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Aus dem Leben eines Aufgeklärten

I

Es wohnt der Erzähler in der Stadt, wie die meisten Leser schon wissen, auch kommt er zu Zeiten in anderen Städten herum, und sind ihm die Stadtleute ungefähr eben so bekannt, wie die Bauern auf dem Lande. Da fragte ihn jüngst einer, warum er denn meistenteils Landgeschichten erzähle, ob in der Stadt nichts passiere, was die Leser dieses Werkchens wissen dürften. Das war eine spitze Frage und rührte vom Lande her, wie gar mancher wohl gleich gemerkt hat. Der Erzähler hat den Frager eben mit der Geduld getröstet, wie man's gewöhnlich macht, wenn man nicht recht ja und nicht recht nein sagen mag. Hintennach ist ihm doch zu Sinn gekommen, daß die Leute in der Stadt wohl auch ein Recht hätten, nicht ganz unter den Scheffel gestellt zu werden; und den Leuten auf dem Lande könnte es auch nicht viel schaden, wenn sie einmal wüßten, wie es bisweilen in der Stadt hergehe, und zwar nicht bloß auf den Straßen, den Märkten und da, wo alles glänzt und schimmert, sondern hinter diesen Vorhängen und im Innern ihrer Bewohner. Vielleicht schade es nichts, und wenn sie auch hie und da an überflüssigem Respekt einbüßten, gewännen sie dafür an Vorsicht und blieben endlich lieber daheim. Dazu weiß ich Stadtgeschichten genug, nur sind die meisten nicht sonderlich erbaulich, und vor Freude weint man selten darüber. Nicht, als ob in der Stadt nicht viel Gutes geschehe, nicht viele ordentliche und ehrliche Leute darin wohnten; aber die halten sich in der Regel so still, daß Besonderes ich davon nicht zu erzählen wüßte. Kommt man über den Stadtgeschichten einmal ans Erzählen, spielt gewiß auch irgend eine Halunkerei dazwischen. Das Unglück nämlich ist, daß die Stadtleute meist zu klug, zu gescheit, zu pfiffig sind, und also meistenteils an dem Zuviel laborieren. Unser Nachbar Johannes, der seit jeher gewohnt war, alles zweimal zu besehen, meint zwar, diese gar zu große Gescheitheit sei eigentlich doch Dummheit, und wer zu pfiffig sein wolle, sei doch eigentlich der größte Narr, und hielt natürlich gar nichts auf die Überklugheit; aber unser Nachbar Johannes war auch ein sonderbarer Kauz, der durchaus nicht mit allen Leuten zu thun haben mochte, seinen eigenen Weg ging und sich, wie er selber sagte, gut dabei stand. Er selbst war wenigstens klug genug, was ihm der Neid lassen mußte.

 

II. Die Begegnung

An einem schönen Sommertage war ich einst, so erzählte mir jüngst ein guter Freund, aus der Stadt hinausgegangen, einer alten Landstraße nach, die durch die Eisenbahn eben brach gelegt worden. Man kann auf so alten Landstraßen recht gemütlich simulieren, und gestört wird man selten in der Betrachtung. Weit war ich indes noch nicht gegangen, als sich wie zufällig ein Mann zu mir gesellte, den ich anfangs lieber weit weg gewünscht, als an meine Seite, so wenig wollte er mir gefallen. Er mochte gegen fünfzig Jahre zählen; eine ziemlich große, aufgedunsene, aber schlotterige Figur, die zwar in einem passabel anständigen Kleide stak, aber die innere Verwahrlosung auch selbst bis zu den verknöpften Kleidern nicht verbergen konnte. Seine weiten Hosen wehten, wenn er ging, ihm nur so um die Beine; sein Unterleib saß wie ein Sack auf dem wackligen Beingestelle, doch warf er die Brust wohl nach vorn heraus, wenn auch mit einiger Mühe. Der dick gewordene schwammige Hals trug ein Haupt, das einstmals schön gewesen sein durfte, jetzt aber wie eine wahre Musterkarte absonderlicher, nicht eben edler Herzensangelegenheiten sich ausnahm; ein kahler Schädel, um dessen Ohren und Hinterteil sich noch sparsame Haarbüschel befanden. Sein Bemühen, diese dünnen Haare auf dem Oberkopfe zusammenzuschlagen, schien mißglückt zu sein; sie wehten ihm wild um den Nacken. Sein Blick, meist unheimlich schielend, glotzte oft starr gerade aus, dann sahen die Augen aus wie verglühende Kohlen. Die aufgedunsenen Backen waren von inwendig geschminkt. Wie der Patron das anstellte, zeigte die dickgewordene Nase, um die das tiefe Abendrot der Leidenschaft herumglühte. Bleierne Wolken hingen ihm durchs Gesicht, wie, wenns Donnerwetter ausgetobet, hintennach die trägen Regenwolken den Horizont umhangen. Der Mund war breiter und dicker geworden, als er ehemals gewesen. Verwaschene Lippen, stets beweglich, zeigten den Schwätzer. Seine dünnen Arme mit den weichen Fingern paßten zu dem ruinenartigen Kerl, der den Geruch der Heiligkeit noch lange nicht um sich verbreitete. Er machte einen schmutzigen Eindruck, obschon er nicht durch den Kot gelaufen, und gewaschen hatte er sich am Morgen auch noch.

Nun weiß der geneigte Leser gewiß auch schon aus eigener Erfahrung, daß es Leute giebt, die wir weiter nicht kennen und die wir doch schon beim ersten Anblicke nicht recht leiden mögen. Wir können nicht immer gleich sagen, warum; aber es ist einmal so, wir fühlen eine tiefe, wenn auch unerklärliche Abneigung, und das ist uns genug. Am Rocke liegt's nicht, denn solche Leute sind oft nach der neuesten Mode gekleidet, auch nicht am Mangel von Höflichkeit, sie verstehen sich oft ordentlich auf die Komplimente; an der Nase liegt's nicht, und auch nicht an der Perücke; doch sind uns die Augen nicht gleichgültig, und die Form des Mundes gar nicht. Wer's hinter den Ohren hat, dem schauen wir es leicht ab und gehen gern vorsichtig, einen ziemlichen Kreis beschreibend, wie um einen bissigen Kettenhund, um ihn herum, und sind innerlich froh, wenn er von uns und wir von ihm weit fort sind. Obwohl mein Begleiter nicht aussah wie ein Vagabund, und sehr manierlich mit Komplimenten that, so gefiel er mir doch nicht; auch hatte seine Freundlichkeit gleich anfangs einen widerlich süßen Beigeschmack, so daß ich lieber gewünscht hätte, er wäre sackgrob gewesen. Aber was half's? Wie kurz ich auch meine Antworten abfaßte, mich dabei wohl hütete, selbst aufs Fragen mich zu verlegen, wie sehr ich auch bemüht war, meinen lästigen Gefährten bald von der einen Seite, bald von der anderen abzuschütteln, – wie ein Kobold saß er mir auf dem Nacken und plagte mich eine lange Strecke Weges mit seinem endlosen Geschwätz. Dabei that er mir wie bekannt und hätte gar gern, das merkte ich wohl, weiter mit mir angebunden. Als ich gar nicht anzubeißen schien, fragte er mich, ob ich ihn denn gar nicht mehr kenne. Verwundert blickte ich zur Seite und forschte in den bis dahin nur obenhin Beobachteten Zügen, wen ich denn eigentlich neben mir habe. Mir dämmerte dann allerdings allmählich eine nicht ganz unbekannte Persönlichkeit aus meiner früheren Jugendzeit vor den Augen auf, die ich aber im späteren Leben, das mich eben auch nicht zwischen vier Pfählen sitzen gelassen, völlig aus den Augen und dem Gedächtnisse verloren hatte.

»Nun, ein Wunder ist's nicht, wenn so ein Weltkind,« fiel der Mann mir mit der Rede in die Betrachtung, »wie unsereiner, Leuten aus der Kunde kommt, die ganz andere Wege gegangen. Doch dünkt mich, Sie müßten sich noch des lustigen Vogels erinnern, der Ihnen zur Zeit gerade vor der Nase gewohnt hat, und sich, dünkt mich, doch damals bemerkbar genug gemacht hat.«

»Ja, Sie sind der Karl Z.,« sagte ich endlich, »allerdings ein gewesener lustiger Vogel, aber ich hätte Sie weder an der Stimme, noch an den Zügen sofort wieder erkannt. Sie haben sich sehr verändert.«

»Soll's wohl,« versetzte er bitter scherzend. »Sind auch fünfundzwanzig Jahre her, guter Freund, fünfundzwanzig Jährchen, eines schöner als das andere, die mich jetzt mit Fußtritten bezahlen. Sehen Sie, da vergeht einem die Stimme – und das Gesicht? – nun, da ist auch manchmal Donner und Blitz darüber gefahren. Daß man sich verändert! Sie sind auch ein Sonntagskind, ein Glücksvogel. Da dürfte unsereiner schon andere Geschichten auskramen.«

Dem Manne war es im Grunde ernster zu Mute, als er sich äußerlich anstellte, das fühlte ich aus seinen letzten Worten heraus, und als er darauf eine Weile schwieg und, wie sich auf sich selbst besinnend, auch dann noch stumm neben mir herging, als ich ihn fragte, was ihm denn während der langen Zeit alles passiert sei, wuchs mein Interesse an demselben Menschen, den ich eben noch nach Trippsdrill gewünscht hatte. Dazu war der Kontrast zwischen jenem lustigen Karl, dem einzigen Sohne einer wohlhabenden Kaufmannswitwe, und dieser Menschenruine auch gar zu auffallend, trotz fünfundzwanzig Jahren.

»Wenn ich das alles erzählen sollte,« hob er endlich mit einer eigentümlichen Bewegung an, »dürfte ich schon Zeit brauchen. Das gäb' eine Generalbeichte!« – und er riß den Hut vom Kopfe und strich sich mit der anderen Hand über die kalte Stirn, – »ja, eine Generalbeichte, daß Sie sich verwundern würden. Fünfundzwanzig Jahre, seit Sie uns gegenüber wohnten, und ich noch lustig war. – Sie haben mich gleich daran erinnert, als ich Sie auf dem Wege getroffen. Mir ist das Leben von damals wieder vor die Augen gekommen. – Es ist doch merkwürdig, so schöne Tage kann man nicht gut vergessen, wenn man auch wollte. Geschwätzt habe ich da eben, was mir nur in den Sinn gekommen, damit die Erinnerungen an jene Zeiten, die Sie wach gerufen, von mir weichen möchten, aber es geht doch nicht. Hab' Sie gleich erkennen müssen. Ich wollte Sie wohl gehen lassen, aber wenn ich das auch wollte, immer stärker meinte ich mich Ihnen anhängen zu müssen. Ha, die Jugend!« rief er aus und fegte mit dem Hute in der Hand durch die Luft. »Wer das in der Jugend alles wüßte!«

»Sie scheinen Erfahrungen gemacht zu haben?« warf ich fragend ein; denn daß mich die Neugierde plagte, ungefähr wie jetzt den geneigten Leser auch, gestehe ich gern zu.

»Erfahrungen! jawohl, Erfahrungen!« rief er aus, »prächtige Erfahrungen, die mir wahrlich mehr gekostet haben, als andere dafür bezahlen. Sie haben mich gekannt, als ich noch jung, noch lustig und fröhlich war und sang wie eine Nachtigall. Jetzt schauen Sie mich einmal gründlich an, dann, meine ich, können Sie mir aus dem Angesichte herauslesen, daß ich Erfahrungen gemacht habe.« Und in der That machte der Mann dabei ein Gesicht, daß ich fast erschrak. Die Aufregung, in der er sich befand, hatte nämlich das Innere nach außen getrieben, und sah dieses Gesicht doch aus wie ein ausgebrannter, verglühender Vulkan. Weiß Gott, welche Leidenschaften schon gewühlt hatten in dieser nunmehr rauhen, heiseren Brust! Daß der Patron nicht mehr sang, wie eine Nachtigall, konnte man wohl hören.

»Eigentlich soll ich alles einmal auskramen,« fing er wieder ruhiger zu schwatzen an. »Ich glaube, es thäte mir gut, wenn ich es von der Leber hätte; obschon ich nun einmal bin, was ich bin, und an dem, was hinter mir liegt, sich nichts mehr ändern läßt. Damals habe ich Sie wohl leiden mögen, als sie am Hüttchen wohnten. Ihnen könnt' ich's hier wohl erzählen. Eine lange Gewissenserforschung brauche ich nicht anzustellen. Ha! das weiß man alles besser, als das Vaterunser. Am Schnürchen hab' ich's alle seit den fünfundzwanzig Jahren. Abscheulich ist's, daß man den ganzen Kram nicht vergessen kann! Ja, es wird immer toller damit, je älter man wird. Geht man so allein seines Weges, muß man immer in seinem Lebenskalender herumblättern und die Bilder, die drin stehen, betrachten. Und neben einem her läuft etwas – wenn ich's nur packen könnte, den Hals drehte ich ihm um! – das wispert einem immer in die Ohren, daß einem die Galle überlaufen möchte.«

Wir kamen gerade an einem Kreuze vorüber, das am Wege aufgestellt war. Ich lüftete nach meiner alten Manier den Hut. Halb scheu, halb grimmig sah der Sprecher nach dem Kreuze, dann nach mir, und griff endlich, als wir schon vorüber waren, auch an den Hut. »Hab's lange nicht mehr gethan,« brummte er vor sich hin; »aber wir sind hier allein, und Sie sollen doch sehen, daß ich kein Gottesverächter bin.« Ich schwieg, wußte nun aber hinreichend, was die Glocke bei meinem Gefährten geschlagen.

»Wollen wir uns nicht dort unter den Baum in den Schatten setzen, um etwas auszuruhen?« fragte ich mit gleichgültiger Miene. »Es ist recht warm heute, und da thut ein wenig Ruhe auf dem Spaziergange gut.«

»Sie sind neugierig,« erwiderte jener spöttisch. »Sie wollen, ich soll auspacken, soll beichten hier im offenen Felde. – Sei's drum, hier lieber, als anderswo!« rief er dann aus; »Ihnen darf ich hier wohl alles sagen, wo die Wände keine Ohren haben. Der alte Knabe hat eigentlich selber keine Ruhe, bis er einmal die Geschichte quitt ist.«

Wir setzten uns unter den Baum, das Gesicht gegen die Stadt gerichtet. Mein Gefährte zog den Hut tiefer ins Gesicht, schlang die Hände um beide Kniee und schaute eine Weile stumm vor sich zur Erde nieder. Er suchte Ruhe zu gewinnen. Um ihm auf den Text zu helfen, begann ich von jener Zeit zu reden, wo wir so nahe beisammengewohnt hatten. »Mich dünkt, Sie hätten damals den Bräutigam gespielt, als wir noch am Hüttchen wohnten. Ist aus der Heirat nichts geworden?« fragte ich.

»Damals? nein, damals nicht!« hob er an. »Die Geschichte mit der Franziska hatte meine Mutter angezettelt, die mich lustigen Vogel gern an eine Betschwester gekoppelt hätte, damit ich wieder zu Raison käme. Die Mutter hat's gut gemeint, aber Spaß habe ich damit gemacht, bloßen Spaß, um es mit der Mutter nicht zu verderben, deren Geld ich nicht missen konnte. Verdiente kaum vierhundert Thaler und brauchte sechshundert, zum wenigsten sechshundert ohne die Schulden. Ums Heiraten war mir's nicht zu thun – hatte damals ganz andere Bekanntschaften, zwei, drei, wenn Sie wollen, die mir zum Zeitvertreib besser gefielen. Doch da muß ich ausholen, um der vermaledeiten Wirtschaft den rechten Grund zu geben. Passen Sie gut auf, daß Ihnen nichts entgeht; fasse mich kurz, denn es handelt sich nur um Todsünden. Wenn man durch Alpen wandert, kann man sich um Maulwurfshaufen nicht kümmern.«

Er hustete, wischte sich den Schweiß von der Stirn, schaute rings um sich und hob dann ruhiger zu erzählen an:

 

III. Allzulose bindet nicht

»Meine Mutter war, wie Sie vielleicht noch wissen, eine gar weichherzige, gutmütige Frau, deren Herz immer in Butter schwamm. Der Karl that schon in früher Jugend, was er wollte, lockte ihr stets Geld ab, wurde viel geliebkost, machte viel dumme Streiche, worüber sie oft weinte; aber hätte sie mir Ohrfeigen geben sollen, wie ich sie verdiente, hätte sie sicher noch bitterer geweint; und statt mir den Brotkorb hin und wieder höher zu hängen, begütigte sie den Eigensinn mit Süßigkeiten und strafte mit Bitten den Trotz. Klagten andere Leute über mich, nahm sie mich sicher, auch wenn ich dabei war, mit wahrhaft mütterlicher Zärtlichkeit in Schutz. Daß ich mit der Mutter machen konnte, was ich wollte, habe ich schon mit acht Jahren gewußt. Ich wäre auch hintennach gewiß frömmer geworden, wenn zuweilen jemand dagewesen, der mich Religion mit dem Stocke gelehrt hätte. Denn es ist gewiß wahr, die Frömmigkeit muß einem zur Zeit ordentlich eingebläut werden. Zum tausend Glück oder Unglück, wie man's nimmt, war mein Vater früh gestorben, ich, das einzige Kind, also allein Hahn im Korbe. In dem ganzen Stadtrevier gab's keinen Buben, der's besser hatte, als ich. O, es war eine selige Zeit, jene Jugend, wo man thut, was man will, und andere da sind, die von allen Streichen die Rechnung bezahlen! Leider hintennach muß man's büßen. Von den Kindereien will ich nicht weiter reden; nur gehört das, was ich gesagt habe, notwendig zum folgenden.

Sie können denken, da ich meiner Mutter Sohn bin, hatte ich auch ein weiches Herz, vieler Liebe fähig, mehr, als mir oft lieb war. Das haben zuerst meine Kameraden gemerkt, deren ich immer ein ganzes Rudel besaß. Wenn die Mutter auch das Taschengeld verdoppelte, reichte es doch nicht aus, denn ich brauchte mehr als alle anderen, dafür war ich auch der Anführer, und wenn ich dann der Mutter im Geldbeutel herumstibitzte – noch nebenher, versteht sich, hat's noch immer geheißen: Ach, Karl, das sollst du doch nicht thun, ich will's dir ja lieber geben! statt daß jemand da gewesen, der mir das Sitzfleisch gegerbt hätte nach allen Dimensionen. Das war der Grund von allem nachfolgenden Übel. Aber lustige Streiche gab's doch in jener Zeit, guter Freund, über die ich jetzt noch lachen muß, wenn ich daran denke; denn wir waren viel toller, als schlecht. Allerdings genützt haben die Streiche mir nichts. Aufs Gymnasium bin ich dann gekommen, wie die meisten Bürgerssöhne, und habe ausgehalten bis zur vierten Klasse. Darüber bin ich ziemlich in die Höhe geschossen, so daß ich die ganze Schule überragte. Dumm war ich nicht, aber ich brauchte meinen Witz lieber zum tollsten Zeug, als zu vernünftiger Arbeit. Meine Mutter meinte, ich solle Arzt oder Advokat werden – ich, das einzige Kind, solle mich über den Büchern krumm sitzen, damit jeder dumme Bauernjunge mir mit seinem ochsigen Fleiß den Rang ablaufe, nein, das war mir zu mühselig und wurde mir auch zu lang. Zudem wollte das vertrackte Latein mir schon nicht in den Schädel, und als erst das Griechische beginnen sollte, hab' ich meiner Mutter die Bücher vor die Füße geworfen und ihr trotzig erklärt, ein ganzes Regiment Dragoner brächte mich nicht wieder in die Schulstube zurück.

Darauf bin ich in eine Handlung gekommen. Ich wollte nun Kaufmann werden, wie der Vater gewesen war. Mein Lehrherr, der erste nämlich, hielt strenge Ordnung, die mir natürlich wenig zusagte. Ich wußte es bald anzustellen, daß er mich fortschickte, und gewechselt habe ich so lange, bis ich einen fand, der's nicht sehr genau nahm. Die Mutter hat heidenmäßig blechen müssen über dem Wechsel, aber die Mutter mit dem Gelde galt ja auch nicht so viel als das verwöhnte Muttersöhnchen. Bei dem letzten Lehrherrn bin ich in eine prächtige Schule gekommen; Comptoiristen waren da, einer gewichster als der andere, die das Vergnügen in allen Tonarten variierten. Die Kerls haben mich eigentlich aufgeklärt über Gott und den Teufel, um die ich mich zwar niemals sehr viel vekümmert hatte, ohne gerade übers Gegenteil nachzudenken. Doch was schwätze ich da vom Nachdenken! Jetzt, ja, jetzt kommts Nachdenken, damals war dazu keine Zeit! Was meinen Sie wohl, noch keinen Flaum am Kinn und mit der jungen Nase an jedem Braten gerochen, hatte Bekanntschaft und machte den Stutzer, der keck über alle göttlichen und menschlichen Gebote wegtanzte. Ich meinte, was Rechtes zu sein, wenn ich es wenigstens meinen Genossen, meinen eigentlichen Lehrherren, gleichthun konnte. Mit der Frömmigkeit, ja, mit dem Glauben war es damals schon aus, so wußten meine Gefährten zu schwätzen, obschon ich noch bisweilen mit der Mutter zur Kirche ging.«

»Aber das war ja Heuchelei!« rief ich aus.

»Pah, Heuchelei!« erwiderte er mit bitterem Lachen; »als wenn der Unglaube, den wir jungen Wichte zur Schau trugen, nicht noch eine ganz andere Sorte von Heuchelei gewesen wäre! Oder glauben Sie, daß es wirklich uns Aufgeklärten mit dem Unglauben Ernst wäre? Dann kennen Sie die Welt nicht, guter Freund, sonst müßten Sie besser wissen, wo ein solcher Wind herkommt. Sehen Sie sich doch heute noch einen von der Sorte an, wozu ich damals gehörte, und setzen Sie sich noch heute auf vierzehn Tage in seine Lage; ich wette darauf, Sie selbst gehen endlich binnen vierzehn Tagen auch in keine Kirche mehr, oder laufen aus dieser Gesellschaft fort. Wer zu dem Völkchen gehören will, muß mitmachen und mitlachen über Gott und Welt. Zuerst und vor allen Dingen heißt es auf der Straße, im Wirtshause, im Theater, und wo man sich nur sehen läßt, gewindbeutelt, damit der Tropf nach der Mode aussieht. Wer morgens so viel Zeit gebraucht, um sich in Façon zu setzen, darauf spekulieren muß, wie er sich am vorteilhaftesten herauswerfen kann, wird doch wohl sicherlich nicht ans Morgengebet denken. Wer darauf ausgeht, anderen die Religion aus leicht begreiflichen Gründen leid zu machen, damit er zum Ziele komme, wird doch wohl selbst die Kirchenthür nicht einrennen dürfen. Wem einmal des Teufels Kapellen im Sinne liegen, der darf an Herrgotts Kirchen nicht mehr denken. Wenn ich mir alle meine Kameraden von damals vorstelle, wie sie leibhaftig da waren, und stelle mir vor, auch nur einer hätte im Ernst von Gott angefangen, müßte ich noch jetzt vor Lachen platzen, wie wenn der Harlekin auf der Bühne anfinge, Moral zu predigen. Im Theater holt unsereiner sich die Religion, in fröhlichen Gesellschaften und in Büchern, die lustiger sind, als meiner Mutter Hauspostille. Das muß man alles thun, damit eins zum anderen paßt. Genug, mit der Mutter bin ich zur Kirche gegangen, ohne für den Gottesdienst ein Herz zu haben, und mag das wohl noch das geringste Unrecht sein, was ich damals angerichtet habe.

Sie wissen noch, daß ich ein Held im Gesange war. Eine Stimme habe ich gehabt, – Blitz und Wetter! – eine Stimme, die auf dem Theater hätte paradieren können. Der Teufel hat sie davon geführt, diese prächtige Stimme!«

Er riß neben sich das Gras aus und warf es von sich ab, bohrte dann mit dem Finger in die Erde und schwieg eine Weile. Die Erinnerung an seine Sängerei schien ihn tiefer in sein junges Leben einzuführen. Einen Umstand, den ich gar nicht beachtet hatte, weckte ihn aus seinem brütenden Nachdenken. Nicht weit von uns ackerte ein Bauer mit zwei Ochsen und pfiff dazu ein fröhliches Lied.

»Hätte ich den Ochsen vorgesungen, wie dieser Bauer da,« fuhr er endlich fort, »sänge ich vielleicht noch, aber die verdammte Gesellschaft! die verwünschte Stimme!«

»Aber eine schöne Stimme ist doch eine gute Gottesgabe,« warf ich ein, »die man nicht verachten soll.«

»Arme und Beine sind auch gute Gaben Gottes,« lachte er vor sich hin, »und doch kann man zum Mörder damit werden und zum Teufel damit laufen. Es wird alles darauf ankommen, wozu man's braucht. Ich habe mit der schönen Stimme mich in eine schöne Brühe hineingesungen!«

Wieder schwieg er eine Weile; dann stand er auf und bat mich, mit ihm weiter zu gehen, das Sitzen tauge nicht für ihn, es kämen ihm dann zu viele Gedanken. Wir schritten weiter. Als wir uns auf der Landstraße befanden, fuhr er fort:

»Sie wissen nicht, was das junge Leben bei Leuten meines Schlages für Gelegenheit zur Nichtsnutzigkeit hat. Man soll und will und muß lustig sein, sonst müßte man sich ja begraben lassen. Nun sang ich ganz göttlich; ich that mir auch nicht wenig darauf zu gute, war also gern bei allen Gelegenheiten, wo ich mich mit meiner Stimme nur zeigen konnte. In den ruhigen, ordentlichen Bürgerhäusern ging es mir und dem Schweif, den ich nachzog, oder der mich endlich herumzerrte, ich weiß es noch nicht recht, viel zu solid her; wir suchten uns zumeist lustigere Gesellschaft, die wir amüsierten und doch dazu bezahlten. Das war damals, als wir am Hüttchen wohnten, so recht im Gange. Sternenhimmel! was das oft ein Heidenleben war! Sehen Sie,« und er trat gerade vor mich hin und ergriff mit beiden Händen mir den offenen Rock, schaute dabei mit einem Angesichte mir in die Augen, worin noch einmal eine ganze Hetzjagd menschlicher Leidenschaften in dunklen Schattenbildern, wie eine wilde Jagd gespenstisch durch die graue Nacht, wirbelnd daherflog, daß es mir in der Seele schauderte! »Sehen Sie, das ist die rechte Teufelei in dem jungen Plaisier, daß einem Leib und Seele ausgepumpt wird, daß keine Faser im ganzen Kerl in Ruhe gelassen wird, daß man endlich erst lustig zu sein meint, wenn einen geradezu der Teufel reitet und man dabei noch Gott und Welt auslacht. Meinen Sie, das sollte ich Ihnen jetzt noch einmal alles auspacken, um mich auch jetzt wieder über das zu ärgern, was mich ins Unglück gebracht hat?«

»Das Schweigen wird Sie auch nicht trösten,« erwiderte ich und sah ihm mit möglichster Ruhe ins Gesicht. »Das ärgert Sie wenigstens nicht, daß jemand Anteil an ihrem Unglücke nimmt.« Er ließ mich los und fing aufs neue an, in wirrem Durcheinander von den lustigen Gesellschaften zu erzählen, worin er seine Jugend verbrachte, seine Stimme versungen und sich doch eigentlich nur sein Unglück geholt habe. »Verwünschte Weibsleute«, »niederträchtige Kameraden«, »Saus und Braus«, »Fastnachtsspaß von Neujahr bis Ostern«, »Pump und Borg« und »Mutterthränen« spielten eine Hauptrolle in der verwirrten Erzählung, gemischt mit Grimm und Reue, die eigentlich doch beide nicht viel zu bedeuten hatten. »Der Halunke!« rief er endlich aus, als er eben erzählt hatte, wie der Kassierer des Comptoirs, worauf er damals arbeitete, sie lange mit seiner vollen Börse geneckt, »hatte das Geld gestohlen, nahm Reißaus und wir verloren darüber alle unsere Posten. Nun, genau hat's keiner genommen, aber das war doch der ärgste Schelm und lachte uns noch dabei aus. Damals war ich bei der Mutter und ließ mich auf die Geschichte mit der Franziska ein, damit mir daheim Thür und Kasse offen bleibe. Sobald ich wieder einen anderen Posten erhalten, war's aus mit dieser Freierei. Was meinen Sie wohl, die größte Dummheit, die ich je begangen, war doch die, daß ich mir endlich noch ein eheliches Weib genommen, ein Weib, wie es mir damals anstand. Diese Geschichte erzähle ich Ihnen aber umständlich, denn nun geht der Tanz erst los, und werden dem Vogel die Flügel geschnitten. Heiraten! heiraten! welch eine Thorheit für unsereinen!«

»Thorheit?« fragte ich verwundert. »Sollte das Thorheit sein, was für die Menschheit das wichtigste Kapitel im irdischen Leben ist?«

»Ich sage, Thorheit für unsereinen; denn was habe ich vom Heiraten gehabt? Hören Sie nur zu, und Sie werden schon anders reden!«

 

IV. Eine moderne Heirat

»Wenn des Sonntags nachmittags das Wetter nicht gerade zum Parademachen taugte, saßen wir Kameraden in der Regel beisammen, spielten, sangen, tranken, oder machten uns über die Leute lustig, die zur Kirche gingen. Wie sollten wir auch anders die Zeit totschlagen? Da war der lange Heinz – einen prächtigen Backenbart hatte der Kerl, den er aber auch danach pflegte, das einzige, was das Subjekt auszeichnete, – der wohnte in einem Weinhause. Bei ihm ließen wir uns in der Regel nieder, da wir uns dort am freiesten bewegen konnten. Zur Bande gehörte ein junges Bürschlein aus Holland, das erst seit zwei Jahren in die Handlung gekommen war, aber bereits Erfindungen gemacht hatte auch noch in anderen Waren, die ihm die Ehre verschafften, zur Gesellschaft zu gehören. Er sang einen prächtigen Baß, war plump, frech, schlau wie einer, hat sich aber binnen drei Jahren kaput gemacht. Haut und Knochen haben die Eltern halblebendig heimgekriegt, und selbst diese waren keinen Heller mehr wert. Ich darf den Lorenz nicht vergessen, den Urheber meines Unglücks, diesen liederlichen Saufaus, für den ich hundertmal die Zeche bezahlt habe, und der mich hintennach so heidenmäßig angeführt hat. Arbeiten konnte er für zwei; gescheit im Geschäfte wie einer, gab er in der Regel den Ton an in unserer Gesellschaft. Das Lachen dieses Menschen war entsetzlich, dieses kalte, grinsende Lachen, dem in der Regel eine Lauge des bittersten Spottes folgte. Er hatte uns mit seinem verteufelten Lachen so sehr im Banne, daß wir damals, glaub' ich, dem leibhaften Teufel in den Rachen gesprungen wären, um nur nicht von ihm ausgelacht und verhöhnt zu werden. Um doch nicht gerade wie das liebe Vieh in die Welt hineinzuleben, das sich nach dem Fraße nur selber beleckt, und unserer Aufklärung ein Götzenbild aufzustellen, machten wir uns zu Kunstliebhabern, vor der Hand im Gesange und fürs Theater, und haben uns oft in einen richtigen Enthusiasmus hineingearbeitet über's Disputieren. Nun, etwas will der Mensch zu thun haben. Ich sage Ihnen aber, in der Kunst steckt der Teufel, ein lustiger, glatter, abgefeimter Teufel, der sich aufs Butterbrot schmieren läßt und hinuntergluckt, daß man selber dabei lachen muß. Aber der Teufel ist's doch. Man spürt's erst, wenn man ihn gründlich im Leibe hat. Dann macht er einem endlich so viele Kunst vor, daß man an unseren Herrgott nicht mehr denken kann, ohne halbrasend zu werden.«

»Wie, Sie schmähen die Kunst?« rief ich unwillkürlich aus. »Ist das nicht auch eine Gottesgabe?«

»Ich rede von unserer Kunst,« fuhr mein Gefährte eifrig fort, »worin der Teufel steckt. Sehen Sie, wir Aufgeklärten treiben uns mit der Kunst herum, um nur nicht an unseren Herrgott denken zu müssen. Jetzt, ja, jetzt weiß ich das, wo mich die Kunstnarrheit ins Unglück gebracht. Lassen Sie mich die Geschichte nur auslegen.«

»Aber ihr Aufgeklärten sprecht immer vom Teufel,« warf ich ihm noch zwischen die Füße, »und doch glaubt ihr nicht daran? Oder ist das auch Kunst?«

Mein Begleiter schaute grimmig neben sich hinaus und lachte bitter, gab aber keine Antwort darauf, sondern hob zu erzählen an:

»An einem solchen Sonntagnachmittag hatten wir beim langen Heinz wieder zusammengesessen und wacker gezecht und gesungen dabei nach der Kunst. Ich gar hatte mich angestrengt, denn jeder möchte sich gern in etwas auszeichnen. Ganz göttlich! hatte der Lorenz gesagt, excellent singst du, Karl. Solltest eigentlich die Welt entzücken mit deiner Stimme. Das Lob hatte mich gerade vom Lorenz voll Seligkeit gemacht, und ich bedauerte wirklich, mich nicht der Kunst widmen und geradezu aufs Theater gehen zu können. Zur Schauspielerei meinte ich auch wenigstens Geschick zu haben. Als endlich die Köpfe recht heiß und toll waren, redete ich mich so recht in die Kunst des Gesanges hinein, für die man eigentlich leben und sterben solle. Gewöhnlich aber steckt der Satan seinen gehörnten Schädel erst durch die Thür, und schlüpft in die Gesellschaft, wenn diese bereits im Paradiese der Weinseligkeit herumtaumelt, und immer wird sich dann einer finden, der in seinem Namen Rede und Antwort gießt. Der lange Heinz fing nämlich an, von einer Sängerin zu reden, deren Stimme sich excellent neben der meinigen ausnehmen müsse. Dazu sei es eine aparte Schönheit, die einem ordentlich den Kopf verdrehen könne. Ich hatte schon keine Ruhe, bis ich die Sängerin gehört und gesehen, und wollte jetzt gleich zu ihr geführt werden. Dazu kann Rat werden, meinte der Kamerad, und der liederliche Holländer wußte auch schon Auskunft. Wenn du aber Glück hast, mußt du uns eine tüchtige Zeche zum besten geben, bedung der lange Heinz. Alles, was ihr wollt, rief ich prahlend aus, macht nur vorwärts! Richtig, noch an demselben Abend führte man mich in die Krahnenstraße, wo sich eine Gesellschaft junger Künstler zu Kunstzwecken zusammenfand. Auf dem Wege dorthin begegnete mir die Mutter, die aus dem Abendgottesdienste nach Hause ging. Sehen Sie, das Gesicht meiner Mutter von damals kann ich heute noch nicht vergessen. Damals habe ich gefühlt, daß ich im Grunde doch nur ein Lump sei, und seit der Zeit – doch Karlchen, sei kein Narr! Er blickte mich mit einem spöttischen Lachen an, das eigentlich nur ihm selber galt. Na, unrecht war es schon, daß ich mich in meiner neuen Kunstbegeisterung zu Spöttereien über die Frömmigkeit der eigenen Mutter hinreißen ließ, obschon ich mehr prahlte, als daß es mir vom Herzen gekommen. Man ist eben seiner Kameraden Narr und macht sich ihnen zum Narren. Aber es war mir doch auf dem Wege, als ob ich noch einen Schutzengel habe; nur fragte ich nichts danach. Mir lag die Sängerin im Kopf, die ich im Herzen schon anbetete.

Es war mein erster Gang in die Krahnenstraßer Gesellschaft, welche meist von jungen Künstlern und Künstlerinnen, besonders vom Theater, besucht wurde. Neues Personal – auch die Sängerin war zugefahren – das mir ganz fremd war. Um so mehr war meine Erwartung gespannt. Auf niemand habe ich besonders achtgehabt, so daß ich mich heute noch der Personen nicht erinnern kann, die ich dort gesehen und gesprochen. Ich wurde der Julie vorgestellt, ich unterhielt mich mit ihr, wir sangen zusammen, ich schien ihr zu gefallen, ich war ganz hingerissen, so daß ich nichts sah und hörte als Julie. Wenn einen nämlich der Teufel reitet, dann focht er ihm Herz und Kopf derart auf, daß der Tropf nichts anderes hört und sieht, als seine Leidenschaft. Daß die Julie selber meinte, meine Stimme passe gar so gut zu der ihrigen, brachte mich vollends aus dem Häuschen. Die Julie erobern, alles daran setzen, die Festung zu stürmen, war von dem Tage an mein einziger Gedanke. Pah! eine schöne Eroberung! eine Festung, worin die Pest wohnt! Das riecht aber so ein Hansnarr nicht, bis ihm die Beulen durch die eigene Haut schlagen. Die Julie verstand indessen den Krieg, das kann ich Ihnen versichern, viel besser noch, als ich. Vor den Kopf stieß sie mich nicht, aber Prätensionen machte das Persönchen, setzte sich selbst aufs oberste Brettchen und that, als ob sie vom Großmogul abstammte und die Kunst leibhaftig im Leibe trüge, daß ich anfangs ganz verwirrt wurde. Dazu sollte ich noch eine ganz besondere Species von Respekt haben – denken Sie sich, vor einer leibhaften Sängerin in der Krahnenstraße Respekt haben, die doch wahrhaftig eben so aufgeklärt war, wie ich auch. Welche Zumutung! Und doch habe ich verrücktes Möbel mich gründlich in die Julie verschossen, bloß und besonders um des Respektes willen, den ich haben sollte und eigentlich nicht haben wollte. Aber das Weibsbild hat mich am Leitseil geführt, noch viel toller, als ich es bisher anderen, ehrbareren Mädchen gemacht hatte, denken Sie sich, die Tugendhafte gespielt, mir moralische Vorlesungen gehalten, wenn sie mich eben zum größten Narren gemacht, und mich so lange herumgezerrt und mir den Kopf so heiß gemacht, daß ich ihr endlich die Ehe versprach. Denken Sie sich, meine Kameraden hatten eigentlich, wie sie denn immer nur ins Feuer geblasen, die Verlobungsgeschichte hergerichtet und mich noch als den glücklichsten Kerl der Erde gepriesen. Ich selbst habe mir damals weisgemacht, ich mache eine gute Partie; war die Julie doch eine Künstlerin, deren Name in den Zeitungen gestanden und die selbst mich im Gesange übertraf.

Meine Braut war von gemeinem Herkommen, und von den eigentlichen Sitten sollen Sie noch hören; hatte sich aber einige seidene Kleider herausgesungen, vielleicht aber noch niemals einen solchen Gimpel, wie mich, gründlich angeködert. Bis zu der unseligen Bekanntschaft mit der Julie hatte ich gewiß schon ein Dutzend andere gehabt, aber das Weibsbild hat mich toll gemacht. Natürlich, meiner Mutter hatte ich von der Verlobung nichts gesagt; wozu sollte das auch gedient haben? Als ich ihr dann aber die Julie, von der sie wohl schon gehört und gegen die sie gewiß schon manches Vaterunser gebetet hatte, als meine wirkliche Braut vorstellte, fiel sie in Ohnmacht. Was meinen Sie wohl, das Weibsbild konnte seine Freude nicht einmal verhehlen, wenn die Mutter nur auch schon tot sei; und ich war schlecht genug, sie nicht darüber zur Thür hinauszuwerfen. Die Mutter hat hintennach zwar mit vielen Bitten und Thränen protestiert gegen die Heirat, der Karl aber hat wie immer seinen Willen durchgesetzt.

Die Julie habe ich richtig geheiratet zum Trotz von allen Leuten, die mir gut raten wollten. Denken Sie sich die Dummheit, zu heiraten, eine solche Julie zu heiraten!«

»Aber, um Himmels willen,« rief ich aus, »es ist nun doch Ihre Frau! Sie beschimpfen ja ordentlich Ihr eigenes Weib!«

»Genug beschimpft! ich sage, es war eine Dummheit, daß ich heiratete, und sage es nochmals, unsereiner soll gar nicht heiraten. Meinen Sie denn, solche Bürschchen, wie ich damals eines war, hätten Verstand, eine rechte Frau sich auszusuchen? die wüßten auch nur vom Hörensagen, was das heißt: Heiraten? Man lernt's hintennach, ja, man lernt's; – hol' mich der Henker, daß man's lernt! Nein, hol' der Henker alle Weiber! Unsereiner ist doch keine ordentliche wert. Am Hochzeitstage sind mir die Pocken nach innen geschlagen, und der Aussatz trat nach außen. Ich sage Ihnen, ein nichtsnutziges Weib und ein Mann meines Schlages, und sängen und tanzten und sprängen sie wie die Engel, sollte man lieber in Ketten legen und mit Wasser und Brot zu Tode traktieren, statt sie zu kopulieren. Nein, noch immer behaupte ich, es war unrecht, schreiendes Unrecht, daß man uns in der Kirche kopulierte.«

»Nun, warum denn?« fragte ich.

»Darum, weil ein solches Paar nicht zusammentaugt. Weil man, hat man eine solche Jugend hinter sich, schon gar nicht mehr heiraten soll, da es dann nicht möglich ist, daß man ein rechtschaffenes Weib recht in Ehren heimführen und einen ordentlichen Hausstand gründen kann. Wer eine Julie heiraten will, müßte direkt ins Narrenhaus geschickt werden, denn da fehlt's im Hirn.«

»Aber Sie sagen ja, Sie hätten Ihre Braut so schrecklich lieb gehabt?« fragte ich.

»Lieb gehabt? Ja, wie toll, bis sie mich hatte, als ich sie nicht mehr los werden konnte – da hörte die Liebe auf einmal auf. Ich sage Ihnen, bereits am Hochzeitstage, gleich nach der Trauung, haben wir uns wie verdutzt angeschaut, gerade als ob wir uns nicht wieder erkennten. Hat das Weihwasser das gethan, oder was sonst? Wir waren durchaus nicht mehr bei einander daheim. Das war der Segen der Kirche. Natürlich, beichten und kommunizieren sind wir auch nicht gegangen, da aufgeklärte Leute und Künstler, wie wir, über solche Geschichten längst weggewachsen waren. Die Mutter wurde gründlich angelogen, wie sich von selbst versteht.«

»Also nicht einmal wie ordentliche Christenmenschen in die Ehe! Das war allerdings stark!« warf ich dazwischen.

»Langsam, guter Freund!« korrigierte der ehemalige aufgeklärte Comptoirheld, »das verstehen Sie nicht. Sehen Sie, man hätte uns, mich besonders, ausgelacht, nämlich im Sängerklub; und die ganze Rotte meiner lustigen Kameraden, was würden die für Glossen gemacht haben, wenn der Karl zur Beichte gegangen wäre! Dieses Auslachen ist wirklich des Teufels für einen aufgeklärten Kopf. Ich hätte mich ja auch über andere lustig gemacht, wenn sie es versucht hätten. Da möchte man allerdings heimlich manches thun; aber hohnlachend tritt einer vor den anderen hin und hält ihn von Gott und der Kirche ab. Eine rechte Teufelei ist es, wahrhaftig, aber es geht einmal so.«

»Ohne Segen der Kirche kann aber keine Liebe gedeihen,« war meine Sentenz.

»Liebe? was Sie da immer von Liebe reden! Glauben Sie denn, man würde des Liebens nicht müde? oder diese Liebe habe mit dem Segen der Kirche etwas gemein? Mit sechzehn Jahren habe ich schon angefangen, von diesem Herzenskapital auszugeben, und zwar noch verschwenderischer als mein Geld, weil ich freier darüber verfügen konnte. Hintennach ist das Herz gar bald ausgebeutelt, so daß man rechtschaffen niemand mehr lieben kann. Und noch dazu eine solche Julie lieben sollen und müssen! Nein, das ging schon von Anfang an nicht mehr. Das Weibsbild hat auch noch den letzten Funken in der Herzensasche mit beiden Füßen ausgetreten. Wo nichts mehr ist, hat der Kaiser sein Recht verloren, und kommt selbst der Segen der Kirche zu spät.«

Mein Begleiter hustete und pustete neben mir her und fuhr ein über das andere Mal mit der flachen Hand über den kahlen Schädel. Dann riß er die Weste auf, als ob ihm das Herz noch koche. Natürlich jetzt brannte ein anderes Feuer drunter. Doch schien es ihm wohl zu thun, daß wenigstens diese Lava einen Ausweg fand.

»Wie üblich hatten wir am Hochzeitstage eine kleine Reise unternommen. Unterwegs hatten wir schon beide viele Ursachen, zu zanken und recht gründlich miteinander unzufrieden zu sein. Jedes wollte seinen Kopf aufsetzen und wäre am liebsten seinen eigenen Liebhabereien nachgelaufen. Schon damals waren wir uns beide nicht genug. Die Julie (so nannte er nur immer seine Frau) hätte mich gern kreuz und quer durch die Welt geschleppt; es gefiel ihr draußen gar so gut – natürlich, ich mußte ja alles bezahlen. Mir lag das neue Geschäft im Kopfe, das ich in meinem elterlichen Hause anfangen sollte. Dazu war es mit meinem Vermögen schon gar nicht weit mehr her; denn das Jugendfeuer hatte einen guten Teil meines väterlichen Erbes in Asche gelegt, und natürlich, verassekuriert war nichts. Ich war doch nun einmal der Karl und mußte suchen, wenigstens vor der Welt meine Rolle fortzuspielen. Merkwürdig! sobald man verheiratet ist, fallen einem Gedanken ein, an die man sonst nie gedacht hat. Sie sehen sehr nüchtern aus und kommen solchen Faselhänsen, wie ich einer war, wie spanische Dörfer vor; aber sie fallen einem doch in den Schädel hinein, wie Hagelwetter in den April. Dazu dämmerte mir mein bevorstehendes Eheglück immer dürrer und trostloser vor der Seele auf. Hätte es nur angegangen, die Julie hätte ich bereits auf der Reise gelassen und wäre allein heimgekehrt. Schade, daß man ein solches Weib nicht wie einen nichtsnutzigen Laufburschen fortjagen kann! – Wir kamen endlich doch zusammen nach Hause. Jetzt ging das Leid an, denn die Julie und meine Mutter taugten einmal nicht zusammen. Fromm bin ich nie gewesen, aber die Mutter wollte ich doch in ihrer Weise geschont wissen, und gönnte ihr im Grunde des Herzens ihre Frömmigkeit. Die Julie indes, die gar zu gern allein im Hause geherrscht hätte, und der die Schwiegermutter überall im Wege stand, rieb sich zuerst an den frommen Übungen der Schwiegermutter. Rosenkranz und Kruzifix, Weihwasser und Heiligenbilder wurden als abergläubisches Zeug verspottet, und zwar ins Angesicht der Mutter, damit sie sich ärgern solle. Ich selbst war ja auch ein Aufgeklärter und durfte nicht in Schutz nehmen, was ich selbst nicht übte und oft genug lächerlich gemacht hatte. Dazu zog die Julie ihre früheren Bekannten ins Haus, und mir liefen die alten Kameraden nach, – es war und blieb eine recht tolle, nichtsnutzige Wirtschaft, in der sich die Mutter zu Tode gegrämt hat. Ein halbes Jahr hat sie's ausgehalten im eigenen Hause, dann aber hat sie sich anderswo eingemietet, hernach in einem anderen Stadtviertel, damit ihr die saubere Schwiegertochter nicht mehr vor die Augen komme. Doch, guter Freund, das Herz hat mir weh gethan über der Trennung, und es war, als ob der Fluch über mich herziehe, aber ich war ja selbst nicht mehr Herr im Hause. Ja, es ist wahr, man schleppt die Jugend in die Ehe und muß ernten, was man gesäet hat. Wenn ich jetzt nur allein sein muß, dann geht das alles deutlich und handgreiflich mir vor den Augen her, und predigen könnt' ich darüber, daß den Leuten die Haare zu Berge ständen. Aber was will's nun helfen?

Anfänglich gingen die Geschäfte gut, und ich dachte schon daran, mich ordentlich wieder herzurichten. Aber je mehr ich verdiente, um so toller ging's daheim her, und wenn ich nicht daheim war, am tollsten. Dann wurden Feste veranstaltet, gesungen, gespielt und gegessen, alles auf Regimentsunkosten. Die Julie war und blieb noch immer die Künstlerin. Himmelelement! diese Kunst, diese verteufelte, aufgeklärte Kunst hat mich ruiniert, hat mich auf schlechte Wege geführt und auf ewig unglücklich gemacht!« Der Gefährte schrie das wie ein Verzweifelter vor sich hin, und Thränen rannen ihm dabei über die Backen.

»Oft, wenn ich abends müde und verdrießlich von der Arbeit heimkam – das Handelsglück ging schon den Krebsgang – und ich hörte in meinem Hause schon wieder Spiel und Gesang, dann meinte ich, der leibhaftige Satan hätte mich durch die Lüfte geführt. Es war wirklich zum Tollwerden. Eine Kugel hätte ich mir oft über all das Pläsier, das mir zu Hause angethan wurde, durch den Kopf gejagt, wäre oft in den Rhein gesprungen, wenn unsereiner nicht einen solchen merkwürdigen Respekt vor dem Tode hätte. Auch lebte die Mutter noch, zu der ich oft, an meinem eigenen Hause vorüberschleichend, hineilte, um dort meinem Zorn und Grimm freien Lauf zu lassen. Das sollte mich trösten. Der Mutter habe ich nur Herzeleid gemacht, nur Herzeleid von Anfang bis zu Ende. Mein Gebaren hat ihr endlich gar das Herz abgedrückt; bald lag sie auf dem Sterbebette. Wie so oft sonst, suchte sie jetzt besonders mich zu bekehren. Mich bekehren? Einen Menschen bekehren, der eine Julie zur Frau hat, der sich im Grunde des Herzens nicht bekehren will, weil er aus dem vertrackten Knäuel von Familienverhältnissen nicht herauskann! Ich habe der Mutter natürlich alles versprochen, aber gehalten – nichts! Das war doch nur das alte Kapitel. Hören Sie, Herr, das war ein Unglück, daß die Mutter starb! Ja, das war ein Unglück! Noch jetzt möchte ich weich werden, wenn ich daran denke; denn nun war's aus, rein aus mit dem Karl; kein Mensch hatte mehr Sorge um ihn!« Und wirklich rannen dem aufgeregten Manne ein paar dicke Thränen über die aufgedunsenen Backen, und er schluchzte laut hin und schämte sich vor mir gar nicht. Hopfen und Malz waren an dieser Menschenruine doch noch nicht ganz verloren.

»Ja, gut war die Mutter,« fuhr er nach einer Weile wieder fort, » zu gut, das war der ganze Fehler. Der Karl wäre doch ein anderer Kerl geworden, wenn die Mutter nicht von Anfang an zu gut gewesen. Noch auf dem Totenbette hat sie mich gesegnet, so gut war sie. Denken Sie sich, mich trotz alles angethanen Herzeleids noch zu segnen!«

»Nun, gebe Gott, daß der Segen nicht ganz verloren geht!« bemerkte ich.

»Bis heute habe ich wenig davon gespürt,« hob er wieder in seiner früheren Weise an, »obwohl ich noch nicht ganz des Teufels bin. Aber das ging auch nicht anders; denn sobald die Mutter begraben war, fing das rechte Unglück erst an. Da ich zur Mutter nicht mehr laufen konnte – auf dem Kirchhofe habe ich es nie aushalten können –, zu Hause wenig Pläsier fand, habe ich den Weg ins Wirtshaus gefunden. Was bleibt auch unsereinem anderes übrig, als daß man sich einen Rausch trinkt, damit man seine Galle hinunterspüle! Die Julie ist an der roten Nase schuld,« und er zupfte sich selber daran, »und daß der Kerl schlecht wurde. Natürlich, Bankrott wurde bald gemacht, ein schlauer, pfiffiger Bankrott, wozu der lange Heinz redlich mitgeholfen hat. Hab' doch mein Pläsier daran gehabt, als die Julie aus dem Hause mußte und froh war, auf ein paar Stuben sich einzulassen mit den Kinderchen, um die es mir nur so halb und halb leid that.«

»Ja, die armen Kinder!« sagte ich.

»Sie sind eine wahre Last, eine Plage!« rief der Gefährte aus. »Wären die Kinder und mein weiches Herz nicht gewesen, ich wäre damals nach Amerika durchgebrannt; nur die Kinder haben mich festgehalten. Ein rechtes Herz hat man trotzdem nicht zu den Kindern. Die Julie hätte ich schon mit Freuden im Stiche gelassen, obschon sie jetzt erst anfing, mir gute Dienste zu leisten. Ein schlaues, raffiniertes Weib war sie schon und wußte Mittel und Wege, Gläubiger an der Nase herumzuführen, die mir nicht eingefallen wären. Auch verstand sie sich auf allerlei Handelskünste, die nun angewendet werden mußten, um über Wasser zu bleiben. O, bis morgen hätte ich zu erzählen, was für ein Leben nun anfing, und wobei es mich heute noch wundert, daß ich nicht vor zehn Jahren ins Zuchthaus gekommen bin, natürlich die Julie zuerst.« Und nun erzählte er mir eine Reihe von schlechten Streichen, die endlich geradezu in Verbrechen ausarteten, daß es mich fast graute neben dem Erzähler. »Alle diese Pläne haben wir im Wirtshause gemacht,« schloß er endlich, »wo sich bald meinesgleichen mit mir zusammenfand. Es ist auch gerade, als ob einer am anderen röche, was in ihm vorgeht, und zum schlechtesten Streiche finden sich Helfershelfer, wenn man einmal sich mit demselben herumtreibt.«

»Aber, ums Himmels willen! hat Sie denn das Gewissen gar nicht mehr gerührt in der langen, unglücklichen Zeit?« fragte ich bekümmert. »Haben Sie denn gar nicht mehr an Gott gedacht?«

»Das Gewissen mich gerührt?« fragte er zurück, blieb stehen und sah mich mit einem furchtbaren Blicke an; »an Gott gedacht? Es giebt keinen Gott, mit dem Gewissen ist es Alfanzerei, wenn man so recht mitten drin ist. Das wäre schön, wenn man dann das Gewissen ließe zu Wort kommen, oder sich gar mit Gott herumzankte! Nein, in solcher Zeit ist man erst recht aufgeklärt, weit über alles hinaus. Laß dich nicht erwischen! ist das einzige Gebot. Alles andere muß man unter die Füße treten, wenn man ein rechter Kerl sein will. Oder meinen Sie, man solle sich um der Gottesgedanken willen die Haut über die Ohren ziehen lassen, diese Haut, die einem so lieb ist und für die man sich wehren muß? Meinen Sie, man dürfe ans Gewissen denken, wenn man sich Tag und Nacht plagen muß, ans Geld zu kommen? Gott und Gewissen! Wer fragt dann noch nach Gott und Gewissen, wenn man sich in der Welt festgefahren hat? Ja, jetzt, wenn ich so allein daherrenne, ohne gleich ein Wirtshaus erwischen zu können, spukt es mir allerdings immer im Kopf herum von Gott und Gewissen, daß man aus der Haut fahren möchte, wenn sie einem nicht so fest aus den Leib gewachsen wäre, und es klopft und hämmert in dem Brustkasten herum, als wenn einen jeden Augenblick der Teufel holen wolle; aber jetzt ist man ein elender Kerl, verlassen von all den Schurken, die mitgespielt, dem der Atem ausgeht, wenn er sich wehren will. Gott und Gewissen! Ja, das ist das ewige Thema, auf das unsereiner keine Melodie mehr finden kann. Sie können die schrecklichen Worte so ruhig aussprechen, aber unser einem drehen sie den Verstand um.«

Wir gingen den Rückweg. Mein Begleiter schwieg, denn nun begann er wieder nachzudenken, und sein Unbehagen stieg zusehends. Das Reden war nun an mir. Ich lenkte auf die Religion ein, nicht auf die Popanz der Aufgeklärten, sondern auf den positiven Glauben, suchte ihm zu zeigen, daß er eigentlich selbst an seinem Unglücke schuld sei, wie auch, daß Gott ihm jetzt nicht umsonst die Erkenntnis schärfe. Habe er es über sich vermocht, mir hier auf dem Wege sein Leid zu klagen, so wisse er ja doch einen Ort, wo sein Bekenntnis ihm noch viel mehr Trost bringen könne und werde.

»Beichten, meinen Sie, im Beichtstuhle Beichten?« stieß er mit einiger Mühe heraus; »nein, das geht nicht! das kann ich nicht! Mich wirklich bekehren? Nein, dafür ist der Karl zu verdorben! Habe schon nach dem Tode der Julie – nun sind's drei Jahre – in die Kirche gehen wollen, aber der Teufel will's nicht haben. Mich befällt immer das Zittern an der Kirchenthür. Auch habe ich's Beten versucht, aber ich kann's nicht mehr. Sie glauben nicht, was einem alles einfällt, wenn man beten will. Hunderttausend höllische Geister tanzen einem vor den Augen herum, daß man meint, man gehöre leibhaftig dazu. Was soll das Gebet auch nützen? Ich kann mich ja doch nicht bekehren! Wenn ich's auch heute anfangen wollte, ginge morgen doch die alte Wirtschaft wieder los. Man muß doch leben! Alles, was ich thue, ist, daß ich die Kinder zur Schule schicke und, so gut es geht, zur Frömmigkeit anhalten lasse.«

»Wovon leben Sie denn jetzt?« fragte ich.

»Vom Handel natürlich. Ich helfe den Bauern handeln, daß ihnen oft die Augen übergehen. Sonst will kein Mensch mehr mit mir zu thun haben im Handel. Aber ich muß doch leben! Ich kann mich noch nicht bekehren!« rief er aus, »man weiß alles, kann, muß alles sagen, aber bekehren geht nicht so leicht, als Sie meinen.« Und alles wehrte er ab, was ich ihm auch einwerfen mochte. Ins erste, beste Wirtshaus am Wege stieg er ein, um nach alter Praxis das Gewissen mit Ohrfeigen zu traktieren.

Ich ging nicht eben in der behaglichsten Stimmung zur Stadt zurück.

 

V. Der Besuch

Man soll so leicht an keinem verkommenen Menschen ganz verzweifeln. Rechte Teufel sind doch nur in der Hölle. Zwar laufen auch welche auf der Welt herum, denen doch eigentlich nur Hörner und Klauen fehlen, um komplett zu sein; aber weil eben diese Dekorationen noch fehlen, ist der Teufel noch nicht ganz fertig. Besonders in den Städten mit ihren Sümpfen und Morästen, ihrem Urschlamm und der üppigen Vegetation der Sünde schleichen die alten Würmer gar häufig schnuppernd über die Straßen und ringeln sich durch die engen Gassen hindurch, und weh dem armen unschuldigen Menschenkinde, das in ihre Fänge gerät! Drachen mit glühenden Augen und weiten Fledermausflügeln, oft drei-, oft sieben-, oft zwanzig- und dreißigköpfig, sperren da ihren Rachen, auf, und wie behext fliegt das leichte Gevögel hinein und wird von dem glühenden Hauche solcher Ungetüme verzehrt. Dabei ist das Geschlecht der Herkulesse, die mit gewaltiger Keule sich ins wilde, gefährliche Land wagten und das Natterngezücht, das die Kinder gefressen, mit wuchtigen Schlägen daniederstreckten, so ziemlich ausgestorben, obschon solche Kapitalkerls jetzt so notwendig wären, wie jemals in alter Zeit. Auch die Ritter Jörgen mit dem goldenen Harnisch, dem Kreuzschild und dem geweihten Schwert, die unschuldige Jungfrauen vom heidnischen Lindwurm erlösten, sind rar geworden, besonders in den Städten, wo ihr Rittertum sehr not thäte. Das ist zwar alles, lieber Leser, »durch die Blume« geredet, wie du wohl merken kannst, aber auslegen darfst du es dir selbst mit leichter Mühe. Genug, in den Städten ist es gar leicht, auf schlechte Wege zu geraten, aber um so schwerer, ist man einmal darauf, davon abzukommen. Raffiniertes, in allerlei Kunst und Wissenschaft eingeübtes Volk treibt darin sein Wesen, hängt sich einem an, wenn man es nur schrittweit an sich herankommen läßt, zieht den Ergriffenen in schlechte Kameradschaften – die vielköpfige Schlange reist mit ihm in die Sümpfe, und das Verderben ist fertig! Wer von der Religion anfängt, den füttert man mit »Aufklärung«, bis der Unglückliche sich an dieser faulen Brühe den Magen verdorben und die geistige Auszehrung geholt hat. Dann natürlich ist das Kurieren schwer. Trotz alledem wollte mir der Gefährte von der Bergheimer Landstraße, der mich so sehr interessiert hatte, und bei dem ich, wenigstens dem Scheine nach, so wenig ausgerichtet, nicht aus dem Sinne.

Alle Nachforschungen, die ich unter der Hand über ihn anstellte, lieferten eigentlich nur das Zwischenfutter zu der von ihm selbst nur obenhin erzählten Geschichte. Ich thäte nicht wohl daran, das einzelne auszumalen, wie effektvoll sich das auch machen ließe, weshalb es hier auch nur bei den Umrissen bleiben muß. Wenn etliche Leute vielleicht denken und sagen, von Karls Sorte gäb's in den größeren Städten überall Exemplare genug, mögen sie nach außen auch mehr oder minder Anstand behaupten, d. h. Firnis über das hohle, gottlose Leben zeigen, so lasse ich das gelten, habe dann aber um so mehr recht, eben ein solches Exemplar in seiner ganzen Natürlichkeit dem annoch vernünftigen Publikum zu zeigen. Der Karl Z. wohnte in einer abgelegenen Straße, auf ein paar hofwärts gelegenen Zimmern, und schien eben kein glänzendes Leben mehr zu führen. Er war kein Gewohnheitssäufer, nur fand er oft Gelegenheit zum Rausche, blieb auch mitten drin seiner Sinne völlig mächtig, wurde düsterer, dem Zorn zugänglich oder weinte wie ein Bube über sein Elend. Eines seiner unglücklichen Kinder war früh gestorben, zwei andere arme, verwahrloste Geschöpfe, wie es nicht anders zu erwarten war, hatten Verwandte nach dem Tode der Julie zu sich genommen. Seine Wirtschaft besorgte eine alte Magd, mit der er sich oft zankte, die er scheute, und die doch wieder einen merkwürdigen Einfluß auf ihn auszuüben schien. Da er die meiste Zeit außer dem Hause zubrachte, wo, war schlechterdings nicht zu ermitteln, war es um so schwerer, über sein Thun und Treiben bestimmte Nachrichten einzusammeln. An ihn heranzukommen war noch schwerer, da er in letzter Zeit gewohnt war, jede persönliche Annäherung mit wegwerfender Grobheit von sich zu weisen. Und doch war es offenbar, daß Gott diesem unglücklichen, verkommenen Menschen in besonderer Weise nachging, fortwährend an seinem erwachten Gewissen rüttelte und ihm mit Gewalt die Augen offen hielt, daß er sehen mußte, immer deutlicher und entsetzlicher, was er gewiß nicht gern sah. Daß eine ganz andere Art von Aufklärung seiner früheren Aufklärung gefolgt war, lag am Tage, und wenn sich auch sein Herz gegen diese neue Aufklärung, worin Hölle, Tod und Teufel eine große Rolle spielten, wehrte, konnte man doch immer noch nicht wissen, wer den Sieg erringen werde. Jedenfalls gab es noch unversuchte Mittel, die Lebensfähigkeit dieses greulich verwüsteten Herzens zu erproben. Es handelte sich nur darum, ob sich die Anwendung machen ließe. Aber Wochen und Monate verstrichen, ohne daß ich den Unglücklichen wieder treffen konnte. Auch meine Gänge nach der Bergheimer Landstraße blieben fruchtlos. Schon begannen wieder andere Geschichten die Aufmerksamkeit nach anderen Seiten hinzulenken, und so geriet der Karl Z. denn endlich sogar in ziemliche Vergessenheit.

Noch im Spätherbste desselben Jahres wurden unsere Hausbewohner mehrmals auf einen Menschen aufmerksam, der bei einbrechender Nacht, meist aber abends spät, hin und wieder langsam und bedächtig an unserem Hause vorüberging, dasselbe wohl in Augenschein nahm, bald stehen blieb, dann auf und nieder ging und endlich wieder verschwand. Einmal wollte einer gesehen haben, daß er wohl über eine Stunde dort abends spät auf der Lauer gestanden und sich, sobald die Hausthür geöffnet wurde, irgendwo in den Schatten der erleuchteten, aber winkligen Straße geflüchtet habe. Da man nun wohl nirgendwo sorgfältiger, als in der Stadt, Ehre, Hab und Gut und Leib und Leben schützen und bewahren muß, von wegen gar zu großer Bildung und Aufklärung, so wurde das Hausgesinde zu besonderer Wachsamkeit ermahnt, und Schlösser und Riegel mit besonderer Sorgfalt zu seiner Zeit in Augenschein genommen. Das war um so nötiger, als wir in einem ziemlich abgeschiedenen Quartiere der Stadt wohnten. Da aber lange nichts Verdächtiges mehr passierte, kam auch das wieder in Vergessenheit.

Eines Abends aber kehrte ich in bereits später Abendstunde nach Gewohnheit aus einer nützlichen Gesellschaft nach Hause zurück. Ich beeilte mich nach Möglichkeit, denn der kalte Herbstwind sauste durch die Stifte, und der Regen goß in Strömen hernieder, daß die Dachrinnen wie Sturzbäche rauschten und die schweren Regentropfen wie Hagel auf das Pflaster klatschten. Die Straßen waren öde, die Läden geschlossen, nur selten eilten einzelne Menschengestalten unter dem schwankenden, nach allen Seiten zitternden Laternenlichte daher wie vorüberhuschende Gespenster. Allerdings, in solchem Unwetter ist es für ein gewöhnliches Menschenkind am besten hinter dem warmen Ofen zwischen vier sicheren Wänden. Beim Eingange in unsere Straße fiel mir ein Mann auf, der unter einem großen Regenschirme steif und fest in dem Regen dastand und wie ein Steinbild Wind und Wetter um sich toben ließ. In der Stadt grüßt man nur Bekannte und kümmert sich nur um den Nebenmenschen im Notfalle. Der muß ein absonderliches Pläsier an dem Wetter haben, dachte ich, oder Gedanken, die noch schlimmer sind als das Wetter, und eilte stumm vorüber, ohne den Mann zu Beachten. Gleich darauf hörte ich Schritte hinter mir. Der hat gewiß auf dich gepaßt! dachte ich, ging indes eiligen Schrittes weiter, denn das Stehenbleiben unter dem Platzregen behagte mir noch viel weniger. Richtig, es trabte in gleichem Tritt einer hinter mir drein, der nicht gerade willens schien, mich einzuholen, ebensowenig, mich aus den Augen zu lassen. Angenehm ist nun aber das Gefühl gar nicht, wenn uns einer, den wir gar nicht kennen, bei Nacht und Nebel nachläuft, und erzeugt das in der Regel mehr Gedanken, als unter allen Umständen nötig sind. Froh war ich endlich, als ich auf der Treppe zur eigenen Hausthür stand, halbwegs in Sicherheit vor dem Wetter und meinem unbekannten Nachfolger. Kaum aber hatte ich festen Fuß gefaßt, als schnaufend und pustend der Mann mit dem Regenschirm mir an der Seite stand, offenbar in der Absicht, mit mir einzutreten. Ihn erkennen konnte ich nicht.

Wollen Sie mit mir eintreten? fragte ich unbefangen.

Wenn sie nichts dawider haben! klang die dumpfe, heisere Antwort. Die Stimme fiel mir auf, noch mehr der Ton derselben. Ich hatte die Thür bereits geöffnet und hieß den unbekannten Gefährten mir nur folgen.

Nun, nun, Sie sind es! rief ich halb voll Verwunderung und halb vor Schrecken aus, als wir in der erleuchteten Hausflur uns in das Gesicht sahen. Der Unbekannte war kein anderer, als der aufgeklärte Karl Z. von der Bergheimer Landstraße. Er nickte mit dem Kopfe. Verstört, fast elend sah er aus, blaß, wie krank. Die rote Nase war stahlblau geworden in dem Wetter. Er troff vor Nässe und schien an dem Abende dem Wetter schon eine Weile ausgesetzt gewesen zu sein.«

»Erlauben Sie, daß ich zu solcher ungelegenen Stunde Sie störe,« sagte er fast bittend; »ich möchte –«

Ich ließ ihn nicht ausreden, sondern hieß ihn ohne weiteres in mein Arbeitszimmer treten, ließ Feuer nachlegen im Ofen, schickte die Bedienung fort und bot ihm dann einen Sessel in der Nähe des Ofens an, damit er sich trockne und erwärme.

»Sie sind sehr gütig,« stammelte er verlegen, setzte seinen verquetschten Hut beiseite und ließ sich dann in den Sessel nieder. Unruhig blickte er anfangs im Zimmer umher, als musterte er alle Geräte, horchte dann auf, ob vielleicht die Nebenzimmer bewohnt seien, stierte dann aber eine Weile den Ofen an, dessen Wärme ihm wohl zu thun schien. Ich ließ ihn einige Zeit gewähren und machte mir mit Ablegen der Oberkleider zu schaffen. Da er noch immer schwieg, fragte ich ihn endlich, wie es komme, daß ich noch in so später Abendstunde die Ehre habe – –

Er schaute düster auf. »Ehre haben? Nein, Herr, zum Spaßen und Spotten bin ich nicht mehr aufgelegt. Wohin ich komme, bringe ich keine Ehre mit. Warum ich zu Ihnen komme? jetzt, an diesem späten Abend? Mir frißt etwas das Herz ab, seit langem, seit langem! Das möchte ich doch noch einem Menschen in der Welt sagen, das möchte ich Ihnen sagen, denn sonst hört mich niemand mehr an. Nein, nach dem Karl fragt niemand mehr in der Welt! – Nein, niemand, nur Sie haben mich diesen Sommer nicht schlechter gemacht, als ich war. – Sehen Sie, ich habe seine Ruhe mehr, wo ich gehe und stehe; mir ist das Leben leid, und ich kann und mag es doch nicht quitt werden. Ich bin ein elender, unglücklicher Mann, den kein Schlaf mehr erquickt, der das Wachen scheut, der nicht allein sein mag, und unter Menschen es nicht aushalten kann, der im Rausche verzweifelt und nüchtern vor Bitterkeit vergeht, den kein Menschenherz mag und für den es keinen Ort auf der Welt mehr giebt, wo er Ruhe findet, dem es vor dem Tode graut und dem das Leben zur unerträglichen Qual geworden!«

Er schlug sich mit den flachen Händen vor die Stirn, ließ den Kopf in beide Hände niedersinken und stützte beide Ellbogen auf die Kniee. Laut weinte er. Im Rausche war er nicht, denn seine Haltung und seine Reden verrieten die Nüchternheit durch und durch. Wie der Mensch sich elend machen kann!

»Seit langen Wochen bin ich ums Haus gegangen fuhr er endlich, ohne seine Stellung zu verrücken, weiter fort, »um mein Elend Ihnen zu klagen: ich habe lange den Mut nicht gehabt. In der Jugend ist man wohl keck und frech und hat über alles den Spott bei der Hand; aber je frecher man war, um so feiger und verzagter wird man hintennach, wenn der Spott sich gegen einen selber wendet. Habe lange den Mut nicht finden können, dieses Haus zu betreten. Heute war es nicht mehr auszuhalten, daheim nicht, wo alles mich an mein Unglück und meine Schlechtigkeit erinnert, im Wirtshause nicht, wo man jetzt den Karl nur auslacht und zum Besten hat. Sagen Sie, ist das nicht entsetzlich, sich von diesem Volke im Wirtshause hänseln und necken zu lassen, wie sich ein kranker Hund von mutwilligen Buben muß zerren lassen! Und sonst kann man gar mit niemand mehr reden. Kein Mensch will mit mir im Ernst zu thun haben. Wahrhaftig, jetzt treibe ich alte Schulden ein an mir selber. Habe einst alle Welt zum Narren gehalten, mit meinem Herzen Spott und Affenschande getrieben, brave Leute an der Nase herumgeführt, jetzt treibt man den Narren mit mir und tritt mich noch dazu mit Füßen! O, im Wirtshause gießt man mir erst recht Galle in den Trank! Da wäre es doch noch besser auf der Straße, selbst in diesem entsetzlichen Wetter – ja, gerade dieses Wetter kam mir gelegen, in das man keinen Hund hinausjagen soll. Hätte mich da nur der Himmel auf der Straße ersäuft! – –«

Ich hatte mich ihm gegenübergesetzt und hielt ihn dadurch in den Sessel gebannt, aus dem er endlich so gern aufgestanden wäre. Bei den letzten Worten rief ich unwillkürlich aus: »Mein Gott, aber das ist doch Frevel!«

»Gott! Frevel!« stieß er dumpf heraus, indem er mich düster ansah. »Als ich gar nicht mehr wußte, wohin in der Welt ich denn eigentlich meinen Fuß setzen sollte, bin ich wieder in die Nähe Ihres Hauses gekommen. Sobald ich Sie erblickte, habe ich Ihnen nachgehen müssen, denn umsonst hat der Zufall Sie nicht dahergeführt.«

»Oder Gottes Fügung,« korrigierte ich.

»Wenn Sie wollen,« sagte er tonlos. »Ihnen wollte ich noch einmal alles sagen, nicht mehr wie damals auf der Landstraße, sondern in einer ganz anderen Tonart. Der alte Mut ist seitdem gewichen, und kein Mittel will helfen, ihn wieder aufzurichten.«

»Sie werden wohl die verkehrten Mittel angewendet haben! Da hilft allerdings keines in Ihrer Apotheke.«

»Helfen! mir helfen!« rief er wieder aus. »Nein, das wird wohl vergeblich sein! Bei mir hilft nichts mehr; kein Mensch kann mir helfen! – Wer mir helfen wollte, der müßte mir das Gedächtnis meines vergangenen Lebens nehmen, der müßte mirs Herz umdrehen im Leibe und ihm all das Gift auspressen, das es toll und thöricht und elend ohne Grenzen eingesogen? Das wollt' ich Ihnen eigentlich sagen, daß mir niemand mehr helfen kann, daß ich so elend bin, daß ich an Gott und an der Welt verzweifle.«

»Das heißt aber an Gottes Barmherzigkeit verzweifeln, jedenfalls das größte Unrecht, welches Sie je gethan. So wie Sie darf kein Mensch, und wäre er auch der schlechteste, reden!« verwies ich ihm ruhig und ernst.

»Ja, Sie haben gut von Gottes Barmherzigkeit reden,« erwiderte er ruhiger. »Bei unsereinem ist das ganz anders. In der Zeit der Aufklärung glauben wir an einen Gott, der soll so gut sein, daß er uns eigentlich gar nichts zuleide thun kann – so gut soll er sein. Darauf hantieren wir denn im Leben los und schwätzen uns vor, unser Herrgott ließe sich, was wir trieben, gar nicht anfechten, leugnen ihn auch zum Spaß, lachen endlich ihn und alle die aus, welche sich noch mit ihm zu schaffen machen. Hintennach verzweifeln wir an dem sogenannten »guten Gott«, den wir uns selber gemacht, aber auch an dem »gerechten Gott«, der sich nicht machen läßt, sondern der selbst macht, was er will, und an dem man endlich glauben muß, man mag wollen oder nicht. Ja, Gott und Gewissen, das sind furchtbare, erschreckliche Worte! Seit dem Sommer predige ich mir darüber vor und möchte schier wahnsinnig werden über den Text. Ha, wer das Geschehene könnte ungeschehen machen!« Er rang die Hände und griff dabei in die dünnen Haare; dann lehnte er sich rückwärts in den Sessel und schaute stier vor sich hinaus.

»Ungeschehen ist leider nichts mehr zu machen,« hob ich mit Ruhe, aber mit Ernst an. »Deswegen soll der Mensch doch nicht verzweifeln. Verzweifeln ist Feigheit und nur Sache der Verdammten. Wer noch auf Erden lebt, kann büßen, und um der Buße willen wendet dann Gott, der gerecht, aber auch barmherzig ist, selbst das verübte Böse zum Guten. Sie müssen nur redlichen Willen zeigen, und die dargebotene Hand Gottes erfassen. Daß Sie hier sind, daß Sie mir Ihr Herz geöffnet, ist schon ein wichtiger Schritt. Gehen Sie weiter, und Gott wird helfen. Kann ich Ihnen Handreichung thun, wird es mir eine heilige Pflicht sein.«

Noch mehr redete ich. Er hörte schweigend zu, doch schienen seine Züge einen milderen Ausdruck anzunehmen, und seine Augen wurden gar feucht. Endlich fragte er mit bebender Stimme:

»Meinen Sie wohl, daß ein alter, wilder Baum, der zeitlebens nicht viel getaugt, noch wieder neu ausschlagen, grünen und blühen kann?«

»Ja,« sagte ich, »wenn man ihn reinigt von dem knorrigen Holze und in besseren Boden bringt. Dabei ist der Mensch eben kein Baum, guter Freund, sondern soll ein Kind Gottes sein und kann das immer noch werden.«

Er streckte beide Hände nach mir aus, die ich ergriff und ihn fest dabei hielt.

»Wollen Sie mir helfen?« rief er tief erschüttert. »Mein unglückliches Weib ist tot, meine Kinder sind fern, ich stehe allein schutzlos in der Welt und kann mein Leid so nicht mehr tragen. Giebt's Hilfe für mich, dann helfen Sie mir!«

Ich versprach ihm, was die Pflicht dem Unglücklichen gegenüber gebot. Er schien getrösteter und bat, abends mich besuchen zu dürfen. Bevor er wegging, griff er in die Tasche und holte einen alten Rosenkränz heraus. »An dem hat meine selige Mutter gebetet,« sagte er mit zitternder Stimme. »Von unserer alten Magd, die mir jetzt die Wirtschaft führt, habe ich ihn noch gestern erhalten. Meinen Sie, daß mein Gebet noch nütze?«

»Beten Sie sich nur wieder ins Mutterherz hinein,« tröstete ich ihn, »dann wird sich alles schon finden.« Der Unglückliche holte tief Atem, küßte den Rosenkranz und weinte wie ein Kind. Dann drückte er mir die Hand und ging in die stürmische Nacht hinaus. Es war eine wahre Jagd der Wolken am Himmel, zwischen denen die Sterne hindurchflimmerten. Ja, der Sternenhimmel wandelt, den tröstlichen Wahrheiten des Glaubens vergleichbar, in ruhiger Majestät seine ewige Bahn, wie wild es im irdischen Dunstkreise der Erde auch hergehen mag.

Karl hielt Wort. Abends schlich er sich in die Nähe meiner Wohnung und wartete, bis sich die Thür öffnete. Dann trat er schweigend ein, und wir saßen dann oft bis um Mitternacht zusammen im Arbeitsstübchen. Nichts brauche ich dem geneigten Leser weiter zu erzählen, als daß der Karl noch einmal den Katechismus lernen mußte, – er war auch gar so unwissend! – daß wenige Wochen später eine bessere Beichte erfolgte, als jene auf der Landstraße, und ein armes, lange geplagtes Herz an dem Tage vor freudiger Wehmut zerspringen wollte, nachdem es den tiefsten Trost des Christen am heiligen Tische empfangen. Karl trug den Rosenkranz seiner Mutter damals in der Hand und gedachte ihres Segens. Die Aufklärung dieses Tages hatte den Frieden in sein Gesicht gezeichnet, daß man ihn kaum wieder erkannte. An dem Abende drückte er mir mit stummer Dankbarkeit die Hände im Arbeitsstübchen. Gesagt haben wir beide nichts.

Wenn du wenige Jahre später in D., einige Meilen von unserer Stadt, morgens in der Früh den Kreuzweg gegangen wärest, der dort mit den Stationen an dem Abhange eines Hügels vor dem stillen Städtchen errichtet ist, wäre dir an jedem Morgen ein ziemlich großer, hagerer Mann begegnet, der still in sich gekehrt und andächtig dort seine Andacht verrichtete. Dann betete er seinen Rosenkranz, ein Erbstück seiner Mutter, und saß oft lange bei der Kapelle auf der Höhe. Mit keinem Menschen ließ er sich dann aufs Reden ein. Eben so still ging er den Rückweg, sorgte über Tag für die Pflichten seines Standes mit treuer Pünktlichkeit, schloß sich abends auf sein Zimmer ein und kam nie mehr in Gesellschaft. Man munkelte allerlei über den verschlossenen Betbruder, wie ihn die Aufgeklärten nannten, oder über den Büßer, wie ihn die anderen titulierten. Er selbst sorgte nur, daß er den Frieden bewahrte, den er sich so teuer hatte erkaufen müssen. Zuweilen besuchten ihn ein paar erwachsene Töchter, denen die väterlichen Warnungen und Lehren zu Herzen gegangen. Karls Lebensabend war ruhig, denn der Friede ist die Frucht der Buße.

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