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VII.
Die Bekehrten.


1.

Das herrlichste Maiwetter, voll Balsam des Frühlings, fiel auf jenen Wochentag, an welchem in dem Wirthschaftsgarten zur schönen Aussicht Musik zu spielen pflegte. Aus allen Klassen der Gesellschaft strömten die Menschen herbei, und nahmen nach und nach, mit immer engerer Wahl, die zahlreichen kleinen Tische unter den gestutzten Platanen ein, wo man sich, um es recht zu sagen – eng zusammen separirte. Auch Doctor Hellmuth, Redacteur der »Chronik für Politik und Literatur«, hatte sich mit seiner kleinen Frau und einer jungen Freundin wieder einmal eingefunden, und zwar sehr früh, weil ihn die Abendpost zeitig wieder nach Hause foderte. Nicht lange, so fanden sich um seinen Tisch ältere und jüngere Herren ein, solche die gern um den jovialen und handelskundigen Mann waren, und Andere die von Klärchen Amelung angezogen wurden.

Angezogen konnte man in mehr als einer Hinsicht sagen. Ohne eine glänzende Schönheit zu sein, besaß Klara bei äußerer Anmuth jene Lebhaftigkeit der Seele, die mehr fesselt, als hinreißt. Zugleich hatte sie aber auch ein artiges Vermögen, theils schon eigen, theils in Aussicht; was vielleicht noch mehr jene jungen Herren anzog, die sich demnächst auf ein eigenes Geschäft zu setzen dachten. Doch gerade für diese Bewerber war Klara kaum zugänglich; denn sie schwärmte für Literatur und Kunst und hatte dabei nur allzuviel Selbständiges, Zwangloses und oft sogar Trotziges dadurch angenommen, da sie seit ihrem 16. Jahre, nun schon sechs Jahre lang, als Waise bei zwei vermögenden Tanten lebte, an denen sie so viel Schwäche und Vorliebe fand, als für beide und zwei Großmütter dazu genug gewesen wäre, ein liebenswürdiges Geschöpf zu einem widerwärtigen zu verziehen.

Die Unterhaltung an Hellmuth's Tische wechselte mit jedem neu herantretenden Besuche. Und obgleich sie dadurch nicht bedeutender wurde, als die Zusprechenden selber waren: so lagen doch rings in der Zeit so ernste Spannungen, daß, woher auch der Windzug kommen mochte, ein Ton von denselben mit herein klang. So brachte Doctor Lukas Nachrichten von der kirchlichen Bewegung in Mainz mit. Er, ein älterer Arzt auch von auswärtigem Ruf, Schalk in Hemd und Haut und an beiden nicht immer ganz so sauber, wie es der neueste Luxus mit sich bringt, kam eben von dort zurück. – Ich war immer ein entschiedener Liebhaber von den Schriften der Gräfin Ida, sagte er lächelnd. Sie haben etwas von dem scharfen Parfum einer fahrenden Dame, den ich sehr liebe. Es war mir daher gar erwünscht, sie persönlich kennen zu lernen. Sie ist krank, und ihr Arzt, ein Universitätsfreund von mir, hatte mich zu einer gewünschten Conferenz vorgeschlagen. Ihr Mißbefinden hat nicht viel zu sagen. Sie hatte sich angewöhnt, die Gemeinde dadurch zu erbauen, daß sie sich vor dem Hochaltar des Domes ausgestreckt auf die kalten Steine niederwarf und eine Weile betete. Neubekehrte übertreiben gern. Aber sie war das von früher nicht gewöhnt, und erwog nicht, daß jede Lage ihr Bedenkliches hat, und daß man durch Umkehr nicht immer bessert. Da ich mich nun im Stillen überzeugte, daß sie in solcher frommen Lage doch wohl »mit Reflexion adorire«: so habe ich ihr erklärt, daß solches nur »momentan geschehen« sein – nicht aber »permanent werden« dürfe. Wenn auch solche »Allüren« der Frömmigkeit »in der Societät Vogue« hätten, gab ich ihr zu verstehen, so müßten doch Damen, die auf ihren Irrfahrten den »Rechten« verfehlt hätten, sich auch vor den Liebhabern des Kreuzes hüten, von denen sie auch »zitternde Emotionen« bekommen könnten; das Einzige sei in ihrer jetzigen Lage gut, daß ihr in dem stillen asketischen Hause ihres bischöflichen Freundes »das Getrappel der Bedientenstiefeln keine Crispationen machen werde.«

Hellmuth war über die trockene Schalkhaftigkeit des alten Doctors in's Lachen gefallen, und konnte kaum wieder herauskommen. Die andern lachten zum Theil um des Lachenden willen mit; doch nur Klara war in den Schriften der Gräfin belesen genug, um die hocharistokratischen Ausdrücke derselben im Munde des Arztes wieder zu erkennen. Darüber hatte indeß unser Redacteur den diabolischen Pfiff des ankommenden Bahnzuges doch nicht überhört und brach auf. Man bat ihn, zu bleiben und kein Pedant zu sein; allein Hellmuth, der die französischen und englischen Blätter, so wie Correspondenzen und unbestimmte Zusendungen erwartete, ließ sich nicht halten. Er leerte mit verneigendem Gruße sein Glas und sagte: Chronos pfeift dem Chronisten: ihr Tagdiebe braucht's nicht zu hören!

Daß Frau und Freundin ihn begleiteten, verstand sich von selbst. Dies war aber gerade der jungen Herren Verdruß, zumal Klara ihren Hut und Schirm mit einer gar barschen Miene nahm, die keinen Zweifel ließ, daß sie mit Vergnügen ging, und sich um ihre Anbeter wenig bekümmerte. – Ja, Fräulein Amelung, rief einer derselben, treten Sie Ihrem Doctor nur hart an die Seite: dann wird der pfeifende böse Feind vielleicht unschlüssig, ob er die Chronik bei der Politik oder bei der Literatur packen soll.

Diesem Stich, der auf Klara's Einfluß beim literarischen Feuilleton zielte, suchte Lukas rasch die Spitze abzubrechen, indem er den Abgehenden nachrief:

Ja, ja, Freund Hellmuth, bringen Sie bald wieder einmal was Pikantes! Mit der Politik geht's ja doch flau genug; geben Sie das Feuilleton nicht remis; häufen Sie aber auch nicht zu viel Bête unterm Strich!

Gegen die Zurückgebliebenen, die sich über Klara tadelnd ausließen, nahm er sich des Mädchens an. – Scheltet mir meinen Liebling nicht! rief er aus. Es ist doch ein interessantes Mädchen gegen ein Geschock anderer. Ihr nennt sie kalt: das ist sie nicht; sie hat Wärme des Herzens und der Phantasie, aber gebundene, und ihr Herren entwickelt eben die Geistesstrahlen nicht, die solche Wärme lösen. Ein bischen verschoben ist sie, auch ein wenig übermüthig, manchmal selbst eine allerliebste Fratze: aber solcher herbe Kern wird seiner Zeit nur desto süßer. Manches Mädchen ist nur aus instinctiver Furcht vor der eigenen Anziehungskraft so abstoßend; es wehrt sich gleichsam gegen die Angriffe, für die es die Reize in sich hat. Das versteht Ihr nicht. Der Mensch ist aus Widersprüchen zusammengesetzt und wird eben dadurch haltbarer. Meine Wenigkeit z. B. laborirt an drei großen Widersprüchen, die glücklicher Weise mit den drei christlichen Cardinaltugenden zusammenhangen. Ich bin Katholik und glaube nicht an Rom; bin Mann und Bürger, liebe aber die Ehe nicht, und bin Arzt und hoffe nichts von der Apotheke.

Man lachte und gab dem wunderlichen Mann Klärchen's anziehende Begabung zu, tadelte aber desto mehr den Doctor Hellmuth, der immer eine Freundin als Echo seiner übertreibenden Aussprüche, ein weihrauchdampfendes Mädchenherz neben der kochenden Hausfrau haben müsse. Er nur, hieß es, habe dieser sonst so natürlich empfindenden Klara den Kopf verrückt, indem er ihrem Urtheil in literarischen Dingen zuviel einräume und sie zur schriftstellerischen Feder verleite, während er seine kluge Frau darauf beschränke – das Federvieh zu rupfen.

Wenigstens fügt es sich spaßhaft, meinte Lukas, daß der immer noch ein wenig burschikose Redacteur, der Alles was ihm gefällt, gleich genial nennt, das gute Mädchen mit einer wunderlichen Schwärmerei für Genialität, für alles sogenannte Geniale, angesteckt hat. Aber, ihr verliebten Jünglinge, laßt Euch das eben gesagt sein! Spielt einmal die Genialen und curirt das verkehrte Mädchen. Bei Hippokrates schwör ich euch, wenn es einmal diese Entwickelungskrämpfe überstanden hat, wird es höchst liebenswürdig erscheinen. Ihr bewerbt euch aber mit allzu ehrlichem Philisterthum um Klara's – nun ich weiß es schon, ihr nennt es Herz: aber das Herz liegt bekanntlich in einem Beutel, Herzbeutel genannt. Drückt euch nobel aus und sagt: Herzbörse. Gut! Bewerbt euch, aber werdet Genies, da unser Herzens-Klärchen auf ein Genie gespannt ist. Begeht einige Extravaganzen! Laßt euch zuweilen etwas zu Schulden kommen, was Hellmuth genial und unsere gute Gesellschaft verrückt nennt. Schlagt ein Rad, wenn ihr Klärchen zu einem Walzer auffordert und seht zu, ob sie euch widersteht!

Man lachte, indem man dabei des Trinkens nicht vergaß; doch gab es Lukas mit spöttischem Lächeln auf, daß er einen oder den andern dieser ledernen Comptoirstuhlreiter durch Lachen oder Trinken in die Stimmung versetzen werde, den vorgeschlagenen Spaß alles Ernstes auszuführen.


2.

Kurz hinter den Heimgekehrten erschien auf Doctor Hellmuth's Schreibstube der Postbote, lieferte Zeitungen und Briefe ab, und legte ein unfrankirtes Päckchen mit dem Buche vor, worin der Empfang zu quittiren war. –

So gespannt unser Redacteur auch auf die auswärtigen Blätter gewartet hatte, die noch zur Druckerei ausgebeutet werden sollten: so lockte ihn vor allem doch das von unbekannter, etwas unsicherer Hand überschriebene Päckchen in seinem schlotterigen, nicht ganz saubern Umschlag. Aus diesem quoll unter den erbrechenden Fingern ein ziemlich starkes Heft hervor, das nach abgestandenem Taback duftete. Die Handschrift war unschön, doch in derben Zügen sehr lesbar. Die Ueberschrift »Eine Zuflucht nach Amerika« war für Hellmuth's Interesse zu verführerisch, als daß er nicht darin, alles Andern vergessend, hätte blättern sollen. Er las, er vertiefte sich, und seine Frau, die aus dem Nebenzimmer herüber schielte, konnte aus den immer schnelleren Zügen des Rauchenden, wie an den ausgestoßenen Dampfwolken einer Locomotive, wahrnehmen, daß die Zufriedenheit des Lesers immer rascher fuhr. Endlich riß er sich mit den Worten los: Prächtig, genial! He, Klärchen!

Die Freundin saß neben der Frau an einem Stickrahmen, um hier im Hause für eine der Tanten ein heimliches Geburtstagsgeschenk zu fertigen. Sie erhob sich und eilte zu dem Rufenden. – Entreiße mich der Verlockung, Klara! rief der lebhafte Mann; sonst versäume ich meine Chronik und beleidige Chronos, den knickerigen Gott der Zeit. Ich sage kein Wort, aber lies und gib mir Dein Urtheil! Der Einsender schreibt mir da nur ein paar Briefzeilen, kurz und genial. Reisig, – der Name erinnert an den Präsidenten dieses Namens aus – Dings da; weißt Du, der beim Frankfurter Parlament im rechten Centrum so gut gesprochen. Er bietet das Manuscript für unser Feuilleton gegen »gutes Honorar«. Er scheint mir in genialen Schulden zu stecken, aber es freut mich, daß er doch nicht bettelt. Ein Gluthmensch – und vielleicht eine Fundgrube für mein Werk über Amerika.

Diese Erwartung war es ohne Zweifel, die den eben so erregbaren, als strebsamen Mann rasch eingenommen hatte, und ihm das dicke Manuscript in eine so günstige Beleuchtung rückte.

Hellmuth schwärmte nämlich für Amerika, und versprach sich alles von einem Werke, zu dem er seit Jahren lesend und erfragend sammelte, was nur irgend zu erreichen stand. Die neue Welt über dem atlantischen Ocean beschäftigte seine Phantasie nicht weniger, als sein Nachdenken. Eine so ungleichartig gemischte Bevölkerung, in wachsender Zunahme durch überströmende, unzufriedne, unfügsame Ausscheidungen des alten Europa über unkatastrirte Urgebiete sich erstreckend, in titanischen Bestrebungen von einer großartigen Natur unterstützt, bot zu Träumen und Berechnungen hinsichtlich einer ganz neuen Menschheits-Epoche die umfassendsten Linien und die kühnsten Ziffern dar. Wie weit dort noch der sinnliche Unterbau der Gegenwart seine Bogen spannen, zu welchen nie dagewesenen Lebensgestalten die gewaltigste Thätigkeit in Verbindung mit früher Ueppigkeit und Genußsucht ihre Welt verarbeiten werde, und wenn demnächst aller Raum eingenommen wäre, und die politische wie sociale Beengung nicht ausbleiben würde, – welche veränderte politische, welche neue geistige und religiöse Bildung auf solch' erstaunlichem Fundament sich empor richten werde, diese Fragen fanden einen unermeßlichen Tummelplatz für die verwegensten Meinungen die auf so unzugänglichem Gebiet unwiderlegbar blieben.

Nun gehörte unser Redacteur zu den Männern, die sich im Nothfalle das Futter für ihr Steckenpferd etwas kosten lassen. Er dachte schon daran, wie er den Verfasser so feuriger Reiseberichte in seine Nähe bekommen und für sein Werk über Amerika ausschöpfen könnte. Denn schon das Manuscript enthielt viel neue Anschauungen und Einblicke, und ließ noch einen Vorrath von Kenntnissen und Beobachtungen über den Zustand des Landes und der gesellschaftlichen Einrichtungen im Gedächtnißtagebuche des Gereisten erwarten. Er drängte deßhalb die Freundin, die Handschrift mitzunehmen, und ja recht bald durchzulesen.

Hier war nun jene Seite, an der – wie es bei phantasievollen, enthusiastischen Menschen leicht vorkommt – beide in wechselseitiger Selbsttäuschung einander streichelten. Klara, durch des Freundes Vertrauen zu ihrem Geschmack und durch das Aufheben das er bei Andern von ihrem Urtheil machte, lebhaft geschmeichelt, fiel unabsichtlich auf seine eignen Gesichtspunkte und selbst in seine Ausdrucksweise; er selbst aber nahm ein so wohlklingendes Echo seiner Worte gern für eine Bestätigung seiner Ansichten und konnte an der Freundin seinen ausgesprochenen Sinn und Geist mit aller Unbefangenheit bewundern.

So kam denn Klärchen schon am andern Morgen früh genug und sehr erregt mit dem gelesnen Hefte. Sie umarmte die Frau Doctor, die im Hauskleide mit Aufräumen der Zimmer, mit Anziehen ihrer Kleinen und Anschickungen für die Küche beschäftigt, der jüngern Freundin eben so blühende Wangen und strahlende Augen entgegen brachte. Klara küßte und beschenkte die Kinder; wie sie denn selten ohne Näschereien und Spielsächelchen für das gesunde und unruhige Dreigespann erschien. Sie folgte darin ihrem guten Herzen ohne Acht und Bedacht, der Mutter etwa wieder abzugewinnen, was sie an die etwas eifersüchtige Gattin verloren hatte. Eifersüchtig nämlich auf die geistige Geltung der Freundin bei dem Manne. Dann gingen beide zu Karl, der seit 5 Uhr über seinen Zeitungen saß.

Guten Morgen! Da! sagte Klara, indem sie das Heft hinlegte. Es ließ mir die Ruhe nicht, drum komme ich so früh, lieber Freund. Ja, es ist etwas ganz Ungewöhnliches, – eine Gluth der Empfindungen und des Ausdrucks –.

Nicht wahr, eine Gluth, ein Feuer! fiel Hellmuth ein. Da sagst Du das richtige Wort!

Und welcher Wechsel der Gegenstände! sprach Klara weiter, während der Freund aus der langen Pfeife lebhafter dampfte. Bald sieht man die großartige Urnatur mit der einfachen Staffage des menschlichen Treibens, und – in welchen Farben! Man glaubt den anbrechenden Tag dieser neuen Welt im feuerrothen Abglanze des Morgenhimmels zu erblicken –.

Prächtig, Klara! rief Hellmuth. Im Widerschein eines brennenden Vulkans, einer noch nachglühenden Esse der eben fertig gewordenen Schöpfung, nicht wahr?

Bald wieder zeigt uns der Reisende das Weben, Wiebeln und Wimmeln der großen Stadt im Aufbauen und Erwerben, im Schaffen und Raffen, als gält' es, unter dem Entsetzen vor einem Erdbeben das theuerste Besitzthum zu retten und zu flüchten.

Genial, Klara! Ja, es ist etwas ganz Neues, was all' unsere Reisenovellen und Reisebilder todt schlägt. Das soll unserm Feuilleton einen Schwung geben. Hast du gehört, wie man gestern auf das flau gewordene Blatt stichelte? Wir kündigen gleich das literarische Ereigniß an. Hast du dir schon eine Eintheilung des Ganzen in passende Abschnitte gedacht, Klara?

Doch nicht, lieber Freund. Ohne eine nochmalige Ueberarbeitung wird's nicht gehen. Die Darstellung liegt da und dort noch in ihrer ersten Rohheit da, es wimmelt selbst von sprachlichen Unrichtigkeiten.

Sapperment, 's ist wahr! fiel der Doctor ein. Es war mir ganz vergessen, und doch lag mir ein Einwand dunkel im Sinn. Auch kommen verflucht derbe Ausdrücke und Unziemlichkeiten besonders in Bildern vor. Unser Herr Reisig scheint ein genialer Sinnenmensch zu sein, urkräftig, der – soll ich sagen, gleich den Bestien der durchreisten Wälder und Savannen auf seine Beute stürzt. Freilich kann ich mir denken, wie inmitten solchen ursprünglichen Naturlebens ein gesundes Herz selbst wieder urkräftig, alle Zahmheit einer alternden Kultur abwirft, und wie die Empfindungen sich mit der riesenhaften Natur in Harmonie setzen müssen. Alle Tragbänder des socialen Anstandes platzen trotz ihrer Elasticität, wenn die Leidenschaften sich mit Titanen zu messen haben. – Aber, Klara, wer soll die Ueberarbeitung vornehmen? Ich habe die Zeit nicht: der Gott Chronos hält seinen Sklaven zu knapp. Für dich schickt es sich nicht, die Wäsche eines genialen Mannes zu reinigen, der – nicht dein Mann ist. Eins bleibt nur noch übrig: Reisig muß es selber thun. Wir lassen ihn kommen. Es ist für dich gewiß auch interessant einen so genialen Mann kennen zu lernen, und für mich steckt wohl noch mehr Material in ihm, was er zu seinen Darstellungen nicht brauchen konnte und was ich aus ihm herausklopfe. Ohne Zweifel ist er ein Sohn des Präsidenten Reisig. Dieser gilt für reich, und ohne Vermögen hätte unser Genie seine Reisen auch nicht machen können. Sei so gut, und schreib ihm in meinem Namen. Das Manuscript sei angenommen, solle anständig honorirt werden, bedürfe aber der letzten Hand, jedoch mit derselben genialen Feder. Ob er nicht kommen könne. Da er ja doch seinem Briefe nach privatisire, möge er ein paar Wochen hier zubringen, wo es jetzt so reizend sei, durch die Nähe der Bäder, des Rheins u. s. w. Sei so gut! Mach' eine recht pikante Brühe d'rum!

Aber, bester Mann, wie quälst du Klärchen! wendete die Hausfrau ein.

Ah bah! das quält sie nicht, liebe Sophie. Das geht ihr mit der Feder so leicht ab, als wenn du – ein paar Tauben rupfest. Nun geht, und laßt mich! Ja, ja, ihr könnt beide mit Federn umspringen. Du bleibst doch zu Tische, Klara? Wir müssen noch von unserm kolossalen Unbekannten sprechen. Nicht wahr?

Klara setzte sich an den Einladungsbrief, den sie mit ängstlicher Sorgfalt entwarf. Einem genialen Manne gegenüber bemühte sie sich, ein wenig eigenthümlich in ihrem Ausdrucke zu sein, ihre Feder unvermerkt in die Abgluth des unbekannten Vulkans zu tauchen. Es lag eine kleine Selbsttäuschung darin, daß sie dem interessanten Manne mit einer Zuschrift gefallen wollte, die doch im Namen ihres Freundes ausging.

Während dessen saß die niedliche Hausfrau mit einer irdnen Schüssel im Schooße, in die sie Zuckererbsen aushülste, zu denen das Hausmädchen die gelben Rübchen schabte. – Du mußt heut einmal die Tauben rupfen, Bärbel, sagte sie der schreibenden Freundin zu Gehör. Ich will einmal sehen, ob du ebenfalls mit Federn umgehen kannst, oder ob du eine alberne Gans bist. – Ei, Frau Doctor, versetzte Bärbel lachend, die Gänse gehen ja auch mit Federn um, mit ihren eigenen.

Die Hausfrau lachte und sagte, als Klara vom Schreiben aufstand: Weißt du, Klärchen, wie ich mir euer amerikanisches Genie denke? Wie den Dichter Hiepe, aufgedonnert nach der ausgesuchtesten Mode, anspruchsvolle Lippen, herausfordernde Augen und gelbe Glacehandschuhe. Er trinkt gern Champagner, und mussirt Revolutionsdramen, an denen der Schaum ebenfalls das Beste sein soll.

Laß das ja deinen Mann nicht hören, antwortete Klara, indem sie mit dem Barte der Feder, die sie noch in der Hand hielt, der Freundin die Wange streichelte. Der Doctor, weißt du, hat das erste Drama dieses fahrenden Poeten zuerst ausposaunt.

Ich weiß es, lachte Sophie. Karl hat ihn für einen genialen Poeten ausgegeben, er selbst hat sich darauf in Umlauf gesetzt, es hat ihn aber Niemand in diesem Werth annehmen wollen, geschweige mit Agio.

Nein, erwiederte Klara, genial ist er auch nicht. Ueberhaupt versündigt man sich gar oft mit dieser Bezeichnung. Der äußere Schnickschnack thut's einmal gar nicht. Gerade diesem affectirten Wesen, womit man seine poetischen Verzerrungen begleitet, traue ich nicht, und denke mir auch unsern wirklich genialen Reisenden viel eher nach dem alten Zuschnitte genial: nicht gebügelt, nicht geschniegelt, sondern eher etwas – verschabt, etwas – nein, das wäre zu stark! – Dabei durchaus nicht anmaßend, sondern eher zerrissen.

Zerrissen? fragte Sophie schalkhaft. Du meinst, was man so aufgerissen nennt, an Hemd und Beinkleid oder an den Rockärmeln?

Geh', Sophie! schalt die Freundin empfindlich. Du hast doch immer so ordin– so practische Gesichtspunkte. Zerrissen meine ich, in seelenvollem Innern, was so zu einer unsäglichen Theilnahme an seinem Geschick hinreißt, etwas, was weit mehr als Liebe ist, – Verhängniß.

Nun ja doch Verhängniß! meinte Frau Sophie, indem sie sich etwas ärgerlich erhob. Ich weiß wohl, was schwärmerische Mädchen Verhängniß nennen: etwas was ihnen zustößt, wenn sie den gesunden Verstand an den Haken hängen und das Herz an einen Mann, der vielleicht – hängenswerth sein mag. D'rum sei nur auf deiner Hut vor euerm Genie! setzte sie lachend hinzu. Denn ist er zerrissen in deinem Sinn: so findest du ihn ja hinreißend; ist er, was ich aufgerissen nenne, so bleibt das Mitleid leicht in den Fetzen hangen; wäre er aber vollends, daß man an ihm kleben bliebe, – wie sagtest du? Etwas – ha! ha!

Lachend ging sie mit ihrer Erbsenschüssel nach der Küche. Und sie hatte sich auch schon daran gewöhnt, ihre guten Einfälle selbst zu belächeln; denn von dem Manne und der Freundin erfuhr sie selten eine Zustimmung der Art. Beide schwärmten gern nach ihren sogenannten höheren Gesichtspunkten und tadelten mehr oder weniger freundlich die prosaische Anschauungsweise der Hausfrau, die doch gar nicht so selten das Rechte traf, weil sie mit Sinn und Herzen sich inmitten der Dinge hielt, um die es sich eben handelte. –

Die Antwort auf das Schreiben der Redaction blieb auf dem Wege der Eisenbahn nicht lang aus. Die Einladung recht bald zu kommen, wurde angenommen, nur erbat sich Reisig einen Vorschuß auf das Honorar als Reisegeld. Diese Verlegenheit eines genialen Mannes ließ sich begreifen. Sonderbar erschien aber die andere Bedingung, – daß ihm zugleich ein guter Paletot mitgeschickt würde; wozu bemerkt war, daß das Kleidungsstück für einen Mann von ansehnlicher Gestalt und etwas breiten Schultern zugerichtet sein müsse.

Ist das nun nicht wieder recht genial? lachte Hellmuth. Wer wird denn einen Paletot des weiten Weges schicken? Ist es nicht köstlich, solche unpractische Geister zu sehen, die an kein Porto denken? Nun ja, ich werde ihm den Betrag für ein solches Reisegewand zum Reisegeld beifügen müssen.

Darum wird's ihm auch nur gelten! meinte die Hausfrau. Klärchen aber überhörte die Bemerkung: eine Nachschrift des Briefes fesselte ihre Empfindung. Diese Zeilen lauteten:

»Die Handschrift Ihres Briefes, mein verehrter Doctor, hat mein Innerstes ergriffen. Sympathien des Herzens sind angeklungen. Die Ahnung einer ungemeinen Liebe hat mich erfaßt. Es liegt so viel Weibliches in den Zügen Ihrer Hand, im Ausdruck Ihrer Gedanken. Das Weibliche hebt himmelan! Ha! wäre es mein Verhängniß, alle Schiffbrüche des Herzens, alle die scharfen Riffe des Lebens, an denen mein hohes Vertrauen auf Liebe und Treue – und wie oft! – scheiterte, an der Brust eines Freundes vergütet zu erhalten? Wie sagt Goethe:

›Selig, wer sich vor der Welt
Ohne Haß verschließt,
Einen Freund am Busen hält
Und mit dem genießt.‹

Wie freue ich mich zu Ihnen zu kommen! Welche Zufriedenheit träume ich mir, welche Aufrichtung nach allen entsetzlichen Wirrsalen!«

Es war eine wundersam träumerische, etwas bängliche Empfindung, aus welcher Klara durch Frau Sophiens Anrede geweckt wurde.

Aus dem Briefe geht doch hervor, sagte Sophie mit schalkhafter Feierlichkeit, daß der Geniale wirklich zerrissen ist.

Nicht wahr? rief Klara, indem sie die Freundin umarmte. Hatte ich nicht Recht? O wie zerrt oft das Leben an solchen Genien! Ich ahnte es! die edle Seele!

Ja, versetzte Sophie, – edel und breitschulterig. Ich für meinen Theil irrte mich nur im Gegenstande seiner Zerrissenheit: Ich dachte nämlich an Hemd und Beinkleid, es ist aber der Paletot!

Sie verließ das Zimmer eilig und mit Lachen.


3.

Während unser Redacteur das Heft des Erwarteten vollends durchlas und die Stellen, die einer sorgfältigeren Ueberarbeitung bedurften, die oft übertriebenen und nicht selten sogar unanständigen Ausdrücke und Bilder mit Rothstift bezeichnete, war eine Woche vorüber gegangen, als er eines Morgens aus dem Gasthofe, Hotel Salm, ein Billet erhielt, worin Reisig seine Ankunft meldete. Hellmuth warf sich rasch in die Kleider, nahm aber einen kleinen Umweg zu Klara's Wohnung. – Er ist da, unser Geniale, unser amerikanischer Vulkan! rief er an der verschloß'nen Thüre der im Ankleiden begriffenen Freundin zu. Du kommst zu Tische, Klara. Ich hole ihn eben ab und behalt' ihn heut bei uns. Es ist glücklicherweise ein leichter Posttag, und ein Stündchen nimmst du mir ihn ab.

Im Gasthofe wurde unser Doctor in eine der Bedientenstuben auf dem hintern Gang gewiesen. Verwundert darüber, begriff er doch das Mißverständniß, sobald er, in die Stube getreten, den Ankömmling mustern konnte. Reisig, mit seinem Anzug beschäftigt, gab nämlich manches preis, was sich nach und nach den Blicken halb und halb wieder entzog. Dennoch kam zuletzt nichts weiter zu Stande, als ein ziemlich schäbig gekleideter Mann, der an einen vornehmen Bettler erinnerte, – groß von Gestalt, stark gerötheten Gesichts, die ganze Haltung erschöpft; wobei aber die Gesichtsbildung etwas Aristokratisches und einen ehemals hübschen Mann verrieth. Das Haar fiel leicht und gelockt in den Nacken und der etwas angegraute Bart war nicht ohne Pflege gelassen. Auch gaben sich die Manieren einer guten Erziehung, Ton und Bewegung guter Gesellschaft noch zu erkennen. Nur Geschmack und Gesinnung hatten sich von jenen Angewöhnungen, mit denen sie vielleicht früher übereingestimmt haben mochten, merklich entfernt.

Ha, Doctor Hellmuth! rief er dem Eintretenden entgegen. Wie freundlich Sie mir zuvorkommen! Ich meldete mich Ihnen an, bloß um zu hören, wanneher ich Ihnen aufwarten dürfte. Ich weiß ja, wie kurz ein Zeitungs-Redacteur angebunden ist.

Wie? Und Sie erkennen mich ohne mich zu erwarten?

Ja, und ungeachtet Ihres Aussehens! lachte der Geniale.

Was? Meines Aussehens? fragte Hellmuth befremdet, wobei er den Blick an sich hinab und an Reisig hinaufgleiten ließ. Hellmuth gehörte nämlich zu Denen, die auf guten und modischen Anzug halten.

Ich meine Ihr kräftiges, männliches Aussehen, wie ich Sie nach Ihrem liebenswürdigen Schreiben mir nicht gedacht habe, erklärte der Fremde. Der Brief hat etwas Mädchenzartes in den Schriftzügen, etwas Schwärmerisches im Ausdrucke.

So geht's Ihnen denn just wie mir mit Ihnen, erwiderte Hellmuth. Ich bin auch noch dran, Ihr Schriftliches mit Ihrer Erscheinung in einige Uebereinstimmung zu bringen. Unsere Zeit ist stolz darauf, geniale Männer besser zu schätzen, als dies früher der Fall war, wo man sie freilich auch kaum anders, als in der Mauser ihrer Lebensordnung oder vom Unglücke wohl ganz und gar gerupft finden mochte.

Aha! lachte Reisig, drum mustern Sie so mein Gefieder. Oder messen Sie vielleicht, wieviel Stab ich zu einem neuen Anzuge nöthig habe? Gut! Gleichen Sie mich immerhin ein bischen mit mir selber aus! Unsere Urmutter Eva, stellte sich schon ihre Garderobe aus Blättern, – Feigenblättern: ich will mich in Ihr Zeitungsblatt kleiden, in Ihr Feuilleton. Sie sehen, Doctor, daß ich mich zu den Folgen der Erbsünde bekenne. –

Mit dieser nicht allzu zarten Wendung war man auf die eigentliche Angelegenheit gekommen. Hellmuth, der zuweilen mit etwas gutmüthigem Prahlen über die Berechnung seines Vortheils hinausgehen konnte, ließ sich mit einiger Uebertreibung über den Werth der amerikanischen Skizzen Reisig's und über die starke Auflage seiner Chronik aus, versprach daher das höchste Honorar der Zeitung und bestand nur auf nochmaliger Ueberarbeitung der mitzutheilenden Stücke. Er warf zugleich seine Ansicht wegen Herausgabe des ganzen Buches hin, und Reisig, schalkhaft lachend, war alles zufrieden. – Ich muß mich dann nur auf einige Zeit hier einrichten, sagte er, und bin auch unabhängig genug dazu, wenn Sie nur, lieber Doctor, ein wenig für mich sorgen wollen. Ich vereinige nämlich, ohne Ruhm zu melden, zwei ausgezeichnete Eigenschaften in mir: die beste Absicht und die höchste Ungeschicklichkeit für das Ökonomische! Versteh'n Sie mich!

Wir wollen das überlegen, erwiderte Hellmuth etwas kleinlaut. Kommen Sie jetzt mit mir nach Hause und seien Sie für heute mein Gast.

Wie Reisig sich zum Gehen anschickte, sah der Doctor sich nach dessen neuem Paletot um, auf den als Deckblatt über den schäbigen Anzug er eben gerechnet hatte, da er doch einmal neben dem auffallenden Mann über die Straße gehen mußte. Reisig aber, dem es wirklich, wie Frau Sophie vermuthet hatte, nur um den Betrag zu thun gewesen war, erklärte, er habe den Paletot noch nicht gekauft, weil er gern hier am Ort einen – acclimatisirten Ueberwurf tragen wolle. –

Die freundliche kleine Hausfrau hatte sich ihrem Manne zu Lieb sorgfältig angekleidet, war aber nicht wenig betroffen, ihn mit diesem Fremden die Treppe heraufkommen zu sehen. Ihre erste Empfindung war, einen Unterstützung suchenden oder Subskribenten sammelnden Menschen vor sich zu haben, und schelmisch wie sie sein konnte, hielt sie diesen Eindruck ein paar Augenblicke fest, indem sie zur Begrüßung des Ankommenden wie in Gedanken ihre Börse zog. Hellmuth bemerkte es nicht, wie er denn in seinem stets etwas aufgeregten Wesen für weibliche Scherze und Schalkheiten wenig Sinn hatte. Er stellte ihr den Gast mit rühmenden Worten vor, die vielleicht den fehlenden Glanz desselben ersetzen sollten, und Sophie empfing ihn mit einfacher Artigkeit. Ein Frühstück wurde angeboten. Reisig bat sich halb lachend einen »Liquor, vulgo Rack« aus, und das Arakfläschchen des Theeservice wurde gebracht. Ein paar Schlucke hatten die gute Wirkung, daß Reisig's schlaffe Züge sich angenehmer belebten. – Sie sehen, sagte er beim zweiten Schluck lächelnd, man nimmt unter tropischen Gewächsen auch tropische Gewohnheiten, oder vielmehr Bedürfnisse an. Meine Lebensgeister stehen noch in Correspondenz mit den Geistern des Zuckerrohres und des Reises.

Klara, die nicht lange auf sich warten ließ und sehr sorgfältig gekleidet erschien, war vom ersten Anblick des Genialen allerdings befremdet. Indem sie sich aber besann, daß es ja eben der Geniale sei, fiel ihr auch ein, daß sie sich ihn ja selbst nicht als geschniegelt und elegant, sondern vielmehr als das Gegentheil davon gedacht hatte. Sie sah mit zufriedenem, ja triumphirendem Blicke nach Sophien, als ob sie sagen wollte: hab' ich nicht richtig vorausgesehen?

Diese gute Stimmung befriedigte sie noch mehr durch den guten Eindruck, den ihre Erscheinung auf den interessanten Mann gemacht hatte, und den ihre lebhafte Unterhaltung steigerte. Man kannte den Fremdling noch nicht genug, um gerade zu bemerken, wie sehr er sich zusammen nahm, und mit welcher Anstrengung er was ihm von seiner vorsündfluthigen Ritterlichkeit noch übrig geblieben war, gegen das anmuthige Mädchen herauswendete. Der etwas scharfe Geschmack seiner abständigen Galanterie stimmte wundersam zu seinem Anzuge, so daß er eine eigenthümlich pikante Erscheinung wurde. Daher kam es, daß die drei Menschen, besonders über Tische, von ihrem Gaste sich angenehm beschäftigt fanden, – Klara durch seine Aufmerksamkeit für sie, Hellmuth durch manche Mittheilung, die gute amerikanische Aufschlüsse versprach, und die Hausfrau durch kleine Eigenheiten ihres Gastes sowohl, als durch schalkhafte Beobachtung der beiden Anderen in der Eingenommenheit für einen Mann, von dem sie selbst keine besondere Meinung fassen konnte. Ihr stilles Lächeln drohte laut zu werden, als Reisig, die hohe, haarlose Stirne zu trocknen, ein Taschentuch hervorbrachte, das sich über allen Zweifel als ein abgerissenes Stück von einem kattunenen Canape-Ueberzuge zu erkennen gab. Sie faßte sich, indem sie mit verbissener Lippe nach ihrem Sopha umblickte und sich des guten Damastbeschlags freute.

Beim Kaffee wurde der Nachmittag und Abend berathen. Halb schalkhaft, halb verlegen, bekannte die Hausfrau, daß sie über den Abend bereits verfügt habe. – Vorgestern, lieber Mann, sagte sie, hast du einer Anzahl unserer Freundinnen von unserm erwarteten Gast erzählt, ihre Erwartung gespannt und ihnen eine Abendvorlesung aus seinem interessanten Manuscript versprochen. Das fiel mir ein, als du fort warst, Herrn Reisig für den heutigen Tag abzuholen. Ich schickte gleich zu den Damen und ein paar Herren, und sie haben Alle zugesagt.

Aber auch – fiel Hellmuth unwillig ein, besann sich aber rasch seines Gastes und fuhr freundlicher fort: Ich meine, warum gleich den ersten Abend? Wir hätten unsern Freund auch gern erst ein wenig allein gehabt.

Wußt' ich denn, lieber Mann –? erwiderte Frau Sophie mit einem Blick auf Reisig's Anzug. Du tadelst immer, ich ginge so wenig in deine Ideen ein. Darum hab' ich mich diesmal geeilt, in deinem Geschmack etwas zu thun. Wer hätte denn erwartet –!

Zum Abbestellen ist's nun zu spät, meinte Klärchen. Die Damen werden sich alle auf die Stunde und den Fremden freuen.

Gewiß, und sich putzen! setzte Sophie lächelnd hinzu.

Gut also! erklärte nach einem Weilchen der Wirth. Es ist mir recht, beste Sophie. Sorge nur, daß wir sie wie gewöhnlich empfangen. Ich sorge schon – für das Andere. –

Offenbar hatte er einen rettenden Gedanken gefunden. Vor Allem aber rettete er den Gast auf seine stille Arbeitsstube in einen bequemen Sessel zu einem Mittagschläfchen. Denn Reisig nickte ziemlich abgespannt oder in die Correspondenz vertieft, die seine Lebensgeister mit den Geistern der Rüdesheimer Bergreben neu angeknüpft hatten. – Als Hellmuth zurückkam, sagte er:

Ich will hernach mit dem wunderlich aussehenden Kauz nach dem Kleidermagazin gehen, um ihn etwas heraus zu staffiren. Die Auslagen muß ich schon machen, liebe Sophie, um – dich mit deiner Einladung nicht im Stiche zu lassen. Man ist heutzutage so verwöhnt durch den allgemeinen Luxus. Vormals ging ein verlumptes Erscheinen dem Genie als Prärogative hin; ja ein Tropf hätte sich in solcher Haut als Löwe des Tages geltend gemacht. Jetzt will man auch an dem originellsten Menschen nichts Exceptionelles gelten lassen – wenigstens an der Montur.

Sorge du nur auch, lieber Karl, antwortete sie, daß dein Genie angenehm erwache. Halt nur für alle Fälle die Arakflasche bereit.

Aber, beste Sophie, wie siehst du doch Alles so prosaisch an! rief Klara.

Du hast recht, Klara, stimmte ihr der Freund bei. Immer bleibt sie unter den höheren Gesichtspunkten. Geh, Sophie, du kannst Einen recht betrüben!

Nun ja doch, ihr müßt schon Geduld mit mir haben, lächelte sie. Die Gesichtspunkte der Hausfrau liegen mir einmal am nächsten. Es sollte euch auch übel gesagt sein, wenn ich mit euch fliegen wollte. So findest du deine Wäsche stets gestärkt und gebügelt, lieber Karl, und bedenkst eben nicht, daß dein Gast ein etwas verwaschener, verlumpter Geist ist, der auch – »gestärkt« sein will. Ei, kam er ja doch schlaff genug in's Haus, hatte aber kaum sein Glas Rack – wie's der Racker nannte – zu sich genommen, als er auch gleich gesteift und gebügelt in galantem Benehmen gegen Klärchen erschien.

Da muß ich euch nun sagen, wendete Klara ein, daß mich seine Persönlichkeit gerade nicht sehr anmuthet; sein Anzug aber verschwindet mir ganz und gar bei seinen lebhaften Mittheilungen, wie – möcht ich sagen – die grünen Kelchlappen sich zurückschlagen, wenn die Centifolie ihre leuchtende Blätterfülle darüber ausbreitet.

Prächtig, Klara! rief Karl aus. Ein reizendes, echt poetisches Bild.

Gut, auch als Blume lass' ich mir ihn gefallen, lächelte Frau Sophie; nur als gebrochene, die in etwas Nasses gestellt werden muß, weil sie eben abwelken will. Je nun, es ist ihm ja alles gegönnt, was du ihm einschenkst, lieber Freund, – Ruhm und Rum!

An der Thür wendete sie sich noch einmal mit den Worten um: Verzeiht! Von welchem Standpunkte, beste Klara, muß ich denn unseres Gastes Sacktuch ansehen? Ich selbst würde es für ein Stück alten Canape-Ueberzuges halten. Nun ja! Etwas Zerrissenes jedenfalls, und da hab' ich ja deinen Gesichtspunkt, Klara. Nicht wahr? Und es ist mir lieb.

Sie ging mit schalkhaftem Lächeln, um nach den Kindern zu sehen.


4.

Der Mittagschläfer hatte sich Zeit zu seiner Erholung genommen und dadurch auch seinem Wirthe Zeit gelassen, eingelaufne Berichte zu lesen und einige Zeitungsartikel anzustreichen. Als der Sessel-Insasse endlich gähnend und ein wenig öde aussehend erwachte, erinnerte ihn Hellmuth an den bevorstehenden Abend, und machte ihn mit dem Erforderniß bekannt, etwas sorgfältiger gekleidet zu erscheinen. Obschon er von Reisig's Unbefangenheit einen ersten Eindruck hatte, suchte er ihm doch den Vorschlag möglichst zart beizubringen, daß er im Kleidermagazin des Herrn Oberling seinen – Reiseanzug gegen ein einfaches Salonkleid vertauschen möge. Zu Hellmuth's Zufriedenheit nahm das sein Gast, der in solchen Dingen sehr natürlich zu empfinden schien, ganz leicht, als etwas sich von selbst Verstehendes auf, ja er war so unbefangen sich auch noch einen kleinen Vorschuß zu Taschengeld auszubitten.

Im Magazin wählte man das Nothdürftigste, – zu Knöpfschuhen ein schwarzes Beinkleid, eine silbergraue Weste, seidne Halsbinde und einen bräunlichen Paletotrock mit kurzen Schößen. Reisig machte noch auf sein Bedürfniß einiger guten Hemde und salonfähiger Handschuhe aufmerksam. Während er dann auf seiner Stube mittelst warmen Wassers und eines Rasirmessers seine Verwandlung vornahm, unterhandelte sein Redacteur mit dem befreundeten Gastwirthe um ein anständigeres Zimmer im Seitenbau des Hotels und um billige Beköstigung des »ausgezeichneten Fremden«. Ich sage gut für ihn, lieber Ebermaier und übernehme die Zahlung, erklärte er, bis der geniale Mann, der Sohn eines höchst angesehenen und vermögenden Staatsmannes, sich in eigenen Credit setzen wird. Er kommt stante pede von großen Reisen zurück, daher –!

Ich begreife schon, lachte der Witzbold vom Salm, – der Herr war verreist und kömmt verrissen.

Wie nun Reisig glatt und sauber vor dem Spiegel seines neuen Zimmers ein lächelndes Wohlgefallen an sich fand, erwachte lebhafter die Erinnerung an seine galante Zeit. Er setzte sich vor, den liebenswürdigen Schönen zu gefallen, die sich den Abend um ihn versammeln sollten. Er dachte an Klara. Sie sollte ja, wie ihm Hellmuth vertraut, neben ihrer anmuthigen, geistreichen Lebhaftigkeit auch ein artiges Vermögen besitzen und zu erwarten haben. Dies hatte er ihr nicht angemerkt, wohl aber eine gewisse unverwahrte Schwärmerei, durch die er jenen verborgenen Schatz zu beschwören und zu heben den flüchtigen Gedanken faßte. –

In dem neuen Selbstgefühle, von dem er gewissermaßen überrascht war, zögerte er über die genaue Theestunde hinaus, wie er in früherer Zeit gern absichtlich gethan, als er noch zu berechnen pflegte, daß der Ankommende in einer gewählten Gesellschaft das augenblickliche Uebergewicht hat, und einen Gewinn zieht, der sich am Würfel seines Eintretens nach den »Augen« berechnet, die auf ihn gerichtet sind. Auch gelang es ihm wirklich, Aufmerksamkeit und Spannung zu erregen, als er im Gesellschaftszimmer erschien, und durch sein Aussehen und Benehmen selbst die voreingenommene Frau Hellmuth zufrieden stellte.

Diese Stille dauerte indeß nur so lang, als die wechselseitige Vorstellung stattfand; worauf das Gespräch zu dem unterbrochnen Gegenstande zurückkehrte. die Unterhaltung ging um ein neues Buch: das unter dem Titel: »Ein Landaufenthalt, von Edmund Safran« vor Kurzem erschienen war und viel Aufsehen machte. Mit einer gewissen versteckten Kunst war eine interessante Familiengeschichte, die man lesend mitlebte, dargestellt, mit reizenden Unterhaltungen über die Fragen der Gegenwart durchflochten. Bedeutende Personen, die man aus der Wirklichkeit zu errathen meinte, gingen auf dem einsamen Landsitze ab und zu, pikante Hofgeschichten wurden geflüstert, treffende Urtheile über Literatur und Kunst fielen dazwischen, und Lieder eines Gastes der Familie, Gedichte, denen man Seele und Wohlklang zugestehen mußte, versöhnten die Widersprüche der geselligen Abende. Dieser wechselnde Inhalt des Buches, indem er einen vielseitig gebildeten Autor verrieth, gab sich doch so ungezwungen, daß nirgends eine Absicht durchblickte, die den unbefangnen Leser hätte verstimmen können. Man fragte nach dem wahren Namen des Verfassers und faßte dabei den fremden Gast in's Auge, der ja aus der Stadt kam, wo das Buch verlegt war. Reisig erklärte ihn nicht zu kennen; wobei aber eine eigenthümliche Befangenheit verrieth, daß er wohl nicht ohne irgend ein Verhältniß zu demselben sein dürfte. Doch habe ich manches von ihm gehört, setzte er hinzu. Er ist ein Neffe seines Verlegers, ein noch junger Mann, dem eine vielseitige Bildung und günstige Verbindungen die Wahl eines Lebensberufs zur Qual machen. Heut, sagt man, blicke er nach einem Staatsamte, morgen nach einer Professur; dazwischen schiele er nach einem Pult auf dem Comptoir seines Onkels. Und eben so soll er bald etwas sentimental, bald ziemlich Spötter sein.

Ein genialer Mensch! rief Doctor Hellmuth; es ward ihm aber heftig widersprochen. Selbst Klara hielt das Buch für keine eigentlich geniale Produktion.

Gewiß nicht! rief der Arzt Lukas. Wenigstens in dem Sinn des Ungeberdigen, den Ihr oft mit diesem Wort verbindet. Dazu ist das Buch viel zu gehalten, maßvoll, befriedigend. Ein liebenswürdiges Fräulein wird den Herrn Safran mit Entzücken lesen; ob aber auch heirathen –? Wer für ein Genie schwärmt, findet schwerlich den rechten Mann an ihm. Ich zweifle sehr Fräulein Amelung, daß er ein Rad schlagen würde, um einer jungen Dame die Hand zu bieten, wenn auch nur zu einem Walzer. In der That, ich habe das Buch mit wahrem Vergnügen gelesen und kann's empfehlen. Es ist Einem unter dem Lesen zu Muth, als wandle man an einem heitern Sommerabende durch fruchtbare Gefilde, und der wunderlich angenommne Namen Safran selbst erinnert an den würzigen Geruch, der über reifenden Kornfeldern schwebt.

Sehr wahr, lieber Doctor! rief ihm eine ältere Frau zu. Sagen Sie noch, auch die Abendglocken der Religiosität fehlen dem Sommerabende nicht.

Ich würde lieber sagen, die Abendröthe der Religiosität fehlt nicht, wendete Lukas ein. Die Glocken erinnern zu sehr an das eigentlich Kirchliche, das ich für meine Person – nicht sehr cultiviren kann.

Das ist wenigstens in Safran'schem Sinn, Herr Doctor! lachte Reisig. Es circuliren nämlich bei uns einige Distichen des Herrn Safran in Abschriften gegen die Gräfin Ida gerichtet. Er hat sie nicht drucken lassen, weil er sie nachher selbst mißbilligte. Er hatte sie in der ersten Aufwallung über das Bekehrungstreiben jener Dame hingeworfen, weil er auch in dem Pilger- und Klostergewande die alten »Allüren« der weltfahrenden Frau zu erkennen glaubte. Ich besitze zufällig eine Abschrift: wenn mir die Herrschaften erlauben, nur als Probe –.

Er nahm aus einer nicht gar saubern Brieftasche ein Blatt Papier, entfaltete es und las:

»An Gräfin Ida.
Erbaulich.

Ausgestreckt in der Länge des Leibs liegt vor dem Altare
Seelenermüdet ein Weib: sagt was bedeutet denn das?

Verkehrt und bekehrt.

Fällt nicht ein fahrendes Weib gar leicht, wie die rollende Münze,
Heute verkehrt auf den »Kopf«, morgen bekehrt auf die – »Schrift?«

Nomen et omen.

Fahrend suchtest wie lang du, romantische Dame den »Rechten«;
Siehe, nun fesselt er dich, der nach der Kette sich nennt.«

Indem der Lesende sich einen Augenblick unterbrach, um zu sehen, ob die Anzüglichkeiten der Verse verstanden würden, blieb er durch ein lebhaftes Gespräch unterbrochen, das sich für und wider entspann. Mehrere ereiferten sich zu Gunsten einer Frau, deren Unglück und Trostbedürftigkeit mehr Achtung und Schonung verdiene.

Wahr! rief Doctor Lucas. Gönne man es der Langumhergeirrten, wenn sie zuletzt in den Armen des Glaubens findet, was sie in keiner Bucht ihrer Fahrten an keinem Busen ihrer Hingebung finden konnte. Auch handelt sie nicht so inconsequent, als es scheint: wie sie früher das Glück nicht in der eignen Brust, sondern in den Weltverhältnissen gesucht hat; so ergreift sie das Göttliche, das in ihrem Geist und Herzen nicht selbständig geworden ist, im Aeußern, in einer äußern Erscheinung, und da sie taumelte, gerade in einer recht felsenfesten; sie wechselt die Religion nicht, – sie nimmt zum erstenmal Religion an und zwar den handfestesten Glauben; sie braucht Autorität und bekennt sich als gute Aristokratin zu jener kirchlichen Gesellschaft, die den ältesten Stammbaum hat, und an deren Schwelle ihr ein Baron die Hand bietet.

Dieser Beiderwand von Scherz und Ernst regte den Streit nur noch mehr auf. Man wollte ja gern der unglücklichen Frau den gefundenen Frieden gönnen: nur sollte sie auch den Frieden Andrer achten, und sich von den fanatischen Bestrebungen des Jesuitismus weglassen, der darauf ausgehe, Haß und Hader in den Staaten und Familien zu erregen.

Und solchen Angriffen gegenüber, rief Klara, warum will man übel nehmen, wenn einmal ein paar Seitenhiebe gerechter Entrüstung auf eiteln Selbstbetrug und mitverschuldete Verirrung fallen?

Auch wahr! rief Lucas. Ich wollte man könnte jedem jesuitischen Fanatiker einen protestirenden Lacher entgegen stellen.

Drum, fuhr Klara gegen Reisig fort, geben Sie mir nur das Blatt her: ich wenigstens möchte auch noch die übrigen Distichen lesen.

Aufgeregt, wie sie war, entwand sie dem etwas verblüfften Manne das Blatt, wobei sie einigen der Umstehenden die Bemerkung zuflüsterte, daß sie Reisig selbst für den Verfasser halte.

Um dem unerquicklichen Streit ein Ende zu machen, brachte Hellmuth das Heft Reisig's herbei, und ersuchte die Gesellschaft, sich eine kleine Vorlesung gefallen zu lassen.

Das ganze enthielt die Reise eines jungen Menschen von den besten Anlagen, der nach leichtfertigen Streichen von seinen Verwandten verbannt und verstoßen, sich aus den Armen seiner Zechgenossen losreißt, um in der neuen Welt ein neues Bewußtsein zu erringen. – »Ich verließ Deutschland, hieß es, gleich einem Vagabunden, ohne Paß und ohne Geld; denn meine gute, vorsorgliche Schwester hatte mich gleich einem Waarenballen, aufgegeben und via Rotterdam und Havre nach New-Orleans spedirt, wo mir die weitere Forthülfe angewiesen war.«

Die Erzählung, offenbar unter sehr wechselnden Stimmungen niedergeschrieben, verlief sehr ungleich. Der junge Mann macht auf dem englischen Schiffe die Bekanntschaft eines deutschen Barons und bemerkt die unziemlichen Absichten desselben auf die Erzieherin seiner Kinder. Da faßt er selbst eine Leidenschaft für das schöne und liebenswürdige Mädchen und weiß es unter der Angst, die es vor dem Baron hat, für sich zu gewinnen. Emma vertraut und verlobt sich ihm, mit dem Entschlusse, dem Baron zu entfliehen. – In dieser Partie nahm die Darstellung sehr schwärmerische, übertriebne, üppige Farben an. Interessanter fielen einzelne Naturgemälde aus; wie denn der reißende Mississippi sehr lebhaft geschildert war. – Von den Jefferson-Barracks, wo man landete, hatte der junge Abenteurer und die mit ihm entflohene Emma an einem herrlichen Maimorgen den Urwald betreten. Sie mußten halbmannshohes Gras, – Kaninchen, Eichhörnchen und Klapperschlangen aufscheuchend – durchwandern, um nach der Farm eines Freundes zu gelangen.

Hier in der Wildniß verwilderten denn auch, so zu sagen, die ausgesprochenen Empfindungen. Viel Unzartes, ja Unschickliches lief in geschmacklosem Stil mit unter; so daß besonders die jüngeren Zuhörerinnen sich in's anstoßende Zimmer zurückzogen. Reisig schien es nicht zu bemerken. Er hatte in der Zerstreuung dem Glase Zuckerwasser, das zur Anfeuchtung des Mundes vor ihm stand, aus dem Rumfläschchen des Theeservice mehr und mehr zugegossen, und sah sehr erregt aus. Vergebens flüsterte ihm Doctor Hellmuth zu, auf die rothangestrichenen Stellen zu achten, jetzt legte er ihm die flache Hand auf's Blatt und sagte scherzend: Merken Sie denn nicht, geehrter Herr, daß man sich vor Ihren Klapperschlangen des hohen Grases fürchtet?

Oh! versetzte Reisig, mit etwas starren Augen umherblickend. Verzeihung für das giftige Gewürm! Sie sehen, ich bin unbeschädigt davon gekommen. Aber bei so viel Theilnahme für mich, erlaube ich mir die Frage: Wie finden Sie, meine schönen Damen, die Mittheilungen im Uebrigen? Auf das Urtheil der Frauen habe ich von jeher den höchsten Werth gelegt. Sagen Sie mir offen –!

Er blickte bei diesen Worten eines um das andere der nächsten Mädchen an, die sich verlegen zurückzogen, bis auf eine kleine Naseweise, die ein wenig schnippich erwiderte:

Wo ist denn die unkluge Emma hingekommen?

Diese unbedachte Frage setzte hier ein Kichern, dort eine Verlegenheit ab. Eine ältere Frau fiel mit Freundlichkeit ein:

Wenn Sie sonst auf das Urtheil der Frauen Werth gelegt haben, Herr Reisig: so geschah es wohl auch für Mittheilungen, die mehr für Frauen gemacht waren. Was wir dagegen eben anzuhören gehabt, wird vielleicht von Männern besser gewürdigt. Was meinen Sie denn, Doctor Lucas?

Ich bin mit unserm Freunde Hellmuth einverstanden, antwortete er, der die Stellen angestrichen hat, die einer nochmaligen Ueberarbeitung bedürfen.

Wie? fiel Reisig lachend ein. Ich dachte, sie seien angestrichen, um sie zum Vorlesen besonders zu bezeichnen.

Worauf jene Dame, von dem kecken Lachen verletzt, erwiderte:

Das ist sehr bescheiden von Ihnen, daß Sie Ihr eigenes Gefühl des Schicklichen einem fremden Urtheile wenn auch einem sehr mißverstandenen, unterordnen.

Dies war sehr stark, selbst in einer bereits verstimmten Gesellschaft. Allein Reisig's ganzes Wesen und Benehmen hatte bereits sehr mißfallen. Leider hatte er es darin versehen, daß er dem ersten Eindrucke seiner Erscheinung mehr zutraute, als derselbe auf die Dauer tragen konnte. Zwischen seinen vormaligen gesellschaftlichen Manieren und der jetzigen Auffrischung derselben lagen verwilderte Jahre. Sein sonst vielleicht gewandtes Benehmen war, so zu sagen, in den Charnieren, in den Gelenken, lose und locker geworden; seine Unbefangenheit schlotterte in's Ungebundene. In der Verlegenheit, die er doch empfand, klammerte er sich an Klara. – Ich appellire, rief er, an unser geistreiches Fräulein Amelung. Verurtheilen auch Sie mich, oder –?

Nun wäre schon Klara's leicht erregbarer Mädchentrotz genug gewesen, um verletzenden Urtheilen, zumal von Frauen, entschieden zu widersprechen, und eine aparte Meinung zu behaupten. Aber nun kam gerade das, was sie von solchem Widerspruch hätte abhalten sollen, – ihre eigene Verlegenheit über das Gelesene, dazu, sie vielmehr zur Vertheidigung des Lesers anzutreiben. Denn sie hatte schon vor Reisig's Erscheinen mit übertriebenem Aufheben von seiner Reisebeschreibung gesprochen, und empfand nun den ihm so stark hingeworfenen Tadel mit Partei-Empfindlichkeit als persönliche Kränkung, so daß sie nur allzurasch und lebhaft antwortete:

Ich, lieber Herr Reisig, habe Ihnen allerdings auch einen Vorwurf zu machen. Ich rede nicht von Ihren Mittheilungen, – von dieser kühnen poetischen Auffassung eines uns fremden Naturlebens. Ich kann mir denken, wie inmitten solchen ursprünglichen Daseins ein gesundes Herz selbst wieder urkräftig, ich möchte sagen urwaldig wird, alle Zähmung und Zahmheit einer alternden Kultur abwirft, und wie es seine Empfindung mit der titanischen Natur in Harmonie setzen muß. Ich begreife das, und finde es mit meinem Freunde Hellmuth genial und hinreißend. Aber ich tadle, daß ein so welterfahrener Mann sich in einer ihm fremden deutschen Stadt, gleich den ersten Abend dazu verstehen mochte, dergleichen vorzulesen, ehe er den Geschmack und die Standpunkte des Urtheils der ihm neuen Gesellschaft kannte. Wir verstehen hier zu Land Amerika nur in dem, was es uns an Gut und Geld einbringt.

Sie war noch im besten Athem, auf die ganze Gesellschaft anzüglich zu werden, als jene ältere Frau, eine von Klärchens wenigen Gönnerinnen, freundlich einwendete:

Seien Sie nicht unbillig, liebe Klara, und thun Sie unserer Stadt nicht Unrecht! Wenn wir uns auch nicht für fremde Welttheile, weder für Ost- noch West-Indien berauschen, so wissen wir doch recht gut, was sie für Andere – Berauschendes haben.

Als sie bei diesen Worten das Rumfläschchen wie aus spielender Zerstreuung, vom Tisch auf's Theebrett setzte, drohte ein abermaliges Lachen der Mädchen.

Da trat der Hauswirth rasch mit der Einladung zum Abendbrot vor und brachte die Gesellschaft in's anstoßende Zimmer an einige kleine Tische. Reisig war geschickterweise zwischen zwei ältere Herren eingeschoben, die mit der Miene, ihn durch fleißiges Einschenken zum Besten zu halten, sich selbst gütlich thaten.

Beim Scheiden nahm Reisig die Hausfrau etwas bei Seite. – Meine liebenswürdige Frau Doctor, sagte er, ich gewinne eine immer höhere Meinung von Ihrer reizenden Freundin Klara. Sie versteht mich, sie allein von all' diesen sonst schätzbaren Frauenspersonen. Sie müssen mich mit ihren Verhältnissen – ich will sagen, Tanten bekannt machen. Ich fühle mich zu ihr hingezogen: ich glaube, daß ich sie lieben könnte.

Unterstehen Sie sich, sie zu lieben! drohte Frau Sophie alles Ernstes. Wenn Ihnen meines Mannes Freundschaft, wenn Ihnen unser Haus lieb ist: so geben Sie nur gleich all' dergleichen Possen auf. Sie dürfen mir nicht mehr über die Schwelle kommen, wenn Sie –! Das sage ich Ihnen ein für alle Mal!


5.

Nach so viel Gutem und Bitterem, was Reisig den Abend zu verschlucken bekommen, nahm er sich Zeit auszuschlafen. Das Frühstück kam dann als Vorbote einer neuen unfreiwilligen Lebensordnung. Er vernahm nämlich, als er sich des einfachen Kaffees mit Milchbrot verwunderte und nach der Butter, den Eiern und dergleichen Zuthaten von gestern fragte, daß Herr Doctor Hellmuth für ihn als Patienten eine einfache Beköstigung nach Vorschrift des Arztes auf vier Wochen mit dem Wirthe verabredet habe.

Reisig zeigte eine sehr ungehaltene Miene. So sehr er das Schonende in der vorgeblichen ärztlichen Diät verstand, so sehr verstimmte es ihn dennoch. Verstand und Empfindung, Einsicht und Wille, so selten bei den Menschen in Eintracht, waren bei ihm auch noch durch regelloses Leben mehr als gewöhnlich in Zwiespalt gekommen. Zum Ueberflusse ward zum Frühstück das Manuscript mit einem Billet des Doctor Hellmuth überbracht, worin die Ueberarbeitung desselben auf's Dringendste empfohlen war. »Besorgen Sie nun selbst das Passende,« hieß es darin nach einigen Bemerkungen, »alles, wie wir mündlich verabredet haben. Ich kann mich der Sache aus Mangel an Zeit nicht selbst unterziehen. Aber nur rasch, was einmal nöthig ist. Hoffentlich erhalten wir in ein paar Tagen ein gutes Stück der Erzählung für das Feuilleton. Wir wünschen schnell damit anzufangen, was auch Ihnen nur lieb sein kann.«

Diese Erwartung setzte zum ersten Verdruß der Beschränkung gleich noch den zweiten einer Zumuthung ab. So nannte es Reisig in seinem feigen Aerger. – Er macht mich zu einem Kranken, beschränkt mich in meinen Bedürfnissen und dringt auf angestrengte Arbeit? murrte er. Aber ich werde ihm was –! »In ein paar Tagen?« Aha! ich soll also nicht kommen. Die kleine Frau hat ihn aufgehetzt: ich soll Klara nicht sehen, Sie treten meiner Liebe entgegen. Ha, ich werde sie zu finden wissen, werde mich ihrer bemächtigen. O, ihr sollt mich in meiner Kühnheit und Macht kennen lernen!

An diese grillenhafte Voraussetzung saugte er sich um so fester an, als er sich damit zugleich in seiner Arbeitsscheu – einem Theil seiner sittlichen Zerfahrenheit – bestärken mochte. Nun wollte er den vermeintlichen Gegnern Trotz bieten und ohne Verzug in Klara's Wohnung Besuch machen. Er glaubte darin nicht zu irren, daß sie für ihn schwärme. So gänzlich irrte er auch nicht, nur daß er so wenig als Klara selbst zwischen der Erscheinung und der Voraussetzung seiner Persönlichkeit unterschied. Sie begegnete ihm nach der Vorstellung, die sie sich von seiner Genialität gebildet hatte, und er nahm dies auf Rechnung des Eindrucks, den er auf ihr Herz gemacht habe. Er schlug die Blöße sehr hoch an, die Klara um seinetwillen, wie er glaubte, sich in der Gesellschaft gegeben hatte. Was er eigentlich wollte, machte er sich in der ersten Aufregung nicht gleich klar. Es boten sich ja auch mancherlei Bezüge: eine reizende Mädchengestalt, ein schwärmerisches Herz, Geist und Kenntnisse, ein artiges Vermögen, gute Verbindungen. Ein Mann, der nicht mehr wie ein Jüngling die Persönlichkeit als ein Ganzes erfaßte, sondern der genug gelebt hatte, um sie in ihre Eigenschaften zu zerlegen, konnte von einer Freundin, von einer Gattin, einer Gönnerin, einer Vermittlerin u. s. w. träumen, und der lebhafte Aerger machte den Traum zu einem Fieber, das mit all' diesen Farben spielte.

Um ihn vollends zu verwirren, fügte es sich, daß ihm, wie er in seiner Aufgeregtheit das Billet Hellmuth's hin und her zupfte, jetzt erst die derbe Handschrift auffiel. Das waren ja ganz andere Züge, als jene des ersten Briefes. Er suchte diesen hervor. Auffallend verschieden, – wie eine männliche und eine weibliche Hand! Den Brief hat Klara geschrieben! rief er aus und erinnerte sich des Eindrucks, den derselbe beim Empfang auf ihn gemacht. Und diese Ausdrücke, die ihn damals so zärtlich, ja schwärmerisch bewegt hatten, welche Bedeutung gewannen sie nun! Etwas Mystisches, Verhängnißvolles war nicht zu verkennen. Reisig war entschlossen: er wollte sogleich zu ihr, wollte alles – wollte sein Herz wagen!

Bei diesem Gedanken mußte er unwillkürlich lächeln, wie wenn er einen Lump sagen hörte: ich wage mein Vermögen. Es schien ein Hohnlächeln, das ihm sein heimlichstes Bewußtsein abnöthigte.

Indem ihn zu gleicher Zeit der Hausknecht auf einige Flecke an dem ausgebürsteten Paletot aufmerksam machte, empfand Reisig das Bedürfniß, mit seinen Kleidern wechseln zu können. Er überlegte hin und her, bis ihm das verführerische Morgenbillet auch aus dieser Bedrängniß zu helfen versprach. Ein schadenfroher Gedanke sprang ihm nämlich aus diesen Zeilen auf, wie ein Fuchs aus einem Buschwerke. Er erhob sich, kleidete sich an, steckte das Billet zu sich und schlenderte nach dem Kleidermagazin.

Diesmal kommt der Zugvogel in dem Ihnen bekannten Gefieder, Herr Oberling! sagte er, wobei er mit vornehmer Vertraulichkeit dem sehr höflichen Magazinbesitzer ein paar Finger der Hand reichte. Doctor Hellmuth hält mich seiner Chronik zu lieb länger hier auf, als ich dachte, und ich kann mich auf meine nachkommenden Sachen nicht gedulden. Ich habe den Morgen auf den Freund gewartet, um mit ihm hierher zu gehen; eben schreibt er mir aber –. Sehen Sie einmal, lieber Herr Oberling, was der Mann für eine ehrliche, kräftige Hand schreibt, ganz wie er selbst von Charakter ist!

Bei diesen Worten hielt er dem Handelsmanne das Billet halb umgebogen so hin, daß der Anfang versteckt blieb und Oberling nur die Worte mitlesen konnte:

»Besorgen Sie nun selbst das Passende, wie wir es mündlich verabredet haben. Ich kann mich der Sache nicht selbst unterziehen aus Mangel an Zeit, wie Sie ja selbst wissen. Nur rasch, was nöthig ist. Hoffentlich –«

Das Uebrige betrifft eine Arbeit, die der Freund dringend von mir wünscht, und die ihm seine Auslagen ersetzen wird. Also rasch, was nöthig ist, Herr Oberling!

Unter scherzendem Geplauder wählte er einen modischen Sommeranzug mit gelblich grauem Hut, nebst verschiednen Handschuhen, Halsbinden und seidnen Taschentüchern aus. Hierüber und über die frühern Kleidungsstücke erbat er sich gleich eine auf Hellmuths Namen lautende Rechnung. Er mochte dabei die Absicht haben, den jetzt gemachten Schuldbetrag der Kenntnißnahme Hellmuths länger zu entziehen, da nun Oberling keine Rechnung an denselben schicken würde. Sehr ängstlich war er jedoch dabei nicht; da es ihm, wie all' dergleichen lockern Gesellen, eigentlich nur darauf ankam, des Erwünschten auf die leichteste Art habhaft zu werden.

Wie er sich nun vor seinem Spiegel viel jugendlicher auszunehmen glaubte, suchte er nur noch durch eine halbe Flasche Champagner seine Nerven in eine solide Spannung zu setzen. Er gab jetzt diesem heitern Stimmungsmittel einen entschiednen Vorzug vor dem »Rack,« dem er den gerechten Vorwurf machte, daß er sich unverschämterweise mit seinem verrätherischen Hauch in jede trauliche Unterhaltung mische. So adonisirt wandelte er gegen Mittag, das gelbseidne Sacktuch aus der Brusttasche gehängt, nach Klaras Wohnung.

Klara war wie gewöhnlich zu Doctor Hellmuth gegangen, beide Tanten aber empfingen den Besuchenden mit vieler Artigkeit. Es waren etwas lächerliche Personen, die in einem mittleren Kreise der Gesellschaft durch ihr Geld in einer gewissen Geltung standen, in einer Anerkennung, für die man sich durch Spottnamen zu entschädigen suchte. Man nannte das unzertrennliche Paar »Donner und Blitz« oder auch »Messer und Gabel«; Mademoiselle Tilde hatte eine schneidende Stimme und blitzjähe Art zu reden, wogegen Mademoiselle Trude in tiefem Ton gewöhnlich hinter der Schwester her polterte. Auch hielt sie mit einer gewissen Breite die Personen und Stadtgeschichten, die Tildens scharfe Zunge zu zerlegen liebte, entschuldigend oder beschönigend fest.

Wenn man vom Hasen spricht – rief Fräulein Tilde dem Eintretenden entgegen, schloß aber den übereilten Vergleich mit einigen Knixen. Trude setzte aber langsam hinzu: So springt er aus der nächsten Hecke.

Wenn ich der glückliche Hase bin, erwiderte Reisig, so muß ich gestehen, daß ich mich wirklich nur mit einer Art von Hasenherzhaftigkeit in's Revier zweier so liebenswürdigen Fräulein gewagt habe! Auf Ehre!

Sehr artig! blitzte Tilde, und Trude donnerte nach: Sehr obligeant! Man sieht doch gleich, wer in der großen Welt gelebt hat!

Uebrigens hättest du, theure Schwester, meinen übereilten Vergleich vom Hasen nicht fortsetzen sollen, bemerkte Tilde, denn wir wissen ja wohl, daß Herr von Reisig vielmehr ein scharfer Schütze ist.

Schütze? erwiderte er. O, ich wollte, ich hätte eine gute Freikugel.

Er warf bei diesen Worten eine Kußhand als vermeintlichen Zankapfel zwischen beide alten Fräulein.

Hier liegt die Beute Ihrer hohen Jagd! sagte Tilde und wies auf ein gedrucktes Blatt. Worauf Trude hinzusetzte:

Ja, eine Auerhenne, – beinahe hätte ich Hahn gesagt, – Gräfin Ida, von Ihren Pfeilen getroffen. Ich sage Pfeilen, obgleich ich sehr wohl weiß, daß man nicht mehr mit Pfeilen schießt, nur weil diese poetischer sind, als Bleischrote. Sie begreifen mich!

Reisig hatte das Blatt an sich genommen. Es war der Correcturbogen des am Abend auszugebenden Feuilleton, und enthielt zu seiner Ueberraschung, die von ihm vorgelesenen und die noch schärferen, nicht gelesenen Distichen, die Klärchen von ihm empfangen und nicht wieder zurück, sondern in aller Frühe zur Druckerei gegeben hatte. Noch unangenehmer war ihm eine beigegebene Note, worin auf den genialen Reisenden, der jetzt in der Stadt verweile, als Verfasser gedeutet war. Mit befangenem Lächeln wies er die Autorschaft der Verse von sich und wollte das Blatt einstecken, um die Mittheilung zurückzuhalten, als ihn Donner und Blitz zugleich, wie bei einem Wettereinschlag, versicherten, daß das wirklich corrigirte Blatt bereits in der Druckerei sei. Klara verspreche sich eine erstaunliche Wirkung von den Pillen, da die bekehrte Dame so viel Redens von sich mache und bei ihrer Frömmigkeit gar nicht gleichgültig gegen die Urtheile der Welt sei. Die abgelehnte Autorschaft wurde ihm mit liebenswürdiger Zudringlichkeit zurückgegeben in einige Neuigkeiten gewickelt, die sich auf die Krankenbesuche bei armen protestantischen Handwerkern bezogen, denen die Gräfin vorlese, und von denen sie auch schon einen oder den andern bekehrt und aus seinen Schulden gerissen habe. – Jetzt habe sie einen verlaufenen Schriftsteller in der Arbeit, bemerkte Tilde, der durch seinen Uebertritt ein berühmter Autor zu werden hoffe.

Bei Erwähnung eines »verlaufenen Literaten« war Reisig wie von einer Anzüglichkeit, oder vielleicht von einer Ahnung bänglicher Möglichkeiten betreten und versetzte kleinlaut:

Sie schreibt ja noch selbst und kann's nicht lassen. Ich habe von ihrer bekehrten Feder noch nichts gelesen, hörte aber von einem geistreichen jungen Manne, Herrn Safran, den ich kenne – er heißt mit seinem Familiennamen Firnewalt, – die berühmte Dame habe zwar ihre leichten Roben in Bußkleider und ihre Reiseanzüge in Pilgergewänder umgewendet; diese seien aber doch etwas durchzogen geblieben von den Wohlgerüchen Babylons und von dem alten Patschuli, dessen sie sich vor ihrem Aufbruche nach Jerusalem bedient, und das sich ihr in die Wäsche und den feinen Flanell der Unterkleider gesetzt hatte.

Während Messer und Gabel lachenden Beifall zerlegten, erhob sich Reisig, indem er sagte:

Ich begreife, daß Ihre liebenswürdige Nichte, die sich gestern so warm und würdig gegen solche Bekehrungsversuche aussprach, mit den Versen so sehr zur Publicität geeilt ist; doch hätte ich sie gar gern um einige Vorsicht mit den versalzenen Dingern gebeten, und bedaure darum, sie nicht getroffen zu haben.

Dürfen wir uns vielleicht das Vergnügen zu einer Tasse Thee auf diesen Abend ausbitten? fragte Tilde.

Sehr gütig! versetzte er. Vielleicht können wir dann einen Abendgang –. Ich wünsche die Stadt kennen zu lernen, die Umgebung der Stadt. – Er hoffte nämlich im Freien freiere Hand mit Klara zu haben.

O dann nehmen wir lieber den Thee auf dem nächsten Dörfchen in der Nähe des Wäldchens! rief Trude. Kommen Sie dann bei Zeiten und holen uns ab.

Reisig küßte Beiden die Hand und empfahl sich mit vergnügter Zusage.


6.

So zufrieden mit seinem Besuche, wie Reisig die Wohnung der beiden alten Fräulein verließ, waren diese nicht mit ihm. Klara, die liebe Nichte, hatte ihnen von dem genialen Manne, schon ehe sie ihn noch selber kannte, ein allzu günstiges Bild vorgeschwärmt, als daß seine Erscheinung nicht hinter demselben zurückbleiben sollte. Sie suchten jetzt über Das, was ihnen gleich an ihm aufgefallen war, und hinterher nicht recht gefallen wollte, einander klar zu machen. Gertrude stach da und dort an ihm herum, Mathilde schnitt hier und da prüfend von ihm ab, etwa wie sie einen Braten zu versuchen pflegten, und die Eine glaubte, etwas noch rohes, – die Andere gar schon übergegangenes Fleisch zu finden. Ja, ja, meinte Mathilde, ich habe schon mehr bemerkt, daß dasjenige, was man an Männern gern genial nennt, zuweilen dem starken und scharfen Duft ähnelt, den eine bedächtige Hausfrau am Wildpret für unverwöhnte Zungen mit ein wenig Essig zu mildern weiß.

Aber, liebe Schwester, setzte Gertrude hinzu, solche Männer empfehlen sich nicht wohl zum Heirathen: denn wo soll denn ein zartes, edles Mädchen den Essig hernehmen für solch' ein Genie?

Durch diese Bemerkung kamen beide Schwestern zwar nicht hinter den wahren Grund ihres Mißbehagens an dem fremden Herrn, stimmten aber darin überein, daß er für ihre kostbare Nichte keine annehmliche Partie sei. Sie gaben daher auch den ersten Gedanken auf, eine Gesellschaft mit zur Abendpartie zu nehmen, weil dies den Fremden leicht ermuntern und die Eingeladenen auf voreilige Vermuthungen bringen könnte.

Dennoch gelang es dem absichtvollen Reisig, sich auf dem Spaziergange Klara zu nähern. Er erhob gegen sie im Beisein der Tanten eine leidmüthige Beschwerde darüber, daß sie die Distichen ohne ihn zu befragen, in die Zeitung aufgenommen habe. Eine eigne geheime Bewandtniß mit den Versen könnte ihn als den vorgeblichen Dichter in große Verlegenheit bringen. Er sei wirklich der Verfasser nicht, und der eitle junge Mann, der sich auf diesen Spott und Hohn etwas zu gut thue, Herr Firnewalt, genannt Safran, ein rechter Raufbold, würde es ohne öffentlichen Verdruß und eine beliebte Satisfaction nicht hingehen lassen. – Das Wort Satisfaction verzierte der Schalk mit Geberden des Hauens und Schießens.

Dies setzte Klara in den beabsichtigten Schreck und in die reumüthige Empfindung eines Verschuldens gegen den hochgeschätzten Mann. Sie erbot sich ihre Uebereilung durch eine nachträgliche Bemerkung im nächsten Feuilleton gut zu machen. Sie wollte Herrn Firnewalt als den Verfasser bezeichnen. Reisig aber erklärte dies für noch bedenklicher, da Firnewalt zumal Safran heißen wolle.

Nein, nein, meine verehrte Freundin, sagte er, Sie haben Ihre Andeutung im Blatte mit Ihrer Namens-Chiffer unterzeichnet, und ehe ich zugebe, daß Sie sich den Ruf einer vorlauten, unzuverlässigen Feder zuziehen sollen, haue und schieße ich mich lieber mit aller Welt herum!

Das war edelmüthig, wenigstens nahm es die Freundin dafür und zeigte sich unabsichtlicherweise freundlicher, als sie sonst wohl einem fahrenden Ritter begegnet sein würde.

Im Wirthschaftsgarten fanden sich Bekannte, die sich zu ihnen an den Tisch setzten, und nach dem Thee an dem Spaziergange nach der Waldhöhe Theil nahmen. So fügte es sich gegen der Tanten Absicht, daß Reisig mit Klärchen in vertrauliche Unterhaltung kam und mit ihr voraus oder zur Seite wandelnd, eine unliebe Aufmerksamkeit erregte.

Er stimmte einen vertraulichen Ton an, der Klara beunruhigte. Wenn ihr auch die Zuneigung seiner Gesinnung nicht gerade mißfallen mochte: so sprach er solche doch mit zuviel Zuneigung seines langen Körpers aus, und Klara schien die Empfindung zu haben, man brauche, wenn man auch ein Genie sei, doch nicht zu geniren. Sie wich dieser Zudringlichkeit aus, und um auch die Gegenstände seiner Annäherung möglichst weit zu entfernen, suchte sie ihn durch Fragen nach seinen Reisen – auf den Ocean zu versetzen. Doch hier segelte er nur desto rascher auf sein Ziel los. – Ach! seufzte er, meine Reisen bezeichnen meine Irrfahrten. Das Meer hat noch immer seine Sirenen, seine Grotten der Kalypso, wie zu des Ulysses Zeiten. Aber nicht jeder Irrfahrende wird von einer treuen Penelope erwartet, die einen Vorrath wollener Strümpfe für ihn strickt. Was sucht man am Ende auf allen diesen Fahrten, oder was begnadigt uns nach all' diesen Verirrungen? Nur Liebe und Häuslichkeit! Doch, wohin gewendet fände ich das Du, zu dem ich singen könnte:

»Und das Glück, das fern ich suchte,
Find' ich ewig nur bei Dir!«

Er begleitete dies mit einem trunkenen Blicke und fuhr fort:

Sie wissen, theure, liebe Freundin, von der Krankheit des Scorbuts, die auf langen Seefahrten aus schlechten, verdorbenen Nahrungsmitteln entsteht. Wie sehnt sich der Erkrankte nach einer grünen Insel der Südsee mit der Hoffnung, unter reiner milder Luft von der Frucht des Pisang zu genesen! Sehen Sie hier ein Abbild der Sehnsucht eines von seinen weltfahrenden Verirrungen erkrankten Herzens nach einer reinen, edlen Liebe, an der es Heil und Rettung finden könnte.

So wenig ängstlich ging also Reisig mit den Erinnerungen seiner Vergangenheit um! Klara verstand ihn aber gerade in diesen Anzüglichkeiten auf sich selbst nicht, und wich aus. Indem sie ihn aber zu seiner Beruhigung auf seine schönen Gaben und auf das herrliche Material von Welterlebnissen verwies, die er zum Nutzen und zur Freude unzähliger Leser bearbeiten sollte, brachte sie ihn nur wieder auf dasselbe Kapitel, dem sie ausweichen wollte: er ergoß sich über die Macht und die Weihe, die den Werken des Genies und der Talente gerade nur von edler Liebe ertheilt würden, so beredt, als ob er darüber einen Vortrag zu halten vorbereitet wäre. Darüber zögerte Klara in träumerischem Zuhören die zurückgebliebene Gesellschaft herbei, und Tante »Messer« schnitt mit scharfer Frage die verfängliche Unterhaltung ab, während Tante »Gabel« mit sentimentalen Ausrufen den reizenden Anblick des Gebirges im Abendglanze festhielt.

Auf dem dämmerigen Heimwege gelang es dem wagenden Reisig noch einmal, Klara von der Gesellschaft abzulösen.

Ich kann nicht anders, sagte er, ich muß Ihnen bekennen, wie tief mich Ihr erstes Begegnen ergriffen, Ihre erste Unterhaltung durchdrungen hat. Gewiß ist Ihnen der Eindruck und meine Bewegung nicht unbemerkt geblieben, wenn Sie mein Benehmen auch vielleicht hätten mißverstehen können. Was ich empfunden, konnte nur eine fahrende Dame, wie die besprochene Gräfin Ida, mit dem bezeichnendsten Worte aussprechen, »zitternde Emotionen«.

Erröthend und mit ausweichender Verlegenheit versetzte Klara:

Hat sie wohl diesen Ausdruck aus Babylon oder aus Jerusalem?

Er kann aus Babylon stammen und sich in Jerusalem doch auch anwendbar machen, antwortete er. Mein Leben gilt einer hoffenden Zukunft. Denn wie Sie auch immer von meinen Bekenntnissen denken mögen, meine liebenswürdige Freundin: ich fühle mich schon durch Ihre Bekanntschaft beglückt, und träume mit Ihnen zu leben, indem ich für Ihr Blatt arbeite. Ja, Ihr Feuilleton ist für mich ein Blatt vom Baum der Erkenntniß geworden. Und glauben Sie mir! Die Liebe, die man hegt, – ist sie auch ohne Erwiederung nicht befriedigend, – gewährt doch ein stilles und erhabenes Glück. Ich habe dies heut' – zum ersten Mal so recht empfunden und fühlte mich gedrungen, es in einigen, freilich sehr ohnmächtigen Versen auszudrücken. Lesen Sie, theures Mädchen.

Er bot ihr ein aus der Brusttasche gezogenes Papier verstohlen dar.

Nein, nein! flüsterte sie erschrocken und verlegen. Keine Correspondenz! –

Reisig flehte und drang in sie. Correspondenz! sagte er; es ist ja nur ein Gedicht.

Sind es denn auch wirklich nur Verse? fragte sie.

Auf Ehre! Nur Verse! betheuerte er. Eine Reimspielerei, wenn Sie wollen, ernst gemeint, – aber leicht hinzunehmen.

Und wie Mädchen oft wunderlich oder sophistisch empfinden, war es der befangenen Klara, als ob eine Liebeserklärung in Versen eben keine Liebeserklärung wäre, als ob Empfindungen sich in poetischem Gewande nur zu einem artigen Besuch einfänden, ohne sich im Hause einzumiethen.

Sie nahm das Zettelchen an, und las zu Hause, auf ihr Zimmer geeilt, folgende Zeilen:

»Der Liebende ist nirgend ohne Stern,
Wo süß er weile, wo er zärtlich eile.
Der Liebsten Bild, es leuchtet nah und fern:
Der Liebende ist nirgend ohne Stern.
Sein Morgenstern, am Tag die Wolkensäule,
Sein Abendstern, und Nachts – wie wacht er gern!
Der Liebende ist nirgend ohne Stern,
Wo süß er weile, wo er selig eile!«

Etwas Verdächtiges war dennoch um diese Verse, was jedoch Klara den Zeilen einer frischen Hand nicht anmerken konnte. Niedergeschrieben waren sie nämlich heute nicht, sondern nur abgeschrieben. Die erste Niederschrift lag noch auf Reisig's Tische, als er vergnügt auf seinem Zimmer ankam, – ein ziemlich vergilbtes Papier, von dem er unmittelbar vor dem Abendgang Abschrift genommen hatte, und auf dessen Rand er jetzt den Namen Klara zu einigen anderen aufschrieb, deren Inhaberinnen, wie es schien, schon früher Abschriften empfangen hatten, – Melanie, Emma, Luise, Marianne und Hannchen. Vergnügt die Hände reibend und hin und wieder wandelnd, declamirte er folgende Betrachtung:

Von Melanie bis Hannchen
Gehört' ich noch gar Manchen.

Allerdings bin ich dabei ziemlich herunter gekommen, dem Geist und der Garderobe jener Namen nach. Gieb mir ein Zeichen, Schicksal: wird's mit Klara wieder etwas aufwärts gehen, oder – meinethalben auch Ruhe werden? Ruhe mit einer sichern Rente, wenn meine poetischen Irrfahrten sich am häuslichen Heerde niederlassen? Das hat doch ein Gedicht, gut oder schlecht gerathen, vor dem besten Louisd'or voraus, daß man es – mehrmal ausgeben kann. Ha! ha!


7.

Es war ohne Zweifel mehr eine Beschäftigung der Phantasie, als eine Empfindsamkeit des Herzens, was den Abend über Klara so lebhaft einnahm, daß sie gegen ihre Natur sehr still und in sich gekehrt blieb. Dies entging aber den Tanten so wenig, als ihnen die Zuthätigkeit des Fremden gegen die Nichte unbemerkt geblieben war. Nun aber gehörte es zu den Schwächen der alten Fräulein, daß sie in ihrem Urtheile, wie in ihrem Geschmack, leicht zweifelhaft wurden, sobald sie sich mit der verwöhnten Schwestertochter im Widerspruche befanden. Anfangs befriedigt durch den Stolz auf die geistreiche Nichte, wenn sie in höher gelegnen Dingen sich ihr unterordneten, waren sie doch oft auch in Sachen ihrer bessern Einsicht von dem lebhaften Mädchen, das Blitz und Donner der Rede, Messer und Gabel des Urtheils in sich vereinigte, überflügelt und zum Schweigen gebracht worden. Bedachten sie dabei noch, wie leicht das verzogne Kind durch entschiednen Widerspruch nicht bloß in Sachen der Neigung, sondern oft nur eines empfindlichen Eigensinns zu beharrlichem Trotze getrieben wurde: so wagten sich beide mit ihren Ausstellungen an dem genialen Schriftsteller nur sehr kleinlaut hervor. Zu ihrer Verwunderung widersprach Klara nicht. Zweifelhaft über den ihr räthselhaften, zweideutigen Mann, und in ihrem Urtheil und Benehmen uneinig mit sich selbst, war sie in einer Stimmung, in der die Erinnerungen der Tanten, so schonend hingesprochen, nur das bängliche Nachdenken vermehrten, in das sie versunken saß.

Bei diesem Stillschweigen beruhigten sich die Tanten, bis eine derselben die übertriebene Besorgniß faßte, Doctor Hellmuth möchte den Fremden, dessen er sich so lebhaft angenommen, in der Zuneigung für die Nichte begünstigen, und Klaras Herz unter denselben Einfluß ziehen, den er auf ihren Geist und Geschmack ausübte. Sie entschloß sich daher, der Frau Hellmuth einen Besuch zu machen: wobei sie ihre und der Schwester Abreise nach Mannheim zum Vorwande einer Abschiedsvisite nahm. Dort lag nämlich eine reiche Base schwer erkrankt, und im Begriff ein Testament zu machen. Sie hätten zu ihrer Beruhigung die Nichte gern mitgenommen. Klärchen aber hatte Gründe zu bleiben, die stärker waren als die Tanten. Nun hätte es sich nicht erwünschter fügen können, als daß Frau Sophie selbst, ehe die gute Tante noch ihr heimliches Anliegen wie beiläufig vorbrachte, auf Reisig zu reden kam, und ihre ganze Unzufriedenheit mit dem hergelaufnen Genie laut werden ließ. Sie behielt selbst die Aeußerung desselben bezüglich seiner Absicht auf Klara nicht zurück; versicherte aber, daß ihr Mann weit entfernt sei, ihn bei Klärchen zu begünstigen, und verabredete zugleich, wie sie in Abwesenheit der Tanten über der Freundin wachen und eine so ungehörige Bekanntschaft abwehren wolle.

Diese Zusage beruhigte die Tanten vollständig. Sie beeilten ihre Abreise, um weitere Besuche des Fremden in ihrer Wohnung abzuschneiden. – Ein Andres ist aber ein guter Vorsatz und ein Andres die rechte Ausführung. Indem Frau Sophie ihr Versprechen für etwas gar zu Leichtes nahm, griff sie es nicht geschickt und vorsichtig genug an. Sie fiel beim ersten Besuche Klärchens sehr heftig und wegwerfend über Reisig her, und schreckte dadurch die empfindliche Freundin zurück, die mit der Absicht gekommen war, ihr ein Bekenntniß zu machen, dessen sie sich nun beschämt fühlte. Hätte Frau Sophie dies abgewartet, so wäre es ihr wahrscheinlich ein heitrer Spaß gewesen, den widerwärtigen Mann aus der Aprikose seiner Huldigung als bittern Kern heraus zu schälen, und der lieben Freundin nur das Schmeichelhafte davon zu beliebigem Geschmack zu überlassen. Nun kam es anders. Zuerst belächelte Klara die wie zufällig aussehenden Aeußerungen der Freundin, zumal der Tadel unter den Inbegriff des Aeußerlichen fiel, was das schwärmerische Mädchen ohnehin die alltäglichen Gesichtspunkte der Frau Sophie nannte. Als aber die Ausfälle sich wiederholten und die Absicht verriethen, einer allenfallsigen Liebesneigung entgegen zu arbeiten, nahm sie es nicht sowohl verdrossen, als im tiefsten gekränkt auf. Sie empfand etwas Beleidigendes nicht bloß in der Voraussetzung einer solchen Zuneigung, sondern auch in der Art, wie sich eine Freundin nicht mit offener Herzlichkeit, sondern mit verbissenem Eifer dagegen ausließ.

Seitdem war Clara zurückhaltender gegen Frau Sophie. Aus einer Art von Trotz ließ sie sich die Briefchen und Verse gefallen, die ihr wiederholt aus dem Hotel Salm gebracht wurden. Und so befestigte die eifernde Frau nur mehr und mehr in's Unklare und Leidenschaftliche hin ein Interesse, das sie zu entfernen bemüht war. Sie brachte nebenher auch ihren Mann gegen Reisig auf, indem sie bei jeder Gelegenheit lachend und schäkernd an den Vorschuß und an die Auslagen erinnerte, die dieser Bruder Liederlich eben nicht abzuverdienen eile. Denn wirklich wartete der Doctor von Tag zu Tage vergebens auf umgearbeitetes Manuscript und brach endlich in den lebhaftesten Unwillen aus. Bei seinen heftigen Aeußerungen ward Klara noch empfindlicher, weil sie nun auch ihren Freund und eben so rückhaltend auf der Seite seiner Frau erblickte, gegen die sie einmal Partei zu Gunsten Reisig's genommen hatte. Da sie aber dem unwilligen Redacteur in der Sache selbst nicht Unrecht geben konnte, so entschloß sie sich, an Reisig zu schreiben und ihn an die Arbeit zu erinnern. Dies schien ihr zugleich die schicklichste Weise, ihm einmal auf seine Billete zu antworten, um was er so sehr flehte. Sie dachte seiner dadurch los zu werden. War ein solcher Schritt in ihrer Lage an sich schon bedenklich: so fielen bei der ganz eignen Klemme ihrer Empfindungen die Zeilen ihrer Feder auch noch etwas verzwickt aus. Man hätte glauben sollen, Reisig's kleine Gedichte, aus einer wärmeren Zeit seiner Gefühle wahrscheinlich auch wiederholt ausgegeben, hätten noch einigen Ansteckungsstoff von Schwärmerei auf Klara's Phantasie verbreitet. Denn die Verse schmeichelten ihr, ohne daß die Persönlichkeit des Versemachers ihr Herz rührte. Dieser Widerspruch ihrer Empfindung, den sich das eigensinnige Mädchen nicht klar machte, trieb es dazu, da ihr Gefühl eben nichts Wahres, Empfundenes dictirte, geistreich und witzig zu schreiben, auf Gerathewohl, daß es auch gesucht ausfalle. – Hätte sie nur bedacht, wie leicht der Scherz eines Mädchens eine Blöße giebt und den Leichtsinn der Männer ermuthigt!

»Sie erinnern mich wiederholt an eine Antwort,« hieß es u. A. in ihrem Billet, – um eine bloße Quittung, wie Sie es nennen. Unmöglich kann ich aber die glänzenden Perlen Ihrer Poesie als für mich angenommen quittiren, sondern stelle lieber mit diesen Zeilen einen Schein darüber aus, daß solche blos bei mir hinterlegt sind, was mein seliger Vater einen Depositionsschein nannte. Was ich zu Ihrem mir mitgetheilten Traum sage? Sie haben von meiner Hand geträumt, die Sie eine schöne Hand zu nennen so artig sind. Nun ja, Sie kennen diese Hand aus dem Briefe, den ich in Doctor Hellmuth's Namen an Sie geschrieben, und deutlich wenigstens, wenn auch nicht eigentlich hübsch, ist meine Handschrift. Sie aber schreiben eine geniale Hand; und haben Sie im Traum Ihre Hand in die meinige gelegt, so kann das nichts anders bedeuten, als daß ich recht bald Ihr umgearbeitetes Manuscript, das heißt ja Handschriftliches empfangen werde. Und das betrifft eben die Hauptsache, warum ich Ihnen schreibe. Sie haben mir jüngst so viel von den Verschuldungen Ihrer Vergangenheit vorgesprochen, daß ich seitdem die Besorgniß gefaßt habe, Sie würden uns am Ende auch Ihre Arbeit schuldig bleiben. Ernstlich, geehrter Herr, machen Sie sich dran! Doctor Hellmuth fängt gemach an etwas wild über Ihr Zögern zu werden. Sorgen Sie, daß wir wenigstens einen Anfang als Lockvogel für's Feuilleton erhalten. Ich begleite die Tanten auf ihrem Besuche nach Mannheim bis Darmstadt zu einer Freundin, kehre aber Donnerstag zurück, und rechne darauf, Freitag Vormittag das erste Stück Ihres Reiseberichts zu empfangen. Machen Sie, daß Ihr Traum sich erfülle und Sie freie Hand bekommen, wodurch die meinige aufhört frei, d. h. leer zu sein.

Auf Wiedersehen!

Klara.«

Lächelnd und lüstern saugte, so zu sagen, Reisig an dem Brief. Ei, rief er aus, die liebenswürdige Feuilletonistin ist verschlagener und pfiffiger als ich gedacht hätte. Versteckt sich hinter Wortspiele. Ein rechtes Evatöchterchen! Gerade so machte es unsere Urmutter im Paradiese, als sie vom Baum der Erkenntniß genascht hatte, mit dem Feigenblatt, wie Klärchen mit dem Feuilleton.

Sein befriedigtes Lächeln, seine schalkhafte Miene verriethen, wie wenig ihm selbst vom Baume der Erkenntniß zu gut gekommen war; denn es fiel ihm nicht ein, daß er eigentlich von doppelten Vorschüssen lebte, von Hellmuth's Gelde und von Klärchen's vorgefaßter Meinung. Nur ein so verdorbner Sinn konnte sich so roher Weise täuschen und auf solche Selbsttäuschung übermüthige Entschlüsse nehmen. Denn daß er eine verwegne Absicht gefaßt hatte, ließ sich aus dem Anlaufe vermuthen, den er zur Bearbeitung seines Manuscripts nahm. Freilich machte ihm gerade der Anfang seiner Mittheilungen, woran wenig zu ändern war, auch leichtere Arbeit. Dennoch war er der Mann nicht, der ohne sich zu beleben, bei einer Arbeit aushalten konnte. Es war ihm gelungen, den Wirth, einen jovialen Witzbold, über die Grenze der mit Hellmuth verabredeten Verpflegung hinaus zu locken, und so hatte er auch eine Flasche Champagner aufgebracht, die wie eine Tagesleuchte vor ihm stand. »Bouzy mousseux«, sagte er beim ersten Einschenken, ist gleichsam die Wolkensäule, die meiner durch die Wüste ziehenden Feder vorleuchtet; wofür ich denn die Feuersäule bei Nacht spare, denn – eine gute Lampe zum Schreiben fehlt mir ja noch. –

In dieser schelmisch vergnügten Stimmung wurde er von Hellmuth überrascht. Dieser, von den Bemerkungen seiner Frau, sowie durch das zurückhaltende Benehmen Klara's verdrießlich gestimmt, kam nach der verzögerten Arbeit zu fragen. Er dachte nicht zu überraschen, aber noch weniger überrascht zu werden. – Nun? das muß ich gestehen: bei Champagner? rief er mit gelindem Ingrimm.

Er ist echt, Doctor! erwiderte Reisig, indem er in der bestaubten Unordnung des Zimmers einen Stuhl von den darauf geworfenen Kleidungsstücken für den Besuch räumte. Rechtschaffener Bouzy! ich werde Ihnen gleich ein Glas –

Ich danke sehr, ein für allemal! erklärte Hellmuth, ärgerlich über den Unverschämten. Ihre Zunge hat einen sehr unbefangenen Geschmack über die Echtheit des Weins; die meinige würde nur herausschmecken, daß er nicht bezahlt ist.

Ich kann Beides versichern! lachte der Uebermüthige. Aber ich hoffe, beides soll Ihrem Feuilleton zu gut kommen. Ich dachte Sie heut' zu besuchen, um Ihnen zu sagen, daß die erste Lieferung meines Manuscripts zum Abdrucke fertig liegt. Ich bin nun rechtschaffen daran und Sie sollen Ihre Freude haben.

Wie er die umgeschriebenen Blätter aus dem Wust hervorwühlte, kam Klara's Brief dem Freunde zu Gesicht. Reisig raffte ihn schnell unter die Schreibereien; doch hatte der Doctor die Handschrift schnell erkannt, schöpfte aus Reisig's Hast Mißtrauen gegen den Inhalt und stand in lebhaftem Unmuth auf. – Geben Sie die Bogen her! sagte er. Es ist auch Zeit, daß Sie sich dran halten. Ich will den Anfang gleich einrücken lassen und rechne auf tägliche Fortsetzung. Ich werde F. f. – »Fortsetzung folgt« meinen Lesern versprechen, und wenn Sie mich stecken lassen, – Herr, dann werde ich aus dem ff mit Ihnen reden.

Er hob dabei eine drohende Faust, die er aber mit rascher Verbesserung in eine offene Hand zum Empfange der Papiere verwandelte.

Entschuldigen Sie, Verehrtester! versetzte Reisig gelassen. Ich habe das Manuscript Fräulein Amelung zuzustellen. Sie kommt morgen Abend zurück und will es übermorgen früh aus meiner Hand empfangen. Aus meiner Hand –.

Bei diesen Worten lächelte er bedeutsam.

Fräulein Amelung? brauste Hellmuth auf, so sehr seiner sonstigen Artigkeit vergessend, daß er hinzusetzte: Gegen wen haben Sie Verbindlichkeiten?

Verbindlichkeiten gegen Sie, antwortete Reisig, das ist klar; dabei aber gestatten Sie mir wohl den heimlichen Wunsch, mich gegen Klara verbindlich zu erweisen.

Worauf Hellmuth verblüfft und nachdenklich ausrief:

So? Gegen Klara – verbindlich? Nun ja doch – hier muß allerdings einiges klar werden.

Hiermit eilte er fort. Dem Wirthe, dem er im Hause begegnete, erklärte er, daß er für nichts gut gesagt habe, als für die zu Reisig's Verpflegung verabredete »Wasser und Weide«, sonst aber weder für Bouzu, noch für irgend einen Nutzen.

Erst jetzt, wie er nur noch mit halber Ladung seines Zornes über die Straße schritt, besann er sich der von Reisig weggeräumten Kleidungsstücke, die ja offenbar ganz andere waren, als jene von ihm selbst ausgenommen. Er wendete sich nach der Straße zu Herrn Oberling's Magazin, wo er denn die weitere Auswahl und den Betrag der ausgestellten Rechnung erfuhr. – Und der Herr hat Ihnen die Rechnung nicht zugestellt? fragte der Magazinhalter verwundert.

Nein! rief Hellmuth. Aber nun ich geantwortet, lassen Sie mich fragen, wie Sie ohne mein Vorwissen, ohne mein Beisein auf mich abgeben konnten?

Ich habe auf Ihr Billet abgegeben, erklärte Oberling, auf Ihr Schriftliches, daß Sie dem Herrn die Auswahl überließen und keine Zeit hätten, selber –

Was? Ein solches Billet von meiner Hand? fragte Hellmuth.

Von Ihrer mir bekannten Hand, wie anders?

Ein Falsum, ein Betrug! schrie der Freund. Also mit einem Schriftfälscher, einem Händeverdreher haben wir's zu thun. Nun aber soll ihn doch ein Himmelhagelwetter! Auch noch Falsarius? Lump, Säufer, Faullenzer und Falsarius? Das Maaß ist voll, und ich bring' ihn, so wahr mir –! Hören Sie, lieber Oberling! Mit dem Billet ist es nicht richtig. Ein reines Falsum, – oder vielmehr ein schmutziges! Aber schweigen Sie noch von der Sache, damit ich ungestört Mittel und Wege ergreife. Sie geben nur nichts weiter ab und überlassen mir das Uebrige. Nicht wahr, Sie sind ganz stille?

Er hatte bei diesen Worten mit den zusammengerollten Handschuhen den grauen Filzhut glatt gestrichen und eilte nun, mit der Rechten in der Luft fechtend, nach Hause.


8.

Klara kam wirklich am vorausbestimmten Abend zurück. Aus ihrem sorgfältigen Anzug andern Morgens ließ sich vermuthen, daß sie Besuch erwarte oder zu machen vorhabe, und wenn dem Erwarteten nicht selten das Unerwartete sich vordrängt, so folgte es ihm diesmal wenigstens an der Ferse.

Frau Hellmuth, die ihren Mann jetzt gegen den Genialen ganz auf ihrer Seite hatte, und ihn um Klärchens willen sehr besorgt vor einem solchen täuschenden »Fälscher« wußte, hatte sich entschlossen, der Freundin entgegen zu kommen und herzlichen Ernstes mit ihr zu reden. Die auffallende Zurückhaltung des schwärmerischen Mädchens bestärkte sie in ihrer Vermuthung, daß es in Gefahr sei, genialen Täuschungen zu verfallen. Wie wäre Klärchen sonst nach mehrtägiger Abwesenheit zurückgekehrt, ohne noch am spätesten Abend zu ihnen zu kommen! Und jetzt erschien es auch am Morgen noch nicht. So ging sie denn gegen Mittag nach Klara's Wohnung.

Wie erstaunte sie aber, Reisig ganz behaglich bei einem guten Frühstück auf dem Sopha zu finden! Klara übergab eben dem Ausläufer der Druckerei das Manuscript desselben, mit der Weisung an den Setzer, es gleich für das Feuilleton in Arbeit zu nehmen. – Du kömmst mir zuvor, liebe Sophie, sagte sie, die Freundin umarmend. Du siehst mich angezogen zu Euch zu kommen. Ich habe nur das Manuscript erwartet.

Das Manuscript aus der Hand des Ueberbringers! fiel Reisig mit keckem Ton ein.

Klara schwieg erschrocken mit abwehrender Bewegung. Dies und ein gewisses gespanntes Wesen der Freundin brachte Frau Sophien auf die Vermuthung, zwischen dem Paar müsse in der That schon eine ernstere Verhandlung vorgefallen sein. Was sie hierin aber gleich wieder irre machte, war, daß sie dem frühstückenden Reisig mehr als der Freundin unwillkommen schien. Sie hätte sich im Traum nicht einfallen lassen, was sie freilich auch nicht ahnen konnte, daß der verwegne Mensch, durch Klara's Wortspiel mit Hand und Handschrift bethört, und durch das ihm vorgesetzte Frühstück ermuntert, sich eben um ihre Neigung und gleich auch um ihre Hand beworben hatte. Das überraschte und in seiner Verwirrung unbeholfene Mädchen war daher wirklich froh, die nach den jüngsten Wortwechseln nicht erwartete Freundin im rechten Augenblick eintreten zu sehen, und hoffte Zeit und einen Anhalt zu schonender Ablehnung zu gewinnen. Aber der Zwischenfall, der ihr so willkommen war, reizte Reisig zum verwegensten Schritt. Er erhob sich, als Klara sich eben um Sophiens Hut und Mantille bemühte, mit den jähen Worten:

Vor allem, verehrteste Frau Doctor, muß ich Ihnen unsere geistreiche und liebenswürdige Klara als meine Braut vorstellen.

Herr Reisig –! rief Klara im nächsten Augenblick mit entrüstetem Ton aus.

Und nun trat mit tiefer Stille einer jener im geselligen Leben nicht ganz seltenen Momente ein, die in befangenen oder verworrenen Herzen auf unberechenbare, oft unbegreifliche Weise das Allerverkehrteste anrichten können. Jeder Unbefangene hätte Klärchens Ausruf und bleiches Verstummen für Unwillen über eine Ungebühr genommen. Frau Sophie aber, mit dem uns bekannten Vorsatz und Vorurtheil gekommen, glaubte darin nur die Mißbilligung zu hören, daß Reisig etwas verrathen habe, was gerade für sie noch ein Geheimniß bleiben sollte. Hätte sie mit der ihr sonst eigenen Schalkheit über Reisig's Erklärung ungläubig gelacht, oder die junge Freundin nur fragend angesehen, als ob sie von ihr die Vorstellung des Bräutigams erwarte: so würde Klärchen sich ihr angeschlossen und entdeckt, den unverschämten Menschen aber durch Spießruthen gejagt haben. Statt dessen raffte sie in voller Entrüstung die Mantille wieder an sich, knüpfte die Bänder des Hutes, die sie sonst mit einer Stecknadel befestigte, in eine ungeduldige Schleife fest, und überstürzte sich in Ton und Wort bis zum Beleidigen.

O machen Sie doch immerhin ein Geheimniß aus Ihrer Verlobung, Fräulein Amelung! sagte sie spitz und spöttisch. Sie haben alle Ursache mit solchem Glück geheim zu thun, und ich wenigstens will gern von dieser unglaublichen Klugheit nichts erfahren. Wie ich das Frühstück stehen sah, merkte ich leider gleich, daß es bei irgend Jemand nicht ganz richtig sein müßte. Mit aller Schwärmerei für das – Zerrißne kann doch ein feines Mädchen, allein im Hause, einen so daher – gekommenen Mann nicht zum Frühstück empfangen, wenn er nicht ihr Bräutigam ist. Und selbst dann –. Meinethalben! Und doch möchte ich als ehemalige Freundin fragen: Kennen Sie denn diesen – Menschen eigentlich? Was man kennen nennt?

Dies war freilich für ein so reizbares, eigensinniges und stolzes Mädchenherz zuviel, zumal es sich eben vertraulich hinzugeben gestimmt gewesen war, und ihm zum Ueberfluß auch noch der Mißgriff mit dem Frühstück fühlbar wurde. Schon der leidenschaftliche Ton, die barsche Miene, ja das bloße Sie der Duzfreundin hätte den schlagfertigen Trotz Klara's herausgefordert. Doch war dieser Trotz mit einer innern Leidmüthigkeit gemischt, wie die Thränen verriethen, die ihr in die Augen traten. So läßt es sich begreifen, daß ihre eben noch gegen Reisig gekehrte Entrüstung sich rasch gegen die heftige Frau wendete, wodurch Reisig gegen ihre Absicht in die Stellung ihres Verbündeten kam.

Ja, Frau Doctor, ich kenne ihn, erklärte sie, ich kenne Herrn Reisig genug, um ihm, wenn es sein müßte, – – mein ganzes Vertrauen zu schenken, unbekümmert um jene Engherzigen, die schon wegen einiger Thaler Auslagen, die sie für ihn gemacht haben, voll Angst und Sorgen sind.

Auf dies lebhafte Wort, das für Reisig wie ein beschworner Schatz plötzlich erschien, stürzte er vor Klara nieder, faßte und küßte ihre Hand, indem er – wie ja bekanntlich weingeistige Männer leicht zu weinen pflegen – in Thränen seinen Dank und seine liebende Ergebung stammelte.

Eine neue Verwirrung für Klara! Wohin sie sich wendete, verwickelte sie sich tiefer. Indeß fuhr Frau Hellmuth fort:

Sie brauchen meinen Mann nicht der Engherzigkeit zu beschuldigen, Fräulein Amelung. Ich dächte, er hätte sich hülfreich und fördernd genug erwiesen, gegen einen Unbekannten, dem er –. Aber Einer der auf nachgemachte Handschriften seines Wohlthäters Schulden auf dessen Rechnung macht – überlegen Sie einmal, wie weit das führt! Uebrigens kann ich ja nun meinen Karl vollständig beruhigen. Er hat diesen Morgen an den Herrn Präsidenten Reisig geschrieben, ihm seines Sohnes Lage, Geld- und Gewissensverlegenheit geschildert, und ihn gebeten, mit seinem väterlichen Einfluß dazwischen zu treten. Hätte er ahnen können, daß Sie aus Edelmuth die geniale Zukunft dieses Mannes mit Ihrer Mitgift decken wollen –!

Was ist das mit der falschen Handschrift, Herr Reisig? fragte Klara, froh auf einen Ausweg aus ihrer Klemme zu kommen.

Was es ist, theure Klara? lächelte er verlegen. Eine anmuthige Erfindung weiblichen Ingrimms, denke ich mir. Ich wüßte auf Ehre nicht, was gemeint wäre! – Worauf Frau Sophie kalt aber nachdrücklich erwiderte:

Fragen Sie nur bei Herrn Oberling nach, auf welches Billet hin Ihr anmuthiger Bräutigam diesen eleganten Sommeranzug aus dem Magazin empfangen hat. Versteht sich auf Rechnung meines Mannes.

Hierüber entstand ein Wortwechsel mit Reisig, worin sich Klara mehrmal Sophien näherte, ohne von der heftigen kleinen Frau verstanden zu werden. Diese zog sich vielmehr zurück, indem sie Alles ihrem Manne anheimstellte, der die saubere Betrügerei ohnehin nicht könne beruhen lassen.

Das Billet ist ja nun auch das Einzige noch, worauf es ankommt, setzte sie hinzu. Alles Andere gibt sich ja nun von selbst, da wir es mit einem so klugen Manne zu thun haben, der seine Gläubiger zur rechten Zeit durch eine Heirath zu beruhigen weiß. Und Sie, Fräulein, werden es gewiß meinem Manne nicht nachtragen, wenn er Sie durch ein paar neue Anzüge Ihres Bräutigams in Ihrem Geschmack am – Zerrißnen ein wenig gestört haben sollte.

So verließ sie lachend das Zimmer, und Reisig selbst war im Stillen verwundert, daß die heitre kleine Frau so heftig und bitter werden konnte. – Es war vielleicht die alte kleine Eifersucht, die jetzt aus dem kleinen Topfe herauskochte. –


9.

In der bebenden Aufregung, in dem trüben Gemisch von Entrüstung und Beschämung, von Stolz und Verlegenheit, Unwillen und Wehmuth und was alles in Klara's Herzen zusammen floß, in dieser Verlorenheit ihres Bewußtseins, ja Selbstgefühls kam ihr Reisig's Ungeschicklichkeit zu Hülfe. Indem er sich nämlich doch von so viel Vorwürfen betroffen fühlte, und Klaras in sich versunkenes Leid, das er nicht verstand, für Ueberlegung und Verstimmung gegen ihn ansah, entschloß er sich rasch, die schwankende Eroberung mit derselben Kühnheit, mit der er sie eben gemacht hatte, nun auch festzuhalten. Er umfaßte sie mit zärtlichem Ungestüm wie mit einem Anlauf zu Betheuerungen oder zu einer Rechtfertigung seines Benehmens. Ehe er aber ein Wort vorbringen konnte, hatte sie sich mit rascher Entrüstung seinen Armen entwunden, und entfloh in das anstoßende Zimmer mit dem unwilligen Ausrufe:

Gehen Sie fort! Sie sind ein –. Sie machen falsche Worte und falsche Handschriften! Ich will nichts von Ihnen wissen! – –

Nun war sie freilich allein, wie sie denn mit bebenden Pulsen im Armsessel der Tanten lag: aber weit entfernt ruhiger, wie nach einer abgethanen Sache zu sein, war sie vielmehr der Angst ungestümer Empfindungen und Betrachtungen überlassen. Eine Freundin hatte sich von ihr abgewendet, ein Mann sich ihr als Verlobter aufgedrängt im Augenblicke, wo sie den tiefsten Abscheu gegen ihn gefaßt hatte und eines weiblichen Beistandes am bedürftigsten war. Leider konnte sie keinen Augenblick zweifeln, man werde in der Stadt nichts leichter und lieber glauben, als die schadenfrohe Neuigkeit ihrer Verlobung, die vielleicht eben jetzt von der beleidigten Freundin in allen Gassen ihres Heimweges und von Reisig selbst, den sie eben weggehen hörte, im Hotel Salm verbreitet würde. Natürlich war in solcher Aufregung des Gemüths ihre Phantasie geschäftiger, als ihr Verstand; dennoch fand sie auch bei diesem keinen Trost. Denn abgesehen davon, daß sie bei ihren Bekannten wenig in Gunst, aber desto mehr im Geschmack des Absonderlichen stand, – wie schwärmerisch hatte sie nicht den »genialen Reisenden« angekündigt, wie unbedachtsam dem Mißfälligen am ersten Abende, Allen zum Trotze, das Wort geredet! Nachher war sie mit ihm in Gesellschaft der Tanten auf vertraulichem Fuße gesehen worden; der Ausläufer im Hotel Salm hatte ihr – wie manches Billet zugetragen, und heut Abend erschien im Feuilleton der Zeitung der Anfang seiner Reisebeschreibung mit einer empfehlenden Anmerkung von ihr; da dann alle Leser ein gedrucktes Blatt, wie ein Visitenkärtchen, in Händen hatten, soviel bedeutend als: Obscurus Reisig und Klara Amelung, Verlobte.

Allerdings konnte sie die in's Stadtgespräch kommende Verlobung geradezu als eine Unwahrheit verwerfen: aber, blieb denn solches Verwerfen so unbedenklich für ihren Ruf? Wie gering man auch in der Stadt von dem Fremden denken mochte: für so verkehrt oder verwegen konnte man den von guter Herkunft gekannten und nun als Schriftsteller und weit Gereisten sich empfehlenden Mann nicht halten, daß er ein Mädchen, wie Klara, einer Frau, wie des Doctors Hellmuth, als seine Verlobte vorstellen sollte, ohne daß allerwenigstens etwas voraus gegangen wäre, was für verlobende Hingebung genommen werden durfte, oder noch – schlimmer – was einem weitläufigen Manne die Kühnheit geben konnte, ein unbescholtenes Mädchen für seine Braut zu erklären. Sie fing nun selber an vor der Prüderie des Publikums zu beben, die sie noch am ersten Leseabende heraus gefordert hatte. Die innere Spannung machte das vereinsamte Mädchen nun plötzlich so klar und klug, die Verschlingung all' dieser Fäden zu durchblicken, als es früher unbedacht gewesen war, sie anzuknüpfen. Bei Betrachtung des unlösbaren Knotens, zu dem sie sich nun verwickelt hatten, brach endlich Klara in einen Strom von Thränen aus, womit sie zum erstenmal in ihrem Leben mit aller Ungeduld eines verwöhnten, schwer sich ergebenden Herzens das Gefühl gänzlicher Verlassenheit bis auf die Hefen jugendlicher Verzweiflung zu verkosten bekam.

Die Thränen stillten sich nach und nach, und es zeigte sich, daß auch eine solche Ueberschwemmung nicht ohne zurückgelaßne Fruchtbarkeit des sittlichen Bodens abläuft. Ebenfalls zum ersten Mal gewann Klara die anschauliche Ueberzeugung, daß sie sich nicht mit Vorsicht betragen habe, und daß sie nun den Menschen desto behutsamer entgegen kommen müsse. Und indem sie sich den Tag über ruhig und gesammelt hielt, bildeten sich auch bestimmtere Vorsätze. Vor allem machte sie sich auf neubegierige und hämische Beglückwünschungen gefaßt. Eingestehen konnte und durfte sie die vorausgesetzte Verlobung nicht; aber sie wollte sie auch nicht in jähe Abrede stellen, oder gar das Mißverständniß erklären. Sie setzte sich vor, allen mit einem rätselhaften Lächeln zu begegnen, und Jedem zu überlassen, wie er es sich auslegen möge. War es nicht bezeichnend genug für ihre Empfindung, daß sie ohne Ueberlegung nur schalkhafte Glückwünsche erwartete? So kränkend es ihr war, für unbesonnen oder bethört zu gelten, wenn das vorausgesetzte Verhältniß mit dem Fremden für eben so leichtfertig abgebrochen als eingegangen erschiene: so hätte sie doch lieber dies gewollt, als durch Geltendmachung der verwegenen Lüge des Mannes sich unberechenbaren Voraussetzungen bloß stellen.

War es diese Besorgniß, oder war sie überhaupt noch nicht einig mit sich selbst: genug, sie konnte sich auch am folgenden Tage noch nicht entschließen auszugehen. Desto öfter regte sich der ungeduldige Wunsch, Reisig möchte verdrossen und abgereist, er möchte sein, wo der Pfeffer wächst. Je schneller und stiller dies geschehen könnte, desto lieber und besser wär' es für sie. Aber, hielten ihn nicht Fußblöcke von Schulden fest? Und so standen noch mehr, als die Empfindlichkeit der Freundin, die Forderungen des Freundes an Reisig ihrer Hoffnung entgegen. Wie gern hätte sie den Doctor Hellmuth aus ihrem Vermögen befriedigt, und den Verlust als eine Buße, als ein Opfer zur Aussöhnung mit sich selbst angesehen! Allein, wie hätte sie nur einen Vorschlag zu dergleichen an die Tanten, ihre Vormünderinnen, stellen mögen! Bangte ihr doch schon genug davor, daß dieselben das ärgerliche Mißverständniß erführen, ehe es schicklich beseitigt wäre. Aber auf welche Weise sollte es denn nur beseitigt werden? Da war guter Rath theuer. Wie gern hätte sie jetzt den Beistand ihres Freundes Hellmuth gehabt! Dieser Wunsch ward so lebhaft, daß er sie aufregte, beunruhigte. Sie meinte jeden Augenblick, er müsse kommen. Ja, sie blieb den dritten Tag nur darum zu Hause, damit er sie ja nicht verfehle, wenn er käme, um etwa wegen der Fortsetzung des Reiseberichts mit ihr zu sprechen. Sie hatte erwogen, ob sie ihm nicht entgegen kommen sollte. Es wurde ihr schwer es zu thun; aber je länger es dauerte, daß er nicht kam, desto schwerer wurde es ihr. Und zuletzt setzte sich ihr Trotz dagegen, indem sie sich überredete, er lasse sich von seiner leidenschaftlichen Frau abhalten. Sie war weit davon entfernt zu ahnen, daß es eine Art freundschaftlicher Eifersucht war, aus der er sich zu einem Besuche der Freundin nicht entschließen konnte. Weil sie mit einem so wichtigen Lebensschritte ohne seinen Rath so leicht fertig geworden war, wie er glaubte, war er ganz in der Stimmung, sie eben so pathetisch, wie er Reisig genial genannt hatte, für leichtfertig zu erklären.

Seine Verdrießlichkeit verbesserte sich nicht, als die Antwort des alten Präsidenten auf jenen Brief einlief, dessen Frau Sophie in ihrer Heftigkeit gedacht hatte. Der Vater des Genialen wies jede Anforderung zurück; sein Sohn sei längst mündig, habe seinen Vermögensantheil zu seinen Reisen verbraucht, dabei jedoch eine Richtung genommen, die sein angerufenes väterliches Herz nicht veranlassen könnte, darüber hinauszugehen und etwas Außerordentliches zu thun.

Dennoch fügte es sich, daß gerade der Aerger, der den Redacteur der Chronik von einem Besuch abhielt, der harrenden Freundin den nächsten Anstoß zu handeln gab. In seiner Heftigkeit kündigte er nämlich im Hotel Salm die auf seine Rechnung genommene Verköstigung Reisigs auf, und forderte diesem in einem etwas barschen Billete das Manuscript der Reise ab, um es selbst zu bearbeiten. In der That schien ihm auch nichts anderes übrig zu bleiben, wenn er einigermaßen zu seinen verschiedenen Auslagen kommen wollte.


10.

Der Anstoß zu handeln kam von einem Schreiben Reisig's, das Klara durch die Stadtpost am dritten Abende ihrer Einsamkeit erhielt. Sie las:

»Darf es denn ein reumüthiger Sünder endlich wagen, mit zerknirschten Gedanken zum Heil'genbilde seiner Seele zu wallfahrten? O wüßten Sie, angebetete Klara, welche Tage des Fastens und der Buße ich verlebt!«

Bei diesen Worten rief unsere Leserin ärgerlich aus:

Man sollte glauben, er wäre katholisch geworden, und träte der Gräfin Ida auf ihr salonmäßiges Klostergewand!

Sie wußte freilich nicht, daß ihm der Gastwirth auf Hellmuth's Billet nichts Weingeisthaltiges mehr verabfolgt und die Verköstigung sehr geschmälert hatte; so daß allerdings eine Fastenzeit für ihn eingetreten war. – Uebrigens war es ganz in seinem bösartigen Witz, daß er seinem körperlichen Entbehren eine geistige Zweideutigkeit unterlegte. Klara las weiter:

»Tage des Fastens – – verlebt habe. Meine zitterigen Schriftzüge mögen Ihnen die Emotionen eines Herzens beichten, das im überwallenden Gefühle seines Glückes ein vorlauter Verräther unseres Liebesgeheimnisses wurde. Wie hätte ich ahnen können, daß Sie mit Ihrer innigsten Freundin auf so rückhaltendem Fuße ständen, wie ich zu meinem Schreck aus den Eruptionen des vulkanischen Herzens derselben erkannte! Nun ist der Aschenregen ihres Ausbruchs mir zur Buße auf's Haupt gefallen, Und ich bekenne mich als Sünder, gegen Sie das Wort »Braut« gebraucht zu haben, seraphisches Mädchen! Dies gemeine Wort mag am Platze sein, wo man mit Zuziehung von Vettern und Basen – als Hopfen und Malz – ein Ehewesen braut, ein Familien-Cerevis, das heißt einen Haustrank der Ceres, der brotbackenden Göttin. Ihr zürnendes Gesicht war daher auch das richtige Kühlschiff für meine Liebesbrauerei. Indem ich aber reumüthig an meine Brust schlage, finde ich darin unerschüttert das selige Verlöbniß unserer Herzen. Ja, Verlobte sind wir, ewige Klara!«

»Ich würde vielleicht doch die Trappistentage meiner schweigenden Buße verlängert haben, wäre mir nicht eine Anforderung des Doctor Hellmuth zugekommen, ihm zur eignen Bearbeitung mein Manuscript auszuhändigen. Es ist wahr, ich bin mit der Fortsetzung meiner Umarbeitung im Rückstande geblieben. Kann denn aber ein verzweifeltes Herz Gedanken sammeln, ein fastendes Talent sie ausbilden oder auch nur, selbst in Reue zerschmolzen, eine Stahlfeder führen? Kaum eine Gänsefeder wäre da weich genug; wie Sie das ja selbst von Ihrer eignen Feder wissen, verehrte Klara!«

Sie hielt mißverstehend einen Augenblick betroffen inne; dann fuhr sie erröthend fort:

»Ja, Sie sollen als Schriftstellerin entscheiden! Ich kann meine transatlantische Errungenschaft so wenig von mir schleudern, als irgend einem Gläubiger meine Seele verkaufen. Ich bin beschämt es auszusprechen, was der engherzige Redacteur damit will. In dieser Bedrängniß überschicke ich Ihnen hierbei mein Manuscript. Segnen Sie es durch Versöhnung! dann gehe ich mit frischem Muth an die Arbeit. Wenn Sie Ihrem frühern Urtheil über meine Reiseskizzen so treu geblieben sind, wie ich meinen allerersten Ahnungen Ihres edeln Geistes: so begleiten Sie das Manuscript vielleicht mit ein paar Zeilen, die genügen werden, meine Existenz zu retten.«

Die letzten Worte verstand Klara nicht. Sie erschrak einen Augenblick, ob er sich etwa um's Leben zu bringen dächte. Aber es war wieder eine seiner zweideutigen Schelmereien; denn gewiß hatte er nur seine Existenz im Salm vor Augen, indem er in Klara's Zeilen einen Anhalt gegen seinen Gastwirth zu finden hoffte. Das Billet konnte ja so gefaßt sein, daß es sich dem Wirth mit vertraulichem Lächeln zeigen ließe. Auf solche Hintergedanken durfte man wenigstens aus der Nachschrift schließen, die sich auf eine ähnliche Gaunerei bezog. Sie lautete:

»Hierbei erhalten Sie zu meiner Rechtfertigung das angeblich verfälschte Billet des Doctors, das ich dem Kleiderhändler Oberling blos als eine klare, markige Schriftprobe des Mannes, von dem wir eben sprachen, vorgezeigt habe. Kann ich dafür, wenn der Händler die Zeilen in seinem Sinn genommen hat? Die Welt athmet einmal in Mißverständnissen.« – – –

So mußte sich denn Klara überzeugen, daß Reisig sein Bemühen um sie noch nicht aufgegeben hatte. Wie sehr sie aber von den Zeilen verstimmt war, mit denen der Unverschämte sich auf's Neue an sie klammerte: so erleichterte sich doch ihr Unmuth dadurch, daß ein Theil desselben auf Hellmuth fiel. Dessen Absicht auf das Manuscript erschien ihr doch als eine unwürdige Aengstlichkeit um seine Vorschüsse. Der edle Freund sank in ihren Augen unter die höheren Gesichtspunkte, in denen er sonst so einig mit ihr gewesen war. – Er fällt auf den Boden seiner Frau! rief sie aus. Ja ja, das ist das Loos des Edeln auf der Erde! Das Eheband haftet bei schwachen, wenn gleich edeln Naturen mit einem an die Erde geniedeten Ende fest und zerrt an dem im Aether schwebenden. Geht es dann durch Mißgeschick, Verdruß u. dgl. im wechselnden Lebenswetter ein, so daß es kürzer wird: so zieht es die Seele vollends herab. Wie selten sind die Ehen, in denen der Mensch über dem Dache seiner Hütte schweben bliebe? Valet dann! Ich sage der Ehe Valet!

»Fahre wohl, und wenn auf immer, nun auf immer fahre wohl!«

Diesem auf Byron'schen Worten schwebenden Vorsatze hinkte doch ein verstohlener Wunsch nach. Sie überlegte, wie Reisig von den Fußklammern seiner Schulden befreit werden möchte, damit er dann durch seinen wasserstoffgasigen Gehalt oder auf kluge Weise angefeuert als richtiger Luftballon auf- und davon fliegen könnte. Diese große Frage des Abends beschäftigte die Einsiedlerin noch im Traume und beim Aufstehen am andern Morgen fiel ihr die Antwort aus der Nachthaube auf das bewegte Halstuch. Alle Scheu auszugehen war verschwunden; sie kleidete sich an, probirte vor dem Spiegel die Mienen womit sie ernste oder neckische Glückwünsche zu ihrer vermeintlichen Verlobung entgegen nehmen wollte und verließ das Haus.

Zufällig begegnete sie mehreren ihrer genauesten Bekannten und fand sich heimlich zu verwundern, daß auch keine derselben sie mit gefürchtetem Glückwunsch, aber auch nicht mit befangener Zurückhaltung empfing. Sehr vergnügt darüber, erreichte sie die Wohnung des Buchhändlers Hunold, Inhabers der alten Firma Preßkopf & Krebs.

Der unternehmende Mann empfing die Feuilletonistin als Schriftstellerin sehr artig und als ältlicher Witwer das hübsche Mädchen sehr galant. Seine Miene trübte sich auch nicht beim Anblicke des dicken beschriebenen Heftes, das Klärchen aus ihrer geflochtenen Tasche hervor zog. Sie machte ihn mit dem Inhalte bekannt, von dem er aus dem Feuilletonblatte der Chronik bereits den Anfang zur Probe kannte, und rückte dann mit dem Vorschlage heraus, das Ganze als Buch erscheinen zu lassen.

Herr Hunold schmunzelte, was mehr der liebenswürdigen Vermittlerin, als dem beliebten Manuscript gelten mochte, und nach einigem Hin- und Herreden verstand er sich dazu, einen Band amerikanischer Mittheilungen von Doctor Reisig und ein Honorar von 300 Thalern zu riskiren. Dieser Betrag sollte bei Ablieferung des überarbeiteten Manuscriptes, das flüchtig auf 25 Druckbogen abgezählt wurde, ausbezahlt werden. – Klara rieth dem Verleger, auf wöchentlichen Ablieferungen des Umgearbeiteten zu bestehen und in keinem Falle Vorschüsse zu geben. Sie wünschte alsbaldige Ausfertigung des Vertrags, den sie sich zur Besorgung des Weiteren erbat.

Die Art und Weise, wie Herr Hunold sich nach Reisig's Verhältnissen erkundigte, verrieth, daß auch er von einer Brautschaft noch nichts gehört hatte. Wie freute sie sich heimlich! Noch nie hatte ihr etwas Unerklärliches so viel Vergnügen gewährt, und so kam sie doppelt zufrieden mit ihrem Ausgang und ihrem Geschäft nach Haus.

Sobald sie im Laufe des Nachmittags den doppelt ausgefertigten Vertrag nebst dem Manuscript erhalten hatte, schickte sie beides an Reisig mit einem inzwischen schon sehr vorsichtig abgefaßten Billet, worin sie ihren Schritt mit seinem offenbaren Interesse und mit seinem eignen Wunsche das Manuscript gesegnet zurück zu erhalten rechtfertigte, und ihn ersuchte, bei Zurückgabe des unterzeichneten Vertrags-Exemplars die persönliche Bekanntschaft des Verlegers nicht zu versäumen, an den er sich fortan ausschließend zu halten habe, und der bereits die Vorkehrungen zum Druck anordne. Schrift und Format sollten gleich dem jetzt so gesuchten Buche des sogenannten Doctor Safran genommen werden. Am Schlusse deutete sie daraufhin, daß nunmehr seine Existenz gesichert und es ihm gegeben sei, gegen Hellmuth Trumph auszuspielen, und sobald er wolle, der fatalen Stadt den Rücken zu weisen, wo ihm so viel Verdruß begegne.

Sie belächelte selbst diese gute Wendung, durch die sie ihn an seine Verbindlichkeit gegen ihren auf die untergeordneten Gesichtspunkte gefallenen Freund erinnerte und zugleich außer Zweifel darüber setzte, daß sie bei seiner baldigen Abreise nicht in Verzweiflung gerathen werde. Ueberhaupt sprach sich in dem Billet nur eine mitleidige Theilnahme an seiner Lage, im übrigen aber eine heitre Gleichgiltigkeit gegen seine Person und das fein versteckte Shakspear'sche Wort aus: Ich wünsche mir Ihre entferntere Bekanntschaft.

Dies Schreiben traf den Empfänger in der ärgerlichsten Stimmung, so daß er es mit recht boshaften Empfindungen zum zweitenmal las, und die versteckte Abfertigung heraus kaute. Sein Verdruß rührte von einem kurzen Wortwechsel mit dem Wirthe her, der ihm einiges Bittere zu verkosten gegeben hatte. Von einem Gangfenster aus hatte nämlich unser Genialer frischen Rheinsalm in die Küche bringen sehen, und so ein lebhaftes Gelüst darnach empfunden, daß er, der ihm jetzt auferlegten Fastenordnung ganz vergessend, sich eine Portion zu Abend bestellte. Der Wirth aber, ein gewöhnlich jovialer, unter Umständen aber wenig zarter Witzbold, brachte hierauf selber, seines Spottes zu genießen, ein vergriffenes Exemplar der Psalmen David's, indem er mit übertreibender Artigkeit sagte:

Sie haben befohlen, mein Herr, – hier! Das ist die Speisekarte für einen Mann wie Sie! Suchen Sie sich selbst einen Salm aus, Sie haben eine große Wahl!

Reisig hatte geantwortet, der Wirth erwidert, und ein Wortwechsel war entstanden, in welchem der wenig geschätzte Gast so manches zu verschlucken bekommen hatte, was weniger schmackhaft und noch schwerer zu verdauen war, als rosenrother Lachs. Zugleich hatte ihm der Wirth die Wohnung aufgekündigt, und gesagt: Verlassen Sie auch Hotel Salm: es geht jetzt in Einem hin, da sie doch einmal von Salm abstrahiren!

Wie nun aber der doppelt gekränkte Mann etwas ruhiger wurde, entdeckte er in der zarteren Kränkung eine Abhülfe gegen die gröbere; indem Klara's Brief 300 Thaler in Aussicht stellte, mit denen er dem Wirth auftrumpfen konnte.

Nicht sobald hatte er also am andern Morgen bei einem Besuche des Verlegers die Sache in Ordnung gebracht, als er auch seinen Gastwirth zu sich bescheiden und ihn sein Vertrags-Exemplar lesen ließ. – Ah! sehr erfreut, versetzte der Wirth, daß Sie nun selbst einen Lachsfang angelegt haben. Herr Hunold ist ein ganz respektabler Mann. Sie haben da eine recht angenehme Bekanntschaft gemacht. Vielleicht, wenn Ihre Artikel ziehen, gibt Ihnen später Herr Hunold seine von ihrem Manne geschiedene Tochter zur Frau und bringt so eine zweite, verbesserte Auflage derselben in's Publikum. Sie war ihm doch der unangenehmste Krebs, der ihm schon vor Ostern zurückkam? Indeß erlauben Sie mir dies durch Unterschrift und Siegel geldeswerthe Papier in Verwahrung zu nehmen.

Wozu das? fiel Reisig ein; worauf der schalkhafte Wirth versetzte:

Ich vermuthe, Sie werden Ihre löbliche Enthaltsamkeit jetzt etwas unterbrechen. Wenn Sie mir daher erlauben, während Sie eine die Gedanken sehr in Anspruch nehmende Arbeit vor sich haben, Ihr Ökonomisches selbst in die Hand zu nehmen: so werde ich mit Rücksicht auf Doctor Hellmuth's Guthaben das Gleichgewicht Ihrer späteren Einnahme mit Ihrem laufenden Conto ein bischen überwachen.

Also wollen Sie mich doch behalten und nicht hinauswerfen? fragte Reisig mit ärgerlichem Lächeln.

Thut mir sehr leid, wenn meine Drohung Sie –! versetzte der Wirth. Die Rede war ja von nichts weiterem, als von einem uralten gastwirthschaftlichen Gebrauche. Sie sind Poet – allen Respect! Wissen aber doch, daß sogar ein Prophet – Jonas bekanntlich – aus dem Hotel zum Wallfisch geworfen wurde, wahrscheinlich auch nur, weil er – die angemessene Leichtigkeit der Complexion dazu hatte. Ein Salm aber hat begreiflicherweise noch weniger Raum als ein Wallfisch! Entschuldigen Sie! Ich hätte also nur noch zu fragen, ob Sie noch etwas zu befehlen –?

Eine Flasche von Ihrem Bouzy mousseux und eine Portion Salm! war die nachdruckvolle Antwort.

Zu Befehl! verneigte sich der Wirth. Bouzy mousseux et du Salmon! Vielleicht kommen Sie an Table d'Hote? Wir haben jungen Hirsch, reicht aber nicht auf die Zimmer. Sie wissen, daß seit 1848 das Schwarz- und Rothwild mit Gold bezahlt wird – von wegen der deutschen Farben. Sie begreifen nun auch, warum die deutsche Fahne vom Bundespalais abgenommen worden ist: die hohen Gesandtschaften thun Schwarz, Roth, Gold in der Küche anerkennen. Die höchsten Tätigkeiten der deutschen Staaten haben sich nun wieder mehr verinnerlicht!

Der lachend abgehende Wirth hatte in der That mit Reisig etwas gemein, woran dieser gar nicht dachte: er pflegte nämlich, wie unser Genialer seine kleinen Gedichte, so seine Witze und Wortspiele wiederholt anzubringen. Die Table d'Hote-Gäste kannten diesen Witz bereits als Ragout, als Farce und als Nachtisch.


11.

Schlimme Versuchung zu so viel Gutem, als der Wirth jetzt darbieten konnte! War der Verlagscontract schon durch seine Zusage verlockend: so ward er es noch mehr durch Verpfändung an den Wirth. Denn in fremde Hand gelegt, konnte das Papier in seinem Werth und Vermögen nicht anschaulicher empfunden werden, als durch eine Beschwörung alles Dessen, was aus der Hand kam, in die es niedergelegt war. Bouzy mousseux hieß die Beschwörungsformel.

Nun gehörte Reisig zu jener Sorte von Genialen, die sich einem Mißgeschick leicht unterwerfen, in gutem Glück aber sich gern – wälzen, – dort zu unmuthig, hier zu übermüthig für Arbeit und Anstrengung. Die ersten acht Tage gingen vorüber, ohne daß er eine Feder angesetzt hätte. Der Verleger, mit seinen Vorkehrungen zum raschen Druck fertig, schickte wegen der ersten Manuscriptlieferung, und bekam natürlich nichts. Er wendete sich an Fräulein Amelung und ward mit dem herzlichen Bedauern beschieden, daß sie ja nichts zu thun vermöge, sondern nur zur Anwendung irgend einer vorläufigen Presse auf den Autor selbst rathen könne.

Es lag in diesem Rath ein kleiner Muthwille, wie man ihn leicht empfindet, wenn man bei heiterer Gemüthsart einer niederdrückenden Sorge plötzlich losgeworden ist. Klara freute sich doppelt lebhaft, daß von ihrer Brautschaft wirklich kein Gerücht ausgekommen sei, und sie den Genialen von sich gewälzt habe.

Mit dieser Zufriedenheit empfing sie die Tanten, als dieselben von Mannheim zurückkamen. Dort hatten sie den Tod der Verwandten abgewartet, und nun gab die frohe Erbschaft viel zu besprechen und die anzulegende Trauer manches zu thun. Als die Tanten einmal nach Reisig fragten, sprach sie sehr wegwerfend von ihm, und suchte sich auch der flüchtigsten Erinnerung an ihn zu entschlagen, bis eines regnerischen Morgens der Verleger bei ihr erschien und ihr zu nicht geringem Schreck eröffnete, daß der unzuverlässige Autor sich gegen alle Mahnung mit der Grausamkeit seiner Geliebten entschuldige: sie setze ihn in Verzweiflung, so daß er arbeitsunfähig sei; es herrsche die wunderbarste Sympathie zwischen seinem Talent und ihrem Herzen, so daß sein Versprechen von ihrer Zusage gänzlich abhange.

Hinter dieser Mittheilung her verzog sich des Verlegers Gesicht zu einem Fragezeichen seiner Verlegenheit und Neubegierde.

Klara gerieth außer sich. – O der entsetzliche Mensch! rief sie zwischen Zorn und Thränen. Muß denn sein Wahnsinn, seine Gottlosigkeit gerade auf mich fallen, die ihm nur Wohlwollen, ja Wohlthaten erwiesen hat!

Indem ihr aber die Nähe der Tanten einfiel, mußte sie ihren heftigen Unmuth zu mäßigen suchen; ja sie wußte sich im Augenblicke nicht anders zu helfen, als daß sie die Hand des Buchhändlers faßte und mit gedämpfter Stimme um Rath und Beistand gegen diesen Menschen bat, der sie mit seinen wahnsinnigen Empfindungen oder vielleicht auch listigen Absichten verfolge.

Glücklicherweise war Hunold ein wohldenkender Mann, der das Verhältniß unbefangen durchblickte und sich darin gefiel, gegen Damen, zumal gegen junge und liebenswürdige, dienstbeflissen und ritterlich zu erscheinen. Er suchte nun sogleich die Verzweifelnde zu beruhigen, indem er ihr noch einige Geduld mit dem unordentlichen Menschen und eine kluge Behandlung desselben hinsichtlich ihrer Besorgniß zusagte.

Klara war heimlich beschämt von der Gefälligkeit eines Mannes, auf den sie den fatalen Reisig abgeschüttelt zu haben sich eben noch gefreut hatte. Wieviel sie sich aber auch von ihm versprechen mochte, blieb ihr doch ängstliche Erwartung genug übrig, und sie verlebte unheimliche Tage. Ihre Bekannten fanden aber nur, daß Mienen und Augen der glücklichen Erbin sehr gut zu der angelegten Trauer standen. Wer konnte aber wissen, wie lang das glückliche Quid pro Quo ungelöst bleiben werde?

Man weiß, daß manche Arzneien, am Tage verschluckt und verschmeckt, hinter allem Genossenen her, bei nüchternem Erwachen des andern Morgens, noch einmal zum Nachschmack kommen. So ging's unserm Genialen mit jenem Briefe Klara's, sobald er hinter seinen durchschwelgten Stunden her an die Arbeit erinnert wurde. Er las jetzt aus den mit blauer Dinte geschriebenen Zeilen nur die dunkelblaue Ferne heraus, in die sich die Geliebte oder vielmehr sein Project zurückzog. Er empfand darüber einen Ingrimm, der sich zu rächen suchte. Und wer weiß, auf welchen tückischen Streich er verfallen wäre, hätte nicht der resolute Verleger seine Gedanken durchkreuzt. Er erschien unerwartet auf Reisig's Zimmer, nahm artig Platz und ließ sich sehr klar und bündig über ihr eingegangenes Geschäft, ihre beiderseitigen Verbindlichkeiten und über den Verlust aus, der ihm durch Reisig's Unordnung und Unpünktlichkeit drohe. Dann von seinem Stuhl aufgestanden und den Hut aufgesetzt, bestimmte er nächsten Freitag als den letzten Termin zur ersten Ablieferung fertigen Manuscriptes.

Und wenn Sie diesen Freitag versäumen, und so wie Sie irgend einen spätern Freitag ohne Wochenlieferung vorüber lassen, so ziehe ich den Sonnabend den Vertrag zurück, und lasse Sie im Einverständniß mit Ihrem Hauswirthe, mit Doctor Hellmuth und mit Herrn Oberling in's Schuldgefängniß bringen. Wollen Sie aber lieber im Irrenhause Quartier nehmen: so dürfen Sie nur mit einer einzigen Silbe noch Ihrer Liebe in Bezug auf Fräulein Amelung, Ihre Wohltäterin, gegen irgend eine Seele gedenken. Haben Sie mich verstanden? So wählen Sie!

Hiermit verließ Hunold die Stube, ohne noch Reisig's Seufzen zu hören. Der Teufel hole diese Buchdrucker, die so – pressant sind.

Früher würde dieser Schreckschuß vielleicht kaum durch Reisig's dickes Fell gedrungen sein; jetzt aber, bei dem ganz erschlafften Zustande des Mannes warf er all dessen Verstand und Muth zu Boden. Indem er sich aber auch zur einzigen Abwehr der angedrohten Gefahr – zur Arbeit, durchaus unfähig fühlte: so lag er jammernd auf der Prelle vor Angst und Pein. Er brütete über Abhülfsgedanken, bis der Freitag da war. Denn da auf des Verlegers Rücksprache mit dem Wirthe dieser ihn abermals auf die alte Diät gesetzt hatte, so wollte sein Nachdenken nicht zu Kräften und kein guter Einfall zu Stande kommen. Nie hatte er einer Erquickung, einer Belebung so bedurft, wie jetzt. Endlich besann er sich einer angebrochenen Flasche Araks, die er über den Bouzy mousseux vernachlässigt hatte, was er nun angelegentlichst gut zu machen suchte. Es half denn auch, so daß ein ziemlich schwindliger Gedanke auf die Beine kam. Er wollte sich nämlich für krank ausgeben, wofür man ihn auch ganz gut annehmen konnte, und sich von dem Arzt ein Zeugniß seiner Arbeitsunfähigkeit gegen den pressirenden Verleger ausstellen lassen. Gut! Dann fiel ihm aber ein, daß er doch auch wieder gesund werden müsse, und da lag denn auch wieder die Noth der Arbeit vor ihm. – Wer nur den Verleger auf den Gedanken der Umarbeitung gebracht hatte, wodurch gerade dem Buche so viel Pikantes im Zeitgeschmack entzogen wurde! Dies war seine ärgerliche Frage!

Wer anders als Klara!

Ja, Niemand als sie hatte ihn in solche Bedrängniß gestürmt; sie auch gegen seine Liebe sich mit dem Buchhändler verschworen.

Man denke sich seine Stimmung und wie er zwischen äußerlichem Zwang und innerm Verdruß an der Flasche sog und wieder sog, bis ihm ein Gedanke kam, ein echter Sohn des Rausches und der Unverschämtheit. – Er wollte Klara's Hand frei geben unter der Bedingung, daß sie diese Hand an seine Arbeit lege und die Umarbeitung besorge. – Als letzten Beweis ihrer Wechselliebe wollte er ihren Bund – sollte sie seine Verbindlichkeit lösen.

Er setzte sich zu einem Billet an Klara, worin er sie mit absichtlich kurzen und unabsichtlich zitterigen Zeilen an sein – Sterbelager einlud, um das Vermächtniß all seiner Schriften in Empfang zu nehmen: hierauf legte er sich zu Bett, und ließ durch den Ausläufer, der ihm das Billet besorgte, den Arzt Lukas zu sich bitten. Ihn kannte er aus jener ersten Abendgesellschaft, und hatte von ihm den Eindruck, daß er ein Schalk sei, der es mit einem schelmischen Zeugniß nicht so schwer nehmen werde.

Klara's Schreck und Verlegenheit bei dieser unerwarteten Zumuthung läßt sich denken. Eine Zumuthung war es, doch leider! keine solche, die sie so mir nichts, dir nichts unter die Abschnitzel ihres Nähkorbes wegzuwerfen gewagt hätte. Es mischte sich eine Furcht und eine Hoffnung abwechselnd in die Gedanken, die zwischen ihrem Kopf und ihrem Herzen, unruhig genug, nach einem Entschlusse suchten. Steckte eine Finte des fatalen Mannes, wie er solche schon gegen den Buchhändler als Ausflucht gebraucht hatte, hinter dieser Einladung, oder war er wirklich schwer erkrankt? Bei seiner Lebensweise war Letzteres gar nicht unwahrscheinlich. War's aber eine Finte, – so schien es immer noch besser, ihm mit Würde entgegenzutreten, als ihn zu einer Tücke zu reizen. War aber sein Leben wirklich in Gefahr: so konnte man ihn nicht hülflos lassen; auch lag alles daran, sich des Manuskripts zu versichern. Klärchen setzte einen trotzigen Stolz hinein, ihrem engherzig gewordenen Freunde zu seinen Auslagen zu verhelfen. –

Aber, wie konnte sie anständiger Weise in den Gasthof zu einem Fremden auf's Zimmer gehen?

Da fiel ihr nach langem Ueberlegen die Gastwirthin ein, eine junge sehr manierliche Frau, die in der wöchentlichen Singakademie ihre freundliche Notennachbarin war. Bei ihr konnte sie sich wegen des Kranken befragen, von ihr begleitet – vielleicht das Manuscript abholen. Sie hatte noch keinen festen Entschluß gefaßt, als sie die Stimmen der Tanten hörte. Das war ein neuer Antrieb zu gehen. Klärchen fürchtete sich gerade vor den Tanten nicht, aber – sie schämte sich des Vorgefallenen vor ihnen, denen es noch ein Geheimniß war. Klara ging. Sie wollte eigentlich nur nach dem Hotel gehen, ob ihr unterwegs etwa ein besserer Einfall oder ein guter Anlaß begegne.

Es ging eben sehr bewegt um das Thor des Hotels zu. Eine hohe Herrschaft war angekommen, Kellner und Mägde rannten hin und her. Wie beschäftigt mochte die Wirthin sein, und wie durfte man sie jetzt in ein Anliegen ziehen, das so umständlich zu entdecken, so mysteriös auszuführen war? Schon wollte Klärchen, – ob froh oder betrübt – wieder nach Hause wandeln, als eben Doctor Lukas um die Ecke des Hauses kam, und ihr freundlich grüßend die Hand reichte. – Aha! sagte er mit feinem Lächeln, wir gehen wohl eines Wegs, mein verehrtes Fräulein? Amor und Hygiäa schlagen sich zusammen, möcht' ich sagen, um stärker zu wirken, oder – um wohlfeiler zu reisen. Ist er denn ernstlich so krank, – Ihr –.

Ein dreimaliger Ausbruch von vielleicht gemachtem Niesen erstickte das Wort Bräutigam oder Verlobter. Klara fühlte es aber heraus, und kam in so brennende Verlegenheit, daß sie ihm in der Verwirrung laut und rasch das veraltete »Prosit« zugrüßte.

Sie war ihm dabei in der zerstreuten Unentschlossenheit in's Haus und bis auf den Treppenabsatz gefolgt, wo denn der Arzt einen Augenblick stehen bleibend ausrief:

Ha, Prosit! das liebe Wort hab' ich lange nicht gehört. Wissen Sie, daß es ein gutes Omen, eine glückliche Losung ist? Die Alten liebten auf der Schwelle ein eingelegtes »Salve!« So empfängt uns hier auf der Treppe zu einem theuern Kranken das Ihnen so herausgeplatzte, sage eingegebene Wort Prosit, als gute Vorbedeutung. Ein gar liebes Wort das, und das ihm verwandte »Proficiat«, – beide aus der alten guten Zeit des Familienlebens. Ich sage Ihnen, mein liebes Kind, – setzte er mit bezüglichem Nachdruck hinzu – jedes Lebens- und Familienunternehmen, das mit unbefangenem Herzen, mit vernünftiger Ueberlegung und mit dem Segensworte Prosit angefangen wird, muß gelingen. Ich habe bloß nicht geheirathet, weil mir im rechten Augenblick flüchtiger Neigungen das herrliche Wort Prosit nicht eingefallen ist.

Hiermit hatte Lukas die ganz verwirrte Klara bis auf den Gang des Seitenbaus geführt, wo ihm die Stubennummer bezeichnet war, als sie mit plötzlichem Entschluß stehen blieb, und unter Herzklopfen erklärte, sie könne ihm nicht folgen. – Herr Reisig wollte mir nur sein Manuscript auf sichre Weise zustellen, flüsterte sie ängstlich. Es liegt mir alles daran, um des Verlegers willen die Schrift zu erhalten. Thun Sie mir den Gefallen und sagen Sie dem Kranken, ich warte hier einen Augenblick, er möge mir das Ganze herausschicken. Sie sind gewiß so gut und –.

Ah, warum wollen Sie nicht mit hinein kommen, erwiderte er, unter meinem Schutze –? Kennen Sie nicht das Sprüchwort: Praesente medico nil nocet? Das heißt nicht etwa: Präsente schaden dem Arzte nichts, sondern »in Beisein des Arztes ist nichts schädlich.« Kommen Sie nur!

Nein, nein! Es geht nicht, und ich kann nicht! erklärte sie fest; worauf der Arzt erwiderte:

Gut! dann treten Sie wenigstens hier an die Thüre! Ich lasse ein wenig offen, und Sie können hören, wie's ihm geht. Es wird wohl nicht viel zu sagen haben.

Das einzige Fenster des Gemachs war verhangen, und die Stube schon ziemlich dunkel, daher der Arzt mittelst eines Zündhölzchens einen Lichtstumpf ansteckte, indem er sagte:

Nun können wir Ihren Zustand beleuchten, Herr Patient. Wo fehlt's denn?

Reisig lag zu Bett, das Gesicht gegen die Wand gekehrt.

Was klagen Sie? fragte Lukas wiederholt, und als er vergebens auf Antwort wartete, rief er ungeduldig:

So reden Sie denn! Und drehen Sie sich doch in des Teufels Namen herum, wenn ich frage. Was haben Sie denn?

Er faßte dabei das Handgelenk zum Puls, zog den Kranken mehr hervor, und bückte sich, dessen Zunge zu sehen, fuhr aber schnell mit einem halblauten: Donnerwetter! zurück und gebot:

Nun bitt' ich mir aus, daß Sie reden!

Der Buchhändler, Herr Hunold, drängt mich so um Arbeit, war die Antwort, – und – Sie sehen selbst – ich vermag's doch nicht!

Weiß schon, – komme eben von ihm, erwiderte Lukas. Aber was klagen Sie?

Ich bin so krank, so erschöpft! Bescheinigen Sie mir doch, daß ich –.

Daß Sie nicht arbeiten, nicht abliefern können? Gut! Aber, vor allem wo steckt ihr Leiden, wo hapert's denn eigentlich? Nun? Thun Sie doch das Maul auf, wenn ich bitten darf! Oder – sind Sie etwa bloß – bescheinigungskrank?

Ob nun Reisig verlegen war ein nicht vorhandenes Leiden zu beschreiben oder erbost, weil er sich durchblickt und den Arzt mit dem Verleger einverstanden glaubte, ist nicht zu sagen. Genug, Lukas konnte kein Wort mehr aus ihm herausbringen, so daß ihm die Geduld riß, und er heftig ausrief:

Das Donnerwetter soll Sie –! Wozu haben Sie mich rufen lassen? Bin ich Ihr Narr? Oder meinen Sie, ich wüßte nicht, daß Ihnen nichts fehlt, sondern daß Sie – zu viel haben, Sie – Zechbruder!

In diesem Augenblick hörte er Schritte vor der Thür, besann sich Klara's und ging hinaus. Sie war schon weiter geeilt, und er erreichte sie noch auf dem Seitengange, – Ach, tausendmal um Verzeihung, mein bestes Fräulein, sagte er mit dem theilnehmendsten Ton. Ich habe ganz –. Kommen Sie, – oder lassen Sie uns lieber nach der hintern Treppe gehen!

Der Corridor des Vorderhauses war bereits erleuchtet; vor dem Hotel wurde von dem Militär-Orchester eine Serenade gebracht. – Es thut mir in der Seele leid, liebes Kind, sagte Lukas, daß ich eben Sie und mich selbst so vergessen konnte. Aber, – leider ist Ihr Verlobter in der That –.

Er ist ja mein Verlobter nicht! Mein Gott, was bin ich so unglücklich! rief Klara mit Zorn und Thränen zugleich kämpfend.

Nicht? versetzte er freudig. Wahrhaftig nicht? Ein Mißverständniß also? Ei, dann danken Sie dem Himmel! Ich gratulire von ganzem Herzen! Hat sie der Gauch also hergesprengt, wie mich? Kommen Sie, liebe Klara, ich begleite Sie vor das Haus. Weinen Sie nicht! Sie sind so angegriffen, und die Musik macht Sie so weich. Vertrauen Sie mir, wenn ich Ihnen worin dienen kann! Herr und Frau Hellmuth theilten mir im Vertrauen das Unglück mit, Sie haben sich beide recht betrübt – Ihretwegen, und alles gethan die Sache geheim zu halten, in der Voraussetzung, daß Sie mit Ihrem guten Verstande von der Uebereilung zurückkommen möchten.

Gerade Frau Hellmuth hat sich übereilt, erwiderte Klara, indem sie leise mit unterdrücktem Stöhnen fortfuhr:

Sie kam eben zu mir, als Reisig mich mit dem nun abgedruckten Stücke des Manuscriptes besuchte. Ich hatte ihm viel Theilnahme bewiesen, und – mag wohl in der Art gefehlt haben, oder er wollte mich vielleicht auch mißverstehen. Er hatte mir eben seinen Lebensplan vorgelegt, in welchem ziemlich deutlich meine Hand mit in Anschlag gebracht war. Ich – Sie können denken, wie betroffen ich war, und wußte nicht gleich, wie ich ihn auf schonende Weise –. Das war vielleicht mein Fehler. Ich hätte ihn gleich entschiedener, mit Entrüstung abweisen sollen. Und da kam Frau Sophie herein. Ich glaubte, es wäre ein Engel, so froh war ich. Da, – ich weiß mir noch jetzt nicht zu erklären, wie der verwegene Mensch dazu kam, mich als seine Verlobte vorzustellen. Denken Sie sich –! Ich war so entsetzt –! Aber Sophie nahm es gleich für wahr; das machte mich ganz irre an mir selbst, – und sie brach so leidenschaftlich und kränkend gegen mich aus –.

Ja doch, ja! fiel Lukas ein, die kleinen Töpfe kochen leicht über. Und Klärchen war dann auch gleich empfindlich, setzte das Köpfchen auf und – nun ja, ich begreife das alles, nicht wahr? Aber – wir sprechen noch darüber!

Ich bin so beschämt, lieber ehrlicher Doctor, und doch – so vergnügt –! Ach, wie bin ich Ihnen so dankbar! Und – wie Sie mir sagen, habe ich auch Hellmuth's so viel Schonung und Nachsicht zu danken! Ich will sie gleich morgen früh besuchen.

Thun Sie das, Klärchen! mahnte er freundlich. Ich gehe hernach zum Abendessen hin, kündige Sie auf morgen an, und – Sie können es sich dann mit aller Erklärung leicht machen.

Wie gut Sie sind! Und gerade von Ihnen hätte ich am wenigsten –, lächelte Klara, und reichte ihm die Hand.

Glaub's liebe Klara, rief Lukas. Es geht mir zuweilen so. Sonst hätten Sie eigentlich merken können, daß Sie gerade an mir einen alten heimlichen Verehrer haben. Apropos! Sie treffen auch bei Hellmuths den liebenswürdigen Poeten Safran.

Safran? Derselbe, der das liebe Buch: Ein Landaufenthalt –?

Derselbe. Nicht genial! antwortete Lukas. Doch, darüber, wenn mir recht ist, waren wir ja schon früher einig. Und wissen Sie, daß Sie ihn hergelockt?

Ich? rief Klara erröthend. Wie?

Ja Sie!

In aller Unschuld, lachte er. Herr Firnewalt, wie er eigentlich heißt, hat aus Ihrem Feuilleton den Aufenthalt Reisigs ersehen, und verfolgt ihn mit einer Forderung seines Onkels über 80 Thaler. Es ist ein Vorschuß des Buchhändlers auf dasselbe Manuscript, woran Reisig jetzt wieder laborirt. Das Genauere hören Sie von Hellmuth. Es ist ein prächtiger junger Mann, der Herr Safran, von einer so liebenswürdigen Bescheidenheit, wie solche bei unsern jungen Autoren mit Bärten gar nicht mehr vorkommt. Nun gehen Sie mit Gott, liebes Klärchen, und beruhigen Sie sich ganz wegen Ihres verlorenen Hochzeiters. Diese Nacht wird er sich ernüchtern, und morgen habe ich ein Recept für ihn. Ich hoffe, wir werden seiner ohne Schaden mit all' seinen Schulden los werden. Gute Nacht!

Klara verlor sich unter der Menge, die der Musik zugelaufen war. Doctor Lukas aber kehrte noch einmal in den Gasthof zurück, für den Patienten eine Suppe auf den Abend und einen marinirten Häring zum morgigen Frühstücke zu verschreiben, alle geistigen Getränke zu untersagen, und den Wirth wegen seines Guthabens zu beruhigen.


12.

Nach einer unruhig durchträumten Nacht konnte Klara in ihrem einfach gewählten Anzuge doch nicht so früh, als sie es gedacht hatte, zu Hellmuths ausgehen. Tante Trude, die Gabel, war schon etwas leidend von Mannheim zurückgekommen, wo sie durch Nachtwachen und Gemüthsbewegung um die Kranke ihre alten rheumatisch-gichtischen Leiden aufgeregt hatte. Diese Nacht waren die Schmerzen reißender geworden, so daß sie sich nun doch zu dem bis jetzt abgewehrten Arzt entschloß. Diesen wartete Klärchen ab, und eilte dann mit dem Recept zur Apotheke und nach dieser Bestellung zu den Freunden.

Wie herzlich ward sie bewillkommt, wie gerührt gab sie sich hin und herzte die Kinder! Tante Klara war wieder da, und das Gesindel – war ja wahrlich seitdem gewachsen! Des verschmerzten Mißverständnisses ward mit keiner Sylbe gedacht, um so weniger als den Freunden das vergeistigte, so zu sagen aufgeklärte Wesen Klärchens so bedeutsam auffiel, daß sie auf die innern Kämpfe schließen konnten, die solche Errungenschaft gekostet hatte. Desto lebhafter ließ das heitre Paar sich über den jungen Firnewalt, genannt Safran, aus. Er war wirklich mit einer Forderung seines Oheims an Reisig gekommen, um antheilweise das Feuilleton-Honorar des Autors in Anspruch zu nehmen. Einstweilen aber hatte er bloß die freundlichste Aufnahme des Redacteurs gewonnen, und bald auch eingestanden, daß er gerade nicht ausdrücklich um dieses – »verlorenen Postens« ihrer Buchhalterei willen – sondern gelegentlich seiner Reise nach Wildbad hierher gekommen sei. Er litt nämlich am linken Arm, den er letzten Winter bei einem Pferdesturz gebrochen hatte und noch nicht wieder mit voller Kraft gebrauchen konnte.

Frau Sophie strich die einfachen Manieren und die anspruchlose Liebenswürdigkeit des hübschen jungen Mannes nicht ohne schalkhafte Seitenblicke nach ihrem Manne heraus; indem sie angefangen hatte, ihn von seinem Genialitätsaberglauben und von der leichtfertigen Verschwendung dieses Wortes zu bekehren. – Nur in Einem ist mein lieber Mann nicht ganz zufrieden mit unserm Poeten, sagte sie: Herr Firnewalt bringt gar nichts vor, was Karl als »genial« begrüßen könnte. Nein, liebe Klara, du wirst dich schon an den hübschen seidnen safrangelben Taschentüchern überzeugen, daß er kein Genie – nach unserer neuesten Erfahrung ist. Auch halte ich ihn für ganz frei von allen communistischen Absichten auf die Kanapeeüberzüge der bürgerlichen Gesellschaft.

Man lachte, und Hellmuth mußte im Beisein der Freundin sein schon gegebenes Versprechen wiederholen, daß er sich das exaltirte »Genial« abgewöhnen wolle. Halb singend rief die heit're Frau: Dein »Genial« ward uns fatal, d'rum laß es immer fahren!

Als Klara schied, mußte sie, der kranken Tante ungeachtet, versprechen den Abend wieder zu kommen, da Firnewalt einen kleinen Aufsatz über das kirchliche Bekehrungswesen vorlesen wolle. – Es ist eine Art von Brief an eine Dame, die sich gegen seinen protestantisch-philosophischen Glauben versucht zu haben scheint, sagte Frau Sophie. Du kannst Dir denken, beste Klara, daß wir durch deine Mittheilung der Distichen gegen die Gräfin Ida auf das Kapitel gekommen sind. Jene Verse sind wirklich von ihm, und er hat herzlich dazu gelacht, daß Du die häßlichen Hex- und Pentameter, wie er sie nennt, dem Genialen auf den Rücken geheftet hast.

Klara erröthete, nicht sowohl über diese letzte Aeußerung, als weil sie an Sophien während ihrer Mittheilungen einigemal ein flüchtiges Erröthen bemerkt hatte. Bei zartfühlenden Frauen ist ja das Erröthen oft so ansteckend, wie bei langweiligen Männern das Gähnen.

Während dergestalt unsere drei heitern Menschen sich zur alten Freundschaft wieder zusammen fanden, wurde dem kranken Genie Reisig zu seinem Aufkommen ein ebenwohl ziemlich altes Recept verordnet.

Doctor Lukas traf ihn bei dem marinirten Häring etwas öde aussehend und durch seinen Katzenjammer gehörig vorgerichtet. Nachdem er ihm hin und her gehend die an den Wirth, an Doctor Hellmuth und den Kleiderlieferanten schuldigen Beträge nebst der Entschädigungsforderung des Buchhändlers für den Fall des nicht zur Ausführung kommenden Vertrags auf einem Zettelchen vorgerechnet hatte, setzte er sich bequem und mit seinem Stöckchen spielend auf einen Stuhl, und sagte:

Sehen Sie, einsichtsvoller Herr, es addirt sich ein artig Sümmchen, das schon der Mühe lohnt, in einer unfreiwilligen Clausur abgesessen zu werden. Vielleicht ist Ihnen ein wenig eingesteckt zu werden erwünscht, und es ist allerdings für manche Menschen ein Hülfsmittel der Selbstbeherrschung und einer heilsamen Diät. In diesem Falle kann ich Ihnen dies gute Mittel sogleich verschreiben. Sonst – sehen Sie, mein Bester, kann von Abtragen der Pöstchen unter a. b. c. keine Rede sein. Denn, wollten Sie auch, – Sie könnten nicht. Sie müssen ja über Ihr inneres Vermögen so klar sein, wie Sie es jetzt über Ihr äußeres sind. Allen Respect vor Ihrem – Genie! Die Reisebeschreibung im Ganzen, so wie die noch von ihnen beigebrachten Skizzen und artigen Handzeichnungen zeugen von Ihrer ausgezeichneten Begabung. Aber – Verzeihung, mein Theuerster! Sie haben Ihrem Genie auch zu viel zugemuthet, Sie haben es etwas verlebt, stark verlaborirt, wobei ich durchaus nicht sagen will – verliederlicht. Vielmehr rede ich von Productionen vor Ihrer Sündfluth, so zu sagen von antediluvianischen Erzeugnissen, – pflanzenartigen, thierartigen, von Variolarien, Pachydermen, zu denen auch die sus proavitus gerechnet wird und dergleichen. Ich will zugeben, – wenn Sie sich recht zusammen nehmen in geistiger und leiblicher Diät und Disciplin, daß Sie noch ein Erkleckliches aus dem Bankrott – oder wenn Sie lieber wollen – aus dem Schiffbruch Ihres Vermögens für die Zukunft retten könnten: aber die Gegenwart ist verflucht pressant, Theuerster, und der Uebergang in jene Zukunft verlangt auch etwas. Also – wie fangen, wo fassen wir das Ding an?

Reisig sah wohl ein, daß er einen klaren Mann vor sich hatte, gegen dessen Weltverstand und Seelenblick keine Finten aufkommen dürften. Das große, hellblaue Auge des Doctors ruhte so lachend und schalkhaft auf ihm, daß ihm kein Schlupfwinkel blieb, Versteckens zu spielen. Er fühlte vielmehr, daß er sich nur durch unbedingte Hingebung an den gutmüthigen Schalk helfen könnte. Mit etwas ödem Lachen versetzte er:

Anfangen, verehrter Doctor? Ei was! Fangen wir lieber gar nicht an, sondern hören gleich auf! Sie haben ein Recept für mich in der Tasche: heraus damit! Wenn's denn auch ein moralisch gesalzener Häring wäre, – ein Häring für den innern Katzenjammer –.

Nichts da mit Häring! fiel Lukas ein; – ein Syrup, alt, probat! Hören Sie mich mit Verstand an! Ich war dieser Tage wieder in Mainz. Ich bin Hülfsarzt, Consulent der Gräfin Ida. Sie hat so kleine wechselnde Uebergangsleiden. Es sind ja die herrschenden Leiden der Zeit, wie mannichfach sie auch auftreten. Diesmal ist es eine kleine Knieverletzung gewesen. Es will einmal alles gelernt sein. Ein altprotestantisches Knie macht manchmal Opposition gegen ein neukatholisches Herz. Nun denken Sie sich die wunderbare Fügung, daß ich auf dem Tische der Gräfin das Blatt unserer Chronik mit den gegen sie gerichteten Distichen finde. Fräulein Amelung's beigegebene Note weist, wie Sie wissen, auf den Verfasser, der jetzt in unserer Stadt weile. Sie fragte nach Ihrer Person, und Sie können denken, daß ich ihr das Beste sagte, was ich wußte. Auf ihre weitere Frage, ob Sie denn befriedigt in der Seele von Ihrer Weltfahrt zurückgekehrt wären, äußerte ich, – es schiene mir nicht. Es wäre etwas, was Sie immer abhielt, die letzte Hand an Ihre Reiseberichte zu legen, und irrte ich nicht sehr, so wäre es ein inneres Verlangen nach einer höhern Befriedigung und Einigkeit. Ich sagte das aus einer gewissen schalkhaften Galanterie, weil sie von dergleichen selbst erfahrenen Zuständen gern hört. Auch gefiel es ihr sehr und ich setzte rasch hinzu, die muthwilligen Distichen seien Ihnen eigentlich entwendet und gegen Ihre Absicht publicirt worden. – O ich vergebe sie ihm, lächelte sie. Dergleichen berührt mich nicht. Im Gegentheil, ich wünschte dem unglücklichen Manne zu begegnen und ihm etwas Wohlthuendes erzeigen zu können. – Sie sprach noch von feurigen Kohlen, die sie auf ihr Haupt –, u. s. w. Nun wissen Sie, – vergrabene Schätze erscheinen in der Geisterstunde als feurige Kohlen: verstehen Sie mich?

Noch nicht, lieber Doctor! antwortete Reisig.

O Sie –! rief Lukas. Sie sollen nun umgekehrt, wo sich Ihnen feurige Kohlen zeigen – nach verborgenen Schätzen suchen, meine ich, und – das eben ist mein Recept! Sie selbst mögen von noch so geringem Metalle sein, geehrter Herr, – jene Leute besitzen die Goldtinctur zu Ihrer – Umwandlung, Bekehrung. Nun begreifen Sie mich? Ich gebe Ihnen ein paar Zeilen mit, wenn Sie sich Verzeihung holen wollen und sich wohlthun lassen.

Ich bin wahrhaftig gerührt von Ihrer Güte für mich! antwortete Reisig in Ueberlegung zerstreut.

O nehmen Sie das leicht, mein Bester! lachte Lukas. Es sind hier liebe Freunde die den besten Theil des Dankes gern übernehmen. Aber – ich muß fort, und – Ihr Zustand ist – unter der Presse!

Wäre nur – wenn ich Ihnen folgte, lieber Doctor, – nicht so viel zu glauben! lächelte Reisig.

Ei was glauben! Zu bekennen, wollen Sie sagen. Dies ist eine bekannte Münze; die hat keinen innern Werth in dermaliger Zeit, aber guten Cours. Und – Sie Tausendsasa! Seit wann wären Sie denn kein Verschwender gewesen – mit Bekenntnissen, die gerade so gut waren, wie falsche Münzen, he?

Lachend erwiderte Reisig hierauf:

Dann wär's aber wohl besser, wenn ich dort gleich bekennte, daß die kränkenden Verse doch eigentlich von dem jungen Firnewalt sind?

Was? rief Lukas. Sie wollen Ihren letzten Tresorschein wegwerfen? Bedenken Sie denn nicht, daß Sie als reumüthiger Sünder zehnfachen Werth haben? O Sie! Nein, mit geistigem Borg bezahlen Sie pecuniäre Schulden, und das heißt genial! – Apropos Firnewalt! Er ist hier angekommen bei Doctor Hellmuth. –

Firnewalt? Was –? versetzte Reisig kleinlaut und stand auf.

Ja, antwortete Lukas. Er soll Sie aber nicht besuchen, bis ich Sie für ganz hergestellt erkläre.

Danke! erwiderte Reisig etwas unruhig. Was kann ich ihm denn auch, lieber Doctor –? Also von wegen Ihres Receptes –. Wie könnte ich denn aber von hier loskommen?

Das übernehme ich! erklärte der Arzt. Ich sage gut für Sie, wogegen Sie mir all' Ihre Manuscripte und Zeichnungen überlassen, die dann entweder von dort wo Sie hingehen, eingelöst, oder von uns zu Gelde gemacht werden.

Aber Doctor, – ich brauche auch einiges Reisegeld. –

Ich denke, das Buchhändlerhonorar wird noch so viel Ueberschuß gewähren, meinte der Arzt, worauf Reisig leichthin erklärte:

Nun denn, mein Verehrtester, schicken Sie mir Ihren Empfehlungsbrief! Ich kann mir's ja überlegen; es scheint wirklich kein übler Spaß!

Ueberlegen Sie! rief Lukas. Derweil nehme ich diese Papiere an mich. Nur mögen Sie bedenken, daß Ihre Actien in dem Grade steigen, als Sie sich eilen. Es ist nämlich in der Gegend dort eine ärgerliche Geschichte mit einem angesehenen Domherrn und einer Kammerjungfer durch gedruckt erschienene Briefe ausgekommen. Ein scharfer Schütz hat mitten in's Schwarze des Cölibat's getroffen. Unter diesen Umständen würde jede erfreuliche Gegengeschichte doppelt willkommen sein. Also adieu, lieber Reisender! Sie werden jedenfalls eine interessante Dame kennen lernen. Sie wissen, sie hat die hübsche Reise von Babylon nach Jerusalem gemacht. Adieu! Laufen Sie glücklich in den Hafen ein! –

Tausend Dank, bester Doctor! rief Reisig mit einmal seelenvergnügt, und stimmte aus etwas rauher Kehle die bekannten Liedesverse an:

»Und das Glück das fern ich suchte, find' ich ewig nur bei –.«

Sie Tausendsappermenter! rief Lukas an der Thüre zurück. Da haben Sie ja auch schon die Melodie dafür!


13.

Die Umwandlung der Gesinnung, die Veränderung einer Lebensansicht geht in der Regel allmählich mit dem Wandel der Erfahrungen vor sich. Doch kann dieser innere Proceß auch durch Bedrängnisse des Herzens, durch Erschütterungen des Gemüthes beschleunigt werden. Allein weder das Eine noch das Andere ist bei Frauen und Jungfrauen mit so viel Ueberlegung und Berechnung verbunden, als dieselben etwa beim Wenden eines abgetragenen Seidenstoffes und Ausbessern mit verändertem Zuschnitt in Anwendung bringen. Klara war jedoch durch einigen Gebrauch der schriftstellerischen Feder mehr, als andere Ihresgleichen, an Selbstbeobachtung gewöhnt und zu Reflexionen geneigt. Sie konnte sich daher auf ihrem Abendgange zu den Freunden einer lächelnd-gerührten Betrachtung über den Umschlag, der in den letzten Wochen mit ihrer Empfindungs- und Anschauungsweise vorgegangen war, nicht erwehren. Wie war doch ihre heutige Stimmung, mit der sie einer neuen literarischen Bekanntschaft entgegen ging, von der Spannung verschieden, mit der sie früher, in derselben Wohnung der Freunde, dem »Genialen« entgegengesehen hatte! Sie verglich ihre heutige milde Heiterkeit mit dem Eindrucke, den Safrans Buch bei ihr hinterlassen hatte, während jene frühere Aufregung der Wirkung ähnlich schien, die Reisigs Manuscript durch maßlose Darstellung auf einen phantasievollen Leser machte. Wie allernächst lag da für Klara die Frage, ob auch die neue Persönlichkeit so erfreuliche Berührungen mit sich bringen werde, als die andere ihr die unseligste Verwirrung angerichtet hatte. Doch stieß die Freundin auf diese Frage nicht; vielleicht weil sie eben schon auf der Treppe eine lebhafte Unterhaltung aus dem Zimmer vernahm. Herr Safran – Firnewalt – war schon da; eine jugendliche, schlanke Gestalt in einfach-elegantem Anzuge. Diese günstige Erscheinung war von einem gewinnenden Benehmen begleitet. Es konnte nicht eigentlich gemessen oder gehalten heißen; denn es war keine Ueberlegung, keine Berechnung dabei: man durfte es eher gelassen nennen, in dem Sinne, daß es wie von selbst kam, aus einem Gleichgewicht von Empfinden und Denken, von Lebhaftigkeit der Seele und Milde des Temperaments hervorgegangen. Indem aber Klara bald genug aus den Blicken, aus den kleinen Aufmerksamkeiten des jungen Mannes herausfühlte, daß ihm von den Freunden Manches über sie mitgetheilt worden sei, und er gewiß auch ihre jüngste Verirrung kenne: so setzte sie das begreiflicherweise in eine merkliche Befangenheit gegen ihn. Dies gab ihr aber einen zarteren Reiz mehr gegen ihr früher etwas zu entschiedenes Wesen, und interessirte den jungen Poeten zugleich auf eigenthümliche Weise. Es war ihm neu, im Laufe einer sich sehr belebenden Unterhaltung so viel kluge und glänzende Gedanken eines Mädchens in so anmuthige Befangenheit gefaßt zu finden. Aber auch Klara machte eine neue Erfahrung. Indem sie nämlich mit dem ernsten Vorsatze gekommen war, nicht sobald wieder für einen Zugvogel von irgend einem schriftstellerischen Gefieder zu schwärmen, hatte sie noch nicht bedacht, daß ein großer Unterschied sei zwischen den Empfindungen, die aus der Voraussetzung und denen, die aus dem Eindruck von einer Persönlichkeit entspringen, und daß man von jenen leicht zurückkommen, von diesen aber noch leichter mitgenommen werden könne.

Eine glückliche Fügung kam dazu, beide junge Bekannte leichter zu vermitteln: alle Ansichten nämlich, die der liebenswürdige Poet in munterm Gespräch vorbrachte, riefen wenn auch nicht immer eine lebhafte Uebereinstimmung bei Klara, doch nur einen solchen Widerspruch hervor, der gerade dadurch gefiel, daß er die witzigen, geistreichen, oft aber etwas einseitigen Gedankensprünge Firnewalts durch eine warme und seelenvolle Erinnerung ergänzte und in ihren Ansichten erweiterte.

Sobald der Thee getrunken war, und man den jungen Gast an die Lectüre des versprochenen Aufsatzes oder Briefes erinnerte, sagte er:

Gut, daß Sie es gleich selbst als einen Brief bezeichnen! So mag es seine Entschuldigung finden, wenn darin eine so verhängnißvolle Erscheinung der Zeit, eine solche Krise unserer religiösen Entwicklung allzuleicht abgefertigt erscheinen muß. Es war mir nicht darum zu thun, die schwere Frage selbst, worüber man ein Buch schreiben könnte, sondern nur die eifrige Dame abzufertigen, die nicht üble Lust zeigte, mich zu bekehren. Es kam mir vor, als läge die wirksamste Abweisung derselben darin, so leichtsinnig in diesen Dingen zu erscheinen, daß sie es gar nicht mehr der Mühe werth halten möchte, mich zu ihrem Bekenntniß hinüber zu ziehen.

Ja doch! versetzte Frau Sophie, wir nehmen's schon leicht, zumal wir es mit andern Bekehrungen zu thun haben. Ich z. B. nachdem ich von meiner unverzeihlichen Uebereilung bekehrt bin, (sie umarmte Klärchen auf's Zärtlichste) habe meinen Mann in die Bekehrung genommen, wie Sie schon selbst bemerkt haben. Mit seinem exaltirten »Genial!« hat er nicht nur schon einen Tragödiendichter ruiniren helfen, sondern auch die theuerste Freundin in Verlegenheiten gebracht. Also lesen Sie nur!

Die kleine Gesellschaft setzte sich bequem, und Herr Firnewalt las mit seinem wohlklingenden Organ folgenden kleinen Aufsatz.

Rückfälle zur Kirche.

(Aus dem Brief an eine Dame.)


Zum Schlusse komme ich noch auf Ihr Jubelfest der Kirche, – ich meine Ihren Jubelruf, meine eifrige Freundin. Sie halten es für ein merkwürdiges Zeichen der Zeit, daß der in feinen Kreuz- und Querzügen ermüdete Protestantismus, sogar in dem weltgeschäftigen England, sich der verlassenen Mutter Kirche wieder in die Arme wirft, – ein verlorner, aber reumüthiger Sohn. Und Sie fragen mich, was ich dazu sage.

Eine Zeiterscheinung ist es allerdings, meine Verehrte, und ist der Mühe werth, sie in Betrachtung zu nehmen. Eine Zeiterscheinung muß aber aus der Zeit begriffen werden; daher ich denn mit Ihnen nicht einverstanden sein kann, wenn Sie solche der siegenden Macht der Wahrheit zuschreiben. Was sollte denn die Menschen so plötzlich zu einer früher bestrittenen Erkenntnis bringen, gerade jetzt, da die Bildung des Jahrhunderts in der Richtung zum Wissen durch Selbstprüfung fortschreitet, und mithin nur weiter vom Dogma der Kirche abgekommen ist, das auf der Stufe des Glaubens von fremder Autorität festgehalten wird? Wir müssen uns nach anderen Elementen der Zeit umsehen, um eine solche – vielleicht krankhafte Erscheinung zu verstehen.

Von einzelnen Fällen des Religionswechsels aus vorgeblicher oder wirklicher individueller Ueberzeugung ist natürlich die Rede nicht. Die geistigen Bedürfnisse der Menschen sind bekanntlich sehr verschieden. Auf Manche macht schon der innere Zusammenhang des katholischen Lehrbegriffs Eindruck, abgesehen von der Vernunftmäßigkeit dessen, was zusammenhängt. Die Rede ist nur von der Erscheinung eines häufigeren Rückfalls auf eine überwundene religiöse Bildungsstufe der christlichen Menschheit. Hier suche ich mir sogleich die alte Ueberzeugung zu erneuern, daß kein Zustand im Leben der Völker ohne besonderen Segen bleibt, der aus wirklichen oder anscheinenden Nebeln hervorgeht. Wie viel Schönes und Frohes zerstört z. B. nicht ein langdauernder Krieg, wie ihn unsere ältere Generation noch erlebt hat! Aber unter den großen Calamitäten, die er mit sich führt, gewinnt doch die moralische Kraft der Menschen. Muth, Mäßigkeit, wechselseitiges Wohlwollen, Liebe und Duldung thun sich hervor, und bewähren sich in gemeinsamen Leiden. Die Kräfte des Schaffens bilden sich insgeheim für eine vielseitige Thätigkeit im kommenden Frieden, wie die Bäume im Winter ihre Saugwurzeln erneuern. Ja, der Krieg erinnert an die Winterzeit: auch da blüht, grünt, reift nichts, und man zehrt von früheren Ernten; aber die Luft ist reiner, frischer: die Menschen fühlen sich kräftig, unverdrossen unter den Stürmen, und rücken bei Licht und Feuer enger zu einander, bis sie mit gesammelten Kräften an die Frühlingsarbeiten gehen. Nun bedenken Sie, daß wir über vierzig Jahre Frieden haben. Gewerbe, Handel und Wandel, schöne und nützliche Künste, Erfindungen und Genüsse aller Art bereichern und erheitern das Leben. Es ist ein herrlicher, fruchtbarer Sommer. Aber – wie schwül, drückend, verstimmend ist nicht die Luft! Und die Menschen, durch keine allgemeine Noth mehr nach außen gespannt, sind nur jeder mit sich beschäftigt, launenhaft, eitel und anspruchsvoll. Noch schlimmer, daß eine heillose Politik den Segen jener Kriegsjahre – die nationale Einigkeit und Erhebung in Fluch verwandelt hat, indem sie den geistig bevormundeten, in jeder Thätigkeit überwachten, von aller Theilnahme am Staatsleben zurückgedrängten Völkern nichts übrig ließ, als innere Verbitterung, unfruchtbare Speculation, frivole Meinungen, Genußsucht, politische Umtriebe und in was allem müßige und übermüthige Kräfte, die nicht schaffen können, sich zerstörend versuchen. Während in solcher Lage nun die unruhigen Menschen in hundert Eitelkeiten und spielenden Genüssen nicht ermüden, wenden gerade die tieferen Seelen, unbefriedigt von all dem Nichtigen, in ihr Innerstes den Blick; da sie sich denn über einem unerforschlichen Abgrunde des Ewigen finden, das ja, im Zusammenhang mit der Unendlichkeit, in jedem Herzen quillt. Nun hat der Mensch zwar das erhabenste Glück, aber auch die dunkelsten Gefahren in seiner eigenen Brust. Welche Ahnungen, aber auch welche Aengste steigen nicht für eine schwache Seele aus dem eigenen Herzen auf! Sie geräth außer sich, wie man zu sagen pflegt, und – Glück auf! gerade außer sich findet sie noch Rettung – an Aeußerlichkeiten, die für bedeutsam gelten, an gewohnheitlichen Leistungen, die mit hohen Gnaden verknüpft sind. Das ist es ja, wodurch die katholische Kirche früher den unmündigen, unentwickelten Völkern zu geistiger Entwicklung und Bildung geholfen hat, wie man Kindern an äußeren Gegenständen zum Stehen und Laufen hilft. Mit gleicher mütterlicher Nachsicht und Nachhülfe nimmt sie sich auch wieder der Erkrankten an, die fremden Beistandes nicht entrathen können. Solchen krankhaften Anwandlungen unterliegen allerdings nur wahrhaft religiöse Seelen: jedoch auch nur solche, die dabei unklar und unselbständig sind. Kommt aber noch Erschöpfung von Weltgenuß, Verstimmung aus Erlebnissen, Langeweile einer schlechten Gegenwart und dergleichen hinzu: so vermehrt und vermannichfaltigt sich die Kränklichkeit der Zeit. Ja, die römischen Bestrebungen selbst, dies entzweiende, aufhetzende, die Gewissen ängstigende Treiben ist nur auf Verschärfung der Krankheit gerichtet: wie man denn die neuen Jesuiten am richtigsten als umhergehende und heimisch werdende Miasmen begreift, die besonders auch die Höhenpunkte der Gesellschaft bestreichen und z. B. den rheinischen und westphälischen Adel an seinen preußischen Antipathien anstecken.

In solchen mit Schwäche, Unruhe und Beängstigung verbundenen Krankheiten, – welches ist der gesuchteste Arzt? Immer derjenige, der viel verspricht und viel verschreibt. Ein solcher ist der Protestantismus nicht: er ist ein Wasserdoctor, und verweist an die Quellen des Christenthums und an moralische Arbeit. Er legt viel Werth auf kirchliche Diät, da er selbst aus dem üppigen Mutterhause mit Taufe und Abendmahl ausgewandert, sich, so zu sagen, auf Wasser und Brot gesetzt hat.

Leider hat bei dieser Auswanderung der Protestantismus ein Drittes mitzunehmen vergessen, – ein zugängliches Mysterium. Der Mensch, wissen Sie, hat wie die Pflanze den doppelten Trieb nach dem Licht und nach dem Dunkel, Zweige und Wurzeln streben auseinander, in die Höhe, in die Tiefe. Das ist es, was uns alle, auch den Aufgeklärtesten, zum Geheimnißvollen hinzieht, was schon in der Gesellschaft Herren und Frauen um eine Dame anhäuft, die zu erkennen gibt, daß sie ein Geheimniß besitze. In dem Grade nun, als der Baum der europäischen Bildung in allen seinen Zweigen, selbst in der Politik, nach Luft und Sonne strebt, treibt er, um Gleichgewicht zu halten, auch neue Wurzeln in die dunkle Tiefe seines alten Bodens. Wieviel muß dabei die Kirche gewinnen, die noch mit Geheimnissen und Wundern speculirt? Was ist dagegen das Mystische, womit sich der Protestant zu entschädigen sucht? Behält Ihre Kirche doch den Vortheil, ihre Geheimnisse sinnlich eingefaßt zu haben, wie Quellen, die dem frommen Vertrauen zugänglicher sind, als der nebelhafte Abgrund des göttlichen Daseins, in welchen der Mystiker hineinstarrt.

Ich sehe Sie zu meiner Darlegung den Kopf schütteln, verehrte Freundin. Aus den Zeitverhältnissen geschöpft finden Sie allerdings meine Erklärung; nur lieben es die Frauen nicht so tief gesucht. Und Sie können Recht haben: diese Glaubensrückfälle stehen vielleicht nur in oberflächlichem Zusammenhange mit dem Geschmack der Zeit. Greift nicht die unbefriedigte Welt auch nach alten Moden und Mobilien, träumt von alten Staatseinrichtungen und richtet antikes Theater ein? Roccoco, meine Theure! Roccoco!

Doch, Ihr Wohlgefallen an Englands Neubekehrung darf ich nicht unerwähnt lassen! Von dort weht es Einen leicht mit einigem landeseinheimischen Humor an. Ich denke mir also, in jenem national-ökonomischen Staate fasse man das Katholischwerden gegen das uralte » No popery« aus dem volkswirthschaftlichen Gesichtspunkt auf. Man weiß, daß leichte Arbeit mit viel Verdienst sehr gesucht ist. Der Protestantismus legt aber keinen Werth auf Werkheiligkeit, während Andachtsübungen aller Art in der römischen Kirche eine gute Rente abwerfen, die für die Ewigkeit capitalisirt wird. Was zu dem neuen Papsteinflusse die großen Grundbesitzer in England sagen, die mit der freien Korneinfuhr wenig zufrieden sind, weiß ich nicht: nur fiel mir eben ein, daß das Wort pope, Papst, im Englischen auch – »Kornwurm« bedeutet. Und wenn des Papstes Auge seitdem mit besonderm Wohlgefallen auf England ruht: so kann der Heilige Vater glücklicherweise nicht Englisch genug, um zu wissen, daß dort – » the pope's eye in a leg of mutton« das Fettstückchen an einer Hammelskeule bedeutet.

So hätte ich Sie denn, meine Verehrteste, mit allem Anstand aus der Kirche bis in die Küche begleitet. Hier aber trete ich mit Ehrerbietung zurück, eingedenk jenes strengen Wortes eines heiligen Kirchenvaters: » Mulier taceat in ecclesia«, das heißt zu deutsch: der Mann mische sich nicht in Küchensachen!


14.

Der scherzhafte Schluß mit seiner versteckten Zurechtweisung für die bekehrungssüchtige Dame setzte die Zuhörer in vergnügtes Lachen. – Prächtig, charmant! rief Doctor Hellmuth, genia–.

Halt, Männchen! fiel ihm Frau Sophie in's verbotene Wort. Da seht ihr nun Alle den rückfälligen unverbesserlichen Sünder, bei dem keine Bekehrung anschlagen will! Sagt nun selbst, – in welche Buße nehmen wir ihn? Ich schlage die jetzt so beliebten geistlichen Exercitien vor. So wär's schon eine hübsche Uebung, wenn er ein halbes Buch Papier des Wasserzeichens Pro Patria voll zu schreiben hätte mit dem einzigen christlichen Unionsworte von heute: Jesuit. Und wenn er statt dessen, aus Zerstreuung etwa, nur einmal »Heuchler«, »Egoist« oder »Spitzbube« schriebe, sollte er den ganzen Tag kein Fleisch zu essen bekommen, sondern nur Forellen und Eierkuchen, oder Hecht mit Kartoffeln.

Man lachte und besprach dann einige Ansichten des gelesenen Artikels. Als der Verfasser die schweigsame Klara fragend ansah, versetzte sie etwas verzagt:

Ihre Absicht, Herr Firnewalt, war auf scherzhafte Abfertigung gerichtet, wie Sie uns sagten: sonst hätten Sie doch wol das tiefere Moment in dieser kirchlichen Bewegung mehr herausgehoben. Ich meine das Verhältniß der besondern Menschenseele zur religiösen Atmosphäre, worin sie das Ewige athmet. Ich selber habe (und bei diesen Worten fiel aus den niedergeschlagenen Augenwimpern ein leichtes Roth über ihre Wangen) in jüngster Zeit an mir erfahren, daß ein verlass'nes Menschenkind bei jeder Wendung seiner Lebenslage dem Ewigrettenden in der Welt eine neubedürftige Seite zukehrt; so, möchte ich sagen, wie jede von der Pflugschar umgestürzte Ackerscholle mit ihrer dunkeln, näßlichen Krume Licht und Lebensluft begierig einsaugt, bis die feuchte Wange trocknet und nach himmlischem Regen dürstet. Denke man sich ein im Weltleben von wechselnden Genüssen, von unbeherrschten Begierden, von tiefster Hingebung an das Vergängliche ausgetrocknetes Herz, in welchem durch Unglück oder Erschöpfung plötzlich das Bedürfniß des Religiösen erwacht: er wird gewiß ganz andere, darf ich sagen – handgreifliche Befriedigung verlangen, als eine Seele die so glücklich geführt wurde, daß sie in sittlichem Thun und Lassen nie ganz aus dem Verkehr mit Dem fallen konnte, was uns Göttliches umgibt. Jenes Herz war vielleicht selbst in seinem sinnlichen Leben schon nicht selbständig, und hing an einer führenden Liebe, die ihm verführend ward, oder es war das Herz einer Mutter, die unter eitelem, weltsüchtigen Aufwande von Geist und Bildung ein armes kretinenartiges Geschöpf geboren hatte und es für eine Züchtigung des Himmels ansah. O man kann lange sehr geistreich sein, prächtig über Musik und Bilder reden und doch der höheren Einsicht, oder der Einsicht in das Höhere entbehren, und ist dann gar leicht der Gefahr ausgesetzt, wenn man endlich die Arme nach der Wahrheit ausstreckt, die Wolke statt der Göttin zu umfassen, den Weihrauch statt der Weihe zu empfangen, – Aeußerliches genug, womit man auf neue Weise wieder eitel thun kann. Lacht mich nicht aus, ihr Herren, wenn ich einen Augenblick in euern gelehrten Krimskrams pfusche. Aber ich erinnere mich aus den öffentlichen Vorlesungen letzten Winters, daß da, wo mit einer chemischen Basis sich eine Säure verbindet, eine aufbrausende Wärme und selige Befriedigung erfolgt. So würde vielleicht ganz Babylon in Psalmen und Hymnen aufbrausen, wenn man Jerusalem hinein gießen könnte. Nur seraphische Seelen leben bloß von reinem religiösem Aether, athmen oder lodern, so zu sagen, im Sauerstoff des Göttlichen; wir Andern können nur in gemischter Luft leben, und Viele oder die Meisten brauchen den dicksten Qualm zum Athmen. Darum, Herr Firnewalt, halte ich den Katholicismus nicht mit Ihnen für eine überwundene Bildungsstufe der christlichen Menschheit. Die Masse der Völker, – und dazu gehören doch erstaunlich viel gebildete Leute und salonläufige Aristokraten – die Masse wird noch lange nicht des Sinnlichen entrathen können, das aus dem alten Heidenthum in die Kirche übergegangen ist.

Gewiß, mein Fräulein! erwiderte, als sie schwieg, der junge Freund; nur war meine Briefdame, um so mit ihr zu reden, keine Klara Amelung. Bin ganz einverstanden, daß man die verschiedenen christlichen Bekenntnisse mit einem Aerometer messen kann, wie viel oder wenig Stickstoff Heidenthum dem reinen Sauerstoff, den der hohe Meister dargeboten hat, beigemischt ist. Dennoch bleibt es die große Schuld der Kirche, die sich der bedürftigen Menschheit nie als Erlöserin, sondern immer nur als barmherzige Schwester angenommen hat, daß es ihr nicht beigekommen ist, als die fortschreitenden Jahrhunderte eine Ungleichheit in der Bildung der Völker und Stände mit sich brachten, die rechte Mischung von Glauben und Forschen, von christlichem Gehorsam und christlicher Freiheit, von ceremoniösem Gottesdienst und Anbetung im Geiste zu veranstalten. Keine gebildete Nation des Alterthums, die nicht inmitten des Volksglaubens – Mysterien für die denkenden Geister gehabt hätte. Hätte die Kirche statt ihrer eingebildeten Consequenz in dem, was sie allerdings mit erstaunlichem Verstande selbst gemacht hat, mit der innern Consequenz des Geistes und der Liebe die wechselnden Lagen einer wandelbaren, auf Entwicklung angelegten Welt zu begreifen und dieser ewigen Wahrheit zu dienen gesucht: so wäre dem Christenthum allerdings die ihr so fatale Reformation erspart worden, – jene feindliche Scheidung des freien und des gefesselten Glaubens, und es wäre dann auch nicht zu unserm Nationalunheil politischer Spaltung gekommen. Ja doch, ihr jesuitischen Schreier, die Reformation hat allerdings diesen Bruch herbeigeführt, – verschuldet aber hat ihn Rom, das die Reformation nöthig gemacht hatte; denn diese war damals ein höheres Bedürfniß des christlichen, ja des menschlichen Geistes. Nun wäre es wenigstens das letzte Heil, daß man diese beiden gesonderten Kreise der Wahrheit, da sie nicht concentrisch ausgefallen sind, friedlich neben einander wirken ließe, – das Walten des Autoritätsglaubens und des gläubigen Forschens, der gebundenen und der freien Andacht, daß man ohne Unmuth und Hintertreibung jedem Herzen überließe, da oder dort seinen Frieden zu suchen, sein Bedürfniß zu befriedigen, bis die fortschreitende Bildung vielleicht wieder zur Vereinigung dessen führte, was getrennt niemals eine allgemeine Macht über die Völker gewinnen wird. Statt dessen erblicken wir ein fanatisches Treiben, das jedem edeln Herzen den tridentinischen Fluch auspreßt: Wenn Einer lehrt, – auf unsrer Seite allein ist die Wahrheit: Anathema sit, – dem soll der Athem ausgehen!

Diese allzu ernste Unterhaltung wurde durch den Eintritt des zum Abendbrote geladenen Doctors Lukas unterbrochen, als er mit der lachenden Verkündigung erschien: Nun, er ist glücklich fort – unser Genie, unser nach neuem Glauben und altem Arak fahrender Gast!

Ist er wirklich? rief es aus aller Munde. Glückliche Reise! Gute Verrichtung!

Ja, fuhr Lukas fort, ich habe ihm meinen Geleitsbrief gebracht, etwas Reisegeld auf die Wirthsrechnung vermittelt, und so hat er den letzten Bahnzug benutzt. Sein Gepäck hatte kein Uebergewicht, und was er selber am Rhein wiegt, werden wir bald hören. Ich habe ihm nur noch etwas auf den Weg mitgegeben, was er nicht gleich begriff, – ein Taschenhaarbürstchen mit einem Spiegelchen. Man wird Sie dort zu einem so berühmten Manne machen, sagte ich ihm, daß Sie wohl thun werden, sich öfter im Spiegel aufzusuchen, damit Sie sich nicht selbst abhanden kommen.

Man besprach sich nun darüber, wie lange man auf eine allenfallsige Einlösung der Manuscripte und Zeichnungen Reisigs von Seiten seiner neuen Gönner warten, und wie man sich im Nichtfalle in die Ueberarbeitung der zum Druck bestimmten Reise theilen wolle. Firnewalt erbot sich das Ganze zu besorgen. Es schien mithin, daß ihn der Besuch des Wildbades nicht sehr dränge. Frau Sophie errieth zuerst, was ihn fesselte, und bald entdeckte er sich ihr auch im Vertrauen.

Wenn ich Ihnen rathen soll, sagte sie ihm, so übereilen Sie sich ja nicht mit Ihrer Erklärung und Bewerbung. Lassen Sie der lieben Klara Zeit, nicht sowohl um sich auf ihr Herz zu besinnen, sondern um nicht davor zu erschrecken. Sie empfindet viel tiefer, als es nöthig wäre, das Mißverständniß mit dem fatalen Menschen, ich glaube nur deßhalb, weil Sie, lieber Firnewalt – so kurz darauf gekommen sind.

Sie lächelte; er küßte ihr die Hand, worauf sie fortfuhr:

Lassen wir Klärchen gewähren! Wir müssen um so behutsamer sein, weil es, wie ich zufällig gehört habe, der kränklichen Tante anliegt, – das Wildbad zu brauchen. Wir dürfen ja nichts davon bemerken. Der Arzt ist auch damit einverstanden, und nur die Leidende selbst wehrt sich noch dagegen. Aber ich habe schon Rath dafür. Morgen früh besuche ich die Kranke, und hoffe sie dahin zu bringen, daß sie das Bad besucht und Klärchen mitnimmt. Dort im stillen Thale der Enz findet das edle Mädchen die rechte Einsamkeit für ein verzagtes Herz und der junge Poet mit dem leidenden Arm den traulichsten Verkehr, sich liebenswürdig zu machen. – –

Und so geschah es. Frau Sophie machte die Tanten im intimsten Vertrauen mit der annehmlichen Partie bekannt, die für Klärchen in Aussicht stehe. Die Sache wurde von Messer und Gabel in's Feine zerlegt und sehr annehmlich gefunden. Frau Sophie kehrte mit der Nachricht für den jungen Freund zurück, beide Tanten müßten nächster Tage ohnehin nach Mannheim zur Eröffnung des Testaments und Antretung der Erbschaft, und wollten von da nach Wildbad zum Gebrauche der warmen Quellen. Als hierauf Herr Firnewalt vor seiner Abreise mit Frau Hellmuth einen Besuch bei den Tanten machte, empfing er ihre Aufträge wegen einer Privatwohnung wo möglich mit häuslicher Beköstigung.

Kaum war er abgereist, als jener Arzt und Universitätsfreund des Doctors Lukas im Auftrage der Gräfin Ida erschien, um Reisig's »Werke« gegen baare Befriedigung der verschiedenen Forderungen an denselben einzulösen. Beide Freunde setzten sich bei einer Flasche Rheinweins an das kleine Geschäft, das sie unter wechselseitigen Herzensergießungen und oft schallendem Gelächter abmachten. Zum Beschluß brachte der auswärtige Arzt ein kleines gedrucktes Heftchen hervor, betitelt: »Beschreibung der Schlange, welche die Eva verführte.« Es waren die aufgefangenen und in's Publikum gebrachten Briefe des Beiden persönlich bekannten Domherrn an seine Geliebte, eine Kammerjungfer, die zufällig Evchen hieß. So heiter und materiell beide Aerzte eben gestimmt waren, fühlten sie sich doch angewidert von der rohen und geschmacklosen Unsittlichkeit des Briefstellers, der in Kirche und Staat, selbst am protestantischen Hof eine so respectable Stellung eingenommen hatte. – Das ist es eben, sagte der Arzt, was diesen Zwischenfall geistlicher Bestrebungen so fatal und ärgerlich machte. An dem Verhältniß selbst ist ja nichts, was im Revier des Cölibats nicht oft genug vorkäme: aber daß gerade jetzt, wo das Schifflein Petri, Kapitän Loyola, ausdrücklich vor Anker liegt, um den Protestantismus als Passagier mit allem wissenschaftlichen Gepäck als Passagiergut aufzunehmen, ein Untersteuermann solche schmutzige Flagge aufhißte, das war's, was hohe Eiferer krank machen konnte. – – –

Wir verlassen beide Freunde bei ihrer flüsternden Unterhaltung und sehen uns nach unserem liebenden Paar um.

Jetzt erst, nachdem mit den eingelösten Papieren auch dieser Dunstschweif des Unglücks-Kometen Reisig unter Klara's Horizont verschwunden war, athmete sie auf und blickte freien, ungeteilten Gemüths in ihre Zukunft. Auch lehnte sie fortan alles ab, was an den Genialen erinnern wollte, selbst jene rheinischen Blätter, die später von einem interessanten Reisenden berichteten, der von bedeutsamen Irrfahrten um die Welt und durch das Leben mit sehr interessanten, demnächst im Druck erscheinenden Schriften in den Hafen des Glaubens eingelaufen sei.

Im Stillen sah Klara die glückliche Lösung ihrer peinigenden Verlegenheit als gute Vorbedeutung ihrer heimlichen und verzagten Herzensneigung an. Bald darauf reiste sie mit den Tanten nach Mannheim und von da nach Wildbad. – – –

Und soviel später bekannt wurde, bewährte sich die warme Quelle sehr wirksam mit der Kraft zu lösen und zu binden, – lösend an Rheumatismen und Lähmung der Glieder, und bindend an den liebenden Herzen des jungen Paares. Der glückliche Poet wurde nicht müde, seiner seelenvollen Verlobten wieder und wieder darzuthun, daß er den hergestellten Arm wieder so kräftig wie den andern gebrauchen konnte.


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