher er auch schlief – wenn er wirklich einmal schlief! Es ging nämlich die Sage, daß Nobody überhaupt keines Schlafes bedürfe, oder mit offenen Augen schliefe – in allen übrigen Räumen des Schiffes konnte Kapitän Flederwisch walten und schalten, wie er wollte, er konnte darin Gesellschaften und Feste geben, Nobody behinderte ihn nicht dabei.

 

Als ein jugendschöner Lockenkopf, in einen bequemen, aber höchst eleganten Anzug gekleidet, ging der vor wenigen Minuten noch so plumpe Fischerknecht durch eine Spiegeltür aus dem Toilettenzimmer in sein Bureau.

Auf der einen Seite des doppelten Schreibtisches, auf welchem der kleinste Gegenstand seesicher befestigt werden konnte, erhob sich ein junger Mann, dessen blitzender, durchdringender Blick auffallend war.

Es war Mr. Hawsken, Nobodys Sekretär, der ehemalige Angestellte eines Detektiv-Institutes, den jener für seine eigenen Zwecke erzog, förmlich dressierte.

»Es sind 76 Briefe eingelaufen.«

»Mr. Hawsken, blitzen Sie mich nicht so an, wenn Sie mir dies melden, beherrschen Sie Ihre Augen, Sie müssen sich mehr vor dem Spiegel üben. Man sieht es Ihnen ja auf eine Meile Entfernung an, daß Sie ein Detektiv sind. – Ist etwas Besonderes darunter?«

Der so zurechtgewiesene Sekretär stattete Bericht ab.

Sämtliche Briefe waren an den Detektiv gerichtet, aber an die New-Yorker Redaktion von ›Worlds Magazine‹ adressiert, sie wurden ihm regelmäßig nachgeschickt. In den meisten wurde der in Amerika schon berühmt gewordene Detektiv gebeten, die Verfolgung eines durchgegangenen Kassierers oder eines anderen Individuums, welches mit Geld flüchtig geworden, aufzunehmen.

Denn Nobody hatte in Amerika bereits zwei durchgegangene Kassierer dingfest gemacht und ihnen die Beute wieder abgenommen, das eine Mal hatte es sich dabei um Millionen gehandelt.

Außerdem kamen immer noch gewöhnliche Einbrüche in Betracht, geheimnisvollere Diebstähle von Juwelen und dergleichen. Der Detektiv von ›Worlds Magazine‹ sollte vermißte Personen wieder herbeischaffen, und schließlich sogar wollte man ihn häufig in Spukgeschichten verwickeln.

Als Geisterbanner hatte er dadurch besonderes Renommee erlangt, daß er einmal ein spiritistisches Medium entlarvt, ein andermal einem Klopfgeist das Handwerk gelegt hatte.

Kurz und gut, Nobody war eben in den Ruf eines Geisterbeschwörers und Geisterbanners gekommen, und ein solcher hat ja nun in Amerika ein weites Feld. –

»Hier ist ein Brief, der wieder eine Spukgeschichte enthält,« sagte der Sekretär lächelnd, »und er wird Sie besonders deshalb interessieren, weil er gerade hier aus England kommt.«

Nobody nahm das Schreiben. Der Brief war von einer Frauenhand in unorthographischem Englisch und entsprechendem Stil geschrieben. Wir geben ihn in möglichst wortgetreuer Uebersetzung wieder:

»Hochgeehrter Herr Detektiv Nobody!

Sie wissen doch, daß mein seliger Mann vor acht Jahren die Red Farm bei Trura in Cornwall gekauft hat. 7000 Pfund haben wir für das kleine Ding bezahlt, aber mein Mann war ganz verrickt, und ich war auch ganz verrickt, weil zu der Farm das Red Castle gehört, und das riesige Schloß ist doch alleine 7000 Pfund wert, sogar wenn's auf Abbruch verkauft wird. Aber da sind wir ganz grimmig reingefallen. Wir sind nämlich aus Irland und wußten nichts davon und hatten's eilig und griffen gleich zu, weil's so billig war mit dem schönen, mächtig großen Schlosse. Aber in dem Schlosse spukt's nämlich, wie Sie doch auch schon wissen, und da will's kein Hund haben, nicht einmal geschenkt, und Steine gibt's hier so viele, daß man das Schloß nicht erst abzubrechen braucht, wo man die Steine erst den hohen Berg herunterschleppen muß.

»Da ist nämlich vor so an die 200 Jahre der Lord Douglas gewesen, der letzte Schloßherr, der keine Kinder gehabt hat. Das war ein ganz wütender Mann, nur so zum Zeitvertreib hat er fremde Wanderer in sein Schloß gelockt und hat sie eingesperrt und hat sie verhungern lassen, seine eigene Frau hat er verhungern lassen, sogar seine Bauern hat er eingesperrt und hat probiert, wie lange sie's aushalten können, bis sie ganz tot sind. Und nebenbei hat er egal an die Wände gemalt. Daderwegen hat der Lord nun keine Ruhe im Grabe und muß in dem alten Schlosse noch jetzt das treiben, was er vor 200 Jahren bei Lebzeiten getrieben hat. Wenn jemand in das Schloß hereinkommt, dem schmeißt der Geist hinter dem Rücken die Türe zu und verriegelt sie, daß man verhungern muß, und dann malt der Geist auch noch egal an die Wände, besonders wenn nach einem recht hellen Tage eine recht finstere Nacht ist, und da will eben kein Hund das Schloß kaufen, weil sich doch niemand mit einem Male einsperren lassen will, um nachher zu verhungern, und dann die Malerei an die Wände, das ist doch auch zu dumm.

»Hochgeehrter Herr Detektiv Nobody!

Ich weiß, daß Sie etwas dagegen tun können, und dann tun Sie's doch, ich bitte Sie aus ganzem Herzen vielmals darum, damit ich den Geist endlich aus meinem Schlosse bekomme und ich es verkaufen kann, und dann sollen Sie auch etwas davon abhaben, sagen Sie nur, wieviel Sie haben wollen. Ich habe nämlich schon viel von Sie gelesen. Meine Nichte, die in Amerika ist, hat mich nämlich einmal besucht und brachte mir aus Amerika drei Pfund Apfelmus mit, das war in Papier gewickelt, dadrauf stand ›Worlds Magazine‹, und was ich da von Sie lesen tat, das hat mir so gefallen, daß mein Verwalter gleich nach Amerika schreiben und die Zeitung bestellen mußte, und nun lese ich egal von Sie, und weil Sie doch schon eine ganze Menge Geister gehascht haben, da werden Sie doch auch den toten Lord fangen, daß er in meinem Schlosse nicht egal die Türen zuschmeißt und mir auch noch meine Wände vollmalt. Vielleicht brauchen Sie deswegen gar nicht erst hierher zu kommen, Sie können das gleich von Amerika aus machen, denn Sie wissen und können doch alles, und daß ich Ihnen etwas davon abgebe, wenn ich das Schloß verkauft habe, darauf können Sie sich verlassen, fragen Sie nur irgend jemand, ich bin eine ehrliche Frau. Oder vielleicht ist es doch besser, wenn Sie einmal herüberkommen, und wenn Sie Reisegeld brauchen, schreiben Sie's nur, ich schick's Ihnen, ich lasse es mir etwas kosten, wenn Sie nur den Spuk wegbringen ...«

Nach einigen Zeilen mit Grüßen und Respektbezeugungen, folgte der Name: Lydia Joke Mitchell – und dann die genaue Adresse: Red Farm bei Trura, Grafschaft Cornwall, England.

Geschrieben und zur Post gegeben war der Brief schon vor fast drei Wochen, er hatte ja seinen Weg über New-York zurück nach England genommen.

Nobody lachte aus vollem Halse.

»Nein, wahrhaftig, diese Missis Joke Mitchell möchte ich kennen lernen. In England hat man mich bisher nur verspottet, diese Frau macht meine Bekanntschaft durch drei Pfund amerikanisches Apfelmus, abonniert sofort auf meine Zeitung und kommt mir gleich mit solchem Vertrauen entgegen. Nein, wahrhaftig, diese Glaubensseligkeit sollte wirklich belohnt werden! – Hawsken, haben Sie schon etwas von diesem Red Castle gehört?«

Der Sekretär, obgleich ein geborener Engländer, mußte verneinen.

»Die Halbinsel Cornwall, hm,« fuhr Nobody nachdenklich fort, »wo jetzt, mitten im Winter, schon der Frühling beginnt. Ich habe sie schon immer gern besuchen wollen, und ... ich möchte dieser braven Frau wirklich gern einen Dienst erweisen, und wenn ich ihr auch nur das verwünschte Schloß abkaufte. Gewiß, wenn es mir sonst gefiele, würde ich es gleich kaufen, unter solchen Umständen wird es ja nicht teuer sein. – Aber ich begreife gar nicht, wenn das Schloß gut erhalten, eine romantische Lage hat und einen mäßigen Preis wirklich wert ist, sollte sich denn da kein Mensch finden, der es kauft? Es gibt doch auch genug spukfreie Engländer.«

Hier zeigte es sich, daß der Sekretär ein kluger Kopf war, der auch einmal seinen Meister belehren konnte.

»Das wohl, aber die Sache ist die, daß man für solch ein unheimliches Schloß keine Dienerschaft findet. In Cornwall sicher nicht, dort ist der Aberglaube zu Hause, fremde Diener bekommen es schnell zu hören und werden angesteckt, und dann bedanken auch die sich.«

»Ah, da haben Sie recht! Nun, so etwas liebe ich gerade. Well, ich werde mir die Geschichte spaßeshalber einmal ansehen. Wo liegt dieses Trura? Wie und wann fahre ich hin?«

Das war auf der Karte und im Fahrplan schnell ausgekundschaftet. Jetzt war es noch nicht neun Uhr, kurz vor Mitternacht ging ein Schnellzug nach dieser Richtung ab, es war eine weite Fahrt; trotz der schnellsten Verbindung konnte Nobody erst morgen mittag in Trura sein. Aber sein Entschluß war sofort gefaßt.

»Hassan!«

Der gerufene Araber erschien.

»Dichter Nummer zwei – nein, Dichter Nummer eins. Ich muß einen kapitalkräftigen Eindruck machen.«

Nobody griff noch einmal zu dem Briefe, und wieder wandelte ihn eine Lachlust an, der er sich hier ungezwungen hingeben konnte.

»Ein Geist, welcher egal die Türen zuschmeißen tut und auch noch die Wände vollmalt, hahaha!«

So lachte Nobody. Aber er sollte in dem alten Schlosse etwas erleben, wobei ihm das Lachen verging! –

 

Schon unterwegs in der Eisenbahn, als man sich der Grafschaft Cornwall näherte und Leute aus dieser Gegend einstiegen, hatte Nobody über Red Castle Erkundigungen eingezogen und auch manche erhalten, aber nur ein einziger Herr konnte genauere Auskunft über den letzten Schloßherrn geben, er hatte einmal in einer Londoner Adelschronik darüber nachgelesen, und dabei hatte er eine Möglichkeit gefunden, wie die Sage von dem Spuk vielleicht entstanden sein konnte.

Da hatte es nämlich in krausem Stile geheißen, daß Lord John Douglas von Cornwall ein ›kluger Mann, aber auch ein böser Gesell', der jedem Schabernack spielte‹, gewesen sei. Er war viel gereist, war in Skandinavien und im heiligen Land gewesen, hatte von dort ›große Wissenschaft‹ mitgebracht. Dann zog er sich auf Red Castle zurück und wurde ein einsamer Sonderling, welcher ›geheime, teuflische Künste‹ trieb – also Alchimie. Sein Weib starb langsam an der ›zehrenden Sucht‹.

Vor Nobody öffnete sich ein freundliches Tal, zwischen dessen grünen Triften die Wirtschaftsgebäude der roten Farm lagen.

Er fand den Weg zum Herrenhaus, ein Mädchen führte ihn in den ›Parlour‹, was bei uns die gute Stube sein würde, und es dauerte nicht lange, bis eine alte dicke Frau mit allen Zeichen der Hast hereinkam.

Aber beim Anblick des langhaarigen Dichters Nummer eins blieb sie wie enttäuscht stehen.

»Ach, ich dachte, es wäre der Herr Detektiv Nobody! Nee, der sieht ganz anders aus.«

»Verzeihung, Mrs. Mitchell, daß ich nicht der bin, welchen Sie zu sehen erwartet haben,« lächelte der Dichter Nummer eins, »mein Name ist Ferrol. Aber in der Tat, Sie warten auf den Besuch dieses Detektivs, welcher auch mir von Amerika aus bekannt ist?«

»Nu freilich, ich habe ihm doch geschrieben, er soll mir wiederschreiben oder lieber gleich zu mir herkommen, ich will ja alles gern bezahlen, aber er soll mir nur den Geist weghaschen, daß ich das Red Castle verkaufen kann, sonst will's ja kein Hund haben.«

»Ah, Sie würden das Schloß verkaufen?« fragte der Dichter Nummer eins und Geisterhascher mit freudiger Ueberraschung.

»Nu freilich, na und ob! Wollen Sie's vielleicht kaufen?«

»Vielleicht, oder doch mieten, ich muß es mir nur erst einmal ansehen.«

Plötzlich machte die alte, brave Frau ein recht mißtrauisches Gesicht.

»Mieten? Wozu denn? Was wollen Sie denn mit dem alten Schlosse anfangen?«

»Nun, darin wohnen. Ich würde es mir behaglich einrichten lassen.«

Das Mißtrauen der alten Bäuerin wuchs nur noch.

»Wissen Sie denn, was es mit diesem Schlosse auf sich hat?«

»Es soll darin spuken.«

»Es soll? Nee, es spukt wirklich darin, und zwar tüchtig!! Und wissen Sie, wie es darin spukt?«

»Der alte Lord Douglas, der letzte Schloßinhaber, soll darin umgehen, soll an die Wand feurige Buchstaben malen und diejenigen, welche sein Haus zu betreten wagen, einschließen, damit sie verhungern.«

»Das wissen Sie? Und da wollen Sie in dem Schlosse wohnen?«

»Jawohl. Ich fürchte mich nicht; denn ich glaube nicht an so etwas.«

»So, glauben nicht daran, wo wir's alle ganz genau wissen? Wie heißen Sie denn eigentlich?«

»Ich stellte mich Ihnen schon vorhin vor. Ferrol ist mein Name.«

»Und was sind Sie denn eigentlich?« examinierte die brave Bäuerin weiter.

»Ich bin ... Schriftsteller.«

»Schriftsteller? Was ist denn das?«

»Geschichten schreibe ich. Halten Sie sich nicht eine Zeitung? Da steht doch gewiß eine lange Erzählung drin, die teelöffelweise eingegeben wird, und am Schlusse heißt es jedesmal: ›Fortsetzung folgt‹.«

»Ach, ach so, so ein Geschichtenschreiber sind Sie?« rief die Bäuerin mit wahrer Erleichterung.

»Jawohl. Und wenn ich einmal die Dichteritis kriege, mache ich auch Verse. Ich bin auch Dichter.«

»Ach – ach so! Dichter sind Sie! Das hätten Sie mir gleich sagen sollen! Unser Pfarrer hat einen Neffen, das ist auch so ein verlorener Mensch, der macht auch Verse und schreibt solche Geschichten. Wie der einmal bei unserm Pfarrer zu Besuch war, schrie er schon früh um dreie nach Punsch, und unser Pfarrer meinte dann, so wären sie alle, die Dichter hätten alle einen Piepmatz im Kopfe, manchmal gleich sechse. Ja, wenn Sie so einer sind, dann wundert es mich nicht mehr, wenn Sie in dem alten Schlosse wohnen wollen.«

»Dann ist es ja gut, dann haben Sie es erfaßt. Jawohl, ich will in dem verwunschenen Schlosse Stoff zu einer Spukgeschichte suchen.«

»Stoff? Da drinne gibt's keinen Stoff, da gibt's nur Dreck und Ratten.«

»Na, Mrs. Mitchell, lassen wir dieses Thema nun einmal ruhen, in dieser Hinsicht können wir uns doch nicht verstehen. Also: ich besehe mir jetzt das Schloß, und wenn es mir gefällt, so miete ich es, um darin zu wohnen. Gefällt mir das Wohnen darin, so kaufe ich es vielleicht auch. Einverstanden?«

Ja, die Bäuerin war damit einverstanden, nachdem sie einmal erfahren, daß sie so einen verrückten Kerl vor sich hatte.

»Wieviel bezahlen Sie für das Schloß?«

»Was weiß ich? Erst muß ich es mir doch besehen. Aber wieviel Sie verlangen, das werden Sie wissen.«

»Gott, was soll ich dafür verlangen? So viel, wie es wert ist.«

Bei einem Bauern kann man doch nicht gleich so ohne weiteres einen Preis erfahren, auch nicht von einer englischen Bäuerin.

»Na, wieviel Miete wollen Sie denn da für ein Jahr haben?«

Wieder ein langes Schlüssen und Drucksen.

»Würden Sie ... würden Sie ... 5 Pfund dafür geben?«

»Für das ganze Jahr?« rief Nobody in einem Tone des Erschreckens.

»Ja ... ich dachte ... aber wenn Ihnen das zuviel ist ...«

Na, wenn es hier so stand, für 100 Mark das riesige Schloß auf ein ganzes Jahr mieten ... dann konnte das Schloß auch nicht viel kosten.

Noch eine Viertelstunde verging, dann hatte Nobody das Schloß für 1000 Pfund Sterling gekauft, in Gegenwart von Zeugen eine Anzahlung gemacht.

Die Bäuerin war glücklich, sie spendierte eine Flasche Whisky, und die Bauern blickten spöttisch nach dem verrückten Stadtherrn, der die Katze im Sacke gekauft hatte ... »Dort kommt auch schon mein Koffer.«

Ein Mann tauchte auf, einen ziemlich gewichtigen Koffer tragend. Nobody bezahlte ihn und wandte sich wieder an die Bäuerin:

»Nun, meine liebe Frau, jetzt schmieren Sie mir wohl noch einige tüchtige Butterbrote, vielleicht legen Sie auch etwas Fleisch drauf, zwei Pferdedecken können Sie mir doch auch mitgeben, und dann kann ich ja mein neues Schloß beziehen.«

Die Frau riß vor Schreck die Augen weit auf.

»Doch nicht mehr heute abend?«

»Gewiß, heute abend noch, ich will gleich diese Nacht in dem verwunschenen Schlosse verbringen.«

Jetzt schlug die Frau die Hände über dem Kopfe zusammen.

»Um Gottes willen, das ist ja Ihr unvermeidlicher Tod!!«

»Warum denn?«

»Der spukende Lord schließt Sie ein, daß Sie unrettbar verhungern müssen!!«

»Aber, meine gute Frau, das ist doch ganz einfach: da kommen Sie morgen früh einmal hin, Sie werden schon hören, wenn ich rufe, und die verschlossene Tür riegeln Sie wieder auf. Bis dahin habe ich ja genug zu essen bei mir.«

»Ich? Ich werde mich hüten, ich gehe nicht in das Schloß.«

»Da schicken Sie jemand anderen hin.«

»Wen denn? In das Schloß ist niemand zu bringen, denn da ist noch keiner lebendig wieder herausgekommen.«

»Ist denn überhaupt schon jemals einer hineingegangen?«

»So lange ich mich entsinnen kann, nein.«

»Na, wer ist denn da eigentlich schon von dem Geiste eingeschlossen worden? Wer hat denn schon einmal die Flammenschrift an den Wänden gesehen?«

»Mein lieber Herr,« begann jetzt statt einer Antwort auf diese Frage die Bäuerin mit erhobenen Händen zu flehen, »wenn Sie durchaus in das Schloß gehen wollen, dann nur wenigstens nicht gerade heute, heute war ein sonniger Tag, und wir haben Neumond, es wird eine stockfinstere Nacht, und gerade in solchen finsteren Nächten nach einem sonnigen Tage treibt's der Spuk am allertollsten, Sie verlieren ganz sicher Ihr junges Leben, vielleicht dreht Ihnen der Spuk auch das Genick um, wenn er's auch bisher noch niemals getan hat – aber auch in der Nacht drinzubleiben, so etwas hat noch niemand gewagt, und wo wollen Sie denn schlafen, das ganze Schloß ist ja leer, sie müssen sich auf die nackten Steinplatten hinlegen.«

Es war alles vergebens, der Dichter Nummer eins beharrte bei seinem Entschluß, gleich diese Nacht in dem Spukschloß zu verbringen, er suche einen Stoff, wolle das Gruseln lernen, und den größten Eindruck machte das auf die Bäuerin, daß er doch das Schloß bereits gekauft habe, und er könne doch nun tun, was ihm beliebe.

Endlich ging die Frau, um das Verlangte zu besorgen.

Unterdessen überlegte Nobody alles das, was er früher und jetzt über Red Castle zu hören bekommen hatte.

Die Vermutung lag sehr nahe, daß sich in dem einsamen Schlosse eine Diebesbande oder wahrscheinlich eher, da es sehr nahe am Meere lag, eine Schmugglerbande eingenistet hatte, welche die Spukgeschichten verbreitete, bei Gelegenheit auch handgreiflichen Spuk erzeugte, um jedermann von einem Betreten des Schlosses abzuschrecken.

Allein bei reiflichem Nachdenken mußte man diese Annahme fallen lassen.

Diese Spukgeschichten zirkulierten schon seit Menschengedenken. Wäre das Schloß der Schlupfwinkel einer Gaunerbande gewesen, so konnte das auf die Dauer in dieser Gegend nicht unentdeckt bleiben, so dumm sind die Bauern hier auch nicht. Und dann vor allen Dingen hätten doch Polizei und Zollinspektion sehr bald ganz denselben Verdacht gefaßt und das Schloß einer gründlichen Revision unterzogen! Aber nichts von alledem.

Nein, hierüber war Nobody schon hinaus. Etwas anderes war es, was jetzt seinen grübelnden Kopf aufs lebhafteste beschäftigte.

Wie kam es nur, daß alle behaupteten, der Spuk zeige sich besonders, wenn einem sonnigen Tage eine recht finstere Nacht folge?

Das war es, was Nobody stutzig machte, was in ihm den Glauben erweckte, daß an der Sache doch irgend etwas Wahres sein müsse. Er dachte an irgend eine Naturerscheinung, an eine Einwirkung des Sonnenlichtes, er dachte an ...

Die zurückkommende Bäuerin unterbrach sein Grübeln, Sie brachte ihm das Verlangte, zwei Pferdedecken und ein großes Paket mit Butterbroten.

»Befindet sich im Schlosse ein Brunnen?«

»Das wohl, aber der wird nicht mehr zu gebrauchen sein. Unten am Berge ist eine Quelle. Sie kommen vorbei.«

»Dann ist es gut. Muß ich einen Führer haben?«

»Einen Führer? Den bekommen Sie hier gar nicht. Na ja, bis unten ans Schloß. Aber Sie können den Weg gar nicht verfehlen, es geht hier immer geradeaus. Den Koffer kann Ihnen ja jemand bis unten an den Berg tragen, aber hinauf kommt niemand mit.«

»Wenn der Weg nicht zu verfehlen ist, dann ist es gut, den Koffer kann ich allein tragen. Das Tor ist nicht verschlossen?«

»Alles steht sperrangelweit auf.«

»Na, dann leben Sie einstweilen wohl, morgen früh auf Wiedersehen. Sorge um mich brauchen Sie nicht zu haben, ich werde so vorsichtig sein, alle Türen, die mich einschließen könnten, vorher auszuheben.«

»Das geht nicht, die sind viel zu schwer und auch so komisch eingerichtet, daran hat ja eben der alte Lord schon bei Lebzeiten gedacht.«

»Dann werde ich mir auf andere Weise zu helfen wissen, einsperren lasse ich mich jedenfalls nicht,« lachte Nobody, als er jener die Hand zum Abschied reichte.

Die Decken über der Schulter, in der einen Hand den Koffer, dessen Gewicht seinen elastischen Schritt nicht beeinträchtigte, verfolgte er den bezeichneten Weg, der ihn zunächst durch das Tal führte.

Seine Gedanken beschäftigten sich zunächst nicht mit dem Schlosse, welches für eine Weile wieder seinen Blicken entschwand, sondern mit jener Bäuerin, was er mit dieser für eine Unterhaltung gehabt hatte.

Er mußte immer noch einmal herzlich lachen, daß die Felswände des Tales widerdröhnten.

»Wenn ich das nächste Mal mit Bauern zu tun habe, wähle ich lieber die Maske eines Malers oder sonst eine, nur nicht wieder Dichter Nummer eins, auch nicht Nummer zwei oder drei.«

Da tauchte über seinem Haupte das mächtige Schloß auf, in dieser Nähe schon deutlich eine rötliche Farbe zeigend. Es war aus Porphyr erbaut, aus welchem Gestein hier alle Felsen bestanden, und mit Zinnen und Türmen geschmückt.

Der Aufstieg, welcher bei der aus dem Gestein sprudelnden Quelle begann, war erreicht. Er konnte zwischen einem breiten, sich rund um den Felsen ziehenden Fahrweg und einer steilen Rampe wählen, alles, da aus dem Felsen gehauen, wohlerhalten, und nur, wo sich die aus der Verwitterung entstandene Erde angesiedelt hatte, sproßte es trotz der Winterszeit in üppigem Grün hervor.

Nobody wählte den steileren, aber bedeutend kürzeren Weg. In zehn Minuten war er oben, ließ erst die Mächtigkeit des ganzes Baues auf sich wirken und betrat dann durch ein Tor den Schloßhof.

Alles leer, alles verödet, nur die Sperlinge trieben ihr Wesen. Aber verwildert sah es nicht gerade aus. Es war eben alles ausgeräumt, alles nackt, und auf dem Steinboden konnte nicht einmal Unkraut gedeihen.

Sämtliche nach dem Hofe führende Tore und Türen standen offen, fast alle waren von Eisen oder doch eisenbeschlagen, allerdings stark verrostet, aber hingen noch in den Angeln und waren sonst in Ordnung.

Ohne sich darum zu kümmern, daß er eingeriegelt werden könnte, was auch schwer zu machen gewesen wäre, da die Türen alle nur von innen Riegel besaßen, trat Nobody durch ein großes Tor ins Innere.

Er durchschritt Säle, Zimmer und Gemächer im Grundgeschoß, im ersten und zweiten Stockwerk. Ueberall dasselbe, alles leer und nackt, keine Spur von Möbeln vorhanden, höchstens steinerne Bänke und dergleichen. Hier innen aber zeigten die unbekleideten Wände keine rote Farbe, denn sie waren sämtlich – und das muß ausdrücklich erwähnt werden – mit weißen, sehr kleinen, wahrscheinlich marmornen Täfelchen mosaikartig ausgelegt, aber also einfarbig, alles im reinsten Weiß.

Allein diese marmorne Wandbekleidung machte dieses Schloß zu einem überaus wertvollen Objekt, das mußte eine riesige Arbeit gekostet haben; hier in dieser Gegend gab es gar keinen Marmor, der Erbauer des Schlosses mußte enorme Summen hineingesteckt haben.

Auch die Türen, sämtlich aus Eisen, was zu der anderen kostbaren Bauart gar nicht recht passen wollte, waren in tadelloser Ordnung, höchstens daß sie in den Angeln etwas eingerostet waren. Auch die Schlösser, nach Art unserer Klinken eingerichtet, funktionierten noch tadellos.

Zunächst suchte er nach dem Brunnen, und hierbei kam er zum ersten Male auf die Westseite des Schlosses.

Plötzlich, als er wieder ein Zimmer durchschritten hatte, fluteten ihm die Strahlen der untergehenden Sonne entgegen, mit einem Glanze, daß er zuerst die Augen schließen mußte. Es war das weite Meer, welches das Licht mit so grellem Scheine reflektierte, das Meer, welches zu seinen Füßen an den Porphyrfelsen brandete.

»Herrlich!« rief da der Mann, dem man sonst gar keine solche Begeisterung zutraute, in wahrer Verzückung. »Das ist auch so etwas für den Kapitän Flederwisch! Das Schloß am Meer! Wie weit mag die See von hier entfernt sein? Höchstens einen Kilometer. Da breche ich einen unterirdischen Tunnel durch den Felsen, dort wird ein Hafen gesprengt – – das wird ein Hafen für die ›Wetterhexe‹, da kann ich mit ihr unten durch den Felsen gleich bis in mein Schlafzimmer fahren!«

Er stand nicht eigentlich auf einem Altan oder Balkon, dieser Raum hier gehörte noch immer zum Inneren des Schlosses, aber die hohen Fenster waren so breit, daß die Zwischenräume nur Säulen bildeten. Luftig war das Schloß jedenfalls, nur schade, daß in dieser nebligen Gegend die Sonne sich so selten zeigte, sonst hätte sie von hier aus das ganze Schloß durchfluten können. Nobody berechnete sogar, daß hiernach auch die Türen angeordnet waren, die Nachmittagssonne mußte in jeden Winkel des ganzen Hauses dringen können.

Dies zu bemerken, scheint an sich nicht nötig, wird aber noch später von Wichtigkeit, und der scharfsinnige Detektiv, der nichts außer acht ließ, hatte denn auch sofort seine eigenen Gedanken.

»Hm. Ein sonniger Tag und eine recht finstere Nacht, dann zeigt sich der Spuk am handgreiflichsten oder doch am deutlichsten. Hängt das vielleicht damit zusammen, daß man hier so für ungehinderten Zutritt der Sonne gesorgt hat, wenn sie einmal scheint? Nun, wir werden sehen, da habe ich ja gerade die richtige Zeit getroffen.«

Also Nobody war schon zu der Vermutung gekommen, daß an der Fabel des abergläubischen Volkes vielleicht dennoch etwas Wahres sein könnte.

Den Brunnen fand er in einem Gewölbe des Erdgeschosses, dessen Fußboden der massive Felsen bildete. Nur hier war noch das Alter des Baues zu erkennen, denn neben dem Schacht befand sich ein mächtiges Tretrad, aber schon gänzlich unbrauchbar, von Würmern zerfressen, die Bretter zerfielen unter den Fingern in Staub.

Der Detektiv brachte aus seiner Tasche eine zusammenklappbare Blendlaterne zum Vorschein, entzündete sie und ließ ihren Strahl in den Schacht hinabfallen. Er sah rote Seitenwände, nichts weiter.

Die Laterne wurde mit Petroleum gespeist, er schraubte den Behälter auf, nahm aus der Tasche ein großes Stück Zeitungspapier, sah sich nach einem Stein um, einen solchen gab es hier nicht, nahm statt dessen eine halbe Krone, eine große, englische Silbermünze, unserem Taler entsprechend, wickelte sie in das Papier ein, tränkte dieses mit Petroleum, brannte es an und ließ es in den Schacht hinabfallen, nachblickend und sofort langsam zu zählen beginnend. Immer kleiner wurde die schnell fallende Flamme, bis sie plötzlich verlöschte, und obgleich sie eine ganz beträchtliche Tiefe erreicht haben mußte, war, weil der Schacht einem Sprachrohr glich, noch ganz deutlich das Zischen des Wassers zu hören gewesen,

Nobody hatte die Sekunden gezählt und machte im Kopfe eine Berechnung.

»Mindestens 120 Meter. Donnerwetter! Da haben die Kriegsgefangenen und Sklaven der alten Ritter tüchtig meißeln müssen!«

Daß auch sonst das steinerne Fundament des Schlosses unterhöhlt war, verriet schon eine Treppe, welche von hier aus hinabführte.

Aber Nobody ging jetzt nicht an eine Untersuchung dieser Kellerräume, es begann zu dunkeln, und er wollte sein Petroleum für die Nacht aufsparen.

Er begab sich nach dem Räume zurück, in welchem er seinen Koffer gelassen hatte, dieser Raum enthielt an der Wand auch eine Steinbank, und hier beschloß er sein Nachtlager aufzuschlagen. Es umgab ihn schon fast völlige Finsternis.

»Welch Zeit ist es? Erst sechs Uhr. Ja, wir sind noch im Winter.«

Schnell aß er etwas von dem Proviant der Bäuerin, labte sich an einer Flasche Wein aus seinem Koffer, dann legte er sich auf die Steinbank und wickelte sich in die Pferdedecken. Als Kopfkissen diente sein Koffer.

»Um zwölf Uhr will ich aufwachen, um die Geisterstunde zu genießen.«

Es waren für heute seine letzten Worte gewesen. Fast sofort verrieten seine regelmäßigen Atemzüge, daß er fest schlief, unbekümmert um den harten Stein, um die sich jetzt ganz empfindlich machende Kälte, unbekümmert auch darum, daß ihn eine Geisterhand einschließen könnte.

Wie das in diesem Räume freilich eine menschliche oder eine Geisterhand fertig gebracht hatte, war schwer zu verstehen. Von hier aus ging ein scheibenloses Fenster nach jenem Raum, in dem man sich so gut wie im Freien befand.

Schlief dieser Mann, welcher, wie er schon mehrmals bewiesen hatte, förmlich das Gras wachsen hörte, wirklich so fest? Wohl schwerlich.

Mochte der Wind auch in dem alten, winkligen Gemäuer heulen, mochte der Kauz auch krächzen, das störte ihn nicht im Schlaf – – aber wenn sich etwas geregt hätte, was nicht in dieses nächtliche Konzert paßte, so wäre dieser Mann ganz sicher sofort auf seinen Füßen gewesen.

Und dennoch!

Das, was jetzt um ihn herum vor sich ging, das merkte auch Nobody nicht, denn das spielte sich völlig lautlos ab.

 

Die Kirchturmuhr des Dörfchens verkündete die Mitternachtsstunde.

Es gibt energische Menschen genug, welche zur bestimmten Zeit, die sie sich vorgenommen, zur bestimmten Minute und Sekunde aufwachen können.

Nobody hatte sich doch auch vorgenommen, um 12 Uhr aufzuwachen – allein der Schläfer auf der Steinbank rührte sich nicht.

Minuten vergingen noch, und der energische Mann schlief ruhig weiter.

Dazu hatte er auch sein gutes Recht. Die Kirchturmuhr ging nämlich vor.

In demselben Augenblicke aber, da der Zeiger seiner großen, silbernen Taschenuhr, eines Monstrums von einer Uhr, auf den Strich der 12 deutete, richtete er sich mit offenen Augen von seinem Lager auf und ...

Er fiel nicht wieder zurück, aber mit einem unartikulierten Schrei preßte er seinen Oberkörper gegen die Wand und stierte mit weitaufgerissenen Augen die Gestalt an, welche dicht vor ihm stand

Doch lassen wir unseren Detektiv einmal selbst erzählen, so wie er es seinem Tagebuche anvertraut hat:

»Es war die leuchtende Gestalt eines Ritters in voller Rüstung, mehr als lebensgroß, in der Rechten eine mächtige Streitaxt wie zum Schlag erhoben. Etwas Menschliches, d. h. Irdisches, war nicht daran. Ich kannte die Bilder der Laterna magica, ich kannte das Leuchten von mit Phospor gezeichneten Bildern – nichts dergleichen. Es war ein schneeweißes Licht, welches von der Gestalt ausging, die ganze Gestalt selbst war ein weißes Licht, ohne daß dieses aber die Umgebung erleuchtete. Denn um mich her war es stockfinster. Es war ein Geist – das sagt alles.

»Ich werde niemals von beängstigenden Träumen gequält. Wenn ich erwache, bin ich sofort bei klarem Bewußtsein. Ich wußte auch jetzt, wach und bei klarer Besinnung zu sein.

»Ich glaube nicht an Geister, Gespenster und dergleichen. Ich habe noch keinen Geist gesehen. Ich kann nicht daran glauben, es geht gegen meine Vernunft.

»Da sah ich einen!

»Was ich dabei dachte? Ich weiß es nicht mehr. Ich fürchtete mich. Es ist kühn, dies zu gestehen, aber feig, es zu verheimlichen. Nur der Feigling und der Schwächling renommiert.

»Ich fürchtete mich nur? Nein, das kalte Entsetzen packte mich. Ich fühlte, wie mir plötzlich der Angstschweiß aus allen Poren brach.

»Aber das mag vielleicht nur eine einzige Sekunde gewährt haben. In solch einer Situation währt eine Sekunde sehr lange.

»Dann wandelte sich meine Stimmung um, es packte mich plötzlich etwas wie eine wilde Wut, ich weiß noch ganz genau, daß ich mit den Zähnen knirschte und dann laut aufbrüllte.

»›Himmel und Hölle, du oder ich!!!‹

»Mit diesem Ruf, mit diesem Brüllen stürzte ich auf die leuchtende Gestalt los und ... erhielt einen Schlag auf den Kopf, der mich sofort bewußtlos niederstreckte.«

 

So weit Nobodys eigene Worte. Der Bearbeiter seines Tagebuches hätte es nicht über sich gebracht, zu sagen, daß sich dieser Mann gefürchtet hätte.

Nun, wir denken, wie er dann handelte, das spricht wohl auch etwas anders für ihn. Da hätte sich wohl mancher die Bettdecke oder Pferdedecke über die Ohren gezogen oder hätte sonst etwas getan, nur auf die weiße Gestalt wäre er nicht losgesprungen. Denn das geht wohl aus Nobodys eigenen Worten ganz deutlich hervor, daß hier nicht etwa an einen Menschen gedacht werden darf, der mit einem weißen Bettuch einen Geist zu spielen versuchte. Man darf wohl glauben, daß Nobody so etwas auch unterscheiden konnte.

Als Nobody wieder zu sich kam, war es schon heller Tag, und zwar abermals ein sonniger.

Trotz seines schmerzenden Kopfes war er sofort bei klarer Besinnung, was am besten daraus erhellt, daß er augenblicklich seine Uhr zog und konstatierte, 8 Stunden und 42 Minuten bewußtlos dagelegen zu haben, und zwar dicht neben der jener Steinbank gegenüber befindlichen Wand.

Sein Koffer war noch da, nichts fehlte.

Jetzt erst untersuchte er mittels eines Spiegels seinen Kopf. Oberhalb der Stirn eine tüchtige Brausche, nichts weiter, und dann, daß diese Stelle etwas blutrünstig war.

Er untersuchte die getäfelte Wand – richtig, da klebten etwa in Kopfhöhe einige Haare, von seinen eigenen, auch ein kleiner Blutfleck war sichtbar.

Nobody ging an die Steinbank, legte sich darauf, wickelte sich in die Pferdedecken ein, alles so wie gestern abend, richtete sich wieder halb empor, duckte sich zum Sprunge, dabei die Stellung seiner Beine und Füße beobachtend, sprang ...

»Ja, es war nur eine Einbildung von mir, daß mich die Streitaxt getroffen hatte – eine leicht begreifliche Einbildung in dem Augenblick, da ich mit dem Kopfe dort gegen die Wand schmetterte. Aber das war keine Einbildung von mir, daß vor mir die weißleuchtende Gestalt eines geharnischten Ritters stand. Wo, das allerdings kann ich nicht mehr angeben, die Entfernung von mir war nicht zu schätzen. Aber auf sie zugesprungen bin ich, das weiß ich – nicht vorbei, sondern direkt auf sie zu, und ich glaubte schon, sie in meinen Händen zu haben, als ich den wuchtigen Schlag erhielt, den ich mir aber dort an der Wand selbst erteilt hatte.«

So wenig dachte Nobody daran, daß der Spuk von einem Menschen erzeugt sein könne, daß er nicht einmal nach einer Spur und dergleichen suchte.

Dann heißt es weiter in seinem Tagebuche:

»Unter unserer ausgemachten Chiffre setzte ich ein Telegramm an Kapitän Flederwisch auf, er solle sofort mit Mr. Hawsken hierherkommen, aber nach kurzer Ueberlegung zerriß ich das Telegramm wieder.«

Warum er so handelte, warum er die beiden nicht zu seiner Unterstützung herbeirief, davon steht kein Wort in seinem Tagebuche.

Wir aber wissen es, wir ersehen es aus dem, was er dann weiter tat.

Allein wollte er den Kampf gegen den Geist, gegen das Phantom oder was es sonst war, ausfechten, ganz allein! Dieser Mann brauchte keine Unterstützung, er schämte sich einer solchen, wenigstens in einer derartigen Geisterangelegenheit.

»Heute ist wieder ein sonniger Tag, in der Nacht nach Neumond, also ist alle Hoffnung vorhanden, daß der Spuk heute nacht wiederkommt. Ich werde ihn erwarten, aber nicht schlafend. Jetzt bin ich der Besitzer dieses Schlosses, habe es ehrlich gekauft – well, ich will doch sehen, wer hier Herr ist, ich brauche mein Haus weder mit einem Menschen, noch mit einem Geiste zu teilen, einer von uns muß weichen, und ich denke, ich werde es wohl sein, der den anderen hinausschmeißt.«

So sprach Nobody. Was würde wohl ein anderer Mann gedacht und getan haben, nachdem er in der Nacht so etwas erlebt hatte? Und der Betreffende brauchte dabei durchaus kein Angsthase und kein Gespensterseher zu sein!

Nobody setzte sich zum Frühstück an seinen Brotkorb und leerte die Flasche Wein.

»Mrs. Mitchell hat mich so reichlich mit Proviant versorgt, daß ich bis morgen früh bequem noch aushalten kann, frisches Wasser habe ich auch, also sehe ich gar keinen Grund, noch einmal ins Dorf zu gehen, und Zeit ist Geld. Ich werde bis heute abend mir das Schloß genauer besichtigen, eine Skizze zeichnen und meine Pläne, was aus diesem prächtigen Schlosse noch alles zu machen ist, weiter ausspinnen.«

Gedacht, getan. Als das Frühstück beendet war, holte Nobody zuerst das nach, was er gestern zu besichtigen versäumt hatte, er zündete seine Laterne an und ... stieg in den finsteren Keller hinab!

Man muß nur bedenken, daß er kurz zuvor einen Geist oder sonst etwas gesehen hatte, was er sich nicht erklären konnte, und jetzt begab er sich mit der Laterne in den finsteren Keller hinab, um diesen zu untersuchen und auszumessen.

Mancher Leser mag dabei gar nichts weiter finden, die meisten werden doch auch nicht an Gespenster glauben, das tut ja überhaupt heutzutage kein Mensch mehr, lächerlich, aber ... Hand aufs Herz!!

Richtig, der ganze Porphyrfelsen war, unterhöhlt, alles voll Gänge und Kammern. In,[In] dem ersten Kellergeschoß gab es noch schießschartenartige Fenster, eine Treppe führte noch tiefer hinab, hier fehlten die Fenster. Dann fand Nobody keine tiefer führende Treppe mehr. Er ging hin und her, leuchtete in alle Kammern, welche nur zum Teil mit eisernen Türen versehen waren, er glaubte konstatieren zu können, daß es keinen Gang gab, welcher nach dem Meere führte, dazu befanden sich diese Räume noch viel zu weit oben, noch in dem hohen Felsen selbst. Er begab sich wieder hinauf, um erst einmal das Gebäude richtig auszumessen.

Ein Metermaß hatte er bei sich, auch eine lange Schnur, aus dieser machte er ein Meßband und begann das ganze Schloß in allen Räumen auszumessen, danach in seinem Notizbuch Skizzen entwerfend.

Am Nachmittage gegen drei Uhr war er hiermit fertig. Das Mittagbrot hatte er dabei vergessen, oder er wollte, erst am Abend den Rest seines Proviantes verzehren, und nach seinem Magen schien sich dieser Mann nicht zu richten. Nur einmal frisches Wasser hatte er sich von unten aus der Quelle geholt, ohne dabei einen Menschen gesehen zu haben.

Jetzt wollte er auch noch die Kellerräume ausmessen.

In seinem Koffer hatte er eine Flasche Petroleum. Er füllte seine Laterne nach und begab sich wieder hinab in das dunkle Reich der Nacht, arbeitete mit Metermaß und Meßband und machte seine Skizzen.

Er wußte nicht, wie schnell ihm die Zeit dabei verging. Er merkte es erst, als er aus dem zweiten Kellergeschoß wieder in das erste hinaufkam, wo es trotz der Fenster auch stockfinster war. Er sah nach der Uhr.

»Donnerwetter, schon sieben geworden! Da muß ich schnell hinauf und Vorbereitungen treffen, um den Mitbewohner meines Schlosses zu erwarten. Miete muß mir der Kerl wenigstens bezahlen, sonst fliegt er die Treppe hinunter.«

Also er stieg wieder hinauf, kam zuerst in die Brunnenstube, mußte noch mehrere Wirtschaftskammern passieren, jetzt öffnete er die Tür zu einem größeren Räume, der auch schon mit Marmor getäfelt war und ...

Vor ihm in dem finsteren Räume stand ein weißleuchtendes, menschliches Gerippe, drohend die Knochenfaust gegen ihn erhoben.

Wie es diesmal unserem Manne zumute war, wollen wir mit Schweigen übergehen. Jedenfalls prallte er diesmal nicht zurück, sprang nicht gleich darauf zu, sondern er ließ erst das Blendlicht seiner Laterne voll auf das weiße Skelett fallen, und da war dieses plötzlich verschwunden.

Er ließ das Blendlicht weiterstreifen – und sofort war das Gerippe wieder da, ganz genau an derselben Stelle. Unter dem Licht verschwand es wieder, nur im Finstern war es sichtbar. Also es konnte das Licht nicht vertragen, wie überhaupt alle Geister und Gespenster nicht, und bewegen tat es sich auch nicht, nicht einmal den drohenden Knochenarm.

Langsam ließ Nobody den Blendstrahl herabgleiten, und gehorsam kam der grinsende Totenschädel zum Vorschein, dann der Brustkasten, und so ging es weiter, bis das Skelett in voller Lebensgröße dastand, und ebenso konnte Nobody die Knochengestalt wieder langsam verschwinden lassen, je nachdem er die Laterne handhabte.

Jetzt ging Nobody, das Licht seitwärts fallen lassend, auf das Gerippe zu und schlug es vor die Brust, oder klatschte vielmehr mit der flachen Hand gegen die nackte Wand.

»Hallo, was ist denn das?! Weiß Gott, phosphorsaures Barium oder Calciumbaryt oder wie das Zeug heißt! Das ist ja großartig!! Ja, da freilich, deshalb also zeigt sich der Spuk besonders nach einem sonnigen Tage in finsterer Nacht!«

Nobody hatte das Richtige gefunden. Es war eine Mosaikzeichnung, in die Marmorplättchen war kunstvoll in Form eines Gerippes jener weiße Stein eingelassen worden, welcher die Sonnenstrahlen aufsaugt und diese in der Dunkelheit wieder ausstrahlt. Es gibt eine ganze Menge von Gesteinsarten, welche diese Eigenschaft in höherem und minderem Grade besitzen, jetzt kann man ihre Wirkung auch noch künstlich durch Chemikalien verstärken, und seit ungefähr zehn Jahren wird der in der Finsternis leuchtende Stein besonders zu Uhrgehäusen, Streichholzschachteln und anderen Gegenständen verwendet, welche auf dem Nachttisch liegen, damit man sie in der Dunkelheit gleich findet. Dieser leuchtende Stein ist schon seit vielen Jahrhunderten bekannt, die Kenntnis davon und seine Verwendung lag aber nur immer in Händen von Hokuspokusmachern, die ihr Geheimnis nicht verrieten. Denn der sogenannte › spiritus familiaris ‹, ein Hausgeist, den man in ein Fläschchen einsperrte, und aus dessen Leuchten oder Nichtleuchten man ein Unternehmen abhängig machte – auch Tilly trug einen solchen immer bei sich – das war nichts weiter als ein Figürchen aus einem derartigen Stein.

Daher auch die weiße Marmortäfelung. Am Tage war absolut nichts von der gleichfalls weißen Zeichnung zu bemerken, so wenig, wie bei Licht.

Dieses Gerippe war aber erst der Anfang. Als Nobody das nächste größere Zimmer betrat, wies ihm ein scheußliches Ungetüm von Riesengröße, auf dessen Rücken ein Teufel saß, die Zähne.

Dann kam er in einen weiten Saal, dessen Wände über und über mit Scheusalen, Skeletten und Teufelsfratzen bedeckt war, und heute hatte die Sonne auf sie gewirkt. Die Gemälde strahlten im reinsten Weiß, während der marmorne Untergrund völlig schwarz erschien. Dadurch wurde auch die Täuschung hervorgebracht, daß die leuchtenden Figuren dem Beschauer viel näher erschienen, als sie es in Wirklichkeit waren.

Nachdem sich Nobody an der Wunderlichkeit der phantastischen Gestalten zur Genüge ergötzt hatte, staunte er nur noch über die künstlerische Ausführung dieser Mosaikarbeiten.

Himmel, was hatte der letzte Lord Douglas da für eine Arbeit hineingesteckt! Diesen Stein hatte er doch jedenfalls von seinen Reisen mitgebracht, gewiß aus dem Orient, die Araber waren von jeher weit in derartigen Kenntnissen, die mit der Chemie zusammenhängen. Ja, freilich, da hatte sich der alte Sonderling manchen Jux machen können, das mußte ja in den Augen des damaligen Volkes ein Hexenmeister ersten Ranges gewesen sein, der selbstverständlich mit dem Teufel im Bunde stand.

Des damaligen Volkes? Noch das heutige Volk glaubte ja an den alten Zauberer, ließ ihn nicht einmal im Grabe zur Ruhe kommen! Merkwürdig ist dabei, wie solch eine Sage sich durch Jahrhunderte erhält, als Wahrheit geglaubt wird, wo doch gar keine Beweise mehr vorhanden sind oder vielmehr von dem Vorhandensein tatsächlicher Beweise keiner mehr eine Ahnung hat. Denn das mußte Nobody als bestimmt annehmen, daß seit einem Menschenalter dieses Schloß von keinem Menschen mehr betreten worden war, wenigstens nicht zu einer Zeit, da diese Wandbilder sichtbar waren. Denn wären sie einmal einem menschlichen Auge erschienen – na, was wäre das für ein Geschrei in den Zeitungen gewesen! Da wären doch sofort die Journalisten und andere neugierige Besucher in Scharen herbeigeströmt.

Und jetzt war dieses Schloß Nobodys Eigentum! War es für die Spottsumme von 1000 Pfund Sterling geworden!

»Na, da will ich wohl Geld herausschlagen! Allein durch Eintrittskarten!«

Nobody kam auch noch auf andere Gedanken.

Der alte Lord hatte diese wunderbaren Mosaikarbeiten wohl schwerlich selbst angefertigt, er hatte Künstler beschäftigt. Sollte er nun diese dann mit seinem Geheimnisse so ohne weiteres wieder haben ziehen lassen? Wohl kaum. Wie hatte er nun sein Geheimnis behütet? Jedenfalls dadurch, daß er diese Künstler einfach kaltgemacht hatte, das sah so einem damaligen Ritter ganz ähnlich. Auf welche Weise? Er sperrte die armen Kerls einfach ein und ließ sie verhungern. Und auf diese Weise war der zweite Teil der Sage entstanden! –

In dem Zimmer, in welchem er gestern nacht geschlafen hatte, fand Nobody auch seinen alten Bekannten wieder: den Ritter mit erhobener Streitaxt.

Wenn er nun nochmals die Säle durchmusterte, so tat er dies hauptsächlich deshalb, weil er bereits zwischen den Figuren einige Inschriften entdeckt hatte, meist Weisheitssprüche, in altem Englisch gehalten oder auch in arabischer Sprache und Schrift, welche Nobody zu entziffern verstand, und diese wollte er nun genauer studieren. Außerdem hatte er noch lange nicht alle Zimmer durchwandert, und jedes bot immer wieder neue phantastische Wandgemälde.

So kam er auch in ein Zimmer des Erdgeschosses, welches er bisher noch nicht betreten hatte, und in diesem leuchtete nur eine große Inschrift auf, von der aus sich ein weißer Streifen an der Wand hinzog.

Die kurze Inschrift lautete:

›Folge dem weißen Strich und drücke da gegen die Wand, wo er endet.‹

Jetzt wird es geheimnisvoll, dachte Nobody, was werde ich zu sehen bekommen?

Der weiße Strich, welcher also gleichfalls nur bei Nacht zu sehen war, vorausgesetzt, daß er am Tage genügend Sonnenstrahlen aufgesaugt hatte, lief noch auf einer anderen Wand entlang und endete scharf abgegrenzt.

Nobody tastete auf dieser Stelle, zu bemerken war nichts, keine Vertiefung, keine Erhöhung. Er drückte, drückte noch kräftiger ... da vernahm er hinter sich ein leises Knarren, und wie er sich umwandte und mit dem Blendstrahle suchte, sah er in der gegenüberliegenden Wand ein viereckiges Loch, etwa einen Meter hoch und breit.

Es war eine Tür. Eine in Angeln gehende Marmorplatte, aber aus vielen Tafeln zusammengesetzt, hatte sich nach außen geöffnet, es zeigte sich eine hinabführende Steintreppe.

Ehe Nobody dieselbe betrat, untersuchte er die Tür. Sie paßte so genau, keine Fuge war zu bemerken, wenigstens keine größere, als die anderen Marmorplatten miteinander bildeten.

Sie ließ sich hier auch nicht wieder öffnen, nur, wenn auf der anderen Seite auf die betreffende Stelle gedrückt wurde, dann ging sie von selbst auf. Was das für ein Mechanismus war, wie er funktionierte, das konnte Nobody im Scheine der Laterne, die immer nur eine kleine Stelle beleuchtete, nicht erkennen, wie er auch spähte und tastete. Das wollte er morgen bei Tageslicht untersuchen, aber das Betreten der Treppe vermochte er nicht aufzuschieben.

Wie nun, wenn sich die Marmortür hinter ihm von selbst schloß, vielleicht auch wieder durch einen Mechanismus in Bewegung gesetzt? Dann hatte ihn ja die an die Wand malende Geisterhand richtig eingesperrt.

Aber Nobody dachte gar nicht an so etwas. Um diese Marmortür einzuschmettern, dazu brauchte er gar nicht seine Faust, das hätte schon ein Fußtritt besorgt.

Darauf aber achtete er, als er die Treppe hinabstieg und immer vorsichtig vor seine Füße leuchtete, daß er nicht etwa in eine Fallgrube stürzte, er tastete bei jedem neuen Schritt, ob auch der Boden nicht nachgäbe.

Einhundertundzweiunddreißig Stufen zählte er. Da diese sehr hoch waren, konnte er schon 30 Meter hinabgestiegen sein, und das ist schon sehr tief, das ist ein vier-, ein fünfstöckiges Haus mit sehr hohen Zimmern. Jetzt mußte er sich auch schon unter der Erdoberfläche befinden, denn so hoch lag das Schloß gar nicht, aber immer noch war alles Porphyr.

Die Treppe war zu Ende. Vor ihm lag ein schmaler Gang. Nobody wollte die Höhe messen, richtete den Lichtstrahl nach oben – sah keine Decke. Auffallend war die frische Luft. Offen war der Gang oben ja sicher nicht, es mußte aber wenigstens Spalten geben.

Er schritt vorsichtig weiter. Keine Tür, keine Nische – nur ein roh ausgehauener Gang. Da war er zu Ende. Eine eiserne Tür schloß ihn ab. An der Tür befand sich eine Klinke, den neuzeitlichen ganz ähnlich, nur sehr groß, das Niederfallen des Riegels besorgte dessen eigenes Gewicht.

Ohne zu zögern, klinkte Nobody auf. Er konnte die eiserne Tür trotz ihrer Stärke mit leichter Mühe nach außen öffnen, und so, wie er sie aus der Hand ließ, blieb sie stehen.

Der Strahl der Blendlaterne fiel in den dunklen Raum, und was Nobody da zu sehen bekam, hätte manch anderen Mann zurückschrecken lassen, mochte er sonst auch starke Nerven besitzen.

Mitten in dem fensterlosen Gewölbe stand ein steinerner Sarg, auf welchem in voller Lebensgröße ein Ritter lag, zu seinen Füßen ein Hund, alles aus Stein gehauen, also ein Sarg, wie sie in der englischen Ritterzeit allgemein üblich waren – aber die um diesen Sarg herumliegenden Menschenknochen und Totenschädel gehörten nicht mit dazu, so wenig wie das Fragment eines alten Stiefels.

Die Laterne vor sich haltend, trat Nobody näher, immer noch bei jedem Schritt vorsichtig mit dem Fuße tastend.

Da hinter ihm ein donnernder Krach, mit Blitzesschnelle sprang Nobody zurück – – zu spät!

Die Türe war hinter ihm ins Schloß gefallen, und innen befand sich keine Klinke, keine Vorrichtung, um den Hebel draußen zu heben!

Schnell setzte der Gefangene seine Laterne auf den Sarg, nahm einen Anlauf, rannte mit einer Wucht gegen die Tür, daß er wahrscheinlich jeden Ochsen über den Haufen geworfen hätte – aber diese gewaltige Tür spottete seiner Anstrengung wie der eines schwachen Zwerges.

Es sah fast komisch aus, wie Nobody verdutzt die Tür anblickte, dann langsam die Hand hob und sich hinter dem Ohre kratzte.

»Himmeldonnerwetter, jetzt ist der Herr Nobody, weiß Gott, einmal gefangen! Jetzt hat der Geist den Herrn Nobody richtig injespundt!«

Er untersuchte noch einmal genau die Tür – keine Handhabe, keine Möglichkeit, sie von innen zu öffnen.

Tragisch nahm er die Sache durchaus nicht, was sich schon daraus erkennen ließ, daß er dann gleich seine eingehende Aufmerksamkeit dem Steinsarge und den Gerippen zuwendete.

Der Steindeckel lag nur lose auf, aber es gehörte die außergewöhnliche Muskelkraft dieses Mannes dazu um diesen nur etwas beiseite zu schieben. Er leuchtete hinein, dann kroch er sogar einmal hinein, allein der Sarg enthielt nichts weiter, als was in einen Sarg, wenn er so alt ist, hineingehört: ein menschliches Gerippe nichts weiter, keine Urkunde und dergleichen.

»Verfluchter Kerl! Denn das ist natürlich derjenige, welcher. Und es scheinen schon zwei andere auf diesen Leim gegangen zu sein. Die reine Menschenfalle!« Er hob einen Knochen auf, den einen Stiefel, einen anderen, betrachtete alles nachdenklich.

»Die sind schon lange tot. Die Stiefel sind auch nicht mehr modern, die stammen wenigstens aus den vorigen Jahrhundert. Also die Leute haben doch recht! Der M Lord John Douglas schmeißt auch noch nach seinem Tode die Türen hinter einem zu. Nu da! Die beiden sind doch sicherlich verhungert, und ich soll's wohl nun auch? I, ka Spur! Hereingekommen sind wir, wir werden auch wieder 'rauskommen. Bin ich doch hier in meinem eigenen Hause!«

Er sah sich genauer den Raum an. Es war ein Gewölbe, hatte aber an der Decke eine breite, offenbar natürliche Spalte.

Durch diese Spalte mußte frische Luft kommen. Nobody brachte es fertig, von dem Sarg aus in die Spalte hineinzuspringen und darin wie ein Laubfrosch kleben zu bleiben, dann kletterte er wie ein Schornsteinfeger aus der guten alten Zeit weiter, mußte aber seine Tour bald aufgeben, die Spalte verengerte sich immer mehr, und von oben starrte ihm undurchdringliche Finsternis entgegen.

Er ließ sich wieder herabfallen und begann nach dem Mechanismus zu suchen, welcher die Tür zugeworfen hatte. Er fand nichts, der war doch auch jedenfalls draußen angebracht.

Dann überlegte er. Die Bäuerin würde sich doch wundern, wenn der neue Besitzer des Schlosses, der nichts weiter als einen Koffer und ein Paket Butterbrote mit hineingenommen hatte, gar nichts mehr von sich hören und sehen ließ. Vermißt und gesucht wurde er auf alle Fälle, darüber war sich der Detektiv klar. Es fragte sich nur, wann man damit beginnen würde. Und ob dann noch die andere geheime Tür aufstand, welche den Suchenden den Weg zeigte? Daran zweifelte Nobody stark. Das hier war doch eine Menschenfalle, der alte Lord hatte doch ganz sicher dafür gesorgt, daß jenes Türchen auch wieder zufiel, wenn auch nicht direkt hinter dem Rücken des Durchkriechenden.

Nein, auf das ›Sichsuchenlassen‹ durfte man hier nicht warten. Selbst ist der Mann! Dort lagen die Knochen derer, welche auch gewartet hatten, und wie mochten die gebrüllt haben!

Er prüfte nochmals die Eisentür, klopfte daran.

»Eine Uhrfedersäge habe ich bei mir, die ihre Unverwüstlichkeit schon mehrmals bewiesen hat, aber ich kann sie nirgends ansetzen. Da muß ich wohl mit dem Bohrer fiddeln.«

Er brachte aus seiner inneren Westentasche einen kleinen Drillbohrer zum Vorschein, von dessen Spitze es im Scheine der Blendlaterne wie ein buntes Feuermeer ausging. Es war ein Diamantbohrer, und zwar mit einem Diamanten von ganz ansehnlichem Werte, der ein ansehnliches Vermögen repräsentierte.

Er stemmte das hintere Ende gegen die Brust, die Spitze gegen die Tür, und Herr Nobody begann zu ›fiddeln‹. Nach vier Stunden verlöschte die Lampe, und der Dichter Nummer eins ›fiddelte‹ im Dunkeln weiter, ein Loch neben das andere setzend, die Zwischenteile dann heraussägend.

 

Mrs. Joke Mitchell blickte nach dem Schlosse, alle Bauern und Mägde, die ganze Umgegend blickten ängstlich nach derselben Richtung.

»Wo bleibt denn nur der Mr. Ferrol?«

Wir wollen alles das verschweigen, was da zusammengeschwatzt wurde. Als der fremde Herr sich auch am dritten Tage noch nicht sehen ließ, überwog die Pflicht alle anderen Bedenken. Mit Mistgabeln und Dreschflegeln bewaffnet, zog eine tapfere Schar bis an den Fuß des Berges. Hier wurde Kriegsrat gehalten, dazu drei Flaschen Whisky getrunken, und dann zog sie weiter, die todesmutige Schar, bergauf, bis an das Tor des Schlosses – – aber weiter kam sie nicht.

»Es hat ja gar keinen Zweck, erst hineinzugehen, der ist ja schon lange tot.«

»Jau, jau, der ist schon lange tot.«

Die wackere Schar zog wieder heim. Jetzt setzte der Dorfschulze die Brille auf und meldete die Angelegenheit nach Trum.

Zwei Tage vergingen, ehe der Polizeiwachtmeister mit seinen Konstablern angerückt kam, begleitet von einem Detektiv.

Die drangen nun freilich ohne weiteres in das verwunschene Schloß ein. Den Koffer fanden sie, nichts weiter enthaltend, als was man zur Reise bedarf, aber von seinem Besitzer war keine Spur zu entdecken.

Nobody hatte ganz richtig geraten; die eiserne Türe war in der Dunkelheit nicht mehr zu bemerken.

Ein Konstabler hielt einen anderen heimlich zurück.

»Du,« sagte der eine, als sie sich beide allein in einem Keller befanden, »du hast doch zwei Schinkensemmeln mit.«

»Ja, mein Frühstück.«

»Und ich habe eine Büttel Bier mitgenommen. Teilen wir?«

Gut, der eine zog seine Schinkenbrötchen hervor, der andere brachte aus der Rocktasche eine riesige Schnapsflasche zum Vorschein, mehr als einen Liter fassend, mit Bier gefüllt.

Dieser setzte die entkorkte Flasche an den Mund, jener wickelte unterdessen seine Brötchen aus.

Bruch, kladderadatsch! ... da kam jemand mit dem Kopfe durch die Tür geschossen, stand vor den Konstablern, nahm dem einen die Bierflasche vom Mund und setzte sie vor den eigenen – gulk gulk gulk gulk – und dabei griff er mit der anderen Hand nach den Schinkenbrötchen.

Solche behäbige Konstabler sind nicht so leicht außer Fassung zu bringen.

»Sind Sie Mister Ferrol?«

»Ja.«

»Wo kommen Sie denn her?«

»Dort durch die Tür. Was für ein Datum haben wir denn heute?«

»Den achtzehnten.«

Da hob Nobody die Augen zur Decke empor und sagte mit kauendem Munde, aber in so recht kläglichem Tone:

»Der achtzehnte! Also vier Tage und fünf Nächte hat mich der Schweinehund fiddeln lassen!!«

Ja, so sah er auch aus. Er war ganz ausgefiddelt. Das war kein Dichter Nummer eins mehr, auch kein Dichter Nummer zwei – sondern das war so etwa ein Dichter Nummer sechs bis zehn. Die Backenknochen traten ihm vor Hunger ganz spitz heraus, und alles ein Schweiß und ein Dreck. –

Dem Detektiv, einem gebildeten Herrn, gab er sich zu erkennen, stellte sich als Nobody vor, erzählte ihm seine Abenteuer und zeigte ihm seine Arbeit, wie er während vier Tagen und fünf Nächten ununterbrochen gebohrt hatte, ein Loch ans andere setzend, dann die noch vollen Zwischenräume durchsägend.

»Sie haben während dieser ganzen Zeit gar nicht geschlafen? Wie ist denn das möglich?«

Nobody zuckte die Schultern.

»Sitzen Sie einmal in solch einem Loche, dann werden Sie erfahren, wie so etwas möglich ist. Und alles wegen dieses ...«

Plötzlich sprang Nobody nach dem Sarge, hob die rechte Faust, sie sauste herab ...

»Da, du Schweinehund!!«

Mit einem Schlage seiner Faust hatte er den steinernen Kopf der Figur in kleine Stückchen zerschmettert.

Noch nicht genug, er griff in den Sarg, brachte einen Totenschädel zum Vorschein, nahm ihn in die linke Hand, hob die rechte ...

»Warte, ich will dir ...!«

Krach, auch der Totenschädel war wie weggeblasen.

»Schade, daß du schon tot bist!« –

Dann packte Nobody seinen Koffer wieder zusammen und begab sich nach Trura auf den Bahnhof, wo er sich erst ein Bäuchlein anmästete, und wie er in das weichgepolsterte Coupé stieg, sagte er:

»Jetzt gedenke ich einen langen Schlaf zu tun, denn dieser letzten Tage Qual war groß.« –

Auch die Sensation war groß, als Nobodys Abenteuer in Red Castle bekannt wurde. Jetzt meldeten sich Käufer genug, und Nobody schien das Schloß auch weiterverkauft zu haben.

Denn nicht sein Name wurde in das Grundbuch eingetragen, sondern der des Kapitäns Flederwisch.


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