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V.
Zwei Mecklenburger.


Der Regierungspräsident, Graf Blentingk, gab einen großen Ball. Die Gesellschaft war eher zahlreich, als ausgesucht, eher geschmückt, als geschmackvoll zu nennen. Aber aller Aufwand von Staat der Damen, von Artigkeit der Herren wollte anfangs nicht verfangen. Ein einzig Paar zog die Aufmerksamkeit auf sich, obgleich, wie es schien, mehr zur Störung, als zur Befriedigung der zahlreichen Gäste. Was dem Paare so viel Ansehen verlieh, war nicht etwa die hohe Stellung der Verlobten: der Bräutigam galt bloß als unadlicher Rittmeister, die Braut wog nur als Kaufmannstochter. Bürgerlich war der größere Theil der Gesellschaft in dieser Beamten- und Garnisonsstadt. Allerdings stach die Braut als jüngste und anziehendste Schönheit hervor; so daß neben ihr auch der Bräutigam mehr auffiel, – als viel älter und etwas abgelebt, dem man es ansah, daß er keck, und gewandt, dem Leben schon manche Beute abgejagt hatte. Doch dies alles war es nicht, was die Gesellschaft so heimlich aufregte. Die leisen Bemerkungen, die unzufriedenen Mienen, die finstern Seitenblicke sprachen eine moralische Mißbilligung aus, die den nicht Einheimischen ein Räthsel war.

Einer dieser fremden Gäste, der Dame des Hauses empfohlen, näherte sich ihr und gab sein Befremden zu erkennen. – »Was ist es mit dem verlobten Paare? fragte er. Man scheut sie offenbar. Was sitzt auf ihnen, während sie doch eingeladen sind? Ich tanzte um alles gern mit der reizenden Braut; nur fürcht' ich mich zu exponiren. Wahrhaftig, gnädige Gräfin, wie man eben den beiden Leutchen begegnet, dürfen sie sich ein ausgezeichnetes Paar nennen!«

»Die arme Clementine!« flüsterte die Gräfin, indem sie ihren Gast auf ein kleines Ecksofa einlud, in dessen Nähe zufällig für keinen Lauschenden ein Sitz war.

»Arm, gnädigste Gräfin? Bei all' dem Reichthum an Schönheit und – an Schmuck?«

»Ich rede nicht von der schönen Braut, fuhr die Hausfrau fort; diese heißt Sophie. Ich meine dies liebe gute Kind nicht, das mich heute recht dauert: ich rede von einer verlaßnen Frau, die eben alle Theilnahme meiner Gesellschaft findet, aber eine Theilnahme, um die man sie eben beklagen darf.«

»Ich errathe! Es ist seine Frau: der Rittmeister hat sich scheiden lassen, und –.«

»Das nicht! unterbrach ihn die Gräfin. Clementine war nur – seine Freundin, seine Vertraute. Aber die arge Welt hält ihn für den Vater des liebenswürdigen Kindes, das Clementine hat.«

»Das ist interessant!« rief der junge Mann, der sich in leichtfertiger, witzelnden Weise gefiel.

Die Gräfin, mit lebhaften Augen die Gesellschaft überwachend, fuhr fort:

»Der Rittmeister war mehrere Jahre Hausfreund des Geheimrathes Ildefons. Der zufriedne Gatte vernahm erst spät zwischen seinen Akten ein Echo der Stadtgespräche, aber ein so deutliches, daß er den Rittmeister zur Rede setzte.«

»Ei wie artig, gnädige Frau, daß er ihn auch noch setzte! Ich hätte ihn hinausgeworfen, oder er hätte sich mir an einem dritten Orte, – stellen müssen!«

Lassen wir die Wortspiele! fuhr die Gräfin fort.

»Es gab eine Scene, in Folge deren der Rittmeister das Haus nicht mehr besuchte. Die Stadt wußte damals wortgenau, was gesprochen und haarklein, was geschehen war. Es ist nun vergessen. Aber mit dem guten Vernehmen zwischen beiden Männern war auch das Einverständnis der Gatten abgebrochen; Clementine entbehrte den Umgang des Freundes, und ließ es sich mit jedem Tage leidiger werden, es bei ihrem Gemahl auszuhalten.«

»Sehr natürlich! lachte der Fremde. Die albernen Männer wollen es nicht begreifen, wie viel sie durch einen Hausfreund erträglicher in den Augen der Gattin werden.«

Die Gräfin verwies ihm und verbat sich solche frivole Aeußerungen; worauf sie in der Erzählung fortfuhr:

»Auch den Geheimrath drückte das Aergerniß. Er brachte es dahin, daß er versetzt wurde, und da das Paar als Katholiken nicht geschieden werden konnte, kamen sie, wie man glaubt, über eine freiwillige Trennung überein. Wenigstens zog Clementine nicht gleich mit ihrem Manne fort, sondern nahm mit ihrem Töchterchen eine Wohnung dem Rittmeister gegenüber und führte mit ihm eine gemeinschaftliche Wirtschaft über die etwas einsame Straße. Ein so unverhohlner Umgang konnte sich nicht lang im Gespräch der Societät halten. Man läßt am Ende auch den Scandal gelten, um ihn nur fallen zu lassen. Wäre es doch dabei geblieben! Aber da sehen Sie ja, Baron, was leider! gerade unter unsern Spiegeln vorgehen muß.«

»Aber, ich weiß noch immer nicht, was es ist«, lachte der Baron.

»Was es ist? Nichts weiter, wenn Sie wollen, als daß eben jenes unstatthafte Verhältniß gelöst und ein erlaubtes angeknüpft ist. Der Rittmeister hat seine Wohnung verlassen, um ein junges, schönes und reiches Mädchen zu heirathen. Die Stadt aber sieht es anders an: er habe eine um ihn unglückliche Frau geopfert, ein Kind, das nur seinen Namen nicht führt, aufgegeben, heißt es. Sehen Sie, lieber Baron, – so verwirren sich die Lagen der moralischen Welt! Hier wird nun Treue und Beharrlichkeit beim Unerlaubten über das in der äußern Erscheinung Rechte und Erlaubte geltend gemacht, weil diesem eben die innere Wahrheit und Rechtschaffenheit abgeht. – – Mein Gott! dort hat sich Sophie in den Sessel geworfen und der Bräutigam ist um sie bemüht! Sie scheint unwohl. Ich muß doch sehen – –.«

Die Gräfin wollte eben dahin eilen, als sie das Paar aufstehen und in die Fensternische treten sah. Sie kehrte zurück, indem sie dem Baron zuflüsterte:

»Ist es nicht recht fatal! Ich glaube das unbefangene Kind merkt endlich die kränkende Stimmung des Salons, ohne zu begreifen, warum man es in dem rauschenden Ballkleide so mit Tadel bewirft. Wie in aller Welt konnte auch nur diese Sophie, mit allem Anspruch die erste bürgerliche Partie der Stadt zu sein und von jungen, hübschen Söhnen der besten Familien umworben, gerade diesem von Ruf und Jahren angenagten Manne den Vorzug geben?«

»Geschmack, gnädige Frau! schmunzelte mit Selbstzufriedenheit der auch schon alternde Baron. Man bricht ja auch das Obst etwas später, als es am frischesten aussieht.«

»Meinethalben auch wenn es morsch ist!« versetzte die unruhige Dame. »Hätte die gute Sophie nur diesen Geschmack nicht in unserem Hause gefaßt, an unsern musikalischen Abenden, wo sie den Rittmeister kennen lernte. Wer hätte aber auch so 'was Unangenehmes heut erwartet! Ich dachte vielmehr, das auffallende Paar würde gerade auf einem zahlreichen Balle noch am unbemerktesten mit unterlaufen. Ich dachte sie unter der Menge zu verstecken. Denn wie wir mit der Familie der Braut stehen, mußten wir sie einmal einladen.«

»Ihr Banquier, gnädige –?«

»Nein, versetzte sie kurz. Sophiens Eltern leben nicht mehr. Sie ist bei Onkel und Tante, – Leuten ohne Welt, aber reich und rechtschaffen, und die ganz in den Händen der Geistlichkeit sind. Die Pfaffen haben diese Partie in ihrem Interesse gefunden.«

»Ha! So wird man also diesen Herrn besondern Dank schuldig! rief der Fremde mit spöttischem Lächeln aus. Lassen sie uns doch an der Moral eine frische Zuthat der Geselligkeit gewinnen! In der That, die sociale Welt fing an so glatt und gescheidt zu werden, daß dem guten Ton, der nobeln Medisance wenig übrig blieb. Ist es da nicht dankenswerth, wenn in diesem abgetriebenen Revier der Societät auf einmal moralisches Hochwild erscheint? Freilich, etwas waidmännisch treibt man es hier. Geist und Witz von früher küßten doch noch die Hand und beleckten ihre Beute. Das moralische Urtheil aber stößt von sich, was es verwirft. Da haben Sie das richtige Wort, meine Gnädige: verwirft, – wirft weg! Wahrlich, der moralische Unwille in Ihrem Salon ist im besten Anlaufe, die Verlobten zur Thüre hinaus zu werfen, beide auf einmal, durch die Flügelthüre. So würde allerdings die verwünschte Verbindung am nachdrücklichsten durch den Wundarzt hintertrieben, der die gebrochnen Beine zu verbinden bekäme.«

Die Gräfin überhörte diesen gesuchten Witz; denn sie sah den Rittmeister mit seiner Braut lebhaft herankommen, von einem Diener begleitet, der ihnen die Mäntel nachtrug. Sie eilte dem Paar mit angenommenem Befremden entgegen. – »Was? rief sie. Sie brechen schon auf. Sind Sie unwohl, liebste Sophie?«

Sie umarmte die blasse, bebende Braut, die mit einem halblauten – »Nein, nicht gerade unwohl!« – antwortete.

»Nicht? versetzte die Hausfrau. Dann Herr Rittmeister kann ich Ihnen nicht vergeben, daß Sie so früh fort wollen. Wissen Sie, daß Sie uns den Abend stören?«

Dies übereilte Wort nahm der Rittmeister eben so rasch auf, indem er mit verhaltnem Grimm erwiderte:

»Das ist es eben: wir stören, meine Gnädige. Gerade darum gehen wir. Man verschwendet alle Aufmerksamkeit an uns allein. Es ist Zeit, daß wir uns entfernen und Ihren übrigen Gästen auch etwas gönnen. Die Verschwendung so feiner Manieren setzt allen Aufwand von Spitzen, Tüll und Seide im Schatten.«

»Lieber Anton!« flehte die ängstliche Braut den Zürnenden an, dessen Stimme bebte, dessen Blicke wild umher schossen.

Sophie verabschiedete sich mit einer wehmüthigen Umarmung; der Rittmeister neigte sich auf die Hand der Gräfin, über die er statt des Kusses ein so verletzendes Wort hauchte, daß selbst diese so weltgewandte Frau für einige Augenblicke die Fassung verlor.


Diese plötzliche Entfernung des Paares ließ doch einigen Eindruck in der Gesellschaft zurück. Man erkannte, daß die Kränkung, die nur dem Rittmeister gelten sollte, doch auch die liebenswürdige Sophie mit getroffen hatte. Die Tanzlustigen zwar setzten sich mit leichten Sprüngen sehr bald über allen Vorwurf hinaus; in einem Nebenzimmer saß aber, bei guten Erfrischungen, ein kleiner Kreis gebildeter Männer, die ihre Mißbilligung des Vorfalles laut werden ließen, und zuletzt auch das Räthsel, wie ein so liebes und unschuldiges Mädchen gerade für solch' einen Mann eine Neigung habe fassen können, mit Verstand und Menschenkenntnis besprachen. Manches Geistreiche war darüber vorgebracht worden, als der Arzt des Hauses das Wort nahm.

»Ich gebe, von meinem Standpunkt betrachtet, auch die Zeit zu bedenken, in welcher der Rittmeister sich Sophien zuerst näherte, sagte er unter andern. Es war in jenem reizbaren Alter, da junge Mädchen im Kreise von Frauen, die noch keineswegs alle Ansprüche abgelegt haben, gerade für die Aufmerksamkeit gesetzter Männer empfänglicher sind, als späterhin. Denn dies ist, wohlgemerkt! das Alter, in welchem ahnungsvolle Gefühle, eine süßathmende Sehnsucht, ein unbewußtes, bängliches Schweben um das hohe Geheimniß der Liebe die knospende Weiblichkeit bewegen. Noch haben diese unberührten Seelen kein Verständniß von Dem, was anrüchigen Männern zur Last gelegt wird; oder es wirkt in seinem Dunkel auf manche Gemüther wie ein Zauber. Das Glück, das solche Männer bei den Frauen gemacht haben, umgibt sie mit einem Rufe, wie mit einem betäubenden Duft, einem Leuchten, wie es auch dem faulen Holz eigen ist, und das in die erst halb erwachten Mädchenaugen wie ein Nimbus fällt. Die eigenthümliche Verwegenheit jener Heroen leichtfertiger Liebesabenteuer, oft für Gebildete so abstoßend, hat gerade für Erstlinge der Gesellschaft, die sich in ihrer unsäglichen Befangenheit nicht zu fassen wissen, etwas, woran sie sich halten und aufrichten können.«

Man gab dieser Ansicht Beifall, und Einer der Herren bestätigte, wie sehr Oheim und Tante Sophiens, bei denen die schöne Waise lebte, über das so ungestüme als unerwartete Interesse der Nichte für einen ihnen so widerwärtigen Mann betroffen gewesen. Hätten sie sich nur nicht, wie es so oft vorkömmt, mit aller Lebhaftigkeit ihrer Mißbilligung gerade der ersten so reizbaren Vorliebe widersetzt, meinte er: vielleicht wäre die rasche Neigung wie eine Laune verdampft, oder, wie ein selbsterkannter Irrthum zu Boden gefallen. Sie bedachten eben nicht, daß die Neigungen der Mädchen, wie ihre Kätzchen, blind geboren werden. Und so tadelten sie und schmähten den Geliebten, ja sie untersagten Sophien alle Gelegenheit ihn zu sehen, und trieben dadurch das von ihnen selbst verwöhnte Mädchen zu gefährlicher Verheimlichung und stillem Trotz. Dadurch war in das Haus des Oheims, wo man bisher nur die geschäftliche und gesellschaftliche Unruhe kannte, eine innerliche, quälende Verwirrung gekommen; zumal die eignen Töchter des Hauses sich auf die Seite der liebenden Base schlugen. Dabei blieb der kluge und keineswegs blöde Rittmeister nicht müßig, sondern begleitete seine Bewerbung mit Artigkeit gegen die Tante und mit Hochmuth gegen den Oheim. So wurden die Alten nach und nach mürbe, und gaben, um des häuslichen Friedens willen, des Rittmeisters Besuche zu. Im Stillen mochten sie auf einen glücklichen Zwischenfall hoffen, der das übertriebene Verhältniß brechen sollte.

Der Arzt war eben im Begriff, diese Mittheilung zu ergänzen und die Bemühungen der vom Rittmeister gewonnenen Geistlichkeit anzuführen; als er sich besann, daß einige der eifrigsten Freunde derselben am Tische saßen, die er nicht reizen mochte.

Inzwischen war Sophie nach Hause gekommen und fand mit ihrem empörten Herzen eine sehr unruhige Nacht. Der unerwartete Richterspruch einer Ballgesellschaft, diese stumme und darum unwiderlegliche Mißachtung drückte das kindliche Bräutchen ganz aus seiner naiven, seelenfrohen Verfassung hinaus, quälte es, regte aber auch zum Nachdenken auf. Sophie fühlte sich wie eine Schuldige behandelt, und begriff nicht, wo ihre Schuld liegen sollte.

Sie darüber aufzuklären oder vielmehr zu verwirren, fand sich ein ungeschickter Vetter ein, – ein vorlauter, gedankenloser Mensch, Freund und Gefährte jener kaufmännischen Zierlinge oder Schläkse, die sich auf langweilige oder lächerliche Weise für Sophien interessirten. Er war ebenfalls auf dem Ball gewesen, und bis zu Ende geblieben, und machte, von seinen Kameraden gehetzt und in der angenehmen Stimmung seines Katzenjammers, einen Morgenbesuch; da er denn die niedergeschlagne Verlobte mit allem Unangenehmen unterhielt und reizte, bis er ihr denn auch von des Rittmeisters Verhältniß zu Clementinen erzählte. Dies empörte sie, wie sie nun einmal für den Rittmeister schwärmte. Erst bestritt sie den Vetter mit dem lebhaftesten Widerspruch, wobei sie immer mehr und Bedenklicheres zuhören bekam; dann machte sie in erzwungener Lustigkeit den Schwätzer und seine Freunde lächerlich, und drohte zuletzt mit des Rittmeisters Pistolen. – »Hüte nur vor andern Dein verläumderisches Maul, Franz, sagte sie, oder der Rittmeister stopft es Dir, mit einer der schweren Cigarren, die mit Pulver angesteckt werden und Dir die Nase verbrennen!«

Den Vetter Franz verdroß es, daß seine Mittheilungen bei Sophien so wenig verfangen wollten. Es fehlte ihm gänzlich an Einblick in die Bewegungen eines Mädchenherzens: sonst würde er gerade in dieser Art von überspanntem Muthwillen den bittern Kern verheimlichter Kränkung nicht verkannt haben. Um so roher wurden nun seine Ausfälle gegen den Rittmeister. Und wenn dabei auch mancher Ausdruck prahlerischen Muthes nur ein Belachen verdienen mochte: so fiel doch die wiederholte Drohung, daß er dem elenden Rittmeister auf Ehre! noch einen Possen spielen werde, woran er denken solle, durch Blick und Miene auf, und verrieth unverkennbar ein tückisches Herz. – – »Ja, ja, er soll an mich denken!« rief er noch einmal und eilte mit viel Selbstzufriedenheit fort. Woher auch hätte der öde Mensch eine Ahnung davon nehmen sollen, was er in der hingebenden Seele Sophiens angerichtet hatte?

Denn war schon von der Liebe und durch den Kampf mit den Verwandten das kindliche Herz des Mädchens mächtig entwickelt und gereift worden: so kamen nun die Erfahrungen vom Ball und des Vetters Mittheilungen hinzu, dies auf Gegenliebe gestützte Herz in sich selbst zurückzuziehen, und mit eigener Kraft, mit selbstständigem Muthe zu rüsten. Die Frucht der Liebe umgab sich, so zu sagen, ehe sie noch süß geworden war, mit einer stachlichen Hülle. Eine mehrtägige Abwesenheit des Rittmeisters im Dienste, ließ dem kämpfenden Gemüthe Zeit, die rechte Fassung zu gewinnen. Lebhaft empfindend, offen und zum Rechten leicht entschlossen, ging Sophie bei der nächsten traulichen Gelegenheit den Verlobten geraden Weges an und fragte nach seiner Verbindung mit Clementinen und nach seinen früheren Verhältnissen überhaupt.

Auf diese Fragen hatte sich der Rittmeister längst vorbereitet. Sein Verkehr mit der Geheimerathsfrau war ja stadtkundig, ihr Zurückbleiben nach der Versetzung des Mannes viel besprochen worden. Sophie selbst hatte auf die kränkendste Weise erfahren, wie viel Theilnahme die Stadt einer Frau widmete, die, von ihrem Liebhaber verlassen, lebhafter bedauert wurde, als sie vielleicht früher wegen Treubruches an ihrem Gatten getadelt worden war.

Der declamatorische Ton, in welchem der Rittmeister sich gegen Sophien erklärte, entsprach gewissermaßen ihrer gespannten Stimmung, und sagte ihr eher zu, als daß er sie mißtrauisch gemacht hätte; wie denn auch ohnedies jugendliche Gemüther an rednerischem Pomp und Aufwand, besonders wenn er um ihretwillen gemacht wird, nicht leicht ein Mißfallen finden.

»Deine Fragen, Sophiechen, kommen mir nicht unerwartet,« sagte er. »Vielleicht hätte ich Dir früher schon mit meinen Erklärungen oder Bekenntnissen entgegen kommen sollen. Allein, wenn man sich nicht genug thun kann, wo man den Menschen Freundliches erzeigen will: so kann man auch wieder nicht zu wenig thun, wenn man die Verächtlichkeit der Societät zur Sprache bringen muß. O ja doch! Der Himmel beschere diesem Gezücht nur immer Gelegenheit, ein zartes Verhältniß der Freundschaft mit dem Argwohn ihres eignen unreinen Herzens zu belasten! Wie streicheln sie die eigne begehrliche Sinnlichkeit, wenn sie mit heuchlerischer Moral sich an den falschen Voraussetzungen einer edlen Wechselneigung reiben können. Erröthe nicht, mein süßes, seraphisches Mädchen! Jene Brut ist der Rosenblüthen nicht werth, die Deine heiße Wange um sie abblättert! Höre denn weiter! Ob man also die uneigennützige Freundschaft eines Mannes für eine unglückliche Frau wirklich nicht begreift oder nicht begreifen will, mag für diesmal hingestellt sein. Eine solche Unglückliche ist aber Clementine. Du kennst ihren Mann nicht, meine theure Sophie, sonst hätte es keines Wortes bedurft, mein und ihr Verhalten zu rechtfertigen. Sie habe ihren Mann verlassen, wirft man ihr vor: ich sage Dir als Mann von Ehre, – sie hat sich vor ihm gerettet! Wie oft hatte ich ihm in seiner pedantischen quälerischen Behandlung der zarten, etwas empfindsamen Frau entgegentreten müssen und mich der leicht Gekränkten angenommen! Oder, besser gesagt: ich hatte mich seiner selbst angenommen; indem ich als rechtschaffener Freund in abzuhalten suchte, unedel und unwürdig an einer Frau zu handeln, deren freilich etwas schwärmerisches Wesen er nicht begriff. Doch das verdroß ihn und er benahm sich nur desto brutaler gegen sie. So war ich aus einem Beschützer Clementinens ihr Schuldner geworden. Durfte ich sie verlassen, als sie bei seiner Versetzung mit seiner Zustimmung zurück blieb? War sie nun nicht ganz an meinen Beistand gewiesen? Sieh' da mein Verhältniß zu ihr.«

»Aber nun hast Du sie ja doch verlassen, Moritz?« wendete Sophie naiv ein, indem sie, selbst zu rein gesinnt, um einen zur Schau gestellten Edelmuth zu bezweifeln, lebhaft hinzusetzte: »Du hättest mich zu ihr bringen sollen, so hätte sie einen rechten Halt gehabt, in ihrer Verlassenheit.«

»Ich habe ihr andere Freunde zugewendet«, erwiderte er verlegen. »Sie ist nicht vereinsamt. Wegbleiben aber mußte ich um ihrer selbst willen, nachdem uns einmal der Argwohn der Menschen zu Ohren gekommen war. Ich war schon zu lange unachtsam auf die bösen Zungen der Menschen gewesen. Dich zu Clementinen bringen – hätt' ich freilich gesollt. Aber wär's am Ende wohl gut gewesen? Der Dunstkreis der Verläumdung bleibt immer bedenklich für ein reines junges Herz. Ich wollte Dich lieber entfernt halten. Hast Du nicht selbst erfahren, wie ungerecht die Welt ist? Hat die Mißgunst der Gesellschaft, die doch nur mir und dem Glück meines liebenden Herzens gilt, nicht auch Dich, liebenden schuldlosen Engel mit getroffen, – auf jenem Ball? verlaß Dich drauf, mein Herz, – ehe die giftigen Mäuler die gute Gelegenheit mich zu verläumden aufgegeben, lieber hätten sie Dich mitbegeifert.«

Schmeichelei, Betheurungen, Zärtlichkeiten suchten zu ersticken, was Sophie vielleicht noch zu fragen und einzuwenden haben mochte. Sie war freilich durch all diese Vorspiegelungen nicht beruhigt worden; doch war es kein Mißtrauen in die Versicherungen des Geliebten, was sie auf's neue niederschlug; sondern ihr Herz, das nach den Fingerzeigen des Freundes so trostlose Blicke in's Leben und in das verworrene, verwilderte Treiben der Menschen gethan, war auf's Tiefste entmuthigt. Der Rittmeister aber mißverstand dies Gefühl. Er begriff nur, daß Sophie durch Mittheilungen Anderer zu ihren Fragen angeregt sei, und vermuthete, sie möchte wohl noch irgend ein zartes Bedenken auf dem Herzen haben, für welches sie nach Worten suche. Er glaubte es zu errathen und am besten zu beseitigen, wenn er damit der Geliebten zuvorkäme. Mit etwas kurzem, gleichgiltigen Tone sagte er:

»Was mir bei meiner Entfernung von der Geheimeräthin wirklich leid thut, ist ihr allerliebstes Kind, – ein kleines Mädchen voll Anmuth und Lebhaftigkeit. Allerdings etwas zart und reizbar; was aber begreiflich ist, wenn man bedenkt, daß die Mutter gerade während ihres Hoffnungsstandes von ihrem hypochondrischen Gatten besonders viel zu leiden hatte. Wie manchmal mußte ich damals zu ihrem Schutze dem Unhold entgegen treten! Nun findet die dankbare Mutter in Mund und Blick des Kindes, wenn es sich über seine Puppe ereifert, etwas von dem Ausdrucke meines Gesichtes aus jenen, ihr freilich unvergeßlichen Auftritten. Ich sagte Dir ja, Clementine ist ein wenig Schwärmerin. Aber gerade Du würdest sie darum lieber gewinnen. Denn« – setzte er schmeichelnd hinzu – »ich weiß schon mein Mäuschen, daß Du ähnliche kleine Vorurtheile hegst, und vergesse nicht, wie andächtig Du Deinem Oheim zuhörst, wenn er über den Ausdruck des menschlichen Gesichts und über die Bedeutung des menschlichen Schädels etwas langweilig wird. Verzeih', und mach' mir kein Mäulchen! Ich bin so ungläubig nicht, und habe früher auch mancherlei über die Physiognomie und besonders auch über die oft wunderbaren Störungen des Geistes durch Kopfverletzungen und Hirnerschütterungen gelesen!«

»Laß es gut sein, lieber Moritz!« fiel Sophie ein. »Wenn ich dem Onkel in seiner aus England mitgebrachten Liebhaberei gern zuhörte: so war's oft auch aus Rücksicht für den guten lieben Mann. Glaube mir, Moritz, – ich baue mein Glück lieber auf das Herz, als auf das Hirn eines Menschen. Und da ich letzte Nacht Clementinens Lage in anderm Licht zu sehen glaubte, als Du sie mir jetzt gezeigt: so dachte ich lang darüber nach, wie sie sich von Dir verlassen und unglücklich fühlen möchte. Ach! da empfand ich so recht aus tiefster Seele den Zustand mit, sich von einem Menschen den man liebt, vernachlässigt, verkannt oder gar betrogen zu finden. Entsetzlich, liebster Moritz!«

Der Rittmeister rückte mit einer Schwadron wohlgesattelter Betheurungen diesen Vorstellungen entgegen, die nicht ohne heimlichen Vorwurf für ihn waren. Die Unterhaltung kam seitdem noch öfter auf Clementinen: doch hielt der treulose Freund darin guten Takt, daß er von der Verlassnen nie anders, als mit lebhafter Hochachtung sprach.


Was immer auch der Rittmeister zur Beschönigung seines frühern Verkehrs mit Clementinen vorbringen mochte: soviel blieb wenigstens wahr, daß er jetzt die trostlose Freundin auf alle Weise vermied. Im Winter hatte er seine Wohnung gewechselt, und ließ nun, sobald es das trockne Märzwetter erlaubte, in der neuen Behausung einen Stall einrichten, um auch sein Reitpferd herüber zu schaffen. Außer dem Vortheil, das Pferd bei sich zu haben, erinnerte es ja auch, so oft es aus dem alten Stall geholt ward, Clementinen an den Reiter, und er selbst konnte nicht vermeiden, zuweilen nach dem Gaule zu sehen, und also unter Clementinens Fenstern vorüber zu kommen.

Das Pferd war ein Mecklenburger aus englischer Vollblutmischung – edel von Gestalt, lebhaft von Temperament. Der Rittmeister war ein ausgezeichneter Reiter, der gern ein reizbares Thier ritt, das seinen Mann wach und wacker hält. So oft es von Konrad, dem Burschen des Rittmeisters, aus dem Hause geführt ward, sah ein blasses Frauengesicht mit glänzend schwarzen Locken und eben so dunkeln Augen aus einem Fenster der gegenüber liegenden Wohnung. Konrad grüßte hinauf; sie nickte hinab und ein melancholisches Lächeln glitt über dies ausdruckswarme Gesicht. Meist rief dann auch eine Kindesstimme mit lallendem Ausdrucke seinen Namen. Dann pflegte Konrad mit dem Riemen des Zaums hinauf zu drohen: »Wart, wart' nur, Mathildchen, wenn ich Dich kriege!« – Laut lachte dann am Halse der Mutter die Kleine, und schüttelte die blonde Lockenfülle.

Seit dem Auszug des Rittmeisters hatte diese Scene in der einsamen Straße sich täglich wiederholt, und heut' sollte es das Letztemal sein. Clementine wußte, daß der Gaul in den neuen Stall geführt werden sollte. Denn Konrad kam fast jeden Abend zu ihr und erzählte, bei irgend einem kleinen Imbiß knapp auf dem Stuhle sitzend, vom Rittmeister, – was er den Tag über gethan und gesprochen, ob er heiter und aufgeräumt gewesen, oder ihn ausgescholten habe. Wenn's ihm dabei, nach Art solcher Leute, nicht darauf ankam, zuweilen auch etwas hinzu zu setzen, was der Frau angenehm sein sollte: so beantwortete er auch wieder manche lebhafte Frage schlicht und gerade aus, ohne zu merken, was damit gemeint war, und welches Leid die Trauernde aus der ehrlichen Antwort schöpfte.

Es war ein heitrer, frischer Märzmorgen, als Konrad das Pferd aus dem Stalle führte. Er war eine Stunde früher gekommen, und hoffte es unbemerkt fortzubringen. Er mochte gar nicht nach Clementinens Fenster aufblicken, weil er wünschte, sie möchte nicht da sein oder ihn nicht sehen wollen, wenn sie hinter den Scheiben stände. Da hörte er aber, und diesmal nicht von des Kindes Stimme, seinen Namen rufen in einem Tone, daß ihm auch gleich die Thränen in die Augen schossen. Wie er nun mit dem linken Aermel über das Gesicht streichend empor sah, verstand er Clementinens Wink, und führte das Pferd durch den schon geöffneten Thorweg in den Hof ihrer Wohnung. Die schöne Frau erschien im Morgenanzuge mit einem Taschentuche, das vom Thau glänzender Augen benetzt war. Mit hochklopfender Brust näherte sie sich dem Pferde, etwas furchtsam oder vielleicht auch sehr bewegt. Nun trat sie aber ganz dicht an das stolze Thier hinan, und legte ihm hoch reichend die kleine weiße Hand an den Hals. Sie klopfte und streichelte es einigemal sanft, und konnte kein Wort hervor bringen. Endlich flüsterte sie doch mit bebender Stimme:

»Du verstehst Dich recht gut auf Pferde, Konrad, das Thier ist schön gehalten und glänzt.«

»O ja, Madam, der Rinko ist rechtschaffen. Wissen Sie, was ich wollte? Alle Reiter der Welt sollten so sein. Der Rinko steckt in einer ehrlichen mecklenburger Haut drin, und ehrlich glänzt am besten.«

»Du reitest ihn ja zuweilen aus, Konrad: reite doch hier vorüber; damit ich wenigstens das Pferd zu sehen bekomme. Sonst –«

Sie konnte nicht weiter reden, und auch Konrad brachte vor Schluchzen nichts hervor als ein laut stöhndes: »Ja sonst –!«

Clementine klopfte des Pferdes Hals. – »Trag' ihn,« rief sie in aufwallendem Gefühl, »trag ihn sicher! Und – bring' ihn uns zurück!«

Ueberwältigt von verhaltenem Leid, umschlang sie, auf den Zehen emporgestreckt, des Pferdes Hals; das Tuch entfiel ihr, und entblößte die schöne Fülle der Schultern. Sie drückte die heiße Wange an das edle Thier, dem von den rinnenden Thränen die Haut schauerte. Es wendete den Kopf, und sah mit sinnigem Auge nach der Seite nieder. Konrad in seiner bäuerlichen Empfindsamkeit weinte laut und stöhnte dazwischen:

»Ihre Schabracke, Madam! Ihren Shawl, sage ich. Erkälten Sie sich nicht! Es macht sehr frisch den Morgen. Verzeihen Sie, daß ich Sie nicht bediene; aber ich darf's Pferd nicht los lassen, es wird leicht unruhig.«

Bei diesen Worten bückte sich Clementine, nahm ihr Tuch auf, hüllte sich hinein bis an die Augen und ging stillschweigend, mit einer gewissen Fassung in's Haus zurück. Konrad sah ihr nach, wischte die Augen und brummte, wie aus Verlegenheit über seine eigne Schwäche vor sich hin:

»Flenn' ich alter Esel auch noch! Als ob man die Weiber nicht kennte! Einen müssen sie immer haben. Da kommt Die von droben herunter – ganz niedergeschlagen über ihren ungetreuen Schatz, – wirft sich dem ersten besten Mecklenburger an den Hals, und – geht auch gleich getroster hinauf.«

Unter Kopfschütteln und sauersüßem Lächeln faßte er die Zaumriemen kürzer, schnalzte mit der Zunge und so ging's in kurzem Trabe laufend, die Gasse hinab.

Den Nachmittag brachte der Rittmeister bei seiner Braut zu. Das beste Vernehmen war zwischen beiden hergestellt. Sie saßen traulich zusammen und nur die Tante ging ab und zu; während die Männer noch auf dem Comptoir blieben. Nur der Vetter verließ bei Zeiten sein Pult, in der Absicht, an dem mild gewordenen Abende den Schnepfenstrich zu versuchen. Wie die Flinte geladen und die Jagdtasche zurecht gelegt war, kam er herüber, ein Butterbrod mitzunehmen. Er konnte es kaum verbergen, daß er zu seinem Verdruß den Rittmeister im Wohnzimmer antraf. Eben wurde dessen Pferd von Konrad vor das Haus gebracht. Das verlobte Paar trat an das Fenster und Sophie fand den Rinko allerliebst. Dies und des Rittmeisters prahlendes Lob reizte den Vetter, mit Uebertreibung ein Pferd zu rühmen, das sein Freund Tenning vorige Woche gekauft habe. – »Ich kenne es,« versetzte der Rittmeister: »es ist ein treffliches Pferd, nur etwas zu rasch für einen solchen Sonntagsreiter.«

Wie nun einmal den jungen Menschen Alles verdroß, was der Offizier auch im besten Sinne vorbrachte, so nahm er auch diese unbefangene Bemerkung empfindlich auf, und erwiderte mit der raschen, ungeschickten Frage:

»Hat Ihr Rinko Sie noch niemals abgeworfen, Rittmeister?«

In demselben Augenblicke fiel Sophie erschrocken ein:

»Um Gotteswillen Franz, – welche unglückliche Frage kommt Dir da in den Mund: Gleich setze hinzu: Unberufen, unberufen!«

Der Rittmeister lachte aus voller Kehle, und erschreckte damit Sophien, die ihn bat, doch nicht so frefelhaft zu lachen, sondern zu ihrer Beruhigung lieber nicht auszureiten. Worauf er schmeichelnd erwiderte:

»Geh', sei doch kein Kind, Sophiechen, wer wird so abergläubig sein. Dennoch wollt' ich Dir gern den Willen thun, aber es ist ein Dienstritt. Ich muß nach der Heide hinaus; die Schwadron soll morgen einüben, wenn der Boden trocken genug für die Pferde ist, und das will ich selber nachsehen.« Und indem er sich zu Franz wendete, fuhr er fort:

»Nein, lieber Vetter, seit ich Rittmeister bin, hat mich kein Pferd abgeworfen. Das wäre mir auch ein schöner Meister im Reiten, der sich von irgend einem Bucephalus abwerfen ließe. Aber ihr, auf euren ledergepolsterten Comptoirstühlen, könnt vom Spazierenreiten nie recht sattelfest werden. Dafür werdet ihr federfest, packtuchfest und Meister in andern Stücken, – Rechenmeister, Wagemeister oder dergleichen.«

Dieser, freilich nicht ganz gutmüthig gemeinte Scherz kränkte den Vetter auf's Tiefste. Da es ihm aber an wahrem Muth und an natürlichem Witz zu raschen Repliken fehlte: so brachte er nur die kindischen Worte vor: »Wer weiß, worin Sie noch all' Meister sind.«

Damit ging er fort und schlug die Thüre hinter sich zu. Er fühlte aber selbst, daß er eben den Kürzeren gezogen, und nahm mit der Jagdtasche und der Flinte einen Anlauf zu einer heimlichen Kühnheit. Sein unbefriedigter Groll wuchs mit jedem Schritte, und seine Phantasie suchte mit Drohungen gut zu machen, was dem Herzen an Muthe gefehlt hatte. In dieser Stimmung vergaß er den Freund abzuholen, der ihn erwartete, und schlug einen andern, als den verabredeten Weg ein. –

Was man oft einen bösen Geist nennt, der den Menschen zum Schlimmen lenken soll, ist für den Menschenkenner nur die eigne, von böser Leidenschaft getriebene Seele. Sie faßt dann in ihren dunkeln Abgründen Entschlüsse, die allmählich, wie Eingebungen uns zum Bewußtsein kommen, und wie mit Naturgewalt unser widerstrebendes Herz fortreißen. So stand jetzt Franz, wie aus einem Traum gefallen, an den Tannen vor der Heide. Es war ein alter, stark gelichteter Wald, der aber unten am Wege zum Dorf von einem breiten Saum angesäeter Tannen umzogen war. Hier brach der grollende Schütze in's Dickicht der noch ungelichteten Stämmchen ein, mit der knabenhaften Bosheit, das Pferd des Rittmeisters wo möglich scheu zu machen. Er wollte doch zusehen, ob der Rittmeister in allen Fällen sattelfest sei. Wie freute er sich, den ihm widerwärtigen Menschen, wenn er wirklich abgeworfen und in diesem Zustande gesehen würde, zu hänseln. Weiter dachte er an nichts, und vielleicht war es nicht einmal Folge seiner Ueberlegung, daß er sich an einer Stelle verbarg, wo er, im Falle des Mißlingens seiner Tücke, recht gut entspringen konnte; weil für einen Reiter nur um den Saum der jungen Tannen herum in den Wald – und hier wegen der sumpfigen Strecken nicht weiter zu kommen war.

Der wegelauernde Commis hatte nicht lang genug zu harren, um einige Ungeduld oder beß're Ueberlegung zu fassen. Er hörte schon den kurzen Trab eines Pferdes, und erkannte zwischen den Spitzen der jungen Tannen hindurch seinen Mann auf hohem Gaul. Der Reiter hielt den Zügel schlaff in der Linken, und wendete sich eben rückwärts, nach einem Raubvogel aufzublicken; wobei er, das rechte Bein ein wenig am Leib des Pferdes herauf gezogen, sich mit der Hand auf den Rücken desselben stützte. So saß er freilich nicht fest und geschlossen, als die Flinte dicht vor dem Pferd losknallte, und das erschrockne Thier empor fahrend rechts absprang. Der Rittmeister sank von der andern Seite herab, sein linker Fuß glitt in den Steigbügel. So ward er von dem verscheuchten Thiere eine Strecke über Stock und Stein nach der Stadt zurückgeschleift.

Durch welche Wendung der Fuß des Reiters aus dem Bügel loskam, ist nicht zu sagen. Das Pferd langte mit tollen Sätzen in der Stadt, und wie hirnverwirrt, des neuen Stalles vergessend, vor der alten Wohnung an. Als es hier das Thor verschlossen fand, wendete es sich rechts und links, bis es endlich in den Hof gegenüber trabte, und auf der Stelle, wo es am Morgen von der schönen Frau gestreichelt worden, verschnaufend stehen blieb. Die schöne Frau selbst kam aber nicht herab, zu fragen, wo der Reiter geblieben sei. Ohnmächtig vor Schreck, als sie das Thier ohne Reiter erkannt und mit lebhafter Empfindung das Unglück wirklich errathen hatte, lag sie auf dem Teppich des Bodens. Von dieser Ohnmacht unter den Essenzen ihrer Dienerin und dem Weinen ihres Kindes zu sich gekommen, ging sie zur verzweifelnden Unruhe über. Sie hörte das Pferd wegführen und rief, auf die Kniee gestürzt und die Hände emporringend:

»O gerechter Gott, wie streng nimmst Du es mit mir, und gehst mit meinem sündigen Herzen in's Gericht! Ich flehte das Thier an, Moritzen sicher zu tragen, und ihn mir zurück zu bringen. Ist es denn ein so arger Frevel, daß ich zu einem unvernünftigen Thiere geredet, daß ich aus dem Abgrunde meines Leides an eines Thieres Halse geweint habe? O vergib mir die Schuld, Barmherziger! Ich erkenne es: Dich soll man anflehen, Dir unsere Bitte gönnen und nicht einer Creatur, Deinem Geschöpfe. Aber ach! erhörst Du mich denn? Hab' ich nicht schon Tage und Nächte gerufen?« –

Und was die leidenschaftliche Frau noch weiter ausstieß. Wie denn so verworrne Seelen aus Zerknirschung leicht zu Klagen gegen den Himmel übergehen und mit reumüthigen Redensarten die alten Gelüste in frische Flammen setzen. Sie unterbrach sich auch nur, um das Mädchen auf Erkundigung auszuschicken, was eigentlich geschehen sei. Denn mitten in ihrem Beten und Klagen hatte es Lisette an eben so lautem Zuspruch nicht fehlen lassen. –

»Muß denn just ein Unglück vorgefallen sein, Frau Geheimräthin?« rief sie aus. »Wissen Sie was ich glaube? Das Pferd hat nicht in den neuen Stall hinein gewollt, und ist ausgerissen – hierher. Und wer weiß ob das nicht sein Gutes hat! Vielleicht nehmen der Herr Rittmeister ein Exempel an dem unvernünftigen Thier und kehrt auch wieder zurück.«

Inzwischen hatte ein Bauer, der vom Markte heimfuhr, den verunglückten Reiter in todtähnlichem Zustand aufgehoben, und auf seinem Karren nach dem Landkrankenhause gebracht, das zwischen den Gärten der Vorstadt lag. Die zur Abendvisite versammelten Aerzte erkannten den Rittmeister, und fanden seinen Kopf bedenklich zugerichtet. Die Militärärzte wurden dazu gerufen, Waschungen und Ueberschläge vorgenommen. Der Leidende athmete freier auf, blieb aber bewußtlos unter seinen Verletzungen. –

Auf minder schreckhafte Weise als Clementine erfuhr die Braut das Unglück. Der Vetter kam nämlich auf einem Umwege sehr kleinlaut nach Hause und brachte ihr, mit mehr Geschicklichkeit als Wahrheit in den erzählten Umständen, die Nachricht bei. Dennoch war sie entsetzt und in peinlichster Unruhe, bis sie durch das Benehmen des Vetters auf die Vermuthung seiner Schuld oder Mitschuld kam. Dieser neue Kummer hielt ihrer innersten Angst einiges Gegengewicht. Als sie aber in ihrer Entrüstung den unbesonnenen Menschen zur Rede stellen wollte, stieg ihr die Frage auf, ob sie nicht etwa selbst, durch ihre abergläubige Besorgniß beim Wegreiten ihres Verlobten, den Vetter auf den Gedanken irgend eines frevelhaften Unternehmens gebracht habe. Diese Betrachtung gab dem wahrhaft religiösen Mädchen eine demüthig zerknirschte Stimmung; wobei ihr Gemüth durch Ergebung in das unbegreifliche Walten einer höheren Macht Fassung und Muth zu erringen suchte. –


Wir übergehen die Krankengeschichte. Der Schädel des verunglückten Reiters fand sich so tief verletzt, daß er mit dem Trepan geöffnet werden mußte, um das Hirn von den Stoffen zu befreien, die es belasteten und das Bewußtsein der Seele unterdrückten.

Trauriger Zustand eines Menschen, da man mit schmerzlichem Instrument die Werkstätte des Geistes erbrechen muß, um Hülfe zu bringen. Die Liebe weicht hier der Kunst; das Mitleid tritt zurück, und überläßt das Theuerste einer fremden Hand, die nicht zittert. Sophie und Clementine glaubten beide ein Recht auf die Pflege des Leidenden zu haben. Und war auch dies Recht sehr verschieden begründet: so blieb doch für Beide das gleiche Bedürfniß, den geliebten Mann wenigstens zu sehen, einen thätigen Antheil an seinem Zustande zu nehmen, um, wenn auch ihm nicht zu helfen, doch die eigene Angst und Sorge zu beschwichtigen. Begreiflicherweise wurde keine von Beiden vorgelassen. Was war auch von solcher Annäherung zu erwarten, als daß sie den Aerzten lästig und dem Kranken gefährlich werden möchte.

So verging mancher Tag, an dem die Bewußtlosigkeit des einen Leidenden durch die Unruhe zweier Liebenden eben nicht aufgewogen ward. Nur langsam dämmerte es in der Seelennacht des Schlummernden. Oefter und anhaltender schlug er die Augen auf mit dem irren Blick aus einer gestörten in eine unverstandene Welt. Nach und nach erinnerte er sich, fand Gedanken und suchte sie in Worten zu verbinden. Beides fiel ihm anfangs schwer, so daß es ihn zum Einschlummern ermüdete. Sophie bekam über den Gang der Genesung Nachrichten durch den Hülfsarzt, der im Krankenhaus zur steten Aufsicht wohnte. Bei fortgeschrittner Besserung bestand sie darauf, ihren Verlobten, wenn auch nur unbemerkt, zu sehen. Ihr Verhältniß zu ihm war auch zu anerkannt, um es ganz unberücksichtigt zu lassen, und sie gelobte, sich stumm hin zu setzen, den Kranken unangesprochen zu lassen, und Herrin ihrer Empfindungen zu bleiben.

Mit welchem Herzklopfen betrat sie das Krankenzimmer. Es war eins der kleinern, die für einen einzelnen Kranken von besonderer Berücksichtigung gegeben wurden. Moritz schlummerte; sie konnte ihn lang ansehen, sich unter dem Anblicke sammeln, und das klopfende Herz, die beklommene Brust frei werden lassen. Ein Gemisch von Mitleid, Hoffnung, Freude, aber auch von wundersamer Angst bestürmte ihre Seele und fand endlich seinen Ausbruch in ihren Thränen.

Sobald der Kranke sich regte, trat sie hinter den Schirm zurück, der das Bett schützte. Sie hörte Moritzen ächzen und lallen, und mußte sich entfernen, um vor der Thüre laut weinen zu können. Diese Selbstbeherrschung gewann ihr vollends das Vertrauen des Arztes; so daß sie ohne Frage ihre Besuche wiederholen durfte.

Bald gewöhnte sie sich an die Erscheinungen des Leidens, und bemerkte, wie Moritz mehr und anhaltender sprach. Es betraf seinen Zustand und seine Bedürfnisse. Wie ängstlich lauschte sie, daß er ihren Namen nennen, eine Frage nach seiner Verlobten thun sollte. Sie wußte vom Arzte, daß er es bis jetzt noch nicht gethan.

Dieser junge Mann knüpfte nun in ihrem Interesse ein Gespräch mit dem Kranken an. – »Gute Freunde, sagte er, liebe Personen sind sehr bekümmert um Sie, Herr Rittmeister, und möchten gern zu Ihrer Pflege beitragen. Nicht wahr, Sie wollen sie noch nicht sehen, Sie fühlen sich noch nicht stark genug für solche Eindrücke des Wiedersehens?

»Doch, doch! erwiderte nach einiger Anstrengung des Besinnens der Kranke. Nicht wahr, Clementine?«

Der Arzt schwieg.

»Und mein Mathildchen? Oh!«

Der junge Arzt blickte verlegen zu Boden. – »Nein, sagte er endlich kleinlaut, aber Fräulein Sophie!«

»Sophie, Sophie –? lallte Moritz befremdet und mit dem Kopfe schüttelnd.

Auf einen Wink des Arztes trat Sophie hervor und sah den Kranken mit schmerzlichem Lächeln an. Moritz starrte nach ihr empor und richtete sich ein wenig auf, als ob er höflich grüßen wollte.

»Wie, Herr Rittmeister, fiel der Arzt ein, besinnen sie sich denn nicht auf Fräulein Sophie, Ihre –.«

Einerlei, einerlei! antwortete der Patient etwas gereizt von der Anstrengung. »Womit kann ich dienen?«

Sophie trat zurück. Sie sank in den Lehnstuhl; ihr Athem drohte zu stocken. Der Arzt bemühte sich, ihr etwas zu sagen; sie reichte ihm lächelnd den Arm, und ließ sich hinaus führen. Auch kam sie erst nach einigen Tagen wieder. Der Arzt empfing sie nicht ohne Befangenheit. Ihr selbst sah man die ängstliche Spannung an, mit der sie sich, da Moritz schlummerte, am Bett niederließ. – »Hat sein Gedächtnis, seine Besinnungskraft zugenommen?« fragte sie kleinlaut.

»Es scheint damit gar langsam zu gehen, antwortete der junge Mann. Es muß eine Stelle seines Hirns besonders schwer getroffen und noch unthätig sein. Sie wissen, mein Fräulein, – man nimmt an, daß die Seelenthätigkeit in ihrer vielfältigen Richtung an besondere Organe des Hirns geknüpft sei, wie ja auch ein ordentlicher Geschäftsmann seine Arbeiten Papiere, Instrumente u. dgl. gesondert von einander hält. Natürlich wird durch eine solche Verletzung, wie der Herr Rittmeister erlitten, ein Organ mehr als ein anderes geschwächt. Es kömmt darauf an, wo gerade im Hirn das Extravasat, der Bluterguß, sich gebildet, welche Partien der zartesten Nervengeflechte getroffen oder in Mitleidenheit gezogen sind. So ist die Erinnerung unseres Kranken bis auf eine gewisse Strecke seines Lebens wieder ziemlich klar, und nur die jüngste Region desselben liegt noch ganz im Schatten.«

Sophie war froh, daß sie unter der Miene der Aufmerksamkeit auf die Erklärung ihre heimliche Pein verbergen konnte. Der junge Mann, der aus Teilnahme und Verlegenheit immer gelehrter und belehrender wurde, fuhr inzwischen fort:

»Ich vergleiche gern des Menschen Schädel mit dem Erdballe. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß auch dieser ungeheure Schädel von einer Seele bewohnt wird, die wir die Erdpsyche nennen. Wie wir nun an Kindern beobachten, daß während der Jahre ihrer Entwicklung auch ihr Kopf durch Erhöhungen und Vertiefungen sich verändert: so ist es wohl auch der Erde mit ihren Gebirgen geschehen. Dagegen sinken denn auch wieder bei innern Revolutionen, bei Erdbeben ganze Länderstriche ein und verschwinden unter dem Meer mit allen lebenden Wesen darauf. So hat man auch bei Schädelverletzungen schon die Fälle gehabt, daß der Unglückliche eine fremde Sprache, die er vollkommen sprechen und schreiben konnte, nach seiner Genesung rein vergessen hatte. Darum, mein Fräulein –.«

Welchen Trost der befangne junge Arzt mit seinem »Darum« an einen so traurigen Vergleich, an so beängstigende Voraussetzungen knüpfen wollte, läßt sich nicht vermuthen. Der Kranke erwachte plötzlich, setzte aber, wie es schien, mit irren Blicken einen Traum fort, den er gehabt haben mochte. Denn er sprach mit Clementinen und scherzte mit ihr; er liebkoste »sein« Mathildchen. Der höchst verlegene Arzt unterbrach ihn mit der jähen, lauten Anrede:

»Herr Rittmeister! Fräulein Sophie ist hier, – Ihre Braut!

»Braut? lachte Moritz. Oho! Ueber die Braut sind wir hinaus, guter Freund! Wir haben sie umgangen, und stehen schon bei den Kindern. Aber warum lassen die Pfaffen Clementinen nicht wieder heirathen?«

Der erschrockne Arzt trat an Sophien heran und sagte:

»Versuchen wir es, ob Ihr Anblick ihn heut etwa entwirrt!«

Er führte die Zitternde, Widerstrebende hervor. Wie Moritz bei ihrem Anblicke ein lachendes Aha! rief, glaubte er auch wirklich gewonnen zu haben, und versetzte vergnügt: Nicht wahr, Herr Rittmeister?

Mit einem rohen Lachtone erwiderte dieser:

Aha, ihr habt hier auch die Einrichtung mit den barmherzigen Schwestern! Was für eine Art von Barmherzigkeit ist denn die da? Hm?

Der Arzt erröthete bis an die Schläfe. Sophie entfernte sich raschen entschlossenen Schrittes.

Vor der Thüre wankte sie, von einer Ohnmacht bedroht, nach dem nächsten Fenster und faßte sich an der Brüstung. Der junge Arzt war zu verlegen, um ihr zu folgen.

Auf dem entlegenen Gang war es still. Aus dem Garten kam die Luft so erquickend herein. Drunten grünten und knospeten die ersten Stauden, und auf den geschützten Beeten blühten Crocus und Narzissen. Wie jubelten die Sperlinge! Und vom Feld herüber sang eine aufsteigende Lerche. Solche Eindrücke üben eine wohlthuende Macht auf ein verlass'nes Herz: ein Lenzgefühl, ein wunderbarer Muth drang in Sophiens Brust. Sie athmete tief auf, und ihr Vorsatz war gefaßt. Wie zu einem Lebewohl blickte sie noch einmal nach der Thüre zurück, aus der sie gekommen war. Jetzt erst fiel ihr die Nummer 13 auf, die drüber stand. Sie ward betroffen, sie besann sich. »Mein Gott! seufzte sie, mir träumte die Nacht, ich hätte mit der Nummer 13 das große Loos gewonnen. Sieh' da! mein Erinnern geht bis in die jüngsten Stunden: wie wird es aber mit meinem Vergessen werden?«

Sie wandelte gefaßt und gehalten den Gang und die Treppe hinab. – »Wie, sagte der Arzt? flüsterte sie vor sich hin. Ganze Regionen der Erinnerung versinken mit dem schönen Leben darin! Es käme vor, sagte er, daß Mancher eine fremde Sprache, die er so fertig redete, rein vergessen hätte? O ja! Warum nicht auch die Sprache der Liebe? Ach, vielleicht war sie ihm fremd, auch als er sie so angelernt sprach?« – –

Der Pförtner öffnete und sie blieb zwischen den zwei Eingangssäulen stehen; indem sie unter den Bäumen gegenüber eine Dame bemerkte, die eiligst über den Weg herüber kam. – »Endlich Jemand, der ihn eben gesehen hat! rief sie. Sagen Sie mir, mein Fräulein, täuscht man mich nicht? Ist Moritz wirklich außer Gefahr, und geht's zum Guten mit ihm?«

»Der Herr Rittmeister scheint körperlich sehr wohl, und ist – sehr munterer Stimmung«, antwortete Sophie kalt.

Der Herr Rittmeister – sagen Sie? Sie haben Recht, mein Fräulein: so ziemte mir ihn zu nennen. Ich meinte auch – Ihren Moritz. Verzeihung! Also wirklich auf dem Wege der Besserung und der Herstellung?

»O gehen Sie doch hinein, Frau Geheimräthin! Man wird Sie nicht hindern. Der Kranke nennt Ihren Namen, fragt nach Ihnen und nach dem –, nur nach Ihnen. Sein Bewußtsein ist zurückgekehrt, – zu Ihnen zurückgekehrt. Was er nach Ihnen erlebte, ist ihm alles vergessen. So nehmen Sie ihn denn und – seien Sie ihm forthin auch alles für das Vergessene!«

»O mein Gott!« rief Clementine erschrocken und wußte Sophiens Worte oder sich selbst nicht gleich zu fassen.

»Erstaunen Sie nicht! fuhr Sophie fort, indem das mädchenhafte Gefühl ihrer erlittnen Kränkung noch einmal aufloderte. Man hat solche Fälle der Geistesstörung – behauptet der Arzt. Doch, immerhin bleibt es ein – geheimnißvoller Weg, auf dem ihn sein Unglück zu Ihnen zurückführt. Und da Sie mir doch – wie durch eine Schickung gerade hier begegnen: so übernehmen Sie gefälligst mein Lebewohl an den Herrn Rittmeister, falls er sich –.«

»Nein, mein Fräulein, nimmermehr!« sie! Clementine ein. »Moritz wird wieder zu sich kommen, sich Ihrer erinnern, seines neuen Glücks, seiner schönen Zukunft froh werden!«

Thränen unterbrachen ihre bewegten Worte.

»Und wenn auch Frau – wenn auch!« versetzte Sophie mit einer gewissen stolzen Entschlossenheit. »Versunken bleibt doch für immer der moralische Boden auf dem ich unsern Bund und Hausstand gegründet dachte. Moritz hat mich über sein Verhältniß zu Ihnen, über seine Pflichten für – das Kind, über sein früheres Leben überhaupt getäuscht. Diese Region seiner Vergangenheit ist für mich erst an seinem Lager aufgetaucht. Das Unglück, das ihn wie sein unvermeidliches Schicksal zu Ihnen zurückführt, ist für mich nicht weniger verhängnißvoll. Möchte es für Sie eine so würdige Wohlthat sein, wie es für mich ist! Er hat unwahr und unehrlich an mir gehandelt. Es war kein Felsengrund eines männlichen Wortes, womit er sich mir verlobte: es war aufgeschwemmter Boden, faules Moor, worauf er unsere Zukunft stellen wollte. Daß er so zu handeln fähig war, – könnte ich das je vergessen? Also, – Sie übernehmen meinen Auftrag?« fuhr Sophie fort, als Clementine erschüttert und keines Wortes fähig, der Sprechenden Hand ergriff. »Sie sagen ihm, wenn er sich meiner je wieder erinnern sollte, mein Lebewohl und meine eben ausgesprochene Ansicht dessen, was mich zu meinem Rücktritt bestimmen mußte. Von dem Arzte kann er, falls es ihm beliebt, erfahren, was mich zu meinem Entschluß bestimmen mußte. Ich werde Ihnen auch für ihn die Andenken zustellen lassen, die ich von ihm besitze. Wie könnte ich Andenken haben, wo er selbst kein Erinnern hat? Also Sie bestellen das?«

Clementine warf sich höchst bewegt und verwirrt, an Sophiens Brust. Sophie drückte sie sanft von sich ab, und schied mit einer stummen Verbeugung. –

So bewegt, aber gehoben erklärte Sophie sich auch gegen Oheim und Tante. Diese hatten die Nichte stets sehr niedergeschlagen und schweigsam aus dem Krankenhause kommend, beobachtet. Nun erfuhren sie mit doppeltem Erstaunen den Grund; denn eine doppelte Offenbarung lag vor ihnen: wie sich nämlich der unselige Gemüthszustand des Rittmeisters entdeckt und wie dadurch die Seele des Mädchens in wenigen Stunden tief erlebten Unglücks sich rasch entfaltet und ihr edelstes Wesen auf's wunderbarste geläutert hatte. Der verhängnißvolle Sturz vom Pferde hatte einen tiefen, ewigen Abgrund zwischen zwei verlobten Herzen eröffnet; indem durch ihn die Versunkenheit des einen und das verborgene Gold des andern Gemüthes an den Tag gehoben, erschien.

Daß diese Verlobung gelöst war, verstand sich von selbst. Auch hielten Oheim und Tante sich nicht so abhängig von ihren Geistlichen, daß sie nicht das Ansehen derselben der höhern Fügung eines so wunderbaren Ereignisses untergeordnet hätten.

Man kam überein, Sophien auf einige Zeit zu entfernen. Der Frühling stand bevor, und diese günstige Jahreszeit machte den Aufenthalt bei einem Mutterbruder Sophiens angenehm, der im nördlichen Deutschland ein bedeutendes Gut besaß und bewirthschaftete. Die Tante wollte sie selbst dahin bringen. Mit der vergnügten Lebhaftigkeit in die Alle versetzt waren, wurde die Angelegenheit betrieben. Am Tage der Abreise erwies sich besonders Vetter Franz sehr behülflich und zuthätig. In einem Augenblicke, wo er mit Sophien unter vier Augen war, faßte er ihre Hand und sagte mit befangenem, aber bezüglichen Lächeln:

»Base Sophie, – ein Wort unter uns! Ich sehe euch Alle froh, und Du bist einem lebenslangen Unglück entgangen: dürfte ich Dir sagen, wie sehr das – gerade mich freut!«

»Schweig, unbesonnener Mensch!« gebot Sophie mit strengem Blick. »Sprich nicht von Freude, sondern lege die Hand auf's Herz! Es gibt Mittel, Vetter, die so verhaßt sind, wie die Krankheit, die von denselben gehoben wurde. Ich bitte Dich, begrabe Deinen Frevel in ewiges Stillschweigen, aber halt' ihn vor Augen und laß ihn Dir dienen, um ernsthaft und gemessen für die Zukunft zu werden!«

Als die Tante nach einiger Zeit von der Reise allein zurück kam, war sie voll von einem liebenswürdigen, jungen Mann aus dem Mecklenburgischen, den sie auf der Besitzung des Schwagers kennen gelernt hatte. Bald enthielten auch Sophiens Briefe zunehmend umständliche und warme Nachrichten über den interessanten Mecklenburger. Später kamen Entschuldigungen dazu, daß sie noch nicht heimkehre: Oheim und Muhme ließen sie nicht fort. Gegen den Winter wechselten auch dicke Briefe zwischen Oheim und Muhme dort und Onkel und Tante hier.

Und als die Knospen abermal aufbrechen wollten, und Safran, Narzissen und Primeln auf allen Beeten in Blüthe standen, kamen die jungen Eheleute auf einem Honigwochenausfluge zu Besuch. Sie verweilten einige Zeit, während deren der Regierungspräsident, Graf Blentingk, zu Ehren des liebenswürdigen Paares wieder einen glänzenden Abend gab.

Die Erinnerung an das frühere Fest lag manchen Gästen nahe, und mehrere besprachen sich in vertraulicher Unterhaltung darüber, daß der völlig genesene Rittmeister wieder die alte Wohnung, Clementinen gegenüber, bezogen habe, und auch der verhängnißvolle Gaul seines alten Stalles wieder froh sei. Einer der Frommen, von denen damals auch die kleine Stadt nicht verschont war, seufzete:

»Altes Sündenleben!« Man sollte nicht davon reden. »Ich finde die ganze Erzählung solchen Rückfalles unmoralisch.« – Worauf die Gräfin mit Lächeln versetzte:

»Bedenken Sie doch, strenger Herr, daß der sittliche Kern der kleinen Begebenheit in der glücklichen Rettung der kindlichen Sophie liegt, und daß im wirklichen Leben ein altes, verirrtes Paar, selbst wenn es sich zu den Frommen zählte, nicht so schnell auf beßre Wege zu kommen pflegt. Treue, hört' ich oft sagen, rechtfertige zwar nicht, aber entschuldige und versöhne auch eine verirrte Liebe.



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